Kitabı oku: «Die Nilbraut», sayfa 9
»So hätten wir denn den Verbrecher!« rief Orion und schöpfte dabei so tief Atem, als sei ihm eine Last von der Seele genommen. Dann fuhr er befehlshaberisch fort, und seine Stimme hatte dabei einen so ingrimmigen Klang, daß das Rot, welches ihm vorhin in die Wangen gestiegen, doch schwerlich der Freude über die letzte gute Botschaft ihren Ursprung verdanken konnte:
»Ist er zwei Stunden nach Mittag nicht zurück, so setzest Du ihm mit all Deinen Leuten nach und lieferst ihn ein. Der Vater stellt Dir einen Schein aus, und die Araber drüben werden Dir beistehen. Vielleicht ist der Dieb schon früher in unserer Hand und mit ihm der Smaragd, wenn es dem Schurken nicht gelingt, ihn beiseite zu bringen oder zu verkaufen!« Dann senkte er die Stimme und fuhr im Ton des Bedauerns fort. »Schad’ um den Mann! Wir haben keinen besseren Pferdekenner im Stalle! Da hast Du wieder einmal Dein Wort bestätigt, Mutter! Um gut bedient zu sein, muß man Spitzbuben kaufen!«
»Eigentlich,« versetzte Frau Neforis bedenklich, »gehört Hiram gar nicht zu unserem Gesinde. Er ist ein Freigelassener des Thomas und kam mit seiner Tochter hieher. Seine Brauchbarkeit im Stall rühmt ein jeder; ohne diesen Einbruch hätten wir ihn zeitlebens behalten; aber wär’ es dem Mädchen in den Sinn gekommen, uns zu verlassen und ihn mitzunehmen, so hätten wir ihn nicht zurückhalten können. Sagt, was ihr wollt, lästert und schmäht mich: ich habe nun einmal nichts von dem, was ihr Einbildungskraft nennt, und sehe die Dinge nackt, wie sie sind: ein gewisser Zusammenhang zwischen dem Mädchen und dem Diebe muß dennoch bestehen.«
»Du sollst endlich von diesen Thorheiten schweigen,« fuhr ihr Gatte auf, und er hätte noch mehr gesagt, wenn nicht im gleichen Augenblick der Anmelder Gehör für den jüdischen Juwelier Gamaliel erbeten hätte. Der Mann sei gekommen, um Auskunft über den verlorenen Edelstein zu erteilen.
Orion erblaßte bei dieser Nachricht und wandte sich von dem Kaufherrn ab, während der Israelit eintrat, der am letzten Abend mit den Beamten am Feuer gesessen.
Ungesäumt begann er seinen Bericht, und zwar in der ihm eigenen munteren Weise. Er war so reich, daß ihm der drohende Verlust nicht nahe genug ging, um ihm die gute Laune völlig zu verderben, und so redlich, daß es ihn freute, veruntreutes Gut dem rechtmäßigen Besitzer zurück zu erstatten. In aller Frühe, teilte er mit, sei der Bereiter Hiram bei ihm gewesen, um ihm einen wunderbar großen und schönen Smaragd zum Kauf anzubieten. Der Freigelassene habe versichert, das Juwel gehöre zur Hinterlassenschaft des berühmten Thomas, seines früheren Herrn. Es habe zu dem Hauptzeuge des Hengstes gehört, den der Held von Damaskus zuletzt geritten, und mit diesem sei es ihm zugekommen.
»Ich bot ihm,« fuhr der Mann fort, »was mir recht schien, und gab ihm als Anzahlung zweitausend Drachmen; den Rest bat er mich einstweilen in Verwahrung zu nehmen. Ich ging darauf ein, aber bald summte mir eine Fliege Verdacht ins Ohr. Da führten die Häscher die Spürhunde in die Stadt. Gott sei mir gnädig, welch ein Gekläff! Geberdet hat sich das Viehzeug, als wollt’ es mein armes Haus in Stücke bellen, wie die Posaunen vor den Mauern von Jericho, ihr wißt ja. ›Was gibt es da Neues?‹ fragte ich den Herrn Hundemeister, und sieh da, mein Verdacht war so echt gewesen wie der Smaragd, und hier, Herr Statthalter, bring’ ich das Steinchen, und weil ja jeder Säugling in Memphis schon von der Amme hört, wenn sie nicht stumm ist, ein wie gerechter Mann der große Mukaukas Georg ist, wirst Du mir wiedergeben, was ich dem stotternden Spitzbuben vorschoß. Du machst dabei immer noch ein gutes Geschäft, edler Herr; denn ich verlange für die zwei Stunden, die das Juwel mein war, nicht einmal Verpflegungsgeld oder Zinsen.«
»Her mit dem Stein!« unterbrach der Araber, den der scherzende Ton des Juden verdroß, seine Erzählung, entriß ihm den Smaragd, wog ihn in der Hand, hielt ihn dicht unter die Augen, entfernte ihn dann wieder weit von denselben, beklopfte ihn mit einem Hämmerchen, das er aus der Brusttasche zog, paßte ihn in die aus dem Teppich gerissene Stelle ein und prüfte ihn dann bald mit scharfen, bald mit bedenklichen und endlich wieder mit befriedigten Blicken.
Bei dem allen hatte Orion mehr als einmal die Farbe gewechselt, und heller Schweiß perlte ihm jetzt über das schöne, bleiche Gesicht. War hier ein Wunder geschehen? Wie konnte dieser Stein, der sich doch auf dem Weg nach Alexandria befand, in des Juden Hände gelangt sein? Oder sollte der Chusar das Paketchen geöffnet und seinen Inhalt an Hiram und durch ihn an den Juwelier verkauft haben? Er mußte klar sehen, und während der Araber den Stein untersuchte, näherte er sich dem Goldschmied und fragte: »Hast Du sicher und gewiß — es handelt sich hier um Kerker oder Freiheit — den Stein von dem syrischen Bereiter Hiram erstanden und von keinem andern? Ich meine: ist Dir der Mann so genau bekannt, daß kein Irrtum möglich?«
»Gott soll hüten!« entgegnete der Jude und trat einen Schritt von Orion zurück, der ihn mit funkelnden Augen drohend anschaute. »Wie kann der junge Herr da wohl zweifeln! Der verehrliche Vater kennt mich seit dreißig Jahren, und ich, ich sollte den Damascener nicht kennen? Wer versteht denn noch weiter in Memphis so schön zu stottern? Hat er mir nicht mit euren jungen Wüterichen von Hengsten die Hälfte meiner Kinder ums Leben gebracht? Jedes einzelne, mein’ ich, hat er mir halb, gerade halb tot gemacht vor Schrecken. Munter sind sie darum noch alle, Gott soll sie behüten, aber gesünder sind sie durch den Bereiter gerade nicht geworden; denn freie Luft thut den Kindern gut, und um seiner greulichen Kunststücke willen hat sie mein Rebeckchen, bis er wieder zu Haus war, in der Stube gehalten.«
»Gut, gut!« unterbrach ihn Orion; »und zu welcher Stunde bot er Dir den Verkauf des Smaragds an? Genau! Besinne Dich gut! Wann ist es gewesen? Du mußt es noch wissen!«
»Adonai, wie soll ich!« versetzte der Jude. »Aber warte nur, Herr, vielleicht läßt sich’s doch sagen. Bei dieser Hitze sind wir aus, bevor die Sonne hervortritt, dann wird gebetet und die Morgensuppe gegessen, dann...«
»Unnützes Gewäsch!« drängte Orion.
Doch Gamaliel fuhr fort, ohne sich irre machen zu lassen: »Dann springt die kleine Ruth mir auf den Schoß und zieht mir die weißen Härchen aus, die mir da gern auf der Nase wachsen, und wie das Kind eben dabei war und ich ›Au weh‹ schrie, hatte die Sonne gerade die Lehmbank erreicht, auf der sich das zutrug.«
»Und wann erreicht sie die Bank?« rief der Jüngling.
»Genau zwei Stunden nach Sonnenaufgang,« versetzte der Jude, »in dieser Jahreszeit nämlich. Erweise mir morgen früh die Ehre, Dich zu mir zu begeben, und es reut Dich gewiß nicht; denn Du wirst schöne Waren, bildschöne, zu sehen bekommen, — und sieh selbst nach dem Schatten!«
»Zwei Stunden nach Sonnenaufgang,« murmelte Orion leise vor sich hin und sagte sich dann mit neuem Grausen, daß er wohl vier Stunden später das Päckchen dem Chusaren anvertraut hatte. An der Aussage des Juden war nicht zu zweifeln. Dieser reiche, redliche und fröhliche Mann log nicht, und so konnte denn das von ihm versandte und das von Hiram verkaufte Juwel in keinem Falle das gleiche sein. Aber wie erklärte sich das alles? Es war um den Verstand zu verlieren! Und nicht reden dürfen, wo schon bloßes Schweigen Betrug war, Betrug gegen Vater und Mutter! Wenn der unselige Stotterer nur entwischte! Brachte man ihn ein; dann — dann, gütiger Himmel! Aber nein, es war ja nicht auszudenken! Vorwärts also, nur vorwärts! Und im äußersten Falle — hundert Stallknechtsehren wogen die eines Orion noch lange nicht auf — dann mußte der Mann, so entsetzlich es war, dann mußte er preisgegeben werden! Daß er bald wieder frei kam und ihm das Leben bewahrt blieb, dafür wollte und konnte er sorgen! —
Der Kaufherr war indessen mit seiner Untersuchung zu Ende und doch nicht zu voller Gewißheit gelangt.
Orion hätte sie gern unterbrochen; denn wenn der Kaufherr jeden Zweifel fallen ließ und den zurückgebrachten Stein für den gestohlenen anerkannte, war viel gewonnen, und so wandte er sich ihm wieder zu und sagte. »Bitte, zeige mir den Smaragd noch einmal; es ist doch wohl unmöglich, einen zweiten zu finden?«
»Das hieße zu viel behaupten,« versetzte der Araber ernst. »Dieser Stein gleicht dem aus dem Teppich aufs Haar, doch hat er hier eine kleine Erhöhung, die ich an jenem nicht wahrgenommen habe. Freilich ward er nie aus der Fassung genommen, und vielleicht hat dieser kleine Hügel auf dem Gewebe gelegen; dennoch, dennoch — He, Goldschmied, gab Dir der Dieb den Smaragd ganz nackt, ganz ohne Fassung?«
»Nackt wie Adam und Eva, bevor sie den Apfel gegessen,« versetzte der Jude.
»Schade, schade!« rief der Kaufherr. »Es ist mir auch, als wäre der Stein im Teppich ein wenig länger gewesen. In diesem Falle ist es ja beinahe thöricht und undenkbar, zu zweifeln, und doch fühl’ ich, doch frag’ ich mich: sollte dies wirklich der Stein sein, der in der Knospe gesessen?«
»Aber ums Himmels willen,« rief Orion, »der Doppelgänger eines so einzigen Juwels fällt doch nicht gleich aus der Luft in dasselbe Haus nieder! Freuen wir uns, daß das verlorene Schaf sich wieder gefunden. Ich schließe ihn jetzt in die eiserne Truhe, Vater, und sobald ihr den Räuber einfangt, werd’ ich gerufen; verstanden, Psamtik?«
Dann winkte er den Eltern zu, bot dem Araber die Hand und das in einer Weise, die jedermann wohlthun mußte und die auch den alten Herrn von neuem für ihn einnahm, und verließ das Gemach.
Des Kaufherrn Ruf war gerettet, doch der gewissenhafte Mann fühlte sich beunruhigt durch den Zweifel, dessen er nicht Herr werden konnte. Als er sich von dem Mukaukas verabschieden wollte, war dieser so tief in die Kissen zurück gesunken und hielt die Augen so fest geschlossen, daß niemand erkennen konnte, ob er wache oder schlafe, und so verließ ihn der Araber ungegrüßt, da er ihn im letzteren Falle nicht stören wollte.
Zehntes Kapitel.
Paula hatte sich nach den großen Erregungen der vergangenen Nacht mit fliegenden Pulsen auf das Lager geworfen. Der Schlaf floh sie, und so war sie mehr als zwei Stunden nach Sonnenaufgang ans Fenster getreten, um die Laden zu schließen. Dabei hatte sie ins Freie geschaut und gesehen, wie Hiram in eines der Boote des Mukaukas gesprungen war und das leichte Fahrzeug vom Lande abgestoßen hatte. Sie durfte weder rufen noch winken, aber nachdem der treue Mann in das offene Wasser gelangt war, hatte er sich umgeschaut, das Gesicht ihren Fenstern zugewandt, sie in ihrem weißen Morgengewand erkannt und das Ruder hoch und froh in die Höhe geschwungen. Das konnte nur bedeuten, daß er seine Aufgabe gelöst und ihr Kleinod verkauft habe. Jetzt fuhr er über den Nil, um den Nabbatäer zu werben.
Nachdem sie die Laden geschlossen und das Gemach verfinstert hatte, legte sie sich noch einmal nieder, und nun forderte die Jugend ihr Recht: die schwer Ermüdete verfiel in tiefen, traumlosen Schlummer.
Als sie mit perlender Stirn erwachte, war die Sonne nur noch wenig von der Mittagshöhe entfernt, fehlte nur noch eine Stunde an der Zeit des Ariston, des griechischen Frühstückes, das gemeinsam genossen wurde und dem gegen Abend die Hauptmahlzeit folgte. Sie hatte noch nie dabei gefehlt, und ihr Ausbleiben würde Aufsehen erregt haben.
Wie in allen vornehmen ägyptischen Häusern, so ging es auch in dem des Mukaukas mehr griechisch als ägyptisch zu, und dies bezog sich nicht nur auf die Mahlzeiten, sondern auch auf vieles andere, besonders auf die Sprache. Vom Hausherrn an bis zum jüngsten Mitglied der Familie redete man untereinander griechisch und nur mit den Dienstboten koptisch, die alte Landessprache, in welche freilich längst zahlreiche hellenische Lehn- und Fremdwörter eingedrungen waren.
Des Statthalters Enkelin, die hübsche zehnjährige Maria, hatte sich eher griechisch als koptisch fehlerfrei und geläufig auszudrücken gelernt, aber die schöne Sprache der Hellenen richtig zu schreiben war sie bei Paulas Ankunft noch nicht im stand gewesen. Diese liebte Kinder, sehnte sich nach Beschäftigung und hatte es darum aus freien Stücken übernommen, die Kleine in dieser Kunst zu unterrichten, und ihre Gastfreunde schienen anfänglich über diesen Dienst erfreut zu sein, aber sehr bald gewann das Verhältnis zwischen Frau Neforis und der Nichte ihres Gatten die unerfreuliche Gestalt, welche es beibehalten sollte, und nun hatte jene dem Unterricht ein Ende gemacht und als Grund für dies beleidigende Vorgehen angeführt, daß Paula ihrer Schülerin aus einem griechischen Andachtsbuche ihrer orthodoxen Konfession ganze Stücke diktirt habe. Dies war allerdings geschehen, aber ohne den geringsten Hintergedanken, und die ausgesuchten Stücke hatten nur Sätze enthalten, welche jedem Christen, gleichviel welcher Konfession, das Herz erheben konnten.
Die Kleine war über den Machtspruch der Großmutter in Thränen zerflossen, obgleich Paula die Lehrstunden sehr ernst genommen hatte, aber Maria liebte die ältere Freundin zärtlich und mit der ganzen Schwärmerei eines halberwachsenen Mädchens — so durfte man eine Zehnjährige in Aegypten nennen — die ihr leidenschaftliches Herz an eine schöne, ihr in jeder Hinsicht überlegene Jungfrau hängt, und Paulas Arme waren weit geöffnet für das Kind, welches Sonnenlicht in die düstere, frostige Lebensluft goß, die sie im Hause ihres Oheims umgab. Aber Frau Neforis sah in der feurigen Liebe des Kindes zu der melchitischen Verwandten etwas Uebertriebenes, Ungesundes, ja die Glaubenstreue der Kleinen Gefährdendes, und es kam ihr vor, als habe Maria unter dem Einfluß der Damascenerin das Herz von ihr ab- und jener um so zärtlicher zugewandt. Und dieser Eindruck schwebte nicht in der Luft; denn des Kindes ungewöhnliches Gerechtigkeitsgefühl ertrug es schwer, die Freundin verkannt, zurückgesetzt, oft laut und entschieden falsch und ungünstig beurteilt zu sehen, und so hielt Maria sich verpflichtet, so weit es an ihr lag, gut zu machen, was die Großmutter an der in ihren Augen vollkommenen Hausgenossin verschuldete.
Aber Neforis war nicht die Frau, dies Verhalten der Kleinen sich gefallen zu lassen. Sie war ihre Enkelin, ihres verstorbenen Sohnes einzige Tochter, und zwischen diese und sie sollte sich niemand stellen. So verbot sie ihr, Paula ohne einen bestimmten Auftrag auf ihrem Zimmer zu besuchen, und als eine griechische Pädagogin für das Kind angenommen worden war, empfing sie den besonderen Auftrag, ihren Zögling möglichst fern von der Damascenerin zu halten. Das alles fachte die Leidenschaft des Kindes nur an, und wie zärtlich die Großmutter es bisweilen an sich zog und so wenig Maria auch die Ergebenheit gegen sie außer Augen setzte, wollte es doch bei beiden nie zu recht gleichmäßiger Herzenswärme kommen, und daran war Paula ganz gewiß schuld, wenn auch gegen ihren Willen und durch ihr bloßes Dasein.
Offen und in hundert versteckten Andeutungen gab Frau Neforis der Nichte ihres Gatten zu fühlen, daß sie ihr die Enkelin entfremde, und so blieb Paula nichts übrig als das Kind, zu dem sie alles hinzog, von sich fern zu halten und ihm nur gelegentlich die ganze Fülle ihrer Liebe zu zeigen. Zuletzt hatte das Leben ihr so viel Harm bereitet, daß es ihr kaum mehr gelang, sich der Harmlosen harmlos wie früher hinzugeben, ein Kind mit dem Kinde zu sein, und Maria bemerkte dies wohl und schrieb Paulas verändertes Wesen dem Kummer zu, den sie über die Härte der Großmutter empfand.
Vor den Mahlzeiten konnte Maria am häufigsten bei der Freundin vorsprechen; denn dann beachtete sie niemand, und die Großmutter hatte ihr noch nicht verboten, die Freundin zu Tische zu rufen.
Ein Besuch bei ihr bot dem Kinde den größten Genuß, schon weil er ihr untersagt war, aber nicht weniger, weil Paula auf ihrem Zimmer sich ganz anders zeigte, als unter den anderen, weil sie sie dort ungestört anschauen, sie küssen und sich dabei sagen durfte, daß sie ihr gut sei. Dort erzählte sie ihr auch alles Erlaubte, das sich in ihrem kleinen Lebenskreise zutrug; doch sie zur Vertrauten einer Ungehörigkeit oder ihrer harmlosen Kinderstreiche zu machen, davon hielt das lebhafte und oft knabenhaft unternehmende Kind die Bewunderung zurück, die sie derjenigen zollte, an der ihr alles größer, edler, vornehmer vorkam als an anderen Menschen.
Wie Paula eben mit der Ordnung ihres Haares fertig geworden, klopfte Maria, die sogar in die Gemächer der Großmutter wie ein Brausewind stürzte, bescheiden an die Thür. Sie flog ihr nicht an den Hals wie der Witwe Susanna und ihrem munteren Töchterchen Katharina, sondern küßte nur ihren weißen Arm mit inbrünstiger Hingabe und errötete dann über und über vor Glückseligkeit, als Paula sich zu ihr niederbog, die Lippen auf ihr Haar und ihre Stirn drückte und ihr das feuchte, glühende Antlitz trocknete. Darauf nahm sie Marias Kopf freundlich zwischen die Hände und rief:
»Wie Du aussiehst, Wildfang!«
In der That war das hübsche, liebe Gesicht der Kleinen feuerrot und an den Augen so aufgeschwollen, als habe sie eben heftig geweint.
»Es ist so fürchterlich heiß,« versetzte Maria. »Eudoxia« — dies war ihre griechische Erzieherin — »sagt, daß Aegypten im Sommer ein feuriger Ofen sei, eine Hölle auf Erden. Sie ist ganz krank von der Hitze, liegt da wie ein Fisch auf dem Sande, und das einzige, was gut daran ist...«
»Sie hat Dich laufen lassen und Dir keine Stunden gegeben?«
Maria bejahte dies mit leisem Nicken, doch als keine Zurechtweisung erfolgte, wandte sie das Köpfchen zur Seite und schaute der Freundin mit den großen Schelmenaugen verschmitzt ins Gesicht.
»Und doch hast Du geweint, und wie! Du großes Mädchen!«
»Ich? Ich geweint?«
»Ja, geweint! An den Augen seh’ ich Dir’s an; beichte nur! Was hat es gegeben?«
»Wirst Du nicht schelten?«
»Gewiß nicht!«
»Nun denn. Erst war es so lustig, so furchtbar lustig, Du kannst Dir’s nicht denken, und die Hitze thut mir nichts an, aber als die wilde Jagd vorbei war, sollte ich zu der Großmutter, und das ward mir verboten. Im Brunnenzimmer, weißt Du, hat es ‘was Besonderes gegeben, und wie sie alle wieder draußen waren, bin ich dem Orion in das Tablinum nachgekrochen, es liegen da so wunderhübsche Sachen, und ich wollt’ ihn ein bißchen erschrecken; wir haben doch sonst immer miteinander gespaßt. Erst merkte er nichts, aber wie er sich über den Teppich beugte, aus dem sie den Edelstein stibitzt — ich glaub’, er zählte die Juwelen in dem alten, verschossenen Dinge — sprang ich ihm rasch auf die Schulter, und da hat er einen Schreck bekommen, ich sage Dir, einen Schreck! Und dann ist er aufgefahren wie ein Kampfhahn, und... und da hat er mir eine Ohrfeige gegeben, ich sage Dir, eine... es brennt hier noch immer... und es ward mir dabei ganz bunt vor den Augen. Sonst war er doch immer so nett und freundlich gegen mich, und auch mit Dir, und darum — er ist ja auch mein Oheim — darum mocht’ ich ihn gerne, aber eine Ohrfeige, eine Maulschelle, wie sie der Koch dem Jungen beim Spieße versetzt, dazu bin ich doch zu groß, das brauche ich mir nicht gefallen zu lassen. Seit meinem letzten Geburtstage müssen mich doch alle Sklaven und Beamten als Herrin behandeln und sich vor mir verneigen. Und jetzt?... Hier hat sie gesessen : . . Wie darf er?« Und nun begann sie zu weinen und fuhr schluchzend fort: »Aber damit war’s nicht genug. In das dunkle Tablinum hat er mich gesperrt und mich da...« — ihre Thränen floßen reichlicher — »da — darin sitzen lassen! Es ist so gräßlich gewesen, und da steckt’ ich vielleicht noch, wenn ich nicht ein Goldblech gefunden und mit dem Urgroßvater, ich meine das silberne Ahnenbild des Menas, darauf losgeschlagen und dazu Feuer geschrieen hätte. Das hörte der Sebek und holte den Orion, und da hat er mich freigelassen und wer weiß wie schön mit mir gethan und mich geküßt. Aber was kann mir das helfen; denn Großvater wird böse sein, ich habe ja in meiner Angst seinem seligen Vater die Nase auf dem Bleche ganz platt gehauen.«
Paula hatte dem Kinde bald ernst, bald lächelnd zugehört; doch als es schwieg, wischte sie ihm noch einmal die Augen und sagte:
»Dein Oheim ist ein Mann, mit dem Du nicht spielen darfst wie mit Deinesgleichen. Uebrigens ist der Denkzettel, den Du bekommen, immerhin etwas derb ausgefallen; aber Orion hat ja das alles wieder gut zu machen versucht. Doch die ›wilde Jagd‹, was war es mit der?«
Bei diesen Worten leuchteten Marias Augen plötzlich wieder hell auf. Im Handumdrehen war alles Schlimme, das sie erfahren, und selbst die plattgeschlagene Nase des Ahnherrn vergessen, und mit einem frohen Gelächter, das ihr aus tiefster Seele quoll, rief sie:
»Das hättest Du sehen sollen, das! Dabei wärest auch Du lustig geworden! Sie haben den Spitzbuben fangen wollen, der den Smaragd aus dem Teppich gerissen. Er hatte seine Schuhe verloren, und die wurden nun den Hunden vor die Nasen gehalten, und da brachen sie los! Erst ging es hieher an die Treppe, dann in den Stall, dann in die Wohnung eines Bereiters; ich immer hinterher, immer den Dachsen nach und den anderen Kläffern. Darauf hielten sie Rat, und zuletzt ging es zum Thore hinaus in die Stadt. Ich soll ja den Hof nicht verlassen, aber — sei mir nicht böse — es ist gar zu lustig gewesen! Zum Thore hinaus ging es, durch die Hapigasse, über den Taanchplatz und endlich in die Goldschmiedestraße, und da stürzte die ganze Bande in den Laden des Juden Gamaliel, der ein so spaßhafter Mann ist. Während er mit den anderen sprach, brachte mir seine Frau Aprikosentörtchen; bei uns gibt’s keine so guten.«
»Und haben sie den Verfolgten gefangen?« fragte Paula, auf deren Wangen bei den letzten Worten des Kindes die Farbe fortwährend gewechselt.
»Ich weiß nicht,« versetzte Maria verdutzt; »da war ja gar keiner, hinter dem es eigentlich herging. Die Hunde hatten die Nase immer an der Erde, und ihnen liefen wir nach.«
»Doch nur, um den Unglücklichen zu fangen, der gewiß mit dem Raube gar nichts zu thun hat; denke nur ein wenig nach, Maria. Die Schuhe gaben den Hunden die Witterung, und man ließ sie los, um des Mannes habhaft zu werden, der sie getragen und den noch kein Richter verhörte. Man hat sie in der Vorhalle gefunden; vielleicht ließ er sie dort zufällig liegen, oder ein anderer trug sie dahin. Versetze Dich nun in die Seele solch eines unschuldigen Menschen, eines Christen wie wir, den man mit der Meute verfolgt wie ein Raubtier. Ist das nicht schrecklich? Ein guter Mensch sollte darüber nicht lachen.«
Paula sagte dies mit so nachdrücklichem Ernst, so tief bekümmert, und ihr ganzes Wesen zeigte sich so tief und schwer beunruhigt, daß das Kind sie besorgt anblickte, mit feuchten Augen auf sie zueilte und, während es das Gesicht in ihr Gewand schmiegte, ausrief:
»Ich wußte ja nicht, daß sie einen armen Menschen hetzten, und wenn Dich das wieder so traurig macht, möcht ich gar nicht dabei gewesen sein! Aber ist’s denn auch wirklich so schlimm? Du bist so oft betrübt, wenn wir anderen lachen!« Dabei schaute sie mit den großen, feuchten Augen fragend und zweifelnd zu Paula empor, und diese zog sie fest an sich, küßte sie herzlich und versetzte dann mit wehmütiger Freundlichkeit:
»Wie gern möcht’ ich fröhlich sein wie Du; aber ich habe gar so viel erlebt, was mich betrübt macht. Lache Du und freue Dich nach Herzenslust, ich gönne Dir’s wahrlich; aber was den armen, gehetzten Mann angeht, so fürchte ich, daß er meines Vaters Freigelassener ist, der treueste, redlichste Mensch! Hat man bei Deiner fröhlichen Jagd niemand aus dem Goldschmiedladen mit fortgeführt?«
Verneinend schüttelte das Kind den Kopf und fragte:
»Dein stotternder Hiram, der Reiter ist’s, den sie verfolgen?«
»Ich fürcht’ es.«
»Ja, ja,« sagte die Kleine. »Warte nur... Es... ach Gott, es wird Dich wieder betrüben, aber ich glaube — sie sagten, die Schuhe hätten — ich gab nur nicht acht — sie hätten... Von einem Bereiter, einem Freigelassenen, einem Stotterer war immer die Rede.«
»Dann haben sie ganz gewiß einen Unschuldigen verfolgt,« rief Paula mit einem schweren Seufzer und setzte sich wieder an den Putztisch, um ihren Anzug zu vollenden.
Während ihre Hände sich regten, wie sie eben mochten, versank sie in tiefes Nachdenken, gab sie dem Kinde nur halbe Antworten und ließ es in ihrer offenen Truhe kramen, und Maria zog das seines Schmuckes beraubte Kleinod heraus und schlang es sich um den Hals.
Dabei wurde wieder an die Thür geklopft, und Katharina, das Töchterchen der Witwe Susanna, trat in das Zimmer. Das Mädchen, mit dem die Gattin des Mukaukas ihren stattlichen Sohn zu vermählen wünschte, reichte Paula kaum an die Schulter, aber es sah gar rundlich und nett aus; sauber, wie aus dem Ei geschält; und hatte dazu ein frisches, lustiges, allerliebstes Gesichtchen. Wenn sie lachte, blitzten ihre kleinen, schneeweißen, weit auseinanderstehenden Zähnchen, und ihre hellen Augen strahlten so froh in die Welt hinaus, als hätten sie dort nichts als lauter vergnügliche Dinge zu suchen oder auf harmlose Schelmenstreiche zu sinnen. Auch sie warb um Paulas Gunst, aber keineswegs mit der hingebenden, gleichmäßigen Schwärmerei Marias. Manchmal gab sie sich ihr freilich mit so stürmischer Heftigkeit hin, daß das ältere Mädchen sie abwehren mußte, dafür aber wandte sie der Damascenerin, wenn sie sich kühl von ihr behandelt oder hinter Maria zurückgesetzt glaubte, mit trotzigem Aufbegehren, Zürnen und Schmollen den Rücken. Zwar lag es in Paulas Hand, diesem »Bösesein« des »Bachstelzchens«, das gewöhnlich einen komischen Beigeschmack hatte, durch ein gütiges Wort oder einen Kuß ein Ende zu machen, doch ohne solch freundliches Entgegenkommen wäre Katharina fähig gewesen, bis an ihr Ende ihrem Groll nachzuhängen. Heute flog sie ihr an die Brust, und als Paula sie gemessener als sonst bat, sie erst ihren Anzug vollenden zu lassen, gesellte sie sich, ohne sich im geringsten empfindlich zu zeigen, zu der kleinen Maria und nahm ihr das Halsband aus der Hand, um es sich selbst umzulegen. Schön gearbeitet und mit Perlen besetzt, wie es war, gefiel es ihr vortrefflich, nur die leere Kapsel, aus der Hiram den Smaragd mit dem Messer gehoben, verunstaltete das Ganze. Aber es war doch ein königlicher Schmuck, und nachdem sie noch einen großen Wedel von Straußenfedern aus der Truhe genommen hatte, zeigte sie ihrer kleinen Freundin mit komischer, steifer Würde, wie die Kaiserin und die Prinzessinnen des Hofes sich verneigen und den Unterthanen gnädig zuwinken. Dabei gab es viel zu lachen, als aber der Anzug Paulas vollendet war und sie Katharina ersuchte, den Schmuck abzunehmen, blieb die leere, durch Hirams Messer verbogene Fassung an dem leichten Spitzengewebe ihres Oberkleides hängen. Maria hakte sie los, und die Damascenerin warf den Schmuck in die Truhe zurück.
Während sie dieselbe verschloß, fragte sie Katharina, ob ihr Orion begegnet sei.
»Orion?« wiederholte diese in einem Ton, als habe niemand außer ihr das Recht, nach ihm zu fragen. »Wir beide kamen mit einander heraus; er wollte nach den Verwundeten sehen. Hast Du ihm etwas zu sagen?«
Dabei errötete sie und blickte Paula mißtrauisch an, diese aber versetzte nichts als »Vielleicht« und rief dann, während sie die Schnur mit dem Schlüssel zur Truhe um den Hals hing:
»Kommt jetzt, ihr Mädchen, es wird Zeit zum Frühstück; ich gehe heut nicht mit hinunter.«
»Ach,« machte Maria enttäuscht; »Großvater ist sehr schwach, und Großmutter bleibt bei ihm, und kommst Du nun auch nicht, dann — dann muß ich allein mit Eudoxia essen; denn Katharinas Wagen wartet, und sie soll gleich wieder nach Hause. Ach, komm doch! Thu’s mir zu Gefallen; Du weißt nicht, wie gräßlich Eudoxia sein kann, wenn es so heiß ist.«
»Geh doch mit!« bat auch Katharina; »was willst Du überhaupt noch hier oben? Gegen Abend komm’ ich übrigens mit Mütterchen wieder.«
»Schön,« versetzte Paula, »aber ich muß erst zu den Kranken.«
»Darf ich mit?« fragte das Bachstelzchen und strich der Jungfrau schmeichlerisch über den Arm; Maria aber klatschte in die Hände und rief:
»Sie will nur zu Orion; denn dem ist sie so gut...«
Da hielt Katharina dem Kinde den Mund zu, doch als Paula sie mit schnellerem Atem bedeutet hatte, daß sie sehr ernste Dinge mit Orion zu besprechen habe, wandte ihr Katharina mit einer schnellen, trotzigen Bewegung den Rücken und ging schmollend auf die Treppe zu, während Maria sich an dem Geländer derselben heruntergleiten ließ. Noch vor wenigen Tagen wäre das kaum sechzehnjährige Bachstelzchen ihr gern auf dem nämlichen Wege gefolgt.
Paula klopfte indessen an das erste Krankenzimmer und betrat es so leise, wie die pflegende Nonne aus dem Sankt Katharinenkloster es für sie geöffnet.
Orion, den sie suchte, war hier gewesen, hatte sich aber vor kurzem wieder entfernt.
In dem ersten Gemach lag der verwundete Karawanenführer, in dem zweiten die Irrsinnige. In einem an die erste Stube grenzenden Saale, der für hohe Gäste bestimmt und darum mit fürstlicher Pracht ausgestattet war, saßen zwei Männer in tiefem Gespräch: der arabische Kaufherr und der Arzt Philippus, ein kaum mehr als dreißig Jahre alter, sehr großer, starkknochiger junger Mann, dessen Kleidung aus sauberen, aber groben Stoffen bestand und jeglichen Schmuckes entbehrte. Er hatte ein kluges bleiches Gesicht, aus dem zwei glänzend schwarze Augen wohlwollend und doch scharf und lebhaft hervorleuchteten. Seine starken Backenknochen standen viel zu weit hervor, der untere Teil seines Antlitzes war klein, häßlich, wie zusammengedrückt, während seine hohe und breite Stirn das Ganze zu einem Denkerkopf krönte, wie eine herrliche Kuppel ein wenig schönes, winziges Bauwerk.
Dieser jeder Anmut bare Mann, der dennoch bei der höchst kraftvollen Eigentümlichkeit seiner Erscheinung schwerlich, und wäre es auch in einem Kreise von bedeutenden Menschen gewesen, übersehen werden konnte, hatte sich eben lebhaft mit dem Araber unterhalten, der während ihrer zweitägigen Bekanntschaft großes und voll erwidertes Wohlgefallen an ihm gefunden hatte. Zuletzt war Orion der Gegenstand ihres Gespräches gewesen, und der Heilkünstler, ein rastloser Arbeiter, dem niemand gefiel, der müßig als Genußmensch dahinlebte, hatte ihn bei aller Anerkennung seiner glänzenden Begabung und wohl verwandten Schulzeit weit härter beurteilt als der alte Herr. Dem Arzte war jede menschliche Existenz heilig, und alles schien ihm wert der Vernichtung, was den Leib oder die Seele eines Menschen zu schädigen drohte. Ihm war bekannt, was Orion über die unglückliche Mandane gebracht, wie leichtfertig er mit den Herzen anderer Frauen gespielt hatte, und das machte ihn in seinen Augen zu einem schädlichen, strafwürdigen Mitglied der Gesellschaft. Für ihn war das Leben eine Verpflichtung, und mit Arbeit, gleichviel welcher, wenn sie nur dem Ganzen zu gute kam, löste man sie ein; aber die jungen Herren von Orions Art erkannten sie nicht nur nicht an, sondern nützten das Ganze und seine Teile aus zu niedrigen, selbstsüchtigen Zwecken. Für den alten Muslim dagegen war das Leben ein Traum, dessen schönsten Teil, die Jugendzeit, jeder mit offenen Sinnen genießen und dabei nur besorgt bleiben sollte, beim Erwachen, das mit dem Tode begann, hoffen zu dürfen, Einlaß in das Paradies zu finden. Wie wenig vermöge der Mensch gegen die eiserne Gewalt des über ihn Verhängten! Auch durch ernste Arbeit könne dies nicht abgewandt werden, es gelte nur, ihm gegenüber die rechte Stellung einzunehmen und ihm mit Würde zu begegnen. Orions Geschick habe sein Lebensschiff zu leicht belastet; bei schönem Wetter jage es dahin, wohin der Wind es treibe. Er selbst sei besorgt gewesen, es gut auszurüsten, und wenn das Schicksal es einmal schwer, recht schwer befrachte und an Klippen schleudere, dann erst werde sich zeigen, wer und was er sei; er, Haschim, glaube gewiß, daß sich dann seine Sinnesart trefflich bewähren werde. Beim Schiffbruch zeige sich, was der Mann wert sei.