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Kitabı oku: «Der Klosterjaeger», sayfa 8

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Wieder ging es weiter, Schritt um Schritt. Endlich erreichten sie die Hütte; nur mühsam gelang es dem Mädchen, Haymo zum Lager zu bringen; sie ließ ihn auf das Wolfsfell sinken und schob das Polster unter seinen Kopf. Dann wankte sie selbst vor Erschöpfung, ein Schwindel befiel sie, und schwer atmend, zitternd an Händen und Knien, saß sie eine Weile mit taumelnden Sinnen auf der Bank. Als sie sich erholte, gewahrte sie, daß Haymo das Bewußtsein wieder verloren hatte. Sie stürzte zu ihm; als sie den ruhigen Gang seines Atems spürte und den matten, aber gleichmäßigen Schlag seines Herzens, da war sie wieder getröstet. Sie richtete sich auf und nahm ihren Kopf zwischen die Hände: was mußte, was konnte sie tun? Hier in dieser Öde, auf sich allein gestellt? Sie jammerte und klagte nimmer. Erst dachte sie, und dann ging sie ans Werk, in fliegender Hast und dennoch ruhig und besonnen. Wohl faßte und ermaß sie nicht ganz die Schwere des Ernstes, der auf ihre jungen Schultern gelegt war. Doch aus dem Kinde war ein Weib geworden, das wohl die jäh erwachte Sprache seines Herzens noch nicht hörte und verstand, ihrem zwingenden Geheiß aber unbewußt gehorchte, wie das in Lüften treibende Blatt der Gewalt des Sturmes. Tapfer und siegesfreudig kämpfte sie für den todwunden, hilflosen Mann, ohne zu wissen, daß sie rang um das köstlichste Gut ihres Daseins, um das Leben des Geliebten.

Was Gittli empfand, verhüllte sich vor ihr in dem kindlichen Gedanken: daß sie mit Leib und Seele diesem Manne dienen und an ihm sühnen müsse, was die mörderische Hand ihres Bruders verschuldet hatte.

Bei der Armut des Lebens, das sie unter dem Dach des Sudmanns geführt, hatte Gittli von Kind auf gelernt, manchem Übel mit eigener Hand zu wehren, ohne fremde Hilfe. Das kam ihr nun zustatten. Bei einer Musterung der Stube fand sie das Nötigste: Feuerstein und Zunder, gesalzenes Fleisch, das eine kräftige Suppe gab, Hirschtalg zur Bereitung einer Wundsalbe und Leinen zum Verband; mit dem letzteren war es wohl spärlich bestellt; aber da war gleich geholfen; sie riß sich die weißen, bauschigen Ärmel ihres Hemdes von den Schultern.

Rasch und sicher ging ihr alles, was sie tat, von den kleinen, flinken Händen. Und bei allem, was sie begann, flog immer wieder ein Blick hinüber zu dem stillen Mann. Durch Tür und Fenster leuchtete die Sonne, und würzig strömte die Frühlingsluft der Berge in den kleinen Raum, in dem das Schicksal zweier Menschen auf der Wage schwebte.

Gittli hatte Feuer gemacht und das sorgsam ausgewaschene Fleisch zum Sieden gesetzt. Nun eilte sie ins Freie, um eine frische Nieswurz auszugraben und Harz von den Fichten zu sammeln, die um die Hütte standen. Am Feuer läuterte sie einen Teil des Harzes, vermischte es mit geronnenem Hirschtalg und stellte die fertige Salbe an einen schattigen Ort, damit sie verkühle. Im Fleischtopf brodelte schon die werdende Suppe. Ach, wenn es doch Sommer wäre, dachte Gittli; sie kannte alle heilsamen und kräftigen Bergkräuter; welch eine würzige Suppe hätte sie bereiten können! Aber noch sproßte auf den Berghalden kein Kraut und blühte keine Blume. Ein Glück nur, meinte sie, daß der liebe Herrgott die Schneerosen erschaffen hatte!

Sie holte frisches Wasser und trug in einer Pfanne allen Schnee zusammen, den sie in den Felsschrunden rings um die Hütte fand. Und nun mußte geschehen, was ihr am schwersten wurde; mit zitternden Händen, scheu und beklommen, begann sie das Werk. In der Tischlade hatte sie ein Messer gefunden. Mit ihm trennte sie auf der Seite, auf welcher Haymo die Wunde trug, den Ärmel von seinem Wams und löste über der Schulter die Nähte bis zum Hals. Ein Zittern befiel sie, als sie die bloßgelegte Wunde erblickte, die mit blutigen Rändern klaffte wie ein Mund mit roten Lippen. Die Blutung schien gestillt, doch rings um die Wunde zog sich eine breite, brennende Schwellung.

Gittli hatte die Hände vor die Augen geschlagen; rasch fand sie wieder den in Schmerz und Pein verlorenen Mut. Sie wusch die Wunde, kühlte mit Schnee die glühende Schwellung und erneuerte immer wieder den schmelzenden Schnee, bis die Röte der Haut zu schwinden, die Schwellung sich zu senken begann. Jetzt verteilte sie die Salbe auf einen Leinwandlappen, legte ihn über die Wunde und verklebte den Rand mit Harz.

Nun war es getan! „Aaaach Gottele!“ seufzte sie aus erleichtertem Herzen, und beugte sich über Haymo. Regungslos hatte er alles mit sich geschehen lassen; seine Ohnmacht hatte sich, ohne daß er aus ihr erwachte, verwandelt in den tiefen Schlummer der Schwäche.

Um die bösen Geister von ihm zu treiben, welche Gewalt über Schlafende haben, machte sie auf seine Stirn und Brust das Zeichen des Kreuzes, flocht aus einem langen Heuhalm, den sie aus dem Lager zog, einen Drudenfuß und legte ihn zu Häupten des Bettes auf die Erde. Dann eilte sie zum Herd zurück. Die Suppe war kräftig und wohlschmeckend geraten; das Fleisch schnitt Gittli in kleine Stücke und zerrieb sie auf einer reinlichen Felsplatte mit einem Kieselstein zu Brei, den sie der Suppe beimengte; dann setzte sie noch einen Tropfen vom Saft der Nieswurz zu – er machte das Herz frischer schlagen und das Blut lebendiger strömen – und die Suppe war fertig.

In der einen Hand den hölzernen Löffel, in der andern den Napf mit der Suppe, setzte sie sich auf den Rand des Bettes.

„Haymo?“

Er rührte sich nicht.

Sie neigte sich zu seinem Ohr. „Haymoli!“

Da streckte er sich mit langem Atemzug und schlug die Augen auf.

Sie nickte ihm lächelnd zu. „Da schau, was ich dir gekocht hab! Oh, du, das ist gut!“ Als hätte sie ein Kind vor sich, führte sie den Löffel an ihre Lippen und tat, als ob sie koste. „Aaah! Das ist was Feines! Magst du es essen, ja?“ Er versuchte sich aufzurichten, doch kraftlos fiel ihm der Kopf zurück auf das Polster. „Aber bleib doch, tu dich nur gar nit plagen, schau, es geht schon!“ Sie rückte näher, hielt ihm den Löffel an den Mund, und während er nahm und mühsam schluckte, an ihr hängend mit feuchten Augen, redete sie mit ihm, wie sie zu hundertmalen mit ihrem kleinen, süßen Mimmidatzi geredet hatte.

Ein Kind der Sorge war ihr mit diesem Tage genommen worden, ein Kind der Sorge wieder gegeben.

Während sie ihm Löffel um Löffel reichte, merkte sie, daß auch in ihr der Hunger brannte. Seit dem vergangenen Abend hatte sie keinen Bissen genossen. Im Kasten lag ein Laib Schwarzbrot – das war gut genug für sie. Alles andere mußte sie für Haymo bewahren. Verlassen durfte sie ihn nicht, und es konnten Tage vergehen, bis ein Mensch zur Hütte kam. Drunten wußte niemand um Haymos Schicksal, außer dem einen, der auch auf der Folter nicht reden würde. Ein Schauer rann ihr durchs Herz, als sie an Wolfrat dachte und ihn wieder stehen sah mit erhobenem Beil – der Bruder wider die Schwester! Sie hatte ein Empfinden, als stünde sie vor einem bodenlosen Abgrund, so breit, daß keine Brücke hinüberreichte – und drüben stünde dieser Mann. Und seltsam: es kam ihr vor, als wär’ es immer so gewesen. Als kleines Ding hatte sie ihn gefürchtet, dann war sie der Sepha von Herzen gut geworden und hatte die Kinder geliebt, als wäre sie ihnen Schwester und Mutter zugleich.

Wie ein flüchtiger Schatten zog dieser Gedanke durch ihr Herz; er wich der hellen Freude darüber, daß Haymo die Suppe genossen hatte bis auf den letzten Tropfen. Nun lag er wieder still, mit geschlossenen Augen.

Sie stellte den Napf auf den Herd zurück, schnitt sich ein Stück Schwarzbrot, trug einen hölzernen Pflock vor Haymos Lager und ließ sich darauf nieder. Nun durfte sie ruhen. Was sie zu tun vermochte, hatte sie getan. Alles übrige mußte der liebe Herrgott leisten und Haymos junge, kräftige Natur.

Während Gittli ihr Brot verzehrte, stiegen wieder die finsteren, schmerzvollen und blutigen Bilder dieses Tages vor ihr auf, von der nächtigen Stunde an, da Sephas angstvoller Ruf sie aus dem Schlummer geweckt hatte. „Ach, das Kind, das Kind!“ Solch ein liebes, süßes, unschuldiges Ding! Wie kann nur das geschehen? Gestern hielt man es noch in seinen Armen, hat es geherzt und geküßt, hat sich die Seele warm gefreut an seinem holden Leben, hat mit dem Herzen sich hineingetrunken in die blaue, lautere Tiefe seiner Augen. Und wo ist es heut? Weg, fort, irgendwo – wohin keine Arme greifen und keine Sehnsucht reicht!

„Ach, und die Seph! Mein Gott, mein Gott, die arme Seph!“

Es legte sich auf Gittlis Herz wie ein schwerer Stein; sie schlug die Hände vor das Gesicht.

Da klang die lallende Stimme Haymos an ihr Ohr: „Gittli?“

Hastig fuhr sie sich über die Augen. „Ja, Haymoli, schau, ich bin schon bei dir! Willst du was?“

Er tastete mit kraftlosen Armen nach ihr, und als sie seine Hand mit beiden Händen umschloß, lallte er:

„Gittli – vergelt’s Gott!“

Sie schüttelte den Kopf und lachte ihn an. Sie hatte doch nur getan, was sie mußte.

Seine Hand ließ sie nicht wieder los. Und während sie nun so saß, Stunde um Stunde, bald in heißer Sorge zu ihm aufblickend, bald wieder verloren in finster und sonnig durcheinanderschwimmende Gedanken, kam auch in ihr die Natur zu Recht und Geltung. Die Erschöpfung löste ihre Glieder, ihr Kopf sank auf den Rand des Lagers, und als sich draußen der Tag zum Abend wandelte, schlief sie schon und atmete in langen Zügen.

Vor der Hütte gurgelte der rinnende Quell, und leise rauschte der Bergwald in der Ferne.

12

Am Morgen des Ostermontags trug Wolfrat Polzer sein entschlafenes Kind zur ewigen Ruhe. Da gab es keine Klagleute – Sepha lag fiebernd zu Bett, Lippele zählte nicht, Gittli fehlte, und von den Nachbarsleuten kümmerte sich keine Seele um den Tod, der im Hause des Sudmanns Einkehr gehalten. Wolfrat Polzer und auf seiner Schulter das stille Kind – das war der ganze Leichenzug; das starre Körperchen war in ein Leintuch gewickelt und lag auf einem Brett, das Wolfrat in Gestalt einer Wickelpuppe zugeschnitten hatte. Der Sudmann hatte schon oft in seinem Leben schwerer getragen, aber noch keine Last hatte ihn so tief gebeugt. Die Leute, denen er auf dem Weg zur Kirche begegnete, zogen die Kappen und schlugen ein Kreuz. Im Friedhof erwartete ihn der Totengräber beim ausgeworfenen Grab, in einem Winkel nahe der Mauer.

„Ich will den Kaplan holen,“ sagte der Mann, „kannst das Kind derweil hinunterlegen.“

Wolfrat blieb allein; er löste den Strick, mit dem der kleine Leichnam auf das Brett gebunden war, nahm das Kind auf seine Arme und stieg in die Grube; ein Stück Rasen gab er der kleinen Schläferin als Polster; zwei Steinplatten, die der Totengräber aus dem Boden geworfen, stellte er wie ein Dach über den Kopf des Kindes, damit ihm die fallende Erde nicht das Gesicht drücke. Nun sah er den Kaplan mit dem Bruder Mesner kommen und stieg aus der Grube.

Ein lateinisches Gebet, zwei sich kreuzende Striche mit dem tropfenden Weihwedel, und Kaplan und Mesner gingen wieder davon. Eine Armeleutleich ist immer schnell abgetan. Der Totengräber stieß die Schaufel in die Erde. „Kann ich anfangen?“

Wolfrat nickte. Doch als der Mann die ersten Schollen schwer in die Grube fallen ließ, faßte Wolfrat den Stiel der Schaufel. „So tu doch nit so grob!“

„Ich muß mich tummeln, in einer Stund kommt schon wieder ein anderer. Jetzt sterben die Leut wie närrisch.“

„So laß mir die Schaufel!“

„Meintwegen! Hast du die drei Heller?“

Wolfrat griff in die Tasche und zog eine Handvoll blinkender Münzen hervor. „Da schau her!“ sagte er mit heiserem Lachen. „Geld hab ich wie Mist!“ Und statt der drei Heller, die der Mann nach dem klösterlichen Weistum zu fordern hatte, bezahlte Wolfrat einen halben Schilling. „Nimm nur! Ein bißl was muß das Kind doch auch davon haben.“ Wieder lachte Wolfrat; aber sein Gesicht verzerrte sich, und seine Hände zitterten.

Kopfschüttelnd ging der Totengräber davon. „Ist das aber einer! Der kann lachen, wenn er sein Kindl eingrabt.“

Wolfrat faßte die Schaufel und legte Scholle um Scholle achtsam in das kleine Grab. Bei der ersten Scholle sagte er: „Von der Mutter!“ Bei der zweiten: „Vom Vater!“ Bei der dritten: „Vom Lippele!“ Dann schaufelte er schweigend weiter. Weshalb vermied er es, auch in Gittlis Namen dem Kind eine Scholle als letzten Gruß zu spenden? Es sollen nach altem Brauch in ein sich schließendes Grab doch alle eine Scholle legen, die eines Stammes sind? War die Schwester für ihn tot, seit er in finsterer Stunde erfahren mußte, daß ihrem Herzen das Schicksal eines Fremden näher stand, als Wohl und Wehe ihres leiblichen Bruders?

Der Hügel über dem Grabe war vollendet. Wolfrat stieß die Schaufel in die Erde, und nun stand er lange, lange, den Kopf auf die Brust gesenkt, zwischen den zuckenden Fingern die Kappe drehend. Beten konnte er nicht. Er tat einen schweren Atemzug und bedeckte das Haupt.

„Mußt nit lang warten, Katzl! Paß nur auf, es kommt schon eins ums ander! Die Mutter und ich, und – “ Nein, den Namen seines Buben brachte er nicht über die Lippen.

Als er sich vom Hügel wandte und das leere Brett unter den Arm nahm, kollerten ihm zwei schwere Tränen in den Bart.

Er wollte nicht über den Marktplatz gehen; dort waren ihm zu viel Leute. Auf einem Umweg suchte er das Haus eines Taferlmalers. Er fand den Meister daheim. „Schreib mir den Namen auf das Brett!“ sagte er zu ihm.

„Ist bei dir eins gestorben?“

„Ein Kind. Mariele hat’s geheißen! Mach’s nur recht schön! Rot und Blau. Und mal auch ein Kreuz darunter! Ich zahl’s. In einer Stund komm ich wieder und hol das Brett.“

Von hier begab sich Wolfrat in die Klostervogtei, um das Lehent zu entrichten. Er fand Herrn Schluttemann in Montagslaune. Das war von allen Launen des Vogtes die schlimmste. Denn am Sonntag, dazu noch an einem hohen Feiertag, pflegte Herr Schluttemann länger als gewöhnlich im Kellerstübl des Klosters zu verweilen; um so schärfer war dann aber auch am folgenden Morgen Frau Cäcilias Zunge geschliffen; und da das größere Feuer die größere Hitze macht, so war es begreiflich, daß Herr Schluttemann an solch einem Montagmorgen in seiner Amtsstube umherfuhr wie ein Wetterstrahl, der aus den Wolken keinen Ausweg findet, immer blitzt und donnert, ohne sich ganz entladen zu können.

Als Wolfrat über die Schwelle trat, fiel Herr Schluttemann mit einem Schwall von scheltenden Worten über ihn her, wie ein Wildbach mit seinen Wassern über einen geduldigen Felsblock; Wolfrat stand ruhig und stumm; eine Weile ließ er das Ungewitter über sich ergehen; dann, als Herr Schluttemann einmal Atem schöpfte, sagte er: „Was plagt Ihr Euch so mit Schreien, Herr Vogt? Ich hör auch, wenn Ihr den Blasbalg minder anzieht.“

Die Verblüffung über diese kecke Rede schien Herrn Schluttemann beinah in Stein zu verwandeln; sein rotes Gesicht wurde noch röter, er warf die Fäuste in die Höhe, durchmaß im Sturmschritt die Stube und donnerte: „Hat man so was schon erlebt in der ganzen Christenheit? Wie dieser Mensch sich mit mir zu reden traut! Solch ein Schwertmaul! Oh! Ah! Hoho! Ich, der Vogt, ich soll wohl höfische Reden führen? Mit solch einem Salzpantscher? Belieben, geruhen, befehlen Euer Gnaden? Soll wohl gar noch katzebuckeln vor solch einem Kerl, der das Lehent nicht bezahlen kann?“

Aus Wolfrats Augen schoß ein finsterer Blick. „Wer sagt das, Herr Vogt? Ich bring das Lehent.“

Herr Schluttemann drohte die Fassung zu verlieren. „Er bringt das Lehent? Bringt es? Bringt es?“ Blasend stemmte er die Fäuste in die Hüften und kam auf Wolfrat losgeschossen, als wollte er ihn über den Haufen rennen wie der Sturmbock die Mauer. „Wer hat dich geheißen, das Lehent zu bringen? Wenn Seine hochwürdigste Gnaden, unser Propst, die Güte und himmlische Milde haben, zu sagen: man sehe zu, ob dieser Wolfratus ein Spieler und Säufer ist – und das bist du nicht, und ein tüchtiger Schaffer bist du auch, da beißt die Maus kein Faden ab! Gott straf mich! Und weil es wahr ist, sagen Seine Gestreng, Herr Heinrich von Inzing, mein allergnädigster Herr Propst, soll diesem Wolfratus für heuer das Lehent erlassen sein!“ Herrn Schluttemann ging der Atem aus.

„Das Lehent? Erlassen sein?“ stammelte Wolfrat. Er war kreidebleich geworden und wankte, als hätte ihn ein Schwindel befallen.

„Und jetzt bringt er das Lehent! Bringt es! Bringt es!“ Herr Schluttemann rang über diese Tatsache die Hände, als hätte er den Untergang von Jerusalem zu bejammern. Und wieder zu Wolfrat sich wendend, schrie er ihn an: „Woher hast du das Geld?“

„Ich hab’s geschafft, weil es her hat müssen!“ erwiderte Wolfrat, starr aufgerichtet, mit heiserer Stimme. „Woher ich es hab, braucht Euch nit zu kümmern. Ihr müßt es nit heimzahlen. Aber wenn Euch schon die Neugier plagt: der Eggebauer hat mir’s geliehen.“

„Der Eggebauer? Geliehen?“

„Weil ich ihm in der Samstagnacht seinen hölzernen Herrgott hinaufgetragen hab auf seine Alm in der Röt.“ Laut und langsam sprach Wolfrat diese Worte.

„Den schweren Herrgott? In der Nacht? Und deshalb hat er dir das Geld geliehen?“

„Und weil er vielleicht gemeint hat, Ihr könntet ihm noch einen schlechteren Nachbar auf das Genick setzen, wenn ich vom Lehen gejagt werde.“

„Der Teufel jagt dich vom Lehen! Aber ich nicht!“ donnerte Herr Schluttemann. „Bin ich denn ein Wurm, der Feuer speit und Steine frißt? Auf der Stelle machst du jetzt, daß du heimkommst zu Weib und Kind. Und diesem Schmersack gibst du sein Geld zurück, bis auf den letzten Heller. Apage!“

Herr Schluttemann machte einen Versuch, Wolfrat am Kragen zu fassen, um ihn zur Tür hinauszudrehen. Der Sudmann aber packte mit eisernem Griff den Arm des Vogtes. „Jetzt hab ich das Geld, jetzt will ich auch zahlen. Ich will von keinem was geschenkt. Und vom Kloster am allerletzten.“ Er ging auf den Tisch zu und zählte die acht Schillinge der Reihe nach auf die Platte; jedem gab er mit dem Daumen einen Druck, daß es klang und klirrte.

„Himmelwetter, soll ich denn in meiner Stube nimmer Herr sein?“ schrie Herr Schluttemann, dessen rote Nase vor Zorn blau anlief wie Stahl im Feuer. „Wirst du gleich tun, was ich sage! Wirst du gleich das Geld wieder einpacken! Wirst du machen, daß du weiterkommst?“ Bei jedem ‚wirst du‘ schlug er die Faust auf die Tischplatte, daß die Silberstücke sprangen und hopsten wie die Dirnen beim Ostertanz. „Und wenn der Eggebauer schon sein Geld zum Fenster hinausschmeißen will, so behalt es selber und laß es deinem kranken Kind zugutkommen. Das Kloster braucht es nicht.“

„Mein Kind auch nimmer.“

„Dein Kind ist also wieder gesund?“

„Dem tut kein Faserl nimmer weh. Der schwarze Bader hat ihm geholfen, der Armeleutbader. Und umsonst, Herr Vogt, ganz umsonst! Der hat allweil Zeit, und hat keinen Schlaf in der Nacht, wenn eins um ihn schreit. Und habt Ihr einmal Zeit, Herr Vogt, nachher nehmt das Leutbuch aus dem Kasten und machet einen dicken Strich, wo meinem Kind sein Nam steht. Polzer Mariele.“ Wolfrat wandte sich ohne Gruß zur Tür.

„Polzer! Um Herrgottswillen!“ stotterte Herr Schluttemann. „Polzer! He! Polzer!“

Wolfrat hatte die Stube schon verlassen. Vor dem Klostertor stand er still und drückte die Fäuste vor die Stirn. „Das auch umsonst, das auch! Und niemand anders hat mir das eingebrockt als die Dirn!“ Er streckte die rechte Hand vor sich hin und sprach sie an mit verbissenem Lachen: „Du hast es notwendig gehabt, daß du dich so getummelt hast, selbigsmal!“ Ein zorniger Blick seiner heißen Augen suchte die fernen Höhen der Berge. „Aber wart nur, du Kramp, komm mir nur wieder unter die Hand!“

Langsam ging er, um das Totenbrett seines Kindes zu holen.

Als er sein Lehen erreichte und in den Hausflur treten wollte, hörte er vom Hag her einen leisen Pfiff. Dort drüben stand der Eggebauer. Wolfrat spähte nach allen Seiten, lehnte das Totenbrett an die Wand und ging zum Hag.

„Warst du bei ihm?“ fragte der Eggebauer flüsternd.

Wolfrat nickte.

„So red doch!“ Dem Bauer sprach die heillose Angst, die ihn erfüllte, aus jedem Blick.

„Reden? Was ist da viel zu reden? Heut hat er noch allweil nichts wissen können. Ich selber hab geredet, wie’s ausgemacht war. Halt nur fest bei der Stang, wenn die Frag einmal an dich kommt!“

Der Eggebauer machte zwei Fäuste mit eingezogenen Daumen.

„Wie steht’s denn mit deinem Weib?“ fragte Wolfrat. „Hast du es ihr schon gegeben?“ Er meinte das Herzkreuzl des Steinbocks.

Der Eggebauer schüttelte trübselig den Kopf. „Das Weib treibt’s ärger mit jeder Stund. Was Füß hat im Haus, Mensch und Hund und Katz, alles wird von dem Weib umeinander getrieben, daß einem der Schnaufer vergehen möcht. Und wenn ihr der Wehdam ankommt, nachher halt’s schon gar kein Mensch nimmer aus mit ihr. Und doch, ich trau mich nit, daß ich ihr’s geb! Wenn das Weib gesunden tät, sie könnt das Maulwerk nit halten. Und alles müßt aufkommen.“

Es zuckte seltsam in Wolfrats Gesicht. „Am End willst es ihr gar nimmer geben? Aus lauter Angst, es könnt ihr helfen?“

Der Bauer nickte. „Daß mich die Versuchung nit ankommt, wenn mich das Weib wieder einmal plagt bis auf die Haut, drum hab ich das ganze Teufelszeug mitsamt dem Büchsel hinterm Haus vergraben.“

Jetzt lachte Wolfrat laut hinaus.

„Geh, du Narrenteufel!“ brummte der Eggebauer, dem nicht lustig zu Mut war bei diesem Gelächter. „Mir scheint, du kommst aus der Wirtsstub, aber nit vom Freithof.“

„Aber geh, Bauer, so lach doch mit! Denn jetzt paßt alles zueinander. Mein Kind hat nichts davon haben sollen, als nur den halben Schilling für die ewige Liegerstatt und um einen Heller Farb auf dem Brett, und dein Weib soll nichts haben davon, und es hätt auch nit sein müssen ums Lehent! Nur grad, daß ich die roten Händ davon hab! Alles umsonst! Aber gelt Bauer, es wird halt so sein müssen! Warum? Da kannst du lang drum fragen!“

„So red doch nit daher wie ein Unsinniger! In meinem Kopf schaut es eh schon aus wie in einem Grillenhaus.“

Da klang vom Hause her Zenzas scharfe Stimme: „Vater!“

„Ja, ja, ich komm schon!“ rief der Eggebauer und wandte sich wieder zu Wolfrat. „Mir graust, weil ich nur wieder hinein muß ins Haus! Ich sag dir’s, Polzer, mir graust vor einer jedweden Stund! Und wenn eins anfangt, kommt gleich alles übereinander. Ich hätt schon genug an dem Weib, und jetzt fangt das Mädel auch noch an und dreht den Daum auf, heult in einem fort, oder schreit und haut alles kurz und klein, was ihr in die Händ kommt, als wär seit gestern eine Hex in sie gefahren. Ich sag dir’s, Polzer, jedes Stück Vieh in meinem Stall hat’s besser als ich, der Bauer. Umeinander steh ich wie eine Sulz, an der alles zittert, wenn einer mit dem Finger dran hinrührt. Mir schmeckt kein Bissen mehr und kein Trunk. Da schau her!“ Der Eggebauer stieß die Faust hinter seinen ledernen Gurt. „Schau! Zwischen Gurt und Bauch fahrt mir schon bald ein Wagen durch. Polzer, Polzer! Es muß doch wahr sein: man soll die Händ von allem lassen, was nit richtig ist. Was hast du davon? Nichts, nichts, nichts – als daß dir’s den guten Schlaf vertreibt und den schlechten Magen bläht!“

„Gelt? Kommst auch schon drauf?“

Und während Wolfrat lachte mit bleichen Lippen, kugelten dem Eggebauer dicke Zähren über die schwammigen Backen. Der Bauer fuhr sich mit dem Ärmel über die Nase. „Was ist denn, ist dein Mädel schon wieder heimgekommen?“

„Ich weiß nit.“

„Wenn du was hörst, wie’s droben ausschaut, so komm und sag mir’s!“

Wolfrat nickte; dann gingen sie auseinander.

Als der Sudmann in seinem Haus die Stube betrat, sprang ihm Lippele jubelnd entgegen; der Bub hatte dem Vater eine große Neuigkeit zu melden: in der Scheune begännen zwei ‚wutzikleine, butziliebe Vogerln‘ ihr Nest zu bauen.

„So, so?“ sagte Wolfrat und strich die zitternde Hand über den Kopf seines Buben. „Nachher geh nur, Lippele, und schau ihnen zu und paß recht auf! Da kannst du dir auch einmal ein Nestl bauen!“ Er schob den Knaben zur Tür hinaus.

Kaum war der Bub verschwunden, da richtete Sepha im Bett sich hastig auf. Alle Angst ihres Herzens zitterte in ihrer Stimme: „Polzer? Hat dich schon einer drum angeredet?“

Er schüttelte den Kopf. „Es kann noch keiner drum wissen.“ Als wären ihm alle Glieder gebrochen, so ließ er sich auf den Rand des Bettes nieder. Sie faßten sich bei den Händen und sahen sich stumm in die Augen. Wolfrat ließ den Kopf auf die Brust sinken, und Sepha weinte leise vor sich hin.

Nach einer Weile fragte sie: „Wo liegt’s denn?“

„Bei der Mauer im Eck.“

Wieder nach einer Weile: „Hast du das Brettl mit heimgebracht?“

Er nickte.

„Geh, laß mich’s anschauen!“

„Wozu denn? Schau, Seph, was hast du denn davon? Nur daß du dich kümmern mußt!“

„Ich möcht’s aber sehen! Mehr hab ich eh nimmer von ihm als das Brettl.“

Er ging und holte das Totenbrett. „Gelt, schön hat er’s gemacht?“

Sie wischte sich die Tränen aus den Augen, um besser sehen zu können. Mit beiden Händen hielt sie das kleine Brett vor sich hin; um seinen Rand war ein Kränzl gemalt, welches blühende Schneerosen vorstellen sollte; in der Mitte stand, blau und rot, der Name – und darunter ein schwarzes Kreuz. Mit brennenden Augen starrte Sepha die Zeichen an, die sie nicht lesen konnte, von denen sie nur wußte, was sie bedeuten sollten. „Mariele! Mariele!“ Aufschluchzend drückte sie das Brett an ihr Herz und umschlang es mit den Armen.

Abermals verging eine lange, stumme Weile. Dann fragte Wolfrat: „Wie nimmt’s denn der Bub auf? Hat er schon einmal gefragt nach ihr?“

Sie schüttelte den Kopf. „Mein Gott, ein Kind! Ich glaub, er spürt’s gar nit, daß eins fehlt im Haus.“

„Könnt eins doch allweil ein Kind bleiben! Da ist jeder Tag ein ganzes Leben. Nachher schlafst du und fangst wieder ein neues an.“ Wolfrat erhob sich und stieß die Kammertür auf; als er den Raum leer fand, fuhr ihm ein Fluch über die Lippen.

„Polzer, Polzer!“ stammelte Seph. „So sei doch froh, daß die Dirn noch allweil nit daheim ist. Ich mein’, das wär ein gutes Zeichen. Sie wird ihn lebendig gefunden haben. Polzer, Polzer! Wenn das wahr sein könnt! Wenn er davon käm! Wär das ein Glück!“ Schluchzend hob sie die Hände gegen den Himmel. „O du grundgütiger Herrgott, schau, nur grad das Einzige tu für uns!“

„Ja, ja, nur grad das Einzige!“ fiel Wolfrat mit heiserem Lachen ein. „Daß er wieder aufkommt, daß er herstehen kann vor mich und den Arm strecken und sagen: ‚Der da war’s!‘ Wär das ein Glück! Geh, Seph, brauchst dich nimmer sorgen, es wird schon so kommen. Die Dirn wird schon helfen dazu. Und wenn sie ihn lebig gefunden hat, wird sie ihn hascheln und päppeln, und wird reden für ihn und wird’s halten mit ihm gegen uns.“

„Polzer! Wie kannst du so von deiner Schwester reden?“

„Schwester!“ lachte Wolfrat zornig auf. „Ich hätt gemeint, sie wär angewachsen an uns. Aber Blut ist Blut. Sie will hoch hinaus. Hat sich aber doch vergriffen. Wenn er auch gleich eine Feder auf der Kappen tragt und ein Schießzeug führt wie ein Herrischer, er ist halt doch nur ein Knecht.“ Wieder lachte er. „Sie soll ihn haben! Und wenn sie drinsitzt in seiner Keuschen, nachher sag ich ihr’s.“

Sepha schaute ihn mit großen Augen an; sie verstand nicht, was er redete. „Was, Polzer, was willst du ihr sagen?“

Er wandte sich ab und tat, als hätte er ihre Frage nicht gehört.

„Polzer?“

„Laß mich in Fried mit der Dirn! Sie hat mein Brot gegessen und schickt mir zum Vergeltsgott den Freimann über den Hals.“

„Jesus!“ schrie Sepha auf, griff mit beiden Händen zum Herzen und fiel erblassend in die Kissen zurück.

Er stürzte erschrocken zu ihr. „Seph, um Gottes willen, was hast du?“

„Völlig ungut ist mir worden!“ sagte sie mit matter Stimme und umklammerte seine Hand.

„Schau, Seph! Tu mir’s zulieb, nimm mir doch grad die Sorg um deintwegen von der Seel! Der Krank in dir wird ärger mit jeder Stund. Schau, wenn du dich überwinden könntst und tätst die Schweißbluh nehmen?“

„Und wenn’s um mein ewiges Leben wär, Polzer, ich tu’s nit! Lieber soll’s mit mir ein End haben beim nächsten Schnaufer!“

Er atmete tief und erhob sich.

„Schau nach der Zeit, Polzer,“ sagte sie, „du mußt ins Sudhaus. Und das Brettl mußt du auch noch aufstellen.“

Er nahm das Totenbrett, suchte einen Hammer hervor und wollte die Stube verlassen. Unter der Tür wandte er sich wieder, löste einen hölzernen Pflock aus der Lehmwand und zog den Lederbeutel mit der Schweißbluh aus der Vertiefung hervor.

„Was willst du damit?“ fragte Sepha ängstlich.

„Wegschaffen muß ich’s! Ich kann’s doch nit in der Mauer drin verfaulen lassen.“

Nun ging er. Vor der Haustür blieb er stehen. „Miez, Miez!“ rief er. Aus der Scheune kam eine graue Katze herbeigesprungen. Ihr warf er den Inhalt des Beutels vor. „Für die Katz! Alles für die Katz!“

Er stand und sah dem Tiere zu, wie es gierig über die Brocken herfiel. Je hastiger es fraß, je besser ihm das Gericht zu munden schien, desto finsterer wurde Wolfrats Blick, desto mehr machte ihm ein heiß aufsteigender Zorn die Adern an den Schläfen schwellen. Und als die Katze das Letzte aus dem Sande leckte, schwang Wolfrat den Hammer: „Sollst du allein was haben davon?“ Er warf. Klagend machte das getroffene Tier einen verzweifelten Sprung und lag verendet auf der Erde.

Da kam Lippele um die Ecke gesprungen. Hastig griff Wolfrat zu und verbarg die tote Katze unter seinem Janker; er hätte sie gerne wieder lebendig gemacht; das Tier war seines Buben Liebling und Spielkamerad gewesen.

Mit raschen Schritten ging er dem Hag zu und trat auf die Straße. Scheu blickte er sich um und warf die Katze in den vorbeirauschenden Seebach.

Dann schlug er neben der Zauntür das Totenbrett des Kindes, die bemalte Seite gegen die Straße gewendet, mit dem Hammer aufrecht in die Erde. Es sollte jedem vorüberwandernden Menschen sagen: „Bet ein Vaterunser, hier ist der Tod gewesen und hat sich wieder auf den Weg gemacht nach einem andern Haus. Bet, bet, vielleicht bist du der nächste!“

Als Wolfrat den letzten Hammerschlag getan, ging Zenza auf der Straße vorüber. Sie sah weder den Sudmann noch das Brett; finster blickte sie vor sich hin auf die Erde.

„Bet, bet,“ sagte das Totenbrett, „vielleicht bist du die nächste!“

Wolfrat warf den Hammer über den Hag und wollte sich auf den Weg nach dem Sudhaus machen. Die Pfannen mußten vorgeheizt werden, wenn der Sud mit dem kommenden Werktag wieder in vollem Gang sein sollte.

Da gewahrte Wolfrat, daß er auf der Seite, auf der er die erschlagene Katze getragen hatte, von der Brust bis zum Knie mit Blut betropft war. „Mensch oder Katz, es bleibt halt allweil was hängen an einem!“ Er stieg zum Ufer der Ache hinunter, um sich zu reinigen. Ein paar Hände voll Wasser, und die Flecken waren getilgt. „Ob’s wohl für das ander auch ein Wasser gibt?“

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
27 eylül 2017
Hacim:
390 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
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