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Kitabı oku: «Die Herrin und ihr Knecht», sayfa 4

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»Zum Donnerwetter, ich habe genug von dem langweiligen Geplapper. Mach, daß du fortkommst!«

Jedoch Reddemann blieb begriffsstutzig.

»Was, Herr Leutnant, ohne Bett?« stammelte er.

Und erst als sein Herr die Degenscheide auf den Erdboden stieß, daß alles klirrte und bebte, da schlug der Bursche blutrot die Hacken zusammen und stürzte wie behext die enge Treppe herunter.

»Da stimmt etwas nicht,« glitt es dem pfiffigen Patron durch den Schädel, »so fein hat es bei uns noch nie gerochen. Donnerwetter ja, die Vornehmen haben doch alles vom Besten.«

In dem Zimmer blieb es noch eine kleine Weile still. Erst als der dumpfe Schlag der Haustür verkündet hatte, daß jede Gefahr der Mitwisserschaft beseitigt, da raffte sich Fritz Harder zusammen, um mit einem raschen Entschluß seinen Besuch aus der seltsamen Einkerkerung zu befreien. Und wie heftig ihm auch das Herz schlug wegen der unwürdigen Rolle, zu der sie beide durch diese Heimlichkeit verurteilt waren, – das Bild, das sich ihm hinter der kleinen Tapetentür darbot, schimmerte in solch bestrickendem Reiz, daß all die Vorwürfe, die er gegen sich und die Geliebte im stillen erhob, vor ihm versanken. Da stand Marianne dicht an der Schwelle, das Haupt mit dem breitrandigen Rosenhut lauschend vorgebeugt, und die Wangen von Neugierde und Unruhe dunkel überflammt. Die Dämmerung des Alkovens umgab die matt beleuchtete, weiße Gestalt gleich einem schweren Ebenholzrahmen. Aufatmend und mit jener Lässigkeit, die den jungen Offizier schon so häufig betört hatte, trat sie in das helle Wohnzimmer und knöpfte sich eifriger als sonst die langen weißen Seidenhandschuhe zu. Offenbar wurde das Mädchen nur von der einen Sucht beherrscht, ihren Aufbruch so schnell und so unbemerkt als möglich zu vollziehen.

»Adieu, Fritzchen,« schnitt sie ihm bereits das erste Wort ab, denn sie fühlte mit Unbehagen, wie ihr aus den Augen des Gefährten schon wieder allerlei unbequeme Fragen entgegendrohten, »adieu, mein Liebling. – Nein, nein, um Gottes willen, rühre mich nicht an, solche ungeschickten Männerhände sind ja sofort wahrnehmbar. Und Johanna ist der mißtrauischste Polizist, den du dir denken kannst. Nein, ganz still, ganz artig« – und sie preßte ihm rasch die Rechte auf die Lippen, die sich schon zum Widerspruch oder zu einem Vorwurf geöffnet hatten. »Aber wenn du recht folgsam bist, komme ich vielleicht einmal auf ein Viertelstündchen wieder. Adieu, Fritzchen, adieu!«

Geschickt schmiegte sie sich durch den schmalen Türritz hindurch, allein jenseits der Schwelle wandte sie sich und warf noch einmal einen lachenden Blick zurück. Das Geschirr auf dem Tisch schien ihre Aufmerksamkeit zu fesseln.

»Wie drollig sich deine Wirtschaft ausnimmt,« flüsterte sie hinein, hob jedoch sogleich den Finger warnend gegen den Mund, damit er sie nicht durch eine laute Antwort verriete, »wie schade, daß du mich nicht bewirten konntest! Warum kommt dir eigentlich niemals solch ein hübscher Einfall? Überhaupt, du verdienst die große Bevorzugung und auch die Gefahr nicht, der ich mich deinetwegen aussetze. Sst, – ganz still, Fritzchen, hier hast du noch eine Kußhand, so – und nun schlaf wohl, mein Schatz.«

Fritz Harder hatte seine karge Mahlzeit kaum berührt. Ruhelos schritt er in der engen Stube auf und nieder, und seine verzogene Stirn deutete darauf hin, wie sehr er sich bemühte, der widerstrebenden Gedanken Herr zu werden. Zweimal schon hatte er sich an den Flügel gesetzt, allein unter seinen geübten Händen waren nur ein paar mißtönende Dissonanzen aufgeschrillt. Und durch einen heftigen Schlag auf die Tasten wurde das regellose Spiel beendigt.

Nein, das ging nicht. Er mußte sich sammeln und Klarheit gewinnen. Ungeduldig riß er die Schublade des roten Fichtentischchens auf und warf ein blaues Heft auf die Platte. Dies war seine Arbeit, von der er sich einmal Erfolg versprochen. Jetzt blieben seine Augen wirr auf einer sauber gezeichneten Terrainkarte haften, und er versuchte sich zu besinnen, warum er mit roter und grüner Tinte verschiedene sich kreuzende Linien hineingemalt hatte.

Alles vergeblich. Der bohrende Gram, die innere Unzufriedenheit mit sich selbst, sie warfen sein Auffassungsvermögen um, sie schlugen den stärkeren Menschen in ihm nieder.

Nein, es war genug. Törichter Hochmut, sich für besser zu halten und würdiger als seine Kameraden sich gaben. Und dann – er lachte bitter auf, bedeckte sich mit der blauen Mütze, und nach ein paar Minuten schon klirrte sein metallener Säbel über das Trottoir der menschenleeren Rosenkranzgasse.

»Ah, Fritz Harder,« rief der lange Janick, als sein Freund das Spielzimmer des Kasinos betrat; und damit erhob sich der Oberleutnant, lebhaft winkend, von seinem Sitz, »kommen Sie, Beethoven, hier ist eine große Neuigkeit eingetroffen. Schieberamsch mit Pauken und Trommeln. Das müssen Sie lernen, Fritzchen, setzen Sie sich neben mich, so etwas Anregendes haben wir schon lange nicht erlebt. Prost, Musikante – prost.«

Dunkelheit senkte sich bereits über die Stadt. Aus dem Portal des Goldenen Bechers trat, dicht in einen schwarzen Hängemantel gehüllt, der bewegliche Kammerdiener des Konsuls Bark heraus, in der Hand ein ziemlich umfangreiches Briefkuvert, das er im Auftrage seines Herrn dem Leutnant Fritz Harder in sein Quartier überbringen sollte. Der weiße Umschlag leuchtete durch die Nacht, als Pawlowitsch achtlos schlenkernd über den Marktplatz schritt. Noch war der Diener nicht weit gekommen, als seinen auch jetzt rastlos umherspähenden Äuglein die Umrisse eines Jagdwagens auffielen, der, mit drei winzigen Pferdchen bespannt, dicht vor der Einfahrt des zweiten großen Gasthofes der Stadt »Zum russischen Großfürsten« wartete. Interessiert und auf unhörbaren Sohlen tänzelte Pawlowitsch näher. Aus der Dunkelheit tauchten zwei Gestalten auf, die sich augenscheinlich an dem Hinterrad des Gefährts zu schaffen machten. Ein paar derbe Flüche in russischer Sprache wurden laut, und der Kammerdiener erkannte sofort das dröhnende Organ des Grenzoffiziers, der vor ein paar Stunden seinem Herrn die Ehre seines Besuches geschenkt hatte.

»Dummes Vieh,« hörte der regungslos Verharrende den Rittmeister Sassin auf seinen Rosselenker einschimpfen, »hab' ich dir nicht zehnmal gesagt, daß das Rad quietscht wie eine kranke Katze? Du Hundesohn hast wieder verschlafen, Fett auf die Achse zu schmieren. Ich schneide dir noch einmal in Wahrheit beide Ohren ab. Gleich holst du dir von diesen Deutschen etwas von dem Zeug heraus. Hast du verstanden?«

Der zusammengekrümmte Kutscher zog seine hohe Schirmmütze. »Jawohl, guter Herr,« murmelte er demütig und verschränkte seine Arme über der Brust. »Euer Gnaden, ich gehorche.«

»Zum Teufel, dann mach, daß du fortkommst! Und wenn du fertig bist, dann holst du mich dort drüben aus der Konditorei ab. Hast du begriffen?«

»Ich gehorche, Euer Gnaden.«

Der Kutscher trottete in die Einfahrt zurück, und der Rittmeister schlenderte säbelklirrend über das rauhe Pflaster, bis er plötzlich vor der schweigenden Gestalt des Lauschers zurückschreckte.

»Was ist?« rief er drohend.

»Oh nichts, Euer Gnaden,« erwiderte Pawlowitsch sich tief verbeugend, »ich bin es nur, der Diener des Herrn Konsul Bark.«

»Aha – aha – Diener – Diener von ausgezeichnetem Freund Rudolf Bark,« lenkte der Russe ganz widerspruchsvoll ein, und dabei versetzte er dem zierlichen Männchen einen wohlwollenden Faustschlag auf die Schulter, so daß der Überraschte, der eine solche Gunstbezeugung wohl kaum erwartet haben mochte, ein wenig vornüber taumelte.

»Heilige Mutter!« stöhnte der Getroffene leise.

Der Russe jedoch ließ von seiner Zärtlichkeit nicht ab, ja, er beugte seine mächtige Gestalt sogar noch etwas tiefer zu dem Unentschlossenen herab, als sei es für ihn überaus interessant zu konstatieren, was für einen weißen Zettel der Diener des ausgezeichneten Rudolf Bark in den Händen trüge.

»Pawlowitsch, guter Junge,« rief er wohlgelaunt, und dabei zupfte er nach russischer Sitte dem weißhaarigen Kerlchen sanft an dem Ohrlappen herum, »bist fleißigstes Geschöpf, das ich kenne in dieser fleißigen Stadt! Toujours en vedette, früh und spät. Weißt du auch, daß ich dich deinem Herrn schon längst ausmieten wollte? Sieh einmal, du trägst Brief, Pawlowitsch!«

»Oh,« erwiderte der Hausmeister, der einen Augenblick zögerte, bis er dann doch die Aufschrift des Kuverts nach oben kehrte, »an den Leutnant Fritz Harder«.

»Leutnant Fritz Harder,« wiederholte der Dragoner in beglücktem Ton, »ach, sieh einmal, wirklich an lieben Fritz Harder.« Und nach einer Weile des Nachdenkens, während deren sich der Russe rasch den blonden Kinnbart strich, setzte er hinzu: »Mir ist, als ob junger Herr bei der Festungskommandantur beschäftigt wäre?«

»Ja,« pflichtete Pawlowitsch immer langsamer bei, indem er den Brief vorsichtig unter dem herabwallenden Hängemantel vergrub, »der Herr Leutnant ist seit kurzem dazu kommandiert.«

»Nun, will nicht aufhalten,« sagte der Russe freundlich, »besorge Auftrag, Pawlowitsch. Aber warte, – sollte ich heute nicht vergessen haben, dir dein gewohntes Trinkgeld zu überreichen?«

Jetzt schüttelte der Diener heftig abwehrend das Haupt, allein er konnte es doch nicht verhindern, daß seine schwarzen Äuglein trotz der Dunkelheit einen höheren Glanz gewannen.

»Nein, nein, Euer Gnaden, ich habe nichts zu beanspruchen. Der Herr Rittmeister haben ja nichts bei uns genossen.«

Der Russe jedoch streckte wiederum seine Faust nach dem Ohrläppchen des nicht mehr Zurückweichenden aus.

»Kleiner Galgenvogel,« meinte er gutmütig, »hast du vergessen, daß ich euch beinahe eine ganze Flasche von wunderschönen klaren und lieblichen Rheinwein austrank? Ein schöner Wein, ein seltener Wein! Wir Russen sind dankbar, wir erinnern uns stets der treuen und braven Diener. Hier, Pawlowitsch, nimm. Macht mir Freude, wenn du an Rittmeister Sassin denkst.«

War es Ernst oder bestand alles in einem Irrtum? Gott im hohen Himmel, da hielt der Mann im Radmantel ein blankes Zwanzigmarkstück in der Hand; der über dem Markt heraufkommende Mond weckte Funken in dem roten Metall, und es war ein so einzig schönes Bild, daß Pawlowitsch seine langen Finger krampfhaft schloß, als gönne er es anderen nicht, sich an dieser wärmenden Augenweide zu ergötzen. Und doch krümmte sich seine Seele und wand sich ängstlich hin und her, denn die Güte des Rittmeisters erschien dem kundigen Mann verdächtig, und ein quälender Zweifel beschlich ihn, ob jenes Gold nicht vielleicht dazu bestimmt wäre, um die besseren Mahnungen seines Herzens zu übertönen. Man hatte so viel von den rauhen Grenznachbarn gehört, sie waren so lüstern nach diesen oder jenen gleichgültigen Dingen, die den Uneingeweihten gänzlich nebensächlich erschienen, und die dann doch plötzlich eine besondere Geltung gewinnen konnten. Und dann – die Versucher von dort drüben sollten sich im Besitz von ungeheuerlichen Schätzen befinden, die sie wahllos und verschwenderisch über die ihnen Ergebenen und Willfährigen ausstreuten. Hatte sich Pawlowitsch, der Listige und Verschlagene, nicht schon oft heimliche Gedanken darüber gemacht, wie hübsch es wäre, wenn man die groben ungeschlachten Kerle von jenseits der Grenze ein wenig necken würde? Natürlich nur ein bißchen aufziehen, um sie hinters Licht zu führen, denn man wußte ja eigentlich gar nichts, was die neugierige Gesellschaft wirklich interessieren könnte. Aber als der Hausmeister jetzt das kalte Goldstück mit seinen langen Spinnenfingern umschloß, da gab es ihm doch einen brennenden Stich durch alle Adern hindurch, und einen Moment schlugen Angst und Feigheit so stark in ihm empor, daß er fast ohne Überlegung die Hand ausstreckte, um das liebe, das schöne, das reiche Geschenk wieder von sich zu schleudern.

»Da – da – Panne Rittmeister –«

»Was willst du, mein lieber Junge?«

»Ich – ich« – das Kerlchen im Radmantel erwachte – »ich wollte Ihnen bloß herzlich danken, Herr Rittmeister,« sagte er schmerzlich.

Der Russe jedoch versetzte ihm einen freundschaftlichen Puff vor die Brust, so daß dem ohnehin Bedrückten einen Moment lang die Luft fortblieb.

»Schon gut, Pawlowitsch,« hörte er die dröhnende Stimme dicht vor seinem Ohr, »das ist nur Kleinigkeit. Du gefällst mir, du gefällst mir wirklich. Und dann – wir sind ja auch halbe Landsleute. Wer weiß, was ich noch alles für dich tun kann? Und nun geh und richte deinen Auftrag aus, bei lieben Leutnant Fritz Harder. Wo wohnt er doch noch?«

»Er wohnt Rosenkranzgasse 19,« schlich dem Diener die Stimme mühsam aus der Kehle. Und sich windschief verbeugend, schlug der Davoneilende ein Kreuz unter dem langen Mantel, indem er noch erstickt hinterher zu flüstern versuchte: »Jesus, Maria und Joseph, legt Fürbitte ein!«

Als Pawlowitsch dies herausstöhnte, schlug es von der Sebalduskirche die zehnte Stunde. Das Glockenspiel des Meisters Adameit begann wieder seine glasklaren Melodien zu spielen: »Wer nur den lieben Gott läßt walten.« Da trat Pawlowitsch der Schweiß auf die Stirn. Fester und gieriger preßte er die Goldmünze in seiner Hand zusammen, als müsse er sich durchaus an etwas Irdisches klammern, und doch bröckelte es von seinen Lippen noch einmal wie vorhin, nur schaudernd und abwehrend:

»Jesus, Maria und Joseph, wie leicht kann man das Geld auf dieser Erde verdienen. Wie leicht – legt Fürbitte ein!«

III

Durch die langen schmalen Eichen vor dem Herrenhause von Maritzken raschelte der Frühwind. So eng beschnitten hatte man die dunkelgrünen saftigen Kronen, daß man die Bäume in der Ferne für hochstrebende Pappeln halten konnte. Nun wiegten sich die Wipfel im weißen Sonnenlicht des Julivormittags und warfen schwankende Schatten auf den grob gepflasterten Hof, der trotz beginnender Ernte und obwohl er von Leiterwagen und Pflügen besetzt war, so sauber aussah, als wäre er für eine besondere Feierlichkeit aus vielen Wasserschläuchen überspült worden. Auch die umgebenden Wirtschaftsgebäude blitzten stets unter einem weißen Anstrich, denn es machte den Stolz der Herrin von Maritzken aus, daß sich das von ihr bewirtschaftete Gut immer in weithin leuchtender Weiße zeige. Unter dem viereckigen Toreingang aber stand Johanna Grothe selbst, und die Sonnenstrahlen hüllten ihr lockeres Haar in eine Goldhaube ein. Vor ihr verharrte in Hemdsärmeln die untersetzte Figur ihres Statthalters, der sein kleines zehnjähriges Töchterchen an der Hand führte.

»Nun, Baumgartner,« fragte Johanna den Mann mit der vorzeitig durchfurchten Stirn freundlich, »wie weit halten wir heute?«

Da berichtete der treu sorgende Verwalter, der die Angewohnheit aller älteren Landleute besaß, die Gutsangelegenheiten nicht allzu rosig darzustellen, wie man bei der Rapsernte auf ganz verfluchte Flecken gestoßen sei, die mit nichts als Unkraut und Hederich bewachsen wären.

»Da ist wieder ein toller Hund gelaufen,« sagte der Landmann nach dem Aberglauben der dortigen Gegend.

»I, lassen Sie nur, Baumgartner,« tröstete Johanna lächelnd, »unser Raps selbst steht fett und gut. Es kann einem das Herz im Leibe lachen.«

Der Mann kraute sich leicht hinter dem Ohr. »Na ja, Fräuleinchen, aber mit dem Kartoffelumwerfen, da kommen wir nicht richtig vorwärts. Uns fehlen Pferde. Ponnies müßten wir haben, mit schmalem Tritt.«

»Da haben Sie recht, Baumgartner,« nahm seine Herrin den Einwurf lebhaft auf, »aber wissen Sie das Neueste? Heute nachmittag fahre ich mit meinen Schwestern nach Grabowo.«

»Was, über die Grenze?« hob hier der Verwalter sein sonnengebräuntes Haupt und zuckte ein wenig mißtrauisch die Achseln, und als er erfahren, daß seine Gebieterin dort drüben das vermißte Pferdematerial zu kaufen beabsichtigte, da klopfte er mit dem Finger noch einmal warnend gegen die Schärfe seiner Sichel. Es gab einen hellen Ton. »Vorsichtig, gnädiges Fräulein,« riet er dringend, »die Gesellschaft da drüben geht nicht immer ehrlich zu Werke.«

»Oh, Sie können unbesorgt sein, Baumgartner, Herr Konsul Bark begleitet uns.«

Da ging ein beifälliger Zug über das ernste Antlitz des Landmannes.

»Das ist gut,« stellte er fest. »Konsul Bark versteht seine Sache. Er hat auch mit dem alten Trakehner Hengst bei uns recht behalten. Das Tier arbeitet drei junge Pferde in Grund und Boden.« Und während sich der Beamte schon zum Abgang wandte, fragte er noch einmal ehrerbietig: »Und zu wann befehlen das Fräulein den Wagen?«

Eine schwere Falte grub sich dabei mitten über die Stirn des Mannes. Allein Johanna verstand ihn.

»Nein, nein, Baumgartner,« beruhigte sie. »Sie brauchen sich gar nicht stören zu lassen, Herr Konsul Bark holt uns in seiner eigenen Equipage ab, obwohl uns unser Weg ja ohnehin durch die Stadt führen würde. Sie können Ihre Pferde ruhig bei der Arbeit behalten.«

»Oh, danke schön, gnädiges Fräulein, das ist gut. Herr Konsul Bark weiß, was sich gehört. Ich freue mich immer, wenn er auf das Gut kommt. Nun vorwärts, Tilli.«

Er gab seiner kleinen Tochter einen Wink, das Kind knixte und beide schritten rasch bis zum Hoftor. Jedoch sie sollten nicht hinausgelangen. Von der Chaussee her erhob sich ein scharfes Rollen, Peitschenklang schwirrte durch die Luft, und gleich darauf sah die Gutsherrin, wie ihr Verwalter ein Paar mächtigen Rappenhäuptern beruhigend über die schäumigen Nüstern klopfte.

Bei Gott, dies Gespann kannte Johannas geübter Blick. Ja sogar den harten, sausenden Peitschenklang unterschied sie vor allen anderen. So dröhnend und unbekümmert raste nur der Riese dort drüben von Sorquitten über die Landstraße. Und richtig, noch hatte sie die Ziegelschwelle unter der viereckigen Einfahrt nicht verlassen, da schob sich auch bereits eine mächtige Männerfigur in einem gelben Sportanzug durch die Toröffnung, und ein grünes Tirolerhütchen mit einer alten verbogenen Hahnenfeder wurde aus Leibeskräften in der Luft geschwenkt.

»Morjen, morjen, Johanna, alte Seele,« wetterte das markige Organ des Vetters Fedor von Stötteritz, und dabei stampfte der ungeheuerliche Eindringling bald rechts, bald links mit den braunen Schnürstiefeln, aus denen sich ein paar unförmige Waden herausdrängten, schallend auf den Steinen des Hofes herum. »Laß mal eiligst so einen kleinen Tritt herausbringen, liebste Cousine, meine alte Dame will sich nämlich wieder nicht meinen Armen anvertrauen. Sie behauptet, ich zerbräche ihr immer ein paar Knochen im Leibe. Also fix, Johanna,« und er führte die beiden Mittelfinger in den Mund und ließ einen gellenden Pfiff erschallen. »Vorwärts, wo bleiben die Faulpelze? Meine Frau Mama kann ja bekanntlich nicht warten.«

Jetzt wurde es auf dem Hofe lebendig. Eine Magd mit einem Tritt lief hochaufgeschürzt hinzu, und nachdem auch Johanna bis an den Wagenschlag geeilt war, da entschloß sich die lang aufragende, hagere Insassin des Gefährtes endlich, die Expedition auf den sicheren Erdboden zu unternehmen. Mit einem Krückstock indessen tastete sie erst vorsichtig die Unebenheiten des Terrains ab. Kurzatmig stand sie dann neben ihrem Sohn, um ihrem blauroten und doch pergamentartig mageren Antlitz ein wenig kühlende Luft zuzufächeln.

»Es ist nichts mit solchen Ausfahrten,« stellte Frau von Stötteritz grämlich fest, wobei sie der Hausherrin steif ihre Rechte zum Handkuß darbot. »Guten Tag, liebes Kind. Ich wollte dich gewiß nicht belästigen – nein, nein, schon gut, wer soll sich denn über eine so alte anspruchsvolle Frau im Ernst freuen? – aber mein dummer Junge läßt mir ja keine Ruhe. Es sollte durchaus ein Besuch bei dir werden. Als ob ich dich in meinem Leben noch nicht gesehen hätte! – Nein, nein, schon gut,« unterbrach die hagere Dame entschieden, als das blonde Mädchen ihr irgend etwas Liebenswürdiges entgegnen wollte. »Lüge nicht erst, mein Töchterchen, du schwärmst ja selbst nicht für Komplimente. Die Hauptsache ist, daß ich möglichst bald eine Fußbank unter mein rechtes Bein erhalte. Du kannst dir gar nicht denken, wie mich das Rheuma wieder plagt. Aber paß auf, es gibt Regenwetter. Unsere Rapsernte wird uns natürlich wieder wegschwimmen.«

»Du, Hans,« schrie der Sohn aufgeräumt dazwischen, der seine Frau Mama mit den flachen Händen so sanft wie möglich vor sich her schob, »mein ganzer Raps an Silberstein da drinnen verkauft. Den verfluchten Juden hab' ich schön hochgenommen. Wenn das in diesem Jahre so weiter geht, dann bau ich auf Sorquitten das neue Herrenhaus, das du neulich vorschlugst. Meine Alte werde ich schon rumkriegen.«

»Es wäre gut, wenn du mir nicht so in die Ohren schriest, Fedor,« tadelte die Vorauftappende, schmerzlich ihren Mund verziehend. »Was ich dieses Brüllen nicht leiden mag –«

»Na, laß man sein, Mutterchen, ich säusele schon wieder. So, und nun aufgepaßt, hier kommen die Treppen.« Der Besuch wurde in das große Staatszimmer hinaufgeführt, dessen drei Fenster auf den Park hinausgingen. Denn Johanna dachte daran, daß ihre Tante, Frau von Stötteritz, eine unbesiegliche Abneigung hege gegen den Anblick des Wirtschaftshofes sowie gegen die rauhen Geräusche, die sich von dort möglicherweise erheben konnten. In einem alten gelben Seidenfauteuil lehnte die alte Dame an einem der hohen Fensterbogen und zupfte nervös an den seidenen Halbgardinen herum. Währenddes präsentierte die blonde Hausherrin ihrem kritischen Besuch ein in Wein abgezogenes Ei, denn dies war die einzige Aufwartung, welche die kränkliche Dame gnädig aufnahm. Dafür konnte sie von jener Leckerei auch große Mengen vertilgen. Einen Augenblick hörte man nichts, als das Klirren des Löffels, den Frau von Stötteritz in dem Glase herumführte, und dazwischen mischten sich die schallenden Tritte ihres Sohnes, der, die Hände in den Taschen, ruhelos das Zimmer durchmaß. Er entbehrte seine Zigarre, die in der Gegenwart der Mutter nicht geraucht werden durfte.

Endlich hatte die kränkliche Frau die ihr so wohlmundende Leckerei mit Andacht zu sich genommen; das behagliche Schlürfen sowie das Kratzen des Löffels erstarb, und nachdem sich Fedors Mutter umständlich mit ihrem Taschentuch Mund und Hände gereinigt, da richtete sich die hagere Gestalt starr in ihrem Sessel auf, alles Vorboten, daß jetzt etwas Wichtiges erfolgen sollte. Zuerst aber reichte sie mit ihren zitternden Fingern das Glas zurück, um verurteilend zu klagen:

»Wenn einem nichts mehr schmeckt, so ist das ein schlimmes Zeichen. Nein, widersprecht nicht erst, ich bin mir über meinen Zustand ganz im klaren.«

Als aber ihr herkulischer Sohn unbekümmert seinen dröhnenden Spaziergang durch das weite Gemach fortsetzte, da nestelte Frau von Stötteritz aus ihrer schwarzseidenen Handtasche einen mehrfach gefalteten Brief hervor, strich ihn auf ihrem Schoße glatt und tat einen tiefen, halb seufzenden Atemzug.

»Höre, Johanna,« begann sie endlich, indem sie sich den Zeigefinger netzte, wie wenn sie die Seiten des vertrockneten Briefes umzuschlagen gedächte, »bekümmerst du dich eigentlich um politische Vorgänge?«

»Um politische –?«

Johanna stutzte. Und während sie mit entschlossener Bewegung ihr blondes Haupt in den Nacken warf, da nahm sie plötzlich jene abwehrende Stellung ein, die ihrer ganzen Gestalt das Gepräge verlieh.

Mein Gott, wie unangenehm! Gedachten die beiden herrischen Adelsmenschen, die in der ganzen Gegend wegen ihrer altpreußischen Gesinnung bekannt waren, sie, die emsig Schaffende, nun auch zu ihren Lebensanschauungen zu bekehren? Oh nein, darin täuschten sich die beiden. Sie – das Gutsfräulein von Maritzken bewertete die ihr Nahen und Fernen lediglich nach den Leistungen, durch die Schaffensfreudige und Arbeitskräftige ihr Dasein, ihre Lebenshaltung zu befestigen oder zu steigern vermochten. Ja, das war es, dem praktischen Sinn der großen Blonden war der Erwerb, der anständige und sichere, beinahe etwas moralisch Schönes und Geheiligtes geworden. Und deshalb lehnte sie gewöhnlich mit einer ihrer entschlossenen Gesten alles ab, was sich in ihrem Umkreis in politischen Zänkereien erging. »Wer für sich schafft, schafft auch für das Land,« dachte sie. Und mit diesem Bekenntnis glaubte sie sich genügend mit den Streitigkeiten des Tages abgefunden zu haben.

»Bekümmerst du dich eigentlich um politische Dinge?« hob Frau von Stötteritz noch einmal an, und es klang bereits, wie immer, ein spitzer Vorwurf aus dem Ton ihrer Frage.

Aber gerade diese Art, die so selbstverständlich eine scheue Unterwerfung forderte, das bedingungslose Zustimmen zu einem durch nichts zu erschütternden Programm, das rief den starken Drang nach Widerspruch, nach Verteidigung bei dem eigenwilligen Landfräulein hervor. Und indem Johanna mit dem Finger leicht auf die Tischplatte pochte, als wollte sie für jedes ihrer Worte eine besondere Aufmerksamkeit verlangen, da warf sie mit angenommener Gleichgültigkeit hin:

»Nein, liebe Tante Adelheid, von Politik verstehe ich zu wenig. Und das Geringe, das ich manchmal mit meinem Freunde, dem Konsul Bark, bespreche, das hat irgendwie einen Bezug auf meine Wirtschaft. Aber ein Verdienst oder etwas Ersprießliches,« setzte sie mit einem kalten Lächeln hinzu, »ist meines Wissens für mich noch niemals dadurch erzielt worden.«

Bei der Erwähnung des Namens ›Bark‹ öffneten sich die schmalen Lippen der Freifrau wie von selbst, und sie ließen ein Paar der großen gelben Zähne zum Vorschein kommen. Und siehe da, auch ihr mächtiger Sohn gab seine Wanderung auf und wurzelte so unvermittelt auf dem olivgrünen Velourteppich fest, daß die alten Porzellantassen in der nahen Glasservante zu klirren anhoben. Gleich darauf trat auch er an den Tisch heran, ganz dicht neben das blonde Mädchen, und zwirbelte mit einer weitausladenden Bewegung den starr sich emporreckenden rotblonden Schnurrbart zurecht.

»Konsul Bark?«, nahm er das verdächtige Wort von neuem auf und in seine tiefe Stimme drang gleichfalls etwas Scharfes und Schnarrendes. »Sag mal, kommst du mit dem Tütendreher noch immer so häufig zusammen, Johanna?«

Da war wieder jene Verachtung der kaufmännischen Berufe, die den praktischen Hans mehr wie alles andere verdroß. Und in ihrem Innern erhob sich eine heftige Abneigung gegen die junkerliche Überhebung des Vetters. Zum Teufel, was hatte der Riese von Sorquitten denn Höheres und Besseres geleistet, als der gewandte Geschäftsmann dort drinnen in der Stadt? Gott ja, Fedor war ein mit beiden Fäusten durchgreifender Landwirt, praktisch in jeder Faser und voll derber Freude an seinem Beruf. Seine Leute duckten sich vor ihm, denn es war nicht ratsam, mit dem Enaksohn im Ernst anzubinden. Aber bestand denn darin etwas so Gewaltiges, das große väterliche Gut, das ihm blühend von Generationen von Vorfahren überliefert war, in einem ertragsreichen Zustand zu erhalten? Wie ganz anders der Chef des Goldenen Bechers dort drinnen am Marktplatz. In ewig neuer Anspannung mußte der Kaufmann seine Kapitalien, ja sogar sein ganzes Geschäft, das durch wechselnde Konjunkturen und Zeitströmungen immer wieder gefährdet werden konnte, verteidigen, schützen und erweitern. Über die schnell sich verändernden Beziehungen des Völkerlebens mußte er sich unterrichtet zeigen, denn jeden Augenblick konnte es nötig werden, irgendeine der sich erhebenden großen Fragen des Weltgeschehens für sich günstig auszubeuten. Dazu gehörte doch eine andere geistige Beweglichkeit, eine männliche Kraft des Entschlusses und daneben auch eine biegsame und geschmeidige Leichtigkeit, die plötzlich anstürmenden Gefahren auszuweichen verstand; ja, es gehörte mehr Mut und Selbstbeherrschung zu einem solchen Tütendrehen, als es das ruhige Abwarten von Saat und Ernte verlangte.

So meinte Johanna wenigstens, denn da ihr selbst die schwere, und an Enttäuschungen reiche Pflicht der Bodenbearbeitung geläufig war, so neigte sie durchaus dazu, das ihr fremde und imponierende Spiel des Handels höher als ihre eigene Leistung einzuschätzen. Aber selbst wenn dieser letzte Grund fortgefallen wäre, so empörte sich die tief in ihr wurzelnde Dankbarkeit für ihren uneigennützigen Freund dagegen, daß Junkerhochmut den tätigen Mann seines Gewerbes wegen über die Achsel anschauen dürfe. Und sehr bestimmt entgegnete sie deshalb auf den etwas spöttischen Einwurf ihres Vetters:

»Allerdings, lieber Fedor, ich komme mit Herrn Konsul Bark sehr häufig zusammen. Ja, unser Freund wird mich und meine Schwestern sogar heute nachmittag in seinem eigenen Wagen zu einem Besuch jenseits der Grenze abholen.«

Noch hatte die Entschlossene nicht völlig geendet, als der Brief auf dem Schoß der Tante Adelheid seltsam zu rascheln begann. Und während der mächtige Landwirt vor Überraschung mit der Faust nur einen kräftigen Luftstoß ausführte, dem sich die empörte Anmerkung beigesellte: »Na, das ist aber doch –,« da schüttelte seine Mutter sehr bestimmt das pergamentene Haupt, und ihre noch immer schwarzen Augenbrauen schnürten sich so eng zusammen, als ob damit die Willensäußerung ihrer Nichte ein für allemal ausgestrichen und aus der Welt geschafft wäre.

»Mein liebes Kind,« hüstelte sie in ihrer frostigen Art, die keinen Widerspruch zu kennen schien, »du siehst hier diesen Brief. Mein dummer Junge behielt doch recht, als er mich zu dem Besuch bei dir veranlaßte. Ich merke, wir kommen gerade zur rechten Zeit. Kurz und gut, liebe Johanna, du wirst klug handeln, wenn du deinen Besuch jenseits der Grenze unterläßt.«

»Aber warum, beste Tante? Ich sehe gar nicht ein –«

»Unterbrich mich nicht, Johanna, sonst verliere ich so leicht den Zusammenhang. Dir wird hoffentlich gleich alles klar werden. Und du kannst Gott danken, daß man dich noch in letzter Stunde warnt. Weißt du, was dieser Brief enthält? Er stammt von meinem Bruder, dem Geheimen Regierungsrat von Roeder aus dem Auswärtigen Amt, und mein Verwandter richtet die dringende Bitte an mich, die äußerste Vorsicht gegen alles walten zu lassen, was mit unseren russischen Nachbarn irgendwie in Beziehung steht.«

»Aber liebe Tante Adelheid,« rief Johanna eifrig, obwohl sie sich eines leichten Fröstelns, das über ihre weiße Haut rieselte, nicht erwehren konnte, »wozu das alles? Wir sind doch auf das große Volk dort drüben angewiesen. Wir tauschen so vieles von ihnen ein, was wir nirgends besser und billiger erhalten. Und die Leute von jenseits der Grenzpfähle nahmen gerade in den letzten Jahren auch von uns nicht allein allerlei praktische Dinge, sondern sogar manche Sitten und wissenschaftliche Errungenschaften an, so daß man sich über den lebhaften Verkehr doch nur freuen sollte.«

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
11 ağustos 2017
Hacim:
460 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
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