Читайте только на Литрес

Kitap dosya olarak indirilemez ancak uygulamamız üzerinden veya online olarak web sitemizden okunabilir.

Kitabı oku: «Die Nilbraut», sayfa 10

Yazı tipi:

Hier fiel ihm der Arzt ins Wort, um zu beweisen, daß nicht das Schicksal der Muslimen, sondern der Mensch selbst das Lebensschiff lenke, doch Paula schaute jetzt in den Saal und unterbrach ihn.

Der Kaufherr verneigte sich ehrerbietig, Philippus achtungsvoll, doch befangener, als man es bei der Sicherheit seines Wesens hätte erwarten sollen. Er war seit Jahren ein täglicher Gast in der Statthalterei, und nachdem er Paula anfänglich geflissentlich übersehen, zog er sie, seitdem Frau Neforis ihr kühl begegnete, hervor, wo es nur anging. Die Gespräche mit ihm, deren derber, schneidiger Ton ihr anfänglich nicht zugesagt und sie oft in schwer erträglicher Weise in die Enge getrieben hatten, waren ihr längst lieb und zum Bedürfnis geworden. Sie hielten ihren Geist wach in einem Kreise, welcher sich nur mit den kleinen Ereignissen in den Familien der herabgekommenen Stadt oder dogmatischen Streitigkeiten beschäftigte; denn der Mukaukas nahm selten oder nie teil an den Gesprächen der Frauen.

Der Arzt redete mit ihr nie über Vorgänge, sondern legte ihr seine Ansichten über die Meinungen anderer, ernste Fragen des Lebens oder Bücher dar, die sie beide kannten, und wußte sie zu Erwiderungen zu reizen, denen er mit Witz und Schärfe entgegnete. Nach und nach hatte sie sich an seine kühne Denkweise und wahrhaftige, oft rücksichtslos offene Sprache gewöhnt, und das begabte Mädchen zog nun das Gespräch mit ihm jeder andern Unterredung vor, hatte sie doch erkannt, daß in diesem Denker, diesem Gefäß alles Wissens, eine wahre Kinderseele lebte und dazu eine Selbstlosigkeit ohnegleichen. Der Gattin ihres Oheims mißfiel das meiste, was sie that, und so auch ihr vertrauter Umgang mit diesem Manne, dessen äußere Erscheinung wahrlich nichts Anziehendes für ein junges Mädchen darbot. — Aber der Arzt eines vornehmen Hauses war da, um seine Mitglieder gesund zu erhalten oder um sie zu heilen, und für diese schickte es sich nicht, mit ihm wie mit einem Gleichgestellten vertrauliche Gespräche zu führen. Philippus gegenüber warf sie Paula, deren Stolz sie oft tadelte, unziemliche Herablassung vor, am meisten aber verdroß sie, daß die Damascenerin manche halbe Stunde für sich in Anspruch nahm, welche Philippus sonst ihrem Gatten, auf den und auf dessen Befinden sie alles bezog, gewidmet haben würde.

Der Araber hatte seine Widersacherin von gestern sogleich erkannt, und nachdem die freundlichste Verständigung schnell zwischen ihnen erfolgt war, und Paula eingestanden hatte, wie thöricht es von ihr gewesen sei, einen einzelnen wohlgesinnten Mann für die Vergehen eines ganzen Volkes verantwortlich zu machen, und Haschim entgegnet hatte, daß ein billig denkendes Herz immer das Rechte finde, führte sie das Gespräch auch auf ihren Vater, und der Arzt teilte dem Araber mit, daß sie immer noch nicht müde werden wolle, den Verschollenen zu suchen.

»Das ist vielmehr die einzige Aufgabe meines Lebens!« rief die Jungfrau.

»Mit Unrecht, denk’ ich,« bemerkte der Arzt; doch der Kaufherr widersprach ihm; denn es gebe Dinge, die zu kostbar wären, um sie je verloren zu geben, auch wenn die Hoffnung, sie wiederzufinden, schwank und dünn werde wie ein zerfressener Strohhalm.

»So empfind’ auch ich!« rief Paula; »und wie kannst Du, Philipp, mir widersprechen? Hab’ ich doch aus Deinem eigenen Munde gehört, daß Du Deinen Kranken gegenüber die Hoffnung nicht aufgibst, bis ihr der Tod ein Ende bereitet! Ich halte fest an der meinen, jetzt mehr denn je, und fühle, daß es so recht ist. Meinen letzten Gedanken, meinen letzten Sesterz setz’ ich daran, den Vater zu finden, auch ohne den Oheim und seine Frau, und trotz ihres Einspruches.«

»Aber eine Jungfrau kann bei dergleichen die Hilfe eines Mannes nur schwer entbehren,« erwiderte der Kaufherr. »Ich komme viel in der Welt herum, rede mit manchem Fremden aus fernen Landen, und willst Du mir die Ehre erweisen, so ernenne mich zu Deinem Gehilfen, gestatte mir, beim Suchen nach dem edlen Verlorenen Dein Bundesgenosse zu sein!«

»Dank, innigen Dank!« rief Paula und faßte mit freudiger Wärme die Hand des Muslim. »Behalte meinen Verlorenen, wohin Du auch ziehst, im Gedächtnis; ich bin ein armes, verlassenes Mädchen, aber wenn Du ihn findest...«

»So wirst Du wissen, daß es auch unter den Muslimen Männer gibt...«

»Die gern Barmherzigkeit üben und schutzlosen Frauen freundlich helfen,« unterbrach ihn Paula.

»Und, wenn der Höchste es fügt, mit gutem Erfolg,« versetzte der Araber. »Sobald ich eine Spur finde, sollst Du von mir hören, jetzt aber muß ich über den Strom zu dem Feldherrn Amr; ich gehe getrost; denn ich weiß meinen armen, braven Rustem in guten Händen, Freund Philipp! Schon in Fostat soll die erste Nachforschung beginnen, verlaß Dich darauf, meine Tochter!«

»Ich thu’ es,« versetzte Paula freudig bewegt; »wann sehen wir uns wieder?«

»Morgen, spätestens übermorgen in der Frühe.«

Da näherte sich ihm das Mädchen und flüsterte ihm zu:

»Wir haben jetzt eine Spur entdeckt, Herr; ja, ich hoffe, daß der Bote schon unterwegs ist. Hast Du noch Zeit, mich zu hören?«

»Ich müßte eigentlich schon längst jenseits der Stromes sein; heute also nicht, aber hoffentlich morgen.« Dabei reichte der Araber ihr und dem Arzt die Hand und entfernte sich schnell.

Paula blieb gedankenvoll stehen; dann kam ihr in den Sinn, daß sich der verfolgte Hiram am andern Ufer des Flusses im Bereich der arabischen Macht befinde und daß der Kaufherr vielleicht für ihn eintreten könne, wenn sie ihm alles, was sie wußte, mitteilen würde. Ein großes Vertrauen zu dem Alten, dessen gütiger, teilnehmender Blick ihr noch immer vor Augen schwebte, erfüllte sie, und ohne des Arztes weiter zu achten, eilte sie auf die Thür des ersten Krankenzimmers zu. Neben derselben hing ein Kruzifix, und die Nonne hatte sich davor auf die Kniee geworfen, um für den ungläubigen Kranken zu beten und den guten Hirten anzuflehen, sich auch des Schafes, welches nicht zu seiner Herde gehörte, zu erbarmen.

Paula wagte es nicht, die Betende zu unterbrechen, welche vor dem schmalen Ausgange kniete, und so vergingen mehrere Minuten, bis der Arzt ihre große Unruhe bemerkte, den Saal verließ, die Schulter der Nonne berührte und ihr leise und mit herzlich freundlicher Bitte zurief:

»Einen Augenblick, liebe Schwester! Dein frommes Gebet wird immer gehört, aber diese Jungfrau hat Eile.«

Die Nonne erhob sich sogleich, trat zurück und sah Paula mit einem unwilligen Blicke nach, als sie schnell hinaus und die Treppe hinunter eilte.

Vor der in den Hof führenden Pforte suchte ihr Auge den Araber, aber vergeblich. Dann fragte sie einen Sklaven und erfuhr, daß des Kaufherrn Roß lange vor der Pforte gewartet habe, daß er aber eben durch das Thor gesprengt und wohl schon auf der Schiffbrücke sei, welche Memphis mit der Insel Roda und diese mit dem Fort Babylon und dem neu entstehenden Fostat verband.

Elftes Kapitel.

Bekümmert und aufgebracht über sich selbst stieg Paula wieder die Treppe hinan. War es die Hitze des Tages, die sie erschlaffte und sie der Geistesgegenwart beraubte, die ihr zu Gebote stand. Sie begriff jetzt selbst nicht, warum sie die Gelegenheit, bei Haschim für den treuen Diener einzutreten, nicht sogleich wahrgenommen. Vielleicht hätte der Kaufherr sich Hirams annehmen können.

Der Sklave an der Pforte hatte ihr gesagt, daß man seiner noch nicht habhaft geworden sei; die Zeit, für ihn einzutreten, war also noch nicht gekommen; aber sie wollte es thun, wollte den Groll der Verwandten auf sich nehmen und, mußte es sein, alles verraten, was sie in der Nacht gesehen, um den treuen Menschen zu retten. Das war ihre Pflicht; doch bevor sie es that, bevor sie Orion so tief herabsetzte, wollte sie ihn warnen. Der Gedanke, ihn solcher ruchlosen That zeihen zu müssen, schmerzte sie wie die Notwendigkeit, sich selbst ein Leid anzuthun. Sie haßte ihn, aber sie hätte lieber das schönste Kunstwerk zerschlagen, als ihn gebrandmarkt, ihn, dessen Bild noch immer prächtig und herzgewinnend ihre Seele beherrschte.

Statt Maria beim Frühstück aufzusuchen oder sich wie sonst dem ermatteten Oheim beim Brettspiel als Partnerin anzubieten, begab sie sich wieder in das Krankenzimmer.

Frau Neforis oder Orion zu begegnen wäre ihr jetzt peinlich, ja widerwärtig gewesen. So müde und niedergedrückt hatte sie sich lange nicht gefühlt. Vielleicht bot ihr ein Gespräch mit dem Arzte einige Erfrischung. Nach den mannigfaltigen Erregungen der letzten Stunden verlangte sie nach etwas, was es auch sei, das sie aufzumuntern und sie auf neue Gedanken zu bringen verhieß.

In dem ersten Krankenzimmer fragte die Nonne sie kühl nach ihrem Begehr, und wer ihr gestattet, an der Pflege teilzunehmen. Da wandte sich der Arzt, welcher eben den Verband auf dem Kopf des Masdakiten neu angefeuchtet, der Klosterfrau zu und bedeutete sie bestimmt, daß er die Jungfrau zur Gehilfin zu haben wünsche, und zwar bei der Behandlung beider Kranken.

Darauf ging er Paula in den Saal voran und rief ihr mit gedämpfter Stimme zu:

»Fürs erste wäre alles in Ordnung. Setzen wir uns hier ein wenig!«

Da nahm sie auf dem Diwan, er auf einem Sessel, der ihr gegenüber stand, Platz, und Philippus hub an: »Du hast vorhin den schönen Orion gesucht, jetzt aber mußt Du...«

»Was?« fragte sie ernst. »Und daß Du es wissest: der Sohn dieses Hauses steht mir nicht näher als seine Mutter. Mit Deinem ›der schöne Orion‹ sollte etwas gesagt sein, was ich nicht wieder hören möchte. Ich muß ihn übrigens auch jetzt noch in einer wichtigen Angelegenheit sprechen.«

»Was schafft mir dann die Freude, Dich hier wieder zu sehen? Ehrlich gestanden, hatt’ ich nicht auf Deine Rückkehr gehofft.«

»Und warum nicht?«

»Erlaß mir die Antwort. Die Menschen hören nicht gern unliebsame Dinge. Hält unsereins jemand für nicht völlig gesund...«

»Wenn das auf mich gehen soll,« versetzte das Mädchen, »kann ich Dir sagen: das Einzige, was mir an mir noch gefällt, ist gerade meine Gesundheit. Sprich Dich nur aus. Sag meinetwegen das Schlimmste. Ich brauch’ heut etwas, das mich aus der Erschlaffung herausreißt, selbst wenn es mich aufbringt.«

»Gut denn,« entgegnete Philipp, »doch ich begebe mich da in ein gefährliches Wasser. — Um die Gesundheit — was die Leute so nennen — kann jeder Fisch Dich beneiden, aber die höhere Gesundheit, die der Seele, mit der kannst Du, fürcht’ ich, nicht prahlen.«

»Das fängt bedenklich an,« erwiderte das Mädchen. »Aus Deinem Vorwurf scheint hervorzugehen, daß ich Dir oder irgend einem andern unrecht gethan habe.«

»Hättest Du’s doch!« rief der Arzt. »Nichts, gar nichts ist uns von Deiner Seite begegnet. Ich bin, der ich bin, denkst Du von Dir selbst, und was sind Dir die anderen?«

»Es fragt sich, was Du unter diesen ›anderen‹ verstehst.«

»Nicht weniger als alle, die Dich hier im Hause, in dieser Stadt, auf dieser Welt gegenwärtig umgeben. Sie sind Luft für Dich und weniger als das; denn die Luft ist ein Körper, dessen Kraft Segel füllt und Schiffe gegen den Strom treibt, dessen wechselnde Natur auf das Wohl oder Uebelbefinden des Körpers einwirkt...«

»Meine Welt ist hier drinnen,« versetzte Paula und legte die Hand auf das Herz.

»Ganz recht. Die ganze Kreatur hätte auch Platz da; denn was man gemeinhin ein Menschenherz nennt, wie viel kann es umfassen! Je mehr man ihm in sich zu schließen zumutet, desto williger nimmt es alles auf. Gefährlich ist’s, das Schloß daran rosten zu lassen; denn sobald das geschehen ist, und man will es öffnen, hilft kein Ziehen und Zerren. Und dann... aber ich will Dich nicht verletzen... Du hast Dich gewöhnt, immer nur rückwärts zu schauen...«

»Was liegt denn Erfreuliches vor mir? Dein Tadel ist hart, und dabei wenig gerecht. Woher weißt Du überhaupt, wohin ich schaue?«

»Weil ich Dir mit den Blicken des Freundes gefolgt bin. Wahrlich, Paula, Du hast verlernt, um Dich her und vorwärts zu sehen. Was hinter Dir liegt, was Dir verloren ging, das ist Deine Welt. Ich habe Dir einmal auf einer bröckeligen Papyrusrolle meines alten Pflegevaters Horus Apollo einen heidnischen Dämon gezeigt, der vorwärts schreitet, während ihm der Kopf so auf dem Halse sitzt, daß das ganze Gesicht und die Augen rückwärts schauen.«

»Ich erinnere mich wohl.«

»Nun, solch einem Dämon gleichst Du schon lange. Alles fließt, sagt Heraklit, und Du bist gezwungen, mit dem großen Strom vorwärts zu schwimmen, oder ändern wir das Bild, Du mußt auf der Landstraße des Lebens vorwärts, dem allgemeinen Ziele entgegenschreiten; doch Dein Auge blickt dabei nach hinten, wo es sich an einem schönen, reichen Vaterhaus, vieler Liebe und Zärtlichkeit, großen und freundlichen Gestalten, einem glücklichen, aber leider vergangenen Dasein weidet. Dabei schreitest Du weiter, und was muß nun erfolgen?«

»Daß ich stolpere, denkst Du, und falle...«

Paula hatten die Vorwürfe des Arztes um so schärfer getroffen, je weniger sie sich verhehlen konnte, daß sie viel Wahres enthielten. Sie war gekommen, um sich aufmuntern zu lassen, aber nun trübten ihr diese Anklagen selbst das Gefühl der Gesundheit. Warum ließ sie sich von diesem keineswegs betagten Manne ins Gebet nehmen wie eine Schülerin? Ging das so fort, so sollte er zu hören bekommen... Aber schon erfolgte seine Antwort, und sie erfrischte sie wieder und bestärkte ihre Ueberzeugung, daß er ihr wahrer, wohlmeinender Freund sei.

»Das vielleicht nicht,« lautete seine Entgegnung, »weil — weil — nun, die Schickung hat Dich eben mit dem schönsten Gleichmaß gesegnet, und als eines Helden Tochter bewegst Du Dich selbstbewußt vorwärts. Vergessen wir nicht, daß ich von Deiner Seele rede, auch sie erhält ihr angeborener, vornehmer Sinn unter so vielem Kleinen und Niedrigen aufrecht.«

»Warum brauch’ ich mich dann vor dem Rückwärtsschauen, das mir wohl thut, zu fürchten?« unterbrach sie ihn lebhaft und blickte ihm neu ermuntert ins Antlitz.

»Weil Du dabei den anderen leicht auf den Fuß trittst! Das thut weh, sie werden Dir gram, sie lernen Dir, die Du liebenswerter bist als sie alle, sie lernen Dir grollen!«

»Mit Unrecht, denn ich bin mir bewußt, so lange ich lebe keinen Menschen geflissentlich betrübt oder beleidigt zu haben.«

»Ich weiß; aber unbewußt ist es tausendmal geschehen.«

»So war’ es am besten, ich flöhe sie gänzlich.«

»Nein, tausendmal nein! Wer sich von den anderen zurückzieht und sich der Einsamkeit ergibt, denkt etwas Großes zu thun, und sich über ein Dasein zu stellen, das er verachtet. Aber forsche nur näher nach: der Eigennutz, die Selbstliebe treibt ihn in die Höhle und Klause; in jedem Falle vernachlässigt er, um das zu erringen, was er für sein Heil hält, die höchsten Pflichten gegen die Menschheit, oder sagen wir nur gegen die Gesellschaft, zu der wir gehören. Sie ist ein großer Körper, und jeder Einzelmensch soll sich als Glied desselben betrachten, ihm dienlich und nützlich zu sein suchen und sogar, wo es not thut, sich bereit zeigen, ihm Opfer zu bringen. Die schwersten sind nicht zu schwer. Aber wer sich auf sich selbst stellt, aber Du — nein, bitte, höre mich zu Ende; denn ich wage es vielleicht nicht zum zweitenmal, mich der Gefahr auszusetzen, Dich zu erzürnen — Du willst ein Körper für Dich sein. Was Paula erlebt und besessen, das hält sie im Schatzhause ihrer Erinnerungen hinter Schloß und Riegel versteckt. Was Paula ist, das meint sie eben sein zu müssen, und wofür? Wieder nur für dieselbe Paula. Sie hat großes Leid erfahren, und davon lebt ihre Seele; aber diese Kost ist verwerflich, ist ungesund und schlecht!«

Da wollte sie sich erheben, er aber beugte sich, ganz Eifer und voll überzeugt, sich nicht unterbrechen lassen zu dürfen, ihr entgegen, berührte flüchtig ihren Arm, als wollte er sie auf dem Diwan festhalten und fuhr unbeirrt fort:

»Du nährst Dich von altem Leid! Recht schön! Hundertmal hab’ ich’s gesehen: der Schmerz kann veredeln. Er kann wackere Seelen befähigen, anderer Weh tiefer zu empfinden, er kann in ihnen die Sehnsucht wecken, anderer Leiden mit schöner Opferfreude zu lindern. Wer Schmerz und Unlust kennt, der genießt Wohlsein und Lust mit doppelter Freude; der Leidende lernt auch die kleinen Güter des Lebens mit Dank genießen. Aber Du? Schon lange hab’ ich nach Mut gerungen, es Dir zu sagen, doch Du ziehst aus dem Schmerz keinen Nutzen, weil Du ihn in Dich verschließest wie kostbaren Samen, den man in einer silbernen Kapsel mit sich herum trägt. In die Erde soll man ihn senken, damit er aufkeimt und Frucht trägt! Doch ich will ja nicht tadeln, ich möchte nur raten, raten als Dein treuster, ergebenster Freund! Lerne Dich doch als Glied des Körpers fühlen, dem das Schicksal Dich hier nun einmal beigesellt hat, mag er Dir gefallen oder auch nicht. Denke darauf, ihm zu gewähren, was Deine Befähigung ihm zuzuführen gestattet. Du wirst es finden, es wird Dir gelingen, ihm etwas zu sein, und gleich öffnet sich die Kapsel, und mit Erstaunen und Freude nimmst Du wahr, daß der Samen, den Du auf die Erde streust, aufgeht, daß sich Blüten entfalten und Früchte bilden, aus denen sich Brot gewinnen läßt oder Arznei für Dich und für andere! Dann lässest Du, wie es in der Bibel heißt, die Toten ihre Toten begraben und widmest den Lebenden die reichen Kräfte und schönen Gaben, welche sich von einem hohen Vater und einer edlen Mutter, ja von einer hervorragenden Ahnenreihe auf die würdige Enkelin vererbt haben. Dann wirst Du zurück erlangen, was Du verloren: die Freude am Dasein, das wir genießen und ausbeuten sollen, weil es eine Verpflichtung in sich schließt, der nachzukommen uns nur ein einzigesmal gewährt wird. Vor Hunderttausenden hat Dich eine freundliche Schickung gebildet, um geliebt zu werden, und vergissest Du nicht des Dankes, den Du ihr dafür schuldest, dann werden die Herzen, die sich vor dem Baume, der sich künstlich mit abwehrenden Stacheln besetzt hat, der die Zweige hängen läßt, wie die Trauerweiden am Nil, sich Dir zuwenden, und Du wirst ein neues, schöneres, beglücktes und beglückendes Leben führen. Aus dem öden, reizlosen Dasein, das Du hier zu keines Menschen und am letzten zu Deiner eigenen Freude hinschleppst, wirst Du — es steht in Deiner Macht — ein fruchtbringendes, befriedigendes, heilsames und beglückendes Atmen und Handeln im Lichte machen können. Wenn Du hergekommen bist, um die beklagenswerte Kranke zu pflegen, dann hast Du schon den ersten Schritt gethan auf dem neuen Wege, den ich Dir zu Deinem wahren Glück weisen möchte. Ich hatte Dich hier nicht erwartet, und ich bin dankbar für Dein Kommen, weil ich weiß, daß der Eintritt in diese Thür Dich auf den Weg zu neu erwachendem Wohlsein stellen kann, wenn Du den Willen hast, ihn zu beschreiten. Gott Lob, da wär’ es heraus!«

Dabei erhob sich der Arzt, und während er die perlende Stirn trocknete, schaute er ängstlich auf Paula, die tief atmend und so verwirrt und unschlüssig, wie er sie noch nie gesehen, auf ihrem Platze verblieben war. Sie hielt die Stirn in der Hand und blickte, als suche sie einen Schmerz zu verbeißen, schweigend in den Schoß.

Da schlug der junge Mann die Arme zusammen wie ein Arbeiter, wenn ihm in kalter Winterszeit die Hände erstarren, und rief schmerzlich bewegt. »Ja, gesprochen hätt’ ich, und daß es geschehen ist, darf mich nicht reuen; aber was ich voraussah, das trifft nun ein: um die beste Freude, die mir mein Alltagsleben versüßt, werde ich kommen! ‘s ist ein schönes Gebot, Plato zu lieben, aber mehr noch als Plato die Wahrheit; doch wer es übt, muß eben darauf gefaßt sein, daß diese Wahrheit die Freunde aus der unbequemen Nähe des armen Wahrheitsapostels fortscheucht.«

Da erhob sich Paula und streckte, gehorsam dem Antrieb ihres braven Herzens, dem Arzte die Rechte herzlich entgegen; er aber ergriff sie mit beiden Händen, drückte sie so stark, daß es dem Mädchen fast weh that, und rief mit feuchten, strahlenden Augen: »Das hab’ ich gehofft, das ist schön, das ist edel! Dürft’ ich doch Dein Bruder sein, Du herrliches Mädchen! Komm jetzt! Wenn unter einer Hand, so kann das arme, irrsinnige, todeswunde, schöne Geschöpf dort unter der Deinen genesen!«

»Ich komme,« entgegnete sie warm, und es lag etwas Gesundes und Heiteres in ihrem Wesen, wie sie auf das Krankenzimmer zuschritt; doch mitten auf dem Wege veränderte sich der Ausdruck ihrer Züge und nachdenklich erhob sie die Frage: »Angenommen, wir stellten die Unglückliche her; wozu würd’ es ihr gut sein?«

»Dazu, daß sie atmet und das Sonnenlicht schaut,« versetzte der Arzt, »daß sie Dir dankbar sein und endlich wieder für das Ganze thun kann, was sie vermag, daß sie — alles in allem — daß sie lebt, lebt; denn das Leben — fühl es, empfind es mir nach — das Leben ist dennoch das Höchste!«

Paula schaute dem begeisterten Manne erstaunt in das mißgestaltete Antlitz.

Wie freudig es strahlte!

Niemand hätte ihm in dieser Stunde nachsagen dürfen, daß es unschön sei und des Reizes entbehre!

Er glaubte an das, was er mit so warmer Empfindung gerufen, und doch widersprach es der Ansicht, die er noch gestern gehegt und so häufig verteidigt hatte, daß das Leben an sich ein elendes Ding sei für jeden, der es nicht mit eigener Kraft zu erfassen und etwas Rechtes daraus zu machen verstehe. In diesem Augenblick war es ihm wirklich das Höchste.

Paula schritt ihm voran, und sein Auge hing an ihr wie das der frommen Wallfahrer an dem Heiligenbilde, zu dem er mit wundem Fuß über Berge und Meere gepilgert.

Jetzt nahten sie sich dem Bette der Kranken. Die Nonne trat vor ihnen zurück und machte sich ihre eigenen Gedanken über des Arztes verändertes Wesen und die glückselige, kindliche Heiterkeit, mit der er Paula erklärte, worin die Gefahr für die Verwundete liege, welchen Feldzugsplan er entworfen, um das arme Wesen zu retten, wie die Umschläge zu machen, die Medikamente einzuflößen und wie nötig es sei, so lang das Fieber anhalte, auf die Wahnvorstellungen der Irrsinnigen einzugehen und sie zu behandeln, als wären sie verständige Gedanken.

Endlich mußte er sich entfernen, um nach anderen Leidenden zu sehen, Paula aber blieb an dem Kopfende des Krankenbettes sitzen und blickte der Unglücklichen ins Antlitz.

Wie schön es war!

Und diese Rose hatte Orion als Knospe gebrochen und schmählich zertreten! Sie hatte wohl das Gleiche für ihn empfunden wie sie. Und jetzt? Ob sie nichts mehr für ihn fühlte als Haß, oder ob ihr Herz, wie das ihre, bei allem Groll, bei aller Verachtung sich doch nicht ganz frei machen konnte von dem Zauber, mit dem er es einmal umstrickt?

Aber was waren das für schwächliche Gefühle? Seine Feindin wollte und mußte sie sein!

Und nun schaute sie nachdenklich auf das müßige und haltlose Leben zurück, das sie nun schon seit Jahren führte. Die Rede des Arztes hatte das Rechte getroffen, ja sie war eher zu milde als zu streng gewesen. Ja, sie wollte ihre Kraft nützlich zu verwenden beginnen; aber wie, in welcher Weise, hier und unter diesen Menschen? Wie verklärt der arme Philippus drein geschaut hatte, da sie ihm die Hand geboten, wie gewaltig seine Rede dahingerauscht war!

»Wie falsch,« dachte sie, »ist doch das Wort, der Leib sei der Spiegel der Seele. Träfe es zu, so müßte Philippus wohl aussehen wie Orion, Orion wie Philippus.« Aber konnte denn des ersteren Herz ganz verderbt sein? Es war ja nicht möglich, und alles, was in ihr war, sträubte sich, es zu glauben. Ihn mußte sie lieben oder hassen, es blieb kein Mittelweg übrig, aber noch rangen und stritten beide Empfindungen in unerträglicher Weise miteinander.

Der Arzt wünschte ihr ein Bruder zu sein, und bei dem Gedanken daran mußte sie lächeln. Ruhig und zufrieden hätte sie vielleicht mit ihm, ihrer Betta und seinem alten, gelehrten Freunde und Hausgenossen, von dem er ihr oft erzählt hatte, zusammen hausen, seinen Studien folgen, ihm in seinem Berufe helfen und mit ihm viele wissenswerte Dinge besprechen können. Solch ein Leben, sagte sie sich, würde dem in der Nähe der Frau Neforis tausendmal vorzuziehen sein.

Einen Freund hatte sie sicher in ihm gefunden, und daß sie ihn als solchen gern anerkennen mochte, darin lag doch schon die erste Erfüllung seiner Verheißung; denn es zeigte, daß ihr Herz noch immer bereit war, sich einem andern freundlich zu nähern.

Zwischen all diese Erwägungen trat immerfort die Besorgnis um den bedrohten Hiram, und dabei fiel es ihr auf die Seele, daß wenn es zwischen ihr und Orion zum Aeußersten kam, es auch aus war mit ihrem Aufenthalt in der Statthalterei. Wie oft hatte sie nichts wärmer ersehnt, als sie verlassen zu dürfen, aber heute bangte ihr davor; denn die Trennung von dem Oheim bedeutete zugleich die von seinem Sohne. Sie haßte ihn, aber ihn ganz aus den Augen zu verlieren, das war dennoch schwer zu ertragen.

Philipp zu folgen, um ihm wie eine Schwester nahe zu bleiben: es ging ja nicht an, und es kam ihr vor wie etwas Undenkbares, wunderlich Verkehrtes.

Unter all diesen Erwägungen lauschte sie auf den Atem der Kranken und behandelte sie nach der Vorschrift des Arztes, dessen Wiederkehr sie ersehnte; doch statt seiner trat die Nonne an das Bett, legte der Kranken die Hand auf die Stirn, fühlte ihr den Puls und flüsterte ihr, ohne Paulas zu achten, freundlich zu: »Recht so, Kind, nur schlafen, immer hübsch schlafen! Wo sie die Ruhe nur her hat; wenn’s doch so bliebe! Der Kopf ist kühler geworden; das nennt Philippus gewiß kaum mehr Fieber! Gott sei gedankt! Die schlimmste Gefahr ist vorüber.«

»O, wie das mich freut!« rief das Mädchen, und in diesen Worten lag so viel Aufrichtigkeit und Wärme, daß die Nonne ihr zunickte und ihr von nun ab die Kranke beruhigt und gern überließ.

Lange hatte Paula sich nicht so glücklich gefühlt. Es kam ihr auch vor, als sei ihre Anwesenheit von guter Wirkung für die Kranke, als sei Mandane schon durch ihre kurze Pflege an die Schwelle eines neuen Lebens gelangt. Paula, die sich noch vor kurzem für ein vom Schicksal verfolgtes Wesen gehalten, atmete auf in dem Gedanken, daß sie auch Glück bringen könne. Heiter und mit wahrer Zärtlichkeit sah sie Mandane in das mehr als hübsche Gesicht, schob sie die Binde, welche sich etwas verschoben, sorgsam über ihre verstümmelten Ohren, hauchte sie einen leisen Kuß auf ihre langen, seidenen Wimpern.

Der verständigen Nonne begann die Damascenerin mehr und mehr zu gefallen, und als die Stunde des Gebets für sie wiederkehrte, schloß sie Paula, die Waise im fremden Hause, die durch Gottes unerforschlichen Ratschluß außerhalb ihres selig machenden Glaubens geborene Griechin, mit darin ein.

Endlich kehrte Philippus zurück, freute sich des heiteren Aussehens seiner neuen Freundin und bestätigte, daß Mandane unter ihrer Hand die erste, schwerste Gefahr bestanden und alle Anwartschaft habe, langsam, aber hoffentlich ganz zu genesen.

Nachdem Paula den Umschlag erneuert hatte, wobei er ihr geflissentlich freie Hand ließ, sagte er heiter: »Wie schnell Du Deine Sache gelernt hast! Da schläft das Mädchen schon wieder; die Schwester wacht, und wir können unserer Patientin augenblicklich nicht dienen; denn Schlummer ist für sie die allerbeste Kost. Bei uns beiden, wenigstens bei mir, steht es anders. Auf die große Mahlzeit haben wir noch zwei Stunden zu warten, mein Frühstück steht da drüben noch unberührt, und mit dem Deinen ist es wohl ähnlich gegangen; so sei denn mein Gast. Sie schicken immer so viel, daß man sechs Schiffszieher damit sättigen könnte.«

Dieser Vorschlag war Paula genehm; denn der Hunger hatte sich schon längst bei ihr gemeldet. Die Nonne ward beauftragt, schnell noch einige Teller zu holen, an Pokalen fehlte es ohnehin nicht, und so saßen die neuen Freunde denn bald speisend einander gegenüber, jeder an seinem Tischchen.

Er zerschnitt die Ente und die gebratenen Wachteln, legte ihr den Salat und die dampfenden Artischocken vor, welche die Nonne auf Wunsch des Koches, dem der Arzt sein einziges Knäblein gerettet, mit heraufgebracht hatte, wies auf die kleinen Pastetchen, die Früchte und Kuchen, welche sonst noch da waren, spielte den Mundschenk, und während sie sich’s wacker schmecken ließen, verwickelten sie sich in ein lebhaftes Gespräch.

Paula erkundigte sich heut zum erstenmal nach der Jugendzeit des Philippus, und er begann mit einer Darstellung seines jetzigen Lebens, das er mit dem alten wunderlichen Isisdiener und Forscher Horus Apollo teilte, schilderte seine angestrengte Thätigkeit bei Tage und sein stilles Studium bei Nacht, und wußte das alles so ergötzlich auszuschmücken, daß sie oft hell auflachen mußte. Aber bald wurde er wehmütig und teilte ihr mit, wie früh er Vater und Mutter verloren und ganz auf sich und ein winziges ererbtes Vermögen gestellt, ohne Verwandte — denn sein Vater war ein aus Athen nach Alexandria berufener Grammatiker gewesen — der Notwendigkeit gegenüber gestanden habe, sich den Weg durchs Leben zu bahnen, das sich ihm wie ein verwachsenes Papyrus- und Schilfrohrdickicht entgegengestellt habe. Jede Stunde seines Daseins sei ausgefüllt mit Arbeit gewesen, und einem garstigen, aufrichtigen Goliath wie ihm werde es niemals leicht, fördernde Gönner zu finden. Auf den hohen Schulen Alexandrias, Athens und Cäsareas habe er durch Unterrichterteilen und die Bereitung von Medikamenten aus selbstgesuchten Pflanzen, das Dasein mit Wasser statt Wein, mit Brot und Früchten statt mit Wachteln und Pastetchen gefristet und dennoch manchen guten Freund gefunden, aber eine Freundin zu gewinnen, das sei schwer mit einem Gesicht wie dem seinen.

»So wäre ich also die erste?« fragte Paula, welche tiefe Achtung vor dem Manne empfand, der sich mit eigener Kraft zu der bevorzugten Stellung heraufgerungen hatte, die er längst nicht nur in Memphis, sondern unter allen ägyptischen Heilkünstlern einnahm.

Er nickte bejahend und mit einem so glückseligen Lächeln, daß es ihr war, als fiele ihr ein Sonnenstrahl gerade in die Seele.

Er bemerkte es sogleich, hob den Becher, trank ihr zu und rief mit glühenden Wangen: »Was anderen früh zu teil wird, hab’ ich später erworben, aber dafür ist es auch eine Freundin ohnegleichen geworden.«

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
820 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre