Kitabı oku: «OUTPOST», sayfa 2

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Handlungsreisende

Das Raumschiff besaß die Form einer Gurke und flog sich auch so. Als Martin den Fisch auf den Labortisch knallte, strahlte das blaue Licht des kosmischen Nebels, den er gerade durchquerte, durchs Bullauge. Er schnitt den Fisch mit einem schartigen Küchenmesser der Länge nach auf. Ein Skalpell wäre ihm lieber gewesen – das hätte einfach professioneller ausgesehen. Chirurgenbesteck zählte jedoch nicht zur Grundausstattung von Kleinraumschiffen.

Im Innern des Fisches, der leider schon über der Zeit war und zu stinken anfing, befand sich eine Art verzierte Akupunkturnadel – die üblichen Datenspeicher auf Ross249. Die Übergabe des Fischs war auf einem zwielichtigen Hyperraummarkt über die Bühne gegangen. Er hatte die in altes Zeitungspapier eingewickelte Sendung von einem grünlippigen Alien erhalten, der wegen seines transparenten Körpers kaum auszumachen war. Obwohl das Papier stark vom Öl durchtränkt war, konnte man den Text noch gut entziffern. Statt die Nachrichten vom Display abzulesen, informierten sich die meisten Menschen (und inzwischen auch ein größer werdender Anteil Außerirdischer) noch immer auf diese altmodische Art.

Martin hielt einen Augenblick inne und stach sich schließlich die Nadel in die Oberlippe. Sofort strömten unzählige Informationen durch seine aufnahmebereiten Synapsen. Geistige Verschnaufpausen boten allein gelegentlich eingestreute Werbeblocks. Für ihn als alten Hasen im Geschäft stellte es normalerweise keine Herausforderung dar, die zu übermittelnde Botschaft vom unnützen Datenmüll zu trennen. Er benötigte dennoch fast eine halbe Stunde, um herauszufinden, dass sich hinter den Mengenangaben eines speziellen Kochrezepts (er hatte diese Informationen zuerst als Werbung abgetan) der Dechiffrierungscode für die eigentliche Hauptnachricht auf dem Einwickelpapier versteckte.

Verzweifelt blickte Martin aus dem Bullauge. Zwischen den Tausenden Lichtpunkten der Sterne glaubte er, gerade noch den winzigen Reflexionspunkt eines trudelnden Papierbällchens auszumachen. Er hatte die penetrant nach Fisch stinkenden Zeitungsreste vor zehn Minuten mit der Abfallschleuder entsorgt.

Die Apparatur stammte noch aus den Anfängen der interstellaren Raumfahrt. Müll, den man einfach so ins Weltall kippte, trieb für die Zeit des Flugs, und das waren oft mehrere Monate, einfach neben dem Schiff her. Ein bisweilen recht unappetitlicher Anblick! Um dieser Problematik zu entgehen, installierte man irgendwann in allen Raumschiffen die Abfallschleuder. Unglücklicherweise beging man bei ihrem ersten Einsatz den Fehler, den anfallenden Müll direkt hinter dem Schiff hinauszuschießen. Als das Schiff einige Tage später abbremste, war die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten. Kurz vor Erreichen des Zielsystems brach die Funkverbindung ab. Ein tragischer Unfall, über den die BBC einen spektakulären Tatsachenbericht ausstrahlte.

Da sich Martin mit seinem Raumanzug nicht allzu weit vom Schiff entfernen konnte (mal davon abgesehen, dass ihm schon von der Vorstellung, das Schiff zu verlassen, ganz anders wurde), gab es nur noch eine Möglichkeit, wieder an das verlorene Zeitungspapier zu gelangen.

Kurz entschlossen schlüpfte er in den neuesten Schrei ingenieurtechnischer Hightechentwicklung, den er sich vor wenigen Terzines geleistet hatte: einen nagelneuen, chromblitzenden Zeitreiseanzug, der dennoch irgendwie an einen altmodischen Taucheranzug erinnerte. Eine nur auf den Randwelten erhältliche Kostbarkeit – Benutzung auf eigene Gefahr. Er drehte an ein paar Rädchen und stellte die gewünschte Zielzeit ein. Mit einem Erfrischungstuch tupfte er sich den Angstschweiß von der Stirn (gar nicht so einfach innerhalb des Anzugs) und drückte schließlich auf die grüne Auslöseplatte.

Weißes Licht … Augenblicke stillen Verharrens … schließlich ungebremstes Fallen, in eine nicht auslotbare Tiefe. Dieses Gefühl entsprach exakt Martins Horrorvorstellung, in einem abstürzenden Fahrstuhl gefangen zu sein. Augenblicke später packte etwas seinen Körper und riss ihn aus dem weißen Licht.

Er stand wieder in der Kommandozentrale seines kleinen Raumschiffs … jedoch um eine ganze Stunde in die Vergangenheit versetzt. Seltsam ernüchtert zuckte er mit den Schultern. Er hatte sich den Vorgang irgendwie … spektakulärer vorgestellt.

Martin schaute sich prüfend um. Eine Stunde zuvor hatte er für längere Zeit im beengten Vakuumsanitärmodul gesessen (ohne den hochleistungsfähigen Luftabsauger unmöglich) und Toilettenpapierlyrik gelesen. Er würde sich daher nicht selbst über den Weg laufen. Er löste die Schrauben vom Schutzblech der Abfallschleuder und versuchte, die Sicherung herauszuziehen. Das Ding klemmte, und er musste erst mit einem Schraubendreher nachhelfen, um den kleinen Zylinder zu lockern und aus der Halterung zu hebeln. Die Prozedur dauerte länger als geplant und drohte, seinen Zeitplan durcheinanderzubringen. Hektisch klappte er das Abdeckblech zurück und wollte gerade wieder in seine Gegenwart zurückkehren, als sich die Tür der Sanitäreinheit öffnete. Einige Sekunden später stand er sich selbst gegenüber.

Ganz automatisch – und ohne sich dagegen wehren zu können, als stünde er unter fremder Kontrolle – zog er seinen Reparaturlaser aus dem Halfter, stellte ihn auf maximalen Energieausstoß und richtete ihn auf sein altes Ich.

Um ein Paradoxon zu verhindern, musste er ein Paradoxon begehen. Ziemlich paradox.

Er erschoss sich und beobachtete ungerührt, wie sein Körper längs nach hinten stürzte. Ein dumpfer und wuchtiger Aufschlag. Seltsamerweise gab es kein Blut an seiner Leiche. Wie in Trance machte er die Abfallschleuder wieder scharf, lud seinen leblosen Körper hinein und entsorgte sich selbst ins Weltall. Sogar für einen abgebrühten Agenten wie ihn eine mehr als bizarre Situation. Danach entfernte er zum zweiten Mal die Sicherung. Seine Finger huschten schnell über die kaum spürbaren Sensorflächen und aktivierten die Rückkehrfunktion im Zeitreiseanzug.

Sekundenbruchteile später befand er sich wieder in seiner eigenen Gegenwart. Irritiert blickte er aus dem Bullauge. Er entdeckte seine langsam vom Schiff wegtrudelnde Leiche – ein immer kleiner werdender weißer Fleck – und nur wenige Meter von seinem Ausblick entfernt zwei Bällchen aus zusammengeknülltem Zeitungspapier. Irgendetwas missfiel ihm an diesem Bild, und er hatte das Gefühl, als wäre hier etwas wirklich schiefgelaufen.

Mit dem Greifarm des Schiffs fischte er eines der Papierbällchen aus der Kälte des Weltraums und begann sofort mit der Dechiffrierung der verschlüsselten Nachricht. Die Botschaft stammte von Zzreccczibrizzi, einem Doppeldoppelagenten. Zzreccczibrizzi verführte – in der jeweiligen Gestalt der auszuspionierenden Aliens – die Partner(innen) hochrangiger Regierungsrepräsentanten und gelangte so an hochbrisante Informationen, die er gewinnbringend an den Meistbietenden verkaufte. Oft war dies sogar jene Partei, von der die Informationen ursprünglich stammten. Zzreccczibrizzi war ein Ehrenmann – zumeist jedenfalls.

Als Martin die Dechiffrierung abgeschlossen hatte, überflog er den Text. Laut Zzreccczibrizzis Informationen planten die Regellaner, die Menschheit auf neuronaler Ebene auszubeuten. Seit mehr als siebzig Jahren war über die Hälfte der Menschheit der Abhängigkeit von Videospielen verfallen. Die andere Hälfte saß währenddessen vor ihren riesigen Wanddisplays und schlug die Zeit bis zur nächsten Mahlzeit mit dem Anschauen von Quizsendungen, Realityshows und Unterhaltungsserien tot. Diese seltsamen und unproduktiven Angewohnheiten der Erdenbewohner versuchten die Regellaner zu nutzen, um die Menschheit in eine riesige Bio-Supercomputer-Einheit (BSE) zu transformieren. Hunderte Handelsreisende waren schon unterwegs, um preisgünstige Virtual-3-D-Bottiche an ahnungslose Videospielefans zu verkaufen. Während des Spielens wurden in den Bottichen die ungenutzten Bereiche des menschlichen Gehirns (die in den letzten Jahren wieder größer wurden) zur Datenverarbeitung genutzt.

Martin warf den Ausdruck mit dem entschlüsselten Text und das Zeitungspapier in den Aktenvernichter. Irritiert beobachtete er eine kleine Metallmaus dabei, wie sie die Papierschnipsel verschlang und sich dann mit einem kühnen Sprung in einen offenstehenden Reparaturschacht davonmachte.

»Dave … ähhh … Martin«, hauchte die einschmeichelnde Stimme der Schiffs-KI. »Ich registrierte gerade einen unerwarteten Masseverlust.«

»Schön!«, erwiderte Martin und beobachtete durch das Bullauge, wie sich mit wachsender Geschwindigkeit ein Miniaturraumschiff in Richtung des nächstliegenden Wurmlochs entfernte.

Martin hörte es hinter sich rascheln. Er drehte sich um. Ein Klumpen grauer Materie fiel von der Decke und verwandelte sich in die monochrome Karikatur eines Menschen.

»Ich bin ein Wächter«, zischelte der Außerirdische durch seinen verkniffenen Mund. »Wir hätten euch nie die Technologie des Zeitreisens überlassen sollen. Durch dein unbedachtes Vorgehen hast du das Gleichgewicht der Dimensionen in Schwingungen versetzt, die sich nun partiell zu überlagern beginnen.«

»Ihr habt uns nie die Technologie des Zeitreisens überlassen«, stellte Martin richtig. »Zzreccczibrizzi hat sie uns für die vollständigen Rechte an der Nachnutzung der Erde – falls sich die Menschheit einmal selbst auslöschen sollte – veräußert.«

»Unwichtig!«, entgegnete der Wächter und hatte dabei sichtbare Schwierigkeiten, seine menschliche Gestalt aufrechtzuerhalten. »Und ziemlich dumm! Wir behalten dich im Auge.«

Ein kurzes Flirren der Luft und der Wächter verschwand mit einem lauten Knall.

Martin wurde auf drei kurze Klopfgeräusche hinter sich aufmerksam. Er drehte sich um und sah, wie eine Briefsendung aus dem Schlitz seines Postfachs in das Auffanggitter fiel. Er fischte das kleine Paket aus dem Gitter und drehte es in seinen Händen. Auf der Vorderseite stand sein Name und daneben prangte der leicht verschmierte Abdruck eines roten Warnstempels.

VORSICHT: KANN BEIM ÖFFNEN ZU UNERWÜNSCHTEN NEBENEFFEKTEN FÜHREN!

Darunter – sehr klein gedruckt: Bitte nur im Freien benutzen.

Ohne mit der Wimper zu zucken, entfernte er die Sicherheitsbanderole und riss das Päckchen auf. Er entnahm einen sehr dicken Brief. Während des Auseinanderfaltens (der Brief war nach einem komplizierten und verwirrenden Muster gefalzt) konnte er spüren, wie sich die Raumstruktur um ihn herum veränderte. Der Brief öffnete sich zu einem riesigen Verkaufsraum voll seltsamer Geräte, die allesamt wie Inkubatoreinheiten aussahen. Im Hintergrund bewegte sich etwas, und kurz darauf stand ein kleiner Verkaufsroboter, nicht ganz so groß wie ein ausgewachsener Schäferhund, vor ihm. Der Roboter bestand aus einer graugrünen halbtransparenten Kugel, die sich irgendwie auf vier mehrgelenkigen dünnen Füßen vorwärtsbewegte.

»Die regellanische Handelsabteilung heißt Sie herzlich willkommen«, knarzte es eine Spur zu laut aus einem unsichtbaren Lautsprecher. »Möchten Sie eines unserer Geräte ausprobieren? Mit BrainStorm XL, unserer High-End-3-D-Virtual-Machine für gefühlsechte Effekte und dem neusten Videospielhit Dumm 3000 erleben Sie nie gesehene Dimensionen in einer perfekt inszenierten virtuellen Spielumgebung. Außerdem eignet sich unsere BrainStorm XL als Massagegerät und Entspannungseinheit.«

Martins jahrelanges Training an Videospielautomaten hatte seine Reflexe geschärft. Er zog seine Laserpistole aus dem Halfter und beobachtete verwundert, wie sich diese in einen überdimensionalen Raketenwerfer verwandelte. Das Ding war so schwer, dass er beinah vornüber fiel. Der Verkaufsroboter begann panisch davonzutrippeln und stolperte dabei mit auffälliger Beharrlichkeit über seine Metallfüße. Martin feuerte die Waffe ab und beobachtete mit fast schon dümmlichem Staunen, wie die Rakete in Zeitlupe an dem Roboter vorbeizog, mit der dahinterliegenden Wand kollidierte und ein metergroßes Loch in die Raumstruktur stanzte. In dem Loch loderte gleißendes Licht.

Martin feuerte den Raketenwerfer nun im Sekundentakt ab, während sich der Roboter mit eleganten Sprüngen aus der Schusslinie brachte. Nach einiger Zeit hatte Martin so viele Löcher in die Umgebung gesprengt, dass der Roboter irgendwann in eines hineinfiel und mit einem dünnen Winseln verschwand.

Martin spürte, wie sich der Raum erneut veränderte. Es knirschte bedrohlich, und größere Brocken Putz und Staub lösten sich von der Decke. Die Umgebung begann, in große Artefakte zu zerfallen, die, dunstige Schlieren ziehend, davontrieben. Grelles Licht überblendete alles, dann nahm die Umgebung wieder feste Konturen an. Es dauerte einige Sekunden, bevor er begriff, dass er sich nun im Tank einer BrainStorm-XL-Maschine befand. Sein Kopf steckte in einem Sensorhelm, der im Innern mit einer weichen Polsterschicht bespannt war. Ein wenig irritierte ihn die Tatsache, dass er völlig nackt in der Kabine lag.

Ein kurzes Klacken und der milchige Sichtschutz klappte zur Seite weg. Martin verließ das Gerät. Seine nackten Füße berührten kalten Boden. In dem kleinen Raum, in dem er sich jetzt befand, standen nur die BrainStorm-XL-Maschine und ein Verkaufsroboter. Martin misstraute der Situation, da er nirgendwo eine Tür entdecken konnte, die aus dem Zimmer hinausführte.

»Ich hoffe, die Demonstration unserer revolutionären Real-Virtual-3-D-Technik fand Ihren Gefallen«, schnarrte der Roboter mit einprogrammierter Freundlichkeit.

»Ich weiß, was ihr vorhabt«, brüllte Martin seine Wut hinaus. »Ihr wollt die Menschheit in eine riesige Bio-Supercomputer-Einheit verwandeln!«

»Ich sehe da kein Problem«, entgegnete der Roboter mit fröhlich durch die Luft wirbelnden Greifarmen. »Die menschliche Zivilisation bekommt das, wonach sie sich am meisten sehnt – perfekte, auf jeden Geschmack zugeschnittene Unterhaltung –, und als nützlicher Nebeneffekt wird eure Existenz mit Sinnhaftigkeit erfüllt.«

»… mit Sinnhaftigkeit erfüllt …«, äffte Martin den Roboter nach, als er begriff, dass er ihm sonst nichts entgegenzusetzen hatte.

Der Roboter erstarrte inmitten seiner Bewegung. Stille durchdrang den Raum. Die Martin gegenüberliegende Wand verblasste und öffnete den Blick auf eine weite Ebene. Erneut trat ihm ein Wächter entgegen.

»Deine Existenz muss beendet werden.« Staubgraue Worte. Kalt. »Dein Verhalten gefährdet das Gleichgewicht des Universums. Es manifestieren sich zurzeit pro Tartus mehre hundert Parallelwelten, um dein unbedachtes Handeln auszugleichen. Würde diese Entwicklung nicht gestoppt, entstünde völliges Chaos … vielleicht der Auslösemoment eines ›Black-in-Black-Hole‹, eines in ein schwarzes Loch gekapselten schwarzen Lochs. Wir können eine solche Gefährdungssituation nicht zulassen. Davon abgesehen scheinst du aus deinem Fehlverhalten nichts gelernt zu haben. Nach unseren Berechnungen bist du der alleinige Auslöser und das Zentrum dieser Veränderungen.«

Der Wächter zog einen schwarzen Gegenstand aus seinem dunkelgrauen und faltenreichen Umhang … dann drückte er ab. Ein greller Blitz und eine ohrenbetäubende Explosion. Martins Körper zerfiel in seine chemischen Bestandteile. Jedes sammelte sich in einer Blase, die, wie aufgereihte Planeten, ungefähr einen Meter über dem Boden schwebten. Über allem thronte Martins Bewusstsein.

In diesem Augenblick manifestierten sich weitere Wächter und begannen, den zuvor erschienen Wächter mit langen Papierbahnen zu umwickeln. Obwohl der Wächter sich gegen die ersten Attacken noch gut zur Wehr setzen konnte, war er den anderen hoffnungslos unterlegen.

Martin bot sich ein groteskes Bild, das ihn an moderne Tanzaufführungen erinnerte. Wind kam auf und ließ die losen Papierenden wild flattern. Von dem Wächter war unter den dichten Schichten Zellstoff nach kurzer Zeit nichts mehr auszumachen. Einen Augenblick erschien die Szene wie erstarrt, dann ergriff der Wind den unbeweglichen Körper und trieb ihn in die Tiefen der Ebene.

Stille …

Die anderen Wächter kamen auf Martin zu.

»Ein bedauerlicher Fehler«, sagten sie absolut synchron. »Eine Erklärung würde dein Begriffsvermögen sprengen.«

In beeindruckender Gleichzeitigkeit zog jeder der Wächter einen schwarzen Gegenstand aus seinem Umhang und zielte damit auf Martins Brust. Ein kaum hörbares, synchrones Klacken.

Weißes Licht.

Martin hatte seinen Körper wieder.

Er stand nackt auf einer weiten Ebene.

Zu seinen Füßen erstreckte sich ein strukturloser weißer Boden. Unangenehme Kälte strahlte von ihm aus.

Über ihm ein diffuses, milchiges Grau.

Im Hintergrund das Flüstern einer Vielzahl von Stimmen.

Martin ging einige Schritte nach vorn. Ein nicht zu unterdrückendes Frösteln durchlief seinen Körper. Seine Nacktheit ließ ihn sich schutzlos und ausgeliefert fühlen.

»Hallo«, rief er. Seine Stimme klang dünn und ohne jede Kraft. Er machte noch einige Schritte und blieb dann unentschlossen stehen. Das Frösteln kehrte zurück. Er zitterte so stark, dass ihm die Zähne aufeinander schlugen. Wenn er nicht bald hier weg kam, würde er an Unterkühlung sterben.

»Hallo!«, rief er, so laut es ihm möglich war. »Ist da jemand? Hilfe!«

Zu seinen Füßen begannen sich gleichmäßige Linienmuster abzuzeichnen. An den Verläufen riss langsam der Boden auf und rollte sich zu unzähligen uhrfederartigen Gebilden zusammen.

Ein Telefon klingelte.

Martin schaute in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und sah einen Ball auf sich zuspringen.

Aus irgendeinem Grund wusste er, dass es sich um einen Telefonball handelte. Rot und von innen heraus pulsierend.

Er griff danach, schälte den Hörer wie eine Bananenschale ab und hielt ihn ans Ohr.

»Das Spiel ist aus!«, rief eine sich vor Freude fast überschlagende Stimme. »Danke, dass Sie sich für …

Martin unterbrach die Verbindung.

Teufelssaat

Kolvar streckte die Hände von sich, konzentrierte seine letzten Energien und heftete den Blick auf Marwaks schmächtige Gestalt. Marwaks ehemals prächtiges Zaubergewand war schmutzig und der edle Stoff an vielen Stellen aufgerissen. Die sich sonst auf dem dunklen samtenen Stoff bewegenden Sterne waren ihrer Leuchtkraft beraubt und gaben lediglich ein trübes Glimmen von sich. Marwak hatte seine Kräfte längst aufgebraucht und Kolvar musste ihm nur noch den Todesstoß versetzen. Einem Wirbelsturm gleich, kreisten Wolken über Marwak und das tosende Brausen eines mächtigen Orkans überdeckte alle anderen Geräusche. Der Zauberer schien nichts davon wahrzunehmen. Er versuchte vielmehr, davonzulaufen. Lächerlich! Erbärmlich!

Kolvar hob die Hände, als wolle er einen unsichtbaren Gegner abwehren, der über ihm schwebte. Er formulierte in kurz und hart hervorgestoßenen Worten einen Zauberspruch und entfesselte damit die angesammelten magischen Energien. Eine weiße, von Blitzen umrankte Lichtsäule zuckte wie ein gleißender Hammer des Himmels auf den flüchtenden Magier nieder und stanzte ein breites und tiefes Loch in den Boden. Verflüssigtes Gestein spritzte empor und stürzte qualmend auf die umliegende Erde hinab.

Dichter Rauch und Schwefelgestank breiteten sich aus.

Brütende Hitze schlug Kolvar entgegen. Er näherte sich langsam dem kraterähnlichen Loch. An den Rändern tanzten fluoreszierende Lichter. Schmale Rauchfahnen schlängelten sich wie Geisterscheinungen zum Himmel. Die Szenerie erinnerte an alte Gemälde, auf denen die Künstler ihren Visionen einer Vorhölle Form gegeben hatten. Über ihn zogen dunkle Wolkenfetzen hinweg, zwischen denen hin und wieder eine altersschwache und fleckengesprenkelte Sonne hervorlugte, welche die zerrissene Landschaft in großflächigen Abschnitten in blutrotes Licht tauchte. Rechts erhob sich als schwarzer Schattenriss Marwaks prächtiges Anwesen. Ein düsteres Bauwerk, mit vielen hoch aufragenden Türmen. Welche Verschwendung! Marwak bewohnte nur einen winzigen Teil des schon Jahrtausende existierenden Schlosses und hatte den Rest verkommen lassen.

Kolvar näherte sich dem Krater so weit, dass er in dessen Mitte blicken konnte. Eine leuchtende, halbtransparente Kugel schwebte dort. In ihrem Zentrum bewegten sich beunruhigende Formen. Es handelte sich um Marwaks eingekapselte Seele! Kolvar war vor ein paar Wochen mehr durch Zufall auf diesen mächtigen Zauberspruch gestoßen, mit dem man die Seelen soeben Verstorbener in der materiellen Welt binden konnte. Er begann vorsichtig in den Krater hinabzusteigen, um die gebundene Seele in sich aufzunehmen und damit Marwaks Fähigkeiten den seinen beizufügen.

Der Boden erzitterte plötzlich. Grollen, Brüllen und Schmerzensgeschrei drang aus den Tiefen der Erde, sodass er entsetzt zurückwich. Etwas schien sich unter ihm durch den Boden zu graben. Genau im Zentrum des Kraters riss die Erde auf und eine gewaltige klauenbewehrte Hand schnappte nach Marwaks Seele. Die Hand gehörte zu einem schwarzen Ungeheuer, das sich laut brüllend aus dem Loch zwängte und dann mit seinem schuppigen Schwanz nach Kolvar schlug. Der Angriff traf ihn hart und schleuderte ihn quer durch die Luft. Er landete wie eine weggeworfene Puppe am Rand des Kraters. Die riesige Hand des Monsters umfasste die blau schimmernde Seele. Tastete sie prüfend ab. Dann schloss sich die Hand um die Kugel und die Kreatur grub sich wieder im Boden ein.

Kolvar lag zusammengekrümmt auf der ausgedörrten Erde. Lange gelang es ihm nicht, das heftige Zittern seines geschwächten Körpers zu unterdrücken.

Den Zugang zum Geheimgang aufzuspüren, erwies sich schwieriger als gedacht. Kolvar hatte von dessen Existenz nur durch Zufall erfahren. Er hatte genau am Tag der Sommersonnenwende einen Dieb auf seinem Anwesen gestellt. Die Dreistigkeit des Ganoven imponierte ihm, sodass er dem Dieb gestattete, sich durch die Preisgabe einiger Geheimnisse freizukaufen. Eine kleine Strafe musste dennoch sein, weshalb sich der Halsabschneider jetzt nur noch in einer alten, seit Jahrhunderten vergessenen Sprache artikulieren konnte. Kolvar war jedoch sicher, dass der Bursche gerissen genug war, um auch dies zu seinem Vorteil zu nutzen.

Obwohl er von dem Geheimgang hinter dem mittleren Bücherregal des Arbeitszimmers wusste, benötigte er länger als erwartet, um den winzigen, in einer der Zierleisten versteckten Schalter zu finden.

Mit einem trockenen Ächzen des Holzes öffnete sich das Bücherregal wie eine Tür von ihm weg und gab den Blick auf eine dunkle, nach unten führende Treppe frei. Kolvar würde die Bücher nachher genauer in Augenschein nehmen. Da verbarg sich sicher manch wertvoller Schatz.

Die massiven Steinstufen der alten Treppe waren mit einer dicken Schicht Staub bedeckt. Er lief langsam hinab, darauf bedacht, dabei nicht zu viel Staub aufzuwirbeln. Der gläserne Löwenkopf seines Zauberstabes spendete genügend Licht, um die nähere Umgebung zu erhellen. Marwak schien den Gang nicht allzu oft benutzt zu haben.

Kolvar konnte es noch immer nicht begreifen. Wie hatte es Marwak nur wagen können, ihm eine so offensichtliche Falle zu stellen. Eine derartige Arroganz und Selbstüberschätzung sah ihm gar nicht ähnlich.

Kolvar runzelte die Stirn. Vielleicht hatte Marwak unter einem mächtigen Bann gestanden und war nicht mehr Herr seiner selbst gewesen. Dies würde immerhin auch das Auftauchen dieser entsetzlichen Bestie erklären. Kolvar wollte gar nicht darüber nachgrübeln, was die Kreatur mit der erbeuteten Seele alles anzustellen vermochte. Marwak würde mit Sicherheit keinen Spaß daran haben.

Am Ende der Treppe öffnete sich der Gang zu einem kuppelförmigen Raum. Im Raum selbst befanden sich zwei Tische, ein schmaler Schrank, der ihm bis zur Stirn reichte, ein Bücherregal und eine mit Edelsteinen verzierte Truhe, die genau in der Mitte des Zimmers auf einem runden Podest stand. Der Tisch war mit einer Vielzahl an Phiolen, verschieden großen Glasbehältern und Reagenzien zugestellt, der andere diente als Sekretär. Auf dem Sekretär befand sich ein unverschlossenes Tintenfass neben einem zur Hälfte beschriebenen Pergament. In der Ablage lehnte eine Schreibfeder, an deren Spitze Reste von Tinte getrocknet waren. Kolvar hob das Blatt an. Unbekannte Schriftzeichen! Alles machte den Eindruck, als wäre Marwak bei etwas unterbrochen wurden und hätte den Raum in großer Eile verlassen.

Kolvar schaute sich das Bücherregal genauer an. Darin befanden sich hauptsächlich Folianten, die sich mit Alchemie, Giften, magischen Tränken und Ähnlichem beschäftigten. Nichts wirklich Außergewöhnliches. An der Wand zwischen den beiden Tischen hing ein schwerer blauer Gobelin. Ein wertvolles, mit aufwendigen Stickereien versehenes Stück. Kolvar befühlte den Stoff. Der Gobelin war weich und ohne sichtbare Alterserscheinungen, als hätte man ihn erst vor Kurzem angefertigt. Diesen Schatz würde er sich nicht entgehen lassen.

Das wertvollste Objekt schien sich jedoch innerhalb der Truhe zu befinden. Überraschenderweise war sie unverschlossen. Kolvar hob die Abdeckung. Innen war die Truhe mit rotem Samt bespannt. In zwei separaten Aussparungen befanden sich ein kleines Buch und eine silberne Kapsel. Kolvar verstaute beides in seinem Gewand.

Eine seltsame Unruhe erfasste ihn plötzlich. Sein Körper erspürte instinktiv, dass eine Veränderung eingetreten war. Nicht sofort fassbar, berührte sie dennoch die Ebenen des Unbewussten. Er besaß ein untrügliches Gespür für Gefahr und hatte jetzt das drängende Bedürfnis, so schnell wie möglich von hier wegzukommen.

Er hatte sich kaum umgewandt, als der Boden erzitterte. Staub und kleine Steine rieselten von der Decke. Kolvar tippte auf die grauenhafte Kreatur, die sich Marwaks Seele bemächtigt hatte und in ihm wohl neue Beute witterte. Er lief, so schnell es ihm möglich war, wieder die Treppe hinauf. Mit wem oder was hatte sich der alte Zauberer da nur eingelassen?

Kolvar sondierte mit schnellen Blicken die Umgebung. Er konnte es sich nicht leisten, in dem riesigen Schloss die Orientierung zu verlieren.

Ohrenbetäubendes Krachen hinter ihm. Steine polterten zu Boden. Der Gang, durch den er gerade lief, schien kein Ende zu nehmen: eine von Marwaks lächerlichen Fallen, die ihm im Augenblick jedoch zum Verhängnis zu werden drohte. Silbern fächerte Mondlicht durch die schmalen Fenster links von ihm. Kolvar schüttelte verwirrt den Kopf, schließlich war es mitten am Tag. Endlich erreichte er die schwere massive Tür am Ende des Ganges. Er stieß sie auf und betrat die mit prachtvollen Gemälden und Wandverzierungen geschmückte Eingangshalle. Rechts und links von ihm führten breite Treppenfluchten zur nächsten Etage.

Die Präsenz eines mächtigen Wesens erstickte jegliche magische Energie im Raum. Die Kreatur suchte ihn, während ihm nur noch ein Ausweg blieb. Kolvar lief auf das massive Eingangsportal zu. Die Türen waren mit eindrucksvollen Schnitzereien versehen. Teufelsköpfe, in deren Augenhöhlen rote Edelsteine blitzten. Höhnisch starrten sie ihm entgegen. Kaum näherte er sich den beiden Türhälften, wanden sich schmale Äste aus dem alten Holz. Sie wuchsen in rasender Geschwindigkeit und schlangen sich dabei so dicht umeinander, dass sich die Tür nicht mehr öffnen ließ.

Kolvar hob den Stab. Seine Hände zitterten, während er den Zauber des Einfachen Verkümmerns sprach. Seine magischen Kräfte waren jedoch noch vom Kampf gegen Marwak geschwächt. Kurzzeitig schrumpften die Äste um eine Winzigkeit, nur um sich daraufhin umso machtvoller zu entfalten. Kolvar war gefangen. Obwohl er nicht genau wusste, was da auf ihn lauerte, war er sicher, dass es sein Ende bedeuten würde.

Der Boden bebte. Dumpfe, machtvolle Schläge. Die Erschütterungen waren so stark, dass Kolvar den Halt verlor und schmerzhaft gegen das Treppengeländer torkelte. Ihm blieb keine Wahl. Er zog eine winzige blaue Perle aus seinem Umhang und schleuderte sie so heftig auf den Boden, dass diese zerplatzte. Ein greller Lichtblitz erhellte die Eingangshalle und ein schimmerndes Portal entfaltete sich direkt vor ihm. Kolvar besaß nur diese eine Perle und es ärgerte ihn furchtbar, dass er das seltene Artefakt einer Portalmagie bei so einer unergiebigen Gelegenheit verschwenden musste.

Das wabernde Oval zeigte einen Ausschnitt sonnenbeschienen Waldes, auf den Kolvar mit wehendem Mantel zulief. Als hinter ihm der Boden aufbrach und wütendes Brüllen alle anderen Geräusche hinweg fegte, trat er schon in das weiche Gras einer weit entfernten Lichtung.

Die Aussicht aus dem Kristallglasfenster seines Arbeitszimmers erlaubte Kolvar einen umfassenden Blick auf den weitläufigen Garten seines Anwesens. Die altersschwache Sonne spendete mehr Licht und Wärme als üblich und hüllte die kunstvoll beschnittenen Bäume in sanftes rötliches Licht. Der Gärtner, den Kolvar seit einiger Zeit beschäftigte, vollbrachte wahre Wunder. Die aus aller Welt stammende Flora gedieh prächtig. Der wolkenlose Himmel überspannte die Landschaft mit der Illusion von Frieden und Unschuld.

Kolvar ging mit gemächlichen Schritten zurück an seinen Arbeitstisch. Dort lag, in der Mitte aufgeschlagen, Marwaks Buch. Daneben ruhte die silbern glänzende Kapsel. Es war ein grausiges Mitbringsel, das ihm da in die Hände gefallen war. Kein Wunder, dass Marwak es in diesem unterirdischen Versteck verborgen hatte. Kolvar musste das Buch erst mühsam übersetzen, da wichtige Teile in der geheimen Sprache der Schwarzmagier verfasst waren. Durch das Buch erfuhr er, dass sich im Innern der Kapsel ein Samen befand, der als »die Saat des Bösen« bezeichnet wurde.

Der Samen besaß tatsächlich teuflische Eigenschaften. Benetzte man ihn mit dem Blut eines Menschen und vergrub ihn, während man die in der Zeremonie vorgeschriebenen Beschwörungsformeln sprach, entwickelte sich der Samen innerhalb weniger Tage zu einer riesigen Frucht. Innerhalb der Frucht wuchs jedoch eine groteske Kreatur heran: Es war ein Doppelgänger jenes Menschen, von dem das Blutopfer stammte. Der Doppelgänger würde sich – sobald der Reifeprozess abgeschlossen war – aus der Frucht befreien, sein Ebenbild aufsuchen, es erschlagen und dessen Platz einnehmen. Dabei war der Doppelgänger jedoch jener Person untertan, welche die Zeremonie durchgeführt hatte. Kolvar war hier ein Schatz in die Hände gefallen, der den Verlust seiner Fluchtportalperle mehr als ausglich.

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