Kitabı oku: «Hegels »Phänomenologie des Geistes«. Ein systematischer Kommentar», sayfa 4
Dabei entstehen Gegenstandsauffassungen nicht einfach so neu. Die neuen Gegenstandsauffassungen reflektieren vielmehr die Probleme, die sich in alten Gegenstandsauffassungen ergeben haben. Gegenstandsauffassungen entwickeln sich auseinander. In diesem Sinn sagt Hegel: »Dieser neue Gegenstand enthält die Nichtigkeit des ersten, er ist die über ihn gemachte Erfahrung.« (82/79)
Die Veränderung von Wissenskonzeptionen und damit von Gegenstandsauffassungen ist aber nicht nur eine theoretische, abstrakte Angelegenheit. Mit Gegenstandsauffassungen verändern sich vielmehr auch die Gegenstände selbst. Insofern rüttelt Hegel durchaus an der Einschätzung, Gegenstände seien einfach aus sich heraus als Gegenstände des Wissens zu verstehen. Für unser Wissen von Gegenständen sind Gegenstandsauffassungen grundlegend. Mit Letzteren also verändern sich durchaus auch die Gegenstände, von denen wir Wissen zu erlangen suchen.
Der Erfahrungsbegriff, den Hegel auch in dieser These verwendet, scheint der Interpretation, die ich bislang entwickelt habe, zu widersprechen. Ist Erfahrung nicht das, was sich in Auseinandersetzung mit einzelnen Gegenständen vollzieht? Von Erfahrung reden wir doch normalerweise dann, wenn wir lernen, dass Herdplatten heiß sein können oder dass es in Kollegien zu unüberbrückbaren Spannungen kommen kann. Erfahrungen sind in diesem Sinn empirisch: Sie resultieren aus unserer Konfrontation mit Sachverhalten in der Welt.
Es ist wichtig zu erkennen, dass Hegel Erfahrung primär jedoch nicht in dieser Weise versteht. Erfahrung ist für ihn daran gebunden, dass Wissen sich verändert. Eine Veränderung des Wissens aber vollzieht sich dadurch, dass unser Wissen vom Wissen eine neue Gestalt annimmt. Erst dadurch können wir den bloßen Anschein von Veränderung (»ein trockenes Versichern«) von einer echten Veränderung unterscheiden. Erfahrung ist insofern aus Hegels Sicht immer an die Widersprüche gebunden, die sich in Wissenskonzeptionen ergeben. Sie resultiert nicht aus der Konfrontation mit bloßen Gegenständen, sondern daraus, dass Wissensansprüche sich an den in Gegenstandsauffassungen gegebenen Gegenständen nicht bewähren. Erfahrung setzt insofern die Spannung voraus, die nach Hegels Verständnis alles Bewusstsein ausmacht. Sie ist – um es kurz zu sagen – nicht empirisch, sondern dialektisch-spekulativ.23
Die Widersprüche, auf denen die dialektisch-spekulative Struktur der Erfahrung beruht, sind dabei nicht einfache Widersprüche, die sich leicht ausräumen lassen (in dem Sinne, dass wir einfach eine der Thesen, die im Widerspruch zueinander stehen, fallenlassen), sondern es handelt sich um Widersprüche, die uns gerade aufgrund ihrer gewissen Unlösbarkeit (es wird noch zu klären sein, inwiefern hier von einer »gewissen Unlösbarkeit« die Rede ist) zu einer Weiterentwicklung unseres Denkens veranlassen.24 Erfahrungen führen so dazu, dass wir unsere Begriffe verändern; sie greifen in unser Denken ein. Wenn ich mit Hegel davon spreche, dass Erfahrung damit dialektisch bestimmt ist, heißt dies: Erfahrung ist der Prozess immanenter Kritik, in dem sich aus einem Widerspruch von zwei für uns grundlegenden Verständnissen ein neues Verständnis ergibt, in dem dieser Widerspruch auf eine neue Ebene gehoben wird.
Um ein Beispiel zu geben: Wir machen eine Erfahrung, wenn wir erkennen, dass die Bestimmungen des Menschen als eines Sinnenwesens und eines geistigen Wesens sich widersprechen, und aus dieser Einsicht heraus eine neue Konzeption des Menschen entwickeln, zum Beispiel die Konzeption des Menschen als eines unbestimmten Wesens, eines »nicht festgestellten Tiers«, wie Nietzsche sagt.25 Hegel spricht oft davon, dass wir die widersprüchlichen Bestimmungen in der neuen Bestimmung aufheben. Der Begriff der Aufhebung wird immer wieder als einer der zentralen methodischen Begriffe von Hegels Philosophie angesehen. Zwar spielt dieser Begriff in der PhG keine besonders prominente Rolle. Man kann ihn aber heranziehen, um das Verständnis der immanenten Kritik, das die PhG verfolgt, zu artikulieren. Demnach hebt eine neue Bestimmung die Widersprüche alter Bestimmungen dahingehend auf, dass sie (a) diese alten Bestimmungen überwindet, dass sie (b) diese alten Bestimmungen dabei zugleich bewahrt und dabei (c) eine neue Ebene begründet. Aufhebung ist ein in diesem Sinne jeweils dreifaches Geschehen – und Dialektik eine Theorie der Produktivität der Widersprüche.
Hegels Begriff der Erfahrung ist im Rahmen dieser Theorie zu verstehen. Erfahrung kommt demnach dadurch zustande, dass die theoretischen Begriffe, in denen Menschen ihr Wissen artikulieren und somit Wissen von ihrem Wissen haben, sich weiterentwickeln. Wer im Sinne Hegels Erfahrungen macht, entwickelt sich in seinem Wissen über sich und damit über die Welt weiter. Er verändert damit sein Wissen über sich und über die Welt. Man kann sagen, dass Hegel somit Erfahrung als Realisierung von Selbstkritik (in dem oben erläuterten Sinn) versteht. Er vertritt damit einen anspruchsvollen Begriff von Erfahrung, dem zufolge nicht ein bloßer Erwerb von Wissen, sondern eine kritische Reflexion von Wissen Erfahrung ausmacht. Aus einer solchen Reflexion resultiert dabei nicht »ein leeres Nichts« (83/80), sondern kommt ein spezifisches neues Wissen über das eigene Wissen zustande: also eine neue Wissenskonzeption (im Kapitel zum absoluten Wissen wird sich zeigen, dass sich eine Veränderung von Wissenskonzeptionen durchaus auch als ein Aspekt einer Auseinandersetzung mit Gegenständen in der Welt verstehen lässt).
Hier wird noch einmal deutlich, inwiefern Hegels »sich vollbringender Skeptizismus« sich von einem substantiellen Skeptizismus unterscheidet. Letzterer behauptet eine Unmöglichkeit von Wissen. Nach gängigem Verständnis formuliert er gerade in seiner neuzeitlichen Variante skeptische Hypothesen (zum Beispiel im Sinne der Frage: »Kannst du aus deiner Bewusstseinsperspektive heraus ausschließen, ein Gehirn im Tank zu sein, das in raffinierter Art und Weise zu den Bewusstseinseindrücken stimuliert wird, die du hast?«) und macht geltend, dass diese Hypothesen nicht ausgeschlossen werden können. Solange dies aber so ist, gebe es, streng genommen, kein Wissen. Hegels dialektische Widersprüche, die den Prozess der Erfahrung vorantreiben, funktionieren jedoch nicht wie skeptische Hypothesen. Sein Skeptizismus ist vielmehr der Prozess, in dem immer mehr Bestimmungen, die wir für feststehend zu halten geneigt sind, sich als für sich genommen unhaltbar erweisen, so dass ein komplexerer begrifflicher Horizont gewonnen werden muss, innerhalb dessen diese Bestimmungen (in dem erläuterten Sinn) aufgehoben sind. Die Unhaltbarkeit der Bestimmungen führt nicht zu ihrer bloßen Negation. Sie führt vielmehr zu einer Weiterentwicklung von Bestimmungen, in der die unhaltbaren Bestimmungen in veränderter Form weiter Bestand haben. Aus dieser Entwicklung heraus hängen alle Bestimmungen, in denen wir unser Wissen artikulieren, grundlegend zusammen.
Hegels Begriff von Erfahrung ist dabei durchaus auch als ein kritischer Begriff zu verstehen. Kritisiert werden all diejenigen Haltungen, in denen man sich einer Selbstkritik verweigert. Wer sich mit der Welt nur deshalb auseinandersetzt, um Bestätigung für seine sowieso schon bestehenden Überzeugungen zu gewinnen, kann die für sein Verständnis von Wissen konstitutiven Zusammenhänge mit anderen Verständnissen nicht nachvollziehen und wird so gegenüber den eigenen Einseitigkeiten blind. Er verliert damit auch den Kontakt zur Welt als der Instanz, die entsprechende Einseitigkeiten immer wieder herausfordert.
Damit haben wir die Einleitung jetzt so weit durchdrungen, dass wir uns ihrem Ende nähern können:
Die Erfahrung, welche das Bewusstsein über sich macht, kann ihrem Begriffe nach nichts weniger in sich begreifen als das ganze System desselben, oder das ganze Reich der Wahrheit des Geistes, so dass die Momente derselben in dieser eigentümlichen Bestimmtheit sich darstellen, nicht abstrakte, reine Momente zu sein, sondern so, wie sie für das Bewusstsein sind, oder wie dieses selbst in seiner Beziehung auf sie auftritt, wodurch die Momente des Ganzen, Gestalten des Bewusstseins sind. (84/80)
Hegel wiederholt hier noch einmal zwei zentrale Thesen, die er in der Einleitung vertritt: Die Wissenskonzeptionen, die von Menschen vertreten werden, hängen systematisch darin zusammen, dass sie jeweils den Ausschnitt eines Bildes darstellen, das sich erst durch die Entwicklung der Widersprüche, die in diesen Wissenskonzeptionen im Spiel sind, zusammensetzt. Hegel vertritt so erstens die These, dass sich aus der Entwicklung der Widersprüche ein Zusammenhang ergibt. Und er vertritt zweitens die These, dass dieser Zusammenhang ein Ziel kennt.
Dieses Ziel wird bereits in der Einleitung mit dem berüchtigten Begriff des »absoluten Wissens« (84/81) markiert: Die Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins, die Wissenschaft von der erscheinenden Wissenschaft vollendet sich mit dem »absoluten Wissen«. Das klingt so, als steuere Hegel auf einen endgültigen Abschluss zu, auf eine nicht mehr zu überbietende Gestalt des Wissens. Wir haben aber gesehen, dass das Ziel der Entwicklung, die Hegel in der PhG verfolgt, ganz anders verstanden werden kann: Es handelt sich um das Ziel, an dem Wissen sich als eine in einem produktiven Sinne unsichere, grundsätzlich mit Selbstkritik verbundene Praxis durchsichtig geworden ist. Hier ist eine Wissenskonzeption erreicht, die auch die Revision der Verständnisse von Wissen als notwendigen Teil des Gewinnens von Wissen verstehen kann und die sich aus diesem Grund in allen weiteren Revisionen gerade nicht mehr verändert, sondern – wie Hegel gerne sagt – in ihnen bei sich bleibt. Diese Wissenskonzeption ist ein Abschluss, der aus sich heraus mit weiterer Entwicklung verbunden ist.
Der systematische Ertrag
Die Einleitung klärt vor allem, warum Hegel erstens das Projekt der Erkenntniskritik kritisiert und wie er zweitens seine eigene Philosophie als eine solche konzipiert, die dieser Kritik Rechnung trägt. Die Kritik der Erkenntniskritik ist nicht primär daraus motiviert, dass Hegel schon an diesem Punkt (der Einleitung) sicher wäre, sie für falsch halten zu können. Problematisch ist die Erkenntniskritik, wie sie besonders in der Neuzeit von Descartes bis Kant zunehmend als Selbstverständlichkeit etabliert wurde, aus Hegels Sicht, weil sie eine Reihe unbegründeter, und so ganz und gar nicht selbstverständlicher, Voraussetzungen macht. Diese Voraussetzungen haben ihren Kern in der Trennung von Subjekt und Objekt. Der Ertrag der Einleitung lässt sich entsprechend sehr knapp resümieren, indem wir sagen: Es geht ihr darum zu sagen, dass man weder den Begriff des Subjekts noch den Begriff des Objekts in zufriedenstellender Weise klären kann, wenn man ihre Trennung voraussetzt. In den Überlegungen zur immanenten Kritik von Wissenskonzeptionen haben wir aber auch gesehen, dass es Hegel nicht darum geht, einfach eine harmonische Einheit von Subjekt und Objekt zu behaupten. Er will vielmehr die Trennung beider aus ihrem Zusammenhang heraus denken.
Entsprechend seiner Kritik an dem Projekt der Erkenntniskritik gestaltet Hegel das Vorgehen der PhG so, dass er nicht von Anfang an mit einer eigenen Position aufwartet. Ganz im Gegenteil: Er will die Wissenskonzeption, die er am Ende verteidigt, dadurch gewinnen, dass er anderen Wissenskonzeptionen in ihren Widersprüchen folgt. So steht im Zentrum der PhG nicht die eigenständige Entwicklung einer Position, die Hegel seinen Leserinnen und Lesern präsentieren würde, sondern der Nachvollzug unterschiedlicher Positionen, die er verfolgt, um aus dieser Entwicklung heraus dann die Konturen einer haltbaren Wissenskonzeption zu gewinnen – einer Wissenskonzeption also, die er sich aus einem komplexen Dialog mit anderen Konzeptionen heraus zu eigen macht. Damit zeichnet sich ein entscheidendes Moment des Verständnisses von Philosophie ab, das Hegel vertritt: Er begreift seine eigene Philosophie dezidiert als eine Philosophie unter anderen Philosophien. Aus Hegels Sicht ist es kein unglücklicher Zufall, dass es unterschiedliche Philosophien gibt, die sich in entscheidenden Punkten deutlich widersprechen. Es ist vielmehr ein Wesensmerkmal von Philosophie, dass dies tatsächlich so ist. Philosophische Erkenntnis ist an die Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Philosophien gebunden.26
Wir haben gesehen, dass sich nach Hegels Verständnis auf dem Weg zu einer haltbaren Wissenskonzeption (einer durchgeführten Wissenschaft also) die Auffassung von Gegenständen des Wissens immer wieder ändert. Damit kündigt er bereits hier schon an, dass das Buch, das den entsprechenden Weg geht, überraschende Wendungen enthalten wird. Die PhG ist nicht eine erkenntnistheoretische Abhandlung, wie es die klassischen Texte von zum Beispiel Descartes, Locke oder Kant sind. Sie bleibt nicht bei der Analyse des kognitiven Verhältnisses stehen, in dem Subjekte zu Objekten stehen. Vielmehr widmet sie sich zum Beispiel auch der intersubjektiven Konstitution von Subjekten, der Konstitution von Normen in gemeinschaftlichen Praktiken und der Bedeutung von Moralität und Gewissenhaftigkeit für das Zustandekommen von Wissen. Hegel macht also in seinem Buch Ernst mit der Veränderung der Gegenstände. Dabei spielen auch unterschiedliche historische Aspekte hinein, da er die von ihm behandelten Gegenstandsauffassungen als auch historisch geprägt begreift.
II. Bewusstsein
Überblick
Das Bewusstseinskapitel eröffnet Hegels Durchgang durch unterschiedliche Konzeptionen des Wissens. Es zerfällt in drei Großabschnitte:
Der erste dieser Abschnitte setzt bei einem direkten sinnlichen Bezug auf Gegenstände an, den Hegel als »sinnliche Gewissheit« bezeichnet;
der zweite kommentiert ein Wahrnehmungsverhältnis, in dem Gegenstände mittels ihrer Eigenschaften erfasst werden;
und der dritte setzt sich schließlich mit Versuchen auseinander, die Zusammenhänge der Wahrnehmungswelt durch hinter den Erscheinungen wirksame Kräfte zu erklären.
Charakteristisch für den Ausgangspunkt, den Hegel wählt, ist der Begriff der Unmittelbarkeit, der eine Bewusstseinsgestalt charakterisiert, die dem eigenen Verständnis nach ohne alle Voraussetzungen auskommt. Hegel hält es für zwingend, seinen Weg zu einem angemessenen Wissen vom Wissen mit dieser Gestalt zu beginnen. Er will zeigen, dass sich alle Konzeptionen, die Wissen von diesem Ausgangspunkt her zu begreifen suchen, in unlösbare Widersprüche verwickeln. Diese Widersprüche liegen in erster Linie darin begründet, dass auf der Basis eines direkten Gegenstandsbezugs kein plausibler Begriff von Allgemeinheit gewonnen werden kann. Es zeigt sich aber in den Betrachtungen zunehmend, dass die Explikation von Wissen eines tragfähigen Begriffs von Allgemeinheit bedarf.
Das Bewusstseinskapitel weist so von Anfang an über sich hinaus. Es ist auf den Übergang zum Selbstbewusstseinskapitel hin angelegt. Dabei zeigt es bereits ein wichtiges Prinzip der Darstellungen der PhG: Die aufgrund ihrer Widersprüche kritisierten Wissenskonzeptionen werden von Hegel zugleich als solche kommentiert, die wichtige Einsichten liefern.
Drei Einsichten der Konzeptionen, die im Bewusstseinskapitel im Zentrum stehen, stechen besonders heraus:
Erstens ist ein Wissen, das Gegenstände konkret erfasst, nur auf Basis von Allgemeinbestimmungen möglich.
Zweitens sind die erforderlichen Allgemeinbestimmungen nicht aus sich heraus bestimmt, sondern stehen in konstitutiven Beziehungen zueinander. Kurz gesagt: Begrifflicher Gehalt ist holistisch konstituiert. Ein Begriff hat nur dann Bedeutung, wenn auch viele andere Begriffe Bedeutung haben. Hegel macht damit deutlich, dass diese Einsicht bereits in einfachen Konzeptionen empirischen Wissens erreicht wird.
Drittens können Allgemeinbegriffe nicht aus dem bloßen Bezug auf Gegenstände heraus gewonnen werden, sondern bedürfen in ihrer Konstitution des Bezugs des Bewusstseins auf sich selbst. Allgemeinbestimmungen stellen einen beständigen Zusammenhang zwischen wechselnden Gegenständen her, verbinden also Beständigkeit und Unbeständigkeit miteinander. Diese Verbindung lässt sich nicht aus dem Gegenstandsbezug heraus begründen, sondern bedarf des Bezugs auf das Bewusstsein, das in seinem Umgang mit unterschiedlichen Gegenständen Bestimmungen festhält. Damit ist der Übergang zu den Wissenskonzeptionen des Selbstbewusstseinskapitels vorgezeichnet.
Probleme der Interpretation
Das Bewusstseinskapitel wirft drei zentrale Fragen für die Interpretation auf:
Wen kommentiert Hegel in den Abschnitten, die dieses Kapitel umfasst? Ist sein Ansatzpunkt ein neuzeitlicher Empirismus, der die These vertritt, es sei nichts im Geiste, was nicht zuvor in den Sinnen gewesen ist? Oder handelt es sich um eine abstrakte Zusammenstellung von Positionen, die nicht einer einheitlichen Tradition angehören?
Dazu gehört eine zweite Frage: Worin besteht der Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Positionen, die Hegel im Bewusstseinskapitel bespricht? Gerade dann, wenn man zu der Auffassung gelangt, dass Hegel die Positionen nicht aus einer einheitlichen Tradition schöpft, sondern selbst einen Zusammenhang herstellt, gewinnt diese Frage an Relevanz: Was ist die Gemeinsamkeit der Bewusstseinsgestalten, die dem ersten Augenschein nach recht unterschiedlich sind? Um diese Gemeinsamkeit zu klären, ist es auch wichtig zu verstehen, wie die in dem Kapitel zusammengebrachten Bewusstseinsgestalten aneinander anschließen.
Die vielleicht heikelste Frage in der Interpretation des Bewusstseinskapitels liegt besonders nahe. Sie lautet: Wie funktioniert der Übergang zum Selbstbewusstseinskapitel? Welche Widersprüche machen das Ende des Bewusstseinskapitels aus, und inwiefern werden diese Widersprüche von Wissenskonzeptionen aufgehoben, in deren Zentrum das Selbstbewusstsein steht?
Detaillierter Kommentar
I. Die sinnliche Gewissheit oder das Diese und das Meinen
Hegel beginnt seine Überlegungen mit einer Wissenskonzeption, die ihrem Selbstverständnis nach voraussetzungslos ist. Wir haben bereits in der Einleitung gesehen, dass es für ihn selbstverständlich ist (er spricht von einem »natürlichen Bewusstsein«), Wissen voraussetzungslos begründen zu wollen. Aus diesem Grund muss die Wissenskonzeption der sinnlichen Gewissheit am Anfang stehen. Sie macht geltend, dass Wissen durch den direkten Kontakt mit Gegenständen in der Welt erworben wird. Der Wissensanspruch, der hier vertreten wird, besagt, dass durch diesen direkten Kontakt, durch ein reines Auffassen der Welt, das reichste und konkreteste Wissen zustande kommt. »[E]ine Erkenntnis von unendlichem Reichtum« (85/82) solle auf diese Weise gewonnen werden.
Welche Gegenstandsauffassung aber korrespondiert diesem Anspruch? Hegels Kommentar zur »sinnlichen Gewissheit« gibt ein gutes Beispiel für die einer Bewusstseinsgestalt inhärenten Widersprüche, von denen Hegel in der Einleitung spricht. Die Gegenstandsauffassung nämlich bedeutet das Gegenteil dessen, was der Wissensanspruch verspricht. Die Gegenstandsauffassung ist die »abstrakteste und ärmste Wahrheit« (85/82). Dies sucht Hegel mit seiner Explikation gleich zu Anfang deutlich zu machen. Falls ein bloß direkter Gegenstandskontakt zu Wissen führen soll, so bedeutet das, dass nur eine einzige Beziehung im Spiel ist, nämlich diejenige des Bewusstseins auf seinen Gegenstand. Mögliche Beziehungen, die für den Gegenstand und das Bewusstsein sonst relevant sind, können entsprechend in dieser Wissenskonzeption nicht durch das Bewusstsein erfasst werden. Um sie zu erfassen, müsste es seinen Anspruch aufgeben, den Gegenstand durch einen unmittelbaren Kontakt zu wissen. So kommen für das Bewusstsein weder Beziehungen im Gegenstand, zum Beispiel zwischen unterschiedlichen seiner Eigenschaften, noch Beziehungen im Rahmen des Bewusstseins, zum Beispiel zwischen unterschiedlichen seiner Bewusstseinsinhalte, in Betracht. In Hegels Worten:
Ich, dieser, bin dieser Sache nicht darum gewiss, weil Ich als Bewusstsein hiebei mich entwickelte und mannigfaltig den Gedanken bewegte. Auch nicht darum, weil die Sache, deren ich gewiss bin, nach einer Menge unterschiedener Beschaffenheiten eine reiche Beziehung an ihr selbst, oder ein vielfaches Verhalten zu andern wäre. (85/82 f.)
Es bleibt bei dem direkten Kontakt des Bewusstseins zu seinem Gegenstand. Aus diesem Grund ist das »reine Sein« (86/83), das bloße »dies ist« der Gegenstand der sinnlichen Gewissheit. Damit wird, so insistiert Hegel, kein reiches, sondern ein überaus undifferenziertes und somit armes Wissen erworben. Der Gegenstand des Wissens steht im eklatanten Widerspruch zu dem erhobenen Wissensanspruch. Oder anders gesagt: Der Wissensanspruch wird durch die Wissenskonzeption nicht eingelöst.
Die Bewusstseinsgestalt des sinnlichen Wissens ist aber in ihrer Grundstruktur nicht hinreichend gefasst, wenn man nur die Unmittelbarkeit des Gegenstands betont. Die sinnliche Gewissheit, so Hegel, bezieht sich auf die Gegenstände, auf die sie sich bezieht, als eine Instanz von Unmittelbarkeit. Sie rechnet konstitutiv mit vielen Unmittelbarkeiten. Das aber bedeutet, dass die Unmittelbarkeit in der sinnlichen Gewissheit differenzbehaftet ist. Hegel sagt: Jeder Gegenstand der sinnlichen Gewissheit ist »ein Beispiel derselben« (86). Dies lässt sich genauer so verstehen: Die Konzeption eines Wissens durch unmittelbaren Kontakt mit Gegenständen, das zudem ein besonders reiches Wissen sein soll, gibt nur unter der Bedingung Sinn, dass es viele Situationen eines solchen unmittelbaren Kontakts gibt. Es gibt unterschiedliche Gegenstände, denen man in unmittelbarem Kontakt begegnen kann. Aus diesem Grund steht ein unmittelbarer Kontakt nicht für sich. Er ist immer ein Beispiel sehr vieler unmittelbarer Kontakte, die jeweils zu sinnlicher Gewissheit führen. Mit Hegels etwas aufgeladener Sprache kann man sagen: An jedem unmittelbaren Kontakt spielen viele andere unmittelbare Kontakte beiher (vgl. 86/83).27 Unter den Unterschieden möglicher Gegenstände sinnlicher Gewissheit ist dabei der Unterschied zwischen dem Subjekt (dem »Ich«) und dem Objekt (dem »Gegenstand«) von besonderer Bedeutung. Aus diesem Grund ist – entgegen der Grundhaltung der Wissenskonzeption – doch ein In-Beziehung-Setzen für das Wissen der sinnlichen Gewissheit entscheidend. Bereits in seiner Grundstruktur wird die Wissenskonzeption also ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht.
Dieser Grundwiderspruch spielt auch in den unterschiedlichen Formen eine entscheidende Rolle, in Bezug auf die Hegel die Bewusstseinsgestalt im Folgenden weiter analysiert. Hegel unterscheidet drei Formen, in denen die sinnliche Gewissheit auftritt:
In der ersten Form ist ein äußeres Objekt der Gegenstand der sinnlichen Gewissheit (86–88/83–86),
in der zweiten Form das subjektive Bewusstsein in unterschiedlichen seiner Zustände (88–90/86–87).
Die dritte Form schließlich bezieht sich auf einen Zusammenhang von Subjekt und Objekt als seinen Gegenstand (90–92/87–90).
Hegel verfolgt diese unterschiedlichen Formen aus der Perspektive dessen heraus, der die Entwicklungen, denen er folgt, überschaut. Dies liegt darin begründet, dass die Wissenskonzeption der sinnlichen Gewissheit keine Beziehungen kennt – und damit auch keine Beziehungen des Wissenden auf sein Wissen. Wenn es in einer Bewusstseinsgestalt kein Wissen vom eigenen Wissen gibt, kann es auch keine Selbstkorrektur in Bezug auf den eigenen Wissensanspruch geben. Wer sich zu seinem eigenen Wissen verhält, kann sich durch Widersprüche in der eigenen Wissenskonzeption zu Entwicklungen genötigt sehen. Viele andere Wissenskonzeptionen, die Hegel im Rahmen der PhG kommentiert, vollziehen gewissermaßen aus sich selbst heraus Entwicklungen – die sinnliche Gewissheit tut dies nicht. In ihrem Fall führen die Widersprüche nur an sich zu einer Entwicklung, nicht für das Bewusstsein (vgl. zu diesem Vokabular hier S. 48 f.). Es kommt dem Kommentator Hegel zu, die Widersprüche der Bewusstseinsgestalt als Motor einer Entwicklung zwischen unterschiedlichen Formen, in denen die Gestalt auftritt, verständlich zu machen. Man kann ihn so verstehen, dass er sagt: Unterschiedliche Realisierungen der Wissenskonzeption hängen zusammen. Es gibt demnach einen Übergang von der Realisierung, der zufolge man Wissen aus dem direkten Kontakt mit äußeren Gegenständen zu gewinnen sucht, zu der Realisierung, in der ein entsprechender Kontakt mit eigenen Bewusstseinszuständen dies leisten soll, zu einer Realisierung, in der ein Konglomerat aus beidem die Basis des Wissens abgeben soll. Hegel zeigt, dass in allen drei Realisierungen die grundlegenden Widersprüche der Konzeption fortbestehen.
Die erste Form der sinnlichen Gewissheit ist besonders naheliegend: Es ist nach ihrem Verständnis ein Wissen, das durch direkten Kontakt mit einem äußeren Gegenstand zustande kommt. Um den Widerspruch dieser Konzeption herauszuarbeiten, stellt Hegel ihr eine einfache Frage: »Was ist das Diese?« (87/84) Die sinnliche Gewissheit will Wissen durch den direkten Bezug auf einen Gegenstand gewinnen. Einen solchen Bezug können wir sprachlich mit einem Demonstrativpronomen artikulieren. »Das Diese« steht für den direkten Bezug, der zu Wissen führen soll. Worin also besteht er? Hegel führt aus:
Nehmen wir es in der gedoppelten Gestalt seines Seins, als das Itzt und als das Hier, so wird die Dialektik, die es an ihm hat, eine so verständliche Form erhalten, als es selbst ist. Auf die Frage: Was ist das Itzt? antworten wir also zum Beispiel: Das Itzt ist die Nacht. Um die Wahrheit dieser sinnlichen Gewissheit zu prüfen, ist ein einfacher Versuch hinreichend. Wir schreiben diese Wahrheit auf; eine Wahrheit kann durch Aufschreiben nicht verlieren; ebensowenig dadurch, dass wir sie aufbewahren. Sehen wir itzt, diesen Mittag, die aufgeschriebene Wahrheit wieder an, so werden wir sagen müssen, dass sie schal geworden ist. (87/84)
Hegels These ist, dass die Konzeption eine Dialektik, also einen Widerspruch in sich trägt. Der Widerspruch zeigt sich in einem Versuch, das Konkrete, was durch den direkten Verweis gewusst werden soll, festzuhalten. Was festgehalten wird, ist aber nicht das konkrete Einzelne, sondern die räumlichen und zeitlichen indexikalischen Ausdrücke des Hier und des Jetzt. Gewusst wird also immer ein »Dies ist hier« oder »Dies ist jetzt« (oder beides).
Ein Hier oder ein Jetzt aber sind nicht konkret. Es handelt sich vielmehr um Verweisungen, die auf sehr vieles zutreffen können. Das heißt, dass sich hier in einer spezifischen Weise genau die Struktur zeigt, die Hegel schon allgemein im dritten Absatz des Abschnitts analysiert hat: Der direkte Kontakt der sinnlichen Gewissheit zu äußeren Gegenständen ist immer einer unter vielen. Ein bestimmtes Hier ist entsprechend immer ein Hier unter vielen Hier. Oder anders gesagt: Ein Hier gibt es nur, sofern es auch viele andere Hier gibt. Das Hier ist etwas, das sich auf vieles Einzelne anwenden lässt. Hegel sagt nun zu Recht: Eine Bestimmung (in diesem Fall eine einfache Verweisungsbestimmung, ein indexikalischer Ausdruck), die sich auf vieles Einzelne anwenden lässt, ist ein Allgemeines (wobei ein indexikalischer Ausdruck in seiner Struktur nicht mit einem Prädikat zu verwechseln ist, also einer Allgemeinbestimmung vom Typ »… ist ein Haus«). Entsprechend erläutert er die Struktur einer solchen Bestimmung, wie sie für das in der sinnlichen Gewissheit zustande kommende Wissen gilt, folgendermaßen:
Ein solches Einfaches, das durch Negation ist, weder dieses noch jenes, ein Nichtdieses, und ebenso gleichgültig, auch dieses wie jenes zu sein, nennen wir ein Allgemeines; […]. (88/85)
Hegel schließt an diese Erläuterung seine zentrale Diagnose an: »[…] das Allgemeine ist also in der Tat das Wahre der sinnlichen Gewissheit.« (88/85) Seine These ist damit, dass Gegenstände im Rahmen der Wissenskonzeption der sinnlichen Gewissheit – konträr zu ihrem Anspruch, etwas schlechthin Konkretes zu wissen – auf eine sehr allgemeine Art und Weise gewusst werden. Wer durch einen direkten Bezug auf Gegenstände Wissen realisiert, weiß das, was er weiß, durch die Allgemeinbestimmungen des »Dieses«, »Hier« und »Jetzt«. Mit Blick auf die sprachliche Praxis kann man das auch so ausdrücken: Er weiß, wie man »dieses«, »hier« und »jetzt« gebraucht. Da man solche demonstrativen und indexikalischen Ausdrücke in Bezug auf viele unterschiedliche Gegenstände gebrauchen kann, hat das Wissen keine konkrete Bestimmtheit.
Diese Diagnose Hegels macht verständlich, warum er zu Anfang seiner Erläuterungen sagt, es handele sich bei dem Wissen der sinnlichen Gewissheit um die »abstrakteste und ärmste Wahrheit« (85/82). Gewusst wird nicht das konkrete Einzelne, sondern vielmehr, wie man sich mit allgemeinen demonstrativen und indexikalischen Bestimmungen auf Einzelnes zu beziehen vermag. Die allgemeinen Bestimmungen sind dabei so verfasst, dass sie von jedem Konkreten gerade absehen. Sie beziehen sich in einer Art und Weise auf Einzelnes, in der man sich auf vieles Einzelne beziehen kann. So ist jeder entsprechende Bezug auf ein Einzelnes damit verbunden, dass es viele andere mögliche Bezüge auf Einzelne gibt, die aber in der entsprechenden Situation gerade nicht realisiert werden.
Hegel sagt aus diesem Grund – wie bereits gesehen –, dass in der sinnlichen Gewissheit immer schon Negationen im Spiel sind. Und das heißt, dass die Wissenskonzeption sich nicht nur erstens darin widerspricht, dass sie nichts Konkretes weiß. Sie widerspricht sich auch zweitens in ihrem Anspruch, dass das Wissen ganz direkt, ohne irgendwelche Beziehungen zustande kommt. In der Konstitution von allgemeinen Bestimmungen sind immer Beziehungen im Sinne von Negationen im Spiel: So wird unter anderem ein Zeitpunkt von anderen Zeitpunkten unterschieden und damit zu ihnen in Beziehung gesetzt. Entsprechende Beziehungen prägen den Gegenstandsbezug der sinnlichen Gewissheit.
Die Widersprüche in der Konzeption der sinnlichen Gewissheit machen nun Hegel zufolge die bereits angesprochene Bewegung zwischen unterschiedlichen Realisierungen dieser Konzeption verständlich. Da die einfache demonstrative Beziehung auf äußere Gegenstände kein konkretes Wissen zutage fördert, kann man dieses konkrete Wissen im bewussten Subjekt suchen wollen. Die einfachen Wahrnehmungszustände dieses Subjekts sind gute Kandidaten für etwas, von dem man durch direkten Kontakt Wissen haben kann. In Hegels Worten: »Die Kraft ihrer [der sinnlichen Gewissheit] Wahrheit liegt also nun im Ich, in der Unmittelbarkeit meines Sehens, Hörens, und so fort […].« (89/86)