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Kitabı oku: «Die Herrin und ihr Knecht», sayfa 22

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»Meine Gedanken richten sich im Moment ganz nach Ihren Befehlen.«

Maria Geschowa maß den Sprecher eine kleine Weile vorüberstreifend von der Seite. Dann machte sie eine ungeduldige Handbewegung.

»Gut, gut, Sie bleiben ein Schmeichler, ganz anders, wie sonst die Deutschen. Zur Belohnung dürfen Sie sich auch ausmalen, wie meine Audienz beim Gouverneur zu der unwahrscheinlich frühen Morgenstunde verlief. Ich habe mich zu diesem Zweck so schön wie möglich gemacht, und meine, ich dürfte seiner Tatiana eine bekümmerte Stunde bereitet haben. Das ist natürlich alles lächerlich. Aber Sie sollen ja ein großer Frauenkenner sein und bilden sich nun natürlich ein, dies alles geschah, weil eine gefallsüchtige Frau Ihr Interesse erregen wollte, nicht wahr? Gott, wir Russinnen besitzen ja keinen Charakter.«

Sie wartete seinen höflichen Widerspruch nicht erst ab, sondern streifte mit dem Finger wieder sehr eindringlich seine Brust.

»Rudolf Bark,« sprach sie rasch weiter, »vielleicht trifft Ihre Ansicht zu. Vielleicht aber leitete mich auch nur der Wunsch, der Opposition, dem Mißfallen an dem meisten, was jetzt um uns herum geschieht, Ausdruck zu geben. Sie müssen wissen, es gibt noch immer Leute bei uns, denen dieses widerliche Blutparfüm, das jetzt allem anhaftet, die Nerven verwirrt. Menschen, die lieber auf den Galgen klettern, als daß sie sich noch tiefer in eine blutige Nacht hereintreiben lassen. Vielleicht gehöre ich dazu, vielleicht auch nicht. Wissen Sie übrigens,« sprang sie plötzlich ab, und um ihren Mund spielte ein flackernd überreizter Zug, »wissen Sie übrigens, daß der kleine Bergbaustudent Diamantow gleich zu Anfang der Feindseligkeiten kriegsgerichtlich und ohne viel Federlesens erschossen wurde? Hochverräterische Umtriebe warf man ihm vor. Seine Seele haßte den Krieg glühend und hielt ihn für die höllische Lüge, die immer wieder die Völker betrügt. Er war ein Jude,« setzte die Tatarin in ihrer sprunghaften Stimmung hinzu und blickte gedankenverloren zu Boden, »ein schöner Schwärmer und hatte deshalb etwas von dem Erlöser an sich. Unsere Erde ist voll von solchen Herzen, die noch dort unten im Grabe in brüderlicher Liebe schlagen.«

Eine Pause trat ein. Maria Geschowa begab sich mit träumerisch gesenktem Haupt zu ihrem Schaukelstuhl zurück, wo sie sich leise zu wiegen begann. Die Sonnenstrahlen, die durch die Gardinen des Fensters fielen, huschten, der Bewegung angeschmiegt, bald über ihre Stirn sowie über die halb geschlossenen Augen, um gleich darauf wieder dem nachspülenden Schatten zu weichen. Die beiden Deutschen aber warteten in beklommener Spannung ab, was die schöne Frau ihnen noch weiter zu verkünden haben würde. Denn bei der klaren und tatkräftigen Art der Russin blieb es ausgeschlossen, daß sie nur gekommen sein sollte, um sich an einem absonderlichen Gespräch zu ergötzen. Und richtig, plötzlich erwachte die Tatarin, dehnte ihre Glieder, und während sie einen schnellen Blick auf ihre goldene Armbanduhr gleiten ließ, da brach sie in ein fast unhörbares Lachen aus. Rudolf Bark meinte, er hätte noch nie eine so nach innen klingende Heiterkeit vernommen. Sein Gehör wiegte sich in der Vorstellung, als würden hier winzige goldene Kugeln in einen Glasbecher geworfen.

»Wahrhaftig,« winkte nun die junge Frau den Konsul auf einen Stuhl an ihrer Seite nieder, »die paar Minuten, die man mir für meinen Besuch bei Ihnen gestattete, sind bald vorüber, und wir philosophieren. Was werden Sie denken, lieber Freund? Bitte, setzen Sie sich zu mir. Unbesorgt, ich tue Ihnen nichts. Sie sind also der Ritter dieser jungen Dame geworden, Rudolf Bark? Wie alt ist sie?«

Ein wenig verletzt verzog der Angeredete, der inzwischen ihren Befehl befolgt hatte, die Stirn. Der Ton der Russin gefiel ihm nicht, und er dachte an seine gereiften Jahre. Statt seiner jedoch übernahm Isa, die unauffällig am Tisch stehen geblieben war, die Beantwortung. Nichts schien darauf hinzudeuten, als ob die Kleine das lebhafte Interesse der fremden Dame für den Konsul begriff oder gar einer Beurteilung zu unterziehen wagte. Nur Ehrerbietung und Zurückhaltung atmete ihr Ton, als sie liebenswürdig erwiderte:

»Ich bin achtzehn Jahre, gnädige Frau.«

»So, so,« versetzte die Russin gleichgültig. »Es ist gut, mein Kind. Ich hätte Sie für älter gehalten.« Und ohne jede Befangenheit die Hand des Mannes streichelnd, sprach sie angeregt weiter: »Rudolf Bark, Sie denken doch jetzt über nichts anderes nach, als wie Sie den Folgen Ihres Ritterdienstes, die Sie in Mariampol oder wo anders erwarten, entgehen können? Nicht wahr? Nein, leugnen Sie nicht, es kleidet Sie nicht, würde Ihnen auch nichts nützen.«

Da meldete es sich wieder, dieses spitze Einbohren in die Gedanken eines anderen, das zu den eigentümlichsten Gaben von Maria Geschowa gehörte. Und obwohl der Konsul erschrak, weil er nicht wußte, ob hier auch seinerseits eine rückhaltlose Offenheit am Platz wäre, so hielt er es doch für geboten, seinen raffinierten Besuch nicht völlig zu täuschen.

»Maria Geschowa,« sagte er deshalb nach einiger Zeit vorsichtig tastend, »sollte die Gattin des Obersten Geschow derartige Pläne – immer vorausgesetzt, daß sie wirklich existieren –«

Die Russin wiegte sich lässig und schlug mit der Hand nach ihm: »Sie existieren,« lächelte sie eindringlich und verstohlen.

»Sollte die Gattin des Obersten Geschow wirklich ganz gefahrlos und ohne sich etwas zu vergeben, die Mitwisserin solcher Geheimnisse werden können?«

»Ah so!« Unvermittelt hielt der Stuhl in seiner Schaukelbewegung inne, und ein paar große Augen, die sich langsam mit Zorn füllten, hefteten sich eine Sekunde gereizt auf den um sein Schicksal besorgten Kaufmann. Gleich darauf jedoch stieß Maria Geschowa ihren Sitz zurück und strich sich wie in tiefem Besinnen mit der behandschuhten Rechten über die Stirn. »Verzeihen Sie, verzeihen Sie,« sprach sie sich mühsam wiederfindend. »Wie wunderbar klug und besorgt Sie sind, Rudolf Bark. Wirklich, es ist staunenswert. Sie hegen eine große Sympathie für mich. So etwas ist ja immer gegenseitig. Aber natürlich, mein kluger Freund, Sie sind völlig im Recht.«

Sie kehrte ihm den Rücken, stellte sich ans Fenster und blickte lange über den struppigen Hintergarten des Hotels zu dem schmalen, kohlenüberschütteten Fluß herüber, der seine schwarzen Gewässer im Sonnenschein träge vorüberschleppte. Nach einer Weile trommelte die elegante Dame leicht gegen die Fensterscheiben und warf sehr kalt und interesselos, gleichsam nur, um irgend etwas zu äußern, über ihre Schulter hinweg:

»Wie gesagt, Sie beurteilen die Lage richtiger als ich. Der Weg aus dem Hotel wurde Ihnen, wie Sie sich wohl überzeugten, durch militärische Bewachung gesperrt, und zur Nachtzeit durch den Hintergarten zu entkommen, das dürfte auch eine verzweifelt phantastische Idee sein.«

»Durch den Hintergarten?« horchte Rudolf Bark hoch auf, indem er sich an die Seite der jungen Frau stellte.

Maria Geschowa jedoch rückte fort und sah an ihrem Arm herunter, als ob ihr die zufällige Berührung nicht angenehm wäre.

»Gott,« sprach sie gleichgültig weiter, »Verzweifelte könnten vielleicht solch einen Versuch erwägen. Aber ich rate Ihnen davon ab, Rudolf Bark. Dazu müßte der Besitzer des Kohlenkahns, dessen schmutziges Schiff dort an dem Steg angeschlossen liegt, vorher von befreundeter Seite nachdrücklich gewonnen sein. Wir wollen ein häßlicheres Wort vermeiden. Und Sie werden wohl selbst nicht glauben, bester Freund, daß Ihr kühles und berechnetes Wesen Ihnen hier in der fremden Stadt so viel Teilnahme erwerben könnte.«

Als sie das letzte fast feindselig hervorgebracht hatte, kehrte sie sich zu ihm. Und dann geschah etwas völlig Unerwartetes. Mit ihrer unnachahmlichen Grazie hob das junge Weib beide Arme, um dann ihre Finger ohne Hast noch Aufregung hinter dem Hals des betroffenen Mannes zu verschränken. Trotz der vertraulichen Nähe, die jetzt zwischen beiden hergestellt war, und obwohl der glühend rote Frauenmund fast dieselbe Luft wie Rudolf Bark zu atmen schien, so mutete das Ganze doch keineswegs wie eine peinliche Aufdringlichkeit an, sondern hier schien sich vielmehr ein Abschied, eine von Wehmut durchzitterte Trennung vorzubereiten.

»Rudolf Bark,« sagte die Russin klar und deutlich, als ob sie es verschmähe, ein Geheimnis aus ihren Empfindungen zu machen, »ich reise noch heute nach Mariampol zurück, und ich würde Tränen vergießen, wenn ich Sie dort wiedersähe. Sie gehören zu den Menschen, die leichtfüßig an einem vorübergehen und von denen man den Schall ihrer Tritte dauernd im Ohr behält. Ich werde noch oft an Sie denken. Es ist bei dem widerlichen Haß, der zwischen den beiden Völkern entstand, unwahrscheinlich, daß wir uns jemals wieder begegnen. Aber wenn Sie, wie ich dies von Ihnen vermute, später einmal die Bilanz über das Wesen unseres Volkes aufstellen, dann bitte ich, sich meiner nicht als einer Ausnahme zu erinnern. So, wie ich, leben hier Millionen, die, wie die Motten um das Licht, um das Europäertum schwärmen. Ich glaube, Sie mißverstehen mich nicht, lieber Freund. Und nun leben Sie wohl.«

Sie ließ ihre Arme langsam herabsinken, zog den Schleier vor das dunkle Antlitz und nickte Isa, die sich während dieser ganzen Zeit einer fröstelnden Erstarrung nicht entreißen konnte, flüchtig zu. Dicht vor der Tür entglitt der schnell schreitenden Gestalt ein blaues Handtäschchen. Aber ehe der Konsul es noch aufheben konnte, und so oft er auch hinter der bereits über die Treppe Eilenden herrief, Maria Geschowa achtete seiner Bemühungen nicht, und das blaue Lederetui, das sie wohl absichtlich zurückgelassen, blieb in dem Besitz des sofort und dankbar begreifenden Mannes.

V

Wochen waren vergangen. Über Maritzken heulte der Wind. Seit Tagen krümmte er die hohen Eichenbäume zusammen, schlug rote Wolken dürrer Blätter raschelnd über das Anwesen und brauste mit schneidendem Wehlaut über die menschenleere, verlassene Gegend. Wenn solch ein ungeheurer Stoß über die Stoppelfelder fuhr, dann glaubte Johanna Grothe stets eine schmetternde Posaune zu vernehmen, die zu Weltuntergang und Vernichtung rief.

Weißer und verschlossener als je vorher schritt die Gutsherrin durch ihr verödetes Heim, denn seit den letzten Stunden war ihr Besitztum von jeder Einlagerung befreit, und nach all dem Lärm und der ewig aufpeitschenden Unruhe nistete nun eine leere, quälende Einsamkeit zwischen den weißen Gemäuern. Die fremde Menschenwoge, die so lange alles überschwemmt hatte, war wie unter einem ungeheuren Druck weiter in das Land hineingetrieben worden, einer großen Schlacht, einer Entscheidung, einem weltbewegenden Schicksal entgegen, und die preisgegebenen Fluren atmeten nun in einer dumpfen zermürbenden Spannung.

Mehrfach hatte das Landmädchen, dem sonst ein Tag ohne genau geregelte Arbeit als ein unmöglicher Zustand gegolten, sich aufgerafft, um mitten unter Trümmern und Verwüstung das gewohnte Tagewerk wieder aufzurichten. Aber nach kurzem Überlegen brachen alle diese Pläne abermals zusammen. Draußen aus der gesegneten Erde war alle Frucht durch gierige Hände aufgewühlt und fortgeschleppt, und durch die leeren Furchen peitschte der Wind. Die Stalltüren standen offen, und drinnen gähnten die abgeteilten Stände, aus denen das letzte Pferd und die letzte Kuh von dannen getrieben waren. Auf den Äckern rosteten die Pflüge, weil sie von keiner Männerhand mehr geleitet werden konnten, und auf den Vorratsböden verzehrten die Mäuse die traurigen Reste der Wintersaat. Alles öde und verkommen, das Land wie das Haus, um das Beste betrogen und bestohlen, und nichts zurückgeblieben, als jenes schwere, spannungsvolle Atmen, das nach Vergeltung verlangte.

Auch in Johanna zuckte manchmal während der erzwungenen Beschäftigungslosigkeit ganz plötzlich und sprunghaft solch eine wilde Gier nach ausgleichender Gerechtigkeit auf; oder noch besser die Sehnsucht nach einem Blitzstrahl, der züngelnd und krachend alles in den Boden schmettern sollte, was höhnisch und unrein, jede harmlose Regung überwuchernd, vor ihr aufgeschossen war. Manchmal auch schlug die Scham in ihr zur Höhe. Und dann segnete sie Gott dafür, daß sie hier wie ein ausgesetztes Tier verborgen und unerkannt durch das verlorene Anwesen streifen konnte. In solchen Augenblicken lief ein Zittern über ihren Körper, und zugleich bangte sie davor, der Neugier der wenigen Mägde zu begegnen, die noch zurückgeblieben waren. Wie leicht konnte sie solch unberufenen Spähern das schüttelnde Grauen verraten, das sie vor sich selbst hegte, seitdem sie von der Furcht verfolgt wurde, auch ihre kühle Reinheit sei von befleckten Händen entweiht. Die eigene Schwester, derjenige Mensch, der ihr nach natürlichem Recht der Nächste auf Erden sein sollte, er hatte ihr das Haus zu einer brennenden Hölle gemacht. Unmöglich, ganz unfaßbar dünkte es ihr, mit Marianne noch fürderhin unter einem Dache zu weilen, ihr heiteres Geplauder zu vernehmen oder die Sorgen der Gefallsüchtigen um die Erhaltung ihrer Schönheit aus der Nähe mit ansehen zu müssen, seitdem sie die Mitwisserin ihres widerlich haltlosen Leichtsinns geworden war. Aber warum schrie sie der Schwester in zornigem Aufflammen nicht ihre Anklagen ins Gesicht? Weshalb jagte sie die Gesunkene nicht von Heim und Herd, unbekümmert darum, ob der strudelnde Schwall der Geschehnisse sie verschlinge oder nicht? Großer Gott, aus welchem Grund erfüllte sie nicht ihre heiße Sehnsucht, zu vereinsamen und zu verdorren, sobald sie durch ein solches Opfer allen Schmutz und jeden Unrat von ihrer Schwelle fegen konnte? – Warum? – Nein, um alles Elendes willen, das vermochte sie nicht, das überstieg ihre Kräfte. In der großen herrschgewohnten Walküre war etwas gebrochen. So sehr die Verworfenheit ihrer nächsten Angehörigen an ihr zehrte, das schöne schwarze blühende Geschöpf war doch ein Wesen, auf das sie einmal alle mütterliche Sorgfalt geworfen und dessen sündhaften Fehltritt sie trotz rastlosen Nachsinnens noch immer nicht begriff. Vor allen Dingen aber wurde die Älteste von Maritzken von einer fressenden Scham verzehrt. So oft sie auch dazu anhob, unter keinen Umständen konnte sie es sich abgewinnen, mit der harmlos lächelnden Marianne eine kühle und gemessene Abrechnung über so viel Abscheulichkeit aufzustellen. Nein, – nein, – nein, nur das nicht! Lieber sich noch ärger foltern lassen und dann weiter fliehen wie ein aufgescheuchtes Gespenst durch die zerstörten Stätten ihrer Pflichten und Sorgen.

Inzwischen erfüllte sich draußen das Verhängnis.

Nicht als ob irgend eine besondere Kunde in das einsame Gehöft von Maritzken gedrungen wäre, nicht als ob die Gutsherrin die in einer fremden Sprache geführten Unterhaltungen hätte belauschen können, die einzelne zurückbeorderte Offiziere aufgeregt, scheu und in seltsamen Zischlauten mit dem kranken Rittmeister Sassin pflogen, den man in diesen Tagen höchster Ungewißheit ohne jede Pflege und ärztliche Aufsicht gelassen hatte; aber über die menschenleeren Straßen wehte etwas heran. Etwas Unklärliches, etwas Schicksalflüsterndes, das die Herzen stocken und die Sinne kochen ließ. Je leerer Wege und Stege wurden, desto deutlicher jagte das Unsichtbare vorüber, und hinter jeder aufsteigenden Staubwolke suchten gierige Blicke das Blitzen von Stahl und Eisen.

Es war an einem trüben Nachmittage.

Mit unverminderter Gewalt wütete der Sturm um das Haus. Die Türen der Ställe knallten in kurzen Schlägen auf und zu. Wie eine Nachäffung von Kampf und Schlacht rollte ein ewiger Donner durch die weißen Gebäude. Aber mitten durch das Toben des Elementes drang ein schmerzliches Stöhnen, ein Winseln und Wimmern, das Johanna, die gerade über einen der Gänge des zweiten Stockwerks schritt, nicht überhören konnte. Ganz sicher, das markdurchwühlende Ächzen, es stahl sich aus dem Zimmer des verwundeten Rittmeisters, dessen Verfall in den letzten Tagen auch den unkundigsten Blicken nicht verborgen geblieben war. Von einem heimlichen Schrecken durchdrungen und ohne lange abzuwägen, ob ihre Teilnahme einem Angehörigen der jetzt von ihr so bitter gehaßten Rasse galt, trat Johanna nach einem kurzen Anklopfen ein.

Was war das?

Seit Tagen schon hatte Leo Konstantinowitsch Sassin dauernd seinen zum Skelett abgemagerten Körper im Bett halten müssen. Jetzt aber saß der Rittmeister in dem grauen Feldmantel, aus dem sowohl das Einschußloch als die Blutspuren noch immer nicht getilgt waren, hinter einem mit Karten bedeckten Tisch, und die tief über die zerwühlten Haare gezogene Mütze sowie die stark nach Juchten riechenden Reiterstiefel an seinen Füßen bewiesen, wie der Hinfällige den wahnsinnigen Entschluß gefaßt haben müsse, der Stätte seines langen Krankenlagers endgültig zu entfliehen. Als die Tür knarrte, schrak der Kranke zusammen und fuhr mit den dürren Händen aufgeregt und haltlos über die bunten Blätter.

»Schönes Fräulein – schönes Fräulein,« hauchte er kaum noch vernehmlich, obwohl die sich bäumende Brust eine letzte Anstrengung hergab, »ich muß fort. Es geht mir überraschend gut, und deshalb muß ich es riskieren. Wo steckt mein Bursche? Ich habe ihn schon seit drei Tagen nicht mehr gesehen! Der Hund ist klug, er hat sich auf die Strümpfe gemacht. Ich will auch nicht länger in dieser Mausefalle sitzen bleiben, verstehen Sie? Unsere Idioten, diese verschlafenen Strohköpfe haben uns in nichts als Teiche und Sümpfe geführt. Sind wir Katzen, die man ersäufen will? Kommen Sie, kommen Sie, ein Blick auf meine Karten genügt. Jedes Schulmädchen wird das einsehen. Hier – und hier – und hier … Eine gotteslästerliche Wirtschaft!« Wütend ballte er die Papiere zusammen und schleuderte sie, zu einer Kugel geformt, in die Ecke. »Jede Nacht habe ich davon geträumt, ich steckte immer bis zum Hals im Wasser. Aber jetzt ist es zu spät! Glauben Sie mir, man wird hier etwas Gräßliches erleben.«

Gewaltsam richtete sich der Russe auf, und es schien, als ob er durch die Tür von dannen stürzen wollte. Allein in der nächsten Sekunde mußte er sich mit beiden Händen an den Tisch klammern. Er schwankte, die stark duftenden Juchtenstiefel suchten vergeblich einen Halt.

Johanna jedoch, obwohl ihr Herz zu jagen anhob, vergaß, was sie dem Hilflosen schuldete, und regte sich nicht. In ihrem weißen Antlitz brannten die sonst so kühlen blauen Augen in einem bösen Feuer. Ein gieriges Lächeln, ganz widerspruchsvoll und unheimlich, schlängelte sich um ihre Lippen. Wie sie so aufragte, da hätte sie auch einem minder Verzweifelten Furcht einflößen können. Und der Kranke, der sich nicht aufrecht zu erhalten vermochte, beugte den Hals vor und starrte in plötzlich aufspringendem Entsetzen auf seine unbewegliche Gastgeberin.

»Was wollen Sie?« keuchte er, »halten Sie mich nicht auf!«

Aber Johanna sperrte ihm ungerührt den Weg.

»Herr Rittmeister« brach es mit einem Mal hell und voll versteckter Wollust aus ihr heraus, »meinen Sie, daß Ihrem Heer irgendeine Katastrophe bevorsteht?«

»Das weiß ich nicht, – das habe ich nicht gesagt – nicht die leiseste Andeutung gemacht. Ich bin krank. Meine Gedanken gehorchen mir nicht mehr. Sie wissen, sie springen herum, wie auf einem Tanzboden. Was lachen Sie mich so an? Oh, ich weiß, was Sie uns wünschen! Sie sollten sich hüten!«

Jedoch die Älteste von Maritzken hütete sich nicht. In ihren Mienen verkündete sich immer deutlicher eine wilde Wonne.

»Herr Rittmeister« sog sie förmlich aus dem ihr Unterlegenen heraus, »nicht wahr, Fürst Fergussow befindet sich gleichfalls auf den Linien, die Sie vorhin auf der Karte bezeichneten?«

»Ja, was geht er mich an? Der Teufel soll ihn holen!«

Die Blonde drängte erbarmungslos weiter.

»Und Sie vermuten, es werden nur wenige aus den Wasserläufen entwischen?«

Jetzt brach dem Rittmeister der Schweiß aus. Er wurde erdfahl und vermochte seine herunterfallende, wie im Krampf bebende Kinnlade nicht mehr zu bändigen.

»Verwünscht,« röchelte er, schlug mit den Armen in die Luft und wankte haltlos bis zur Tür, »Sie foltern mich! Was habe ich Ihnen getan? Hören Sie nicht? Hören Sie es nicht? Da ist es wieder, das ungeheure Gurgeln, Schnaufen und Schmatzen, das mich wahnsinnig macht.«

Er fiel auf der Treppe nieder und rollte wie ein schweres Bündel die Stufen herab. Johanna hörte noch einen schrillen Angstschrei, und als sie ans Fenster eilte, gewahrte sie, wie der Kranke in einer letzten Anspannung und mit vorgestreckten Händen über den Hof taumelte. Unsichtbare Geißeln schienen auf seinen Rücken zu klatschen. Der Sturm schmiß ihn hierhin und dorthin, und wie ein grauer Schemen verschwamm das unselige Menschenbild in den wirbelnden Staubwolken der Landstraße.

Das weiße Haus aber sollte noch einen anderen seiner Bewohner hergeben.

Draußen auf den Wegen und Stegen fing es an, lebendig zu werden. Zuerst waren es nur kleine Kosakentrupps, die in einem rasenden Galopp über die Straße fegten. Die Nachmittagssonne brannte ihnen auf den Rücken, und es schien, als ob die toll gewordenen Tiere ihren eigenen Schatten fressen wollten. Mit tief herabhängendem Halse stäubten sie ihrem vorausfliehenden schwarzen Abbild nach.

Doch es blieb nicht bei den wenigen. Bald erbebte der Boden unter dem Gedröhn zusammengeballter Reitermassen. In einer finsteren Gier, fluchend und tobend, heulten sie vorüber, und nur der Wille, gewaltige Strecken zwischen sich und irgend etwas Folgendem zu legen, hielt diese Horden noch zusammen. Voll frohlockenden Entsetzens erkannte Johanna, die jene fessellose Jagd, weit aus einer der Bodenluken gelehnt, verfolgte, wie diese zusammengeduckten Reiter Lanzen und Karabiner von sich schleuderten, so oft sie meinten, einen Vorsprung vor ihren sich stauenden Vordermännern erreichen zu können. Menschen und Tierleiber waren von einer dicken schlammigen Kruste bedeckt, und manche der Verfolgten umklammerten noch immer in vollkommener Bewußtlosigkeit dicke Büschel ausgerissenen Seegrases, als gelte es, vor allen Dingen diesen letzten Schutz nicht aus den Fingern zu lassen. Bleich, blutend, gespensterhaft raste alles vorüber. Die Beobachterin jedoch preßte ihre Hände gegen die kreisrunde Einfassung ihres Ausguckloches, als müsse sie die Mauern auseinanderbrechen, um das Bild noch weiter, gesättigter in sich aufnehmen zu können.

»So peitscht Fürst Fergussow seinen müden, zusammenbrechenden Schimmel vielleicht auch über eine unserer Chausseen,« schoß es ihr dann durch die vom Schauen aufgewühlten Sinne, »blutend, zerfetzt, jeder Männerwürde beraubt, genau so wie die Geschlagenen, Gedemütigten, die dort in den dampfenden Staubwolken, umheult und zerzaust vom Winde, ihr nacktes Leben zu retten trachten.«

Und ihre Seele erlabte sich an der Vorstellung, wie der glatte glänzende Kavalier, der ihr die Schande ins Haus getragen, sein Ende vielleicht in einem Kothaufen gefunden, nachdem der peinlich Saubere vorher alle Qualen des Ekels vor dem Schmutz seines Grabes durchkostet. Aber nein, nein, wenn sie ganz wahrhaft gegen sich selbst verfuhr, dann drängte sich noch ein anderes Bild, ein heißerer Wunsch vor den lodernden Brand ihrer Rache. Er durfte ja noch gar nicht verkommen und verdorben sein, solche geschmeidigen Naturen wie dieser im Innern verpestete Aristokrat, sie fanden gewiß tausend Mittel, um dem auf sie lauernden schimpflichen Verlöschen zu entweichen. Welch ein Glück, welch eine rasende Wonne, wenn der zu Boden Geschlagene und alles Hochmutes Entkleidete noch einmal gleich einem schuldbewußten Dieb oder Bettler vor sie hintreten müßte! Ja, darauf lauerte sie. Diese Erwartung trug Möglichkeit auf Möglichkeit in ihre Gedanken, bis die Landtochter nicht einen Moment mehr daran zweifelte, ihr würde diese erlösende Vergeltung von dem Schicksal, das jetzt über Staaten und Völker rollte, beschieden sein.

So stand sie und starrte in die Umgegend hinaus, auf den fernen Feuerschein, auf die Felder, die von schwarzen Gestalten zu wimmeln begannen, auf die blauen Gehölze, die zerschossene, verwirrte Gespanne und rasselnde Züge schwarzer Kanonenrohre von sich ausspien.

Vorbei, vorbei. Das Klirren, das Sohlenknirschen unzähliger sich fortwälzender Fußgänger, der Wogenschlag und die Brandung heiserer vernichteter Menschenstimmen lärmten ununterbrochen an dem weißen Anwesen vorüber.

Der Erwartete aber kam nicht. Er kam nicht, wie sehnsüchtig und gierig auch zügellose Wünsche nach ihm ausschweiften. Und der Gutsherrin bemächtigte sich die Furcht, Fürst Dimitri Fergussow, der Adjutant des Zaren, der Inbegriff und das Sinnbild einer zerfressenen Kultur, er könnte von den schwarzen Wellen dort unter ihr bereits unerkannt vorübergetragen sein.

Wenn das möglich wäre, wenn er sich so gleichgültig gebärdete, so rücksichtslos, so bitter feige! Und zum erstenmal in ihrer bangen Erwartung preßte sich Johanna die Faust auf die Brust, und ein Frösteln flog über ihre Glieder, weil sie den tiefsten Grund ihres irren Verlangens nicht mehr unterscheiden konnte.

Auch ein paar andere Augen wühlten sich beutehungrig hinter einem der nach der Straße gelegenen Fenster in den vorüberschießenden Menschenstrom ein. Schwarze, leuchtende Augen, die merkwürdigerweise in einem sehnsüchtigen Glanz schwammen, obwohl sie doch in Wahrheit nur von einem heißen, eigensinnigen Begehren erfüllt waren. Gleich Angelhaken schwankten Mariannes Blicke mit der sturmgdrängten, brüllenden und schreienden Masse dahin. Immer nur bereit, sich an ein einziges ersehntes Idol anzuklammern. Nicht eine Spur des Triumphes war in ihr, daß die eisengepanzerte Faust ihres Heimatlandes mit wuchtigem Schlag die fremden Bedränger vor sich her stieß, nicht die geringste Erhebung weitete ihre Brust über die dumpfe Wut und das ohnmächtige Entsetzen, welches die vorüberstürmenden Slaven empfanden, nachdem sie zum erstenmal in das gerunzelte deutsche Antlitz geblickt hatten. Nein, ihr abenteuernder und irrlichterlierender Geist errechnete nur schwindelhafte Möglichkeiten, wie sie für sich selbst mitten aus dem Zusammenbruch den blassen Schemen irdischen Glanzes erraffen könnte. Eine goldene Fürstenkrone auf ihr schwarzes duftendes Haar. Die gebührte ihr, die hatte man ihr zugesichert unter tausend zärtlichen Eiden. Und die alles Urteils Beraubte und von ihrer eigenen Schönheit völlig Betörte glaubte unverbrüchlich an diese ihr zäh im Gedächtnis haftenden, lächerlichen Schwüre. Bald streckte sich Marianne in dem kleinen Zimmer auf ein Ruhebett aus, um ihre widerspenstig zuckenden Nerven durch die Lektüre eines Romans zu beruhigen, bald schleuderte sie das Buch, aufgeschreckt durch das brausende Toben, das durch die Mauern quoll, verstört und verständnislos wieder von sich. Eben huschte sie vor den gebräunten Mahagonispiegel, denn in all dem Graus und Lärm mußte sie sich doch davon überzeugen, ob sich der schwarze Ledergürtel nicht störend verschoben hätte, da wurde rasch die Tür geöffnet, und mit hastigen Schritten trat Johanna zu ihr ein. Über der großen Blonden flammte noch das sonderbare Leuchten, der Abglanz des unerhörten Begebnisses, und das weiße Antlitz strahlte wieder stolz und kraftbewußt wie sonst.

»Marianne,« rief sie mit unterdrückter Stimme, die nur schwer das geheime Frohlocken bändigte, »siehst du dort draußen, wie diese schlimmen Tiere von dannen ziehen?«

»Ja, ich sehe,« versetzte die Schwarze an sich haltend, denn es verdroß sie, sich ihrer rasenden Hoffnung nicht länger hingeben zu können.

»Das haben die Unsrigen vollbracht. Oh, jetzt wird hier alles wieder aufwachen, alles besser werden. In wenigen Stunden müssen unsere Truppen hier sein. Mir ist es immerfort, wie wenn ich sie schon singen hörte.«

Da zuckte Marianne widerwillig die Achseln.

»Was sollen jetzt diese Übertreibungen?« widersprach sie mit der ihr eigenen aufreizenden Lässigkeit, und die Absicht, den Jubel ihrer älteren Schwester zu stören, trat feindlich zutage. »Vorläufig hört man doch nur das Gestampfe und Getrappel der anderen. Was verstehen wir überhaupt von solchen Dingen?«

Entsetzt schlug Johanna die Hände zusammen. Länger vermochte sie die schweigende Spannung, die zwischen ihnen beiden herrschte, nicht zu ertragen. Es wurde alles klar um sie herum, jetzt mußte unbedingt auch die Säuberung des verunreinigten Hauses folgen. Jetzt, bevor die Befreier ihren Einzug hielten.

»Mir scheint,« begann sie mit erhobener Stimme, indem sie näher auf die noch immer vor dem Spiegel Weilende zutrat, »daß du mit der Horde, die unser Dorf plünderte und ansteckte, die unsere Freunde und Verwandten niederschlug, nachdem sie unsere ganze Provinz bis zur Erschöpfung ausgesogen, ein überflüssiges Mitleid empfindest.« Voll und ohne abzuirren ruhten jetzt ihre großen blauen Augen auf den dunklen Zügen der Schwester, mit der sie ihre Rechnung zu Ende führen wollte. »Marianne« fuhr sie klar und unerschrocken fort, »ich habe nicht gelernt, Versteck zu spielen. Nimm an, ich wüßte genau, woher deine Sympathie stammt.«

»Ich hege keine Sympathie für die da unten« schrie Marianne ausbrechend und stampfte besinnungslos mit dem Fuß auf, denn die drohende Auseinandersetzung verstärkte ihren Widerwillen gegen die große, empfindungslose Blonde, die nicht wußte, in welchen Zwiespalt lodernde und glückfordernde Seelen geraten können.

Doch die Älteste von Maritzken blieb unerschütterlich. Ruhig hob sie das fortgeschleuderte Buch auf, um es sauber geglättet auf den Tisch zu legen, dann aber richtete sie sich zur Höhe und beharrte mit immer härterem Ton auf ihrer Meinung.

»Für die Masse vermagst du dich vielleicht nicht zu ereifern, um so mehr aber leider für einen Einzelnen.«

»Wie?«

Die Angegriffene fuhr empor, stützte sich auf die Tischplatte, und im Augenblick hatte sie den lange Jahre bewahrten Respekt vor der Großen völlig vergessen. Spurlos entschwirrte ihr die Erinnerung, wie die Arbeit dieses nüchternen blonden Weibes Tag auf Tag, Monate auf Monate Not und Schmach von der gemeinsamen Schwelle ferngehalten, ohne dafür etwas anderes zu verlangen, als daß auch die anderen Insassen des Hauses sich ihre eigene spröde Sauberkeit zum Muster nähmen. Nein, das alles entfiel der Erregten. Einzig und allein wurde sie von der fressenden Vorstellung geschüttelt, hier stände jemand, aus dem nichts als Haß und Neid emporschlage über das unerhörte Glück, das schon so nahe, zum Greifen nahe, über der Jüngeren, Schöneren geschwebt hatte. Und jetzt, gerade jetzt konnte jene goldene Hoffnung vielleicht dort unten vorübertraben, während sie gezwungen wurde, die kostbare Zeit durch ein dummes Familiengeschwätz zu vergeuden! Nie und nimmer!

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
11 ağustos 2017
Hacim:
460 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
Metin
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