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Kitabı oku: «Die Herrin und ihr Knecht», sayfa 3

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II

Glutrote Abendsonne glitzerte aus allen hochgelegenen Fensterscheiben der Stadt, selbst an dem schwarzen Schieferdach der Sankt Sebaldus-Kirche floß es wie von blutigen Strömen hinunter. Hoch oben unter dem First stand in einer engen Mauerhöhlung die bunte Holzstatue des Schutzheiligen, und auch aus seinem sonst erloschenen Sternenreif spritzten die roten Lichtflammen. Es sah aus, als wäre das entblößte heilige Haupt von ein paar Säbelhieben getroffen und heller Lebenssaft zische aus den Wunden hervor. Immer mehr verbreiteten sich die funkelnden Lachen auf den schwarzen Platten.

Unter dem in Flammengold und angehendem Violett schimmernden Himmel zog gerade über dem Marktplatz eine Schar weißer Tauben ihre Kreise. Eine vereinzelte blauschwarze Nachzüglerin flatterte in geringem Abstand hinter den blitzenden Schwestern her, gleich einem schlimmen Gedanken, den die guten, beseligenden weit hinter sich gelassen. Ein frischer Abendwind surrte durch die Gassen, und von den nahen Feldern, die sich hinter der Stadt in ununterbrochener Weite dehnten, führte er einen süßen Kleeduft mit sich.

Gerade als es in rollenden, schleppenden Tönen von der Sebaldus-Kirche die siebente Stunde schlug, da quoll aus der am Markt liegenden Konditorei von Klinkowström eine kleine Anzahl junger Offiziere heraus, die sich lachend und säbelschleifend über dem schmalen Trottoir verbreitete.

»'n Abend, Harder.«

»Adieu, Janick. Ihr bleibt im Kasino, wie?«

»Nirgends anders. Dort soll ja eine kleine Götterberatung stattfinden, was wir mit dem Onkel aus dem Generalstab anstellen sollen, der den Herren Offizieren in einiger Zeit zum Vortrag geschickt wird. A propos, lieber Harder, ist dieses wissenschaftliche Huhn, der Major von Siebel, nicht ein Verwandter von Ihnen?«

Der junge Offizier mit der saloppen, etwas vorgebeugten Haltung und dem scharf geschnittenen, bartlosen Antlitz, von dem seine Kameraden behaupteten, daß es ein Cäsarenkopf wäre, hakte seinen Säbel ein und blies von dem schwarzen Interimsrock achtlos etwas Zigarettenasche hinweg.

»Siebel?«, wiederholte er mit einer leisen, wohllautenden Stimme, die gar nichts Militärisches in sich barg und auch den energischen Zügen seines dunklen Gesichts nicht zu entsprechen schien. »Was Sie sagen, Janick, kommt der her? Jawohl, er ist wohl ein Übervetter meiner Mutter. Wir duzen uns gerade noch. Übrigens ein grundgescheiter Herr.«

»Na ja,« pflichtete der baumlange Janick bei, indem er einen anderen Kameraden bereits unter den Arm faßte, »die Weisheit liegt in Eurer Familie. Na, und Sie, Musikante, ziehen wohl für heute abend wieder zu Mendelssohn und Beethoven ab? Meinen Segen haben Sie. Viel Erbauung!«

Der Schlanke griff nachlässig an seine Mütze und wandte sich, um in eine Seitenstraße einzubiegen:

»Danke für den frommen Wunsch, meine Herren,« meinte er gleichgültig, »Sie sind sehr gütig.«

Seine Schritte hallten schon in dem engen Gäßchen, als der lange Janick ihm noch nachrief:

»Fritz, vergessen Sie nicht, morgen früh wieder sechs Uhr Schützengrabenübung. Das verdammte Buddeln nimmt kein Ende.«

»Danke,« schallte es von der anderen Seite zurück, »die Ordonnanz war schon bei mir. Gute Nacht, meine Herren.«

Langsam, mit seiner vorgebeugten Haltung setzte Fritz Harder seinen Weg durch die enge Zeile fort. Vor einem Antiquitätenladen, in dessen dunklem verräucherten Schaufenster neben ein paar Trommeln aus den Freiheitskriegen auch ein Bild in halb vermodertem Rahmen ausgestellt war, verharrte der junge Offizier und hob sein Monokel vor das Auge. Eine kleine Weile betrachtete er die schwärzliche Landschaft. Dann murmelte er etwas Unverständliches und nahm seinen Weg wieder auf, ohne den jungen Mädchen, die hier paarweise promenierten, irgendwelche Beachtung zu schenken. Bald hatte er sein Heim erreicht. Es war ein ganz schmales, spitzgiebliges Häuschen, das sich zwischen zwei anderen altertümlichen Bauten nur schüchtern eingeklemmt hatte. Vor Baufälligkeit schien es sich direkt vorüber zu neigen, und da es außerdem bis zu dem Holzbord des ersten Stockwerks himmelblau angestrichen war, von dort aber bis unter das Dach in rosenroter Färbung prangte, so glich es viel mehr einem Pfefferkuchengebilde vom Weihnachtsmarkt, das man recht lieblich und bunt herausstaffiert. Kaum begreiflich aber war es, wie die Zwei-Fenster-Front des Häuschens noch durch eine rot gepflasterte Diele getrennt sein sollte. Und doch verhielt es sich so. Auf der einen Seite des Flurs ging es nämlich beständig tick-tack, tick-tack. Hier hauste der Besitzer des blauen und rosenroten Pfefferkuchens, Herr Nikolaus Adameit, der ehrsame Zunftmeister der Uhrmachergilde. Ja, hier nistete der alte struwelige Mann, hochgeehrt und bewundert von der ganzen Handelsstadt, denn es haftete wohl im Gedenken seiner Mitbürger, daß es ihm allein von allen seinen Handwerksgenossen vor reichlich vierzig Jahren gelungen war, das verstummte Glockenspiel der Sebaldus-Kirche zu neuem klingenden Leben zu erwecken. Das hatte dem damals im kräftigsten Mannesalter stehenden Künstler tausend preußische Reichstaler eingetragen. Und wozu hatte er diese große, diese überschwengliche Summe verwendet?

Wozu?

Kein Mensch konnte darüber etwas Genaues angeben. Man hörte nur aus den wütend hingeworfenen Angaben seines stotternden Gehilfen Leiser Bienchen, eines phantastisch armen Judenjungen, der von den Wohltaten seines Meisters lebte, alle alten Kleidungsstücke des Uhrmachers bis zum Zerbröckeln auftrug und trotzdem, aus künstlerischen Gründen, beständig im heftigsten Streit mit seinem zahnlosen Prinzipal lebte, man vernahm nur in Augenblicken zitternder Wut von jenem menschenscheuen Gehilfen, daß es sich um eine Erfindung handele, die einmal Millionen einbringen müßte. Tief unten in einem triefend feuchten Keller, und immer nur in den Frühstunden, wurde von den beiden Adepten an dieser merkwürdigen Maschinerie gearbeitet. Und der letzte Bursche des Leutnants, der sich einmal bis in den schwarzen Abgrund hinunter verirrte, er hatte entdeckt, daß bei jenen beglückenden Ideen zweifellos auch ein starkes Uhrwerk im Spiel sein müsse:

»Denn in dem Keller, Herr Leutnant, macht es immerfort tick-tack, tick-tack. Es stinkt mordsmäßig dort unten. Nach Schwefel und Säuren und all solchem Zeug. Und wenn mich der verfluchte Judenbengel nicht einen Fußtritt gerade vor den Magen versetzt hätte, Herr Leutnant, ich hätte die Beiden bei der Teufelsbeschwörung überrascht. Denn um so was handelt es sich, um nichts anderes!«

Als Fritz Harder die eine der von ihm gemieteten Stuben in dem Pfefferkuchenhäuschen betrat, stand sein Bursche, ein derber, vierschrötiger Ostpreuße gerade an dem ovalen Tisch, um eine billige weiße Petroleumlampe zu entzünden. Er machte sofort vor seinem Leutnant stramm und nahm ihm die Mütze ab, die ihm Fritz herüberreichte.

»Na, Reddemann,« begrüßte ihn der Offizier, während er sich ein wenig ermüdet auf einen Korbsessel dicht an dem schmalen Fenster niederließ, »hast du mir die Sachen besorgt?«

»Zu Befehl, Herr Leutnant, das Frühlingslied von Mendelssohn. Sehr schön.«

»Aha, du hast wohl wieder darin herumgenascht?«

»Zu Befehl. Herr Leutnant wissen ja, daß wir zu Haus einen Gesangverein haben.«

Der am Fenster Sitzende öffnete sich ein wenig den Uniformrock.

»Na, ob ich das weiß,« warf er gutmütig hin, »du heulst ja manchmal, mein Junge, daß ich glaubte, Bienchens räudiger Pudel hätte Leibschmerzen bekommen.«

Allein trotz dieser etwas derben Charakterisierung seiner Gesangskunst reckte sich der stämmige Bursche und sah sehr befriedigt aus.

»Herr Leutnant,« verteidigte er sich, »dann übe ich bloß. Aber bei uns zu Hause in Pillkallen sagen die Leute, ich hätte die stärkste Stimme.«

»Jawohl,« lächelte der Leutnant, »das sage ich auch. Und nun, Reddemann, schwirre mal in das Kasino ab und hole mir meine Menage. Aber die Tischordonnanz soll alles hübsch warm geben, verstanden?«

»Zu Befehl, Herr Leutnant. Sonst noch etwas?«

»Jawohl, bringe mir von nebenan ein paar Zigarren mit, von der billigen Sorte.«

»Zu Befehl, Herr Leutnant.«

Der Ostpreuße bedeckte sich mit seiner Mütze, fuhr noch einmal ordnend auf dem Tisch herum und stolperte auf die Diele heraus. Gleich darauf sah ihn sein Gebieter die enge Gasse im Trab durcheilen. Mehrfach noch wandte sich das plumpe Antlitz aufmerksam zurück, ob auch sein Herr diese beschleunigte Gangart wahrnehme.

Fritz Harder jedoch verweilte noch längere Zeit am Fenster und stützte nachdenklich den feinen Kopf mit den dunklen Haaren auf die Hand. Und wie schon so oft, überkam ihn, wenn er den Eindruck des ungeheuer niedrigen, fast kahlen Stübchens mit der verblaßten Blumentapete auf sich wirken ließ, jenes überwältigende, niederdrückende Einsamkeitsgefühl. Auch die enge Gasse, durch die kein Wagen fahren durfte, mutete ihn an, als ob eine Riesenfaust sie zusammengepreßt hätte, damit jede Spur einer frischen reinen Luft aus ihr entwiche. Dumpf und feucht wie aus einem Kellerloch wehte es zu ihm herein. Herrgott, hier lebte man wirklich wie in den Kasematten der Festung, durch hohe Mauern abgesperrt von allem Glanz des Tages. Und dann das trostlose Einerlei seiner Tätigkeit. Wie ihn das mit einem ängstlichen Schauer erfüllte, wenn er sich all diese gleichgültigen und dennoch, wie er zugeben mußte, notwendigen Dinge zurückrief. Heute und morgen und übermorgen das Rekruten-Einexerzieren, die ewig geübten und wiederholten Instruktionsstunden, die anstrengenden Märsche bis weit über das Glacis der ehemaligen Festung, wo er jeden Baum, jeden Strauch, jeden Hügel und jeden Graben kannte und beschrieben hatte. Und dazu die Aussicht, die Aussicht in weiter Ferne, unwahrscheinlich und unerreichbar, jemals sich in dem wissenschaftlichen und kunstgemäßen Untergrund des Dienstes betätigen zu dürfen. Denn ach, wie jede praktische Beschäftigung auf Erden, so war ja auch sein Beruf auf festen Quadern einer historischen, sowie einer technischen Wissenskunde aufgebaut. Aber in dieses strenge, wohlverschlossene, geheimnisvolle Haus fanden fast ausschließlich die Mitglieder einer bevorzugten Kaste Einlaß, und selbst jene harrten wieder vergeblich vor den innersten Kammern, in denen, wie in dem pochenden Herzen des gewaltigen Körpers, alle feinsten Adern und Verästelungen zusammenliefen. Wie sollte da der Sohn eines auf sein schmales Gehalt angewiesenen ostpreußischen Oberförsters hoffen dürfen? Umsonst blieben die verborgen angesponnenen Versuche, die sein heiß aufbegehrender Arbeitswille hie und da unternommen. Sie vergilbten in der Schublade des wackligen Fichtentischchens dort in der Ecke, ja, ihr Vorhandensein sogar wurde von den fröhlicheren Kameraden – mit Recht – verspottet. Oh, wenn nur der Drang und die Sucht nicht gewesen wären, sich aus diesen umklammernden Beängstigungen vor der Zukunft zu befreien. Da gab es nur ein Mittel. Und der Blick des Nachdenklichen schweifte zu dem geborgten Flügel hinüber, der in seinem schwarzen Glanz fast die Hälfte des Zimmers ausfüllte. Leuchtend spiegelten sich die Strahlen des Lämpchens auf der fein polierten Platte. Ja, dort wob sich ein Zaubernetz, in das er sich träumend strecken konnte, und das dann von klingenden Genien emporgehoben wurde weit fort über die kleine handeltreibende Stadt, fort von den zechenden, hasardierenden Kameraden mit ihrer absichtlich zur Schau getragenen Verachtung alles höheren Bildungsstrebens, weit fort von Armut und Beschränkung. Aber nein –

Und der Nachdenkliche am Fenster zuckte zusammen und vergrub jetzt sein Haupt, auf dem es plötzlich wie in Glut und Feuer aufflammte, in beide Hände. Vergessen und Beseligung, sie wurden dem Glücklichen noch von anderer Seite gespendet. Hier wuchs Trost, Erbauung, Andacht, tiefe Demut vor der göttergebildeten Schönheit, und die verzehrende auflösende Sehnsucht, sich in ein anderes prangendes Dasein hinüber zu retten, wie es wohl nur ein Künstler in seinen Träumen fühlen konnte. Das schöne, gnadenspendende Weib stand lächelnd und reizvoll, zu immer neuen Gaben bereit, vor den geschlossenen Augen des Kämpfenden, bis sich sein jugendstarker Körper unter einem fröstelnden Schauer wand. Und doch, wie entsetzlich, auch hier die Unsicherheit, die sein Leben so wehrlos machte. In Stunden aufschießender Erkenntnis, empfand er da nicht unumstößlich gewiß, wie das Beste in ihm, trotz der glückverlangenden, spielerischen, lustdurchzitterten Zeit um ihn herum, nach Dauer, nach Reinheit und nach Sicherem verlangte? Ein Begehren, das ihn bei seinen forschen Kameraden in den Ruf eines sonderbaren Heiligen gebracht. Nein, das ließ sich nicht wegschwatzen und fortdisputieren. Jene starke Sehnsucht haftete ihm von dem kleinen beschränkten Elternhause an, von jener Stätte des Friedens, die dem früh Herausgetretenen stets in einem rührenden Lichte der Innigkeit und des Behagens herüberleuchtete. Und lebte diese beruhigende Sicherheit etwa in der schönen, strahlenden Marianne, die wie eine dunkle Verlockung aus einem orientalischen Märchen in sein Leben getreten war?

Mitten in seinen Gedanken griff der Träumende um sich, hierhin und dorthin, als ob er einen Halt suche. Etwas Festes, woran sich ein Wankender aufrichten konnte. Allein die aufgestörten Bilder seiner Phantasie rissen ihm Stab und Stütze aus den Händen und jagten ihn weiter. Nein, sein scharfer Verstand, das Erbteil seiner rechnenden Mutter, bewies es ihm klar und deutlich, daß dasjenige, was ihm als etwas Hohes und Heiliges vorschwebte, immer und immer wieder zu einem Spiel entwürdigt wurde. Zu einem lockenden Haschen und Entflattern, das ihm allmählich die Kräfte der Seele raubte. Keine Zusicherung war zu erlangen, nichts Bindendes, nur jenes ewige Reizen und Versagen, in dem er auch alle seine Kameraden sich herumtummeln sah. Sicherlich, es war die Gewohnheit einer kulturell verstiegenen Zeit geworden. Das Tiefste, was das Menschentum barg, der Born, aus dem sich vergangene Geschlechter immer neue Jugend schöpften, man hatte ihn parfümiert und mit allerlei Reizmitteln verbunden, die die heiligen Wasser um ihre läuternde Wirkung brachten. Das jetzige schnell dahinrasende Geschlecht wähnte ohne jene aufpeitschenden Genüsse nicht mehr das Gleichmaß der Tage überstehen zu können. Aber unten, tief unten auf dem undurchsichtigen und aufgewühlten Grunde des Borns, da lagerte der Ekel.

Als Fritz Harder bis hierher gelangt war, schreckte er plötzlich auf. War es ein kühlerer Luftzug, der ihn durch das offene Fenster hindurch anwehte, oder hatte ihn das mißtönende Geschlürf von ein Paar merkwürdig kreischenden Stiefeln aus seinen Gespinsten verscheucht? Rasch wandte er das Haupt, knöpfte den Uniformrock zu und zog ihn fester über der jugendlichen Brust zusammen. Wahrhaftig, er hatte sich nicht getäuscht. Draußen auf dem Bürgersteig wurde ein unendlich zerbeulter steifer Filzhut vor ihm gelüftet. Solch ein ehrwürdiges Stück konnte nur dem mißvergnügten Erfinder Leiser Bienchen gehören, der Punkt halb acht, seinem Meister, dem alten Adameit, zum Trotz das Pfefferkuchenhaus verließ, um in einem schockelnden Trabe dreimal die enge Gasse herauf und herunter zu laufen.

»Schönen guten Abend, Herr Leutnant,« sagte der knickbeinige Geselle zu dem Einwohner seines Herrn hinauf und verzog die weit vorstehende Karpfenschnauze, die ewig beweglich in einem Meer von Runzeln schwamm, zu einem griesgrämigen Lächeln. »Was hab' ich Ihnen gesagt, was hab' ich Ihnen schon heut morgen gesagt? Er ist wieder vollständig wild. Ein Meschuggener, Herr Leutnant, Sie können es mir glauben. Aber einer von die schlimme Sorte. Besessen. Er wird noch einmal anrichten das größte Malheur. Heute hat er wieder – das heißt, das gehört nicht zur Sache –,« unterbrach sich Leiser Bienchen und bewegte seine verkrümmte Gestalt in den Hüften hin und her, so daß sein Rockkragen immer abwechselnd das rechte oder das linke Ohr erreichte; »was ich sagen wollte, seine Ideen sind gut, aber zu hastig, Herr Leutnant, zu hastig. Jeden Tag was anderes. Nu, wie gesagt, ich freue mich bloß auf das große Unglück. Sie werden sehen. Gute Nacht, Herr Leutnant.«

Fritz Harder nickte der schlottrigen Gestalt zu und verfolgte den Davontrabenden, bis er ihn in der Einbuchtung des Marktplatzes verschwinden sah. Was er aber nicht wußte, das bestand darin, daß dieser mit Gott und den Menschen unzufriedene Geselle in den kargen Abendstunden, die ihm vergönnt waren, sich fast regelmäßig unter eine äußere Nische der herrlichen Sebalduskirche mitten auf dem Marktplatz drückte, um gespannt abzuwarten, bis das berühmte Glockenspiel seinen silbernen Gesang ertönen ließ. Dann neigte der kleine Jude das Haupt, und während er sein mächtiges Lippenpaar krampfhaft festhielt, damit es sich nicht gegen seinen Willen kritisch hin und her bewege, da murmelte er fast immer in einer seltsamen Rührung:

»Großartig, ganz, ganz großartig. Wie er das wohl herausgebracht hat? Was hab' ich immer gesagt? Dieser Adameit is'n Meschuggener und 'n ganz gemeiner, gewöhnlicher Filz, der mir abzieht bald 'n Groschen hier und bald 'n Groschen da. Aber was kann ich dafür? Der Mann ist ein Genie, 'n ganz großes, unerklärliches Genie, und es ist mein Pech, daß ich ihm nicht ablernen kann, wie man das wird.« Und dann hob er das Haupt und schockelte sich verzückt in den Hüften hin und her. »Gott, wie ein Klang. Man möchte tanzen dazu. Wie schön ist doch diese deutsche Musik!«

Immer grauer kroch die Dämmerung durch die enge Rosenkranzgasse. Schon traten einzelne Geschäftsleute auf das schmale Trottoir, um die Jalousien vor ihren Schaufenstern herabzuziehen. In dem kleinen Leutnantszimmer jedoch merkte man nichts mehr von Dämmerung und Kahlheit. Allgewaltig herrschte in ihm jener klingende, sorgenlösende Gott, den der kleine verkümmerte Jude unter seiner Kirchennische so inbrünstig angerufen hatte. Fritz Harder saß vor seinem Flügel und spielte. Längst hatte er die vorgezeichneten Bahnen des Musiktextes verlassen, und ohne, daß er es selbst ahnte, ebneten sich plötzlich helle, weißschimmernde Pfade vor ihm, die ihn hinaufleiteten auf klare, glashelle Höhen. Je weiter er aufwärts stieg, desto wunderbarere Prozessionen zogen ihm entgegen. Sie trugen goldene Kronen, die er sich auf das Haupt setzte, um unter wuchtigen Klängen den düsteren Schauer der Macht zu spüren. Und hinter seinen geschlossenen Augen spiegelte es sich deutlich, wie sich die zarten Luftgebilde ehrfürchtig vor dem armen kleinen Leutnant neigten. Aber das war noch nicht das Herrlichste, was ihm entgegenquoll. Einsamer und stiller wurden die verschwiegenen Wege, schwanke, braune Haselnußstauden schlossen sich über ihm zu einem schattigen Domgang zusammen, und ganz oben auf der letzten Stufe, da leuchtete wartend und verlangend eine Gestalt von so üppiger Pracht, daß der Betörte mitten durch seine Melodien dicht über dem Haupte das betäubende Donnern einer ungeheuren Glocke zu vernehmen meinte. Aber es waren nur die starken Schläge seines eigenen Herzens, das die Ströme des Blutes nicht mehr zu bändigen vermochte.

»Marianne,« flüsterte er ermattet, während seine Hände kraftlos von den Tasten herabsanken.

Da – um Gott, das war doch nicht möglich, – da lachte etwas hinter ihm. Genau mit demselben silbernen, etwas müden Ausdruck, wie er es eben in den verebbenden Phantasien aufgefangen. Undenkbar! Das war noch nie geschehen. Ein wahnsinniger Spuk, der ihm deutlich zeigte, wie weit seine kräftige Natur bereits von allem Wirklichen fortgelockt war. Wozu nachgeben? Weshalb sich erst umwenden?

Und doch – dicht neben ihm rauschte es stärker. Ein feiner Resedaduft schlug auf. Hinter seinem Rücken wähnte der Gebannte etwas Weiches, Köstliches zu spüren, und dann – ein züngelnder Blitz – ein paar warme Lippen schmiegten sich auf seinen Nacken und blieben dort haften.

Er sprang in die Höhe, daß die Tasten einen wimmernden Laut aussendeten. Vor seinen Augen schimmerte es. Er konnte das Unwahrscheinliche nicht fassen.

»Marianne,« stammelte er ungläubig, ohne den Klaviersessel, den er umkrampft hielt, frei zu geben, »bist du es wirklich? Bei mir?« Und er schickte einen beschwörenden Blick in die Runde, als ob er die geblümte Tapete, die abgetretenen Dielen, sowie die jämmerlich mürben Möbelstücke anflehen wollte, sich für die elegante Dame in dem weißen Sommerkleid zu einem Fürstensaal zu verwandeln.

Ganz im Gegensatz zu der Befürchtung des jungen Offiziers indessen schien sich seine Besucherin von diesem Junggesellenheim äußerst angemutet zu fühlen. Langsam schlug sie ihren blauseidenen Staubmantel auseinander, beugte das eine Knie auf den einzigen Korblehnstuhl und zeichnete mit ihrem schlanken weißen Sonnenschirm allerlei Figuren auf den verschossenen grünen Teppich.

»Also hier wohnst du, Fritz?«

Inzwischen hatte der Überraschte Sprache und Besinnung wiedergefunden. Ein fernes nagendes Gefühl des Unbehagens zehrte in seiner Brust und ließ ihn einen hastigen Blick auf die niedrige Tür werfen. Die Idee, daß jene Schwelle in wenigen Minuten von seinem menageschleppenden Burschen überschritten werden könnte, sie peinigte seine anerzogene Vornehmheit und zauste in der aufspringenden Freude herum.

»Liebe, süße Marianne,« begann er befangen, »daß du soviel Mut besitzt! Ich weiß gar nicht, wie ich dir dafür danken soll.«

»Oh,« erwiderte das schöne Geschöpf lächelnd, »ich wüßte es schon. Du könntest zum Beispiel schnell die Vorhänge vor deinem Fenster schließen. Das würde dich sicherlich von vielen Befürchtungen befreien, nicht wahr, Fritzchen?«

Sie sprach es so harmlos und lässig, und ihre schwarzen Augen streiften dabei so schalkhaft sein Antlitz, daß der Offizier im ersten Moment gar nicht begriff, warum ihn ihre praktische Anordnung derartig verletzte. Und nur langsam verstand er sich selbst. Die Sicherheit, mit der sie hier disponierte, das Vertrautsein mit allerlei abscheulichen kleinen Kriegslisten, alles das erkältete ihn und ließ ihn verstummen. Schweigend schritt er zum Fenster und riß den Vorhang zusammen. Dann trat er hinter ihren Stuhl, den sie noch immer in leise schaukelnder Bewegung hielt. Und unvermerkt entzündete sich sein Schönheitssinn an der sanften Schwingung, durch die diese prachtvollen Glieder ihm bald zugebeugt und wieder entfernt wurden. Ganz sacht und unmerklich. Immer von neuem ein betörendes Haschen und Entflattern. Die Macht, die sie über ihn ausübte, ohne daß sie viel sprach oder ihn durch blendende Gedanken zu interessieren vermochte, sie schlug abermals über dem halb Gewonnenen zusammen.

»Du siehst so ernst aus, mein Liebling,« sagte sie mit ihrer weichen Stimme, aus der ein geübteres Ohr freilich leicht einen ganz feinen Unterton des Spottes herausgehört hätte, »hat dich der Dienst wieder so mitgenommen? Oder bist du mir vielleicht böse, weil ich dir durch meinen Besuch – meinen ersten – Unannehmlichkeiten bereiten könnte?«

Sie lag jetzt mit beiden Knien auf dem knarrenden Korbgeflecht, eng und warm ihm hingegeben, und er fühlte, wie die feine Seide ihres Handschuhs seine Wange streichelte. Nur die schwanke Lehne des Sessels türmte eine unmerkliche Grenzscheide zwischen ihnen.

»Bist du mir böse?« forschte sie noch einmal in einem nachgiebigen Ton, der ihn durchzitterte.

Fritz Harder strich sich leicht über die Stirn. Noch war das Entgegenstehende, das ihn gefangen hielt, nicht gänzlich überwunden. Und dann – in dieser Minute der Besinnung bestürmte ihn noch einmal der ehrliche und klare Wunsch, etwas Dauerndes zu schaffen, rechtlich und vornehm zu handeln, wie es der kleine vierschrötige Oberförster dort oben in den masurischen Wäldern unbedingt von ihm verlangt und gefordert hätte.

»Ich fürchte nichts für mich,« gab er deshalb ernster, als er beabsichtigt, zurück, »mich erschreckt nur der Gedanke, Marianne, daß dich die klatschsüchtigen Leute hier in der Gasse aus meinem Hause heraustreten sehen könnten.«

Da versetzte sie ihm einen leichten Schlag auf die Wange und wunderbar – sie lachte belustigt auf.

»Aber du Dummerchen,« beruhigte sie ihn, und wieder wiegte sie sich leise, »du glaubst doch nicht, daß ich für einen solchen Fall nicht vorgesorgt hätte? Ja, ich habe meiner Schwester Johanna sogar direkt mitgeteilt, in welches Haus ich gehe.«

»Was? Das hast du getan?«

»Ja, denk mal, wie schrecklich. Herr Nikolaus Adameit repariert nämlich meine goldene Armbanduhr, und selbst Johanna hielt es für nützlich, den alten Sonderling zu einiger Eile zu ermuntern. Meine große Schwester fürchtet ja immer, es könnte ihr irgend jemand etwas fortnehmen. Nun?« schmeichelte sie und blickte von unten zu ihm herauf, »sind deine Beklemmungen jetzt verflogen? Wirst du nun tapferer sein?«

Da enträtselte er zum erstenmal den verborgenen Spott in den Worten des Mädchens. Eine ferne Geringschätzung, die an seinem unbekümmerten Mut, an seiner jugendlichen Sorglosigkeit zu zweifeln schien. Das ertrug er nicht. Und auch diese Augen, die so erwartend und leuchtend schimmerten, in jenen großen schwarzen Bränden verknisterten all seine Pläne. Immer kecker lächelte der kleine, sich darbietende Frauenmund. Und da wirbelte auch schon wieder der Rausch über ihm empor.

Ein einziges, gewaltsames Ansichreißen, ein gedämpfter Laut der Überraschung, und dann stürzten die Wände mit den geblümten Tapeten, der geborgte Flügel, der Korbsessel und all das kahle Gerät in der wütenden Lohe zusammen.

Er fand sich wieder, aufwachend, verwirrt, in einer Situation, die er sich durchaus nicht zu deuten wußte. Wie in aller Welt hatte Marianne ihm den Degen von der Seite zu entwenden vermocht und weshalb setzte sie ihm die Spitze der Waffe auf einen Schritt Entfernung gegen die Brust, als ob sie sich vor ihm schützen wolle?

»Nun ist es aber wirklich genug, Fritzchen,« hörte er eine überraschend vernünftige Stimme durch all die Wirrnis hindurchschlagen, »du benimmst dich immer wieder wie ein kleiner unartiger Junge und hast nicht den geringsten Begriff davon, wie man mit einer Damentoilette umgeht. Was soll sich denn Johanna von mir und meiner Konferenz mit Herrn Adameit denken? Sieh bloß mal an, wie du meinen Staubmantel zerknittert hast!«

Ach ja, der Staubmantel! Ihm gebührte freilich nach dem Wiederkehren aus dem von Blutrosen und Dornen umsponnenen Eiland die erste Rücksicht. Dieser verfluchte, stumpfsinnige, lächerliche Mantel! Im Moment haßte der sich Zurückfindende das elegante Kleidungsstück, dessen knisternde Seide er eben noch mit kosenden Fingern gestreichelt. Immer deutlicher nahmen seine schmerzenden Augen wahr, wie störend sich die Erscheinung des berückenden Geschöpfes darbot, als Marianne jetzt den Degen achtlos auf das Sofa warf, um sich darauf vor dem kleinen goldgerahmten Wandspiegel den dunklen Rosenhut sorgfältig auf ihren Flechten zu befestigen. Erstaunt blickte er auf die ihm abgewandte Gestalt hinüber. Und doch, wie zart sich die krausen feinen Härchen von dem matt getönten Nacken abhoben! Herr des Himmels – ein leiser Seufzer entfuhr ihm – nein, das ertrug er nicht länger. All die widersprechenden Empfindungen, all das Unvereinbare von Anbetung und scheuem furchtsamen Tasten nach der innersten Seele der Geliebten, es umgab ihn mit einem dichten betäubenden Nebel, aus dem er sich unbedingt ins Freie retten mußte. Selbst seine Glieder schmerzten, als würde sein sich bäumender Körper tatsächlich durch feine mutwillige Hände von Bergesspitzen in Abgründe geschleudert. Und alles aus Neckerei. Aus Lust an Aufregung und Spiel. Darunter nahm sein Mannestum Schaden. Eine dumpfe Hörigkeit umschnürte seinen freien Willen, die ihm in den Augenblicken der Selbsterkenntnis unwürdig und unerträglich dünkte. Plötzlich reckte er sich. Er war ganz der klare Soldat, dem von allen seinen Untergebenen ein unbedingtes Vertrauen entgegengebracht wurde.

»Marianne,« sagte er unvermittelt klar und bestimmt, »ich habe mit dir zu reden.«

Die junge Dame am Spiegel ließ die vollen Arme, die den Schäferhut in eine anmutig schräge Lage zu bringen trachteten, nicht sinken, sie kehrte sich auch nicht zu ihm, sondern, während ihre frischen Lippen die lange Hutnadel in der Schwebe hielten, da suchten ihre Augen verwundert sein Bild in der blanken Spiegelscheibe auf.

»Du mußt mir einen Augenblick Gehör schenken, Marianne,« drängte der Offizier weiter und tat einen Schritt gegen sie.

»Schon wieder?« murmelte Marianne hinter der blitzenden Nadel undeutlich hervor. »Fritzchen, daß du ein solches Vergnügen an derartigen Auseinandersetzungen empfindest. Also was willst du denn, Liebling? Aber recht rasch, bitte, nicht wahr? Denn sieh mal, von der Sebalduskirche schlägt es schon halb acht. Johanna hat gewiß bereits wieder ihr strengstes Gesicht aufgesetzt.«

Noch hatte sie nicht geendet, als sie betroffen ihre schwarzen Augen bis zu der kleinen Eingangstür irren ließ, um dann plötzlich aufgescheucht ihren blauen Mantel ungestüm über sich zusammenzuziehen. Von der Treppe her drangen schwere, knarrende Tritte herauf. Verstört flüchtete das schöne Mädchen bis dicht an die Seite ihres verstummten Gefährten.

»Um Gott, Fritz, du erhältst doch nicht etwa Besuch? – Dein Bursche? – Aber das ist doch sehr unrecht von dir! – Wo soll ich denn jetzt hin?«

Erregte Worte fuhren zwischen den Beiden hin und her, dann ein hastiges Aufraffen des weißen Sonnenschirms, ein Huschen und Flattern, und der eintretende Reddemann bemerkte mit Erstaunen, wie sein junger Herr in offenbarer Verwirrung abgewandt vor der Tür des Alkovens verweilte, wo er im Grunde nichts zu suchen hatte. Auch für die leckere Zubereitung der Menagengerichte, die noch in ihren Schüsseln dampften, schien sein Gebieter heute keinen rechten Sinn zu besitzen. Unwirscher als sonst trieb der Offizier, der merkwürdigerweise seinen Platz vor dem Nebenzimmer nicht aufgab, zur Eile.

»Ja, die Serviette muß ich doch wenigstens in den Ring schieben,« verteidigte sich der Ostpreuße verständnislos, obwohl auch er anfing aufmerksam nach der niedrigen Verbindungstür zu schielen, »und dann Messer und Gabel, Herr Leutnant.«

»Schon gut, schon gut, es ist alles sehr schön, – nur rasch!«

»Zu Befehl, darf ich nun noch das Bett aufschlagen?«

Aber merkwürdig, wie unberechenbar diese Vorgesetzten manchmal werden konnten. Der noble Herr, der ihn fast niemals fühlen ließ, daß er zur persönlichen Dienstleistung des Offiziers kommandiert war, er bekam unvermutet drei schwere Falten über der Nasenwurzel, und während er nervös nach der leeren Degenscheide griff, schrie er den treu Sorgenden zum erstenmal rücksichtslos an.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
11 ağustos 2017
Hacim:
460 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
Metin
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