Kitabı oku: «Verfallen & Vergessen»

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Georg Lux

Helmuth Weichselbraun



Fotos: © fotoquadr.at/​Helmuth Weichselbraun

Außer: S. 30 u. Postkarten Mehner & Maas, S. 37 Kinomuseum Klagenfurt, S. 90 u. Gemeinde St. Margareten im Rosental, S. 122 Cimitero Monumentale delle Vittime del Vajont, S. 177 First in the World – 150 Years of Rijeka‘s Torpedos

ISBN: 978-3-990-40450-8


Wien – Graz – Klagenfurt

© 2017 by Styria Verlag in der

Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG

Alle Rechte vorbehalten

Bücher aus der Verlagsgruppe Styria gibt es in jeder Buchhandlung und im Online-Shop www.styriabooks.at

Lektorat: Nicole Richter

Covergestaltung: Florian Zwickl

Buchgestaltung: designation e. U., Klagenfurt

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Vorwort und wichtige Hinweise

GRENZGÄNGE

Endstation

U-Bahn in den Krieg

Die vergessenen Seelen

Filmreifer Abgang

Tödliches Versteckspiel

KÄRNTEN

Ein Scherbenhaufen

Baden verboten

Die verschwundene Höhle

Kesseltreiben

Tiefer Fall

Ätzende Erinnerung

Das versunkene Dorf

Ewige Blutspur

Steinreich

ITALIEN

Kriegsrelikte

Einmal Jenseits und zurück

Tschernobyl der Wasserkraft

Schweigen im Wald

Mit Volldampf

Der verblasste Diamant

Verfahren

SLOWENIEN UND KROATIEN

Limbo-Dance

Im Abseits

Abwasser

Verheerende Innovationskraft

Volle Kraft zurück

Dekadenz in Beton

Alcatraz in der Adria


Begriffserklärungen

Verwendete Quellen und weiterführende Literatur

Fußnote


Autor Georg Lux (links) und Fotograf Helmuth Weichselbraun

VORWORT
EINE FRAGE DER ZEIT

Die Menschen hoffen aus verständlichen Gründen darauf, aber in Wahrheit ist alles nur ein Trugbild: Es gibt keine zeitlose Schönheit. Auch heilt die Zeit nicht alle Wunden, im Gegenteil. Sie reißt oft neue auf. Das haben Orte und Beziehungen gemeinsam, wenn sich keiner mehr darum kümmert.

Sie haben ein Buch über Lost Places zur Hand genommen und wir kommen Ihnen mit Beziehungskram?! Ja. Über die Jahre hinweg haben wir eine Beziehung zu diesem Thema aufgebaut, um uns am Ende der Arbeit an diesem Buch (ein Vorwort schreiben die meisten Autoren zum Schluss) selbst die Frage zu stellen: Wie und warum sind wir da hineingestolpert?

Das Wie ist mit einem Blick auf unsere bisherigen, meist „unterirdischen“ Publikationen1 leicht erklärt. Im Alpen-Adria-Raum gilt seit Jahrzehnten die wirtschaftliche Gleichung: Bergbau = Lost Place. Das hat generell unser Interesse an Orten geweckt, denen man attestiert, zwar eine Vergangenheit, aber keine Zukunft zu haben.

Und das Warum? Natürlich spielt der raue Charme der Vergänglichkeit eine Rolle, optisch vor allem. Inhaltlich wollen wir aber nichts schönreden, nichts weichzeichnen, nichts lackieren: Es geht in diesem Buch um Verlassenes, das unserer Meinung nach nicht vergessen werden sollte.

Der größte Feind ist dabei nicht die Zeit, sondern der Mensch. Die Zerstörungswütigen mit krimineller Energie meinen wir damit ebenso wie die Nichtstuer unter Investoren, Spekulanten, Behörden und Politikern. Das gilt für jedes Land, das in diesem Buch vorkommt.

Zum Glück gibt es aber auch die anderen: Viele Vereine und Privatpersonen versuchen, verlassenen Orten ihrer näheren Umgebung neues Leben einzuhauchen, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. Diesen engagierten Menschen ist unser Buch als Dankeschön und Unterstützung gewidmet, indem wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, einladen, die Augen dafür zu öffnen.

Begleiten Sie uns auf spannende und manchmal unterhaltsame Expeditionen durch einen historisch vernetzten Raum, den man nicht oft genug neu entdecken kann. Folgen Sie unseren Abenteuern, wo dies gefahrlos möglich ist. Und vor allem: Nehmen Sie sich die Zeit, bevor manche vergessenen Orte für immer verschwinden.

Georg Lux, Autor

Helmuth Weichselbraun, Fotograf

PS: Mehr über das „Making of“ dieses Buchs sowie über unsere aktuellen und zukünftigen Projekte erfahren Sie im Internet. Unter www.facebook.com/​geheimnisvolle.unterwelt berichten wir – mitunter live – von verschiedenen Lost Places. Zusätzliche Hintergrundinformationen und Tipps finden Sie in unserem Blog unter www.erlebnis.net/​unterirdisch.


Ein Kunstobjekt? Nein. Folge einer Katastrophe: Stecker in einer ausgebrannten Diskothek bei Bibione


WICHTIGE HINWEISE

Bitte unbedingt beachten:

 Abgesperrt bedeutet: abgesperrt. Wer sich trotzdem zu einem Gelände oder Gebäude Zutritt verschafft, gerät mit dem Gesetz in Konflikt.

 Warnhinweise befolgen. Die Schilder hängen nicht zur Dekoration da.

 Immer in Begleitung unterwegs sein.

 Respektieren Sie fremdes Eigentum. Zerstören/​beschädigen Sie nichts.

 „Souvenirs“ sind tabu. Auch wenn ein Gelände offen steht, gilt das nicht als Einladung zum Diebstahl, der einen strafrechtlichen Tatbestand darstellt.

 Das Vorhandensein von Decke und Fußboden in einem Raum heißt nicht, dass diese auch „halten“.

 Gutes (vor allem festes) Schuhwerk, Taschenlampe und Helm gehören zur Standardausrüstung.

Sämtliche Öffnungszeiten und Adressen der im Buch angeführten Einrichtungen wurden gründlich recherchiert, trotzdem sind die Angaben ohne Gewähr. Ein zusätzlicher Blick ins Internet oder ein Anruf können letzte Gewissheit bringen, damit ein Ausflug gut gelingt. Die Wege wurden von uns begangen und nach bestem Wissen und Gewissen beschrieben. Für deren Benützung im Zusammenhang mit diesem Buch kann dennoch keine Haftung übernommen werden.


Grenzübergang an der alten Loiblstraße. Die Obelisken wurden 1728 errichtet.


TARVISIO CENTRALE

ENDSTATION

Für Tarvisio Centrale ist der Zug abgefahren. der Grenzbahnhof ohne Anschluss ist seit der Jahrtausendwende dem Verfall preisgegeben. Wo einst Luxuszüge haltgemacht haben, kommen heute nur mehr Radfahrer vorbei.


Wenn es stimmt, dass die Kaffeemaschine das Allerheiligste einer italienischen Bar ist, dann hat man diesen Ort entweiht. Das Gerät der Marke „La San Marco“ wurde brutal aufgerissen und regelrecht ausgeweidet. Ein einsames Kabel baumelt aus seinem verchromten Bauch. Wie viele schnelle „caffè“ haben Reisende und Bahnmitarbeiter hier getrunken? Insgesamt werden es wohl „ein paar“ Hektoliter gewesen sein, bis am 26. November 2000 endgültig Sperrstunde war. Nicht nur für die Bar in der Halle, sondern für den gesamten Grenzbahnhof Tarvisio Centrale. Er wurde geschlossen, weil die Züge nun auf einer neuen Trasse durchs Kanaltal rollen.

Schienen und Schwellen der alten Strecke sind verschwunden. „Rückgebaut“, wie man es im österreichischen Amtsdeutsch nennen würde. Der Bahnhof ist, weil deutlich sperriger, geblieben. Und mit ihm ein Teil des Inventars. Was in der Bilanz der italienischen Staatsbahn längst abgeschrieben war, ließ man beim Auszug anno 2000 einfach stehen und liegen. Eine nichts besonders brillante Idee, wie wir eineinhalb Jahrzehnte danach auf den ersten Blick feststellen: Unbekannte Besucher haben eine Spur der Verwüstung durch das verlassene Gebäude gezogen. Keine Fensterscheibe, keine Glastür ist mehr heil. Den Boden bedecken Zollpapiere, die aus Aktenordnern und Kanzleikästen gefetzt wurden. Ein Kopierer liegt – ähnlich geplündert wie die Kaffeemaschine – auf dem ehemaligen Bahnsteig 1.


Noch verhältnismäßig „fit“: der Fernschreiber im Postamt

Manchmal war das Material allerdings stärker als die Aggression. Der Tresor im Bahnhofspostamt hat sich keinen Millimeter bewegt, das obere Fach ist sogar noch verschlossen. Auch der Fernschreiber macht, obwohl der Fußboden des Schalterraums nicht sein Stammplatz gewesen sein dürfte, einen beinahe unversehrten Eindruck. Und der sicherste Ort des Areals hat sich ebenfalls bewährt: Die Tür zur Arrestzelle im alten Wachzimmer der Bahnhofspolizei lässt sich keinen Millimeter öffnen. Durch das vergitterte Fenster sehen wir, dass der Raum leer ist – ein Glück für den letzten Insassen, wenigstens ihn hat man mitgenommen. Im Wachzimmer selbst waren Scherzbolde oder vielleicht sogar ehemalige Einsitzende mit Schadenfreude am Werk. Ausgerechnet auf dem vormals polizeilichen Schreibtisch steht nun eine leere Flasche Wein. Ein „Doppler“ – es gab offenbar etwas zum Feiern.

Früher geschah das innerhalb dieser Mauern mit mehr Stil. Dafür bürgte schon der ursprüngliche Name der vorbeiführenden Strecke. Es war die Kronprinz-Rudolf-Bahn, kurz Rudolfsbahn. Die zunächst privat betriebene und später verstaatlichte Linie wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet. Sie verband die Kaiserin-Elisabeth-Bahn (später Westbahn) über Selzthal, St. Veit, Feldkirchen und Villach mit Laibach ebenso wie mit dem damaligen Königreich Italien. Dem zu diesem Zeitpunkt noch österreichischen Tarvis kam als Kreuzung eine Schlüsselrolle zu. Hier ging es entweder links nach Laibach weiter oder geradeaus über die bis heute so genannte Pontebbana nach Udine. Dementsprechend groß war der 1873 eröffnete Bahnhof inklusive Hotel und „Restauration“. In Zeitungsannoncen wurde dafür ordentlich die Werbetrommel gerührt: „Comfortabel eingerichtete Fremdenzimmer, zu jedem Zuge frische Küche, echte Getränke, mässige Preise.“


Auch im Postamt wurden Akten zurückgelassen.

Auf der Strecke verkehrten Güter-, Personen- und ab 1895 auch Luxuszüge. Sie verfügten über Schlaf-, Speise- und Salonwagen und wurden hauptsächlich im Fernverkehr eingesetzt. Ohne umzusteigen konnte man mit ihnen von Wien-West nach Nizza und später nach Cannes reisen. Ab 1898 wurde die Verbindung einmal wöchentlich ab St. Petersburg geführt. Der Luxuszug quer durch Europa, in dem es ausschließlich Wagen erster Klasse gab, bekam den klingenden Namen „St. Petersburg – Wien–Nizza – Cannes Expreß“. Die Fahrzeit von der damaligen russischen Hauptstadt über Tarvis bis an die Côte d’Azur betrug 64 Stunden.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs bedeutete 1914 das Aus für die Luxuszüge und dennoch eine vorübergehende Aufwertung des Bahnhofs Tarvis. Weil Österreich den baldigen Kriegseintritt Italiens befürchtete, der im Mai 1915 tatsächlich erfolgen sollte, zog man tonnenweise Kohle und Wasser aus dem damaligen Grenzbahnhof Pontafel (heute Pontebba) ab. Bei einem Angriff sollte den Feinden so wenig wie möglich in die Hände fallen. „Von Tarvis wurden Dampfloks und Tender nur mehr mit der für die kurze Strecke notwendigen Kohle nach Pontafel geschickt, um dort randvoll beladen zu werden und so wieder zurückzufahren“, erklärt uns der Kärntner ÖBB-Pressesprecher Christoph Posch in seiner „Privatfunktion“ als begeisterter und belesener Eisenbahnhistoriker.


Die Flasche dürfte erst nach der Schließung ihren Weg auf den Schreibtisch im Wachzimmer gefunden haben.


Keine Fensterscheibe ist mehr heil.


Verschlossen, aber leer: die Arrestzelle


Die Natur erobert die Bahnsteige zurück.

Nach dem Ersten Weltkrieg zogen die Siegermächte Österreichs Grenzen neu. Das Kanaltal sprach man Italien zu, aus Tarvis wurde Tarvisio und aus dem Bahnhof Tarvisio Centrale. Bis zur Schließung im Jahr 2000 wickelte man nun hier den Grenzverkehr ab. Dazu gehörte neben Kontrollen und Zollformalitäten vor allem das Wechseln der Loks: Züge nach Italien bekamen italienische, Züge nach Österreich österreichische. An der Bar in der Halle standen deshalb – natürlich nur in den Pausen und offiziell bei einem „caffè“ – Eisenbahner aus beiden Ländern. Einen letzten Modernisierungsschub gab es 1969 mit dem Totalumbau des Bahnhofsgebäudes zu der Form, in der es jetzt verlassen herumsteht.

Warum die Schienen mittlerweile auf der anderen Talseite und dort hauptsächlich in Tunnels verlaufen, hat vor allem geologische Gründe: Auf die alte Pontebbana gingen immer wieder Murenabgänge oder Steinschläge nieder. Völlig „verkehrsfrei“ ist die frühere Bahntrasse aber nicht. Teile wurden zur „Ciclovia Alpe Adria“ ausgebaut, jenem Radweg also, der in Salzburg beginnt und in Grado endet. Die asphaltierte Strecke führt direkt am Lost Place Tarvisio Centrale vorbei. Von den verlassenen Gebäuden nehmen allerdings die wenigsten Radfahrer Notiz, die gen Süden strampeln. Wer den Weg kennt, freut sich schon auf die Küche von Lucia Mischkot. Die hervorragende Köchin betreibt im alten Bahnhof des 11 Kilometer entfernten Örtchens Ugovizza die beliebte „Trattoria Alla Vecchia Stazione“. Ein Musterbeispiel dafür, wie – im Unterschied zu Tarvis – eine gelungene Nachnutzung aussehen kann.

AM RANDE

Auf dem Hügel östlich des ehemaligen Bahnhofs thront unübersehbar das 1909 errichtete Denkmal für die in den napoleonischen Kriegen in Kärnten gefallenen Soldaten. Das Monument liegt an einem Wanderweg, der in seinem weiteren Verlauf auf Stegen und Treppen durch die malerische Slizza-Schlucht führt. Slizza ist der slowenische Name für den Fluss Gailitz, der sich hier tief ins Gestein gegraben hat.


Ausgangspunkt für die rund eineinhalbstündige Rundwanderung ist der Parkplatz in der Via Bamberga unterhalb des Bahnhofs Tarvisio Boscoverde (dem „Nachfolger“ von Tarvisio Centrale). Von dort folgt man dem Radweg nach Kranjska Gora – er verläuft hier ebenfalls entlang der alten Bahntrasse – zirka 200 Meter in nördlicher Richtung, bis eine Tafel links den Weg zum Kriegerdenkmal und zur Slizza-Schlucht weist.

Wichtig ist gutes Schuhwerk. Nach Niederschlägen sind die Holzstege noch rutschiger als sonst.

Die Trattoria Alla Vecchia Stazione befindet sich in Ugovizza direkt am Ciclovia Alpe Adria, ist aber auch mit dem Auto erreichbar (Via Stazione). Küche von 12 bis 19 Uhr, Mittwoch Ruhetag.


LOST PLACE

➜ Der verlassene Bahnhof Tarvisio Centrale liegt zwischen der Staatsgrenze und Tarvis direkt an den Staatsstraße SS13 beziehungsweise, wenn man mit dem Fahrrad kommt, unmittelbar an der Ciclovia Alpe Adria. Das Betreten des Gebäudes ist verboten. Einblicke sind aber von den nicht abgesperrten ehemaligen Bahnsteigen möglich, die sich auf der Ostseite des Areals befinden.

➜ Weitere Informationen über den Radweg: www.alpe-adria-radweg.com


CAVE DEL PREDIL

U-BAHN IN DEN KRIEG

Tief unter dem Predilpass verbindet ein fünf Kilometer langer Stollen Italien und Slowenien. Gebaut und als geheime unterirdische Verkehrsverbindung genutzt haben ihn aber einst Österreicher.


Neubauten sucht man in Cave del Predil vergeblich. Das Straßenbild prägen Industrieruinen und Wohnhäuser, die unübersehbar in die Jahre gekommen sind. Viele stehen leer. Noch mehr stehen zum Verkauf. Der Ort im Val del Rio del Lago (ursprünglich: Seebachtal) südlich von Tarvis ist, höflich formuliert, das Gegenteil von urban. Und doch hat es in Cave del Predil einst eine Art U-Bahn gegeben.

Wie Aufstieg und Fall des Dorfes hat dieser Umstand mit dem Bergbau zu tun, der nachweislich seit dem 14. Jahrhundert in der Gegend betrieben wurde. Bis das Gebiet zusammen mit dem Kanaltal 1918 Italien zugesprochen wurde, hieß die Siedlung Raibl. Unbestätigten Überlieferungen zufolge hat man sie nach einem der ersten hier tätigen Mineraliensucher, einem gewissen Herrn Rabl, benannt. Tatsache ist, dass er und seine „Nachfolger“ in den Stollen, die sie ins Gestein trieben, haufenweise fündig wurden. Raibl zählte rasch zu den bedeutendsten Bleibergwerken im gesamten Alpenraum.


Unterwegs in alten Stollen


Maschinenraum in der Tiefe des Bergwerks

1905 nahm man ein ehrgeiziges Projekt in Angriff. Zur Entwässerung der tiefsten Gruben wurde der 5 Kilometer lange Kaiser-Franz-Josef-Hilfsstollen gebaut. Er unterquerte, ausgehend vom Bergwerk in Raibl, den 1156 Meter hohen Predilpass und endete in Unterbreth, das heute Log pod Mangartom heißt und in Slowenien liegt. Ab 1915 wurde diese unterirdische Verbindung zu einer Hauptverkehrsader des Ersten Weltkriegs. Die Österreicher erweiterten den Stollen, verlegten Schienen und setzten eine elektrische (U-)Bahn drauf. Fast 600 000 Soldaten der kaiserlichen Armee brachte man auf diesem Weg bis einschließlich 1917 von Raibl auf die andere Bergseite, die an die heftig umkämpfte Isonzofront grenzte.

1918 begann die zivile Nutzung des Stollens. Im nun italienischen Bergwerk arbeiteten Dutzende Männer aus dem nun jugoslawischen Log pod Mangartom. Sie kurvten natürlich nicht über den Pass nach Cave del Predil, sondern fuhren einfach mit der betriebseigenen U-Bahn unten durch. Auch ihre Ehefrauen und Kinder nutzten die Verbindung, wenn sie zum Beispiel den Betriebsarzt aufsuchen mussten. Und der hatte vor allem Mitte des 20. Jahrhunderts ordentlich zu tun: In den 1950er-Jahren waren im Bergwerk mehr als 1 100 Menschen beschäftigt. Langsam, aber konsequent kamen dann wirtschaftliche Probleme auf. Die Mine wurde wegen der weltweit sinkenden Rohstoffpreise immer unrentabler und 1991 – trotz erbitterter Proteste der letzten 140 Beschäftigten – geschlossen.


Im Bergwerk herrscht eine konstante Temperatur von 6 bis 8 Grad …

Zurück blieb ein gigantisches Stollensystem. Es ist etwa 120 Kilometer lang und auf 19 Sohlen (so nennt man im Bergbau halbwegs horizontale Ebenen) mit einem enormen Höhenunterschied verteilt. Der tiefste Gang im Berg verläuft mehr als 450 Meter unter dem Ort, der höchste mehr als 480 Meter über der Talsohle. Ein vergleichsweise klitzekleiner Teil kann als Schaubergwerk im Rahmen von Führungen besichtigt werden. Das schafft jeder. Mario und Tiziano, unsere Freunde aus dem Kanaltal, haben deshalb eine Gruppe ehemaliger Bergarbeiter organisiert, die uns abseits der „öffentlichen“ Pfade durch das unterirdische Labyrinth führen soll.


… bei einer extrem hohen Luftfeuchtigkeit.

Der legendäre Kaiser-Franz-Josef-Hilfsstollen steht allerdings nicht auf dem Programm. Er kann zwar bis Log pod Mangartom problemlos begangen werden (U-Bahn fährt natürlich keine mehr), allerdings ist dafür eine eigene, pro Kopf 700 Euro teure Versicherung notwendig. Wir fragen nicht genauer nach und begnügen uns mit der Begründung unserer italienischen Freunde, die allein aufgrund ihrer Herkunft frei von Vorurteilen sein sollten: „Typisch italienisch!“ Dasselbe bekommen wir ein paar Minuten später zu hören. Dem Fotografen ist aufgefallen, dass in den feuchten Stollen alle 100 bis 150 Meter ein Feuerlöscher hängt. „Es tropft aus allen Ecken. Was soll denn da brennen?“, fragt er fröhlich. Unsere Guides antworten: „Die Feuerlöscher sind Vorschrift.“ Nachsatz: „Typisch italienisch!“

Man führt uns in eine Sackgasse. Der Stollen geht zwar weiter, ist aber durch ein Gitter versperrt. Und das nicht aus bloßen Versicherungs-, sondern aus echten Sicherheitsgründen. Der Gang führt in einen Teil der Grube, der nach routinemäßigen Sprengungen am 8. Jänner 1910 eingestürzt ist. Mit fatalen Folgen: Der dadurch entstandene Krater „verschluckte“ das Krankenhaus von Raibl. Von den 8 Menschen, die sich zu diesem Zeitpunkt im Gebäude befanden, überlebte die Katastrophe nur der damals 14-jährige Schlosserlehrling Ernst Bierkopf. Er berichtete später von einem sonderbaren Knistern und Ächzen. „Ich drehte mich um und sah, wie sich der Verputz über dem Herd löste. Im nächsten Moment krachte es ohrenbetäubend und vor meinen Augen spaltete sich die Mauer so weit, dass man hätte hindurchgehen können“, wird Bierkopf in einem Zeitungsbericht zitiert.


In diesem unterirdischen Raum waren Sprengstoff und Zünder gelagert. Um sie trocken zu halten, wurde er mit Holz ausgekleidet.


Ein Denkmal in Cave del Predil erinnert an die Opfer des Unglücks von 1910.


Gespenstisch einsame Montur in der Kleiderkaue

Wir verlassen die Mine. Die alten Bergmänner führen uns in ihr Vereinslokal, das gleichzeitig ein kleines Museum ist. Es befindet sich in einem ehemaligen Betriebsgebäude. Hier haben sich die Arbeiter früher umgezogen. Raus aus dem Alltag, rein in die wasserabweisende und nie restlos saubere Spezialkleidung. Zum Trocknen kam sie nach jeder Schicht in die sogenannte Kleiderkaue, einen platzsparenden, an der Decke hängenden Riesenschrank. Über unseren Köpfen baumelt gespenstisch eine einsame Montur. Keine teure Kunstinstallation könnte den Niedergang von Cave del Predil treffender und beklemmender symbolisieren.

1968 lebten 2 100 Menschen im Ort. Heute sind es noch knapp 400. Touristen kennen den Lost Place, wenn überhaupt, nur von der Durchreise. Sie zieht es zum idyllischen Raibler See (Lago del Predil) oder auf den Predilpass. Die alten Bergmänner haben sich damit abgefunden. Von ihrer U-Bahn träumen sie schon lange nicht mehr. Ihnen würde ein Reisebus genügen, der vor dem kleinen Schaubergwerk hält.

AM RANDE


Direkt an der Straße über den Predilpass (SS54) befindet sich unmittelbar vor der Grenze auf italienischer Seite ein militärischer Lost Place. Die von der österreichisch-ungarischen Armee Ende des 19. Jahrhunderts errichtete Batteriestellung ist recht gut erhalten und – mit entsprechend vorsichtigen Schritten – frei zugänglich. Taschenlampe mitnehmen! Das gilt auch für einen Blick in die vergleichsweise nicht ganz so spektakulären Reste des ebenfalls österreichisch-ungarischen Raibler Seeforts. Um zu dieser Befestigungsanlage zu gelangen, muss man direkt am See die Abzweigung nach Sella Nevea nehmen (SP76).

Auf der slowenischen Seite des Predil-Passes können Ruinen einer weiteren Befestigungsanlage aus der Zeit der Donaumonarchie besichtigt werden. Ein monumentales Denkmal erinnert an österreichische Helden, die gegen Napoleon gekämpft haben.


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