Kitabı oku: «Das Akkordeonspiel», sayfa 5

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9. Kapitel

Mir ist warm. Ich schwitze. Nehmt mir die Decken weg. Was ist das? Ich bin getrennt vom Körper, sehe mich aus dieser Hülle von Fleisch und Blut treten. Ich schwebe durch das Zimmer. Es ist dunkel, ganz dunkel. Aber ich kann alles erkennen. Die vielen Menschen um mich herum, die mit ihren nassen heißen Händen nach mir greifen. „Fasst mich nicht an!“, schreie ich, ohne dass der Schall an mein Ohr dringt. Lautlos brülle ich: „Lasst mich los, fasst mich nicht an!“ Näher kommen mir diese vielen Hände. Sie werden immer mehr. Von überall tasten sie nach mir. Hände, die aus der Zimmerdecke heraushängen, mit knochigen Fingern und Fingernägeln, die sich vor Länge kringeln. Kräftige behaarte Pranken, schnellen wie aus dem Nichts plötzlich aus dem Fußboden – wie die Hand, die mich in der Speisekammer griff –, umklammern Füße und Beine. Nach allen Seiten ziehen und zerren diese schrecklichen Hände. Immer neue versuchen, noch ein Stückchen meines Ichs zu erhaschen. Jeder Zipfel an mir schmerzt. Das auf dem Bett, aus dem ich herausgetreten bin, haben die Monsterpfoten schon in kleine Fetzen gerissen. Nur ein winziges Stück Schwarte bleibt unangerührt auf der ausgestreckten Handfläche eines der vielen Monsterhände liegen. Verzweifelt versuche ich dahin zu gelangen. Aber Hunderte von ihnen zerren und ziehen an mir.

Es wird ganz dunkel. Langsam verschwindet alles um mich herum. Auch die grässlichen Hände. Nur der unsagbare Schmerz bleibt.

Im Zimmer von Karl Nebel hat sich Aufregung breitgemacht. Der Stationsarzt, Krankenschwestern und nun auch der herbeigerufene Oberarzt, Dr. Meissner, hantieren mit Routine, trotzdem hektisch und sich hin und wieder Order zurufend. Einige der Geräte, die um das Bett gruppiert sind, gaben alarmierende Signale ab. Ein Halbdutzend Lampen blinkten rot.

Auf den angespannten Gesichtern der Beteiligten ist deutlich zu erkennen, dass sie um Karl Nebels Leben ringen. Sie haben sich, stellvertretend für Karl, dem Kampf gegen Gevatter Tod gestellt. Unerbittlich wird an der alles entscheidenden Front gekämpft. Kein noch so kleines Stückchen Leben ist man gewillt, sich entreißen zu lassen. Lange dauert der Kampf, das Ringen der gegensätzlichen Kräfte. Der feste Wille, der Macht des Todes die Stirn zu bieten, gibt den Ausschlag.

Langsam, ganz langsam wird die Gegenwehr des Sensenmannes schwächer, lässt er ab vom Auserwählten. Aber er wird wiederkommen, sobald sich auch nur ein kleines Fünkchen Hoffnung auf Erfolg für sein Ansinnen zeigt.

Susanne hat aus der Ferne dieses hektische Treiben beobachten müssen. Die Stationsschwester ließ sie auf der Bank des langen Flurs Platz nehmen, weit genug entfernt, um nicht in das Geschehen eingreifen zu können, ihrem Karl zu Hilfe zu eilen.

Jetzt zieht wieder Ruhe ein. Ärzte und Krankenschwestern verlassen nach und nach das Krankenzimmer. Als letzter tritt Dr. Meissner auf den Flur und kommt direkt auf Susanne zu.

„Heute war es sehr ernst. Er hatte einen Epilepsieanfall“, teilt er ihr bereits im Herantreten mit.

Schweißperlen stehen auf seiner Stirn, die er, vielleicht auch symbolisch für die hinter ihm liegende Anstrengung, schwungvoll mit dem Ärmel abwischt.

„Wir haben ihn stabilisieren können. Die Werte sind fast wieder normal. Es könnte durchaus ein gutes Zeichen gewesen sein, er hat sehr starke körperliche Reaktionen gezeigt, als würde er mit jemandem kämpfen. Möglicherweise ein letzte Aufbäumen gegen den Sensenmann?“, lächelt er zuversichtlich.

Den Ausdruck Sensenmann benutzt er dann und wann, denn das Gleichnis „noch mal von der Schippe gesprungen“ findet er recht dumm. Jetzt ergreift er die schon entgegengestreckte Hand von Susanne und drückt sie kräftig.

„Entschuldigung, erst einmal guten Tag. Ich war mit den Gedanken noch da drin“, er macht eine leichte Kopfbewegung in Richtung des Kampfplatzes.

Mit einer Handbewegung deutet er an, sie möge sich doch wieder setzen. Er nimmt ebenfalls Platz.

„Manchmal wehrt sich der Körper auch gegen das Weiterleben, weil es ihm zu beschwerlich ist, die Schmerzen zu ertragen oder die Erinnerung an das Ereignis selbst, welches dazu geführt hat. Die Wissenschaft steht erst am Anfang herauszufinden, ob und wenn ja, was ein Mensch im Koma denkt und fühlt. Patienten, die länger das Koma erlebt haben, berichten oft von einer Zeitreise durch die Vergangenheit, oder einer Reise zu einem früheren Sein, falls es so etwas geben sollte. Ich glaube zwar nicht daran, aber einige Komapatienten erzählten davon, dass sie mehrere Leben hätten und sich nunmehr in einem dieser befänden, genauso gut aber auch als Schmetterling, Löwe, Fisch oder Vogel leben könnten oder bereits gelebt hätten oder später leben würden. Dies und vieles andere, was Komapatienten berichten, klingt zumindest plausibel. Sei es, wie es sei, da liegt noch ein langer Weg der Forschung vor uns. Auf jeden Fall, Frau Nebel, ist es sehr wichtig, dass Sie immer wieder mit Ihrem Mann reden. Ihm erzählen, was er, Sie oder beide erlebt haben. Ich bin überzeugt, dass die Worte Reaktionen im Bewusstsein auslösen können, im Unterbewusstsein Prozesse in Gang gesetzt werden, die vielleicht nichts, oder nur wenig, mit dem Gesagten gemeinsam haben, aber Gehirnströme aktivieren, die für den Genesungsverlauf positiv sind. Lassen Sie es mich etwas salopp sagen: Es ist egal, ob Sie ihm von Ihrer ersten gemeinsamen Begegnung erzählen, vom letzten Urlaub oder eine lustige Geschichte. Wenn er währenddessen etwas völlig anderes erlebt – und seien es Momente mit irgendeiner nackten Frau –, was aber sein Gehirn aktiviert, dann ist es gut. Wichtig ist, dass er die Zeit unbeschadet übersteht und zurück ins Leben findet“, schließt der Arzt.

„Na ja, es muss nicht gerade irgendeine nackte Frau sein. Es wäre schön, wenn er mich vor Augen hätte. Aber ich verstehe Sie schon, Hauptsache er findet zurück und wird gesund“, erwidert sie und ist sich ziemlich sicher, dass das mit der nackten Frau ziemlich weit hergeholt ist und der Arzt nicht weiß, was Karl für ein Luftikus war.

Dr. Meissner steht auf und verabschiedet sich von ihr. Susanne bleibt, rutscht unruhig auf der Bank hin und her, blickt unaufhörlich in Richtung des Schwesternbereiches, wartet auf das erlösende „Sie können zu Ihrem Mann“. Die Stationsschwester hatte ausdrücklich gesagt, sie müsse warten, bis der Besuch gestattet wird. Sie hält sich daran, mit der Krankenschwester darf man es sich nicht verderben, ist ihr noch aus eigenen Krankenhausaufenthalten bewusst. Nach einer unendlich erscheinenden Zeit, die sie auf der Bank sitzt, kommt das erlösende Signal. Sie darf zu ihrem Karl, endlich.

„Hast mir ja einen gehörigen Schreck eingejagt. Das könnte dir so gefallen, dich einfach davonzustehlen. Du bleibst schön hier, bei mir“, appelliert sie zur Begrüßung an Karl.

Ganz vorsichtig, als sei er sehr zerbrechlich, gibt sie ihm einen Begrüßungskuss auf den Mund, fährt mit den Lippen Kuss an Kuss setzend auf seiner Wange entlang. Sie spürt die salzige Haut, in der Leben steckt.

„Dr. Meissner hat mir empfohlen, dir von fremden nackten Frauen zu erzählen, dann würdest du mit Sicherheit an mich denken. Machst du doch, oder? Oder war es genau andersherum? Ich erzähle von mir und du denkst an fremde nackte Frauen? Egal, von mir aus denk ruhig an alle deine vielen Weiber, wegen mir können sie auch alle splitternackt sein. Hauptsache das Gehirn arbeitet und es hilf. Nicht war, mein Schatz?“, flunkert sie.

Sie spürt die sich lösende Verspannung der letzten Stunden. Ein riesiger Stein ist von ihrer Brust gefallen. Sie zieht sich den Stuhl neben das Bett, legt die Hand, die noch immer etwas zittrig und eiskalt ist, auf die Fingerspitzen von Karl. Sie befürchtet, dass er sich erschrecken könnte, wenn sie mit der kalten Hand ihn berührt. Im Moment, als sie den Gedanken zu Ende gebracht hat, bemerkt sie dessen Unsinnigkeit. Korrigierend umfasst sie nun seine gesamte Hand, presst sie sachte und vereint sie zu einem Ganzen. Angenehme Wärme strömt durch die Handfläche. Ihr scheint, sie könne den Puls spüren, den das Herz von Karl als Signal sendet. Sie verbessert ihre Sitzposition, zieht den Stuhl noch etwas näher an das Bett heran und legt den Kopf auf seine Brust. Den Atem anhaltend hört sie auf die regelmäßigen Schläge unter ihr. „Gut so“, denkt sie, „immer zu, klopf laut, dass dich jeder hören kann, du liebes Herz. Hör bitte nie auf zu schlagen. Bitte versprich es mir.“

Sie kann nicht einschätzen, wie lange sie regungslos auf der Brust von Karl verharrt. Sie merkt nur, dass ihr Rücken schmerzt und die linke Hand eingeschlafen ist. Sie hat in ihr kein Gefühl mehr. Von unzähligen Nadeln gepiekt erwacht die Haut zögerlich. Sie muss aufstehen, ihre Glieder ausschütteln und sich wieder in Form bringen. Langsam geht sie zum Fenster, ordnet die Haare. Sie schaut tief in das reflektierende Glas, um sich besser sehen zu können. „Soweit alles in Ordnung“, versichert sie sich und kehrt ans Bett zurück. Bevor sie sich wieder setzt, betrachtet sie Karl eine Weile.

Bilder ziehen vor ihren Augen auf. Sie hat ihn schon einmal so liegen sehen. Das war 1988 nach seiner Bandscheibenoperation. Sie studierte damals in Dresden, war beschäftigt mit Vorlesungen, Seminaren und Paul, der verbotenen Liebe, die sie damals förmlich überrollt hat. War sie ihr wichtiger gewesen als die gemeinsamen Stunden vor der Operation und unmittelbar danach? Sie hatte Karl ohne Beistand unter das Messer gegeben, hatte ihn in dem Moment, wo er sie nötig gebraucht hätte, alleingelassen mit seinem Schicksal. Sie machte sich noch Jahre später immer wieder Vorwürfe.

Tränen rinnen ihr am Kinn entlang, tropfen auf den Pullover, durchnässen den Rand vom Ausschnitt. Ihr ist es egal, denn sie sind unaufhaltbar. Das hat sie über Wochen einsehen müssen. Sie dreht sich von Karl weg, geht ans Fenster und schaut in die Dunkelheit hinter dem Glas. Sie braucht Zeit, um sich zu fangen. Es ist plötzlich in ihr wieder hochgestiegen, was sie über Jahre geflissentlich vergraben hatte, als ihr Geheimnis zu verbergen suchte. Sie erinnert sich, dass sie später noch zwei Mal sich bemühte, mit Liesa über das Geschehene zu sprechen. Jedes Mal hatte die abgeblockt.

„Hättest damals reagieren müssen und mich nicht über zwei Jahre in dieser beschissenen Wohnung gemeinsam mit Karl zurücklassen sollen. Jetzt gibt es kein Verzeihen mehr, niemandem gegenüber. Ihr beide habt mich um einen Teil meiner Jugend gebracht. Du hast mich für deine Karriere geopfert. Karl hat meine Seele getötet. Auch wenn ihr euch nun gut versteht, ich kann und werde euch nicht verzeihen. Leben muss ich damit, so gut ich kann.“

So war es von Liesa fast wörtlich ihr vorgeworfen worden.

„Sie hat durch uns beide gelitten. Ich habe es zu spät begriffen“, gesteht sich Susanne ein, wie schon so viele Male, wenn sie an dieses schwarze Kapitel der Ehejahre mit Karl zurückdachte.

10. Kapitel

Die Dunkelheit wird plötzlich von einem grellen Licht, das durch einen Spalt fällt, durchbrochen. Als öffnete jemand langsam eine Tür zu einem finsteren Raum, so scheint es jetzt, als mehr und mehr Helligkeit das Dunkel durchströmt. Eine blühende Wiese mit Bäumen bietet sich dem Auge. Vögel streiten sich um die besten Brutplätze, ringen um die Gunst paarungswilliger Weibchen. Bunte Schmetterlinge tanzen fröhlich zwischen den Blumen hin und her, scheinen miteinander zu spielen.

Ich stehe mit meiner neuen hellbraunen Popelinehose und dem Matrosenhemd abmarschbereit am Handwagen, den Tante Hedel und Opa mit allem beladen haben, was für einen langen Sonntag an frischer Gartenluft erforderlich ist. Prüfend tasten sich meine Hände in die prall gefüllte Tasche, die besonders die Neugier erweckt hat. Vielleicht ist etwas für mich darin? Bonbons, Schokolade, Kekse oder ein Stück Kuchen? In die Suche vertieft, merke ich nicht, dass mich Opa schon eine ganze Weile beobachtet. Ein Klaps auf den Hinterkopf erinnert mich daran, dass Opa mir den Platz an der Handwagendeichsel zugewiesen hat. Mit einem kurzen Satz springe ich dorthin, erfasse das Stück Holz und wie ein Pferd, welches eben vor den Wagen gespannt ist, beginne ich loszumarschieren. Tante Hedel und Opa folgen mir mit wenigen Schritten Abstand. Oma, so haben mir beide gesagt, komme später nach, sie räume noch die Wohnung auf und könne später allein und langsamer gehen. Da sie es mit der Hüfte hat, hinkt sie und braucht länger für den Weg.

Nach der Post, als ich rechts in die „Heppe“ einbiege, einem Versorgungsweg, der steil hinaufführt bis zu der großen breiten Straße, die ans Ende der Welt führt, übernimmt Opa das Kommando. Er, als ganz starkes Pferd, zieht mühelos den Wagen hinter sich her. Tante Hedel hat mich an die Hand genommen und findet es lustig, dass ich so ausgelassen neben ihr her hüpfe. Auch sie sieht merkwürdig heiter aus, denke ich und erinnere mich, dass ja heute Sonntag ist. Daran muss es liegen, stelle ich fest.

Im Garten angekommen, bringen wir gemeinsam unsere Schätze in die dunkle Gartenlaube. Heiß ist es darin. Die Sonne hat in der kurzen Zeit, seit sie am Himmel steht, das Innere zu einem Brutkasten für Küken aufgeheizt. Ich ziehe mir meine geliebte Popelinehose und das Matrosenhemd aus und begebe mich auf Entdeckertour.

Opa und Tante Hedel verschwinden in der Gartenlaube. Quietschend schließt sich die Tür hinter ihnen. Das Geräusch ist mir nicht entgangen, weckt jedoch nicht mein Interesse, denn ich bin auf der Suche nach dem Maulwurf, der zwischen den Radieschen einen Erdhaufen aufgeschüttet hat. Ich grabe und grabe, kann ihn aber nicht ausfindig machen. „Hier muss schweres Gerät ran“, denke ich und eile auf die Rückseite der Gartenlaube, wo die Spielgeräte lagern. Genau das, was ich brauche, ist spurlos verschwunden. Die Schaufel ist unauffindbar.

Dafür wecken seltsame Geräusche meine Neugier, die aus dem Inneren der Gartenlaube dringen. Ich höre deutlich Tante Hedel stöhnen, ab und zu schreit sie halblaut auf. Zwischendurch stimmt Opa mit einem Schnaufen ein, als hätte er gerade einen Dauerlauf hinter sich. Erstaunt, was dort wohl geschieht, eile ich zu der Laubentür und öffnete sie einen Spalt.

„Tür zu!“, schreit Opa markerschütternd, sodass ich vor Schreck die Tür zuknalle.

Etwas habe ich schon gesehen, doch keine Erklärung dafür – nämlich Opas Popo. Tante Hedel stand ganz nah bei ihm. Eingeschüchtert verziehe ich mich zu meinen Spielsachen hinter der Laube. Viel leiser als zuvor dringen Stöhnen und Schreien noch zu mir. Nur das Opas Schnaufen ist verstummt. „Wohl weil er seinen Dauerlauf beendet hat“, rede ich mir selbst ein. Nach einer Weile biegt Opa um die Ecke. Er ist schweißüberströmt, baut sich vor mir auf und belehrt mich.

„Wenn einer von uns, auch Oma, in der Gartenlaube ist und die Tür hinter sich schließt, dann ist das für dich Tabu. Dann ziehen wir uns nämlich um und da hast du nichts zu gaffen. Verstanden?“, knurrt er mich ärgerlich an.

Ich zucke zusammen, blicke reumütig an dem Riesen entlang nach oben und wimmere halb schluchzend:

„Ich mach das nie wieder, Opa, versprochen.“

„Das will ich hoffen. Verstanden? Und zu Oma kein Wort. Ist das klar?“, fragt er noch strenger als zuvor.

Kleinlaut presse ich ein „Ja“ hervor, meine Augen füllen sich mit Tränen.

„Dann ab, geh spielen“, sagt Opa, nun schon versöhnlicher.

Ich flitzte um die Ecke, laufe schnurstracks zum Maulwurfhügel und grabe mit den bloßen Händen weiter, als wenn ich mich selbst eingraben wollte. Ich schäme mich für die Neugierde und das erhöht mein Buddeltempo. Der Maulwurf hat sich längst verkrochen, nach einer Weile gebe ich auf. Ich stelle mich zur Abwechslung auf die Fußbank an der Regentonne, beginne ausgiebig meine schmutzigen Hände zu waschen.

Tante Hedel gesellt sich zu mir. Auch sie war vorhin schweißüberströmt und puterrot im Gesicht. „Das Umziehen muss sie sehr angestrengt haben“, denke ich mit einem mitleidigen Blick.

„Bist doch ein ganz lieber Junge“, lobt sie mich, wieder mit diesem merkwürdig fröhlichen Lächeln.

Im nächsten Moment ist ihr Kopf in der Regentonne bis zum Halsansatz im Wasser verschwunden. Luftblasen blubbern an den Ohren vorbei an die Oberfläche. Kurz bevor sie wieder auftaucht, prustet sie die restliche Luft gluckernd aus ihrer Lunge. Dann wirft sie den Kopf in den Nacken und schüttelt so einen Teil des Wassers ab. Mit den Händen nimmt sie eine Portion kühlende Erfrischung aus dem Fass und bespritzt damit gehörig mein Gesicht.

„So, das war für deine Neugierde, mein Kleiner“, lacht sie.

Ich versuche, sie ebenfalls vollzuspritzen, aber sie ist schon kichernd zwischen den Beeten davon.

Ich vertiefe mich wieder in meine Jagd nach dem Maulwurf. Mit einem Stock bohre ich noch tiefer in den ehemaligen Erdhaufen, an dessen Stelle durch mein Graben ein beachtliches Loch entstanden ist. Ich stochere darin herum, nehme Erde heraus und werfe sie auf die Seite.

„Das machst du gleich wieder zu“, ordnet Opa an, der jetzt plötzlich hinter mir steht.

„Was soll das eigentlich werden, gräbst du nach Gold? Da wirst du hier keines finden“, fragt er neugierig nach.

„Ich suche den Maulwurf. Vorhin war er noch hier, in diesem Haufen war er, wo ich mit dem Stock reinsteche. Ich find ihn aber nicht“, maule ich.

„Pass mal auf, du Maulwurfjäger, du wirst damit keinen Erfolg haben, auch wenn du den ganzen Garten umgräbst“, klärt mich Opa auf. „Maulwürfe sind sehr schlaue Tiere, die haben unter der Erde Gänge gegraben und wenn du hier gräbst, ist er vielleicht schon da oder dort oder dort.“

Opa umschreibt mit seinem Arm einen weiten Bogen, vom Gartentor bis zur Laube.

„Da nützt dir dein Gebuddel gar nichts, mach das Loch wieder zu, sonst lacht er dich noch aus, wenn er dir von da vorne zuschaut.“

Tante Hedel tritt an ihn heran und flüstert, sodass ich es nicht hören soll:

„Maulwürfe sind blind.“

„Das weiß ich, aber er glaubt es“, er nickt in meine Richtung.

„Egal, ob er sehen kann“, murre ich lautlos und werfe das Loch enttäuscht wieder zu. Die Jagdlust ist erloschen. Ich versuche es jetzt als Sammler. An den Sträuchern entlang der Grenze zum Nachbarn, wo die Erdbeeren wachsen, hängen jede Menge rote, gelbe, schwarze und weiße Früchte. Nur die Hand ist zu klein oder der Appetit zu riesig. Mit ein paar Beeren in der Hand gehe ich zu Tante Hedel, damit sie mir hilft, am besten mit einer großen Schüssel. Aber ich werde schon wieder gebremst in meinem Tatendrang.

„Bevor du Beeren anfasst, wasch dir die Hände, die sind ja schwarz vor Dreck“, weist mich Tante Hedel an.

Ich mustere sie, finde sie überhaupt nicht dreckig, gehe trotzdem zum Regenfass, stecke aber erst die saftigen Schätze in den Mund. Ich halte beide Arme in das Wasser, schwenke sie ein paar Mal im Kreis und fertig ist die Wascherei. „Die werden sowieso wieder dreckig“, denke ich. Tante Hedel hat ihren Willen, ich bekomme die Schüssel und los geht’s. Von jedem Strauch pflücke ich mir ein paar Beeren. Schnell ist die Schale voll.

„Tante Hedel, wäschst du mir die Früchte und tust Zucker drauf?“, rufe ich in ihre Richtung. Sie reagiert nicht.

„Tante Heeeedel“, rufe ich lauter, „wäschst du mir die Beeren und tust Zucker drauf?“

Wieder keine Reaktion. Sie muss mich doch aber gehört haben?

„Versuch es doch mal mit ‚bitte‘“, flüstert mir Opa im Vorbeigehen zu.

Mit dem Wort „bitte“ voran wiederhole ich das Ganze nun noch einmal.

„Na siehst du, es geht doch“, schmunzelt Tante Hedel und kommt endlich zu mir. Nach so viel Arbeit muss ich mich nun ausruhen. Mit der Schüssel voller Beeren und dem Zucker darüber setze ich mich in den Liegestuhl, den Opa für Oma aufgebaut hat.

„Na, wer futtert denn schon wieder?“, ruft Oma fröhlich und schließt soeben das Gartentor hinter sich.

„Oma, Oma“, freudig springe ich auf, ohne an die Schüssel mit dem Rest Beeren und dem Zucker darüber zu denken. Nun liegt alles im Liegestuhl.

„Das ist ja eine Sauerei, die du da gemacht hast. Da klebe ich ja fest, wenn ich mich reinsetze“, sagt Oma vorwurfsvoll.

„Musst du halt erst abwischen“, gebe ich ihr zur Antwort und klaube die Beeren vom Liegestuhl. Ich brauche eine ganze Weile, bis ich alle aufgelesen habe. Mit meiner leeren Schüssel gehe ich zu Oma, halte sie ihr stolz hin:

„Alles aufgegessen, und auf deinem Liegestuhl liegt auch nichts mehr.“

„Na, da gehe ich doch lieber erst einmal nachschauen, ob das auch stimmt, was du mir da erzählst“, sagt sie mit einem Lächeln im Gesicht und dem Lappen in der Hand.

Ich freue mich, wie schön es hier im Garten ist und dass ich Mama und Papa eigentlich gar nicht vermisse. In diesem Moment stellt sich Traurigkeit ein. Ich laufe ums Gartenhaus, setze mich in die Spielecke, unschlüssig, was ich mit mir und der Welt anfangen soll. Dann nehme ich den kleinen Metalleimer ohne Henkel und fülle Sand hinein. Als er voll ist, klopfe ich mit der Schaufel den Sand fest und stülpte den Eimer um. Oma hat mir gezeigt, wie man Sandkuchen backt. Genauso, wie ich es jetzt mache. Ich ziehe die Form vorsichtig nach oben weg und betrachte mein Kunstwerk, welches keines geworden ist. Wutentbrannt schlage ich auf den Sandberg ein, mache in platt. Immer wieder schlägt die Schaufel auf den kümmerlichen Sandhaufen.

„Der Sand kann aber nichts dafür, wenn dir eine Laus über die Leber gelaufen ist“, spricht Oma ganz ruhig, tritt an mich heran, kauert sich zu mir.

Einen Moment schaut sie mir ins Gesicht, nimmt mich dann kurz entschlossen auf den Schenkel und drückt meinen bebenden Körper an ihre weiche warme Brust.

„Weine ruhig, das erleichtert, das vertreibt die bösen Gedanken“, flüstert sie mir ins Ohr und streichelt mir über den Kopf.

Sie hat den Kummer, der mich so fest gepackt hat, erahnt. Nach einer Weile beruhige ich mich. Sie dreht mein Gesicht zu ihrem Mund und ein dicker Kuss landet auf der Stirn.

„Musst nicht traurig sein, Mama und Papa sind doch immer für dich da. Sie haben nur gerade so viel zu tun, müssen lange arbeiten und Geld verdienen, deshalb dachten sie, dass du eine Weile bei uns wohnst. Dir gefällt es doch bei uns. Brauchst in keinen Kindergarten mehr, musst nicht so zeitig aufstehen, kannst in Ruhe frühstücken. Das ist doch fein. Oder?“, fragt sie, obwohl sie die Antwort kennt.

„Hab dich lieb, ich hab euch alle lieb. Bei euch ist es so schön“, schluchze ich und drücke Oma so fest ich kann.

„Weiß ich doch, wir dich auch“, sie gibt mir nochmals einen Kuss.

„Jetzt muss ich aber hoch, mir tut das Bein weh“, stöhnt sie und rubbelt meine Haare, aus denen ein paar Sandkörner rieseln.

„Kannst mir helfen beim Mittagessen machen“, bietet sie mir an.

Bereitwillig folge ich ihr in die Gartenlaube. Dort steht bereits Tante Hedel, prüft die Kartoffel im Topf, ob sie schon weich sind.

„Müssen noch ein Weilchen“, sagt sie laut zu sich selbst.

Ich darf das Kompottglas aus der Tasche herausnehmen. „Mm, Pflaumen, lecker“, stelle ich für mich fest. Oma setzt das Eisen des Glasöffners am Gummiring an und ich darf ganz sachte den großen Hebel nach unten drücken. Der Ring gibt nach und der Deckel springt vom Glas. Zur Belohnung, weil ich das so gut gemacht habe, fischt mir Oma eine Pflaume aus dem Glas.

„Mund auf“, befiehlt sie und lässt das Stück im großen Bogen in meinen weit geöffneten Mund fliegen.

Dann helfe ich, die gefüllten Kompottschüsseln zum Tisch zu tragen und zu verteilen, wobei ich sehr genau darauf achte, dass die vollste Schüssel bei mir steht. Wieder komme ich in die Küche und nehme die Kartoffelschüssel. Vorsichtig, als würde ich rohe Eier auf Löffeln tragen, bringe ich die gute Porzellanschale hinaus. Oma hat derweil das Fleisch geschnitten und auf eine Platte gelegt, Tante Hedel gießt die Soße in ein Kännchen.

„Ab auf deinen Platz und Füße stillhalten“, kommandiert Oma.

Also sause ich los, rutsche auf der Bank bis zu meinem Ende und nehme dort eine erwartungsvolle Position ein. Nachdem wir alle sitzen, geht das große Essen los. Ich bekomme natürlich die besten Stücke, danach Opa und den Rest teilen sich die beiden Frauen. So ist es immer, wenn wir gemeinsam speisen. Noch besser ist es allerdings, wenn Tante Hedel ihr Eigenes gekocht oder Salat anders zubereitet hat. Dann bekomme ich von sowohl Oma als auch von Tante Hedel das beste Stück und noch eine doppelte Portion vom Salat. Schließlich muss ich von allem kosten. Ich bin der Verkoster. Nach dem Essen, wenn ich alles in mich hineingestopft habe, machen Opa und ich Bauchmessen, wer den größten und dicksten Bauch hat. Ich drücke meinen raus, halte ihn stolz Opa entgegen, der seinen ebenfalls anspannt. Gewinnen tue ich nie, Opas Bauch ist immer größer und dicker. Heimlich schwöre ich mir jedes Mal, dass ich, wenn ich groß bin, Opa mit meinem noch viel größeren Bauch besiegen werde. Als wenn Opa die Gedanken erraten hätte, streicht er über die kleine Kugel und meint spöttisch:

„Da musst du dich schon noch ein bisschen anstrengen.“

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Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
520 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783960083252
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