Kitabı oku: «Windhauch und Wein», sayfa 3

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Begriff im Wandel

Herrn Lipkos Anzug sitzt wie maßgeschneidert. Die – wohl italienische – Seidenkrawatte gleicht einem Schmuckstück. Haare adrett, Schuhe tipptopp. Diese lässige Haltung, in der er mir gegenübersitzt. Er möchte jünger aussehen, als er ist. Seine erfolgreiche Karriere lässt er im Gespräch so nebenbei einfließen, ebenso die beeindruckenden Berufe seiner Kinder. Über seine Kontakte zu wichtigen Persönlichkeiten der Gesellschaft berichtet er anekdotenhaft. Mit einem Wort: Der Mann ist eitel. Ich gestehe, dass ich Frauen diese Eigenschaft großzügiger durchgehen lasse als Männern.

Eitelkeit: Da setzt ein Mensch alles daran, als schön und besonders wahrgenommen zu werden. Soll er doch! Ich empfinde statt Hochachtung eher so etwas wie Mitleid mit den Eitlen. Durch ihr Auftreten und Verhalten geben sie zu erkennen, dass sie mit dem, wie sie wirklich sind, keinen Frieden haben. Sie können sich mit ihrer eigenen Unvollkommenheit und Normalität nicht versöhnen. Ich kann das gut nachvollziehen, gibt es doch auch in mir Anflüge von Eitelkeit. Es ist keine angenehme, doch auch keine ganz außergewöhnliche Eigenschaft. Eigentlich zum Lachen!

Der Begriff hat jedoch im Laufe der Jahrhunderte seine Bedeutung gewandelt. Was heute eher wie eine puritanische Bewertung klingt, meinte früher Vergänglichkeit. Martin Luther übersetzt das hebräische „häwäl“ mit eitel. In diesem Sinne überschrieb der Barockdichter Andreas Gryphius sein berühmtes Sonett mit dem Titel „Es ist alles eitel“:

Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.

Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein:

Wo jetzt noch Städte stehn, wird eine Wiese sein,

auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.

Was jetzt noch prächtig blüht, soll bald zertreten werden.

Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch’ und Bein,

nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.

Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Taten Ruhm muss wie ein Traum vergehn.

Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?

Ach! Was ist alles dies, was wir für köstlich achten,

als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind;

als eine Wiesenblum’, die man nicht wieder find’t.

Noch will, was ewig ist, kein einzig Mensch betrachten!

Gryphius verfasste diese Verse während des Dreißigjährigen Krieges. Darin sind sich alle Kriege gleich: Neben der Zerstörung von Leben, Natur und Kultur vernichten sie auch jene Stabilität, die zum Gedeihen notwendig ist. Doch auch ohne kriegerische Auseinandersetzungen verändern sich die Lebensgrundlagen immer wieder gravierend. Nichts bleibt, wie es ist.

Da wurde mir das Leben vollständig verleidet, denn es ist alles so sinnlos, als wolle man den Wind fangen. Ich hasste meine Anstrengungen, die ich unternommen hatte, um etwas zu erreichen – ich muss ja doch alles meinem Nachfolger hinterlassen! Und wer weiß, ob dieser weise oder töricht sein wird? Und dennoch wird ihm alles gehören, was ich durch Klugheit und harte Arbeit erworben habe. Das ist so sinnlos! Ich verzweifelte fast, als ich mir alle Mühe und Arbeit vor Augen hielt, die ich mir hier auf der Erde gemacht hatte. Denn es ist so: Ein Mensch müht sich ab, gibt Weisheit, Einsicht und sein ganzes Geschick daran, etwas zu erreichen. Dann aber muss er alles, was er erreicht hat, einem Menschen hinterlassen, der nichts dafür getan hat. Das ist völlig sinnlos und ungerecht. (Prediger 2,17–21)

„Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein“, das ist für Gryphius traurige Realität, Kohelet sieht es übertragen in einem Menschenleben. Du baust etwas auf, aber nach dir wird es nicht fortgeführt. Das kennen viele, die sich in ihrer Arbeit, einem Ehrenamt oder für eine Idee mit Herzblut engagieren. Eines Tages scheint das alles nichts mehr wert zu sein. Technologien haben sich überholt, gesellschaftliche Trends gewandelt, der Geschmack ist ein anderer geworden, der Bedarf fällt weg, das Interesse erlischt.

Das kann einem das Leben verleiden, das kann man als sinnlos und ungerecht empfinden. Man muss es jedoch nicht. Wenn Kohelet auf meinem Sofa säße und mir sein Leid klagte, dann würde ich auch entgegnen: „Du hast ja so Recht! Doch den Anspruch zu erheben, alles müsste immer so weitergehen, wie du es gemacht hast, ist einfach unangemessen.“

Wir hinterlassen etwas, wenn wir von dieser Welt gehen. Übrigens mitunter nicht nur Gutes. Doch wir haben auch etwas vorgefunden, als wir auf die Welt kamen. Nicht nur Schlechtes. Nachfolgende Generationen müssen ihren Weg zu leben finden, den dürfen wir nicht vorherbestimmen. Auch wir wollten unsere Vorstellungen verwirklichen, als wir antraten die Gegenwart zu gestalten.

Aus dem Bereich Kirche kenne ich das zur Genüge. Mancher Pfarrer meint, ohne ihn würde die Kirche zusammenbrechen. Weit gefehlt, sie hat alle Geistlichen überlebt. Und dass die jungen Nachfolger überzeugt sind, sie wüssten endlich, wie man es richtig macht: So soll es sein!

Ein wenig von Herrn Lipko steckt in uns allen: Alles ist eitel! Und alles ist vergänglich. Das ist wahr und das ist gut so.

Wofür ist Essen da?

Schokolade könnte als Medikament für die Nerven verschrieben werden, ein Riegel Traubennuss wirkt Wunder. Auch Gummibärchen tun gut. Es gibt Tage, da hilft nur ein Gyros komplett. Das Glas Wein relativiert manches Problem, der Marillenschnaps löst Spannungen. Und bei frischem Bienenstich könnte man fast vergessen, wie sinnlos das Leben ist.

Als ich beim runden Geburtstag eines Freundes auf den Nachschlag verzichten will, weil ich mir vorgenommen habe abzunehmen (und von dem grandiosen Büffet kann man einfach nicht alles probieren), sieht mich die Partnerin eines Bekannten mitfühlend an: „Ausnahmen machen das Leben schön!“ Und in Überlingen am Bodensee wehre ich die Dessertkarte im Gasthaus ab; ich sei satt, versichere ich mit einem Grinsen, und essen ohne Hunger sei die Todsünde der Völlerei. Da kontert die Bedienung schlagfertig: „Dafür ist Essen da!“

Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen, heißt es. Wer hungert und dürstet, weil ihm nichts zur Verfügung steht, der leidet brutal. Bei uns leiden die Menschen eher, weil sie zu viel zu sich nehmen, über Hunger und Durst hinaus, aus Langeweile und Frust. Es gibt Leute, die spüren sich selbst nur, wenn sie konsumieren. Andere fasten sich krank. Ernährung ist ein aufgeladenes Thema. Es betrifft nicht nur die Gesundheit, sondern die ganze Weltsicht: Was darf man überhaupt guten Gewissens verzehren?

Mitunter vergeht uns der Appetit, weil uns Sorgen belasten. Beim Sohn einer Frau, einem jungen Mann Mitte zwanzig, wurde Krebs diagnostiziert. Früh genug. Die Heilungschancen stehen gut. Aber die Sorgen der Frau sind mächtig. Sie erzählt mir davon. Ich kann nicht viel für sie tun. Wochen später bedankt sie sich für das Gespräch, das hätte ihr so gutgetan. Dabei habe ich ihr nur aufmerksam zugehört und sie ernst genommen. Und ihr geraten, gut für sich zu sorgen, um bei Kräften zu bleiben.

Mir selbst geht es ja ähnlich: Wenn mich etwas plagt, dann spreche ich darüber mit einem Menschen, dem ich vertraue. Dann will ich nicht hören: „Alles halb so schlimm!“ Ich brauche das Gefühl, in meiner Not gesehen zu werden. Und wenn ich darüber hinaus spüren darf, es gibt nicht nur meine begrenzte Sicht, man kann das alles auch anders einschätzen, dann wirkt das beruhigend.

Schon als Jugendlicher sang ich im Gottesdienst gern das Lied von Georg Neumark „Wer nur den lieben Gott lässt walten“. Die zweite Strophe lautet: „Was helfen uns die schweren Sorgen, / was hilft uns unser Weh und Ach? / Was hilft es, dass wir alle Morgen / beseufzen unser Ungemach? / Wir machen unser Kreuz und Leid / nur größer durch die Traurigkeit.“ Das geht tiefer als der platte Slogan von Dale Carnegie: „Sorge dich nicht – lebe!“ Denn das Lied aus dem 17. Jahrhundert integriert die Sorge in das Vertrauen auf Gott. Das ist die größere Perspektive, die über die eigene enge Wahrnehmung hinausreicht.

Was hat der Mensch letztendlich von seiner schweren Arbeit und von all seinen Sorgen? Er müht sich ab, jeden Tag leidet er, seine Arbeit bringt ihm nur Ärger ein, und selbst nachts findet er keine Ruhe mehr. Es ergibt keinen Sinn. Es gibt nichts Besseres für den Menschen, als sich an dem zu freuen, was er isst und trinkt, und das Leben trotz aller Mühe zu genießen. Doch ich erkannte, dass auch das ein Geschenk Gottes ist. Denn wie kann man sich am Essen oder Trinken freuen ohne sein Zutun? (Prediger 2,22–25)

Schwere Krankheiten hatten meine Schwiegermutter lange gepeinigt. Irgendwann verweigerte sie die Nahrungszufuhr. Es dauerte ein paar Wochen, bis sie starb. Essen und Trinken sind Zeichen von Lebenswillen. Es geht nicht darum, gegen die Beschwernisse des Daseins anzuessen und anzutrinken. Aber trotz aller Mühsal dürfen wir genießen. Die Probleme bleiben, werden jedoch für Momente der Freude gezähmt.

Mit meinem besten Freund esse ich gern zusammen, denn er futtert mit Hingabe. Wir können uns geradezu tierisch über beste Speisen hermachen, aber auch eine Dosensuppe löffeln oder die Pralinenschachtel leeren. Wir lassen uns nicht kleinkriegen, versichern wir uns gegenseitig durch unser Tun. Wenn wir die großen Zusammenhänge auch nicht verstehen, von Genuss verstehen wir etwas.

Mit Hingabe essen und trinken zu können ist ein Geschenk. Wer aus gesundheitlichen Gründen immer prüfen muss, was er zu sich nehmen kann und was nicht (Laktose?, Gluten?, Alkohol?), wird ausgebremst. Was aber dann noch möglich ist, soll erfreuen.

Als ich auf dem Kirchentag dem Pfadfinder zwei Rosinenschnecken schenkte, rief er mir ein begeistertes „Geil!“ zu. Ein Dank an mich und an den Schöpfer, der Menschen Rosinenschnecken erfinden ließ. „Wie kann man sich am Essen oder Trinken freuen ohne sein Zutun?“, fragt Kohelet, eher rhetorisch, denn die meisten werden wohl ohne einen Gedanken an ihn kauen und schlucken und schmecken. Ich möchte die Dankbarkeit als Lebensmotto umsetzen. Nichts ist selbstverständlich.

Eine Freundin machte eine Radwanderung um den Baikalsee. Zwischendurch menschenleere Abschnitte. Die Lust auf etwas Leckeres stieg ins Unermessliche. Dann bröselte sie Butterkekse in eine Tasse und vermengte sie mit „Milchmädchen“, einer gezuckerten Kondensmilchpaste. „Das war der Himmel“, schwärmte sie. Auch ein Gebet. Ich kann es nachschmecken.

Einfach mal „Ich weiß es nicht“ sagen

Mosaiksteinchen aus meinen Begegnungen als Pfarrer:

Der Siebzigjährige hat eine Affäre. Nun hat ihm die Freundin den Laufpass gegeben. Den Mann quält auf seine alten Tage Liebeskummer.

Der Seniorin ist vor Jahren der erwachsene Sohn gestorben. Das hat sie Gott nie verziehen. Zum Gottesdienst kommt sie seither nicht mehr.

Ein Brautpaar sitzt in meinem Wohnzimmer auf dem Sofa. Ich frage die Braut etwas, sie antwortet. Ich frage beide etwas, sie antwortet. Ich frage ihn etwas … sie antwortet.

Die Frau in meinem Alter findet sich im Gleichnis vom Barmherzigen Vater wieder: Ihr Bruder sei der verlorene Sohn, der das Geld verprasst hat und dennoch alle Liebe der Eltern genießt. Sie sei für Mutter und Vater immer da gewesen, habe sich stets gekümmert. Ihr hält man vor, sie sei ja nie da. Ich rate ihr, die Eltern konkret darauf anzusprechen. Sie wehrt ab: „Dann streiten die ja nur.“ Ich entgegne: „Streit ist ein Zeichen von Nähe.“ Sie lacht zustimmend. Aber bitter.

Ein Mann klagt mir, seine Frau werde dement. Ein paar Tage später bittet seine Frau um einen Termin bei mir, denn sie sucht Rat: „Mein Mann wird dement.“

Ein Herr bittet um ein Gespräch. Dabei fragt er mich: „Glauben Sie an Gott?“ Ich bejahe lächelnd. Darauf seufzt er mit Tränen in den Augen: „Dann kann ich auch glauben.“

Wer wollte diese skizzierten Personen und Konflikte beurteilen? Ich auf jeden Fall nicht. Das Panoptikum des menschlichen Umgangs mit dem Phänomen Leben ist bunt und schillernd. Sieht Gott das auch so gelassen? Oder bewertet er?

Gott schenkt demjenigen, der ihm gefällt, Weisheit, Erkenntnis und Freude. Doch wer sich nicht um Gott kümmert, den lässt er sich mühen, um Güter zu sammeln und Besitz anzuhäufen – um ihm dann seinen Reichtum fortzunehmen und denen zu geben, an denen er Freude hat. Dann war seine ganze Mühe sinnlos und gleicht dem Versuch, den Wind einzufangen. (Prediger 2,26)

Weisheit, Erkenntnis und Freude – damit kann das Leben gelingen! Solche Güter erhält, wer Gott gefällt. Wie aber kommt es, dass die einen Gott gefallen wie Abel, die anderen, dem Kain gleich, aber nicht? Kann man etwas dafür tun, um Gott zu gefallen? Wenn ja, was? Seine Gebote beachten? Verschenkt Gott seine Gunst aufgrund undurchschaubarer Kriterien? Oder einfach nach Lust und Laune? Wahrscheinlich will Kohelet gar nicht die Prädestination thematisieren, also Vorherbestimmung durch Gott. Doch seine Bemerkung wirft Fragen auf.

Wer sich nicht um Gott kümmert, wird bestraft – und zwar perfide: Erst legt er sich krumm für seinen Besitz, dann wird ihm alles genommen. Ist aber der Verlust schon Beweis für mangelndes Interesse an Gott?

Kohelet beobachtet die Welt. Dann zieht er seine Schlüsse. Doch seine Perspektive bleibt begrenzt. Mir wäre es lieber, er würde häufiger mal bescheiden sagen: „Ich weiß es nicht!“ Er ist kein Theologe, macht aber steile Aussagen über Gott. Hätte er das Buch Hiob gelesen, fielen seine Behauptungen wohl zurückhaltender aus.

Die Menschen, die ich oben kurz beschrieben habe, kann ich nur nehmen, wie sie sind. Ich kenne ihre Namen. Wie viel mehr muss derjenige ein großes Herz haben, der uns alle beim Namen ruft?

Mittwochskind

Ein Sonntagskind ist ein Glückskind. Ich wurde an einem Mittwoch geboren.

Der Sonntag ist in der Zählweise der Juden, Christen und Muslime der erste Tag der Woche – entsprechend dem ersten Tag der Schöpfung. Die Christen begehen ihn ab dem 4.Jahrhundert als Feiertag, denn am ersten Tag der Woche fanden die Frauen das Grab Jesu leer vor. Jeder Sonntag erinnert an Ostern, die Auferstehung, den Mittelpunkt des Glaubens.

In einigen Sprachen wird der Mittwoch nach alten Göttern benannt (so zum Beispiel Wednesday vom germanischen Wodan oder Mercredi vom römischen Merkur). Im Deutschen und in anderen Sprachen ist Mittwoch eine schlichte Funktionsbezeichnung: Der mittlere von sieben Tagen der Woche. Erst nachdem sich Deutschland im Jahr 1976 der internationalen Zeitstandardisierung angeschlossen hat, die den Montag als ersten Tag der Woche festlegt, gibt es die Verwirrung, dass die Mitte der Woche nun auf den Donnerstag fällt.

Laut Schöpfungsmythos wurden am vierten Tag Sonne, Mond und die Sterne geschaffen. Ohne die Sonne könnte die Erde nicht existieren, gäbe es kein Leben. Ich bin an einem Mittwoch ins Licht der Sonne eingetreten. Der Tag zeigte sich damals leicht bewölkt, aber heiter, mit 13 Sonnenstunden.

Der Mittwoch hat keinen guten Ruf. Zwar wird er nicht ganz so verdammt wie der Montag, aber Mittwoch klingt eben nach mittendrin. Bis zum Wochenende dauert es noch. Der Tag hat kein frommes Gedenken wie der Donnerstag (Letztes Abendmahl) oder der Freitag (Kreuzigung). Nach orthodoxer Tradition verriet Judas an einem Mittwoch seinen Herrn. Der einzige Mittwoch von Format ist der Aschermittwoch, an dem „alles vorbei“ ist – die Lust, die Freude, der Spaß. Das Fasten beginnt. An einem Mittwoch mussten früher einmal „gefallene Mädchen“ heiraten, solche durften den Samstag nicht entweihen.

Dennoch liebe ich den Mittwoch, das Mittendrin. Wochenenden sind ja auch nicht nur schön. Der Mittwoch hält noch alle Chancen parat. Gelegenheit, etwas zu schaffen. Möglichkeit der Vorfreude. Wer den Mittwoch nicht mag, weil man da arbeiten muss, wie soll der seines Lebens froh werden? Ich schätze seine Normalität. Alltag. Nichts Besonderes.

Der Mittwoch ist ein Sinnbild für meinen Glauben. Der mag am Sonntag zelebriert werden, aber bewähren muss er sich am Mittwoch: mittendrin! Mitten in Belastungen, Konflikten, Verrücktheiten. Viele Symbole des Glaubens (wie Gottesdienst, Gebet, Bibellesung, Sakramente, Bilder und so weiter) erhöhen die Seele wohlig. Aber helfen sie ihr und dem Verstand, das Dasein am Mittwoch zu bewältigen?

Ich brauche eine Mittwochsspiritualität, eine fürs Mittendrin. Weil ich mein Leben nicht aufspalten will in einen frommen und einen weltlichen Teil. Die Grenzen von heilig und profan sind aufgehoben. Alles ist heilig, alles ist weltlich. Und mitten in dieser mitunter seltsamen Welt offenbart sich Gott, in meiner bescheidenen Existenz, die geprägt ist von Gegensätzen.

Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist: Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben. Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten. Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen. Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen. Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen. Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen. Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden. Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden. Was also hat der Mensch davon, dass er sich abmüht? (Prediger 3,1–9)

Was Kohelet schreibt, klingt ja eigentlich nicht besonders originell, denn dass Glück und Pech, Erfolg und Niederlage, Gutes und Schlechtes einander abwechseln – das allein wäre eine banale Erkenntnis. Doch aus seinen Worten höre ich einen Gleichmut heraus, der sagt: „Akzeptiere den ständigen Wandel. Wenn du in diese Wirklichkeit einschwingst, reduzierst du dein Leiden.“

Ich kenne Phasen religiöser Hingabe und solche, in denen Gott und ich nur lockeren Kontakt halten. Zeiten, in denen mir alles rund und stimmig erscheint, und solche, in denen ich die Bruchstücke meines Lebens nicht zu einem sinnvollen Bild zusammenbringe. Manchmal kann ich das Chaos gelassen hinnehmen, dann wieder bin ich so fertig mit der Welt, dass überhaupt zu leben mir nicht erstrebenswert erscheint. Der Gott, dem ich vertraue, nimmt mich mit meinem Mittwochsglauben an.

Alles gehört zu mir. Und ich lerne langsam alles, was mir widerfährt, anzunehmen. Es ändert sich doch wieder. Alles hat seine Zeit: der Sonntag und der Mittwoch. Ich bin ein Mittwochskind.

Mein Gott, dein Gott

Mein Therapeut ist ein Profi. Wenn ich rede, kann er unendlich lange zuhören. Und dann bringt er durch eine Frage oder eine Zusammenfassung eine Sache auf den Punkt und eröffnet neue Perspektiven. Da ich ein glaubender Mensch bin, kommt auch mein Verhältnis zu Gott immer mal wieder zur Sprache. Sein Verhältnis zum ganzen Kosmos der Religion kenne ich nicht. Als ich einmal über ein Problem berichte, das mir ein schlechtes Gewissen bereitet, fragt er zurück: „Was sagt Ihr Gott zu Ihrem schlechten Gewissen?“

Was mir nachgeht, ist dieses Wörtchen „Ihr“ in der Kombination mit Gott. Das klingt so, als habe jede und jeder einen eigenen Gott … und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr stimme ich dieser These zu. „Mein“ Gott ist das Konstrukt meiner Erziehung, meiner Glaubenserfahrung, meines Nachdenkens. Das, was ich mit dem Begriff Gott zu fassen versuche, hat sich während meines Lebens immer wieder verändert. Und dieser Prozess ist noch in vollem Gange, denn ich lebe ja noch.

Ich habe mir die Arbeit angesehen, die Gott den Menschen gegeben hat, damit sie sich damit plagen. Gott hat allem auf dieser Welt schon im Voraus seine Zeit bestimmt, er hat sogar die Ewigkeit in die Herzen der Menschen gelegt. Aber sie sind nicht in der Lage, das Ausmaß des Wirkens Gottes zu erkennen; sie durchschauen weder, wo es beginnt, noch, wo es endet. Dadurch wurde mir klar, dass es das Beste für den Menschen ist, sich zu freuen und das zu genießen, was er hat. Denn es ist ein Geschenk Gottes, wenn jemand isst und trinkt und sich über die Früchte seiner Arbeit freuen kann. Mir ist auch klar geworden, dass alles, was Gott tut, endgültig ist: Nichts kann hinzugefügt und nichts kann weggenommen werden. Gott handelt so, damit die Menschen Ehrfurcht vor ihm haben. Alles, was heute ist, besteht schon seit langer Zeit, und alles, was in Zukunft sein wird, hat bereits in der Vergangenheit existiert. Denn Gott holt wieder hervor, was in der Vergangenheit gewesen ist. (Prediger 3,10–15)

Kohelet macht eine Reihe von Aussagen über Gott: Gott gibt uns Menschen Arbeit, damit wir uns plagen. Gott hat für alles, was geschieht, eine bestimmte Zeit vorgesehen. Was Gott tut, ist endgültig. Gott fordert unsere Ehrfurcht. – Das alles deckt sich nur rudimentär mit meinen Vorstellungen.

Wohl stimme ich weitgehend mit dem Prediger darin überein, wie er die Menschen einschätzt. Die sind nicht in der Lage, „das Ausmaß des Wirkens Gottes zu erkennen; sie durchschauen weder, wo es beginnt, noch, wo es endet.“ Wie kann Kohelet dann trotzdem so forsch über Gott sprechen?

In der Kirchengeschichte trat die Theologie (Lehre von Gott) als „Mutter und Herrin aller Wissenschaft“ auf. Sie erklärte Gott und die Welt, definierte und fasste ihre Erkenntnisse in dicken Wälzern zusammen. Aber dafür kann Kohelet nun wirklich nichts, er fasst sich eher kurz.

Diese hochtrabende Art, theologisch zu sprechen, wird mir immer unsympathischer. Von Gott zu reden ist mein Beruf, doch die vorgestanzten Formulierungen der Tradition berühren kaum noch meinen Glauben. Ich ringe um Worte, hinter denen ich stehen kann.

Solche Mühe darf von mir verlangt werden: Den eigenen Glauben („meinen“ Gott) konfrontiere ich immer wieder mit dem Glauben der Kirche, der Tradition, der Theologie. Da kommt es zu Spannungen. Da versage ich auch schon mal die Gefolgschaft. Doch es gibt auch Entlastungen und Aha-Erlebnisse. Meine Fragen und Zweifel sind nicht neu, ich teile sie mit anderen, und deren Lösungen waren mitunter einleuchtender als mein selbstgestrickter Glaube. Glauben entfaltet sich im Austausch mit anderen. Es gibt gottlob (!) auch andere Arten, Theologie zu betreiben; tastend, dialogisch, mehr hörend statt sprechend.

Die französische Mystikerin Gabrielle Bossis schrieb in ihr Geistliches Tagebuch, was Gott zu ihr sagte. Ob das ein literarischer Kniff war oder ob sie wirklich eine Stimme vernahm beziehungsweise Eingebungen hatte wie die Propheten, entzieht sich meiner Kenntnis. Am 22. Januar 1948 – daran lässt sie uns teilnehmen – sagte Gott zu ihr: „Ich bin der Gott aller Augenblicke des Lebens, denn ich bin die Seele deiner Seele.“

Seele ist das deutsche Wort für Psyche. Bei meinem Psychologen kommt mein Innerstes zur Sprache, also auch mein Glaube an Gott. Dieser Gott spricht zu mir, anders als zur Schwester aus Frankreich. Aber mit ihr und mit Kohelet und ungezählten anderen bin ich gemeinsam unterwegs, Gott entgegen. Mein Glaube wird immer freier und gerade dadurch intensiver.

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