Kitabı oku: «Die große Inflation», sayfa 2
Am 20. August 1915 rechtfertigte er in einer emotionalen Rede im Reichstag seinen Kurs.
»Meine Herren, wie die Dinge liegen, bleibt also vorläufig nur der Weg, die endgültige Regelung der Kriegskosten durch das Mittel des Kredits auf die Zukunft zu schieben, auf den Friedensschluß und auf die Friedenszeit. Und dabei möchte ich auch heute wieder betonen: wenn Gott uns den Sieg verleiht und damit die Möglichkeit, den Frieden nach unseren Bedürfnissen und nach unseren Lebensnotwendigkeiten zu gestalten, dann wollen und dürfen wir neben allem anderen auch die Kostenfrage nicht vergessen;
(lebhafte Zustimmung)
das sind wir der Zukunft unseres Volkes schuldig.
(Sehr wahr!)
Die ganze künftige Lebenshaltung unseres Volkes muß, soweit es irgend möglich ist, von der ungeheuren Bürde befreit bleiben und entlastet werden, die der Krieg anwachsen läßt.
(Sehr wahr!)
Das Bleigewicht der Milliarden haben die Anstifter dieses Krieges verdient;
(sehr richtig!)
sie mögen es durch die Jahrzehnte schleppen, nicht wir.
(Sehr gut!)«10
Der Reichstag lauschte offensichtlich in bester Stimmung den Ausführungen des Finanzministers. Im Anschluss an diese Worte sinnierte Helfferich noch kurz darüber, ob die arg geschwächten Kriegsgegner angesichts ihrer »ungeheuren finanziellen Schwächung« überhaupt zu ausreichenden Entschädigungen in der Lage sein würden – aber diesem Gedanken hing er nicht weiter nach und wandte sich praktischen Überlegungen zu, wie die gegenwärtige Kreditaufnahme bewerkstelligt werden konnte.
Insgesamt wurde in Deutschland nicht viel über die Finanzierung des Krieges nachgedacht. Geld spielte in den Köpfen zu dieser Zeit tatsächlich keine Rolle. Helfferich glaubte, wie die überwältigende Mehrheit der Deutschen, an einen kurz bevorstehenden Sieg. Und dennoch, er blieb der Minister, der für die fatale Entscheidung verantwortlich zeichnete, den Krieg über Schulden und nicht über Steuern zu finanzieren. 1915 konnte von einem schnellen Sieg (der die Voraussetzung für die Zahlungsfähigkeit der Verlierer war) nicht mehr die Rede sein und ein kluger Finanzminister hätte das Risiko erkennen müssen, zumindest auf den Schulden bei der eigenen Bevölkerung sitzen zu bleiben.
Indem Helfferich sich dafür entschied, den Krieg gegen den Rest der Welt auf dieselbe Weise zu finanzieren, wie Preußen im 19. Jahrhundert seine Kriege bezahlt hatte, handelte er auf eine Weise, wie man sie in Deutschland oft beobachten konnte. Der Pragmatismus der Engländer bestand in der Tradition des Empirismus darin, sich den Fakten, auch den neuen, zu stellen, ihre Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und daraus das Beste zu machen. Der Pragmatismus der Deutschen hingegen speiste sich, ganz im Sinne Hegels, aus den Lehren der Geschichte: Sie hielten an dem fest, was in der Vergangenheit funktioniert hatte.
Der Staatssekretär im Reichsschatzamt war wie kaum ein anderer darauf vorbereitet, die Gefahren der Inflation zu verstehen. Im Unterschied zum Brockhaus hatte er durchaus einen Begriff von diesem Phänomen. An historischer Bildung mangelte es ihm nicht, und er hatte seine akademische Karriere auf dem Thema Geld gegründet. Inflationen hatte es immer wieder gegeben, insbesondere in Kriegszeiten, und die letzte Hyperinflation lag nur gut hundert Jahre zurück, als die Revolution in Frankreich zwar das ancien régime verschlang, aber auf dessen Schulden und dem eigenen Versprechen besserer Lebensbedingungen für alle sitzen blieb. Allerdings waren seine Auffassungen über den Ursprung der Inflation alles andere als theoretisch gefestigt, gerade weil er sich als Anhänger der Historischen Schule nicht um Modellierungen und Abstraktionen bemüht hatte.
Helfferich war der Überzeugung, die Verschuldung sei unschädlich, solange die Reichsbank sich auf die Zwischenfinanzierung der Kredite beschränkte. Die eigentliche Finanzierung erfolgte durch große Kriegsanleihen, wodurch die Geldmenge nicht stieg, denn der Staat gab nur aus, was ansonsten seine Bürger ausgegeben hätten. Es jagte also nicht eine immer größere Geldsumme nach einer gleichbleibenden oder schrumpfenden Gütermenge. Und so gab es keinen Grund für inflationären Druck.
Dieses Argument ist aber brüchig, denn ein steigendes Kreditvolumen führt erfahrungsgemäß auch zu einem Anwachsen der Geldmenge. Den Krieg über Steuern zu finanzieren hätte einen anderen Effekt gehabt, denn die Abgaben, die der Bürger an den Fiskus leistet, sind für ihn tatsächlich verloren. Steckt er es hingegen in eine Anleihe, so ist er nicht ärmer geworden und kann das Geld immer noch ausgeben, etwa wenn er die Anleihe bei einer Bank als Sicherheit hinterlegt, um einen Kredit zu bekommen. Die Nachfrage nach Gütern wird durch Besteuerung also in ganz anderer Weise gebremst als durch die Begebung von Anleihen. Zudem übersah Helfferich, dass die Anleihe zum größten Teil von Industriellen und Großbürgern gezeichnet wurde. Deren Ersparnisse konnten kaum noch ins Ausland fließen und lagen nutzlos auf Bankkonten herum. Also lag es nahe, diese in Zinspapiere zu investieren. Damit floss im Wesentlichen Geld in die Kriegsanleihen, das ohnehin nicht für den Konsum vorgesehen war (und daher nicht für Preisdruck sorgte). Gleichzeitig stieg die Nachfrage durch den Staat enorm, insbesondere nach militärischen Gütern, die nicht schnell genug produziert werden konnten. Spiegelbildlich war im zivilen Bereich ein schrumpfendes Angebot zu verzeichnen, das eine etwa gleichbleibende Nachfrage durch eine Bevölkerung, die sich noch immer nicht arm fühlte, kaum befriedigen konnte. Das Resultat der Staatsverschuldung waren in diesem Kontext steigende Preise.
Wenige Wochen nach dem Ende des Krieges, als die Kritik am alten Regime möglich wurde, wiesen hellsichtige Kommentatoren auf diese Fehler bereits hin: »Das alte Regime hat diesen Krieg geführt wie ein verzweifeltes Hazardspiel, bei dem alles auf eine Karte gesetzt wurde (…). Auf Geld kam es nicht an, weder auf Preise noch auf Löhne. (…) Sinnlose Überpreise wurden bewilligt, um die Produktion anzuregen. Die hohen Preise zogen hohe Löhne nach sich und umgekehrt. Die bis zu einem gewissen Grade unvermeidliche Inflation nahm einen unheimlichen Umfang an.«11
Auch wenn Helfferich keine gute Erklärung dafür hatte, sank während des Krieges die Kaufkraft der Mark. Er selbst berechnete einen Inflationsindex, der im Jahr 1915 von 106 auf 142 stieg und bis Ende 1917 auf 189.12 Am Ende des Krieges hatten sich die Preise nur gut verdoppelt, was noch kein Katastrophengefühl auslöste, weder beim Volk noch beim Minister. Der entscheidende Grund für die moderate Entwicklung der Inflation war allerdings weniger Helfferichs Handhabung der Kriegsfinanzierung als vielmehr der Umstand, dass die Deutschen, solange sie keinen Begriff von Inflation hatten, auch keine erwarteten. Vielmehr horteten sie ihr Bargeld unter der Matratze oder auf dem Konto, wie es in unsicheren Zeiten ganz natürlich war. Die Geldbasis (Bargeld + Einlagen bei der Reichsbank), die ein guter Indikator für die Kassenbestände war, lag 1919 beim Dreifachen des Vorkriegsniveaus.13 Unter der Annahme stabiler Preise und der Rückkehr zum Goldstandard war das Auffüllen des Sparstrumpfes ein rationales Verhalten. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, eine der entscheidenden Zutaten für die Entstehung einer Inflation, blieb somit verhältnismäßig niedrig. Helfferich hatte als Finanzminister das Glück, dass mit den Inflationserwartungen und der Umlaufgeschwindigkeit zwei wesentliche Faktoren, die außerhalb seiner Einflusssphäre lagen, die Inflation vertagten.
Nach gut einem Jahr schied Helfferich am 9. November 1917, also genau ein Jahr vor Kriegsende, als angesehener Mann aus dem Amt und seine Karriere konnte weitergehen. Er stieg noch ein Stück weiter auf, wurde Vizekanzler. Aber 1917 war dieser Titel nicht mehr viel wert.
Heute gilt in Deutschland allgemein die Finanzierung von Haushaltsdefiziten durch die Zentralbank – mit einer entsprechenden Ausweitung der Geldmenge – als finanzieller Verrat an der arbeitenden und sparenden Bevölkerung. Allein das laute Darübernachdenken zöge auf der Stelle eine derart schlechte Presse nach sich, dass es das Karriereende eines jeden Politikers oder Bundesbankers bedeuten würde. Ist nicht die Entwicklung in Deutschland zwischen 1914 und 1923 nur das prominenteste Beispiel für den Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und Inflation? Die ersten Jahre der Weimarer Republik und insbesondere die Staatsfinanzierung durch die Notenbank bleiben der Orientierungspunkt der Deutschen und ihrer Ökonomen, wenn es um Geld und Wirtschaft geht.14
Seit das Geld von jeder materiellen Basis entkoppelt ist, nur noch durch Funktion und nicht mehr durch Form definiert ist, waren Notenbanken immer versucht, mehr Papier (oder seine Äquivalente) in Umlauf zu bringen, als es der Wirtschaftskreislauf vertrug. Und waren diese Banken, seit sie verstaatlicht sind, nicht allzu oft willige Befehlsempfänger der Regierungen, deren Ausgabenwünsche sie finanzierten, ohne sich lange zu fragen, ob der Wohlstand, der hier verteilt wurde, einen realen Grund hatte, ob also dem Geld überhaupt Waren gegenüberstanden? Haben sie den Wohlstand nicht vielmehr oft genug vernichtet, indem sie das Geld schlecht gemacht haben? Rechtfertigt das Destillat aus jenem schmerzhaften Kapitel der Geschichte Deutschlands zwischen 1914 und 1923 etwa nicht ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Staatsschulden? Ist der Status, den Gold bis heute als Währungsreserve genießt, nicht ein deutliches Zeichen, dass die Zentralbanker ihren Kollegen kaum mehr Vertrauen entgegenbringen als einem Pferdehändler?
Geld und Schulden entstehen, grob gesagt, indem eine Bank dem Kreditnehmer auf dessen Konto ein Guthaben einbucht. Dieses Geld wird nicht einem anderen weggenommen, es entsteht neu, aus dem Nichts. Mit den Bankschulden wächst also auch die Geldmenge.15 Die Schöpfung des Geldes aus heiterem Himmel ist für viele Menschen schwer zu akzeptieren, auch wenn sie jeden einzelnen Schritt und die Funktionsweise des Bankensystems nachvollziehen können. Nichts daran ist obskur, und dennoch bleibt ein Unbehagen. Der einzige Trost mag darin liegen, dass eine gewisse Unverständlichkeit weder selten ist noch schädlich sein muss – solange das Vertrauen in die handelnden Personen gut begründet ist. Friedrich Schlegel hat – in einem ganz anderen Kontext – darauf hingewiesen, dass es in menschgemachten Verhältnissen häufig vorkommt, dass auch das Wichtigste »irgendwo an einem solchen Punkte [hängt], der im Dunkeln gelassen werden muß, dafür aber auch das Ganze trägt und hält, und diese Kraft in demselben Augenblicke verlieren würde, wo man ihn in Verstand auflösen wollte«.16 Es gibt nicht den einen Archimedischen Punkt, aus dem sich der Wert des Geldes wie in einer mathematischen Formel stringent herleiten ließe, sondern nur Buchungen, Funktionen und Kontrollmechanismen, die, wenn sie verantwortlich gehandhabt werden, ihren Zweck erfüllen. Nicht mehr und nicht weniger.
Privatpersonen machen Schulden meistens zum Erwerb oder zur Schaffung neuer Wirtschaftsgüter. Die durch die entsprechenden Buchungen bei der Bank gestiegene Geldmenge steht dann einer gestiegenen Menge an werthaltigen Wirtschaftsgütern (wozu Kriegswaffen nicht zählen, die in der Regel schnell kaputtgehen und nicht zur Produktion von etwas Neuem taugen) entgegen, so dass in der Regel kein inflationärer Effekt entsteht – zumal die Kredite irgendwann zurückbezahlt werden müssen, wodurch die Geldmenge wieder schrumpfen kann. Der Staat ist in einer anderen Situation: Da er (theoretisch) das ewige Leben hat, muss er seine Schulden nicht zurückzahlen, sondern kann sie bei Fälligkeit durch neue ersetzen (»rollen«), sofern er noch kreditwürdig ist. Und wenn er weder willige Geldgeber findet noch seinen Steuerzahlern zusätzliche Bürden zumuten möchte, kann er die Notenbank anweisen, die ausstehenden Staatsanleihen zurückzukaufen (zu monetisieren). Das vergrößert die Geldbasis, löst aber kurzfristig das Finanzierungsproblem. Da der Staat also die Möglichkeit hat, in schwierigen Situationen mit Hilfe der Zentralbank unbegrenzt Geld zu schaffen, das er oft nur langsam (oder gar nicht) zurückzahlt, ist der Zusammenhang zwischen hoher Staatsverschuldung und anschließender Geldentwertung theoretisch plausibel und in der Praxis oft beobachtet worden.
Dennoch gibt es hier keinen Automatismus. Eine hohe Staatsverschuldung ist (ebenso wenig wie eine stark wachsende Geldmenge) weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für eine Inflation. Im Zweiten Weltkrieg stiegen die Schulden Großbritanniens auf 250 % der Wirtschaftsleistung an. Obwohl der Krieg lange Zeit ungünstig für Großbritannien verlief, kam es nicht zu einer Schuldenkrise. In dieser Situation höchster Unsicherheit war offensichtlich die Nachfrage nach einem sicheren Hafen für die Ersparnisse hoch. Japan ist für die Gegenwart ein Beispiel für Stabilität und niedrige Inflationsraten, obwohl dort die Notenbankliquidität seit 2013 dramatisch angewachsen ist und die Staatsverschuldung nach Jahrzehnten struktureller Defizite ebenfalls bei etwa 250 % der Wirtschaftsleistung liegt – ohne dass ein merklicher Einfluss auf die Zinsen oder die Inflationserwartungen spürbar wäre. In diesem Fall legt ein guter Teil der gealterten Bevölkerung ihr Geld in Staatsanleihen an und sorgt dadurch für Stabilität und niedrige Zinsen. Auch der Umstand, dass die Bank of Japan einen immer größeren Teil der Staatsschulden hält, ist seit Jahrzehnten unproblematisch. Die Europäische Zentralbank und die Bank of England halten heute etwa 35 % der jeweiligen Staatsschulden, ohne dadurch eine bemerkenswerte Inflation auszulösen. Olivier Blanchard, ehemaliger Chefökonom des Weltwährungsfonds, stellt angesichts dieser Entwicklung (die in Europa und den USA nicht unähnlich ist) die Überlegung an, ob Staatsschulden für Länder, die sich in eigener Währung verschulden können, überhaupt ein Problem darstellen müssen. Solange sie ihre Zinskosten unterhalb der Rate des Wirtschaftswachstums (und damit des Wachstums der Steuereinnahmen) halten können, zahlen sich demnach die Schulden praktisch von allein zurück und es gibt keinen Grund, sich um die Höhe der Schulden Sorgen zu machen.17 Demnach wäre auch nicht das Verhältnis von Schulden zu Wirtschaftsleistung die entscheidende Größe bei der Beantwortung der Frage: Wie viele Schulden sind zu viel? Die relevante Größe wäre der Anteil der Wirtschaftsleistung, der für den Schuldendienst aufgewendet werden muss. Ein Land, in dem für Staatsanleihen niedrige Zinsen gezahlt werden, kann sich höhere Schulden leisten als ein Land mit hohem Zinsniveau.
Es gibt bis heute keine vollständig befriedigende Theorie zur Inflation. Aber es gibt eine Reihe von Faktoren, die immer wieder im Zusammenhang mit Inflation auftauchen, wie die Täter am Ort des Verbrechens. Die Staatsverschuldung zählt dazu. Ebenso wie die Geldmenge, die von der in den 1970er und 1980er Jahren beliebten Quantitätstheorie der Inflation als wesentliche Ursache ausgemacht wurde.
7Zur deutsch-britischen Konkurrenz vor dem Ersten Weltkrieg und den Parallelen zum chinesisch-amerikanischen Antagonismus in der Gegenwart vgl. Markus Brunnermeier et al.: »Beijing’s Bismarckian Ghosts: How Great Powers Compete Economically«. In: The Washington Quarterly, Vol. 41/3 Herbst 2018, S. 161–176.
8Helfferich: Deutschlands Volkswohlstand 1888–1913, S. 100 und S. 63.
9Zu Helfferich gibt es nur eine brauchbare Biographie, aus der alle hier erwähnten Angaben zu seiner Lebensgeschichte stammen: Williamson: Karl Helfferich.
10Das Protokoll der Reichstagssitzung findet sich unter https://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt_k13_bsb00003402_00235.html.
11Felix Pinner: »Entfesselte Instinkte«. In: Berliner Tageblatt, 21. 12. 1918, Abendausgabe, S. 4.
12Vgl. Williamson: Karl Helfferich, S. 146. Diese Berechnungen stimmen ungefähr überein mit Holtfrerich: Die deutsche Inflation 1914–1923, S. 15.
13Holtfrerich: Die deutsche Inflation 1914–1923, S. 185ff.
14Vgl. beispielsweise Hans-Werner Sinn: Corona und die wundersame Geldvermehrung in Europa. Vortrag gehalten am 14. 12. 2020 am Ifo-Institut München. https://www.ifo.de/vortrag/2020/weihnachtsvorlesung/corona-und-geldvermehrung.
15Anders verhält es sich, wenn der Schuldner (privat oder staatlich) Geld aufnimmt, indem er eine Anleihe auf dem Kapitalmarkt begibt. Dann fließt bestehendes Geld und es entsteht kein neues – oder nur wenn der Käufer der Anleihe sich die entsprechende Summe bei einer Bank leiht.
16Schlegel: Über die Unverständlichkeit, S. 370.
17Blanchard: »Public Debt and Low Interest Rates«. Dagegen ist eingewandt worden, dass ein Land seine Zinskosten nicht vollständig selbst kontrollieren kann. Es handelt sich teilweise um eine endogene Größe, die von der Markteinschätzung der Schuldentragfähigkeit eines Landes abhängt.
Der Griff in die Darlehenskasse
Money in its significant attributes is, after all, a subtle device for linking the present to the future.
John Maynard Keynes, »General Theory« (1936)
Deutschlands finanzielle Probleme hatten schon in den Wochen vor dem Kriegsausbruch begonnen. Die Industrie des Reiches zeigte sich leistungsfähig wie kaum eine andere und produzierte beinahe alle kriegswichtigen Güter schnell und in großer Menge. Allein die Geldbeschaffung, ein entscheidender Faktor in jedem Krieg, gestaltete sich schwierig, denn Deutschland fehlte ein international vernetzter und liquider Finanzplatz, der es mit London oder Paris hätte aufnehmen können. Seine Banken waren zwar groß, aber meist auf den Binnenmarkt ausgerichtet. Um die Forderung der Generalität zu erfüllen, Geld dürfe für die Kriegsanstrengung keine Rolle spielen, nutzten die Berliner Beamten den langen Sommermonat zwischen dem Attentat von Sarajewo und dem Kriegsbeginn, um die Kassen so prall wie möglich zu füllen. Bereits am 4. August 1914 verabschiedete der Reichstag ein ganzes Bündel von Gesetzen zur Finanzierung des Krieges. In einem Nachtragshaushalt genehmigte er kriegsbedingte Sonderausgaben von fünf Milliarden Mark – dies entsprach knapp einem Zehntel der Wirtschaftsleistung Deutschlands, die 1913 bei 52 Milliarden Mark gelegen hatte. Also begab das Kaiserreich im September eine Kriegsanleihe in Höhe von 4,5 Milliarden Mark, die erste von insgesamt neun großen Anleihen, die als patriotisches Opfer vermarktet wurden und bei der sparenden Bevölkerung generell lebhaften Absatz fanden.
Die Mark war zu dieser Zeit dem Goldstandard unterworfen. Es galt das Prinzip der Dritteldeckung, wonach für jede Goldmark im Tresor der Reichsbank nur drei Papiermark ausgegeben werden durften. Das sollte die im Umlauf befindliche Geldmenge begrenzen und den Tausch in andere, ebenfalls auf Gold bezogene Währungen erleichtern. Woher sollten unter diesen Umständen die Milliarden kommen, die der Staat für einen Krieg gegen fast alle Großmächte dieser Welt benötigte? Im System des Goldstandards war ein so großer zusätzlicher Geldbedarf nicht vorgesehen. Das Gold ließ sich nicht magisch vermehren und damit auch nicht die darauf bezogene Mark.
Um mehr Geld schöpfen zu können, musste folglich nach geltendem Recht möglichst viel Gold seinen Weg in die Reichsbank finden. Viele Patrioten folgten demonstrativ den öffentlichen Aufrufen, der Reichsbank Schmuck und Münzen gegen Papiergeld anzudienen. Aber entweder gab es nicht genügend Patrioten oder sie hatten zu kurze Arme für ihre tiefen Taschen, jedenfalls kam nicht genügend Edelmetall für die Kriegsanstrengung zusammen.
Der Geldmangel des Reichs blieb auch dem Volk auf der Straße nicht verborgen, und Ende Juli hatten sich bereits lange Schlangen von misstrauischen oder ängstlichen Bürgern gebildet, die den umgekehrten Weg gehen und ihr Papiergeld bei den Banken in Goldmünzen tauschen wollten. Das zeugte zwar von vaterlandsloser Gesinnung, wie die Zeitungen nicht müde wurden zu schreiben, aber es beruhigte die Nerven für den unwahrscheinlichen Fall einer Niederlage. Nichts zog so unwiderstehlich Nachahmer an wie Schlangen schwitzender Menschen vor Bankschaltern, hinter denen sich nervöse Angestellte fragten, wie lange dieser Zustand noch gut gehen mochte. Niemand wollte vor verschlossenen Türen stehen, hinter denen Ersparnisse plötzlich wie in einem Schwarzen Loch versanken, während sich der Nachbar, der die Zeichen der Zeit schneller gedeutet hatte, zufrieden und entspannt einen Haufen Goldstücke unter die Matratze legen konnte. Daher schlossen am 28. Juli, dem Tag der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien, die Geschäftsbanken ihre Schalter, um dem Land den peinlichen Anblick langer Reihen besorgter Bürger zu ersparen. Am 31. Juli, einem Freitag, zog die Reichsbank nach. Das Papiergeld ließ sich nicht mehr in Gold tauschen, der Goldstandard war praktisch am Ende.
Die Regierung griff nun auf einen Trick zurück, der sich schon im Krieg gegen Frankreich bewährt hatte. Was einmal funktioniert hatte, musste man in der Eile nicht neu erfinden. Die Fiktion der goldgedeckten Mark sollte aufrechterhalten bleiben, die Menge des umlaufenden Geldes musste gleichwohl erheblich vergrößert werden. Wenn die Papiermark sich nicht beliebig vermehren ließ, so lag die Lösung des Problems darin, eine zusätzliche Währung zu schaffen, welche die Bedürfnisse des Krieges und der Wirtschaft erfüllte. Dadurch blieb die Mark sauber und ans Gold gekoppelt, während die Zweitwährung die nötige Liquidität schaffte.
Parallelwährungen waren damals kein ungewöhnlicher Gedanke. Es war nicht lange her, da zirkulierten die verschiedensten Währungen der deutschen Länder, und auch nach der Reichsgründung wusste sich der Staat, wenn er klamm war, mit sogenannten Reichskassenscheinen zu behelfen, die nichts anderes waren als klein gestückelte Schuldscheine des Reichs, die es herausgab, wenn gerade keine Papiermark greifbar war. Um den Geldbedarf zu befriedigen, gab die »Reichsschuldenverwaltung«, das hierfür zuständige Amt innerhalb des Finanzministeriums, Reichskassenscheine zu 5, 10 und später auch 20 oder 50 Mark heraus, die formell Schulden des Reiches waren, aber wie Reichsbanknoten für tägliche Geldgeschäfte benutzt und (mit der wichtigen Einschränkung: je nach Kassenlage) in Gold eingetauscht werden konnten. Dieser enge Bezug zum Gold bedeutete, dass die Reichskassenscheine nicht ohne weiteres vermehrt werden konnten und daher zur Finanzierung des Krieges nur begrenzt taugten.
Die Parallelwährung, die am 4. August 1914 aus der Taufe gehoben wurde, musste flexibler sein. Der Reichstag errichtete »zur Abhilfe des Kreditbedürfnisses, vornehmlich zur Beförderung des Handels und des Gewerbebetriebs« ein System von »Darlehenskassen«. Diese gaben Kredit gegen ein buntes Allerlei von Sicherheiten, wie etwa Rohstoffe, Wertpapiere und unverderbliche Fertigwaren. Sie unterschieden sich zudem von gewöhnlichen Sparkassen dadurch, dass sie ihre Kredite nicht in Mark oder etwa Gold vergaben, sondern als »Darlehenskassenscheine«, welche (wie die Reichskassenscheine) dieselbe Funktion hatten wie Papiergeld, offiziell aber keines waren. Diese Darlehenskassenscheine waren, ebenfalls wie die Reichskassenscheine, nicht mehr durch Gold gedeckt, wie es die Mark nach offiziellen Angaben noch blieb. Zunächst war das Volumen der Darlehenskassenscheine auf 1,5 Milliarden Mark gedeckelt, aber es bedurfte keiner großen Phantasie, um vorauszusehen, dass dieser Deckel später durch eine einfache Änderung im Gesetz auch angehoben werden konnte.
Ein solches System hatte es bereits 1870 im Norddeutschen Bund gegeben, zur Finanzierung des Krieges gegen Frankreich. Und damals war alles gut gegangen. Eine entscheidende Änderung gegenüber 1870 war die Gleichstellung der Darlehenskassenscheine mit den Reichskassenscheinen. Da im Bankgesetz von 1875 in § 17 zu lesen stand, dass die Reichskassenscheine so gut wie Gold waren, sobald sie sich im Besitz der Reichsbank befanden, waren auch die Darlehenskassenscheine in deren Besitz aus juristischer Perspektive nicht mehr von Gold zu unterscheiden.
Um es anschaulich zu machen: Ein Darlehenskassenschein im Nennwert von 50 Mark, welcher in den Besitz der Reichsbank kam, konnte von dieser genutzt werden, um die dreifache Summe, 150 Mark, an frischem Geld zu emittieren – denn der Darlehenskassenschein im Besitz der Reichsbank hatte den Status von Gold. Mit diesem Geld im Nennwert von 150 Mark konnten beispielsweise Staatsanleihen gekauft werden, die wiederum als Sicherheit für Darlehenskassenscheine dienten. Wenn diese 150 Mark an die Reichsbank gelangten, durfte sie laut Gesetz erneut das Dreifache an Geld ausgeben, diesmal 450 Mark. Und so weiter: ein Mechanismus zur unendlichen Geldvermehrung.
Der Bankier Friedrich Bendixen, hellsichtiges Vorstandsmitglied der Hypothekenbank in Hamburg, bemerkte dazu in einem 1917 erschienenen Aufsatz: »Die Reichsbank ist also in ihrer Emissionsbefugnis an einer lebhaften Inanspruchnahme der Darlehnskassen interessiert. Je größer deren Darlehen, umso mehr steigt die Notenreserve der Reichsbank. Das heißt: das Geldbedürfnis erzeugt den Geldüberfluss.«18 Es gab für die Geldmenge keinen limitierenden Faktor mehr, weder den Umfang der Goldreserven noch eine Zentralbank, die von sich aus willens gewesen wäre, bremsend einzugreifen.
War das Absicht oder ein Versehen? Ist der administrative Grundstein der Hyperinflation von einem klugen, vorausschauenden Strategen gelegt worden, der dem Reich einen unbeschränkten Zugang zu Geldmitteln in schwerer Zeit verschaffen wollte? Oder handelt es sich nur um ein schlecht gemachtes Gesetz, um ein bürokratisches Versehen, das der Mark den goldenen Boden unter den Füßen wegzog? Wer formulierte im August 1914, als Europa in den Abgrund starrte, das Darlehenskassengesetz? Ist wirklich niemandem im Finanzministerium oder im Reichstag die Merkwürdigkeit aufgefallen, dass nicht einmal Anleihen der Bundesstaaten zur Deckung der Währung taugten, wohl aber die offensichtlich minderwertigen Darlehenskassenscheine? Wusste der zuständige Finanzstaatssekretär Hermann Kühn davon, ein braver, blasser Jurist, der kaum Spuren in den Geschichtsbüchern hinterlassen hat? Wer auch immer das Darlehenskassengesetz formuliert hat, ein harmloser Beamter oder der arglose Minister oder ein trickreicher Experte in spekulativer Staatsfinanzierung, er hat das Fundament für die Große Inflation gelegt. Er ist, das lässt sich mit kalkulierter Übertreibung sagen, der unbekannte dunkle Held dieser ganzen Geschichte.
Die Deutschen hatten in diesen ersten Kriegsmonaten andere Sorgen, als sich darüber Gedanken zu machen, in welchem Sinne die verschiedenen Scheine, die sie in ihren Taschen vorfanden, Geld waren. Die Frage Was ist Geld? wird selten gestellt, und das ist meistens auch gut so. Es gehört zur Infrastruktur eines Landes und es ist Zeichen für sein Funktionieren, wenn man sich eben genau darüber nicht den Kopf zerbrechen muss. Sobald wir das Geld in der täglichen Praxis hinterfragen, ist in der Regel etwas faul.
Dabei lohnt sich die Beschäftigung auf abstrakter Ebene: Geld ist eine raffinierte Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft (Keynes), ein Machtinstrument (Tolstoi formuliert in unvergleichlicher Prägnanz: »Wer Geld besitzt, hat diejenigen, die keins besitzen, im Sacke.«) und »der Herzen Prüfstein« (Shakespeare in Timon von Athen), an dem sich der Charakter eines Menschen beweist.
Heute definiert die Mehrheit der Ökonomen Geld von seiner Funktion her. Es ist eigenschaftslos, es kann jede Form annehmen. Es ist eine Quantität ohne Qualität, im täglichen Leben so vertraut, dass sein Gebrauch nicht mehr auffällt. Seine Verwendung liegt unterhalb der Wahrnehmungsschwelle, weil es nur so als Tauschmittel am Markt tatsächlich brauchbar ist. Dieses Tauschmittel muss gewisse Eigenschaften mitbringen, etwa die Fähigkeit, die Kaufkraft über die Zeit zu bewahren. Daher sind alle vergänglichen Gegenstände – wie etwa Äpfel oder Fische – für die Geldfunktion ungeeignet. Geld muss allgemein akzeptiert, liquide und transportabel sein, um möglichst jederzeit und überall zu funktionieren. Geld sollte schließlich noch als Recheneinheit taugen, denn wenn es keinen allgemein anerkannten Wertmaßstab gibt, wird es schwierig, die relative Knappheit eines Gutes zu bestimmen.
Edelmetalle erfüllen viele dieser Anforderungen, weshalb sie in der Geschichte lange Zeit als Geld oder, in der Zeit des Goldstandards, als dessen Referenzpunkt gedient haben. Gold sticht unter diesen heraus, weil es über die Jahrhunderte wertbeständig geblieben ist. Es ist, wie die anderen Edelmetalle, nicht auf der Erde entstanden und kann dort auch nicht gemacht werden (weil es hier nicht genügend Energie gibt: schlechte Nachrichten für Alchemisten).19 Da Gold sich zudem nur schwer aus der Erde extrahieren lässt, erfüllt es das Kriterium des harten Geldes. Bei hartem Geld gibt es zu dem existierenden Bestand verhältnismäßig wenig Zufluss von neuem Geld. Je höher das Verhältnis von Bestand zu Zufluss, desto härter die Währung. Gold zu schürfen erfordert viel Aufwand, und in den letzten 150 Jahren hat die Menge an »frischem« Gold durch alle Preisschwankungen hindurch erstaunlich konstant nur um 2 % des existierenden Bestands zugelegt (das heißt, die Preiselastizität des Goldangebots ist gering).
An dieser Stelle setzten die Quantitätstheoretiker des Geldes an. Die in einem bestimmten Zeitraum umgesetzte Geldmenge ist gleich dem in Geld bewerteten Güterumschlag. Als Formel ausgedrückt: M × V = P × Y, wobei M für die Geldmenge, V für die Umlaufgeschwindigkeit, P für das Preisniveau und Y für die Menge der gehandelten Güter steht. Geht man davon aus, dass Umlaufgeschwindigkeit und Gütermenge sich nicht stark ändern (was nicht selbstverständlich ist), muss eine steigende Geldmenge zu steigenden Preisen führen. Ist in einer Volkswirtschaft hartes Geld im Umlauf, bleibt also auch M einigermaßen konstant, so ist Preisstabilität zu erwarten.