Kitabı oku: «Die Nilbraut», sayfa 4
Als die Mutter ihrem Gatten die große Summe genannt hatte, welche Orion in Konstantinopel schuldig geblieben war, griff der alte Herr mit einem gewissen Stolz in den Beutel; ja er fand es erfreulich, daß der einzige ihm verbliebene Erbe es verstehe, die großen Reichtümer, welche ihm selbst mehr zur Last als zur Freude gereichten, ebenso gut wie er selbst in seiner Jugend zu gebrauchen und sich mit einem Glanze zu umgeben, der auf ihn und seinen Namen zurückfiel. »Bei ihm weiß man,« sagte der Kranke, »wofür man sein Geld rollen läßt. Seine Rosse kosten viel, aber er versteht mit ihnen zu siegen; sein Auftreten verschlingt hübsche Summen, doch dafür verschafft es ihm Geltung, wo er sich zeigt. Da bringt er mir einen Brief des Senators Justinus, und der würdige Mann bekennt, daß er eine große Rolle unter der stolzen ›goldenen Jugend‹ der Hauptstadt gespielt hat. So etwas gibt’s nicht umsonst, und ich hab’ es am Ende noch billig bezahlt. Was brauchen wir nach hundert Talenten mehr oder weniger fragen, und es liegt was Großes darin, daß er den Mut gefunden, es auch nicht zu thun!«
Und der dies sprach, war kein fröhlicher Greis, sondern ein gebrochener Mann, der sich nur freute, den Sohn das Viele, was zu genießen ihm selbst längst versagt war, froh auskosten zu sehen.
Und der feurige, hochbegabte, kaum dem Knabenalter entwachsene Jüngling, den er mit einiger Besorgnis in die Kaiserstadt geschickt hatte, mußte dort in der Hauptsache ein viel gesetzteres Leben geführt haben, als es von ihm zu erwarten gewesen; dafür bürgte der rötliche Schimmer auf den leicht gebräunten Wangen, die schwellende Kraft seiner Muskeln und die Fülle seines schlichten, aber künstlich gekräuselten Haares, das ihm in kurz geschnittenen Fransen nach der Mode des Tages auf die hohe Stirn fiel, und ihm eine gewisse Aehnlichkeit mit den Bildern des Antinous, des schönsten Jünglings zur Zeit des Kaisers Hadrianus, verlieh.
Der Heimgekehrte, das fand auch die Mutter, sah wie die Gesundheit selbst aus, und kein kaiserlicher Verwandter konnte reicher, sorgfältiger und modischer gekleidet sein als ihr Liebling. Aber auch im einfachsten Rocke wär’ er ein schöner, herrlicher Jüngling, der Stolz einer Mutter gewesen.
Als er die Heimat mit der Residenz vertauschte, hatte er noch etwas an sich gehabt, das nach der Provinz schmeckte, jetzt aber war jede Befangenheit von ihm gewichen, und überall, auch bei Hofe, konnte er sicher sein, unter den Ersten mit Beifall bemerkt zu werden.
Und was hatte er alles in der Hauptstadt erlebt! Ereignisse für ein Jahrhundert waren in den dreißig Monaten seines Aufenthalts reißend schnell einander gefolgt. Je höher die Erregung, desto größer das Vergnügen, hieß die Losung der Zeit, und wenn er am Bosporus auch gerast und geschwelgt hatte wie einer, so waren die Freuden des Gastmahles, der Liebe, des Wettfahrens mit eigenen, Sieg errennenden Gespannen, deren er dort reichlich genossen, doch Kinderspiel gewesen, im Vergleich zu der Nerven erschütternden Spannung, welche die furchtbaren Schreckensereignisse, in deren Mitte er als Zuschauer gestanden, in ihm entfacht hatten. Armseliges Vergnügen des Wagenrennens in Alexandria. Ob des Timon, ob des Ptolemäus oder die eigenen Rosse siegten, was kam darauf an! Auch im Zirkus zu Byzanz war es schön, den Kranz zu erbeuten, aber es gab dort andere Erschütterungen der Seele, als wie sie sich an Pferd und Wagen schlossen! Da handelte es sich um Kronen, da konnte es Blut und Leben von Tausenden gelten! — Was brachte man heim aus den Kirchen im Nilthal? Aber hatte man die Schwelle des Sophiendoms in Byzanz überschritten, dann kam man oft bis ins Mark erschüttert, kam man mit blutenden Wunden oder gar als Leiche nach Hause.
Dreimal hatte er den Thron wechseln sehen. Ein Kaiser und eine Kaiserin waren vor seinen Augen des Purpur beraubt und verstümmelt worden.
Dort, damals hatte es echte und rechte, Mark und Bein erschütternde Vergnügungen gegeben. Das andere! Ja, im Kleinen war auch das ergötzlich gewesen! Man hatte ihn nicht empfangen wie andere Aegypter: halbgebildete Philosophen, die sich Weise nannten, sich mystisch und mit schwülstiger Feierlichkeit geberdeten, Astrologen, Rhetoren, armselige, aber witzige und giftige Spötter, mit der Wissenschaft ihrer Väter prunkende Aerzte, fanatische Theologen, stets bereit, sich bei erbitterten Glaubensstreitigkeiten anderer Waffen als der Gründe und Dogmen zu bedienen, schmutzige, geistig und körperlich verwahrloste Einsiedler und Klausner, Kornhändler und Wucherer, mit denen es gefährlich war, ohne Zeugen ein Geschäft abzuschließen. Mit diesen allen hatte Orion nichts zu schaffen gehabt. Als des reichen und vornehmen Statthalters, des berühmten Mukaukas Georg schöner, lebensfroher und geistesfrischer Sohn, ja als eine Art von Gesandter war er empfangen worden, und was die goldene Jugend der Kaiserstadt sich gönnte, das vermochte auch er! Seine Börse war ebenso reich gespickt wie die ihre, seine Gesundheit und Lebenskraft zwanzigmal zäher, und dreimal hatten seine Rosse, da er sie selbst führte und nicht von bezahlten Agitatoren lenken ließ, die ihren geschlagen. Der »reiche Aegypter«, der »neue Antinous«, der »schöne Orion«, wie man ihn nannte, durfte bei keinem Feste, keinem Vergnügen fehlen. Die ersten Häuser der Stadt zählten ihn gern zu ihren Gästen, und im Palast und der Villa des Senators Justinus, eines Jugendfreundes seines Vaters, verkehrte er wie der Sohn des Hauses. Bei ihm und seiner wohlgesinnten Gattin Martina lernte er auch die schöne Heliodora, die Witwe eines Neffen des Senators, kennen, und die ganze Stadt hatte von dem zärtlichen Verhältnis gesprochen, welches Orion mit der anmutigen jungen Frau verbunden, deren strenge Tugend bisher nicht weniger bewundert worden war als ihr blondes Haar und die großen Juwelen, womit sie ihre sonst einfachen, aber kostbaren Gewänder zu schmücken liebte. Gar manche schöne Byzantinerin hatte um die Gunst des jungen Aegypters geworben, bis Heliodora sie alle aus dem Felde geschlagen. Aber es war ihr doch nicht gelungen, Orion tief und dauernd zu fesseln, und wenn er gestern Abend der Mutter versichert, daß sie sein Herz nicht besitze, so hatte er die Wahrheit gesprochen.
Gewiß war sein Wandel in der Residenz kein nachahmungswerter gewesen, aber er hatte sich doch niemals selbst verloren und die Achtung nicht nur der Zechgenossen, sondern auch der ernsten und würdigen Männer genossen, denen er im Hause des Justinus begegnet war, und die seinen Geist und seine Wißbegier rühmten. Er, der als Knabe ein fleißiger Schüler gewesen, ließ auch hier keine Gelegenheit unbenützt, um zu lernen. Nicht am wenigsten hatte er für seine musikalische Ausbildung in der Kaiserstadt Sorge getragen und dort eine seltene Meisterschaft im Gesang und Lautenspiel erworben.
Gern wäre er länger in der Hauptstadt geblieben, doch zuletzt war ihm dort der Boden heiß unter den Füßen geworden, und zwar um des eigenen Vaters willen; denn die Ueberzeugung, daß dieser viel dazu beigetragen, Aegypten von dem byzantinischen Reiche loszureißen und es der verhaßten, aber unwiderstehlichen neuen Macht der Araber in die Hand zu spielen, hatte, seitdem sich der nunmehr abgesetzte, inzwischen bereits verstorbene melchitische Patriarch von Alexandria, Cyrus, selbst nach Konstantinopel begeben, in den höchsten Kreisen Glauben gefunden. Seine Festnehmung war schon beschlossene Sache gewesen, als ihm der Senator Justinus und andere Freunde Warnungen hatten zukommen lassen, denen er rechtzeitig gefolgt war.
Wohl hatte ihn die Handlungsweise des Vaters ernstlich gefährdet, aber er grollte ihm darum nicht; denn er mußte sie tief innerlich billigen; war er doch tausendmal Zeuge der Verachtung gewesen, womit die Griechen der Aegypter, des Hasses und Abscheus, womit die Orthodoxen der monophysitischen Konfession seines Volkes gedachten.
Mit mühsam verhaltenem Ingrimm hatte er den Spott und die Schmähungen anhören müssen, womit die vornehmen Herren und Herrlein, Laien und Kleriker, sein Land und seine Stammgenossen unbedenklich auch in seiner Gegenwart begossen; hielten jene ihn doch für einen der Ihren, einen Griechen, dem alles »Barbarische« ebenso widerwärtig und verächtlich vorkommen mußte wie ihnen selbst.
Aber in den Adern des »neuen Antinous«, der griechische Lieder so schön und mit so reiner Aussprache vorzutragen wußte, floß doch das Blut seines Volkes, und jede gegen die Seinen gerichtete Schmähung prägte sich fest in sein Herz, jede Verunglimpfung seines Glaubens rief ihm den Tag ins Gedächtnis zurück, an dem die Melchiten seine beiden Brüder ermordet.
Diese Blutthaten und unzählige Vergewaltigungen, mit denen die Griechen die andersgläubigen Aegypter gereizt, beleidigt, in den Tod getrieben hatten, waren nun gerächt worden, gerächt durch seinen Vater. Das erhob ihm das Herz, das machte ihn stolz, und er gestattete dem Alten, ihm tief ins Herz zu schauen, und was dieser dort fand, beglückte und überraschte ihn zugleich; denn er hatte gefürchtet, Orion werde sich in Konstantinopel dem mächtigen Einfluß des gewinnenden griechischen Wesens nicht ganz zu entziehen vermögen, ja die Besorgnis war ihm oft nahe getreten, der eigene Sohn werde mißbilligen, daß er, wenn auch gezwungen, die ihm anvertraute Provinz den arabischen Eroberern übergeben und mit ihnen Frieden geschlossen hatte.
Jetzt fühlte der Mukaukas sich eins mit Orion und warf ihm vom Brettspiele aus bisweilen einen zärtlichen Blick zu.
Frau Neforis bemühte sich, die Mutter der künftigen Braut ihres Sohnes aufs beste zu unterhalten und von dem seltsamen Benehmen desselben abzuziehen, und dies schien ihr auch zu gelingen; denn Frau Susanna ging auf alles ein, was sie sagte, aber daß sie doch gute Umschau hielt, ging aus der plötzlichen Frage hervor: »Ob die hohe Nichte Deines Gatten uns wohl eines Wortes für wert hält?«
»O nein,« versetzte Neforis bitter. »Ich hoffe nur, daß sie bald andere Leute findet, denen sie sich lieber gnädig erweist. Verlaß Dich darauf: ich ebene ihr schon die Wege!« Dann brachte sie die Rede auf Katharina, und die Witwe erzählte, ihr Schwager Chrysippus sei mit seinen beiden Töchterchen in Memphis. Morgen wollten sie wieder abreisen, und so habe ihr Kind sich ihnen widmen müssen. »Und da sitzt nun das arme Mädchen,« klagte sie, »und muß den beiden Plappertaschen still halten, während sie sich hieher sehnt.«
Orion hatte die letzten Worte verstanden, erkundigte sich nach der Kleinen und sagte dann heiter: »Sie hat mir gestern früh ein Halsband für das weiße Konstantinopolitaner Andenken versprochen. Pfui, Maria, Du sollst das arme Tierchen nicht quälen!«
»Ja, gib den Hund frei!« fügte die Witwe hinzu, indem sie sich an die kleine Enkelin des Mukaukas wandte, die das Tierchen zwingen wollte, widerwillig ihre Puppe zu küssen. »Aber weißt Du, Orion, der kleine Kläffer ist eigentlich viel zu zierlich für einen so großen Herrn, wie Du bist! Schenk’ ihn einem hübschen weiblichen Wesen, dann erfüllt er seine Bestimmung! Katharina stickt übrigens schon an dem Halsband. Ich sollt’s eigentlich nicht verraten; aber es kommen goldene Sterne auf blauen Grund.«
»Weil Orion ein Stern ist,« rief die kleine Maria, »stickt sie lauter Orions.«
»Es gibt glücklicherweise nur ein Gestirn meines Namens,« bemerkte dieser. »Sage das, bitte, Deiner Tochter, Frau Susa.«
Da klatschte die Kleine in die Hände und lachte: »Er will keinen Stern neben sich haben!«
Und die Witwe fiel ihr ins Wort: »Kleiner Naseweis! Ich kenne Leute, die es nicht einmal leiden können, wenn man an ihnen eine Aehnlichkeit mit anderen wahrnimmt. Aber Du mußt Dir dies dennoch gefallen lassen, Orion! Ja, Du hattest vorhin ganz recht, Neforis: Stirn und Mund sind seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten!«
Diese Bemerkung war zutreffend, und doch konnte man sich kaum verschiedenere Menschen denken als den jugendfrischen Jüngling und den schlaffen, alternden Herrn dort auf dem Diwan, den schon jede der kleinen Bewegungen, die das Spiel mit sich brachte, Anstrengung kostete. Wohl mochte der Mukaukas einmal seinem Sohne geglichen haben, aber seitdem war lange Zeit hingegangen. Spärliche ergraute Haarstreifen bedeckten jetzt nur halb den nackten Schädel, und von seinen Augen, welche vor dreißig Jahren so hell wie die des Orion geleuchtet haben mochten, war gewöhnlich gar nichts und manchmal wenig zu sehen; denn die schweren Lider fielen, als hätten sie den Halt verloren, fortwährend über sie hin und gaben dem wohlgeformten, leichenfahlen Antlitz etwas Eulenhaftes. Dennoch war es nicht grämlich, vielmehr mischten sich darin schmerzliche und freundlich wohlwollende Züge zu einem einzigen wehmütigen Ausdruck. Der Mund und die schlaff niederhängenden Wangen waren regungslos und wie erstorben. Des Kummers, der Beängstigung und der Sorge lähmende Hände schienen über sie hingefahren zu sein und ihre Spur auf ihnen zurückgelassen zu haben. Er sah aus wie ein todmüder Mann, der nur noch lebte, weil ihm das Schicksal die Gunst des Sterbens versagte. Ja, er war von den Seinen oft für eine Leiche gehalten worden, wenn er gar zu häufig in das Döschen von Blutjaspis gegriffen und die weißen Opiumkügelchen zu reichlich genossen hatte, von denen er auch während des Brettspiels in langen Zwischenräumen je eins auf die farblosen Lippen legte.
Langsam und wie ein Schläfer zog er mit halbgeschlossenen Augen Stein auf Stein, und doch vermochte sich seine Partnerin des überlegenen Gegners nicht zu erwehren und war nun schon zum drittenmal von ihm geschlagen worden, obgleich sie der Mukaukas selbst eine gute Spielerin nannte. Man sah es auch ihrer hohen, reinen Stirn und den tiefblauen, geradeaus blickenden Augen an, daß sie klar und unbeirrt zu denken und ebenso zu empfinden verstand. Aber eigenwillig und zum Widerspruch geneigt schien sie zu sein — wenigstens heute; denn wenn Orion sie auf diesen oder jenen Zug hinwies, folgte sie selten seinem Rat, sondern schob den kleinen Kegel mit fest zusammengeschlossenen Lippen nach ihrem eigenen, nur selten klügeren Ermessen. Man sah ihr an, daß es ihr widerstand, sich von diesem, gerade diesem Berater leiten zu lassen.
Alle Anwesenden mußten die abweisende Haltung des Mädchens, aber auch Orions Eifer, sie freundlicher zu stimmen, bemerken, und schon darum war Frau Neforis froh, als der Anmelder, nachdem der Mukaukas die dritte Partie gewonnen und die auf dem Brett verbliebenen Kegel mit dem Rücken der Hand durcheinanderwarf, seinen Herrn an den Araber erinnerte, der draußen mit wachsender Ungeduld harrte. Der Mukaukas winkte statt jeder Antwort, zog dann den langen Kaftan vom feinsten Wollstoff fester um den Leib und wies auf die Thüren und die Decke des Zimmers. Seine Angehörigen hatten ja längst die feuchte Nachtluft, welche das Zimmer vom Strom her rasch durchzog, übel empfunden, aber weil sie wußten, daß dem Vater nichts peinlicher war als die Hitze des Sommers, war die Zugluft von ihnen allen willig ertragen worden. — Jetzt rief Orion den Sklaven, und bevor die Fremden eintraten, waren Thüren und Deckenöffnung geschlossen.
Des Statthalters Partnerin erhob sich, der Mukaukas blieb dagegen regungslos liegen und hielt die Augen fortdauernd mit den Lidern bedeckt, aber er mußte dennoch durch eine unsichtbare Spalte wahrnehmen, was ihn umgab; denn er wandte sich erst an Paula und dann auch an die anderen Frauen und sagte: »Ist es nicht seltsam: sonst suchen Alte und Kinder die Sonne, und die einen spielen, die anderen ruhen gern in der Hitze. Aber ich... Es ist etwas über mich gekommen, vor Jahren — ihr wißt’s ja, und dabei ist mir das Blut erstarrt. Nun will es sich nicht mehr erwärmen, und ich empfinde den Gegensatz zwischen der Kälte hier drinnen und der Hitze da draußen sehr stark, beinahe schmerzlich. Je betagter man wird, desto lieber überläßt man der Jugend, was einem sonst selber wohl gethan hat; das einzige, was wir Alten uns nicht gern nehmen lassen, ist körperliches Behagen, und Dank euch, daß ihr geduldig tragt, was euch stört, ja es mir sogar verschafft. Ein schrecklicher Sommer! Du, Paula, von eurem Libanon her weißt Du, was Eis ist. Ich wünschte mir schon manchmal ein Bett von Schnee. Eins zu werden mit der frischen Kälte, das wäre mein Höchstes. Mir thut der kühlende Hauch wohl, den ihr fürchtet. Die Jugendwärme sträubt sich gegen alles, was kühl ist.«
Dies war der erste längere Satz, den der Mukaukas seit dem Beginn des Spiels gesprochen. Orion ließ ihn achtungsvoll ausreden, dann aber versetzte er lächelnd: »Es gibt indessen auch junge Menschenkinder, die sich darin gefallen, kühl und frostig zu sein, aus welchem Grunde, Gott weiß es!«
Dabei sah er derjenigen, auf welche diese Worte gemünzt waren, voll in die Augen; sie aber wandte sich still und stolz von ihm ab, und über ihre schönen Züge flog ein unwilliger Schatten.
Fünftes Kapitel.
Nachdem dem Araber Einlaß zu dem Mukaukas gewährt worden war, breiteten seine Diener ein Stück Teppich vor dem Leidenden aus. Der riesenhafte Masdakit verrichtete den Hauptteil der Arbeit, aber sobald der Mukaukas den gewaltigen Mann mit dem buschigen, mähnenartigen Haar, in dessen Gürtel Dolche und ein Schlachtbeil steckten, bemerkt hatte, rief er ängstlich:
»Hinaus, hinaus mit ihm! Dieser Mensch, diese Waffen... Ich will den Teppich nicht sehen, bevor er fort ist!«
Dabei zitterten seine Hände, und der Kaufherr befahl sogleich seinem treuen Rustem, dem harmlosesten der Menschen, sich zu entfernen. Nun gewann der Statthalter, dessen überreizte Nerven nach einem Mordversuche, den ein aus Aegypten verbannter Grieche auf ihn unternommen, bisweilen ähnlichen Angstanfällen unterworfen waren, schnell die Fassung zurück und blickte voller Bewunderung auf den Teppich, um den die Seinen sich scharten. Jeder gestand, dergleichen noch nie gesehen zu haben, und die lebhafte Witwe Susanna wollte ihre Tochter Katharina samt ihrem Besuche rufen lassen, doch es war schon spät und ihr Haus so weit von der Statthalterei entfernt, daß sie davon absah.
Vater und Sohn hatten schon von diesem Wunderwerk gehört, welches durch das siegreiche arabische Heer bei der Eroberung des persischen Reiches in dem »weißen Schloß«, dem Königspalaste der Sassanidenresidenz Madain erbeutet worden war. Sie wußten, daß derselbe ursprünglich 300 Ellen lang und 60 Ellen breit gewesen, und hatten mit Entrüstung vernommen, daß der Chalif Omar, der immer noch wie ein schlichter Karawanenführer wohnte, sich kleidete und nährte und auf dergleichen Prunk mit Verachtung niedersah, dies unschätzbare Kunstwerk in Stücke geschnitten und es unter die Genossen des Propheten verteilt habe.
Der Kaufherr erklärte nun, dies Teppichstück sei der Beuteanteil Alis, des Schwiegersohns des Propheten. Er habe das ganze ungeteilte Wunderwerk in Madain, wo es an der Wand des herrlichen Thronsaales gehangen, und später auch zu Medina vor der Zerschneidung gesehen.
Die Anwesenden forderten ihn lebhaft auf, das nun Fehlende zu beschreiben, er aber schien sich beunruhigt zu fühlen, schaute häufig auf seine nackten Füße, die auf dem feuchten Mosaikboden des Brunnenraums standen, und deren Bekleidung er nach der Sitte seines Volkes im Vorzimmer gelassen.
Der Statthalter war den Bewegungen des alten Herrn, der die Hand oft an die Lippen führte, gefolgt und hatte einem Sklaven, während seine Gattin, Orion und die Witwe Haschim mit Fragen bestürmten, einige Worte zugeflüstert. Gleich darauf war dieser zurückgekehrt und hatte auf Befehl seines Herrn einen länglichen Teppichstreifen vor den braunen, edel, aber zart gebauten nackten Füßen des Arabers ausgebreitet.
Während dies geschah, ging in dem Wesen des Händlers eine eigentümliche Veränderung vor. Mit einer Würde, welche keiner der Anwesenden dem Mann, der das Zimmer demütig betreten und seine kostbare Ware mit beredter Beflissenheit angepriesen hatte, zugetraut haben würde, richtete er sich auf, über sein ruhig mildes Gesicht breitete sich ein zufriedener Ausdruck, um seinen Mund flog ein liebenswürdiges Lächeln, und die guten Augen glänzten feucht wie die eines Kindes, dem man eine Freude bereitet. Dann verneigte er sich vor dem Mukaukas, indem er mit den Fingerspitzen der rechten Hand Stirn, Mund und Brust berührte, um damit zu sagen: »Was ich denke, rede und empfinde, ist Dir geweiht,« und sagte: »Meinen Dank, Sohn des Menas; das war die That eines Muslim!«
»Eines Christen,« rief Orion eifrig; doch sein Vater schüttelte dazu leise das Haupt und sagte nachdrücklich und langsam:
»Nur die eines Menschen!«
»Eines Menschen,« wiederholte der Kaufherr und fuhr dann nachdenklich fort: »Eines Menschen! Ja, das ist freilich das Höchste, so lange wir sind, was wir sein sollten: Ebenbilder des einigen Gottes. Wer ist barmherziger als er, und jeder Barmherzige, den eine Mutter geboren, er gleicht ihm.«
»Wiederum ein christlicher Satz, Du seltsamer Muslim!« fiel ihm Orion ins Wort.
»Und dennoch,« versetzte Haschim mit ruhiger Würde, »entspricht er Silbe für Silbe der Lehre des besten der Menschen, unsers Propheten. Ich gehöre zu denen, die ihn gekannt haben auf Erden. Auch des Bruders kleinster Schmerz erfüllte sein weiches Herz mit freundlichem Mitleid; sein Gesetz fordert Barmherzigkeit auch für das Bäumchen am Wege, nennt es Todsünde, es zu verletzen, und jeder Muslim soll es befolgen. Barmherzigkeit üben, heißt es im Buch des Propheten...«
Hier wurde der Kaufherr plötzlich und jäh unterbrochen; denn Paula, welche bis dahin, an einen Wandpfeiler gelehnt, den Teppich betrachtet und dem Gespräche schweigend gefolgt war, hatte sich dem Araber mit zwei raschen Schritten genähert, wies nun mit geröteten Wangen und flammenden Augen empört auf ihn hin und rief mit bebender Stimme, nicht achtend der erstaunten und unwilligen Anwesenden und des Hündchens, das wüthend auf den Araber einkläffte:
»Ihr, ihr, die Bekenner des Lügenpropheten, ihr, die Genossen des Bluthundes Chalid, ihr und barmherzig! Ich kenn’ euch! Ich weiß, was ihr in Syrien verübt habt! Ich habe euch und eure blutlechzenden Weiber mit diesen Augen gesehen, und den Schaum auf ihren wütenden Lippen! Hier steh’ ich als Zeugin wider euch und rufe Dir ins Gesicht: Ihr habt in Damaskus Verträge gebrochen, und die Opfer eures Betruges — neben den Männern wehrlose Weiber und zarte Kinder — mit dem Schwerte gemordet und mit den Händen erdrosselt. Du, Du — Apostel der Barmherzigkeit, hast Du nichts von Abyla gehört? Du Freund eures Propheten, was hatten euch, die ihr den Baum am Wege so zärtlich schont, die unschuldigen Leute in Abyla gethan, daß ihr sie wie Wölfe, die in die Schafherde dringen, erwürgtet? Ihr, ihr und barmherzig!«
Dabei brach das leidenschaftliche Mädchen, dem niemand Barmherzigkeit erwies, und dem dieses Wort wie ein Hohn in die Seele gegriffen, das seit Stunden von mühsam verhaltenem, peinigendem Groll gemartert, es wie eine Erleichterung empfand, dem quälenden Weh ihrer Seele wie auch immer freien Lauf zu lassen, in ein bitteres Lachen aus und schwang die Hand über sich her, als wolle sie einen Bremsenschwarm vertreiben.
Welch ein Weib!
Orions Blicke hingen schaudernd und doch entzückt an ihr. Ja, die Mutter hatte sie richtig erkannt. So lachte kein gutes, weichherziges Mädchen; aber groß, herrlich, wundervoll war sie auch im Zorne. Sie erinnerte ihn an das Bild der Rachegöttin von der Hand des Apelles, das er in Konstantinopel gesehen. Seine Mutter schaute die Witwe mit einem Blicke des Einverständnisses achselzuckend an, aber auch sein Vater fühlte sich durch ihren Anblick beunruhigt. Dieser wußte, was sie bewegte, doch er empfand, daß er sie nicht gewähren lassen dürfe und brachte die Erregte zur Besinnung, indem er sie halb vorwurfsvoll, halb im Ton des Bedauerns erst leise und dann lauter und strenger bei Namen rief.
Da fuhr sie zusammen wie eine Nachtwandlerin, die plötzlich aus dem Halbschlummer erwacht, strich sich mit der Hand über die Augen und sagte, indem sie sich vor dem Statthalter verneigte:
»Verzeih mir, Oheim! ‘s ist mir leid, daß es so gekommen; aber es war stärker als ich. Du weißt, was hinter mir liegt, und wenn man mich daran erinnert, wenn ich gar das Lob der Schrecklichen höre, die mir Vater und Bruder...«
Hier hemmte lautes Schluchzen den Gang ihrer Rede, und die kleine Maria schmiegte sich mitweinend an sie; Orion aber mußte an sich halten, um nicht auf sie zuzueilen und sie in die Arme zu schließen. O, wie stand der Großen die weibliche Schwäche so wohl, wie zog sie ihn zu ihr hin!
Aber Paula blieb ihr nicht lange unterworfen; denn schon während der Statthalter sie mit freundlichen Worten beruhigte, ward sie Herr ihrer mächtigen Bewegung und bat leise und unter ruhig fließenden Thränen: »Laßt mich auf mein Zimmer, ich bitte!«
»Gute Nacht denn, Kind,« entgegnete der Mukaukas herzlich, und nun wandte sie sich mit einem stummen Gruß an die anderen der Thür zu, doch der Muslim hielt sie zurück und sagte: »Ich weiß, wer Du bist, edle Tochter des Thomas, und ich habe erfahren, daß Dein Bruder der Bräutigam war, der nach Abyla gekommen, um dort Hochzeit mit der Tochter des Präfekten von Tripolis zu feiern. Ach, daß ich, indem ich in meinem Geschäft die Messe bezog, es selbst erleben, selbst mit ansehen mußte, wie eine verruchte Schar der Meinen die friedliche Stadt überfiel. Armes, armes Kind! Dein Vater war der größte und wackerste unter all unseren Feinden. Ob auf Erden oder im Himmel, er ehrt gewiß unser Schwert, wie wir das seine. Aber Dein Bruder, der als Bräutigam in den Tod gesandt wurde, er hat uns sterbend verflucht, und Du bist die Erbin seines Grolles, und wenn der sich gegen mich, den Muslim, aufbäumt, so kann ich nichts thun als mich neigen und die Schuld derer mit büßen, deren Blutes ich bin und zu denen ich mich bekenne. Ich weiß nichts anzuführen, nein, nichts, edle Jungfrau, was die That von Abyla entschuldigt, und doch, nur dort ward es über mein graues Haar verhängt — glaub’ mir, Mädchen, es hat weh gethan — mich der Meinen zu schämen. Der Krieg, die Erinnerung an manchen verbluteten Freund, an leicht erplünderten Reichtum hatte die Leidenschaft entfesselt, und wo sie die Schwingen regt, sei es im Kampfe um das Mein und Dein, sei es um andere Güter, geschieht seit Kain und Abel über- und überall das Gleiche.«
Da schüttelte Paula, die dem Alten bis dahin regungslos gegenübergestanden, das Haupt und sagte herb: »Das alles gibt mir Vater und Bruder nicht wieder. Du selbst siehst aus wie ein milder Mann, doch wenn Du so gerecht bist wie gütig, so überzeuge Dich künftig erst, mit wem Du sprichst, bevor Du von der Barmherzigkeit der Deinen redest.«
Damit wiederholte sie den Nachtgruß und verließ das Gemach, und Orion ging ihr nach: was auch daraus entstand, er mußte ihr folgen. Doch nach wenigen Minuten kehrte er tief atmend und mit fest zusammengebissenen Zähnen zurück. Er hatte ihre Hand ergriffen, hatte ihr alles zu hören geben wollen, was ein liebendes Herz zu sagen vermag, doch wie scharf, wie eisig war er abgewiesen worden, und mit einer wie unerträglich verächtlichen Miene hatte sie ihm den Rücken gekehrt! Und nun er sich wieder unter den Seinen befand, hörte er kaum, wie sein Vater dem Alten sein Bedauern aussprach, daß ihm etwas so Peinliches unter seinem Dache begegnet, und wie der Araber erklärte, er finde es begreiflich, daß die Waise des Thomas außer sich geraten. Die That von Abyla sei durch nichts zu entschuldigen.
»Aber in welchem Kampfe,« fuhr der Alte fort, »kommt nicht Aehnliches vor? Auch der Christ bleibt nicht immer Herr seiner selbst; Du selbst hast ja, ich weiß es, zwei blühende Söhne verloren, und wer waren die Mörder? Christen sind es gewesen, Deine eigenen Glaubensgenossen...«
»Meines eigensten Glaubens bitterste Feinde,« versetzte der Statthalter langsam, und jede Silbe wies die Meinung des Muslim, als sei das Bekenntnis derer, die seine Kinder gemordet, auch das seine, kühl und vornehm zurück, und dabei öffneten sich seine Augen weit und gewannen das Ansehen der harten, stumpf glänzenden Steine, welche seine Vorfahren den Bildsäulen als Sehsterne in das Antlitz setzten. Dann schlossen sie sich plötzlich wieder, und er fuhr gleichgiltig fort: »Wie hoch schätzest Du den Teppich? Ich habe Lust, ihn zu kaufen. Gib den äußersten Preis an; das Feilschen ist mir zuwider.«
»Ich hatte im Sinne, fünfhunderttausend Drachmen zu fordern,« versetzte der Händler. »Mit vierhunderttausend mag er bezahlt sein.«
Die Statthaltersfrau schlug bei dieser Zahl die Hände zusammen, machte ihrem Gatten warnende Zeichen und schüttelte auch dann noch mißbilligend den Kopf, als Orion, der sich gewaltsam zusammenfaßte und zeigen wollte, daß er auch Anteil an diesem großartigen Handel nehme, sagte: »Dreihunderttausend ist er wohl wert.«
»Vierhunderttausend,« wiederholte der Händler gelassen. »Dein Vater hat den äußersten Preis zu wissen begehrt, und ich fordere nicht mehr, als gerecht ist. Die Rubinen und Granaten, welche die Traube dort bilden, die Perlen hier in den Myrten, die Türkise in den Vergißmeinnichtblüten, die Diamanten da oben, welche als Tautropfen an den Grashalmen hängen, die Smaragden, welche dem grünen Blattwerk Glanz verleihen, und ganz besonders dieser Riese unter seinesgleichen, besitzen, losgelöst, für sich allein einen höheren Wert.«
»Warum hast Du sie dann nicht aus dem Gewebe geschnitten?« fragte Frau Neforis.
»Weil es mir widerstand,« versetzte der Muslim, »dies edle Werk zu zerstören. Ich verkaufe es so, wie es ist, oder gar nicht.«
Bei diesen Worten winkte der Statthalter seinem Sohne, ohne auf die Mißbilligung zu achten, welche seine Gattin nicht aufhörte, zu erkennen zu geben, ließ sich ein Täfelchen reichen, das bei dem Schachbrett lag, schrieb einige Worte darauf und sagte, indem er es dem Händler reichte: »Wir sind handelseinig. Morgen früh leistet der Rentmeister Nilus auf diese Schrift hin die Zahlung.«
Da erfaßte Orion eine neue Bewegung, und mit dem Rufe: »Herrlich, herrlich!« stürzte er auf den Vater zu und küßte ihm stürmisch die Hand. Dann wandte er sich an die Mutter, deren Augen vor Verdruß in Thränen schwammen, hob ihr das Kinn, küßte sie auf die Stirn und rief glückselig und stolz: »So handeln wir und der Kaiser!«