Kitabı oku: «Hann Klüth: Roman», sayfa 12
Ja aber, wen soll man nun lieb haben?
Den lieben Gott?
I, das wär ja so selbstverständlich, als wie die eignen Eltern, und wär woll trotz alledem nich das eigentliche. Denn zu einer richtigen Liebe, mit Aussprache und Umarmung kommt's da doch nich. Dazu ist zuviel Respekt.
Und alle andern lieben, wie's unser Herr Jesus Christ von uns verlangt hat? sieh, das würd' ich nun für mein Leben gern tun, aber sie meinen ja jetzt, wie ich man neulich von oll Kusemann gehört hab', dann wär man ein verfluchter Sozialdemokrat, und man vernachlässigte auch sein Eigens zu sehr dabei, wenn man allen anderen in die Töpfe kucken wollt'. – Ne!
Was bleibt also übrig?
Na, Hanning, du schämst dich ja bloß, nu sag's doch, es bleibt eben das übrig, wovon Line das Allerschönste is – die Frauensleut.«
Hier seufzte er tief auf.
»Ja, ja, die müssen wohl zuletzt doch das Glück sein, denn man steht ja allerwegen, wie man zuletzt doch nach ihnen greifen tut. Und aus welchem andern Grund hätte sonst wohl Müller Pökel in Moorluke bereits die fünfte, als deshalb, weil man ohne so was nun mal nich leben kann. Nu is aber die Frage: besteht mit die Frauensleute das Glück einfach in dem Kinderkriegen, wie oll Kusemann meint? Oh, das wär' woll zu wenig. Oder in dem Immerzusammensein mit ihnen? Ne, dagegen sagt wieder das Sprichwort: >Allzuviel is ungesund<.
Das kann es also auch nich sein.
Ich glaub' man, es geht wohl den meisten damit so, wie es mir geht; es is die Sehnsucht, ja, die Sehnsucht nach einer; das is wohl das Schönste, das is wohl das Glück.«
Hier seufzte er wieder zum Erbarmen tief und schwer in sich hinein. Denn wohin seine Sehnsucht bereits in der Kindheit gezogen, das wußte er wohl. Und ebenso fest stand es, daß dieses Gefühl überwunden werden müßte, wollte er nicht dulden, daß man ihn verspottete oder gar verlache.
»Ne, ne,« ermannte er sich bekümmert, »Klara Toll – Klara Toll, ich sag's noch mal, damit ich mich den Namen recht fest ins Herz schreib', Klara Toll, die is für mich, und ich bin für sie! Die is still und ruhig, und mit der wird meine Sehnsucht woll allmählich auch still und ruhig werden. Ja – ja, und in der Meinung hab' ich schon ordentliche Sehnsucht nach Klara Toll.«
Und er murmelte noch mehrmals wie einer, der etwas auswendig lernt: »Klara Toll – Klara Toll.«
Und damit glaubte er am Ende seiner Einsicht zu stehen.
XII
Es dämmerte sacht, als ein Unteroffizier in Hanns Zelle trat, um ihm mitzuteilen, daß sein Arrest abgelaufen sei. Hann wurde über den Hof geführt, der Posten am Tor wechselte mit seinem Begleiter ein paar heimliche Worte, dann ächzte das schwere Holz, und der Befreite befand sich auf der dunklen Straße. Ein tiefer Atemzug, dann faßte er sich an den Kopf. »Ja, ja, er hatte doch manches da drinnen erlebt. Was war noch das Letzte gewesen? – Ach richtig, die Frauensleut', und besonders Klara Toll; ja, ja die besonders.«
Da legte sich eine Hand auf seine Schulter.
Als er sich überrascht umwandte, stand sein Bruder Paul vor ihm; und hinter jenem – ja, wer war denn das schlanke Mädchen mit dem Tuch über den Haaren und dem Körbchen am Arm? Das war doch nicht etwa? – Hann wollte das Herz klopfen, doch als die Gestalt näher trat, erkannte er, daß es die Schulmeisterstochter wäre.
Er senkte das Haupt.
Das waren also die beiden einzigen, die an seinem Schicksal Anteil genommen.
Der Kandidat sah ernst aus. Nichtsdestoweniger klopfte er Hann leicht auf den Rücken, während er davon anfing, daß der Gefangene es hinter den Mauern wohl nicht besonders gut gehabt hätte.
Es sollte ein Scherz sein, der dem Fischer über die Befangenheit forthelfen sollte, die der Theologe bei ihm voraussetzte; da Hann jedoch gutmütig lachend beistimmte, zog der Kandidat verletzt seine Hand zurück. So scherzhaft faßte er den Zwischenfall nicht auf: »Es ist für uns nicht besonders ehrenvoll,« sagte er, »daß die Sache mit dir so abgelaufen ist, aber, hm – « er sah seines Bruders unschuldiges, bekümmertes Antlitz und lenkte sofort wieder ein, »aber es ist eben jedem nicht so gegeben. Na, nun gib mir die Hand. Ich wollte mich nur davon überzeugen, daß du dir's nicht zu Herzen nimmst. Und nun adieu, Hann.«
Damit nickte er ihm mit seinem hageren Gesicht aufmunternd zu und verschwand um die nächste Ecke.
Hann befand sich mit dem Mädchen an der Kasernenmauer allein.
Drinnen übte auf seiner Kammer ein Hornist Signale: »Zum Ausschwärmen.«
Tarattata – tarattata.
Leise verschwommen klang es heraus, auf sie herab fielen wenige, müde Schneeflocken, die Luft war milder geworden, und es dunkelte stark.
Hann kratzte sich hinter dem Ohr: »Ja, ja, Klara,« begann er endlich, »daran hab' ich noch gar nicht gedacht, es is nich ehrenvoll für mich.«
Leichtfüßig trat sie ihm näher, ihre dunklen Augen standen voll Tränen. »Oh, Hann, laß das doch, bei uns draußen fragt da kein Mensch nach.«
»Das is wohl wahr. Das tun hier bloß die Gebildeten, Bruno und – Line.«
»Na, laß sie.«
»Ja.«
Und nach einigem Nachsinnen fügte er hinzu: »Wollen wir fortgehen, Klara.«
Langsam ausschreitend ließen sie das Gemäuer hinter sich. Es sank in die Dunkelheit zurück, und damit wich auch etwas von der Bedrückung, die den Burschen gefangen hielt.
Die Schulmeisterstochter stieß ihn sanft mit dem Körbchen in die Seite. Sie hatte ihm mit Wurst belegte Semmeln mitgebracht, und ein kleines Fläschchen Kognak.
»Weil ich meinte, du müßtest sehr hungrig sein, Hann.«
»Oh, Klara, du bist doch gut.«
»Na, da nimm.«
Die Semmeln mundeten ausgezeichnet, und der Kognak machte ihn warm und mutig.
Langsam streichelte er während des Hinschreitens an ihrem Arm herunter: »Klara, du bist doch sehr gut,« wiederholte er.
Sie nickte ihm zu und sah zu Boden.
»Also, du machst dir nichts draus, daß sie mich eingespunnt haben?« fing er wieder an.
»Nicht das mindeste,« erwiderte sie, »besonders, seit ich von oll Kusemann weiß, daß du nun frei bist.«
»Ja, das bin ich,« bestätigte Hann und warf sich in die Brust. »Ein Fuß von mir is kürzer.«
»Und daß sie dich nicht nach Afrika schicken.«
»Bewahre, ich bleib' nun hier.«
»Ja, jetzt bleibst du,« sagte sie zufrieden.
Sie versuchten, sich anzublicken, doch sie konnten in der Dunkelheit nur wenig voneinander entdecken.
»Klara Toll!« murmelte er plötzlich.
Es war, wie wenn er sich an etwas erinnere.
»Was sagst du da?« forschte sie.
»O nichts – ich will hier bloß, eh' wir mit der Hafenbahn nach Haus fahren, was in Ordnung bringen. Gib mir deine Hand, Klara.«
»Hier, Hann.«
Sie standen vor dem kleinen, schmalen, trüb erleuchteten Schaufenster eines Goldarbeiters der Hafenstadt.
Der Philosoph besah sich die Hand angelegentlich und nickte dann mehrfach bekräftigend: »'s is recht – aber nun – «
Er wühlte in seiner Tasche herum, schien nichts zu finden und wurde unsicher.
»Zu dumm, aber darauf war ich nich vorbereitet; aber sag mal, Klara, könntest du mir vielleicht ein paar Taler leihen?«
»I, gern,« bejahte sie mit Hast, »hier ist ein Goldstück, das ich immer bei mir trag. Ist's auch genug?«
»Je, ich hab' keine Erfahrung in solche Sachen, aber der Mann wird ja nich unbescheiden sein. Und nun wart' hier eins einen Augenblick.«
Damit trat er unsicher in den Laden, und als er nach einiger Zeit wieder zurückkehrte, glühte Aufregung in seinem Gesicht, und Klara bemerkte, wie er eine kleine Schachtel zwischen den Fingern drehte.
»Du erhältst noch zwei Mark zurück,« stotterte er atemlos, »hier – und nun komm.«
»Ja, aber Hann, was – ?«
»Ne, ne, nich hier; wenn wir allein sind.«
In Eile zog er sie fort; auch ihr begann das Herz zu hämmern, sie wußte nicht warum, bis sie an der offnen, vereisten Bahn des kleinen Flusses angelangt waren.
Ein kalter Wind wehte ihnen hier entgegen, aber Hann achtete nicht darauf, sondern drängte seine Gefährtin über die Geleise der Hafenbahn fort, hin nach der einzigen Pfahllaterne, die von einem hohen Rinnsteinbord aus eine kümmerliche, zuckende Helle verbreitete.
Hier mußte man warten.
»Die Hafenbahn ist noch nicht da,« sagte Klara Toll, der allmählich ängstlich zumute wurde.
»Ja, aber man hört sie schon läuten,« gab Hann verwirrt wieder, » – hörst sie?«
»Ja.«
»Nun is sie keine fünf Minuten mehr weit,« fuhr er fort.
Sie nickte.
Hann hielt sich an dem Laternenpfahl fest, seine Zähne klapperten gegeneinander, es war ihm, als ob er auf einem schaukelnden Boot stände. Mit einem Mal griff er nach Klaras Hand.
»Herr Gott,« schreckte sie auf, »was is?«
»Nichts – nichts – ich wollt' bloß sagen, jetzt sieht man schon die Lichter,« stammelte Hann.
»Ja, das sind sie.«
»Klara?«
»Ja?«
»Wer weiß, wie viel Menschen in dem Waggon sitzen? Und nachher – willst – willst dir nich mal ansehen, was hier in der Schachtel liegt?«
Er streckte ihr mit schwankender Hand die Hülle hin, und sie warf einen halben Blick darauf. In dem zuckenden Licht sprühte ihr ein rotgoldener Funke entgegen.
»Herr des Himmels!« rief sie und schlug die Hände zusammen.
Er klammerte sich fester an die Laterne und murmelte: »Ich würd' sehr froh sein, wenn du ihn von mir annähmst – und – und es is auch gleich Zeit zum Einsteigen.«
Jetzt griff auch das Mädchen nach dem Pfahl, und da standen sie nun, wie Kinder, die Ringelreihen spielen wollen.
»Hann,« flüsterte sie mit ihrer wohllautenden Stimme, »sag' die Wahrheit, hast du mich lieb?«
Der Bursche stockte, er setzte zweimal an, bevor er das Wort fand: »Ich bin dir sehr gut, sehr gut, Klara, weil, ja weil du selbst so gut und ruhig bist – Und du?«
»Ich?« —
Nun errötete sie und zupfte an ihrem Korb. »Ich hab' dich auch sehr lieb, weil du's so treu und ehrlich meinst, Hann.«
»Oh, – Klara, das is schön von dir – das – das hätt' ich wirklich nich geglaubt, weil ich doch noch gar nichts bin, aber von jetzt an will ich mir Mühe geben, so, und nun nimm auch den Ring – nein, nich umarmen, das is unpäßlich auf der Straße; und hier kommt auch schon der Zug.«
Und als er sie unbeholfen mit einem ritterlichen Versuch in den Waggon gehoben, und als das Abteil ganz leer war, und der Zug polternd durch die Dunkelheit weiterrollte, da beugte er sich zu ihr und sagte feierlich und ernst: »Nu küss' ich dich als dein Bräut'jam, Klara.«
Leise zitternd hob sie ihre Lippen zu ihm empor.
Beide schwiegen.
Und erst nach geraumer Zeit ermannte sich Hann zu dem Satz: »Und im ganzen bin ich dir nun achtzehn Mark schuldig.«
Da suchte sie verstohlen nach seiner Hand, aber er sah nicht ihre roten, bebenden Lippen, noch das liebliche, erhobene Gesicht, nein, aus seinem philosophischen Gemüt sprach es nachdenklich heraus: »Es is mir doch heil komisch, daß du jetzt meine Braut bist, Klara.«
»O Hann.«
Er fuhr auf.
»Ja – ja – willst du was von mir? Ich meinte nur so. Und da hält auch unser Zug. Komm, Klara, der Schnee ist hier zu tief, ich heb' dich runter.«
XIII
Rastlos knarrten die Räder.
Oll Chronos hatte Schnee und Winter in seinem Wagen von dannen gefahren; und eines schönen Tages kam er wieder und hatte Maien an seinen Karren gebunden.
»Nu is Frühling,« murmelte der alte Mistkutscher dabei in sich hinein; »kuck, was sich die Menschheit freut, grad, als wenn ich das erste Mal solch grünen Plunder zur Stadt brächt'; dummes Volk, die Hauptsache bleiben die Jahren.«
Der Konsul Hollander merkte das Grünen und Blühen daran, daß sein neuer Prokurist Bruno in einem hellgrauen, eleganten Frühjahrsanzug in dem Bureau erschien.
»Menschenskind,« rief Hollander süß-sauer, »was haben Sie da wieder für ein schönes Gebäude. Ist das nach Ihrer eigenen Zeichnung entworfen? – Die Adresse von dem Schneider müssen Sie mir geben.«
Auch bei Fräulein Dewitz meldete sich die milde Jahreszeit freundlich an.
Der Bursche des Weinhändlers Kroll stellte sich nämlich in der Küche der Lehrerin ein und übergab dem erstaunten Fräulein zehn Flaschen Maibowle, die Bruno aus spezieller Verehrung für die alte Dame gesandt hatte.
Auf einer beigefügten Karte stand außerdem zu lesen: »Daß der Spender, wenn er nicht fürchten müsse, das hochverehrte Fräulein zu stören, sich gern erlauben würde, den Abend des ersten Mai in ihrer gemütlichen guten Stube zu verleben, als letzten Ausklang der von dem Fräulein während des Winters so umsichtig geleiteten Leseabende.«
»Sieh – sieh,« räusperte sich die Handarbeitslehrerin nach der Lektüre dankbar und wohlwollend und warf noch einen raschen Blick auf die in Reih' und Glied aufgestellten Flaschen, ob es auch wirklich zehn wären, »sieh – sieh – ja, es stimmt – nein, dieser Herr Bruno ist wirklich – Gott, wie sag' ich – wie solch ein Kavalier aus dem ancien régime. Und, ja, ich kann mich gar nicht genug darüber verwundern, Lining, wie du darauf verfällst, gerade ihn so schlecht zu behandeln. Mir kam es manchmal vor, als legtest du es absichtlich darauf an, ihn zu kränken. Und dabei war er es doch, der dich darauf brachte, wie schön du zu lesen verstündest, und der, anstatt wie andere junge Leute sich leichteren Vergnügungen hinzugeben, diese anregenden und bildenden Leseabende mit uns abhielt. Ich wenigstens, ja ich muß mich noch immer an euch beide als Luise und Ferdinand erinnern, wie du vorlasest: >Der Himmel und Ferdinand reißen an meiner Seele< – sieh, da hast du mich wirklich direkt gerührt.«
Line hörte der guten Dame regungslos zu und nickte, aber um ihre Lippen spielte ein vieldeutiges Lächeln. —
Oh, sie war klug, sie dachte selbst oft, eigentlich wäre sie wohl solch schwarze, kleine Hexe, die es den Männern mit einem gemurmelten Spruch antun könnte. Und wie ihr das wohltat, wie es ihr alle Glieder mit Wohlbehagen durchlief. Oh, sie wußte ja besser, was den hübschen Bruno so oft, so beharrlich die engen Treppen zu Fräulein Dewitz hinauftrieb. – Der Kuß – dieser eine brennende Kuß – und sie lächelte hinterlistig – den sie geleugnet hätte, würde man sie daran erinnert haben, denn er war ihr ja im Schlafe gestohlen, er, ja er allein war das flammende Zaubersiegel, das dem flatterhaften Menschen aufgedrückt war, und das sich nun weiterfressen mußte bis ins Hirn, bis ins Herz, bis alle seine Gedanken nichts mehr kannten als ihren Namen. Line, Line – und niemals Dina. Ah, das war ihre Todfeindin. – Nur sachte, sachte, sie wußte schon, wie Netze gelegt werden müßten, nicht umsonst war sie eine Fischertochter – und die andre, was war sie weiter als eine kalte, dummstolze Geldprinzessin – ? Nein, die konnte keinen Mann behexen, ihn nicht zu allerlei Tollheiten verführen und ihn quälen und wieder glücklich machen und wieder quälen, ganz wie es geschehen mußte, bis man seiner völlig sicher war. Und hatte sie ihn nicht bereits halb und halb im Besitz?
Oh, wenn Dina, ja, wenn selbst Fräulein Dewitz geahnt hätte, zu welchen Tollheiten sie Bruno schon gebracht. Aber leise – leise – still, daß ja keiner hört! Da lagen in den Kästen ihrer Kommode, tief unten versteckt, allerlei Ringe und Armbänder und Halsketten von roten Granaten, die sie sogar schon einmal des Nachts vor dem Spiegel auf ihrer weißen Haut schimmern gesehen, und Gürtel mit bunten Steinen, und das allerschönste war ein winziges Glasdöschen voll mit Goldstücken, es konnten gewiß fünfzehn sein, die sie manchmal, wenn sie allein war, verstohlen durch die Hand laufen ließ.
Das alles hatte er heimlich, Stück für Stück gebracht, grade wenn sie recht unartig gegen ihn gewesen, recht schnippisch, recht verständnislos gegen das, was ihn nicht mehr zur Ruhe kommen ließ, und dem sie auswich, glatt wie eine huschende Schlange.
Ja, ihr Hexenmittel würde schon wirken – bald – bald. —
– —
Auch in Moorluke wollte man trotz Frühlingsanfang in Liebesdingen sichergehen. Ein paar Monate nach Hanns Gestellung – man fuhr bereits wieder fleißig zum Fischfang – hatte Siebenbrod eines Sonntags vormittags, während er sich ein Paar neue Wasserstiefel aufmerksam eintrante, in der Küche folgendes Gespräch mit seiner Frau, die ihr Gesangbuch auf dem Schoß liegen hatte, weil sie ihrer geschwollenen Füße wegen die Kirche nicht mehr besuchen konnte: »Mudding, weißt was? – Mit Hann stimmt was nich.«
Die kleine Frau ließ ihr Buch sinken.
»Wieso, Siebenbrod?«
»Es is was mit Liebe,« fuhr Siebenbrod fort, wobei er eine große Portion Tran auf das Leder goß – »er singt.«
»Hann? – Was singt er denn?«
»Trauriges – solche Lieder, wie: Ich weiß nich, was soll es bedeuten! und andere Dinger. Aber dann is es soweit. Das kenn' ich.«
»Lieber Gott, aber wen glaubst du wohl?«
»Je, 's muß eine von den Schulmeisterdirns sein. Welche, weiß ich nich. Is mir auch egal. Aber ich merke es daran, daß Lehrer Toll seit einiger Zeit mich beim Bier immer was spendiert, und daß er dich 'ne Kruke Honig geschickt hat; ganz umsonst – und daß ich der einzigste bin, den er noch nich wegen seiner neuen Hagelversicherung rankriegen wollte. – Na, Mudding, in die Sache hab' ich aber auch noch ein Wörtchen mitzureden.«
»Du?«
Mudding erschrak und blickte mit ihrem bewegungslosen Antlitz den Fischer starr an, der ungestört und ruhig an seinem Stiefel weiterbürstete.
»Jawoll, Mudding,« brummte er endlich, wobei er behaglich an dem Leder roch; »kuck mich nich so verwundert an. Jetzt haben wir doch ein bißchen was, und da denkt sich Lehrer Toll, der so'n alter Siebenkluger is, da werd' ich eine von meine Dirns fein los! – Aber Essig! – Wenn er Hann nich ein paar Hundert Taler mitgibt, daß ich davon ein Motorboot bauen kann, dann tret' ich Hann keinen von meine Zesner ab, und von die Liebe allein kann er nich leben. Was, Mudding? Von die Liebe allein haben wir auch nich gelebt. Nich so?«
Von diesen äußeren Anfechtungen ahnte das Moorluker Pärchen freilich kaum etwas, und dennoch vollzog sich die innerliche Annäherung der beiden auch ohne dies nur außerordentlich tastend und zagend. Denn Hann war ein gar zu schwerfälliger Liebhaber. Mochte er der ruhigen Schönheit des Mädchens und ihrem sichtbaren Verlangen gegenüber, sich ihm zärtlich anzuschließen, noch eine zu große Schüchternheit empfinden, oder drückte ihn sonst etwas Unausgesprochenes, er sah sie manchmal, wenn sie des Abends in der Dämmerung am Bollwerk zusammenstanden, mit solch erstauntem, suchenden Ausdruck an, als wundere er sich immer von neuem darüber, daß das Schicksal sie beide zusammengeführt. Selten wagte er, ihre Hand zu streicheln, von einer Liebkosung hatte er, seit jenem Verlobungsabend, überhaupt abgesehen, und doch umgab beide, wenn sie so nebeneinander auf dem Bollwerk hockten oder in der Dunkelheit an den nebeldünstenden Seewiesen wandelten, eine so stille, friedliche Ruhe, daß sich alle Wünsche und Hoffnungen wie in wohltätigen Schlummer eingesungen fanden.
Manchmal standen sie in der Dämmerung, denn am Tage wagten sie noch nicht, sich miteinander zu zeigen, auf der äußersten Spitze der Mole und blickten auf die unter den Abendschleiern erzitternde Flut, in die der Mond Millionen zappelnder Goldfischchen geworfen hatte.
Dann konnte Klara Toll mit ihren sinnenden Augen hinausstarren, weit, weit, bis dahin, wo sich Dunkelheit und Meer verschlangen, und halb im Traum vor sich hinsagen: »Sieh, Hann, da hinter dem Wasser sieht man nichts mehr. Und doch liegt da noch Land. So ist's wohl auch mit unserm Leben.«
Das war nun so dunkel, daß es dem Philosophen mächtig behagen mußte.
Leise drückte er ihre Hand, und während der Westwind anhob zu summen, lehnte Klara ihr Haupt ein wenig an seine Schulter.
Es geschah das erste Mal und Hann stand regungslos.
Aber dunkler nur und schützender sank die Nacht, Hanns alter Freund, der Mond, lachte dazu gerade auf beide herunter.
Da holte der Fischer tief Atem und versuchte, mit seinen plumpen Fingern ganz zaghaft über die Haare des Mädchens zu streicheln.
In dem unsicheren Mondlichte blickte sie zu ihm auf, ihr Mund verzog sich zu einem stillen Lächeln.
»Klara,« begann Hann während des Streichelns und wälzte sich etwas von der Seele, was ihn schon lange mit Scham erfüllt hatte, »nun sag' ich endlich unsern Eltern, was mit uns is, denn dies Verschweigen is für dich nich gut.«
Das Wort schien ihr wohlzutun, und doch schüttelte sie langsam das Haupt.
»Nein, tu's nicht,« entschied sie endlich und streichelte ihm sacht die Wange. »Noch nicht.«
»Aber warum nich?«
Wieder zögerte sie und strich ein paarmal über seine Hand.
»Weil – weil es noch nicht gut ist – nur noch eine kurze Zeit. Hörst du?«
Diese Weigerung, die Klara schon öfter vorgebracht, vermochte er nicht zu begreifen: »Ja, aber,« stammelte er, »willst du mir denn nie erklären, warum – ?«
Er unterbrach sich, denn das Mädchen hatte wiederum ihren Kopf an seine Schulter gelehnt und hielt ihm die Hand vor den Mund, damit er nicht weiterforschen sollte.
»Ich erklär's dir schon mal,« beschwichtigte sie ihn, »vielleicht bald – vielleicht sehr bald.«
Das war ihm nun unfaßlich und nicht im entferntesten ahnte er, welch feiner Regung der Entschluß seiner Verlobten entsprang. Sie war überhaupt ein nachdenkliches Wesen.
Davon erhielt er manchmal sonderliche Proben.
Inzwischen war Pfingsten herangekommen. Die Seewiesen funkelten von Tautropfen und gelben Marienblumen. Der Landwind führte Heideduft über das atmende Meer. Als Hann am ersten Feiertagsmorgen durch das wogende, tiefe Gras schritt, da entdeckte er an einer zum Bodden abfallenden Stelle zwischen Strandsteinen und Heideblumen einen braunen Kopf hervorlugen.
Den kannte er. Er hielt inne.
Sie saß ihm abgekehrt, plätscherte mit nackten Füßen in dem anspielenden Wasser, und während ihre Hände ruhig auf dem Schoß ruhten, summte sie, halb gedankenlos, ein paar Liedstrophen:
»In einem kühlen Grunde,
Da geht ein Mühlenrad;
Mein Liebchen ist verschwunden,
Das dort gewohnet hat.«
Die Binsen hinter ihr neigten sich und sangen in ihrer Weise mit.
»Merkwürdig,« dachte Hann. Dicht bei dieser Stelle hatte er auch oftmals mit Line gesessen; aber ein herabrollender Kiesel verriet ihn.
Die Sängerin erhob sich und schritt langsam auf ihn zu. Sie schien gar nicht daran zu denken, daß sie auf nackten Füßen ginge.
Beide streckten sich still die Hände entgegen.
Als sie sich so grüßten, erhob sich vom Kirchturm ein Klingen. Die Pfingstglocken begannen zu läuten. Und so feierlich zog es durch die sonnige Morgenluft und über die stille See, daß jedes Wort eine Störung gewesen wäre.
Das fühlten auch die beiden Naturkinder. Wortlos hielten sie sich an den Händen. Eine lange Zeit. Als aber die Glockentöne immer heller und klingender wurden, da geschah etwas Wunderbares.
Mit einer schweren Bewegung schlang Klara ihre Arme um den Hals des Burschen, er sah ihre roten Lippen immer näher den seinen, und dann fühlte er einen langen, langen Kuß.
Seltsam träumerisch war ihm zumute, so ganz anders als sonst. Das Glück, dem er so lange nachgesonnen, schien über ihm zu sein.
So merkte er erst geraume Zeit später, wie ernst das Mädchen ihn dabei anblickte. So tief, so —
»Klara,« sagte er rasch, »du siehst mich so an?«
»Ja, Hann, ich möchte einmal was wissen.«
Er nickte.
»Hast du mit einem andern Mädchen auch schon so schön getan?«
Der Gefragte duckte sich und mußte auf die Stelle sehen, wo er schon einmal mit Line gelegen.
Er beugte nur kurz das Haupt.
»Line?«
Wieder nickte er plump.
Sie sah ihn noch immer an, dann hob sie sich auf den Zehen und bot ihm von neuem den Mund.
Das war alles so weich und sanft.
»Klara,« stammelte er wie beschämt.
»Nun muß ich in die Kirche,« verabschiedete sie sich, und sie nickte noch immer, während sie langsam von dannen schritt.
Er sah ihr nach.
Erst als die weißen, glänzenden Füße längst in dem Grase verschwunden waren, legte er sich an ihren verlassenen Platz, stützte nachdenklich den Kopf und horchte auf das Surren und Säuseln des Windes. Die Seeschwalben, die an ihm vorbeistrichen, zirpten laut; und er mußte unwillkürlich das Lied seiner Braut wieder aufnehmen: Wie war's doch?
»Hör' ich das Mühlrad gehen,
Ich weiß nicht, was ich will —
Ich möcht' am liebsten sterben,
Da wär's auf einmal still.«
»Hör' ich das Mühlrad gehen – «
Sonderbar. Er ließ den Kopf in beide Hände sinken.
»Was is woll das Glück?«
Und über ihm klangen die Pfingstglocken fort.