Kitabı oku: «Der Klosterjaeger», sayfa 7
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Trotz der hellen Sonne, die der Ostermorgen gebracht, brannte in der Stube des Eggebauern ein Feuer im Lehmofen, der vor Wärme schwelte. Der Bauer saß hemdärmelig hinter dem Tisch, vor sich einen großen Napf mit Milchsuppe, die er gemächlich auslöffelte. Er war soeben, gegen die neunte Morgenstunde, mit Zenza aus der Messe zurückgekehrt. Das Mädel stand, mit halblauter Stimme trällernd, vor dem in die Wand eingemauerten Zinnspiegel und durchflocht die blonden Zöpfe mit roten Bändern.
„Heut hat es aber der Pater Hadamar scharf gemacht in der Predigt,“ sagte der Eggebauer nach einer stillen Weile.
Zenza lachte.
„Hast du dir gemerkt, was er gescholten hat über den Tanz?“
Wieder lachte das Mädel und warf die Zöpfe über die Schulter zurück. „Jetzt tanz ich nur desto mehr. Und fest anhalten tu ich mich auch. Daß ich nit ausrutsch.“
Sprechen konnte der Eggebauer nicht, denn er hatte gerade den Mund voll; er drohte nur mit dem Löffel; dann schluckte er und lachte. Da klang aus der Kammer eine weinerlich kreischende Weiberstimme: „Zenzaaa!“
„Jjaa!“ rief das Mädel unwillig, trat näher an den Spiegel, nestelte an dem Veilchenbuschen, der im Mieder steckte, und zupfte das Kraushaar in die Stirn.
„Hörst, die Mutter ruft!“ mahnte der Eggebauer.
„Hab schon gehört!“ sagte Zenza; aber sie rührte sich nicht von der Stelle.
Der Eggebauer seufzte und löffelte weiter.
„Bauer! Aber Bauer! So komm halt du!“ klang es mit keifenden Lauten aus der Kammer.
„Ist das ein Weib!“ brummte der Eggebauer. „Nit einmal beim Essen hat man seine Ruh!“ Er schüttelte den Kopf, warf einen Erbarmen heischenden Blick zur Stubendecke, legte den Löffel nieder und wollte sich erheben.
Da klapperten draußen auf den Steinen die Tritte genagelter Schuhe, und ein Schatten fiel über das Fenster.
„Zenz!“ sagte der Bauer hastig. „Ich tu dich bitten, geh hinein zu ihr und bleib bei ihr drin eine Weil. Es kommt einer, mit dem ich zu raiten hab.“
Das Mädel ging, aber nicht gerne; kaum hatte Zenza hinter sich die Kammertür geschlossen, da stand Wolfrat schon auf der Schwelle; er war anzusehen, als käm’ er geraden Weges von der Sudpfanne; sein brennendes Gesicht und seine Hände glitzerten von Schweiß; an Hals und Schläfen sah man, wie es in den geschwollenen Adern hämmerte; sein Atem flog und keuchte, daß er nicht zu sprechen vermochte; er taumelte zur Bank, fiel nieder und drückte die Fäuste auf seine Brust.
Dem Eggebauer wurde ängstlich zu Mut; er schielte nach der Kammertür, dann fragte er mit leiser Stimme: „Polzer, was hast du denn? Ich will nit hoffen, daß – “
„Schau nach der Zeit, Bauer!“ keuchte Wolfrat.
„Da brauch ich nit schauen. Die neunte Stund ist kaum vorbei.“
„Und wie lang braucht einer vom Kreuz über die Almen herunter ins Ort?“
„Fünf Stund.“
„So muß ich droben am Kreuz schon wieder fort gewesen sein, bevor es Tag worden ist!“ sagte Wolfrat mit heiserem Lachen. „Darauf könnt einer schwören. Du auch!“
Der Eggebauer verfärbte sich. „Meinst du, es wird sein müssen?“
Wolfrat zuckte die Schultern, wischte mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und erhob sich; sein Atem war ruhig geworden, sein Gesicht so weiß wie die Wand. Er trat zum Tisch, griff in die Tasche und reichte dem Bauer eine hölzerne Büchse: sie war feucht, als hätte man sie in Wasser getaucht.
„Da nimm!“ sagte er. „Das Kreuzl mußt du dir selber herausschneiden. Ich hab mich tummeln müssen.“
Der Bauer öffnete die Büchse, die ein blutiges Herz enthielt, und schloß sie wieder. „Hast du die Schweißbluh auch?“
Wolfrat nickte und griff an eine Tasche seines Jankers. „Wenn ich die nit hätt? Für was hätt ich’s denn getan?“ Der Kopf fiel ihm auf die Brust und mit zitternder Hand strich er sich über den Scheitel.
Der Bauer blickte scheu zu ihm auf und kniff die Lippen übereinander; dann ging er zu einem Wandschrank, verwahrte die Büchse und brachte ein Säcklein herbei, welches klang und klirrte, als er es auf die Tischplatte setzte.
„Hast nichts gehört, Bauer, wie es bei mir drüben steht?“ fragte Wolfrat.
„Gehört hab ich nichts. Aber sorg dich nimmer! Hast ja die sichere Hilf im Sack.“
Wolfrat atmete tief und stand schweigend, während der Eggebauer zehn Salzburger Schillinge und ein Dutzend Heller auf den Tisch zählte.
„Streich ein! Hast es verdient.“
„Meinst?“ Wolfrat, als er die Münzen in der Hand hielt, streckte sie dem Eggebauer hin und sagte: „Ich weiß nit, mir kommt so für, als hätt das Geld einen roten Schein?“
„Dummes Zeug!“ stotterte der Bauer. „Das Geld hat Silberfarb.“
„So? Dann muß es wohl sein, daß es mir nur im Aug so glitznet. Oder es schaut sich nur die Hand so an.“ Er schob das Geld in die Tasche. „Und was ich sagen will, Bauer? Gelt, wenn vielleicht eine Frag umgehen sollt – du brauchst nit mehr zu wissen, als daß ich gestern nach Feierabend um die achte Stund fort bin. Sieben Stund hab ich hinaufgebraucht in die Röt. Lang genug. Aber so ein Herrgott hat sein Gewicht. Dann hab ich ihn ans Kreuz geschlagen, vor Tag war ich fertig, hab mich wieder auf die Füß gemacht, und war daheim um die neunte Stund. Daß ich den Weg vom Kreuz bergab bis zu deinem Haus in dritthalb Stunden gelaufen bin, das brauchst du nit zu wissen.“
Der Eggebauer riß die Augen auf und schüttelte den Kopf.
„Und schau mich an, wie ich ausschau! Daß du’s weißt, wenn dich einer fragen sollt. Gelt, nein? Ich hab kein Stäubl Ruß im Gesicht, kein Fleckl Blut an meinem Janker.“
Der Eggebauer, der eine Farbe bekam als hätte man ihm das Gesicht mit Kalk bestrichen, stotterte: „Lieber Herrgott, Polzer, was hast du getan?“
„Was ich dutzendmal im Krieg getan hab, wenn mich einer hat fassen wollen.“ Er machte mit der Faust einen Hieb durch die Luft und seine Augen funkelten in finsterer Glut. „Es hat sein müssen.“
„Polzer, Polzer!“ stöhnte der Bauer und schlug die Hände zusammen.
„Halt ’s Maul! Wenn’s einer hört, der es weiterredet, kommt es zur Halbscheid über dich. Und wo der Freimann haust, das weißt du! Seit voriger Woch hat er ein neues Rad, das alte hat er am Mattauser zuschanden gemacht, der in der letzten Gebnacht13 den Klosterknecht gestochen hat. Und somit behüt dich! Ich hab dir und mir geholfen. Jetzt müssen wir’s auch tragen auf zwei Buckeln.“ Wolfrat wandte sich zur Tür.
Dem Eggebauer schlotterten die Knie; er wollte dem Sudmann nacheilen, brachte aber keinen Schritt zuwege. „Polzer!“ keuchte er. „Und das Schießzeug? Das hast du doch um Herrgotts willen nit verloren, wo’s ein Unrechter finden könnt?“
„Nein. Ich hab’s wieder geholt, und jetzt liegt es im Kesselbach in der tiefsten Klamm, mit einem Stein daran, den kein Wasser mehr in die Höhe treibt. Ich wollt nur, es läg was anderes auch dabei! Aus mir herausreißen kann ich’s nit.“ Er schlug mit der Faust auf seine Brust, nickte noch einen stummen Gruß und verließ die Stube.
Diesmal schwang er sich nicht über den Gartenhag, sondern ging auf die Straße zurück und betrat sein Lehen durch die Zauntür. In einem Winkel des Gartens rannte Lippele hinter den gackernden Hennen her. Wolfrat wollte ihn rufen; doch er schüttelte den Kopf: „Der Bub soll mir heut nit an die Hand rühren.“ Zögernd trat er ins Haus; im offenen Flur lag die Sonne; als aber Wolfrat über die Schwelle ging, bedeckte sein schwarzer Schatten den lichten Streif. Und wie still es war! Keines rief seinen Namen, keines trat ihm grüßend entgegen. Das Kind wird schlafen, dachte er sich, und sie wollen’s nicht wecken. Er stieß die Schuhe von den Füßen und betrat die Stube.
Neben dem Bett saß sein Weib im Weidenstuhl. „Grüß dich Gott, Seph!“ sagte er beklommen. Sie gab ihm keine Antwort, hielt die Hände im Schoß gefaltet, das zerraufte Haar hing ihr um die Schultern, und mit starren Augen, deren Tränen erschöpft waren, schaute sie ihm entgegen.
„Aber so red doch ein Wort! Wie geht’s ihm denn?“
Sie wollte sprechen, aber nur stumm bewegten sich ihre Lippen; dann plötzlich schrie sie laut auf.
Er warf einen Blick auf das Kind, und was er sah, machte ihn zittern an allen Gliedern. „Gib dich, Seph, gib dich!“ stammelte er und riß aus der Tasche einen ledernen Beutel hervor, welcher braune Flecken hatte und zwischen Wolfrats Händen schlotterte. „Gib dich, Seph! Schau, ich hab was heimgebracht, das muß helfen. Dem Vogt seinem Kind hat es auch geholfen. Gib einen Löffel her!“
„Polzer!“ schrie sie gellend auf und fuhr sich mit zuckenden Händen in die Haare. „Unser Kind! Unser liebes Kind! O mein Gott, mein Gott!“
„Seph?“
Er stürzte auf das Bett zu und riß das Laken weg, mit dem das regungslose Körperchen verhüllt war. Aschfahl wurde sein Gesicht, die eine Hand fuhr nach seinem Herzen, die andere ließ den Beutel fallen, aus dem das geronnene Blut, das er enthielt, in dicken Brocken auf die Diele klatschte. Und lautlos, wie ein Stier, den das Beil auf die Stirn getroffen, brach er zusammen.
„Polzer!“ kreischte Sepha und suchte ihn aufzurichten.
War es ein Schluchzen oder ein heiseres Gelächter, das von seinen Lippen schütterte und seine wirren Worte halb erstickte? „Und alles umsonst, alles, alles! Recht so! Ja, so hat’s kommen müssen. Jetzt liegt mein Kindl da. Und droben liegt der ander im Blut.“
„Heiliger Herr Jesus!“ stammelte Sepha. „Polzer! Polzer!“
Verstört sah er auf, ein Schauer rüttelte seinen Körper. Er hatte schon zu viel gesagt. Nun mußte er alles sagen. Mit beiden Armen umschlang er sie, drückte stöhnend sein Gesicht in ihren Schoß, und in dumpfen, hastigen Lauten bekannte er seine Tat. Alles sagte er: was ihn zum Wildraub verführt hatte, wie droben alles gekommen war, und wie ihm nur die Wahl geblieben zwischen Elend, Kerker, Peitsche – und dem, was er getan.
Sepha saß mit weißem Gesicht, wie eine Gestorbene, und ihre Hände zitterten, die auf seinem Kopfe lagen. Und als er verstummte, griff sie hinüber in die verwüsteten Kissen und faßte die starre kalte Hand ihres Kindes. „Dank’s deinem Herrgott, mein liebes Kind, weil du das nimmer hast erleben müssen!“
„Seph!“ stöhnte er.
Sie neigte das Gesicht zu ihm hinunter und sagte ganz leise: „Weißt du es auch, Polzer? Weißt du denn, was du getan hast? Nit bloß den andern hast du erschlagen. Uns alle, dich und mich und deinen armen Buben und – “
Er preßte die Hand auf ihren Mund.
„Nein, Seph, nein! Keiner weiß es. Nur ein einziger, der selber das Reden fürchten muß. Und wenn sie mich auf den Strecker spannen, ich sag’s nit. Und ich hab nichts anderes getan, als den Herrgott ans Kreuz geschlagen. Und wenn er selber noch leben sollt und wieder aufkommen – “
Er verstummte plötzlich und hob erschrocken den Kopf. Jäh schoß er in die Höhe, stand mit geballten Fäusten und starrte zur Kammertür.
Gittli stand auf der Schwelle; ihre zitternden Hände suchten eine Stütze am Pfosten, als wollten ihr die Knie brechen. Ihrem entsetzten Blick, ihren verstörten Zügen sah man es an – sie hatte alles gehört.
„Du!“ fuhr Wolfrat sie an. „Was willst du?“
Abwehrend streckte sie die Hand gegen ihn, das Grauen schüttelte ihre schmalen Schultern, und an der Wand sich entlang tastend, wollte sie zur Tür.
Mit zornigem Fluch sprang er auf und verstellte ihr den Weg. „Wohin?“
Da hob sie flehend die Hände. „Zu ihm! Zu ihm! Ob er tot oder lebig ist. Laß mich, laß mich! Ich muß zu ihm.“
„Zu ihm? Und warum zu ihm?“
„Weil ich sterb, wenn ich bleiben muß!“ Wie von Sinnen faßte sie ihn am Arm und suchte ihn von der Türe wegzuzerren. Er schleuderte sie zurück, daß sie zu Boden sank; sie raffte sich auf und stürzte wieder auf ihn zu.
„Dirn!“ knirschte er. „Du tust mir keinen Schritt aus dem Haus, oder – “ Er riß ein Beil von der Wand.
„Jesus im Himmel! Polzer!“ kreischte Sepha, aber sie hatte nicht die Kraft, sich aufzurichten.
Mit ausgebreiteten Armen stand Gittli vor dem Bruder. „Schlag zu, schlag zu! Hast ihn doch auch erschlagen. Tust mir nur eine Freud an, wenn du zuschlagst, daß ich dalieg und meinen letzten Schnaufer mach. Schlag zu! Oder traust du dich nit? Meinst du, es wär an einem schon genug? Dann geh von der Tür und gib meinen Weg frei!“
Sie stand vor ihm mit blitzenden Augen, als wäre sie gewachsen und um Jahre gealtert in dieser Stunde.
Er ließ das Beil sinken und maß sie mit funkelnden Augen. „Du bleibst!“
Es schien, als wollte sie ihn mit beiden Händen an der Brust fassen; aber sie besann sich und ging auf das Bett zu. „Schau her, auf dein armes Kind! Ich hab es lieber gehabt als mich selber, und heut in der Nacht hab ich gemeint, ich muß mir die Seel herausbeten aus dem Leib. Und schau, jetzt leg ich die Hand auf sein kaltes Herz: daß ich zu keinem Menschen ein Sterbenswort von dem sagen will, was ich weiß! Bist du zufrieden? So gib mir den Weg frei!“
„Du bleibst, sag ich! Und bevor ich nit in aller Ruh mit dir geredet hab – “
„So halt mich, wenn du kannst!“
Ehe sie noch ausgesprochen hatte, war sie in der Kammer verschwunden; er merkte ihre Absicht und stürzte ihr nach; bevor er die Schwelle erreichte, hatte Gittli sich schon auf die Brüstung des Fensters geschwungen. Mit einem Faustschlag zerfetzte sie den dünnen Schliem, mit dem der Rahmen verklebt war, sprang ins Freie und flog der Straße zu.
„Gittli, Gittli! Dirn! Ich tu dich bitten um Gottes willen! Gittli! Gittli!“ klang die Stimme des Bruders hinter ihr.
Sie schlug ihre Hände vor die Ohren, um nimmer zu hören. So rannte sie und rannte.
Es war nur eines in ihr, und dieses eine schrie: zu ihm, zu ihm! Sie fragte sich nicht, was so plötzlich in ihr erwachte, allen Schmerz der vergangenen Stunden in ihr erstickte, um ein noch tieferes Weh über sie zu bringen, und sie losriß von ihrem Bruder, um sie unaufhaltsam zu jenem andern zu treiben, der vor wenigen Tagen für sie noch ein Fremder war. Sie fragte sich nicht: ob er tot läge in seinem Blut? Ob er noch lebe? Wie sie ihm helfen wollte? Ob sie auch helfen könnte, allein, mit ihrer schwachen Kraft? Sie fragte und sagte sich nichts, als immer nur das eine: zu ihm, zu ihm!
Was in ihr lebendig geworden, was sie trieb und jagte, ohne Denken und Besinnen, war entfesselte Natur, die in diesem sechzehnjährigen Kinde nicht anders wirkte als in einem tausendjährigen Stein, der auf steilem Berghang liegt, ruhig, bedeckt von Moos; der Tritt eines Wildes, der Fuß eines Wanderers, das Wasser eines jähen Regens, ein Stoß des Zufalls setzt ihn in Bewegung, und unaufhaltsam geht seine Reise, nicht zur Rechten, nicht zur Linken, nur fort und immer fort, dem unbekannten Ziel entgegen, keine Schranke messend, keine Tiefe scheuend, keinem Halt gehorchend; nur immer fort und fort, bis sein Weg vollendet ist, bis am Fuß des Berges ein sonniger Rasen ihn empfängt, oder bis ihn der dunkle See verschlingt, auf dessen tiefem Grund er den Ort der Ruhe findet, den die Natur ihm vorbestimmte.
Die Leute, denen Gittli auf der Straße begegnete, blieben stehen, blickten ihr nach und schüttelten die Köpfe. Ein Mädel, das mit wehenden Bändern im Haar zum Tanze ging und von Gittli überholt wurde, rief ihren Namen. Gittli sah und hörte nichts. Sie rannte und rannte. Als sie, nahe den Bauernhöfen am Unterstein, von der Straße zu einem Fußpfad ablenkte, vernahm sie plötzlich von der Taferne her das Klingen der Geigen und Pfeifen. Dort wurde der Ostertanz gehalten. Da mußte sie an die Botschaft denken, die Walti der Klosterbub ihr gebracht hatte. Tags zuvor, nach der Auferstehungsfeier, hatte der Bub sie vor dem Tor der Kirche erwartet: „Du, der Jäger schickt mich. Ich soll dich fragen, warum du geweint hast, droben beim Vogt. Und morgen, wenn er herunterkommt zum Ostertanz, soll ich’s ihm wieder sagen.“
Er hatte an sie gedacht. Er hatte sich gesorgt um ihren Kummer. Und zum Tanz hatte er kommen wollen, zum Tanz mit ihr! Und jetzt? Jetzt?
„Haymo! Haymo!“ schrie sie und rannte weiter, während drüben in der Taferne die Stimmen der Geigen und Pfeifen übertönt wurden von einem wirren Jauchzen und Gejohl.
Ein Tanz war eben zu Ende. Mit brennendem Gesicht, aber wenig fröhlichen Augen trat Zenza aus der Tür der Taferne. Suchend schaute sie umher, ging bis in die Mitte der Straße und spähte mit verdrossenem Blick den leeren Weg entlang.
Von der entgegengesetzten Seite kam ein junger, schmächtiger Bursch gegangen, mit freundlichem Gesicht und gutmütigen Augen. Seine leichtgebeugte Haltung und die weißen, schwielenlosen Hände verrieten den Bildschnitzer. Als er das Mädel gewahrte, leuchtete sein Blick. Lächelnd schlich er sich an Zenza heran und drückte ihr die Hände über die Augen. „Rat!“ sagte er mit verstellter Stimme. „Wer bin ich?“
Zenza kicherte und griff nach seinen Armen. „Einer, auf den ich gewartet hab!“
Diese Antwort machte sein Gesicht vor Freude glühen; aber er hielt fest; nun wollte er auch seinen Namen hören. „Wer bin ich?“
„Einer, den mir der Herrgott in der Röt geschickt hat.“
Er lachte. Den ‚Herrgott‘, der in der Röt am Kreuze hing, den hatte er geschnitzt. Eine Feine, die Zenza! Die Wörtlein stellen, das verstand sie wie keine! Aber jetzt sollte sie erst recht den Namen nennen, jetzt gerade!
„Wer bin ich?“
„Einer, der sich heut nacht an meinem Fenster nit hat klopfen trauen, wie er den Buschen gebracht hat, den ich am Mieder trag!“ Mit jähem Ruck riß Zenza die Hände des Burschen nieder, zog seine Arme fest um ihren Hals und blickte über die Schulter lachend zu ihm auf. Als sie sein Gesicht erblickte, verstummte ihr Lachen. „Ulei14? Du?“ Und weil er sie festzuhalten versuchte, stieß sie ihn zornig von sich.
„Aber Zenza? Ich bin’s ja doch – “ Er deutete auf die Veilchen an ihrer Brust.
Sie trat mit funkelnden Augen vor ihn hin. „Du? Du hast mir den Buschen gebracht?“ Mit häßlichem Lachen riß sie den Strauß von ihrem Mieder und warf ihn dem Burschen an den Kopf. „Da hast du mein Vergeltsgott!“
Ulei stand mit erblaßtem Gesicht, während Zenza in der Tür der Taferne verschwand. Sie mußte das Haus und einen Hof durchschreiten, um die Scheune zu erreichen, in welcher der Ostertanz gehalten wurde. Da ging es laut und lustig zu; auf dem Heuboden saßen zwei Fiedler und ein Sackpfeifer, die sich eben anschickten, einen neuen Tanz zu beginnen. Einzelne Paare traten schon zum Reigen an, die Weibsleute lachend, die Burschen jauchzend und mit den Füßen stampfend.
Unter dem Tor der Scheune blieb Zenza stehen und rief mit lauter Stimme in den wilden Lärm hinein. „Buben! Wer ist unter euch der ärmste und der mindest?“
Es wurde still, alle Gesichter wandten sich ihr entgegen; es wollte keiner der ärmste sein und keiner der schlechteste. Zenza trat in die Mitte der Scheune.
„Ist einer da, den gar keine andere mag?“
„Der Kropfenjörgi! Der Kropfenjörgi!“ schrien die Mädchen lachend durcheinander.
Zenza blickte suchend umher und sah in einem Winkel der Scheune einen Burschen hocken, mit blatternarbigem Gesicht und blöden Augen; wer ihn ansah, brauchte nicht mehr zu fragen, weshalb man ihn den Kropfenjörgi nannte. Zenza trat auf ihn zu und faßte seine Hand. „Komm, Jörgi! Heut tanz ich nur noch einen einzigen. Den tanz ich mit dir. He, Spielleut! Macht einen auf!“
Jörgi wurde rot und blaß; als er sah, daß Zenza es ernst meinte, stieß er einen gellenden Jauchzer aus, reckte sich stolz und faßte das Mädel um die Mitte.
Die Geigen klangen, die Sackpfeife dudelte, aber kein zweites Paar trat zum Reigen an; die Burschen und Mädchen standen im Kreis umher und begleiteten den Tanz der Zenza und des Kropfenjörgi mit johlendem Gelächter.
11
Als um die Mittagsstunde vom Münsterturm der Hall der Glocken über Berg und Tal schwebte, hatte Gittli schon die Almen erreicht. Ihre Kräfte waren fast erschöpft, und doch lag vor ihr noch ein weiter, weiter Weg. Über das offene Almfeld, von dem sie den Kreuzwald schon erblicken konnte, eilte sie noch in vollem Lauf hinweg. Doch als sie einen steilen, brüchigen Hang erreichte, auf dem die Regenstürze des Frühjahrs jede Spur eines Pfades vertilgt hatten, ging ihr der Atem aus, und die Glieder versagten. Zu Tod erschöpft sank sie auf einen Rasenfleck; schluchzen konnte sie nicht, nur stöhnen. Mit der Brust auf der Erde liegend, drückte sie das glühende Gesicht in das kühle Gras und krampfte die Hände in den Grund. Sie meinte zu sterben, zu ersticken. Und dennoch fühlte sie nicht die eigenen Schmerzen, sie dachte nicht an sich selbst, immer nur an ihn! Jetzt lag sie hier, ein Häuflein Elend und Schwäche – und er lag hilflos dort oben, verblutend, sterbend. Sie richtete sich halb empor und schrie mit gellender Stimme in die lautlose Stille der Berge: „Hoidoooh! Leut! Leut!“
Niemand gab Antwort; nur das Echo ihrer Stimme klang hohl zurück von Wald und Wänden.
Weshalb nur hatte sie zu seiner Hilfe die Leute nicht gerufen, wo Leute waren? Drunten im Tal, im Dorf? Hatte sie an den Schwur gedacht, bei dem sie die Hand auf das erkaltete Herz des Kindes gelegt? „Ach Gott, das Kindl, das Kindl!“ Nun konnte sie wieder schluchzen. Oder hatte sie gemeint, daß sie allein ihm helfen, allein ihn retten und heilen könnte, wie durch ein Wunder? Nein, nein! An gar nichts hatte sie gedacht, weder an das eine, noch an das andere – sie war gerannt und gerannt, blind und taub, ohne zu denken, ganz von Sinnen. Und jetzt lag sie hier, so weit von ihm, noch weiter von den Menschen im Tal. Und wenn er verbluten mußte, verschmachten in Schmerzen und Not, dann war es ihre Schuld, nur ihre Schuld allein!
Sie mußte zu ihm, sie mußte, mußte, und wenn ihr die Füße brechen und alle Glieder vom Leibe fallen sollten. „Haymo! Haymoli! Schau, ich komm schon!“ Mühsam raffte sie sich auf, keuchend überwand sie den steilen Hang. Droben im dunklen Hochwald, der sie umfing, lehnte sie sich für kurze Weile an einen Baum, bis sie Atem fand, dann wankte sie weiter. Die sachte Neigung des Waldes und ein ausgetretener Pfad erleichterten ihr den Weg.
Plötzlich blieb sie lauschend stehen; hinter einer Biegung des Steiges hörte sie Steine kollern, hörte tappende Schritte, als käme, schwer auftretend, einer mit nackten Füßen gegangen. Heiß fuhr ihr die Freude zum Herzen. Das war Hilfe, die ihr der liebe Herrgott sandte! Sie wollte rufen, aber der Laut erstarb ihr in der Kehle.
Um die Biegung des Pfades kam ein Bär getrottet, die Nase des dicken Kopfes spürend zur Erde gesenkt. Ohne recht zu wissen, was sie tat, raffte Gittli einen Stein auf und hob den Arm zum Wurfe; doch als der Bär verhoffend den Kopf aufrichtete, machte der Schreck sie erstarren. Sie rührte wohl die Lippen; aber nicht in Worten, nur in Gedanken sprach sie den Bärensegen:
„Großvater Zottefell,
Süßfuß, Waldgesell,
Rühr mich nit an,
Birg deinen Zahn,
Hüt deine Tatz,
Weiche vom Platz,
Krumm, krumm,
Um mich herum!“
Regungslos standen der Bär und das Mädchen sich gegenüber; Gittli mit erhobenem Arm, vom Entsetzen fast versteinert, der Bär betroffen, beinahe selbst erschrocken über die unerwartete Erscheinung. Eine Weile betrachtete er mit schiefgehaltenem Kopf das Mädchen, dann schüttelte er den Pelz, wandte sich seitwärts in den Wald und trollte zwischen den Bäumen davon. Der Stein fiel aus Gittlis Hand, der Bann ihrer Glieder löste sich, und von peinigender Furcht getrieben, stürzte sie davon. Doch nicht für ihr eigenes Leben fürchtete sie. Das Abenteuer war gefahrlos überstanden. Aber der Bär war von dort gekommen, wohin ihr Weg ging! Die Angst stellte ihr ein Bild vor die Seele, das sie schaudern machte bis ins innerste Mark. Sie rannte und rannte; alle Erschöpfung war von ihr gewichen. Entsetzen, Jammer und Sorge hatten ihre erlöschenden Kräfte neu belebt.
Jetzt erreichte sie das offene Steintal und sah auf der Höhe schon das Kreuz in die Lüfte ragen, umflimmert vom Schein der Sonne.
Nun stieg sie über den letzten Hang empor. Immer wieder mußte sie stehen bleiben. Nicht die Ermüdung, sondern die herzbrechende Angst vor dem Anblick, der ihrer wartete, benahm ihr den Atem und fesselte ihre Glieder. Alle Pein, die sie erfüllte, sprach aus dem trostlosen Blick ihrer Augen.
Wankend erreichte sie die Höhe. „Haymo, Haymo!“ Der Platz vor dem Kreuze war leer. Nur eine halb vertrocknete Blutlache bezeichnete die Stelle, an der die Tat geschehen war. Und versprengtes Blut klebte auch an dem Kreuz und seinem Bilde. „Du! Du bist dabei gewesen und hast es geschehen lassen.“ Dann wieder schrie sie: „Haymo! Haymo!“ Keine Antwort kam. Da gewahrte Gittli, daß eine blutige Fährte auf dem Pfad hinwegführte gegen die Jagdhütte. Ein Schimmer freudiger Hoffnung erwachte in ihr: Haymo mußte leben, er hatte noch die Kraft besessen, sich aufzurichten, sich heimzuschleppen. Immer wieder den Namen des Jägers rufend, folgte sie der Spur, die er gezeichnet mit seinem Blut. Und jeder neue Tropfen, den sie fand und der sie leitete, war ihr ein neuer brennender Schmerz.
Immer näher kam sie der Hütte, und immer wollte ihr jammernder Ruf noch keine Antwort finden. An der Hütte, die sie mit einem Steinwurf schon hätte erreichen können, sah sie die Tür geschlossen. Diese Wahrnehmung jagte ihr neue Angst in die Seele.
Jetzt lenkte der Pfad aus den dichten Büschen der Krüppelföhren auf eine Rodung – und da lag er vor ihr, mitten auf dem Steige, leblos, mit Blut besudelt, das Haupt versunken in welkem Krautwerk, mit seitwärts geschlagenen Armen, deren Finger noch den Bergstock und die Armbrust umklammert hielten.
„Haymo! Haymoli!“ rang es sich in Schmerz und doch in Freude von ihren Lippen, während sie niederstürzte an seiner Seite. Sie faßte seine Hände, rüttelte seine Arme, hob sein Haupt empor. Kein Zeichen des Lebens rührte sich in seinen Zügen, kein fühlbarer Hauch entströmte seinem halb geöffneten Mund, fahle Blässe lag auf den eingefallenen Wangen, und bläulich schimmerten die Lippen und die geschlossenen Lider. Dennoch erlosch die Hoffnung nicht in ihrem Herzen; sie konnte das Schlimmste nicht fürchten, an seinen Tod nicht glauben – das Undenkbare denkt man nicht – und sie hielt ihn in ihren Armen, fühlte die Wärme seines Körpers! Und zum Jammer blieb ihr keine Zeit, sie mußte helfen, helfen, helfen!
In einer tiefen Felsschrunde gewahrte sie einen Klumpen Schnee; sie sprang hinüber, warf sich auf die Erde, griff mit beiden Armen hinunter und faßte, was ihre Hände fassen konnten. Mit dem Schnee begann sie Haymos Gesicht zu reiben; wohl färbte eine matte Röte seine Wangen, aber das schlummernde Leben wollte nicht erwachen. Was tun? Was tun? Da schoß ihr die Erinnerung an jenen Spruch durch die Sinne:
„Zwei Tropfen machen rot – “
Eine Nieswurz! Mit brennenden Augen spähte sie umher. Auf hundert Schritte fast, einem hohen Fels zu Füßen, meinte sie eine Staude zu erkennen; sie rannte hin und hatte sich nicht getäuscht: rings um das Stöckl hingen noch die verblühten Schneerosen an den welken Stengeln. Mit den Fingern grub sie die Wurzel aus der Erde, und während sie zurücklief, säuberte sie Wurzel und Hände an ihrem Rock.
Nun lag sie wieder neben Haymo auf den Knien, brach die Wurzel in zwei Stücke, hielt sie über seine Lippen und drückte und preßte, bis aus dem Mark der Wurzelstücke zwei große Tropfen auf Haymos Lippen fielen. Mit heißpochendem Herzen wartete sie, keinen Blick von seinem Munde verwendend. Aber seine Lippen wollten sich nicht rühren, und nicht die leiseste Bewegung zeigte sich an seiner Kehle.
Sie rüttelte seine Schultern und schluchzte dicht an seinem Ohr: „Haymo, so tu doch schlucken, ich bitt dich um Tausendgottswillen, tu doch schlucken!“ Dann wieder wartete sie – vergebens. „O Gottele, Gott, was tu ich denn?“
Sie faßte einen Ballen Schnee, brachte ihn durch die Wärme ihrer Hände zum Schmelzen und ließ das Wasser über Haymos Lippen träufeln. Seine Mundhöhle füllte sich, ein Zucken lief über seinen Körper, ein heftig stoßender Atemzug, ein Gurgeln und Röcheln, dann wieder lag er still; seine Lippen bewegten sich; er hatte geschluckt, und gleichmäßig strömte sein Atem.
Schluchzend und lachend in Freude, schlang Gittli die Hände um sein Gesicht und hob es an ihre Brust. Sie spürte an dem Hauch seiner Lippen, wie sein Atem sich kräftigte, sie sah, wie seinen Wangen, wenn auch nur matt, die Farbe des Lebens wiederkehrte. Seine Arme bewegten sich, er rührte den Kopf, langsam öffneten sich seine Augen und lange, lange sah er das Mädchen an mit verlorenem Blick. „Kennst du mich, Haymo, kennst du mich?“ stammelte sie und beugte den Kopf zurück, damit ihm nicht ihre rinnenden Tränen in das Gesicht fielen. „Kennst du mich? Schau, ich bin’s doch, die Gittli!“ Nun erkannte er sie. Ein tiefer Atemzug hob seine Brust, seine Augen schimmerten, und ein Lächeln huschte um seinen Mund. Er wollte sprechen, aber seine Zunge konnte nur lallen.
„Tu dich nit plagen, mußt nit reden!“ stammelte sie, während sie den Arm unter seinen Nacken legte, um ihn aufzurichten. „Komm, tu dich anhalten an mir, so! Halt nur recht fest! Schau, es geht schon, es geht!“ Ihr ganzer Körper schwankte unter dem Gewicht, mit dem der Entkräftete an ihrem Halse hing. Dennoch brachte sie ihn auf die Füße. „So, und jetzt mach ein Schrittl! Und jetzt noch eines! So, so!“ Er wandte halb den Kopf und tastete mit dem freien Arm gegen die Erde. Sie verstand ihn: er wollte sich von seiner Waffe nicht trennen, sie war ein Stück seines Lebens; als er vor dem Kreuz aus tiefer Ohnmacht erwachte, hatte sein erster Blick der Armbrust gegolten, und bevor er sich von der Stelle schleppte, hatte er das Weidmesser, noch rot und naß von seinem eigenen Blut, in der Scheide verwahrt.
Gittli ließ ihn halb in die Knie sinken, und es gelang ihr, die Armbrust zu erfassen. „Schau, Haymo, schau, ich hab sie schon! Jetzt aber komm nur, komm! Wir müssen schauen, daß ich dich heimbring. Das Griesbeil hol ich dir später, jetzt muß ich’s liegen lassen. Schau, ich brauch meine Händ für dich!“ Sie hatte das Schießzeug hinter die Schulter gehängt und umschlang den Wankenden wieder mit beiden Armen; und so schleppte sie ihn vorwärts, Schritt um Schritt, jeden Fußbreit Weges, den er mit taumelnden Knien gewann, als ein heiß erkämpftes Gut begrüßend, jeden zitternden Ruck seiner Füße mit zärtlichen Worten preisend wie eine Heldentat. Einmal zuckte er stöhnend zusammen.
„Haymo!“ flog es in Angst von ihren Lippen.
Der heiße Klang seines Namens schien ihm neue Kraft zu geben; er ballte die Fäuste, wie um den Schmerz zu bezwingen, hob das Gesicht zu ihr und schüttelte den Kopf, als wollte er sagen: „Es tut nit weh!“