Kitabı oku: «Die Nilbraut», sayfa 3
Drittes Kapitel.
Das Boot des Mukaukas glitt indessen, von kräftigen Ruderschlägen getrieben, ruhig dem Laufe des Stromes entgegen. Es ward darin bald geflüstert, bald gesungen. Die kleine Maria war an der Brust Paulas entschlummert, die griechische Erzieherin blickte bald nach dem Kometen, der sie beängstigte, bald auf Orion, dessen Schönheit ihr alterndes Herz entzückte, bald auf die Jungfrau, der sie nicht gönnte, von diesem Liebling der Götter so bevorzugt zu werden. Es war eine köstliche, warme, stille Nacht, und das Mondlicht, welches das Meer zwingt, flutend zu wachsen, läßt auch die wogenden Gefühle in der Menschenbrust steigen und schwellen. Was Paula forderte, das sang Orion, als sei nichts ihm fremd, was auf der Leier eines griechischen Dichters die nun hinabgesunkene Welt jemals entzückt, und je länger sie fuhren, desto heller und schöner klang seine Stimme, desto schmelzender und bestrickender ward ihr Ausdruck, mit desto feurigerem Werben wandte sie sich an das Herz des Mädchens; und so gab Paula sich dem süßen Zauber gefangen, und wenn er die Laute senkte und sie leise fragte, ob sein Vaterland nicht schön sei in solcher Nacht, welches Lied ihr das liebste, ob sie ahne, was es für ihn bedeute, im Hause der Seinen sie gefunden zu haben, ließ auch sie sich hinreißen, ihm im Flüsterton Antwort zu geben.
Unter den dichten Baumkronen des schlummernden Gartens zog er ihre Hand an die Lippen, und sie ließ es bebend geschehen. — Schwere, schwere Jahre lagen hinter ihr. Des Arztes Ausspruch war nur zu wahr gewesen. Harten Schicksalsschlägen war für sie, die stolze Tochter eines großen Vaters, eine Reihe von peinigenden Demütigungen gefolgt. Das Leben der aus Mildherzigkeit im reichen Hause aufgenommenen, wenn auch nicht armen, so doch verlassenen Anverwandten war längst zu einem schweren Dornenpfad für sie geworden, aber vorgestern hatte sich das alles geändert. Orion war ja da! Wie ein schönes Schicksalsgeschenk hatten Haus und Stadt seine Heimkehr gefeiert, und auch ihr war ein reicher Anteil daran zugefallen. Nicht wie die verlassene Verwandte, sondern wie das herrliche, vornehme Weib, das sie war, hatte er sie begrüßt. Sonnenschein ging aus von seinem Wesen, und der drang ihr mitten ins Herz und ließ sie das Haupt wieder aufrichten wie eine Blume, die man wieder unter den freien Himmel stellt, nachdem ihr Licht und Luft lang entzogen. Sein frischer Geist und froher Lebensmut erquickten ihr Herz und Sinn, die Beachtung, die er ihr schenkte, stärkte ihr gesunkenes Selbstvertrauen und erfüllte ihre Seele mit warmem Dank. Ach, und wie köstlich schien es ihr, sich dankbar, innig dankbar fühlen zu dürfen! Und dann, dann war der heutige Abend gekommen, der schönste, herrlichste, den sie seit Jahren genossen. Er hatte sie wieder gelehrt, was sie beinahe vergessen, daß sie noch jung, daß sie noch sei, daß sie das Recht besitze, glücklich zu sein, Entzücken zu empfinden und zu erwecken, vielleicht sogar zu lieben und wieder geliebt zu werden.
Sein Kuß brannte noch auf ihrer Rechten, wie sie das kühle Zimmer betrat, wo Frau Neforis hinter ihrem Spinnrocken neben dem Lager ihres kranken Gatten, der sich immer in später Stunde zur Ruhe begab, der Heimkehrenden harrte. Mit übervollem Herzen drückte Paula die Lippen auf die Hand des Oheims, des Vaters Orions, — durfte sie sagen »ihres« Orion? Dann küßte sie — wie lange war dies nicht geschehen! — auch ihre Base, seine Mutter, während sie ihr mit der kleinen Maria eine gute Nacht wünschte; Neforis aber nahm ihren Kuß kühl und verwundert hin und blickte nur forschend auf sie und ihren Sohn. Gewiß kamen ihr dabei mancherlei Gedanken, doch hielt sie es für angemessen, ihnen fürs erste keinen Ausdruck zu geben. Als habe sich nichts Besonderes ereignet, ließ sie die Mädchen sich entfernen, überwachte sie die Leute, welche ihren Gemahl in das Schlafzimmer trugen, gab sie ihm die weißen Kügelchen, deren er, um zu schlafen, bedurfte, schob sie ihm mit unermüdlicher Sorgfalt die Kissen so lange zurecht, bis ihm seine Lage behagte. Dann erst, und nachdem sie sich überzeugt hatte, daß ein Diener im Nebenzimmer wache, verließ sie ihn und suchte — es lag Gefahr im Verzug — ihren Sohn auf.
Die große, starke, etwas schwerfällige Frau war in ihrer Jugend ein stattliches, schlankes Mädchen, eine vornehme Erscheinung, ihr etwas nüchternes und unbewegliches Antlitz dagegen nie hervorragend schön gewesen. Aber die Jahre hatten ihm wenig angethan, und es war jetzt ein hübsches, volles, kühles Matronengesicht geworden, das bei langjähriger, aufopfernder Krankenpflege die Farbe verloren. Ihre Geburt und Stellung verliehen ihr etwas Sicheres und Selbstbewußtes, doch lag nichts Gewinnendes, Anziehendes in ihrem Wesen. Andermanns Leid und Freud war nicht das ihre, aber sie konnte sich darum doch bis zur Aufopferung mühen und plagen, und ihr Herz war fähig, sich für andere bis zu leidenschaftlicher Glut zu erhitzen. Freilich mußten diese anderen ihre nächsten Angehörigen sein, und nur diese. So war denn eine treuere, sorgfältigere Gattin und zärtlichere Mutter schwer zu finden, aber wollte man das, was an Liebe in ihr lebte, mit einem Gestirn vergleichen, so reichten seine kurzen Strahlen nicht über ihre allernächsten Blutsfreunde hinaus, und diese empfanden es billigerweise dankbar als etwas Besonderes und Beglückendes, in dem engen Liebeskreis dieser unfreigebigen Seele Aufnahme gefunden zu haben.
Jetzt pochte sie an Orions Wohnzimmer, und er begrüßte den späten Besuch mit Ueberraschung und Freude. Sie kam, um Wichtiges mit ihm zu besprechen, und that es schon jetzt, weil Paulas und ihres Sohnes Benehmen von vorhin sie zur Eile zwang. Es war zwischen diesen beiden etwas vorgegangen, und die Nichte ihres Gatten stand weit außerhalb des engen Gebietes ihrer Liebe.
Es lasse sie nicht schlafen, leitete sie ihre Anrede ein. Sie habe einen Wunsch auf dem Herzen, und der Vater teile denselben. Orion wisse wohl, was sie meine; sie habe ja schon gestern mit ihm darüber geredet. Der Vater sei ihm liebreich entgegengekommen, habe seine Schulden gern und ohne ein tadelndes Wort bezahlt, und nun sei es an ihm, einen Strich über das alte, ungebundene Leben zu machen und einen eigenen Hausstand zu gründen. Die Braut, er wisse es ja, sei gefunden. »Vorhin,« sagte sie, »ist Susanna bei uns gewesen. Du, Bösewicht, sie gesteht es selbst, hast ihrer Katharina heute morgen das Köpfchen völlig verdreht!«
»Leider,« unterbrach er sie verdrießlich. »Dies Schönthun mit den Weibern ist mir geradezu zur Gewohnheit geworden; aber es soll von nun ab aus damit sein. ‘s ist meiner nicht mehr würdig, und jetzt, liebe Mutter, jetzt fühl’ ich...«
»Daß der Ernst des Lebens beginnt,« stimmte Neforis ein. »Eben dahin zielt auch der Wunsch, der mich zu Dir führt. Du kennst ihn, und ich wüßte nicht, was Du dagegen einwenden solltest. Kurz und gut, laß mich morgen die Sache mit Frau Susanna ins reine bringen. Ihrer Tochter Neigung bist Du gewiß, sie ist die reichste Erbin im Lande, gut erzogen, und, ich wiederhole es, sie hat Dir ihr Herzchen geschenkt.«
»Und sie mag es behalten!« lachte Orion.
Da rief die Mutter erregt: »Ich bitte Dich, Deine Heiterkeit für passendere Zeiten und komische Dinge zu sparen — ich mein’ es sehr ernst, wenn ich sage: Das Mädchen ist lieb und gut und soll Dir, so Gott will, eine treue, zärtliche Gattin werden. Oder hast Du etwa das eigene Herz in Konstantinopel gelassen? Sollte Dich die schöne Verwandte des Senators Justinus... Aber Thorheit! Du setzest doch wohl selbst kaum voraus, daß wir diese flatterige Griechin...«
Da umfaßte sie Orion und rief zärtlich: »Nein, Mütterchen, nein! Konstantinopel liegt weit, weit hinter mir in grauen Nebeln, jenseit der äußersten Thule; aber hier, hier, ganz nah’, im Vaterhaus hab’ ich etwas viel Schöneres und Vollkommeneres gefunden, als den Leuten am Bosporus je gezeigt worden ist. Die Kleine paßt nicht für einen Sohn unseres großen, breitschulterigen Stammes. Auch unsere künftigen Geschlechter sollen das gemeine Volk an Höhe in jeder Beziehung stolz überragen, und ich will kein Spielzeug zur Gattin, sondern ein Weib, wie Du es selbst in Deiner Jugend gewesen, ein hohes, vornehmes, schönes. Zu keiner Zaunkönigin, zu einer wahrhaft königlichen Jungfrau zieht mich das Herz. Was braucht’s da noch vieler Worte! Paula, die herrliche Tochter des edlen Thomas, sie hab’ ich gewählt! Vorhin ist es mir aufgegangen wie eine Offenbarung; für den Bund mit ihr bitt’ ich um euren Segen!«
Bis dahin hatte Frau Neforis den Sohn reden lassen. Was sie vernehmen zu müssen gefürchtet, frei und keck hatte er ihr’s zu hören gegeben. Und wie lang war es ihr gelungen, an sich zu halten! Jetzt aber war ihre Selbstbeherrschung zu Ende. Zitternd vor Aufregung schnitt sie ihm das Wort ab und rief mit hochgeröteten Wangen: »Nicht weiter, nicht weiter! Verhüte der Himmel, daß das, was ich da mit anhören mußte, etwas anderes ist als ein flüchtiger, närrischer Einfall! Hast Du denn ganz vergessen, wer und was wir sind? Weißt Du nicht mehr, daß es Glaubensgenossen der Melchitin waren, die Dir Deine beiden lieben Brüder, uns zwei blühende Söhne erschlugen? Was gelten wir unter den Griechen, den Orthodoxen! Aber unter den Aegyptern, unter allen, welche der seligmachenden Lehre des Eutyches anhängen, unter den Monophysiten sind wir die ersten und wollen es bleiben und unser Ohr und Herz den Ketzern und ihrem Irrglauben verschließen! Ein Enkel des Menas, ein Bruder zweier Märtyrer für unser erhabenes Bekenntnis vermählt mit einer Melchitin! Tempelschänderisch, gotteslästerlich ist dieser Gedanke; ich finde dafür keine milderen Worte! Bevor ich, ehe der Vater dem nachgibt, wollen wir kinderlos enden! Und dieser Hergelaufnen willen, die nichts besitzt als ihren Bettelstolz und die zusammengescharrten Reste eines Vermögens, das nie mit dem unseren zu vergleichen gewesen, für diese Undankbare, die sich schwer bezwingt, mir, ihrer Wohlthäterin, Deiner Mutter — bei Gott, ich rede die Wahrheit — auch nur den ›guten Morgen‹ zu bieten, womit ich selbst die Sklaven freundlich begrüße, um ihretwillen soll ich, sollen wir Eltern den Sohn verlieren, den einzigen, den der gnädige Himmel uns noch zu unserer Freude gelassen? Nein, nein, nein! Das sei ferne! Und Du, Orion, mein Herzensjunge, Du bist Dein Leben lang ein verwegener Bursche gewesen, aber den verruchten Mut findest Du doch nicht, dieser kalten Schönen zu liebe — in zwei Tagen hast Du sie einige Stunden gesehen — Deine alte Mutter, die Dich vierundzwanzig Jahre lang zärtlich am Herzen gehalten, zu Tode zu betrüben, und dem Vater, dessen Tage gezählt sind, den kurzen Lebensrest zu vergiften. Den Mut, Du mein Herzblatt, den findest Du nicht, nein, den kannst Du nicht finden! Und findest Du ihn dennoch in einer verfluchten Stunde, findest Du ihn, dann — ich bin Dir Dein Leben lang eine zärtliche Mutter gewesen — dann — so wahr Gott mir und dem Vater beistehen soll in unserer letzten Stunde, dann reiße ich die Liebe zu Dir aus der Seele wie ein schädliches Giftkraut, dann würde ich, und wenn mir das Herz dabei bräche...«
Da zog Orion die tief erregte Frau, welche sich längst seinen Armen entzogen, wieder an sich, legte ihr die Hand leicht an den Mund, küßte ihr beide Augen und flüsterte ihr ins Ohr:
»Er hat ja den Mut nicht und findet ihn auch schwerlich im Leben.« Dann faßte er ihre beiden Hände, schaute ihr offen ins Antlitz und rief: »Brrr! So angst wie bei diesen Drohungen ist Deinem Wagehalse noch nie zu Mut gewesen. Aber was waren das auch für gräßliche Worte, und noch ärgere lagen Dir schon auf der Zunge! Mutter, Mutter Neforis! Dein Name bedeutet die Gute, aber wie böse, wie bitterböse kannst Du doch sein!«
Damit zog er die geliebte Frau fester an sich, küßte ihr in einer übermütigen Anwandlung, die ihn nach der Erschütterung, die er erfahren, wie ein Rückschlag überfiel, Haar und Schläfen und Wangen rasch hinter einander, und als sie ihn verließ, hatte er ihr gestattet, für ihn um die kleine Katharina zu werben, und dafür das Versprechen eingetauscht, daß dies noch nicht morgen, sondern frühestens übermorgen geschehen solle. Dieser Aufschub kam ihm schon wie eine Errungenschaft vor, und als er mit sich allein war und überdachte, was er da gethan und der Mutter bewilligt hatte, blutete ihm zwar das Herz aus Wunden, deren Tiefe er selbst noch nicht ermaß, aber er freute sich dennoch, Paula noch nicht fester an sich gebunden zu haben. Seine Augen hatten ihr mancherlei erzählt, aber das Wort »Liebe« war noch nicht über seine Lippen gekommen, und darauf kam es doch an. Einen Handkuß einer schönen Verwandten zu geben, war dem Vetter sicher gestattet. Begehrenswert, o, wie begehrenswert war sie und blieb sie, aber um eines Mädchens willen, und wär’ es Aphrodite selbst oder eine der Musen oder Charitinnen gewesen, mit den Eltern brechen, das war ja undenkbar! Schöne Frauen gab es für ihn zu Tausenden auf Erden, aber nur eine Mutter, und wie oft hatte sein Herz schon schneller geschlagen, sich ein anderes erobert, dessen Gaben fröhlich genossen und sich dann wieder leicht und willig beruhigt.
Diesmal schien er freilich tiefer ergriffen zu sein als in früheren Fällen, und selbst die schöne persische Sklavin, um derentwillen er, kaum der Schule entwachsen, große Thorheiten begangen, und die reizende Heliodora in Konstantinopel, der er noch ein Andenken schuldete, hatten so nicht auf ihn gewirkt. Diese Paula aufzugeben war schwer, aber es ging doch nicht anders! Morgen mußte er versuchen, auf einen freundschaftlichen, geschwisterlichen Fuß mit ihr zu gelangen; denn daß sie sich wie die sanfte Heliodora, die ihr ja im Range gleich stand, mit seiner »Liebe« zufrieden geben werde, darauf durfte er nicht hoffen. Schön, unvergleichlich schön wär’ es doch gewesen, an der Seite dieses herrlichen Weibes durchs Leben zu fliegen! Fuhr er mit ihr durch die Hauptstadt, so war er sicher, daß alle Welt stillstehen und sich nach ihnen umschauen mußte. Und wenn sie ihn liebte, und sie öffnete ihm zärtlich die Arme... O, o, warum hatte das tückische Schicksal sie zu einer Melchitin gemacht?! Und dann: leider, leider konnt’ es auch mit ihrem inneren Wesen nicht sonderlich gut beschaffen sein; hätte es ihr denn sonst nicht gelingen müssen, sich in zwei Jahren statt der Abneigung die Liebe seiner trefflichen, zärtlichen Mutter zu erwerben? Ja, am Ende war es doch gut so, wie es gekommen; aber Paulas Bild ließ dennoch nicht von ihm und verdarb ihm den Schlaf, und sein Verlangen nach ihrem Besitz kam nicht zur Ruhe.
Indessen begab sich Frau Neforis nicht sogleich zu ihrem Gatten zurück, sondern zu Paula. Diese Angelegenheit mußte noch heute nach allen Seiten hin zum Abschluß gelangen! Hätte ihr Sieg dem Kranken ungetrübte Freude zu bereiten versprochen, so wäre sie mit der Freudenbotschaft zu ihm geeilt; denn sie kannte nichts Höheres als ihm einen guten Augenblick zu bereiten, aber der Mukaukas hatte ihrer Wahl nur widerwillig zugestimmt; denn auch ihm erschien Katharina zu klein und kindisch für den großen Sohn, dessen geistige Reife ihm bei mancher längeren Unterredung, die er nach seiner Heimkehr mit ihm gepflogen, zur Freude seines Vaterherzens unleugbar und bedeutend vor die Seele getreten war.
Das »Bachstelzchen«, dem er ja alles Schönste und Beste wünschte, genügte ihm nicht für Orion. Ihm, dem Vater, wäre Paula eine liebe Schwiegertochter gewesen, und es hatte ihm oft wohl gethan, sie sich an Orions Seite zu denken. Aber sie war eine Melchitin, und er wußte, wie übel seine Gattin ihr leider gesinnt war, und so verschloß er diesen Wunsch in sich, um die treue Pflegerin, welche nur für ihn lebte, fühlte und dachte, nicht zu kränken; und Frau Neforis wußte oder ahnte das alles, und sie sagte sich, daß es ihn die Nachtruhe kosten werde, wenn er heute schon erführe, was Orion ihr zugesagt hatte.
Mit Paula stand es anders. Je eher sie erfuhr, daß sie von ihrem Sohne nichts zu erwarten habe, um so besser für sie.
Am vergangenen Morgen hatten sie und Orion einander wie ein Liebespärchen begrüßt, und vorhin waren sie wie Braut und Bräutigam auseinander gegangen. Solchem ärgerlichen Schauspiel wollte sie nicht wieder beiwohnen, und so sprach sie bei der Damascenerin vor und vertraute ihr glückselig an — aber bis übermorgen sollte sie schweigen — welche Freude ihr Sohn ihr soeben bereitet.
Paula hatte schon bei ihrem Eintritt aus ihrem strahlenden Gesicht den Schluß gezogen, daß sie etwas für sie Peinliches bringe, und so bewahrte sie die schickliche Fassung. Mit der Maske kühler Gleichgültigkeit ließ sie den Erguß des frohbewegten Mutterherzens über sich ergehen und wünschte auch den Verlobten Glück; aber sie that es mit einem Lächeln, das Frau Neforis empörte. Sie war sonst gewiß nicht böse, aber diesem Mädchen gegenüber verwandelte sich ihre Natur, und es war ihr nicht unlieb, ihr wieder einmal zu zeigen, daß in ihrer Lage Bescheidenheit am Platze sei. Das alles sagte sie sich selbst, wie Paulas Zimmer hinter ihr lag, aber vielleicht hätte diese Frau, an der vieles gut war, Reue empfunden, wenn es ihr gestattet gewesen wäre, in den folgenden Stunden in das Herz der ihrem Schutz befohlenen Waise zu schauen.
Nur einmal schluchzte Paula heftig auf; dann trocknete sie unwillig die Thränen, blickte lange finster zu Boden und schüttelte dabei oft das schöne Haupt, als sei ihr etwas Unerhörtes, Unfaßbares begegnet.
Mit einem schmerzenden Seufzer legte sie sich endlich zur Ruhe, und während sie vergeblich nach Schlaf und der Kraft rang, zu beten und sich still zu ergeben, kam ihr die Zeit vor wie eine endlose Steppe, das Schicksal wie ein grausamer Jäger, und das Wild, das er verfolgte, das war sie selbst.
Viertes Kapitel.
Am folgenden Abend ritt der Kaufherr Haschim mit einem kleinen Teil seiner Karawane in die Statthalterei ein. Fremde würden sie eher für den Wohnsitz eines reichen Grundherrn als für die Residenz eines hohen Beamten gehalten haben; denn in die großen hinteren Höfe, welche von den Wirtschaftsgebäuden auf drei Seiten umschlossen wurden, trieb man jetzt nach Untergang der Sonne große Rinder- und Schafherden ein, ein halbes Hundert Rosse von edler Zucht kam zusammengekoppelt aus der Schwemme, und auf einer von Hürden umschlossenen sandigen Fläche trugen braune und schwarze Sklaven einer großen Kamelherde das Abendfutter zu.
Das Wohnhaus des Besitzers war in seiner ungewöhnlichen, palastartigen Größe und altertümlichen Pracht recht wohl geeignet, einem Statthalter des Kaisers zur Residenz zu dienen, und der Mukaukas Georg, dem dies alles gehörte, hatte in der That das genannte Amt lange bekleidet. Nach der Eroberung des Landes war es ihm auch von den Arabern gelassen worden, und gegenwärtig leitete er die Angelegenheiten seiner ägyptischen Stammesgenossen nicht mehr in der Kaiser zu Konstantinopel Namen, sondern im Auftrag des Chalifen in Medina und seines Feldherrn Amr. Die muslimischen Eroberer hatten in ihm einen gutwilligen und klugen Vermittler gefunden, und seine Glaubens- und Blutsgenossen leisteten ihm Gehorsam als dem vornehmsten und reichsten Herrn ihrer Nation, als dem Sohn eines Geschlechtes, dessen Ahnen schon unter den Pharaonen in hohem Ansehen gestanden.
Griechisch oder besser alexandrinisch war nur das Wohnhaus des Mukaukas; die Höfe und Nebenbauten, die sich daran schlossen, hatten dagegen ganz das Ansehen, als gehörten sie dem mächtigen Häuptling eines großen morgenländischen Stammes, einem Erpaha oder Gaufürsten, wie die Vorfahren des Mukaukas in heidnischer Zeit genannt und als welche sie am Hofe und unter dem Volke geehrt worden waren.
Der Fremdenführer hatte dem Kaufherrn nicht zu viel von dem Grundbesitz dieses Mannes erzählt. Im oberen und unteren Aegypten waren seine großen Ländereien gelegen und wurden von einigen tausend Sklaven und vielen Aufsehern bewirtschaftet. Hier in Memphis befand sich die Centralstätte der Verwaltung seines Privateigentums, und an sein eigenes Rentamt schlossen sich die Schreibstuben, deren er als Staatsbeamter bedurfte.
Wohl erhaltene Dämme und die breite den Hafen berührende Nilstraße trennten sein weitläufiges memphitisches Anwesen vom Flusse, und eine Gasse folgte der Mauer, welche dasselbe nach Norden hin abschloß. Dieser war das bei Tage weit geöffnete große Thor zugewandt, welches denen Einlaß gewährte, die als Diener oder in Geschäften das Grundstück des Mukaukas zu besuchen wünschten; die mit korinthischen Marmorsäulen geschmückte, jederzeit verschlossene schöne Hauptpforte an der Nilstraße, durch welche auch die Wasserfahrer gestern den Garten betreten hatten, war nur der Familie und hochgestellten Besuchern des Statthalters geöffnet. Bei dem Gesindethor in der Gasse erhob sich ein Wächterhaus, welches eine kleine Schar von ägyptischen Soldaten beherbergte, der die persönliche Sicherheit des Mukaukas anvertraut war.
Sobald sich nach der Hitze des vergangenen Tages vom Strome her ein erfrischender Hauch erhob, ward es auf dem Hofe hinter dem Seitenthore lebendig. Aus allen Pforten der Gesindewohnungen traten Männer, Frauen und Mädchen, um die frische Nachtluft zu atmen. Einzelne Dienerinnen und Sklaven schöpften Wasser aus ungeheuren Thongefässen und trugen es in hübsch geformten Krügen von dannen, während die freien Beamten des Hauses sich gruppenweise plaudernd, spielend und singend von den Mühen der Arbeitszeit erholten. Aus dem Sklavenquartier, welches einen zweiten Hof umschloß, scholl bunt durcheinander der Gesang geistlicher Lieder, der zum Tanz ladende schrille und dumpfe Klang der Doppelflöte und Handtrommel, Gezänk und Gelächter, das Kreischen eines zum Reigen gezogenen Mädchens und der Schrei eines Unfreien, den die Geißel des Vogtes getroffen.
Das Gesindethor, welches noch zu Ehren des jüngst heimgekehrten Orion mit reichen Blumen und Laubgewinden geschmückt war, stand auch jetzt weit offen, um den Rechnungsführern und Schreibern Ausgang, oder den Städtern Einlaß zu gewähren, die ihre Freunde in der Statthalterei des Abends gern besuchten; denn es fanden sich dort stets einige höher gestellte Beamte des Mukaukas beisammen, welche von den neuesten Begebenheiten in Staat und Kirche mehr wußten als andere Leute.
Unter dem hölzernen Vorbau des Oberverwalterhauses saß denn auch bald eine große Zahl von Männern beisammen, die sich mit allem Eifer dem Gespräch hingaben, das ihnen auch ohne das Bier, welches ihnen ihr Wirt immer noch auf Rechnung der Bewillkommnungsfeier des heimgekehrten Sohnes ihres Herrn anbieten ließ, genußreich erschienen wäre; denn was gab es Schöneres für den Aegypter, als Rede und Gegenrede tauschen und dabei den sonst unnahbaren Höhergestellten, den Andersgläubigen oder Landesfeinden mit Witz und Spott zu Leibe gehen.
Es mußte auch heute manches treffende Wort, mancher glückliche Scherz zu hören sein; denn helles Gelächter und laute Beifallsrufe hatten vor dem Oberverwaltershause kein Ende, und der Befehlshaber der Wache beim Gesindethor warf neidische und ungeduldige Blicke auf die heitere Gesellschaft, in der er gern mit dabei gewesen wäre, aber er durfte seinen Posten noch nicht verlassen; denn da standen die gesattelten Pferde der Boten, die auf Abfertigung warteten, da gab es Supplikanten und Händlern Einlaß oder Ausgang zu gewähren, und in der weiten Vorhalle des Statthalterpalastes waren noch viele Leute versammelt, welche mit dem Mukaukas zu reden begehrten — war es doch in ganz Memphis bekannt, daß der kranke Statthalter in den heißesten Monaten nur gegen Abend Audienzen erteilte.
Zu den arabischen Behörden fehlte es unter den Aegyptern noch an Zutrauen, und an des Mukaukas Stellvertreter gewiesen zu werden, suchte jedermann zu vermeiden; denn so klug und gerecht wie der Alte, war keiner seiner Beamten. Woher der leidende Mann Kraft und Zeit nahm, auch diesen auf die Finger zu sehen, ließ sich schwer erklären, doch es stand fest, daß jedes Urteil von ihm geprüft wurde.
Die Audienzzeit war vorüber, und die Besorgnis, welche das Ausbleiben der Ueberschwemmung und der Komet erregten, hatten die Warteräume heute mit mehr Bittstellern gefüllt als gewöhnlich. Gruppenweise waren die Vertreter der Städte und die Dorfschulzen, einzeln die Kläger in eigener Sache vorgelassen worden, und die meisten hatten sich befriedigt oder doch mit gutem Rate entfernt. Ein einziger Landmann, dessen gerechte Sache schon lange der Erledigung wartete, war zurückgeblieben und hoffte, nachdem er dem Anmelder einige Drachmen von seiner Armut geopfert, die Frucht seines geduldigen Harrens noch heute zu ernten, als ihm der Hausmeister morgen wieder zu kommen gebot und die hohen in die Gemächer des Mukaukas führenden Thüren, dank den Goldstücken, die er von seinem Vetter, dem Fremdenführer, empfangen, dem Kaufmann Haschim dienstfertig aufthat; aber der Araber hatte den Landmann bemerkt und drang darauf, ihm den Vortritt zu lassen. So geschah es denn auch, und nach wenigen Minuten kehrte der Bauer befriedigt zurück und küßte Haschim dankbar die Hand. Darauf ließ der Anmelder den alten Herrn mit seinen Leuten, welche ihm einen schweren Ballen nachgetragen hatten, in einem prächtigen Vorzimmer warten, und seine Geduld wurde schwer auf die Probe gestellt, bevor der Ruf an ihn erging, dem Statthalter seine Ware zu zeigen.
Dieser hatte, nachdem er mit einem stummen Winke eingewilligt, den gut empfohlenen Kaufmann später zu empfangen, seine Erholungszeit angetreten und zog, unbekümmert um den Wartenden, die Kegel des Brettspiels. Er lag auf einem mit dem glatten Fell einer Löwin überspannten Diwan, während seine junge Partnerin ihm auf einem niedrigen Sessel gegenüber saß. Die dem Nil zugewandten Thüren des Raumes, wo er auch die Bittsteller liegend empfangen, waren nun halb geöffnet, um der kühleren, aber immer noch lauen Abendluft Einlaß zu gewähren. Das grüne Velarium, Das Segel, womit das offene Dach überspannt werden konnte. welches am Tage die Sonnenstrahlen gehindert hatte, durch die in der Mitte offene Zimmerdecke zu dringen, war zurückgespannt, und Mond und Sterne blickten in das Gemach, welches seiner Bestimmung, an heißen Sommertagen eine erträgliche Zufluchtsstätte zu bieten, sehr wohl entsprach; denn seine Wände waren mit kühlen, bunten glasirten Kacheln bekleidet, seinen Fußboden bildete eine figurenreiche farbige Mosaik mit vergoldetem Glasgrund, und aus dem runden Mittelstück dieses kunstvollen Estrichs erhob sich der eigentliche Erfrischungsspender, eine zwei Mannslängen breite Schale von braunem, weiß gesprenkeltem Porphyr, aus der ein Springquell aufwärts strebte und seine ganze Umgebung mit zarten Wasserteilchen bestob. — Wenige Sessel, Stühle und kleine Tische, alle von kühlem Metall, bildeten die ganze übrige Ausstattung dieses hohen, durch zahlreiche Lampen hell erleuchteten Gemaches. Leiser Zugwind drang durch die offene Decke und die unverschlossenen Thüren, bewegte leicht die Flammen der Lampen und spielte mit den braunen Locken Paulas, die sich mit voller Hingabe dem Brettspiel zu widmen schien.
Orion, der hinter ihr stand, hatte sich schon mehrfach vergeblich bemüht, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken; jetzt erbot er sich dienstbeflissen, ihr ein Tuch zu holen, um sie vor Erkältung zu schützen; sie aber lehnte es kurz und entschieden ab, obwohl die Luft vom Strome her feucht hereinwehte und sie den Peplos schon mehrmals fester um die Brust zusammengezogen hatte.
Der junge Mann biß bei dieser neuen Zurückweisung die Zähne zusammen. Er wußte nicht, daß die Mutter ihr mitgeteilt hatte, was er ihr gestern bewilligt, und fand keine Erklärung für Paulas verändertes Benehmen. Von früh an war sie ihm mit eisiger Kälte begegnet, hatte sie seine Fragen kaum mit einem dürftigen »Ja« oder »Nein« beantwortet, und ihm, dem verwöhnten Liebling der Frauen, ward dies Verhalten mehr und mehr unerträglich. Die Mutter beurteilte sie doch wohl richtig! Sie ließ sich in unerhörter Weise von Stimmungen beherrschen und gab jetzt auch ihm den Hochmut, von dem er bisher nichts wahrgenommen, in verletzender Weise zu fühlen. Ja dies frostige Ausweichen grenzte an Unart, und er war nicht willens, es sich lange gefallen zu lassen. Tief verdrossen folgte er jeder Bewegung ihrer Hand, jeder Neigung ihres Körpers sowie dem wechselnden Ausdruck ihres Gesichtes, und je mehr er sich in die Bildung dieses stolzen Geschöpfes vertiefte, desto schöner, desto vollendeter fand er es, desto höher stieg seine Sehnsucht, sie wieder lächeln, sie wieder wie gestern weiblich liebenswürdig zu sehen. Jetzt glich sie nur einem herrlichen Marmorbilde, aber er wußte ja, daß dies auch eine Seele besaß, und welche herrliche Aufgabe, dies von thörichten Launen beherrschte Geschöpf gleichsam von sich selbst zu befreien und ihm — mußte es sein, mit Härte — zu weisen, was dem Weibe, der Jungfrau wohl steht.
Unter diesem Gemisch von Empfindungen wandte sich seine Aufmerksamkeit mehr und mehr ausschließlich der Jungfrau zu, und seine Mutter, welche mit Frau Susanna in ziemlicher Entfernung von den Spielenden auf einer Ruhebank saß, bemerkte dies mit wachsendem Aerger und suchte ihn durch Fragen und kleine Aufträge von ihr abzulenken und seinem auffallenden Treiben eine andere Richtung zu geben.
Wer hätte noch gestern Morgen gedacht, daß ihr der Liebling so bald solchen Verdruß solche Sorgen bereiten werde!
Ganz so, wie der Vater und sie es gewünscht, als ein selbstbewußter, mit dem Leben der großen Welt vertrauter Mann war er heimgekehrt. Zwar hatte er in der Hauptstadt alles genossen, was einem vornehmen Jüngling genießenswert erscheint, aber darum war er doch — und das bereitete dem Vater die größte Freude — darum war er doch frisch und empfänglich auch für das Kleinste geblieben. Von der Uebersättigung und Abstumpfung der Daseinsfreude, der so viele seiner Alters- und Standesgenossen in der Residenz anheimfielen, zeigte sich an ihm keine Spur. Er konnte immer noch mit der kleinen Maria so munter spielen, sich über eine seltene Blume oder ein neues, schönes Pferd so herzlich freuen wie vor dem Aufbruch, und dabei hatte er so tiefe Einblicke in die politischen Verhältnisse der Zeit, den Zustand des Kaiserreiches und Hofes, die Staatsverwaltung und kirchlichen Neuerungen gewonnen, daß es dem Vater Genuß bereitete, ihn sprechen zu hören, und dieser seiner Gattin versichern konnte, er lerne mancherlei von dem Jungen, und Orion sei auf dem Wege, ein tüchtiger Staatsmann zu werden, der jetzt schon das Zeug besitze, ihn voll zu ersetzen.