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Kitabı oku: «Der Klosterjaeger», sayfa 13

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Ruhig schritt sie weiter. Als sie in eine tiefe Senkung des Tales kam, entschwand der Pater ihrem Blick.

Desertus hatte das Mädchen noch nicht gewahrt. Seine Augen blickten – wie Gittli zu Herrn Heinrich gesagt – wieder einwendig. Er saß auf einem niederen Stein und hielt den das Haupt stützenden Arm über einen höheren Felsblock gelehnt. Warm lag die sinkende Sonne auf seinem bleichen Gesicht; und um die schmalen Lippen spielte ein träumendes Lächeln. Die holden Bilder der Vergangenheit webten vor seinem Geist. Frühling war’s, und schüchtern begannen im Laubwald die Blätter zu sprossen. Zwischen den Bäumen läuteten die Stimmen der Bollbeißer, die Hörner klangen, und jagender Hufschlag tönte. Nun geben die Hunde Standlaut. „Sie haben ihn!“ Allen anderen fliegt Dietwald auf schäumendem Pferde voran und löst schon den Riemen, mit dem der kurze Speer, die ‚Feder‘, lose an seinen Arm gekoppelt ist. Auf einer kleinen Blöße haben die Beißer den Bären gefaßt, wie die Kletten hängen sie an seinem Gehör. Dietwald schwingt sich vom Pferde, sicher führt er den Stoß. Der Bär hat seinen ‚Fang‘ erhalten und liegt verendet unter den Hunden. Nun geht es heimwärts durch den Wald mit Lachen und Plaudern. Von den Zinnen seiner Burg weht eine weiße Fahne, frohe Botschaft kündend. Er spornt das Roß, jetzt hat er den Hof erreicht, mit langen Sprüngen nimmt er die Stufen. Unter der Tür der Frauenstube treten ihm die Mägde entgegen und bringen ihm sein Dirnlein, das ihm Gott geschenkt, derweil er den Bären jagte. Ach, Herr, solch ein Würmchen! Kein Gesicht, nur Augen! Mit denen schaut es umher in der Welt, in die es geraten, so neugierig, so erstaunt! Er wagt das winzige Ding kaum anzurühren, fürchtet, es möchte ihm zerbrechen unter den Händen. Da war sein Junge schon aus festerem Holz; der schrie wie ein kleiner Geier, zappelte mit den Füßen, schlug mit den kleinen Fäusten um sich, ließ sich drücken und küssen.

„Dietwald!“ Ach, wie matt diese Stimme klang! Er reicht das Dirnlein den Mägden und tritt auf den Zehen in die dunkle Stube, aus deren Ecke die weißen Linnlaken des Bettes schimmern. Er tritt hinzu, noch finden sich seine Augen nicht zurecht, doch eine kleine, weiche Hand erfaßt die seine. „Judita!“ stammelt er in seliger Freude und überströmt die zitternde Hand mit seinen heißen Küssen. Da er aufblickt, lächelt ihm die junge Frau entgegen; sie kann in ihrer Schwäche das Haupt nicht erheben, es ruht auf schwarzen Kissen – nein doch, das sind die gelösten Haare, die um ihre Wangen gebreitet liegen wie schwarze Seide.

Sie soll nicht reden, und er darf nicht sprechen zu ihr; aber an ihrem Lager darf er sitzen und ihre Hand in der seinen halten und träumend alle Freude nachgenießen, die er mit diesem holden Weibe gewann. Er hatte sie zum erstenmal gesehen, da er mit König Ludwig einritt in die Passauer Bischofsburg; als das Turnier gehalten wurde, warf er seine Gegner spielend in den Sand; die schönen Augen, die aus allen Fenstern auf ihn gerichtet waren, störten ihn nicht; in seinem Herzen glühte nur die Freude am Kampfspiel; doch als ihm Frau Irmgard, des Bischofs Schwester, den Turnierdank reichte, sah er neben der stolzen Frau ein Mägdlein sitzen, fast noch ein Kind, mit feingeschnittenem Gesicht, mit tiefen Rätselaugen, Stirn und Wangen dicht umringelt von schwarzem Gelock. Die Blicke der beiden trafen sich, und leis errötend senkte das Mädchen die Lider. „Nun, Herr Graf, was zögert Ihr?“ lächelte Frau Irmgard. „Ihr habt den Dank verdient!“ Dietwald beugte das Knie und ließ sich den Kranz um die Stirne legen. Als er zurücktrat, winkte er dem Seneschall des Bischofs. „Wer ist das holde Kind?“ „Frau Irmgards Tochter Judita, ihr Vater hauset auf der Ortenburg.“19 Bei der Tafel fand sich Dietwald an Juditas Seite. Drei Maitage schwanden mit allem Sonnenglanz und Blütenduft der ersten jungen Liebe, mit ihrem sehnenden Sichsuchen, ihrem zagenden Sichfinden, ihrem seligen Stammeln und Verstummen und mit der süßen, alles Verschwiegene bekennenden Zwiesprach der kühneren Augen. Und als Frau Irmgard Abschied nahm, und Dietwald und Judita schweigend standen, sagte die lächelnde Mutter: „Nach der Ortenburg habt Ihr ein kurzes Reiten, Graf, lasset Euch einmal blicken bei uns, ehe Herr Ludwig wieder heimzieht nach seiner Pfalz!“

Einen Tag lang wehrte Dietwald seiner Sehnsucht, am zweiten Morgen saß er zu Pferd. Über blumige Wiesen ging der Weg, durch jung ergrünenden Wald. Auf einem Hügel erhob sich die stattliche Burg, und ihr zu Füßen lag das kleine Dorf. Dort tönten die Pfeifen, und jauchzende Stimmen klangen. „Sie halten den Maitanz,“ sagte ein Bauer, „und die Burgleute sind auch dabei, und das liebe Fräulein tanzet mit jedem braven Buben und ist gewandet wie ein Bauernkind!“

„So will ich mir auch einen Reigen holen!“ lachte Dietwald, sprang vom Pferde, warf die Zügel dem Knechte zu und eilte dem Dorf entgegen.

Nun plötzlich rann es ihm heiß und kalt durch das Herz – dort, zwischen den grünen Büschen, kam sie gegangen, zögernden Schrittes, leise lächelnd, gekleidet wie ein Kind des Dorfes, in blauem Rock mit schwarzem Mieder, die Schultern umringelt von dunklem Gelock, um die Stirn den Veilchenkranz, sie selbst eine liebliche Blume, die ein Wunder verwandelte in Fleisch und Blut.

„Judita!“ schrie er, stürzte ihr entgegen und umschlang sie mit zitternden Armen.

Das Mädchen erblaßte, riß sich mit angstvollem Aufschrei von seiner Brust – und hinter ihm rief eine zornige Stimme: „Desertus!“

Taumelnd griff er mit beiden Händen nach seiner Stirn, erwachend starrte er um sich her, und da sah er in weitem Kreis die kahlen Felsen ragen, Herr Heinrich stand vor ihm, und auf dem Pfade floh Gittli, von Schreck gejagt, den Hütten zu.

„Welch ein Erwachen!“ stöhnte er, schlug die Hände vor das Gesicht und sank vor Herrn Heinrichs Füße.

Zwischen den Brauen des Propstes glättete sich die zornige Furche. Er legte die Hand auf den Scheitel des Chorherren.

„Dietwald! Erhebe dich!“

Desertus drückte das Antlitz in Herrn Heinrichs Gewand und umklammerte ihn wie der Sinkende den rettenden Baum.

„Komm, Dietwald, steh auf!“ Herr Heinrich nahm ihn bei den Armen, hob ihn empor und führte den Wankenden zu einem Stein. „Rede! Wie kam es, daß du dich so vergessen konntest?“

Desertus schaute zu ihm auf mit dem Blick der Verzweiflung; er drückte die eine Hand auf seine stürmisch bewegte Brust und führte die andere an den Lippen vorüber, wie um zu sagen: ich kann nicht sprechen! Herr Heinrich ließ sich auf einen Felsblock nieder und wartete. Es währte lange, bis Desertus zu sprechen begann, heiser, mit abgerissenen Worten: „Ich saß und schlief mit wachenden Augen und träumte, und da stand es wieder vor mir, wie herausgetreten aus meinem Traum.“

„Dein Gespenst?“ sagte Herr Heinrich betroffen. „So hätt ich dich falsch verstanden bei der Klause? Nicht eine Ausgeburt deiner irrenden Sinne? Ein Gespenst aus Fleisch und Blut? Dieses Kind hat die Versuchung über dich gebracht?“

Desertus starrte Herrn Heinrich an, als verstünde er ihn nicht. „Versuchung? Nein, Herr! Es war noch kein Lebender seinem atmenden Glück so treu, wie ich an meinen Toten hänge. Eh’ ich Judita fand, hab ich kein Weib mit Mannesaugen angesehen, und seit ich sie verlor, ist mir, was Weib heißt, aus der Welt gestorben. Ich wäre Mönch gewesen, es hätte der Gelübde nicht bedurft. Versuchung? Nein! Ihr müßt es Wahnsinn nennen, den ein grausam spielender Zufall der Natur in mir entzündet!“ Wie im Fieber flogen seine Worte. „Ich hab es mit eigenen Ohren doch gehört von den bleichen Lippen meiner Sassen, die den mörderischen Räubern noch entkamen und es ansahen mit entsetzten Augen wie mein Weib auf den Altan des brennenden Turmes flüchtete, meinen Knaben an sich gedrückt, mein Töchterlein auf den Armen, und wie die Mauern barsten und die Balken stürzten, mein Glück begrabend unter Flammen, Rauch und Trümmern. Ich habe doch meines armen, süßen Weibes verkohlte Beine gefunden, noch umwunden von dem goldenen Kettenschmuck, den Judita als mein Angebinde getragen. Ich weiß doch, daß aus dem Reich des Todes keine Straße zurückführt in das Leben. Und doch! So oft mir dieses Kind vor Augen tritt, mein’ ich, ein Wunder hätte sich vollzogen, der Lauf der Zeiten wäre still gestanden, und alles Geschehene wäre ein böser Traum gewesen, der sich nun löst von mir, da ich erwache. Denn dieses Kind, Herr Heinrich – wo find ich Worte für das Wunder? Ich suche auf der Erde: so gleichet keine Blume ihrer Schwesterblume. Ich suche am Himmel: so gleichet kein Stern dem Stern, wie dieses Kind an Haar und Augen, an Antlitz und Gestalt, an Reiz und Wesen meinem Weibe! Und so, wie dieses Mädchen jetzt, im Kleid des Dorfes, mit gelöstem Haar, den Kranz von Veilchen über der Stirn, so trat mir Judita entgegen, als ich in seliger Freude den ersten Kuß auf ihre Lippen drückte.“ In sich versinkend schlug er die Hände vor das Gesicht.

„Dietwald!“ rief Herr Heinrich in tiefer Erregung. „Sage mir – “ Er verstummte wieder. Es war ein Unmögliches, was er dachte! Und durfte er aus der schmerzvollen Seele dieses schwer Gebeugten einen Wahnsinn reißen, indem er einen andern Wahn in ihr erweckte? Er strich ihm langsam die Hand über den Scheitel. „Vergib mir, Dietwald, daß ich dich falsch verstand und dich aus der Pein in die Marter stieß, als ich dich hieherführte, statt weite Meilen zwischen dich und diese Hütten zu legen. Du darfst nicht bleiben. Nicht um deinetwillen, nicht um des unschuldigen Kindes willen, das du erschreckt hast bis ins innerste Herz.“

Desertus nickte vor sich hin.

„Weißt du den Weg nach deiner Klause zu finden?“

„Nein, Herr! Aber fort, fort, nur fort!“

„So warte hier. Ich will dir den Walti senden. Er soll dir den Basthut und das Griesbeil bringen und soll dich führen. Auch eine Fackel soll er mitnehmen, denn ihr kommet in die Nacht hinein. Und wenn du in der Klause bist, dann halte den Buben bei dir, er plaudert gern, und laß die Fackel brennen die ganze Nacht. Beten kannst du nicht mit diesem Irrsinn im Herzen. Und schlafen noch minder. Nimm die Schnüre und beginne ein Netz zu flechten mit engen Maschen! Ich komme morgen abend zu Tal. Eine Klafter hoch und drei Klafter lang soll das Netz geraten sein, bis ich komme. Und weniger will ich nur finden, wenn dich der Schlaf befiel. Bessere Hilfe weiß ich dir nicht, als schaffen, schaffen und schaffen, bis dir die Augen sinken und die Arme erlahmen. Und übermorgen sollst du reisen!“

Sie reichten sich die Hände.

„Ich gehorche!“ flüsterte Pater Desertus.

Und Herr Heinrich ging, an der Wende des Pfades noch einmal zurückschauend mit bewegtem Blick. Als er das Herrenhaus erreichte, kam Frater Severin aus der Jägerhütte.

„Wo ist Walti?“

„Ich habe den Buben um Holz geschickt.“

„Und das Mädchen?“

„Ich glaub, sie hockt in der Küche. Was die nur hat! Als wär die Drud hinter ihr, so ist sie gerannt gekommen, und vor Haymos Lager ist sie hingefallen und hat kein Wort geredet, was wir sie auch gefragt haben. Ich hab schon gemeint, der Haymo fahrt aus der Haut, so hat er’s getrieben mit der Dirn. Aber sie hat ihm nit Red gestanden, und weil er gar nit hat aufhören wollen mit Fragen, ist sie zur Tür hinausgeschossen. Der Haymo hat gleich aufspringen und ihr nachlaufen wollen. Ich hab ihn gehalten, und weil ich gesehen hab, daß die Dirn ohne die Veiglen gekommen ist, hab ich ihm eingeredet, daß sie so verdreht wär, weil sie die Blumen verloren hat. Da drüber hat er sich gefreut.“

Herr Heinrich trat in die Küche und sah das Mädchen verschüchtert in einem Winkel sitzen.

„Gittli!“

Sie folgte ihm zögernd in die Herrenstube.

„Wo hast du deine schönen Blumen?“

„Verloren!“ lispelte das Mädchen. „Die müssen mir heruntergefallen sein, wie er mich – “ Sie verstummte.

„Du bist wohl arg erschrocken?“

Schweigend stand sie, mit gesenkten Lidern.

„Vergiß es, Gittli! Weißt du, der Pater ist ein armer, kranker Mann, krank im Herzen.“

Sie sah zu Herrn Heinrich auf.

Freundlich strich er mit der Hand über Gittlis Haar. „Denk nur, ehe der Pater in das Gotteshaus getreten ist, war er ein Rittersmann, hatte eine junge, schöne Frau und holde Kinder und hat alle seine lieben Leut verlieren müssen in einer einzigen Nacht.“

Gittlis Augen wurden feucht.

„Weißt du, und seit der Zeit ist er manchmal so träumig wie ein Kranker. Und wie du jetzt gekommen bist, hat er völlig gemeint, seine liebe Frau tät ihm erscheinen.“

„Wohl,“ fiel Gittli hastig ein, „er hat auch einen Namen gerufen, wie ich gar nit heiß.“

„Siehst du!“

„Mein, jetzt tut er mich dauern!“ Sie streckte Herrn Heinrich die Hand hin. „Saget ihm doch, daß ich ihm nimmer harb sein will, gar nimmer!“

„Ja, Kind, das sag ich ihm, und das wird ihn freuen. Mußt auch mit keinem davon reden, weißt, die Leut täten ihn drum anschauen.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Aber komm, setz dich ein Weil! Ich bin ganz allein, wir wollen ein wenig haimgarten!“

Schüchtern setzte sie sich auf die Bank und strich an ihrem Rock die Falten glatt.

„Wie alt bist du, Gittli?“

„Im letzten Anderherbst20 bin ich fünfzehn Jahr geworden.“

„Fünfzehn Jahr?“ wiederholte Herr Heinrich. Und nach kurzem Besinnen sagte er: „Weißt du nicht auch den Tag, an dem du geboren bist?“

„Wohl, Herr, am heiligen Pelagitag.“21

Betroffen blickte der Propst das Mädchen an.

Am heiligen Pelagitag? Das war zehn Tage nach der Ampfinger Schlacht und einen Tag nach dem Brande der Burg Falkenberg! Hier hatte die Natur ein seltsames Spiel getrieben, oder – Tief atmend schüttelte Herr Heinrich den Kopf und fragte: „Wo seid ihr daheim gewesen?“

„In Dorfen,22 Herr, wir haben aber nit im Ort gehauset. Unser Haus ist einödig im Wald gestanden, denn der Vater hat gekohlet.“

„Kannst du dich noch besinnen auf Vater und Mutter?“

Sie sah ihn mit feuchten Augen an. „Kann denn eins Vater und Mutter vergessen? Ich bet doch alle Tag dafür, und da seh ich sie allweil wieder dastehen vor mir, der Vater, der wie ein Baum gewesen ist, wenn das Mies dran hängt, ja, so einen langen Bart hat er gehabt, und wisset, Herr, er hat schon ein lützel gegrauelet. Aber die Mutter hat noch allweil Zöpf gehabt wie ein Junges. Und so gut schauen hat sie können, und eine Hand hat sie gehabt, wenn sie einen damit angerührt hat, das ist einem völlig gewesen, wie an einem Abend, wenn’s recht warmelet und es streicht ein Lüftl an einen hin. Und so viel lieb hat sie mich mögen! Ich glaub, es hat noch keins auf der Welt eine so gute Mutter gehabt, wie ich!“ Sie fuhr sich mit dem Arm über die Augen.

Herr Heinrich erhob sich, trat auf Gittli zu und nahm ihre Wangen in seine Hände. „Diese Mutter nimmt dir keiner mehr, und wenn er dir auch eine andere geben könnte!“

Sie sah ihn fragend an.

Frater Severin erschien. „Der Bub ist daheim.“

„Er soll kommen.“

Walti trat in die Stube, und während Herr Heinrich leise mit ihm redete, erhob sich Gittli und schlich zur Türe. Draußen fuhr sie sich noch einmal über die Augen, dann ging sie der Jägerhütte zu. Ehe sie das kleine Haus erreichte, blieb sie stehen, als besänne sie sich. Und nun eilte sie dem Pfad entgegen, der in das Steintal führte. Sie wollte die verlorenen Veilchen suchen.

Als sie die Wende des Steiges erreichte, fuhr sie erschrocken zurück. Dort auf dem Stein saß immer noch der Chorherr; und in seinen Händen hielt er ihren Kranz und blickte darauf nieder mit regungslosen Augen. Jetzt hörte sie auch Tritte hinter sich; dort kam der Bub mit zwei Bergstöcken und einer Kienfackel. Lautlos schlüpfte sie in eine Staude und wartete. Sie hörte, wie die beiden einige Worte wechselten und sich entfernten.

Nun kam sie wieder hervor und begann zu suchen. Das Kränzl wollte sich nicht finden lassen.

„Jetzt hat er’s mitgenommen!“ stammelte sie; aber sie zürnte nicht. „Vielleicht hat er eine Freud dran?“ Und einem, der so viel Schmerzen getragen, war eine Freude zu gönnen. Weib und Kind verlieren müssen, in einer Nacht! Wer hätte mit ihm Erbarmen fühlen sollen, wenn nicht sie? Hatte sie doch Vater und Mutter auch an einem Tag verloren – damals, als im Land das große Sterben umging.

Lange, lange stand sie und blickte dem Chorherren nach, wie er bald im Gewirr der Felsblöcke verschwand, wieder auftauchte, zwischen dunklen Gebüschen sich verlor und wieder erschien.

Der frischer ziehende Abendwind spielte mit ihrem lockigen Haar. Unter ihr im Bergwald rief ein Kuckuck, der erste, der mit dem Frühling gekommen war. Und über den Halden begannen die steilen Wände, zwischen denen der Schnee nur noch in einzelnen Schluchten hing, mit warmer Röte zu glühen.

18

Die Dämmerung, die über den Bergen die ersten Fäden spann, webte im Tal schon die grauen Schleier.

Wolfrat war aus dem Sudhaus heimgekehrt und saß mit Sepha am Tisch. Sie hatte die Kraft gefunden, das Bett zu verlassen – es war die Kraft, die der Kummer und die Sorge gibt.

Ihr karges Nachtmahl hatten sie schon verzehrt, aber sie saßen noch, schweigend; jedes hielt die Arme über den Tisch gelehnt und grübelte vor sich hin.

Lippele kniete auf der Bank und guckte zum Fenster hinaus. „Schau, Mutter, schau, der Berg tut brennen!“ Es störte ihn nicht, daß er keine Antwort erhielt. „So, so,“ schmollte er mit nickendem Köpfl, „wenn die Dittibas verbrennen tut, da droben!“

Wolfrat erhob sich ungestüm, schritt ein paarmal in der Stube auf und nieder und warf sich im Ofenwinkel auf die Bank. Sepha schlug die Hände vor das Gesicht.

Eine stille Weile verging, dann streckte Lippele neugierig den Kopf. „Vater! Mannerleut kommen.“

Seph erblaßte und Wolfrat sprang auf das Fenster zu.

„Sie kommen, Seph!“ sagte er und griff nach dem Tisch, als befiele ihn ein Schwindel.

„Jesus Maria!“ stöhnte das Weib, flog auf ihn zu und umschlang ihn mit zitternden Armen.

Er richtete sich auf. „Nimm dich zusammen, Seph!“ sagte er ruhig. „Sie dürfen kein unrechtes Wort hören. Komm, setz dich her da!“ Er drückte sie auf die Bank. „Und red keinen Laut! Vom Gesicht schaut dir im Zwielicht keiner was ab. Und wenn es schief ausgehen sollt – ich glaub’s nit, Seph, sei ruhig – ich mein’ halt für alle Fäll,“ seine Stimme dämpfte sich zu hastigem Geflüster, „so laß ich dir eine Hilf zurück in der Not, einen Schatz, der zu heben ist. Mir ist er verschlossen, solang ich leb. Aber wenn’s einmal aus ist mit mir, dann sollst du was haben davon, und mein Bub. Ein goldener Schatz, Seph! Und der Schlüssel dazu: das ist die Dirn.“

Sie starrte ihn an; von allem, was er sagte, verstand sie nur das eine: daß er an das Schlimmste dachte.

Das Fenster wurde dunkel, als die Männer draußen vorübergingen.

Wolfrat nahm hastig seinen Platz hinter dem Tisch wieder ein.

Die beiden Knechte, die Herr Schluttemann ausgeschickt, traten in die Stube; der Fronbot, den sie mitgenommen, blieb draußen vor der Haustür stehen.

Lippele rutschte hurtig von der Bank herunter, lief auf die Mutter zu und schmiegte sich hinter ihren Arm.

„Ist der Polzer daheim?“ fragte einer der Knechte.

„Wohl!“ sagte Wolfrat. „Was gibt’s?“

Der Knecht zögerte mit der Antwort; sein Blick streifte das Weib. „Geh, komm ein Weil mit uns vors Haus!“

„Ich hab den ganzen Tag geschafft und bin müd.“

„Wirst aber heut noch einen weiten Weg machen müssen.“

„Warum? Und wohin?“

„Warum, das wirst du erfahren, und wohin, das wirst du sehen.“

Wolfrat lachte. „Da bin ich aber neugierig. Wer will denn was von mir?“

„Der Vogt.“

„Der Vogt?“ wiederholte Wolfrat überrascht. „So? So?“ Er strich mit der Hand übers Haar und erhob sich. „Ja, freilich, da muß ich schon gehen. Aber wenn ich recht gehört hab, ist ja der Vogt seit Freitag im Gejaid – freilich, hab’s ja von euch selber gehört, wie ich auf der Alm meine Schwester gesucht hab. Was will er von mir? Da droben?“

Die Knechte wollten ihn fassen; er trat zurück und machte zwei Fäuste. „Oho! So ist’s gemeint? Ich geh von selber mit, weil der Vogt mich haben will. Aber anrühren soll mich keiner, sonst schlag ich zu.“

„So komm!“

Wolfrat nahm den Hut von der Ofenstange und ging auf sein Weib zu. „Behüt dich Gott, Seph! Bis morgen abend bin ich wieder daheim.“ Er reichte ihr die Hand und hob den Buben in die Höhe.

„Vater,“ klagte Lippele, „du tust mich drucken!“ Als der kleine Bursch auf der Erde stand, rollte er die Schultern, dehnte die Ärmchen, als wären ihm alle Knöchlein aus den Fugen geraten, und als müßte er sie wieder einrenken.

„Also weiter!“ sagte Wolfrat und ging den beiden Knechten voran zur Stube hinaus.

„Mutter?“ fragte Lippele. „Wohin muß der Vater?“

Dumpf schluchzend warf Sepha sich über den Tisch; sie hatte ein Gefühl, als wäre ihr jählings etwas eisig Kaltes in das Herz gefallen.

Als Wolfrat aus der Haustür trat, packten ihn die Knechte unversehens, der Fronbot warf den Strick, und ehe Wolfrat ans Wehren denken konnte, waren ihm schon die Hände hinter dem Rücken gebunden. Er sprach kein Wort mehr. Als sie ihn durch den Hag auf die Straße führten, warf er einen langen Blick auf das Totenbrett seines Kindes.

„Bet, bet,“ sagte das Brett, „vielleicht bist du der nächst!“

Da kam der Knecht, den Herr Heinrich geschickt hatte, die Straße einhergerannt. Keuchend blieb er vor den anderen stehen.

„Willst du was?“ fragten sie.

Er schüttelte den Kopf und ließ sie ihres Weges ziehen. Während er ihnen nachblickte, hörte er aus dem Haus des Eggebauern lautes Geschrei und wirren Lärm, dann eine heulende Weiberstimme. Gleich darauf kam eine Magd durch den Garten auf die Straße gerannt.

„Was ist denn los bei euch?“ fragte der Knecht.

„Der Bäuerin ist was geschehen, ich muß zum Bader laufen.“

Er rannte neben ihr her. „So red doch, was ist denn der Bäuerin?“

„Der Krank ist schon über ein Jahr lang in ihr und hat ihr ungut zugesetzt. Und da hat ihr der Bader gesagt, sie könnt nur gesunden, wenn man ihr ein Herzkreuzl eingeben tät. Der Bauer hat ihr keins verschaffen können, und deswegen ist die Bäuerin allweil so schiech mit ihm gewesen und hat gezannt und gepaget in einem fort. Heut auf den Abend sind sie wieder aneinander geraten, und die Bäuerin im Zorn ist aus dem Bett gesprungen und hat ihm die Kunkel an den Kopf gehaut. Dabei ist sie ausgerutscht und der Läng nach hingeschlagen auf den Boden. So ein schweres Leut! Und da muß ihr einwendig was gebrochen sein, und drum muß ich zum Bader laufen.“

Die Dirn wurde dem Knecht zu flink; er blieb hinter ihr zurück und wartete auf den Fronboten, der die beiden Knechte und ihren Gefangenen nur eine kurze Wegstrecke begleitet hatte.

Die Dämmerung wandelte sich zur Nacht. Als die Knechte mit Wolfrat das Seedorf hinter sich hatten und den Wald erreichten, steckten sie die Fackel in Brand; der sie trug, stieg voran; dann kam Wolfrat, und hinter ihm ging der andere Knecht; er hatte den Strick, der von Wolfrats gebundenen Händen ausging, an seinen ledernen Gurt befestigt. Nur zuweilen sprachen die Knechte ein paar Worte, die den Weg betrafen. Wolfrat redete keinen Laut. Er starrte vor sich hin auf den Pfad oder in den Wald hinein, in dem der rötliche Schein der qualmenden Fackel einen gespensterhaften Kampf zwischen der fahlen, unruhig zuckenden Helle und den schwarzen Schatten erregte; alles erhielt Leben; die moosigen Felsblöcke waren anzusehen wie die Köpfe von Ungeheuern, die aus der Erde zu steigen schienen; Baumstrünke mit dürrem Astwerk tauchten aus der Finsternis hervor gleich abenteuerlichen Gestalten, mit borstigem Haar und zum Fang gestreckten Armen.

Als Wolfrat vor fünf Tagen diesen gleichen Weg in der Nacht emporgestiegen, war es still und finster gewesen im Wald. Und langsamer war’s gegangen. Das Kreuzbild, das er auf dem Rücken getragen, hatte sich mit den ausgestreckten Armen bald an Bäumen, bald an Zweigen verfangen. „Grad, als hätt’s mich halten wollen!“ dachte er.

Auf den Almen rasteten sie; dann ging’s wieder weiter.

Der Morgen dämmerte, als sie sich der Kreuzhöhe näherten. Mit scharfen dunklen Linien hob sich das heilige Bild vom bleichen Himmel ab. Seit Wolfrat das Kreuz gewahrt hatte, konnte er den Blick nimmer von der Erde erheben. Als er am Kreuz vorüberschritt, geneigten Hauptes, mit scheuen Augen, rann ihm ein kalter Schauer durch das Herz. „Er lebt doch, ich hab ihn doch nit erschlagen!“ schrie es in seiner Seele. Aber die Furcht wollte nicht von ihm weichen. Und eines wußte er: beten konnte er niemals wieder in seinem Leben, seit er an dieser Stelle, den Namen Gottes heuchlerisch auf den Lippen tragend, den Mordgedanken unter seiner Stirn geboren hatte. Er hatte nicht einmal beten können am Grab seines Kindes; so oft er auch begonnen: „Vater unser“ – immer wieder stand das blutbefleckte Kreuz vor ihm und schloß ihm die Lippen.

Er atmete auf, als sie an der bösen Stelle vorüber waren.

Über das Steintal blickten im Morgengrau schon die Hütten her. In den Felswänden hörte man die Steine gehen, die von den ziehenden Gemsen gelöst wurden. Einzelne Wölklein, tief violett, schwammen langsam am blassen Himmel.

Es begann schon voller Tag zu werden, als sie die Hütten erreichten. Auf der Bank vor dem Herrenhause ließen sie sich nieder; die Türen waren noch geschlossen, alles war still; sogar die Quelle murmelte schläfrig, als wäre sie versiegt in der Nacht und begänne erst jetzt wieder zu fließen, da es tagen wollte.

In der Jägerhütte schlummerte Haymo auf seinem Lager, und Frater Severin, der bei ihm hätte wachen sollen, schnarchte auf der Holzbank; er hatte am vergangenen Abend ein schweres Werk geleistet: er ganz allein hatte das dritte ‚Pärchen‘ Rechberg und Stein bezwingen müssen, da Herr Heinrich den Vogt zu sich in die Schlafstube genommen, um den Heuboden für Gittli zu räumen.

Herr Schluttemann, dem die gewohnte ‚Bettschwere‘ fehlte, erwachte zuerst. Lautlos öffnete er den Fensterladen, und da gewahrte er die Knechte und den Sudmann; eine Weile stand er unschlüssig und kraute sich den Kopf; dann ging er hinaus; darüber erwachte Herr Heinrich.

Wolfrat und die Knechte erhoben sich, als der Vogt aus der Tür trat; kopfschüttelnd ging er auf den Gefangenen zu; er donnerte und blitzte nicht wie sonst; nur ernster Vorwurf klang aus seiner Stimme, als er zu Wolfrat sagte: „Polzer, Polzer! Was hast du da jetzt angestellt? Das wird dir einen bösen Tag bringen.“

Es wäre Wolfrat wohler zu Mut gewesen, wenn der Vogt geschrien und mit den Fäusten gefuchtelt hätte. „Ich weiß nit, was Ihr meinet, Herr! Aber wissen möcht ich wohl, warum mich Eure Leut überfallen und am Strick dahergeführt haben wie einen Ochs, den man metzgen will.“

„Polzer! Polzer! Tu nicht leugnen!“ sagte Herr Schluttemann mit den sanftesten Lauten, deren er fähig war. „Sonst wird dich einer fragen müssen, der eine glühende Zung hat und eiserne Zähn.“

Wolfrats bleiches Gesicht wurde aschfarben. „Ich brauch nichts leugnen und nichts eingestehen. Ich weiß nit, was Ihr wollt von mir.“

„Polzer, Polzer! Ich will dir in aller Güt nur sagen – “ Der Vogt verstummte, denn Herr Heinrich war aus der Tür getreten. Nur einen Bückling machte Herr Schluttemann und deutete auf den Gefangenen.

Lange ließ Herr Heinrich schweigend seinen Blick auf Wolfrat ruhen, und dieser ertrug den Blick und zuckte mit keiner Wimper.

„Bindet ihm die Hände los!“

Herr Schluttemann machte große Augen. „Reverendissime, ich bitte zu bedenken – “

„Ich habe bedacht!“ sagte Herr Heinrich kurz. „Löset ihn, dann soll er mir folgen.“ Er trat in die Herrenstube.

Wolfrat atmete auf, reckte die befreiten Arme und folgte dem Propst.

„Weck einer den Frater!“ sagte Herr Schluttemann zu den Knechten und ging hinter Wolfrat her. Kaum hatte er die Herrenstube betreten, als Gittli vom Heuboden über die Leiter niederglitt, verstört und totenblaß. Die Stimmen hatten sie geweckt. Sie wankte zur Tür hinaus, hörte die Worte nicht, die Frater Severin ihr zurief, sah die Knechte nicht stehen und glotzen – mit gestreckten Händen und fliegenden Haaren stürzte sie der Jägerhütte zu und brach vor Haymos Lager in die Knie.

„Jesu mein! Gittli! Was hast du?“ stammelte Haymo, dem der Schreck fast die Sprache nahm.

„Sie haben ihn, o Mutter Maria, sie haben ihn!“

„Wen, Gittli?“

„Der’s getan hat! Mein Bruder, Haymo! Es ist mein Bruder!“ Stöhnend warf sie die Arme über das Bett und drückte das Gesicht in die Decke.

Haymo war erblaßt. Ihr Bruder! Das Wort hatte ihn fast gelähmt, er konnte keinen Finger rühren.

Jetzt hob sie langsam das Gesicht, rutschte auf den Knien näher, umklammerte seine Hände und sah zu ihm auf, verzweiflungsvolle Angst in den bettelnden Augen.

Sie brauchte nicht zu sprechen, er verstand. Brennende Röte flog über seine Stirn. „Ich darf’s nit hehlen, Gittli! Ich darf nit.“

„Haymo! Schau doch, wie ich dich bitten tu!“ Glitzernde Zähren rannen ihr über die Lippen. „Er ist mein Bruder, und sie hauen ihm die Hand ab und schlagen ihn zu Tod wie den Grünwieser-Konrad in Salzburg, der einen Hirsch gefangen hat. Und die Schwährin, die arme Schwährin, die muß versterben, wenn sie’s hört, und schau, am Ostertag ist ihr doch erst ein Kind verschienen, so ein liebes, gutes Kindl! Haymo?“

„Ich darf nit, darf nit!“ stammelte er mit versinkender Stimme.

Sie schlug die Hände vor das Gesicht und wankte zur Tür hinaus. Er streckte die Arme nach ihr, aber seine Lippen wollten ihren Namen nicht finden.

Hinter der Hütte, zwischen dem tief niederhängenden Gezweig der Fichten sank sie auf die Erde. Hätte sie lauschen können, sie hätte von der Herrenstube her durch das offene Fenster die redenden Stimmen hören müssen.

Wolfrat stand vor Herrn Heinrich, als wären seine Glieder von Stein. „Und wenn Ihr mich hundertmal fragt, Herr,“ sagte er mit kalter Ruhe, „ich weiß keine andere Widerred. Ich hab den Weg gemacht, weil mir der Eggebauer das Lehent geliehen hat. Ich hab den Herrgott hinaufgetragen, hab ihn ans Kreuz genagelt, vor Tag bin ich fertig gewesen, hab nichts gesehen und gehört, hab mich wieder aufgemacht und bin daheim gewesen vor der neunten Stund. Wie die Dirn über Nacht nit heimgekommen ist, hab ich mich freilich sorgen müssen. Aber bis Mittag, da hab ich, hab ich – “ Er stockte. „Ich hab zu schaffen gehabt.“

„Du hast dein Kind begraben?“

Er nickte. „Und auf den Abend hab ich im Sudhaus sein müssen. Erst in der Nacht hab ich fort können und schauen nach der Dirn. Wie ich auf der Alm gehört hab, was geschehen ist, hab ich mir gedacht: sie soll nur bleiben, bei so was ist ein Weiberleut allweil gut. Und bin heimgegangen. Und hätt ich’s denn ausgeredet überall, wenn ich es selber getan hätt?“

19.Zwei Stunden südwestlich von Passau.
20.Oktober.
21.Den 9. Oktober.
22.Fünf Wegstunden südlich von Landshut.
Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
27 eylül 2017
Hacim:
390 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain