– Wie, meine arme Freundin, sagte Anzoleto, hast du mich bis jetzt erwartet?
– Hattest du mir nicht gesagt, du würdest kommen und mir von deinem Abend Nachricht bringen? Nun, sage doch, hast du gut gesungen und Freude gemacht? Haben sie geklatscht? Und haben sie dir dein Engagement zu wissen getan?
– Und du, o du gute Consuelo, sagte Anzoleto, plötzlich von Gewissensbissen angefallen, als er die Traulichkeit und Freundlichkeit dieses armen Mädchens sah, sage mir doch, ob du nicht recht ungeduldig wurdest, dass ich so lange blieb, ob du nicht recht müde bist von dem langen Warten, ob du nicht recht gefroren hast auf dieser Terrasse, ob du auch ans Abendbrot gedacht hast, ob du mir nicht böse bist, dass ich so spät komme, ob du dich beunruhigt hast, ob du mir Schuld gibst?
– Nein, nichts von dem allen, entgegnete sie, ihre Arme voll Unschuld um seinen Hals schlingend. Wenn ich ungeduldig wurde, so war’s doch nicht über dich; wenn ich müde war, wenn ich fror, ei, ich fühle nichts mehr davon, seitdem du da bist; ob ich gegessen habe; ich weiß es nicht mehr; ob ich dir Schuld gebe … was für Schuld sollte ich dir geben? ob ich mich beunruhigt habe … weswegen denn mich beunruhigen? ob ich dir böse bin? Nie, nie!
– Du, du bist ein Engel, sagte Anzoleto, indem er sie küsste. Ach, mein Trost! wie sind die anderen Herzen so ungetreu und so hart!
– O, was ist dir geschehen? was haben sie da unten dem »Sohn meiner Seele« getan? rief Consuelo, in den anmutigen venetianischen Dialekt die kühnen und leidenschaftlichen Bilder ihrer Muttersprache mischend.
Anzoleto erzählte nun alles was ihm begegnet war, auch seine Galanterien bei der Corilla und besonders die Lockungen die er von ihr erfahren hatte. Nur erzählte er die Dinge auf eine gewisse Art, indem er alles das sagte was Consuelo nicht betrüben konnte, da er, wirklich und mit Willen, ihr doch treu geblieben war, und es war »so ziemlich« die ganze Wahrheit. Es gibt aber ein Partikelchen Wahrheit, das noch keine gerichtliche Untersuchung jemals an den Tag gebracht, das noch kein Client seinem Advocaten je bekannt, das noch kein Urteil jemals, außer zufällig, getroffen hat, und gerade in dieser Kleinigkeit von Tatbestand oder Absicht, welche unenthüllt bleibt, liegt das Wesen der Sache, der Beweggrund, das Endziel, kurz das gesuchte Wort all dieser großen Rechtshandlungen, die stets so schlecht geführt und stets so schlecht entschieden werden, wie groß auch immer die Hitze der Redner und die Kälte der Richter sei.
Um auf Anzoleto zurückzukommen, so braucht nicht erst gesagt zu werden, welche kleinen Sünden er verschwieg, welche glühenden Regungen er auf seine Art übersetzte und welche in der Gondel erstickte Wallungen er zu erwähnen vergaß. Ich glaube sogar, dass er von der Gondel gar nicht sprach, und die der Sängerin erwiesenen Artigkeiten als Kunstgriffe darstellte, mit deren Hilfe er, ohne sie zu erzürnen, den gefährlichen Avanzen womit sie ihn überhäufte, geschickt entkommen wäre. Warum aber, wenn er doch einmal nicht alles verraten wollte noch konnte, nämlich nicht die Stärke der Versuchungen, welche er aus Klugheit und aus richtigem Takt überwunden hatte, warum – so fragst du, liebe Leserin – hat dieser junge Schelm sich in die Gefahr gebracht, Consuelo’s Eifersucht aufzuwecken? Das fragen Sie mich, Madame! Sagen Sie mir doch, ob Sie nicht Ihrem Liebsten, ich meine, dem Gatten Ihrer Wahl alle Huldigungen, die von anderen Ihnen dargebracht wurden, alle Verderber, die Sie abgewiesen haben, alle Nebenbuhler, die Sie ihm, nicht allein vor der Ehe, sondern jeden Balltag, gestern, heute noch, geopfert, aufzuzählen pflegen! Wohlan Madame, wenn Sie schön sind, und es macht mir Freude dies zu glauben, so wette ich meinen Kopf, Sie machen es nicht anders als Anzoleto, nicht um Ihren Wert zu zeigen, nicht um ein eifersüchtiges Gemüt zu quälen; nicht um ein Herz stolz zu machen, das schon zu stolz auf Ihre Vorzüge ist, sondern weil es süß ist, jemanden zur Seite zu haben, dem man solche Dinge mitteilen kann, ganz in dem Scheine als erfüllte man damit lediglich seine Pflicht, und zu beichten, indem man vor dem Beichtiger prahlt. Nur beschränkt sich auch Ihre Beichte, Madame, auf »so ziemlich alles.« Es ist nur ein ganz kleines Etwas dabei, von welchem Sie schweigen: der Blick etwa, das Lächeln, wodurch Sie die unverschämte Erklärung des Frechen, über den Sie sich beklagen, herausgefordert haben. Dieses Lächeln, dieser Blick, dieses Etwas ist eben die Gondel, von welcher Anzoleto, froh, den Rausch des Abends in der Erinnerung noch einmal laut durchzugehen, seiner Consuelo zu erzählen vergaß. Die kleine Spanierin wusste zu ihrem Glücke noch nicht, was Eifersucht sei: diese schwarze, bittere Regung steigt nur in den Seelen auf, die viel gelitten haben, und Consuelo war bis dahin eben so glücklich in ihrer Liebe, als ihr Herz gut war. Der einzige Umstand, der auf sie einen tiefen Eindruck machte, war die ebenso schmeichelhafte als strenge Weissagung, welche ihr verehrter Meister, der Professor Porpora über Anzoleto’s Haupt gesprochen hatte. Sie ließ sich von ihm die Worte des Meisters wiederholen, und nachdem er sie ihr genau vorgetragen, dachte sie lange nach und verharrte schweigend.
– Consuelina, sagte Anzoleto zu ihr, der nicht sehr auf ihr Träumen geachtet hatte, ich muss dir gestehen, dass die Luft außerordentlich frisch ist. Hast du nicht Furcht, dich zu erkälten? Bedenke nur, Liebe! dass unsere Zukunft noch mehr von deiner Stimme abhängt, – als von der meinigen …
– Ich erkälte mich nie, entgegnete sie. Aber du, mit deinen schönen Kleidern, die so leicht sind! Da, wickle dich in meine Mantille. – Was soll mir dies arme durchlöcherte Fähnchen Taft helfen? … Ich möchte viel lieber ein halbes Stündchen in deiner Stube unter Obdach sein.
– Gut, sagte Consuelo, aber da darfst du nicht sprechen; denn wenn uns die Nachbarn hörten, so würden sie uns Schande machen. Sie sind nicht schlecht: sie machen mir nicht viel Not um unsere Liebschaft, die sie sehen, denn sie wissen wohl, dass du, des nachts nie zu mir kommst. Du tätest auch besser, wenn du nach Hause schlafen gingest.
– Ich kann ja nicht; es wird erst aufgemacht, wenn es Tag ist, und ich müsste noch drei Stunden frieren. Sieh nur, wie mir die Zähne im Munde klappern!
– So komm denn, sagte Consuelo aufstehend; ich will dich in meine Stube einschließen und dann werde ich wieder an die Terrasse gehen, damit, wenn uns einer aufpassen sollte, er auch sehe, dass ich nichts Anstößiges tue.
Sie führte ihn wirklich in ihr Zimmer. Es war ein ziemlich großer, verfallener Saal, in welchem die auf den Wänden einst gemalten Blumen, unter einem zweiten gröberen und fast schon ebenso beschädigten Anstrich hin und wieder durchblickten. Ein großes viereckiges Bettgestell aus Holz mit einem Strohsack von Seegras und einer ganz sauberen, aber an hundert Stellen mit Läppchen von allen Farben geflickten Piquédecke, ein Strohstuhl, ein Tischchen, eine sehr alte Guitarre und ein Christkind von Drahtarbeit, die Reichtümer welche ihre Mutter ihr hinterlassen; ein kleines Spinett und ein großes Pack alter wurmstichiger Musikalien, Sachen die Professor Porpora ihr aus besonderer Güte geliehen hatte – mit diesem Hausrat behalf sich die junge Künstlerin, einer armen Zigeunerin Kind, die Schülerin eines großen Meisters und die Geliebte eines schönen Abenteurers.
Da nur Ein Stuhl da war und der Tisch voll Musikalien lag, so blieb für Anzoleto kein Sitz als das Bett, und dazu machte er es auch ohne Umstände. Kaum hatte er sich aber auf den Rand desselben gesetzt, als ihn die Müdigkeit überwältigte: er ließ seinen Kopf auf ein großes Wollenpfühl, das als Kopfkissen diente, niedersinken und sagte: o du, mein Weibchen, wollte ich doch in diesem Augenblicke alles was ich noch zu leben habe um eine Stunde guten Schlafes geben, und alle Schätze der Welt um ein Eckchen dieser Decke auf meine Füße. Ich habe noch nie so gefroren wie in diesen verwünschten Kleidern, und von dem Unbehagen dieser schlaflosen Nacht habe ich einen Fieberschauer.
Consuelo besann sich einen Augenblick. Waise und zu achtzehn Jahren allein auf der Welt, hatte sie Keinem über ihre Handlungen Rechenschaft zu geben als ihrem Gott. Sie glaubte an Anzoleto’s Versprechen wie an das Evangelium, sie fürchtete weder Abneigung noch Verlassung von ihm, wenn sie ihm auch alles zu Gefallen täte. Aber ihr Schamgefühl, das Anzoleto nie bekämpft noch gedämpft hatte, machte, dass ihr seine Zumutung ein wenig stark schien. Sie trat zu ihm, sie fühlte seine Hand an: diese war wirklich sehr kalt. Anzoleto ergriff die Hand Consuelo’s und führte sie an seine Stirn, die glühend heiß war.
– Du bist krank, sagte sie zu ihm, von einer Besorgnis ergriffen, welche jedes andere Bedenken zum Schweigen brachte. Nun denn, schlaf ein Stündchen auf diesem Bette.
Anzoleto ließ es sich nicht zweimal sagen. Gut wie Gott im Himmel! lispelte er, indem er sich auf der Seegrasmatratze ausstreckte. Consuelo deckte ihn zu; sie holte aus einem Winkel ein paar armselige Kleidungsstücke, die sie noch hatte und deckte sie über seine Füße. Anzoleto, sagte sie leise, während sie so mütterlich waltete, auf diesem Bette, wo du schlafen wirst, habe ich mit meiner Mutter die letzten Jahre ihres Lebens geschlafen, auf diesem Bette habe ich sie sterben sehen, und ihr das Leichentuch umgetan und bei ihrer Leiche gewacht unter Gebet und Tränen, bis die Totenbarke kam, um sie mir auf immer hinwegzunehmen. Nun gib Acht, ich will dir jetzt sagen was für ein Versprechen sie mir in ihrer letzten Stunde abnahm. Consuelo, sagte sie, schwöre mir beim Christ, dass Anzoleto meinen Platz auf diesem Bette nicht eher einnehmen darf, als bis ihr euch vor einem Priester geheiratet habt.
– Und du schwurest?
– Ich schwur. Und nun lasse ich dich hier zum ersten Male schlafen, es ist aber nicht meiner Mutter Platz, den ich dir gebe, sondern mein eigener.
– Und du, armes Kind, du wirst also nun nicht schlafen? entgegnete Anzoleto indem er sich mit einer plötzlichen Anstrengung halb aufrichtete. Oh, ich bin ein erbärmlicher Wicht, ich gehe und schlafe auf der Straße.
– Nein, sagte Consuelo, indem sie ihn mit sanfter Gewalt auf das Kissen zurückdrückte, dir ist unwohl, und mir nicht. Meine Mutter, die als gute Katholikin starb und im Himmel ist, sieht uns jeder Stunde. Sie weiß, dass du das Versprechen gehalten hast, das du ihr gabst, mich nicht zu verlassen. Sie weiß auch, dass unsere Liebe seit ihrem Tode so rein geblieben ist, wie sie bei ihren Lebzeiten war. Sie sieht in diesem Augenblick, dass ich nichts Böses denke und tue. Ruhe ihre Seele in dem Herrn! Hierbei machte Consuelo ein großes Kreuz. Anzoleto schlief ein. Ich will oben auf der Terrasse meinen Rosenkranz sagen, dass du das Fieber nicht kriegst, setzte Consuelo hinzu und ging hinaus.
– Gut wie Gott! wiederholte Anzoleto noch mit schwacher Stimme und bemerkte nicht einmal, dass seine Braut ihn allein ließ. Sie ging auf das Dach und betete ihren Rosenkranz ab. Dann kehrte sie zurück, um zu sehen, ob ihm nicht mehr unwohl wäre, und da sie ihn ruhig schlafend fand, betrachtete sie lange sein schönes blasses, von dem Monde beleuchtetes Gesicht.
Dann, da sie sich dem Schlafe nicht überlassen wollte und sich erinnerte, dass sie über die Aufregung des vorigen abends ihre Arbeit versäumt hatte, zündete sie ihr Lämpchen wieder an, setzte sich an ihren kleinen Tisch und schrieb eine Kompositionsübung, die ihr Porpora für den folgenden Tag aufgegeben hatte.
Graf Zustiniani war ungeachtet seiner philosophischen Selbstbeherrschung und einiger neuen Liebschaften, wegen denen Corilla ziemlich ungeschickt die Eifersüchtige spielte, keineswegs so unempfindlich gegen die übermütigen Caprizen dieser tollen Maitresse, als er sich den Anschein zu geben suchte. Zustiniani machte nur um des guten Tones und um seiner gesellschaftlichen Stellung willen den Roué: er war ein guter, schwacher Mensch und ein Lebemann. Er konnte es aber nicht vermeiden, den Undank, womit dieses Mädchen seine Großmut vergalt, im Grunde seines Herzens bitter zu empfinden; und obgleich es damals, in Venedig ebenso gut wie in Paris, für äußerst unschicklich galt, sich eifersüchtig zu zeigen, so empörte sich doch sein italienischer Stolz gegen die lächerliche und traurige Rolle, die ihn Corilla spielen ließ.
Noch an demselben Abend, an welchem Anzoleto im Pallast Zustiniani geglänzt hatte, nahm der Graf, der eben erst mit seinem Freunde Barberigo über die Schelmereien seiner Maitresse gescherzt hatte, sobald er seine Säle geleert und die Flambeaux gelöscht sah, Mantel und Degen, und lief, um sich »reinen Wein« zu holen, nach dem Pallaste, welchen die Corilla bewohnte.
Er überzeugte sich, dass sie allein war, und war doch doch nicht beruhigt; er fand den Barcarolen der Prima Donna beschäftigt die Gondel unter das Gewölbe zu stoßen, welches dieselbe aufzubewahren diente, und ließ sich mit dem Menschen in Gespräch ein; mittelst einiger Zechinen öffnete er ihm den Mund und fand seine Vermutung bestätigt, dass Corilla jemanden unter Weges in ihrer Gondel bei sich gehabt hatte. Aber er konnte nicht erfahren, wer dieser Begleiter war, der Gondelier wusste es selbst nicht. Er hatte den Anzoleto wohl hundertmal bei dem Theater und dem Pallaste Zustiniani gesehen, hatte ihn aber in der Dunkelheit unter seinem schwarzen Anzuge und dem Puder nicht erkannt.
Dieses undurchdringliche Geheimnis verstimmte den Grafen vollends. Er hatte Trost gesucht im Bespötteln seines Nebenbuhlers, der einzigen, nach den Regeln des guten Geschmackes erlaubten Rache, die aber in Zeiten der eiteln Schaustellung nicht minder grausam ist als der Mord in den Epochen ernstlicher Leidenschaft. Er konnte nicht einschlafen, und noch ehe die Stunde schlug, da Porpora im Konservatorium für die armen Töchter seinen Musikunterricht zu beginnen hatte, machte er sich auf den Weg nach der Scuola dei Mendicanti und trat in den Saal, in welchem sich die jungen Mädchen versammeln sollten.
Die Stellung des Grafen zu dem gelehrten Professor war seit einigen Jahren eine ganz andere geworden. Zustiniani war nicht mehr der musikalische Gegner Porpora’s, sondern sein Verbündeter und gewissermaßen sein Vorgesetzter; er hatte dem Institute, welches dieser geschickte Meister leitete, beträchtliche Schenkungen gemacht, und aus Dankbarkeit hatte man ihm die obere Aufsicht über dasselbe anvertraut. Die beiden Freunde lebten von der Zeit an in so gutem Einvernehmen als es die Unduldsamkeit des Professors gegen die modische Musik nur immer zuließ, eine Unduldsamkeit, die übrigens in demselben Maße sich verminderte, als der Graf mehr und mehr, mit seinen Bemühungen und mit seinem Gelde, für die Förderung und Ausbreitung der ernsten Musik tat. Dazu kam noch, dass er eine Oper Porpora’s, welche dieser Meister soeben beendet hatte, in Sau Samuel aufführen ließ.
– Lieber Meister, sagte Zustiniani, indem er ihn bei Seite nahm, ihr müsst euch nicht allein entschließen euch eine eurer Schülerinnen für das Theater wegnehmen zu lassen, sondern ihr müsst mir sogar diejenige bezeichnen, welche Euch selbst am besten geeignet scheint, die Stelle der Corilla auszufüllen. Diese Sängerin wird matt, ihre Stimme nimmt ab, ihre Capricen richten uns zu Grunde und das Publicum wird ihrer bald überdrüßig sein. Wir müssen wahrhaftig daran denken, ihr eine Succeditrice zu geben. (Verzeihe, lieber Leser, es ist dies der hergebrachte Ausdruck in Italien, kein neu vom Grafen gebildetes Wort.)
– Ich kann euch nicht dienen, gab Porpora trocken zur Antwort.
– Was alle Welt, Meister! rief der Graf, wollt ihr wieder in eueren gallichten Humor zurückfallen? Ist es wohl recht, dass ihr nach einem so großen Aufwand von Geld und Mühe, wie ich ihn an die Beförderung euerer musikalischen Zwecke gesetzt habe, mir den ersten kleinen Gefallen abschlagt, den ich in Rat und Tat von euch für die meinigen in Anspruch nehme?
– Nein, dazu habe ich kein Recht mehr, Graf, erwiderte der Professor; und was ich euch gesagt habe, ist die lautere Wahrheit, wie ich sie dem Freunde sage, dem ich mit Freuden einen Dienst leiste. Ich habe in meiner Singeschule keine einzige Person, welche euch die Corilla ersetzen könnte. Ich schlage sie nicht höher an, als nötig: aber während ich erklären muss, dass das Talent dieses Mädchens in meinen Augen gar keinen reellen Wert hat, darf ich doch auch nicht verhehlen, dass sie ein Savoir-faire, eine Routine, eine Leichtigkeit, ein Eingehen auf die Stimmung des Publicums besitzt, wie sich das nur durch jahrelange Übung erreichen lässt, und wie es andere Debütantinnen nicht so bald erringen werden.
– Das ist wahr, sagte der Graf, aber am Ende haben wir die Corilla gebildet, wir haben ihre Anfänge gesehen, wir haben sie in die Gunst des Publikums eingeführt: drei Viertel von ihrem Erfolge verdankt sie ihrer Schönheit und ihr habt in euerer Schule noch eben so reizende Wesen. Das werdet ihr nicht in Abrede stellen, lieber Meister! Zum Beispiel, die Clorinda, müsst ihr gestehen, ist doch das schönste Geschöpf der Erde.
– Ja, aber verschroben, geziert, unleidlich … Zwar, es ist möglich, dass das Publicum diese lächerlichen Grimassen entzückend finde … aber sie singt falsch, hat keine Seele, keine Auffassung … Zwar, das Publicum hat deren ebenso wenig als Gehör … Aber sie hat kein Gedächtnis, keine Gewandtheit, und sie wird sich nicht einmal durch die glückliche Charlatanerie vor dem Fiasko retten, die – so vielen Leuten zu statten kommt.
Bei diesen Worten fiel des Professors Blick unwillkürlich auf Anzoleto, der auf seinen Anspruch als Günstling des Grafen gestützt und unter dem Vorgehen, dass er diesen sprechen müsste, sich in die Klasse eingeschlichen hatte und in geringer Entfernung stand, der Unterredung horchend.
– Tut nichts, sagte der Graf, ohne auf die boshafte Anspielung des Meisters zu achten: ich gebe meine Idee nicht auf. Es ist lange, dass ich die Clorinda nicht gehört habe. Wir wollen sie kommen lassen, und noch fünf oder sechs andere, die hübschesten, die da sind. Schau, Anzoleto, setzte er lachend hinzu, du bist recht gut ausstaffiert um dir das Ansehen eines jungen Professors zu geben. Gehe in den Garten und suche dir die schönsten unter diesen jungen Damen aus; denen sage, dass wir sie hier erwarten, der Herr Professor und ich.
Anzoleto tat wie ihm geheißen war, aber er brachte, entweder aus Schalkheit, oder weil er seine Absichten dabei hatte, die hässlichsten von Allen, man hätte mit Jean-Jacques ausrufen können: Einäugig war Sofia, die Cattina war lahm.
Dieses Quiproquo wurde mit Heiterkeit aufgenommen, und nachdem die Herren sich ins Fäustchen gelacht, bezeichnete der Professor den jungen Mädchen diejenigen ihrer Gefährtinnen, welche sie an ihrer Stelle schicken sollten. Eine allerliebste Gruppe erschien alsbald, in ihrer Mitte die schöne Clorinda. –
– Welch prächtiges Haar! sagte der Graf dem Professor ins Ohr, als er die reichen blonden Flechten der letzteren an sich vorüber gehen sah.
– Es ist ein Kopf, der vielmehr auf sich als in sich hat, antwortete der grobe Kritiker, ohne im mindesten seine Stimme zu dämpfen.
Nachdem eine Stunde probiert worden war, hielt es der Graf nicht länger aus; er entfernte sich missmütig, während er den jungen Mädchen einige Artigkeiten zu ihrem Lobe sagte und dem Professor zuflüsterte: An diese Papageien ist nicht zu denken!
– Wenn Ew. Gnaden mir vergönnen wollte, in dieser Sache, welche Sie beschäftigt, ein Wort mit zu reden … hob Anzoleto leise an, als sie miteinander die Treppe hinabstiegen.
– Rede, entgegnete der Graf; wüsstest du das Wunder nachzuweisen, das wir suchen?
– Ja, Excellenz!
– Und in der Tiefe welches Meeres wirst du diese Perle auffischen?
– Nur in der Tiefe der Klasse, in welcher der schlaue Professor Porpora sie versteckt hält, so oft Sie ihr Mädchencorps die Revüe passieren lassen.
– Wie? Gibt es in der Scuola einen Edelstein, dessen Glanz meine Augen noch nie wahrgenommen haben? Wenn Meister Porpora mir einen solchen Streich gespielt hat! …
– Gnaden, der Diamant, den ich meine, gehört nicht zu der Scuola. Es ist ein armes Mädchen, das nur im Chore mitsingt, wenn man es verlangt: der Professor gibt ihr aus Mildtätigkeit und mehr noch aus Liebe zur Kunst, Privatstunden.
– Wenn das ist, so muss dies ein Mädchen von ausgezeichneten Anlagen sein, denn der Professor ist schwer zu befriedigen und ist mit seiner Zeit und Mühe nicht eben freigebig. Sollte ich sie vielleicht schon einmal gehört haben, ohne sie zu kennen?
– Ew. Herrlichkeit hat sie vor langer Zeit einmal gehört, sie war damals noch ein Kind. Jetzt ist sie ein großes, starkes Mädchen, voller Fleiß, und weiß schon so viel wie der Professor selbst; wenn diese einmal nur drei Takte auf dem Theater neben der Corilla sänge, so würde die Corilla sicherlich ausgezischt.
– Ist sie denn niemals öffentlich aufgetreten? Hat der Professor sie nicht irgend einmal in den Vespern eine Motette singen lassen?
– Früher, Excellenz, machte es dem Professor Freude, sie in der Kirche singen zu lassen; aber seitdem die Scolari aus Neid und Rachsucht gedroht haben, sie wollten schon machen, dass diese von dem Orgelchore hinweggejagt würde, wenn sie sich noch einmal unter ihnen blicken ließe …
– Es ist also wohl ein Mädchen von üblem Rufe …
– Gerechter Gott, Excellenz! eine Jungfrau so rein wie die Himmelspforte! aber arm ist sie und gemeiner Leute Kind … gerade wie ich, Excellenz, und mich haben doch Sie durch ihre Güte bis zu sich hinauf gehoben! Aber diese bösen Harpyen haben dem Professor gedroht, sie würden sich bei Ihnen darüber beschweren, dass er gegen die Vorschriften eine Schülerin in der Klasse zuließe, die nicht dazu gehörte.
– Wo könnte ich wol dieses Wunder einmal hören?
– Ew. Herrlichkeit darf ja nur dem Professor befehlen, dass er sie einmal in Ihrer Gegenwart singen lasse; Sie werden dann über ihre Stimme und die Größe ihres Talentes urteilen können.
– Deine Zuversicht flößt mir in der Tat Vertrauen ein. Du sagst also, ich hätte sie schon vor langer Zeit einmal gehört … Kann ich mich doch durchaus nicht erinnern …!
– In der Kirche der Mendicanti, bei einer Generalprobe, das Salve Regina von Pergolese …
– Halt! ich hab’s, rief der Graf. Stimme, Ton, Auffassung bewundernswürdig!
– Und sie war damals erst vierzehn Jahre alt, Monsignore, ein bloßes Kind.
– Ja, aber … ich glaube mich zu erinnern, dass sie nicht hübsch war.
– Nicht hübsch, Excellenz? sagte Anzoleto bestürzt.
– Hieß sie nicht …? Hm, ja, es war eine Spanierin, ein närrischer Name …
– Consuelo, Monsignore!
– Recht! Du wolltest sie damals heiraten, und wir lachten über eure Liebschaft, der Professor und ich. Consuelo! Ja, diese war’s: der Liebling des Professors, ein sehr fähiges Mädchen, aber sehr hässlich.
– Sehr hässlich? wiederholte Anzoleto ganz erstarrt.
– Allerdings, mein Kind! bist du denn noch immer in sie verliebt?
– Sie ist meine Freundin, Ew. Gnaden.
– Freundin bedeutet bei uns so viel als Schwester und so viel als Geliebte. Welches nun von beidem?
– Schwester, Herr!
– Wohl, so kann ich, ohne dich zu kränken, dir sagen was ich von der Sache denke. In deinem Einfall ist kein Menschenverstand. Um die Corilla zu ersetzen, muss man ein Engel von Schönheit sein, und deine Consuelo, ich erinnere mich ihrer jetzt ganz gut, ist mehr als hässlich, sie ist abscheulich.
Der Graf wurde in diesem Augenblicke von einem seiner Freunde angehalten, welcher ihn auf die andere Seite nahm, und er ließ Anzoleto wie betäubt zurück; der arme Junge stieß einen Seufzer aus und wiederholte vor sich hin:
– Sie ist abscheulich! …