Kitabı oku: «Fadette», sayfa 10
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Landry geriet in große Angst; er rieb ihr die Hände, um sie zum Bewußtsein zurückzubringen. Ihre Hände waren eiskalt und so starr, als ob sie von Holz gewesen wären. Er versuchte sie zu erwärmen und hielt ihre Hände lange zwischen den seinigen; als sie dann endlich wieder eines Wortes fähig war, sagte sie zu ihm:
»Ich glaube du treibst dein Spiel mit mir, Landry; aber es giebt Dinge, mit denen man nicht spielen sollte. Ich bitte dich also, laß mich in Ruhe und rede nicht mehr mit mir; wenigstens nicht anders, als wenn ich dir in irgend etwas helfen kann; in diesem Falle wirst du mich stets zu deinem Dienste bereit finden.«
»Fadette, Fadette,« sagte er, »was du da redest ist nicht gut. Du bist es, die ihr Spiel mit mir getrieben hat. Du kannst mich nicht leiden, und doch ließest du mich etwas anderes hoffen.«
»Ich?!« sagte sie ganz betrübt; »was ist es denn, was ich dich hoffen ließ? Ich habe dir eine aufrichtige Zuneigung entgegengebracht, wie dein Zwillingsbruder sie für dich hat; vielleicht ist sie auch noch selbstloser, denn ich weiß nichts von Eifersucht, und statt dir bei deiner Liebe zur Madelon entgegen zu sein, habe ich mich bemüht dir dienlich zu sein.«
»Das ist alles wahr,« sagte Landry. »Du bist so gut gewesen, wie nur der liebe Gott es sein kann, und es ist unrecht von mir dir Vorwürfe zu machen. Verzeihe mir, Fränzchen, und laß mich dich lieben, so gut ich es vermag. Vielleicht wird meine Liebe zu dir keine so ruhige sein, wie ich sie für meinen Zwillingsbruder oder für meine Schwester Nanette empfinde; aber ich verspreche dir, dich nicht mehr küssen zu wollen, wenn dir das zuwider ist.«
Als Landry sich wieder etwas beruhigt hatte, bildete er sich wirklich ein, die Fadette empfinde für ihn nichts mehr, als eine ganz besonnene Freundschaft, und da er weder eitel noch eingebildet war, verhielt er sich ihr gegenüber ebenso schüchtern und zurückhaltend, als ob er mit seinen beiden Ohren nichts von alledem gehört hätte, was sie der schönen Madelon in Bezug auf ihn gesagt hatte.
Was nun die kleine Fadette selbst betrifft, so war sie klug genug, um schließlich dahinter zu kommen, daß Landry bis über die Ohren verliebt in sie war. Die übergroße Freude darüber hatte sie auf einen Augenblick in den einer Ohnmacht ähnlichen Zustand versetzt. Aber sie fürchtete, daß ein so rasch gewonnenes Glück, ebenso rasch wieder verloren sein könnte. Diese Furcht war es auch, weshalb sie Landry etwas hinhalten wollte, bis das heiße Verlangen nach Erwiderung seiner Gefühle in ihm erwacht sein würde.
Er verweilte bei ihr bis in die Nacht hinein; wenn er sich auch nicht mehr traute ihr Schmeicheleien zu sagen, so war er doch so verliebt in sie und fand eine so große Freude daran sie anzusehen und sie reden zu hören, daß er sich nicht entschließen konnte, ihr auch nur auf einen Augenblick von der Seite zu weichen. Er spielte mit dem Grashüpfer, der niemals lange von seiner Schwester getrennt blieb, und der auch bald erschienen war, sie aufzusuchen. Er war freundlich mit ihm und bemerkte bald, daß dieser arme Knabe, der von aller Welt so schlecht behandelt wurde, weder dumm noch böse war, wenn man nur gut mit ihm umging. Nach Verlauf einer Stunde war der kleine Bursche sogar so zutraulich und erkenntlich geworden, daß er dem Zwilling die Hände küßte, und ihn seinen Landry nannte, wie er seine Schwester »mein Fränzchen« zu nennen pflegte. Dies rührte Landry, und es erhöhte seine Teilnahme und sein Mitleiden, als er die Überzeugung gewann, daß er selbst so gut wie alle anderen Leute, sich bisher an diesen beiden armen Kindern der Mutter Fadet wirklich versündigt hatte. Man brauchte sie ja nur wie andere Kinder ein wenig liebevoll zu behandeln und sie waren die besten von allen.
Am anderen Tage, ebenso wie auch an den nächstfolgenden Tagen, gelang es Landry die kleine Fadette wiederzusehen. Bald geschah's am Abend, und dann konnte er ein wenig mit ihr plaudern, oder sie waren sich einander am Tage auf dem Felde begegnet. Und, wenn sie sich dann auch nicht lange bei ihm aufhalten konnte, weil sie in ihren Pflichten nichts versäumen mochte, so war er doch schon zufrieden, ihr aus vollem Herzen ein paar Worte zurufen zu können, und seine Augen an ihrem Anblick erquickt zu haben. Sie fuhr fort sich in ihren Reden, sowie in ihrem Anzüge und in ihrem Verkehr mit den Leuten stets fein und sittsam zu zeigen. Dies wurde bald von allen bemerkt, und man nahm auch gegen sie einen anderen Ton und eine andere Art des Benehmens an. Da sie nichts mehr that, was nicht schicklich gewesen wäre, beleidigte man sie auch nicht mehr; und da sie sah, daß man sie in Ruhe ließ, geriet sie auch nicht mehr in Versuchung die Leute durch schmähende und spöttische Reden gegen sich aufzubringen.
Indessen, da die Meinung der Leute sich nicht so schnell mit unseren Entschlüssen und Vorsätzen zu ändern pflegt, so kostete es noch einige Zeit, bis die allgemein gewohnte Geringschätzung gegen die Fadette sich in Achtung, und der Widerwille gegen sie sich in Wohlwollen verwandelt hatten. Im Laufe der Erzählung werden wir sehen, auf welche Art diese Verwandlung vor sich ging. Daß man nicht auf der Stelle der plötzlich erwachten Ordnungsliebe der Fadette eine so große Aufmerksamkeit schenkte, wird sich jedermann denken können.
Vier oder fünf gute alte Männer und Weiber, von der Sorte, welche die heranwachsende Jugend mit nachsichtigen Blicken betrachten, und die in ihrem Ort, sozusagen, für alle Welt als Väter und Mütter gelten, berieten sich manchmal miteinander unter den großen Nußbäumen von la Cosse. Sie sahen dabei die junge Generation, die einen Kegel schiebend, die anderen tanzend, um sich herumwimmeln. Diese ehrwürdigen Alten pflegten dann über die einzelnen ihre Bemerkungen zu machen: – »Der da,« sagten sie, »wird ein prächtiger Soldat, wenn er es so fort macht, denn um frei zu kommen, hat er einen zu richtigen Körper; dieser hier wird noch einmal so schlau und klug sein, wie sein Vater; jener scheint die Bedachtsamkeit und Ruhe seiner Mutter geerbt zu haben. Seht dort die junge Lucette! Sie verspricht einmal eine hübsche Magd für die Meierei zu werden; und da die dicke Louise wird mit der Zeit schon mehr als einem gefallen; und was die kleine Marion betrifft, so laßt sie nur erst heranwachsen, dann wird sie schon verständig werden, wie die anderen auch.«
Wenn bei diesen Unterhaltungen schließlich die Reihe an die kleine Fadette kam, um geprüft und beurteilt zu werden, so hieß es wohl:
»Seht! wie rasch sie vorübergeht; sie will weder singen noch tanzen; seit dem Fest des heiligen Andoche läßt sie sich überhaupt fast gar nicht mehr sehen. Sie muß sich wohl schrecklich darüber geärgert haben, daß die Kinder hier aus dem Ort ihr beim Tanz die Haube heruntergerissen haben; sie hat ihren großen Deckel von Mütze auch verändert, und man sollte fast meinen, daß sie jetzt nicht häßlicher ist als eine andere.«
»Habt ihr schon darauf geachtet, wie ihre Haut seit einiger Zeit so hell geworden ist?« fragte die Mutter Couturière. »Ihr Gesicht sah ja aus wie ein Wachtelei, so sehr war es mit Sommersprossen bedeckt; und das letzte Mal, als ich sie in der Nähe gesehen habe, war ich ganz erstaunt, wie weiß sie geworden war; ja, sogar so bleich, daß ich sie fragte, ob sie das Fieber gehabt habe. Wie man sie da jetzt vor Augen hat, sollte man sagen, sie könne sich noch ganz umgestalten, und wer weiß, was noch aus ihr wird? Es hat schon Häßliche gegeben, die sich mit siebzehn oder achtzehn Jahren als Schönheiten entpuppten.«
»Ja, wenn der Verstand kommt,« sagte der Vater Naubin, »und wenn ein Mädchen anfängt auf sich zu achten, dann weiß sie auch, wie sie sich hübsch und angenehm machen kann. Es ist freilich Zeit, daß die Grille endlich begreift, daß sie kein Bube ist. Du lieber Gott! man dachte sie würde sich so häßlich auswachsen, daß es eine Schande für den Ort wäre. Aber, sie hat sich gemacht, und wird den anderen noch gleichkommen. Sie wird's wohl wissen, daß sie etwas gut zu machen hat, weil sie eine Mutter von so schlechtem Rufe hatte, und ihr werdet sehen, bald wird sie nichts mehr von sich zu reden geben.
»Das wolle Gott!« sagte die Mutter Courtillet, denn es ist schlimm, wenn ein Mädchen aussieht, wie ein scheu gewordenes Pferd. Aber, bei dieser Fadette gebe ich die Hoffnung noch nicht auf; denn vorgestern bin ich ihr begegnet, und statt, daß sie wie sonst gleich hinter mir her war, um mir mein Hinken nachzumachen, wünschte sie mir einen guten Tag und fragte mich sehr höflich nach meinem Befinden.«
»Die Kleine, von der ihr da redet, ist eher närrisch als boshaft,« fiel hier der Vater Henri ein. »Sie hat durchaus kein böses Herz, das laßt Euch von mir gesagt sein. Als Beweis dafür, brauche ich nur zu sagen, daß sie oft, wenn meine Tochter krank war, aus reiner Gefälligkeit meine Enkelkinder auf dem Felde unter ihre Aufsicht genommen hat; und sie bewahrte sie so freundlich und gut, daß sie gar nicht mehr von ihr lassen wollten.«
»Ist es denn wahr, was ich mir erzählen ließ,« sagte die Mutter Couturière, »daß auf dem letzten Feste des heiligen Andoche, einer von den Zwillingen des Vaters Barbeau sich in sie vergafft hat?
»Warum nicht gar!« erwiderte der Vater Aubin; »das muß man nicht im Ernst nehmen. Das ist nur eine Kinderei gewesen; die Barbeaus sind nicht dumm, die Kinder so wenig wie die Eltern, versteht Ihr?«
In dieser Weise urteilte man über die Fadette, an die man aber überhaupt nicht viel mehr dachte, da sie fast gar nicht mehr zu sehen war.
Vierundzwanzigstes Kapitel
Wer sie aber häufig sah und ihr große Aufmerksamkeit erzeigte, das war Landry Barbeau. Er geriet ganz außer sich, wenn er nicht nach Gefallen mit ihr reden konnte. Sobald er nur einen Augenblick mit ihr zusammen sein konnte, war er gleich wieder beruhigt und zufrieden, weil sie ihn lehrte vernünftig zu sein, und ihn über alles tröstete, was er peinliches dachte und empfand. Sie trieb ein feines Spiel mit ihm, das vielleicht nicht ganz frei von Koketterie war; wenigstens glaubte er dies manchmal selbst. Aber, da sie in redlicher Absicht verfuhr und ihn trotz seiner Liebe zu ihr durchaus nicht als gebunden betrachten wollte, wenigstens nicht eher, als bis er die Sache bei sich reiflich überlegt haben würde, so hatte er wenigstens keinen Grund ihr böse zu werden. In ihr konnte eben so wenig irgend ein Argwohn auftauchen, daß er sie über die Kraft und Ausdauer seiner Gefühle täuschen wolle, denn dies war überhaupt eine Art von Liebe, wie sie bei den Landleuten, die in ihrer Liebe gelassener und ruhiger zu sein pflegen, als die Städter, nicht häufig vorkommt.
Grade Landry hatte sonst einen gleichmütigeren Charakter als andere, und niemals hätte man es voraussehen können, daß er so rasch Feuer fangen würde, und wer darum gewußt hätte, denn er war sorglich bemüht seine glühende Leidenschaft geheim zu halten, würde sich höchlich darüber gewundert haben. Die kleine Fadette aber, als sie erkannte, daß er sich ihr so ganz und gar und so plötzlich hingegeben hatte, befürchtete, daß seine Liebe nur ein Strohfeuer sein möchte, oder mehr noch, daß sie selbst in ungeschickter Weise Feuer fangen könnte. So ging die Sache nicht weiter und das Verhältnis hielt sich in den Grenzen, wie dies zwischen zwei jungen Leuten natürlich ist, die noch nicht im heiratsfähigen Alter stehen, wenigstens nicht nach den Ansichten der Eltern und den Vorschriften der Vernunft, die Liebe selbst weiß freilich nicht viel von Worten, und wenn sie einmal bei zwei jungen Leuten das Blut in Wallung gebracht hat, ist es ein großes Wunder, wenn sie noch auf fremde Zustimmung wartet.
Indessen die kleine Fadette, die in ihrer äußeren Erscheinung länger Kind geblieben war, als andere Mädchen, war in Bezug auf Vernunft und Willenskraft ihrem Alter weit vorausgeeilt. Dies kam daher, weil ihrem Geist eine selbstbewußte stolze Kraft eingeboren war, trotzdem ihr Herz gewiß eben so glühend und vielleicht noch glühender war, als das ihres Geliebten. Sie liebte ihn bis zur Raserei, und doch benahm sie sich mit großer Besonnenheit. Den ganzen Tag über, die Nacht, überhaupt in jeder Stunde des wachen Bewußtseins waren alle ihre Gedanken mit ihm beschäftigt; verzehrte sie sich vor Ungeduld ihn wiederzusehen und vor Sehnsucht nach seinen Liebkosungen. Sobald sie ihn aber erblickte, nahm sie eine gelassene Miene an, redete ruhig und besonnen mit ihm, ja sie wußte sich sogar soweit zu verstellen, als ob sie von der glühenden Gewalt der Liebe noch gar nichts verstehe. Sie gestattete ihm einen Händedruck, aber nicht höher hinauf als bis zum Handgelenk.
Landry, der so ganz von ihr bezaubert war, hätte sich an den einsamen Orten, wo sie sich zu treffen pflegten, und wo sie oft sogar in stockfinsterer Nacht beisammen waren, leicht soweit vergessen können, daß er sich ihrem Willen nicht mehr gefügt hätte. Aber seine Furcht ihr zu mißfallen war so groß, und er war so wenig sicher, ob er auch wohl wirklich von ihr geliebt werde, daß er sich neben ihr so harmlos verhielt, als ob sie seine Schwester gewesen wäre, und er ihr kleiner Jeannot, der Grashüpfer.
Um ihn von Gedanken, die sie durchaus nicht ermutigen wollte, abzulenken, unterrichtete sie ihn in den Dingen, von denen sie eine besondere Kenntnis hatte und worin sie bei ihrem Geist und ihrer natürlichen Begabung das Wissen und die Erfahrung ihrer Großmutter bei weitem überholt hatte. Sie wollte vor Landry kein Geheimnis haben, und da dieser immer etwas Furcht vor der Hexerei bezeigte, strebte sie mit allen Kräften dahin, ihm begreiflich zu machen, daß der Teufel mit den Geheimnissen ihrer Kunst nichts zu schaffen habe.
»Geh doch, Landry,« sagte sie ihm eines Tages, »du hast es immer mit der Einmischung des bösen Geistes zu thun. Es giebt nur einen Geist, und der ist ein guter Geist, denn er ist Gott selbst. Lucifer ist eine Erfindung des Herrn Pfarrers, und Georgeon, den haben die alten Klatschbasen im Dorfe erfunden. Als ich noch ein kleines Kind war, glaubte ich daran und fürchtete mich vor den Hexereien der Großmutter. Sie aber lachte mich aus. Wenn man sagt, daß jemand, der selbst alles bezweifelt, die anderen alles glauben machen möchte, so ist dies ganz wahr. Niemand glaubt weniger an den Teufel, als die Zauberer, die so thun, als ob sie ihn bei jeder Gelegenheit anriefen. Sie wissen recht gut, daß sie ihn niemals gesehen haben, und daß er ihnen bei keiner Gelegenheit zu Hilfe gekommen ist. Alle, die einfältig genug waren daran zu glauben und ihn herbeirufen wollten, haben es noch nie zustande gebracht, daß er ihnen erschienen wäre. Da ist gleich der Müller vom Hundsstege als Beweis dafür anzuführen. Meine Großmutter erzählte mir, daß er mit einem dicken Knüttel bewaffnet nach einem Kreuzweg ging, um den Teufel herbeizurufen und ihm, wie er sagte, eine tüchtige Tracht Prügel zu geben. Und man hat ihn auch in der Nacht gehört, wie er rief: ›Willst du kommen, du Wolfsgesicht? Willst du kommen, toller Hund? Willst du kommen, du Teufels-Georgeon? ‹ Aber Georgeon ist niemals erschienen, und das hat den Müller beinah toll gemacht vor Eitelkeit, denn er behauptete, daß der Teufel sich vor ihm fürchte.«
»Aber,« sagte Landry, »es ist nicht sehr christlich, mein liebes Fränzchen, wenn du glaubst, es gebe keinen Teufel.«
»Ich kann darüber nicht streiten,« erwiderte sie; »aber, wenn es wirklich einen giebt, so bin ich überzeugt, daß er nicht die Macht hat auf der Erde zu erscheinen, um uns in Versuchung zu führen, und unsere Seelen dem lieben Gott zu entziehen. Er würde sich nicht erdreisten dies zu thun, weil die Erde dem lieben Gott gehört, und nur der liebe Gott hat die Macht die Dinge und die Menschen zu lenken, die sich darauf befinden.«
Landry, der von seiner thörichten Furcht zurückgekommen war, konnte sich der Bewunderung nicht erwehren, wie sehr die kleine Fadette in allen ihren Anschauungen sich als gute Christin bewährte. Ihre Frömmigkeit hatte sogar etwas viel Lieblicheres als die der anderen. Sie liebte Gott mit der vollen Hingabe ihres Herzens, und sie zeigte überhaupt in allem, was sie that einen teilnehmenden Geist und ein liebevolles Gemüt. Wenn sie von ihrer Liebe zu Gott mit Landry sprach, mußte dieser darüber staunen, daß man ihn gelehrt hatte, Gebete herzusagen und religiöse Gebräuche zu befolgen, ohne je daran gedacht zu haben, ihm das Verständnis derselben klar zu machen. Er hatte sich dabei im Gedanken der Pflicht ehrerbietig verhalten, aber sein Herz war dadurch nie, wie das der kleinen Fadette, von der Liebe zu seinem Schöpfer erwärmt worden.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Ebenso lernte er aus ihren Gesprächen und im Verkehr mit ihr die Eigenschaften der verschiedenen Kräuter und die daraus bereiteten Mittel zur Heilung von Menschen und Tieren kennen. Es dauerte nicht lange, so versuchte er auch die Wirksamkeit derselben bei einer Kuh des Vaters Caillaud, deren Leib aufgedunsen war, weil sie zuviel Grünes gefressen hatte. Der Tierarzt hatte sie schon aufgegeben und gesagt, daß sie nicht eine Stunde mehr leben könne. Aber Landry gab ihr einen Trank ein, dessen Bereitung ihn die kleine Fadette gelehrt hatte. Er that dies ganz im geheimen, und als am anderen Morgen die Arbeiter, traurig über den unabwendbaren Verlust einer so schönen Kuh herbeikamen, um sie in eine Grube zu werfen, fanden sie das Tier aufrechtstehend, mit klaren Augen, die Nüstern dem Geruch des Futters öffnend, und die Gedunsenheit war fast ganz verschwunden. Ein anderes Mal war ein Füllen von einer Viper gebissen; Landry verfuhr auch hier nach den Anweisungen der kleinen Fadette, und die Heilung gelang ihm eben so leicht. Endlich versuchte er in la Priche auch ein Mittel gegen die Hundswut an einem Hunde, der auch davon geheilt wurde und niemanden biß. Da Landry seinen Verkehr mit der kleinen Fadette sehr zu verheimlichen bemüht war, und sich auch seiner Kenntnisse nicht rühmte, schrieb man die Heilung der ihm anvertrauten Tiere der sorgfältigen Pflege zu, die er ihnen angedeihen ließ. Indessen der Vater Caillaud, der sich auch darauf verstand, wie dies jeder tüchtige Pächter und Landwirt thun muß, war für sich darüber erstaunt und sagte:
»Der Vater Barbeau hat kein Geschick die Tiere zu behandeln und hat auch kein Glück damit, denn er hat im letzten Jahre sehr viele verloren, und das war nicht das erste Mal, daß es so gewesen ist. Landry hat in dieser Hinsicht eine sehr glückliche Hand, und das ist etwas, das man schon mit auf die Welt bringen muß. Es ist dem einen gegeben oder nicht gegeben; und wenn man selbst, wie die Heilkünstler, auf die Schule gehen wollte, um es zu studieren, so würde das gar nichts helfen, wenn das Geschick dazu einem nicht angeboren ist. Ich sage euch aber, daß Landry dazu geschaffen ist, und daß er stets das Richtige herauszufinden weiß. Das ist eine große Gabe, die er der Natur zu verdanken hat, und für ihn ist sie, um eine Meierei zu bewirtschaften, von größerem Wert als ein großes Kapital an Geld.«
Diese Meinung des Vaters Caillaud war keineswegs die eines oberflächlichen und einsichtslosen Mannes, nur täuschte er sich darin, daß er Landry eine besondere Naturgabe zuschrieb. Dieser besaß keine andere Gabe, als daß er die Mittel, die man ihn gelehrt hatte, sorgsam und verständig anzuwenden wußte. Was aber sonst im allgemeinen die Naturgabe betrifft, so ist es damit durchaus kein Hirngespinst, denn die kleine Fadette besaß sie wirklich. An der Hand der wenigen verständigen Unterweisungen, welche sie von ihrer Großmutter erhalten hatte, entdeckte und erriet sie, wie jemand, der sich auf Erfindungen verlegt, die heilkräftigen Eigenschaften, welche der liebe Gott gewissen Kräutern verliehen hat, und zugleich erforschte sie die verschiedenen Arten ihrer wirksamsten Verwendung. Sie brauchte deshalb noch lange keine Hexe zu sein und hatte alle Ursache sich gegen einen solchen Ruf zu verteidigen. Aber sie besaß einen beobachtenden Geist, der dazu neigte Untersuchungen, Vergleiche und Versuche anzustellen, und es ist sicherlich nicht zu leugnen, daß dies eine besondere Gabe der Natur ist. Der Vater Caillaud ging in dieser Auffassung noch etwas weiter. Er war der Meinung, daß diesem oder jenem Viehzüchter oder Landwirt in Bezug auf das Vieh eine glücklichere oder weniger glückliche Hand angeboren sei, und daß seine Anwesenheit im Stall allein schon hinreichend sei eine gute oder schädliche Einwirkung auf die Tiere hervorzubringen. Man muß zugeben, wie in den unrichtigsten Anschauungen immer noch etwas Wahres enthalten sein kann, daß sorgfältige Pflege, Reinlichkeit und pünktliches Verfahren die Macht haben etwas zum Guten hinauszuführen, was durch Nachlässigkeit oder Dummheit hätte zum Schlimmen gewendet werden können.
Landry hatte von jeher Sinn für alle diese Dinge gehabt, und deshalb wurde seine Freundschaft für die kleine Fadette nur noch erhöht durch die Dankbarkeit, die er für ihre Unterweisung empfand und durch die achtungsvolle Bewunderung, welche ihm die Begabung dieses jungen Mädchens einflößte. Er wußte es ihr jetzt auch von ganzem Herzen Dank, daß sie ihn auf den Spaziergängen und in den Unterhaltungen, die sie miteinander führten, dazu genötigt hatte seine Gedanken von der Liebe abzulenken; ebenso mußte er erkennen, daß ihr die Interessen und der Vorteil ihres Liebhabers mehr am Herzen gelegen hatten, als das Vergnügen sich beständig den Hof machen und sich liebkosen zu lassen, wie das anfangs so sehr seinen eigenen Wünschen entsprochen hätte.
Landry war bald so verliebt, daß er sogar das Gefühl der Beschämung, das ihn anfangs verhindert hatte seine Liebe zu einem kleinen Mädchen, das als schlecht erzogen, häßlich und boshaft verschrieen war, vor den Leuten blicken zu lassen, – ganz und gar beiseite geworfen hatte. Wenn er in dieser Hinsicht noch eine Vorsicht beobachtete, so geschah dies seines Zwillingsbruders wegen, dessen Eifersucht ihm bekannt war, und den es schon die größte Überwindung gekostet hatte, sich endlich ohne Verdruß darin zu finden, daß Landry die Liebelei mit der Madelon gehabt hatte. Und was war diese unbedeutende und ruhige Liebelei gewesen im Vergleich zu dem, was er jetzt für Fränzchen Fadet empfand.
Wenn Landry in seiner Liebe zu leidenschaftlich war, um die Klugheit beobachten zu können, so verlangte die kleine Fadette dagegen von ihm ein so unbedingtes Schweigen, daß ungefähr ein Jahr darüber verging, bevor etwas von dem Verhältnis bekannt wurde. Für ihren Geist hatte das Geheimnisvolle etwas Verlockendes; außerdem wollte sie Landry nicht zu sehr auf die Probe stellen durch das Gespött der Leute, und schließlich liebte sie ihn auch viel zu sehr, als daß sie ihm nicht gern die Verdrießlichkeiten in seiner Familie hätte ersparen mögen. So war also ein Jahr vergangen, ehe das Verhältnis bekannt wurde. Landry hatte Sylvinet allmählich dahin zu bringen gewußt, ihn nicht mehr überall auf Schritt und Tritt zu überwachen, und das Terrain der nicht sehr bevölkerten, überall von Schluchten und Hügeln durchsetzten, sehr waldreichen Landschaft ist heimlichen Liebesverhältnissen sehr günstig.
Als Sylvinet sah, daß Landry sich nicht mehr um die Madelon bekümmerte, war er hocherfreut, obgleich er schon begonnen hatte, diese Teilung seiner Liebe als ein unvermeidliches Übel hinzunehmen, das durch Landrys Schüchternheit und die ruhige Besonnenheit des Mädchens allerdings auch ziemlich erträglich gewesen war. Er fand eine große Beruhigung in dem Gedanken, daß Landry jetzt nicht mehr gedrängt sei, ihm sein Herz zu entziehen, um es an eine Frau zu hängen, und da er nicht mehr von der Eifersucht gequält wurde, ließ er auch seinem Bruder an den Fest- und Ruhetagen eine größere Freiheit in seinen Beschäftigungen und Erholungen. Landry fehlte es nicht an Vorwänden sein Kommen und Gehen nach Belieben einzurichten, und namentlich an den Sonntag Abenden verließ er den Zwillingshof schon beizeiten, kehrte aber erst um Mitternacht nach la Priche zurück. Er konnte dies sehr leicht ausführen, denn er hatte sich eine kleine Lagerstatt in dem »Capharnion« herrichten lassen. Der Leser wird mich vielleicht wegen dieses Ausdruckes tadeln, weil der Schulmeister ihn beanstandet und verlangt, daß man Capharnaum sagen soll. Aber, wenn der Lehrer das Wort auch kennt, so ist er mit der Sache selbst doch nicht vertraut, denn ich bin genötigt gewesen, ihm begreiflich zu machen, daß dies in der Scheune, ein den Ställen zunächstliegender Ort ist, wo die Joche, die Ketten, die Geräte und Werkzeuge aller Art, wie sie für die bei der Arbeit verwendeten Tiere und überhaupt zum Ackerbau erforderlich sind, aufbewahrt werden. Auf diese Art konnte Landry zu jeder Stunde, wann und wie es ihm beliebte zu seinem Lager kommen, ohne jemanden aufzuwecken. So hatte er stets den Sonntag bis zum Montag Morgen ganz zu seiner Verfügung. Der Vater Caillaud und sein ältester Sohn, die beide sehr gesetzte Männer waren, niemals in die Wirtshäuser gingen, und durchaus nicht aus jedem Feiertage eine Festlichkeit machen wollten, pflegten im Gegenteil grade an solchen Tagen alle Sorgen für die Meierei und die ganze Überwachung derselben, selbst zu übernehmen. Wie sie sagten, thaten sie dies, damit die auf dem Anwesen beschäftigten jungen Leute, welche in der Woche mehr zu arbeiten hatten als sie, sich nach Lust und Belieben herumtummeln und belustigen könnten, wie es der Wille des lieben Gottes sei.
Während des Winters, wo die Nächte so kalt sind, daß es auf freiem Felde sehr erschwert ist, ein Liebesgespräch zu halten, fanden Landry und die kleine Fadette eine gute Zuflucht in dem Jacot-Turme, einem alten Taubenschlage, der seit vielen Jahren von den Tauben verlassen, aber noch gut gedeckt und verschließbar war, und Landry hatte den Schlüssel dazu. Er gehörte zur Meierei des Vaters Caillaud, der den Überfluß seiner Vorräte darin aufbewahrte, und da er auf der Grenzscheide der Ländereien von la Priche, nicht weit von la Cosse, in der Mitte eines Kleefeldes lag, hätte es selbst der Teufel schlau anstellen müssen, um das junge Liebespaar bei seinen Zusammenkünften zu überraschen. Wenn das Wetter milde war, gingen sie unter das Strauchwerk, das aus jungen gestutzten Bäumen besteht, womit das Land übersäet ist, und wo Diebe und Liebespaare eine sichere Zufluchtsstätte finden. Da es in unserer Gegend aber keine Diebe giebt, werden diese Baumgruppen ausschließlich von den Liebespaaren benutzt, die unter dem schützenden Geäst nichts von Furcht und Langeweile wissen.