Kitabı oku: «OUTPOST», sayfa 3

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Kolvar setzte sich auf seinen hochlehnigen Arbeitsstuhl und blätterte nachdenklich in der Anleitung, die die Aussaat des Samens beschrieb. Er hatte lange auf eine Gelegenheit wie diese gewartet. Wie oft hatte ihn Ikondrar verspottet und ihn in der Akademie der Magier vor aller Augen gedemütigt. Eines musste sich Kolvar jedoch zähneknirschend eingestehen: Ikondrar war ein begabterer Magier als er. Doch das gab ihm nicht das Recht, ihn derart herablassend zu behandeln.

Kolvars ernstes Gesicht entspannte sich langsam, bis sich schließlich sein Mund zu einem dünnen Lächeln verzog. Seine Zeit würde kommen und Ikondrar würde für seine Anmaßungen büßen.

Die alles in Dunkelheit hüllenden schweren Regenwolken zogen davon und entblößten die blasse Silberscheibe des zerborstenen Mondes, dessen schroffe Buchkante im Moment im Schattenbereich lag. Dahinter leuchteten Tausende abgesprengter Gesteinsbrocken im Sonnenlicht. Ein dunkler und abgründiger Himmel, in dem nur wenige Sterne funkelten. Wenn man zu lange in die unendliche Leere blickte, konnte man den Verstand verlieren.

Kolvar wartete seit Einbruch der Nacht neben einem kleinen Gasthaus, aus dessen Schornstein eine klägliche Rauchfahne sickerte. Das kurze Unwetter hatte so heftig gewütet, dass selbst die Bettler an trockeneren Orten Unterschlupf gesucht hatten.

Es drang nur wenig Licht aus den schmutzverkrusteten Fenstern der Gastwirtschaft. Die strohgedeckte Hütte lag am Rande der Stadt, direkt neben einem eingefallenen Rest der ehemaligen Stadtmauer. Schäbige und ungepflegte Häuser, wohin er auch blickte. Die Armut war allgegenwärtig.

Kolvar fand es befremdlich, dass ein vermögender Arzt wie Baldrug in einem solchem – seinem Stand eigentlich unangemessenen – Gasthof einkehrte.

Es sollte noch einige Zeit dauern, bevor sich die Tür öffnete und der Arzt hinaustrat. Leicht angetrunken torkelte er über die Straße. Trotz der Kälte trug er seinen Mantel offen. Für Diebe und Totschläger wäre er so ein leichtes Opfer gewesen.

Kolvar trat aus dem Schatten.

»Einen schönen Abend, Herr Baldrug«, rief er ihn an. »So spät noch unterwegs? Plagt Euch der Kummer oder betrauert Ihr noch immer den tragischen Tod Eures Weibes?«

Baldrug hielt inne. Ein volles, jedoch von Traurigkeit gezeichnetes Gesicht, aus dem er Kolvar mit kleinen feuchten Augen anblickte. Kolvar konnte keine besondere Regung darin ausmachen. Er starrte Baldrug mit unverhohlener Abscheu in die Augen.

»Was … wollt Ihr … und woher wisst Ihr über den Tod meiner … Frau?«, fragte Baldrug mit schwerer Stimme, während er leicht vor und zurück schwankte.

»Ich weiß inzwischen Vieles über Euch«, flüsterte Kolvar. »Und das trotz der Tatsache, dass sich mein Interesse nur indirekt auf Eure Person bezieht.« Er umfasste Baldrugs Arm und zog ihn vom Eingang fort. »Machen wir einen kleinen Spaziergang, dann verrate ich Euch mehr.«

Baldrug verharrte unschlüssig, folgte ihm dann aber doch die mit groben Steinen gepflasterte Straße entlang. An deren Rändern häuften sich Küchenabfälle und Fäkalien, die selbst der starke Regen nicht mehr wegzuwaschen in der Lage war. Sie passierten einen Wachmann, der zusammengesunken und mit ausgestreckten Beinen schnarchend auf dem nassen Boden saß. Der Geruch von billigem Wein und Erbrochenem stach Kolvar in die Nase.

Sie verließen die trügerische Sicherheit der Stadt und erreichten einige Zeit später einen Landstrich, dem die Menschen der Gegend die Bezeichnung Nebeltal gegeben hatten. Das Licht des Mondes erhellte dürftig die Umgebung. Den schmaler werdenden Pfad säumten kahle Bäume, deren feuchte, glatte Rinde das Mondlicht reflektierte. Sie erreichten schließlich eine Lichtung, von der weitere Wege abgingen.

Baldrug hielt inne: »Nun sagt schon. Was wisst Ihr … und vor allem: Was wollt Ihr von mir?«

Kolvar zog seinen löwenkopfgeschmückten Zauberstab aus dem Umhang und schlug ihn hart auf den Boden. Leise murmelte er einen Zauberspruch. Direkt vor ihm fauchte plötzlich eine große, hell leuchtende Kugel silbern flackernde Funken aus der Dunkelheit. Innerhalb der Erscheinung zeichneten sich dunkle Schatten ab. Lichter, Farben und Formen wogten hin und her, flossen zusammen und lösten sich wieder voneinander. Schließlich bildeten sich deutlichere Konturen. Die schlanke Silhouette einer Frau wurde sichtbar. Baldrug wich einen Schritt zurück, als er erkannte, was sich dort abzeichnete.

»Meine Tochter!«, stöhnte er. »Was habt Ihr meinem Kind angetan?«

Kolvar bemerkte die Anspannung, die Baldrug erfasste. Er sah aus, als würde er ihn jeden Augenblick anspringen wollen. Doch der Quacksalber beherrschte sich.

»Eurem Kind geht es gut! Sie ist unversehrt und sie wird es auch bleiben, soweit Ihr bereit seid, mir einen kleinen Gefallen zu gewähren.«

Kolvar trat näher an Baldrug heran, der noch immer wie in Trance auf das von hellen Lichtern umtanzte Antlitz seiner Tochter starrte. »Solltet Ihr Euch jedoch widersetzen, wird sie verloren sein. Ihr habt zehn Tage Zeit, um mir meinen Wunsch zu erfüllen. Schafft Ihr es nicht, bin ich gezwungen, Eure Tochter für Euer Versagen büßen zu lassen.«

Baldrug schwieg, während er mit unerwartetem Aufbegehren Kolvars Blick erwiderte. Er schien jetzt völlig nüchtern zu sein.

»Sagt schon«, stieß er hervor. »Was soll ich für Euch tun?«

Kolvar griff in eine Tasche seines Umhangs und zog ein kleines Glasfläschchen hervor. »Bringt mir etwas von Ikondrars Blut. Ihr seid sein Leibarzt und dürftet keine Schwierigkeiten haben, an das Gewünschte zu gelangen.«

Baldrugs wankte einen Schritt zurück, als hätte ihn ein harter Schlag getroffen. »Wisst Ihr, was Ihr da von mir verlangt?« Sein Gesicht schimmerte blass. »Ikondrar ist höchst misstrauisch. Man munkelt sogar, er könne Gedanken lesen.«

»Weibergeschwätz!«, unterbrach ihn Kolvar barsch. »Denkt an Eure Tochter. Es ist Eure Entscheidung!«

Kolvar erwachte in seinem riesigen Bett, dass, von uralter Magie gehalten, etwas mehr als eine Handbreit über dem Boden schwebte. Ein quälender Schmerz pochte hinter seiner Stirn. Langsam richtete er sich auf, während sein Blick auf den makellosen Körper einer wunderschönen Frau fiel. Mit dem Rücken zu ihm und leicht in sich gekrümmt, ruhte sie völlig entspannt auf dem weißen Laken. Noch während er sie betrachtete, kehrten die Ereignisse des gestrigen Tages in sein Gedächtnis zurück.

Es war später Nachmittag gewesen. Die ersten aus Silberhof angereisten Händler hatten schon begonnen, ihre Waren zurück in die Wagen zu laden. Wie immer hatte Kolvar auf dem Markt mehr Geld als geplant ausgegeben und war schließlich in einer Gastwirtschaft eingekehrt. Kaum war er nach üppigem Mal und etwas zu viel Wein wieder ins Freie getreten, sprang ihn jemand von der Seite an.

Übler Mundgeruch stieß ihm entgegen, und er blickte auf ein hageres ungepflegtes Gesicht unter der löchrigen Kapuze. Der Angreifer war ihm schon in der Gastwirtschaft aufgefallen. Kolvar hatte sich während des Essens beobachtet gefühlt. Eine mit dunkler Kutte bekleidete Gestalt hatte ständig in seine Richtung geblickt, aber den Gasthof schließlich verlassen. Kolvar vermutete, dass er draußen, versteckt hinter der Pferdetränke, auf ihn gewartet hatte.

Der Überfall geschah innerhalb weniger Augenblicke. Der Bandit zwängte sich wie ein bösartiges Raubtier hinter ihn und zog mit erstaunlicher Kraft seine Arme nach hinten. Als er gerade dabei war, sein Messer über Kolvars Kehle zu ziehen, trat eine Frau aus dem Schatten. In ihren Händen ruhte eine scharfgemachte Armbrust. Der Bandit verharrte in seiner Bewegung und Kolvar spürte, wie das scharfe Messer leicht seinen Hals ritzte.

»Lasst ihn frei!«, rief sie. »Oder ich jage Euch einen Bolzen in den Kopf.«

Der Dieb lockerte seinen Griff ein wenig, sodass Kolvar wagte, wieder ein wenig Luft zu holen.

»Törichtes Weib«, erwiderte der Dieb fassungslos. »Warum stört Ihr mein Tun? Ist Euch das Opfer bekannt?«

»Ich bin nur nicht gewillt, mit anzusehen, wie rechtschaffene Bürger auf offener Straße von Euresgleichen aufgeschlitzt und ausgeraubt werden.«

Der Dieb lachte dumpf. »Rechtschaffene Bürger. Der feine Herr hier hat sicher mehr Blut an seinen Händen, als ich es jemals haben werde.«

»Geht!«, rief die Frau. »Bevor mir die Hand zu sehr zu zittern anfängt, und behaltet das Geschwätz für Euch!«

Der Dieb stieß Kolvar auf den durchweichten, matschigen Boden und wurde Teil der Dunkelheit.

Kolvar durchströmte eisige Kälte, als er begriff, wie knapp er am gestrigen Abend dem Tode entronnen war. Purer Zynismus: Da konnte er mächtige magische Energien entfesseln, um selbst gewaltige Ungeheuer zu Fall zu bringen, doch gegen das scharfe Messer eines Diebes, der sich in der Finsternis der Nacht anschlich, war er machtlos.

Die Schönheit in seinem Bett rekelte sich, drehte sich zu ihm und schaute ihn aus blau leuchtenden Augen an.

»Habt Ihr gut geschlafen?«, fragte Kolvar und legte sein strahlendstes Lächeln auf.

»Ausgezeichnet«, antwortete sie, zog die Beine an und lächelte zurück.

»Ich weiß immer noch nicht genau, wie ich Euch in ausreichendem Maße danken kann?«, schmeichelte er ihr. »Ihr habt völlig ohne Eigennutz Mut bewiesen und dabei Euer Leben riskiert. Das ist außergewöhnlich!«

»Ihr habt mich schon dadurch beschenkt, mir Einlass in Euer Anwesen gewährt zu haben«, erwiderte sie. »Das ist ein großer Vertrauensbeweis!«

»Gebt Euch nicht so bescheiden«, sagte Kolvar. »Ihr habt Euch Anerkennung und eine angemessene Entlohnung verdient. Ich hoffe, Ihr habt einen gesunden Appetit. Ich habe uns ein Frühstück anrichten lassen.«

Kolvar saß schon weit über die vereinbarte Zeit an einem Tisch der Gastwirtschaft »Zur gelben Kröte« und leerte das dritte Glas Wein. Er gab der Wirtin ein Zeichen, dass er seine Zeche zu begleichen wünsche, als Baldrug doch noch im Eingang der Schenke erschien. Seine Bewegungen waren schwerfällig und sein blasses, dickliches Gesicht wirkte wie die Haut eines Toten. Baldrug sah aus, als wäre er dem Teufel persönlich begegnet.

»Wo wart Ihr so lange?«, rief Kolvar verärgert. »Ist Euch das Leben Eurer Tochter nichts wert? Ihr enttäuscht mich …«

»Beruhigt Euch!«, flüsterte Baldrug erschöpft. »Ich habe das von Euch Gewünschte bei mir. Das Vorhaben erwies sich jedoch schwieriger als …«

»Erspart mir die Einzelheiten!«, unterbrach ihn Kolvar. »Gebt mir die Phiole!«

Baldrug griff in die Innentasche seines Mantels, dessen teurer Stoff matt schimmerte, und reichte Kolvar das in blaues Tuch eingeschlagene Fläschchen.

Kolvar nahm die Phiole mit der kostbaren Flüssigkeit an sich und verstaute diese in seinem Gewand. Dann ließ er einen kleinen Lederbeutel mit Silbermünzen auf den Tisch fallen. »Das ist für Euch, schließlich bin ich kein Geizhals. Eure Tochter darf jedoch noch so lange meine Gastfreundschaft genießen, bis ich Gewissheit habe, dass Ihr mir nicht das Blut eines Taugenichts oder gar eines Hundes vermacht habt.«

Baldrug erhob sich wutentbrannt und stieß dabei den schweren Tisch zurück. »Ihr habt mich betrogen! Ich will meine Tochter zurück.«

Kolvar blieb ungerührt sitzen: »Habt Ihr mir das Gewünschte gebracht, ist Eure Tochter in wenigen Tagen wieder bei Euch, ohne dass ihr ein Leid geschieht. Habt Ihr mich dagegen betrogen, geht sie in meinen Besitz über und Euch werde ich töten.«

Baldrug erwiderte Kolvars herausfordernden Blick und stieß den Beutel mit den Münzen von sich. »Gebt mir meine Tochter unversehrt zurück, mehr verlange ich nicht.«

Der Tag zog sich warm und sonnig dahin. Die greise Sonne übergoss die sanft geschwungene Landschaft mit mildem, rötlichem Licht. Die Luft war so klar wie schon lange nicht mehr, sodass Kolvar bis zu den weißen schmalen Türmen der Stadt blicken konnte.

Kolvar spazierte durch seinen geliebten Garten, in den er sich gern zurückzog, wenn er schweren Gedanken nachhing, oder einfach nur Entspannung suchte. Diesmal war er jedoch nicht hier, um Zerstreuung zu finden. Zielgerichtet lief er auf die kleine Anhöhe am Rand eines kleinen Kräuterbeetes zu. Der Gärtner hatte dort ein Loch ausgehoben und die Erde reichlich mit Wasser getränkt. Kolvar schien es so, dass außer dem Geruch von feuchter Erde auch noch ein Hauch Verwesung in der Luft lag.

Er entnahm den Samen der Kapsel und hielt ihn über das Loch. Das Samenkorn schien sich zwischen seinen Fingern zu winden. Angewidert ließ er es fallen. Kolvar zog hastig das Fläschchen mit Ikondrars Blut aus seinem Umhang, entfernte den Pfropfen und träufelte es über den unscheinbaren Keimling. Seine Lippen murmelten unterdessen die auswendig gelernten Beschwörungen. Nach Abschluss der Prozedur bedeckte er den Samen mit der ausgehobenen Erde. Mit einem kleinen Spaten drückte er schließlich den aufgelockerten Boden wieder fest. Kaum hatte er dies erledigt, durchströmte ihn ein Gefühl intensiver Erleichterung. Schnell kehrte er in sein Anwesen zurück.

Die magischen Energien, die in dem Samen gebunden waren, spürte er selbst dann noch, als er im Schaukelstuhl seiner Bibliothek seinen Nachmittagstee zu sich nahm.

Kolvar saß in seinem kleinen Arbeitszimmer im Nordturm und untersuchte ein archäologisches Artefakt, das ihm ein reisender Händler vor ein paar Wochen auf dem Markt angeboten hatte. Den Angaben des Händlers zufolge stammte das seltene Stück aus den Blutwüsten weit im Süden des Landes. Ein rundes bronzenes Objekt, ähnlich einem Amulett. Es war an einer langen dünnen Kette befestigt, die man sich um den Hals hängen konnte. Auf seiner Oberfläche befand sich eine Vielzahl unterschiedlich großer Erhebungen, die – sobald man sie mit dem Finger berührte – schwach zu leuchten begannen. Dabei gab das Artefakt ein tiefes Brummen von sich. Kolvar schätzte den Wert des Objektes recht hoch, kam bei seinen Untersuchungen jedoch kaum einen Schritt weiter.

Völlig außer Atem, stürzte plötzlich Kolvars Gärtner ins Arbeitszimmer. Mit ernstem und starrem Gesicht hatte er Kolvar in den letzten Tagen detailliert darüber Bericht erstattet, dass sämtliche Vegetation in der Nähe des neu gepflanzten Samens verkümmert war. Sogar das widerstandsfähige Trompetengras verdorrte zu unansehnlichen schwarzen Strünken. Dafür gedieh die Frucht des Samens prächtig und blähte sich wie ein riesiges Kürbisgewächs auf.

»Entschuldigt mein Eindringen, Herr, aber in der Frucht regt sich etwas ganz und gar Unheimliches. Als mich dieses Etwas aus dem Inneren der Pflanze heraus anknurrte, packte mich die Angst. Verzeiht mir, Herr … ich konnte nur noch davonlaufen …«

Kolvars Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Es geschieht alles so, wie es vorgesehen ist. Keine Furcht, du bist geschützt und in Sicherheit.«

Er erhob sich langsam von seinem Stuhl: »Vielleicht ist es ja schon so weit. Ich sollte selbst einmal nachsehen.«

Vielfarbige Schmetterlinge tanzten in der Luft, als Kolvar aus der schmalen Tür trat, die eigentlich für die Dienstboten vorgesehen war. Diese besonderen Schmetterlinge gehörten nicht zur Gattung der Insekten, sondern waren Teil einer Pflanze, die sich auf diese Art fortpflanzte. Die falschen Schmetterlinge konnten deshalb auch nur in unmittelbarer Nähe der Pflanze überleben. Kolvar lief dicht begrünte Wege entlang. Prächtige Blüten hatten sich der Sonne geöffnet und wiegten sich im sanften Wind.

Je näher Kolvar dem gepflanzten Samen kam, umso weniger Blüten gab es zu bewundern. Viele Blätter waren verdorrt oder begannen gelb und braun zu werden. Manche Pflanzen dagegen waren dicht mit weißem Schimmel überzogen. Ein stärker werdender Geruch nach Verwesung drang ihm in die Nase. Schließlich erreichte er die Stelle, an der er den Samen gepflanzt hatte.

Die Größe der Frucht übertraf Kolvars Erwartungen. Ihre Hülle erinnerte ihn an dunkle ledrige Haut, unter deren grünlich schimmernder Oberfläche sich ein dicht verästeltes Adergeflecht ausbreitete. Die monströse Frucht schien wie im Rhythmus eines Herzschlages zu pulsieren.

Eine Stimme krächzte. Es klang, als versuchte ein Tier, sich in menschlicher Sprache zu artikulieren. Kolvar trat näher an den bizarren Fruchtkörper heran. Vorsichtig berührte er mit seinen Fingerspitzen dessen feucht glänzende Oberfläche. Diese fühlte sich wie sprödes Pergament an.

Kolvar zuckte zurück, als eine rötlich schimmernde Hand die Fruchthülle durchstieß. Stinkende, gelbliche Flüssigkeit quoll aus der Öffnung und ein grausiges Gebrüll, wie nur Irrsinnige es hervorzubringen vermochten, drückte sämtliche anderen Geräusche nieder. Eine zweite Hand drängte sich durch die entstandene Öffnung und beide Hände drückten die Bruchstelle auseinander. Ein Riss öffnete sich. Mehr und mehr Flüssigkeit sprudelte hervor und benetzte den Boden. Ein unangenehm reißendes Geräusch ertönte plötzlich. Die Öffnung vergrößerte sich schlagartig. Mit einem gewaltigen Schwall wurde die eingeschlossene Kreatur hinaus auf die Erde gespült. Die Frucht fiel mit feuchtem Schmatzen in sich zusammen.

Das schleimüberzogene Wesen lag einige Augenblicke völlig regungslos inmitten der dampfenden Brühe. Dann kam Leben in den bleichen Leib. Langsam erhob sich die unheimliche Gestalt. Kolvar wich zurück, als er in das Gesicht der Kreatur blickte. Schleimfäden hingen ihm von Nase, Lippen und Stirn. Es bestand kein Zweifel, es war sein eigenes Gesicht, in das er da blickte.

»Das kann nicht sein«, stammelte Kolvar.

Hinter ihm ertönte das Lachen des Gärtners: »Es geschieht alles so, wie es vorgesehen ist.«

Kolvar drehte sich um und sah gerade noch die Gestalt des Gärtners verschwimmen und sich seltsam verzerren. Das Gesicht gerann kurzzeitig zu einer grotesken Fratze und einen Augenblick später stand der spöttisch lächelnde und makellos gekleidete Ikondrar vor ihm. Ein simpler Verwandlungszauber …

»Baldrug hat mir alles gestanden«, sagte Ikondrar, dessen unbeschwerter Blick Kolvar schmerzhafte Stiche versetzte. »Ich habe daraufhin einen Überfall arrangiert, um Euch mit der bezaubernden Leena bekannt zu machen. Sie besorgte mir etwas von Eurem wertvollen Blut. Ihr habt nicht einmal bemerkt, dass sie Euch ein Schlafmittel in den Wein mischte. Ihr könnt Euch sicherlich denken, wofür ich das Blut benötigte …«

Kolvar traf ein harter Schlag auf den Hinterkopf, sodass er nach vorn taumelte und beinahe zu Boden stürzte.

»Verzeiht mir, dass ich nicht zusehen kann, wie Euch Euer Ebenbild von Eurer jämmerlichen Existenz befreit«, rief Ikondrar. »Ich muss noch Baldrugs Tochter aus Eurem simplen magischen Gefängnis befreien. Dafür habt Ihr doch sicher Verständnis.«

Kolvar traf ein weiterer heftiger Schlag auf den Rücken. Es gelang ihm, sich umzuwenden, bevor die nächste Attacke auf ihn niederprasselte.

In dem so vertrauten Gesicht seines Doppelgängers zeichnete sich nicht die geringste menschliche Regung ab.

Time Erase

Paul nannte den Mars auch gern den Planeten der gescheiterten Beziehungen. Kein normaler Mensch würde freiwillig seine Zeit hier verbringen. Früher gingen die Menschen ins Kloster, um sich eine Auszeit von der Welt zu nehmen. Heute flogen sie zum Mars.

Der Blick aus dem zerkratzten Cockpitfenster des kleinen Rovers wirkte trostlos und unspektakulär. Er hätte sich ebenso gut zwischen den endlosen Dünenflächen einer irdischen Wüste befinden können. Der Sand besaß vielleicht eine etwas rötlichere Tönung, doch dies konnte auch auf Einbildung zurückzuführen sein. Zumindest die Sonne brannte hier kleiner und stechender vom Himmel herab, als auf der Erde.

Die Werbefilme der EMP vermarkteten den Mars als großes Abenteuer für wagemutige Frauen und Männer. In Wirklichkeit bestand der größte Teil der hier verbrachten Zeit aus monotonen Reparatureinsätzen und dem Warten auf die nächste Havarie. Hinzu kam ein täglich zu absolvierendes Muskelaufbautraining von mehreren Stunden. Ohne dieses Training würde der Muskelapparat – der geringeren Schwerkraft wegen – innerhalb weniger Wochen spürbar an Masse verlieren. Spannend war dies allenfalls für Fitnessfanatiker.

Durch die dünne Atmosphäre konnte Paul schon von Weitem den Turm der automatischen Abbauanlage erkennen. Die sich vor dem helleren Hintergrund abzeichnende Silhouette erinnerte ihn ein wenig an den vor zwölf Jahren bei einem terroristischen Anschlag gesprengten Eiffelturm.

Seit zwei Stunden war er jetzt auf den Beinen. Das automatische Störungsposting hatte ihn nach nur vier Stunden Schlaf aus den Träumen gerissen. Ein Teil des Kühlsystems war ausgefallen und die Anlage arbeitete nur noch mit halber Leistung. Seinen Auftraggeber, die LMC, kosteten solche Ausfälle ein Vermögen. Die Unterhaltung eines marsianischen Außenpostens zählte noch immer zu den teuersten unternehmerischen Projekten weltweit. Regierungen allein konnten solch kapitalintensive Vorhaben schon lange nicht mehr stemmen. Fast alle demokratischen Länder der Erde waren inzwischen stark verschuldet und besaßen kaum noch wirtschaftlichen Einfluss. Die immer weiter erodierenden Staatengebilde verwalteten allenfalls die wachsende Armut und koordinierten regionale Ressourcenkriege, die von privat verwalteten Armeen geführt wurden. Die Privatwirtschaft war daher bei der Eroberung des Sonnensystems federführend.

Eine Erschütterungswelle durchlief den Boden. Im selben Augenblick schnellte eine silbern schimmernde Nadel aus der flachen Kuppel der Abbauanlage. Der winzige Punkt verlor sich im dunklen Marshimmel.

Die abgebauten und aufbereiteten Metalle wurden mittels einer Induktionsschleuder in Richtung Erde geschossen. Ein riesiges Projektil aus massivem Metall. Um Kurskorrekturen vornehmen zu können, verbaute man winzige Seitentriebwerke an dem Zylinder. Ein Fallschirm sorgte dann für eine weiche Landung auf der Erde.

Ohne einmal vom Kurs abzuweichen, setzte der Autopilot des Rovers die Fahrt fort. Etwa zwanzig Minuten von der Abbauanlage entfernt, stach plötzlich spitzes Pfeifen in seine Ohren. Dunkel huschte etwas durch sein Blickfeld. Kurz darauf eine rot leuchtende Explosion. Der Rover schlingerte, während Paul kräftig durchgeschüttelt wurde. Die Gurte schnitten schmerzhaft in seine Haut und die Sitzaufhängung ächzte unter der Belastung. Sekunden später kam das Fahrzeug zum Stehen. Stille. Eine rot blinkende Anzeige informierte über einen leichten Druckabfall. Erst jetzt spürte Paul, dass seine Hände verkrampft die Armlehnen umklammerten. Er lockerte den Griff. Lehnte sich zurück. In seinem Kopf drehte sich alles. Eine leichte Benommenheit, als hätte er in kurzer Zeit eine halbe Flasche Wein geleert.

Draußen lichtete sich langsam der hochgewirbelte Staub und die Konturen der Landschaft traten wieder hervor. Durch das Cockpitfenster erblickte er einen kleinen Krater, den es zuvor hier nicht gegeben hatte. Obwohl Meteoritenabstürze auf dem Mars nur unwesentlich häufiger als auf der Erde vorkamen, hatte er beinahe das Glück gehabt, von einem dieser kosmischen Vagabunden pulverisiert zu werden.

Sein Blick wanderte über die Bereitschaftsanzeigen. Bis auf den minimalen Druckabfall befand sich alles im grünen Bereich. Paul war gerade dabei, den Autopiloten neu zu starten, als er auf ein helles Flimmern aus dem Krater aufmerksam wurde.

Das Fauchen verstummte. Druckausgleich erfolgreich. Die Ausstiegsluke entriegelte sich mit einem deutlich vernehmbaren Klicken und öffnete sich automatisch. Er trat in dem silbern schimmernden Raumanzug ins Freie. Einen Augenblick lang fühlte er sich wie einer jener legendären Marspioniere, die damals ohne Rückfahrkarte auf dem Planeten gelandet waren. Drei Monate später verursachte eine schwere Havarie einen Ausfall der lebenserhaltenden Systeme. Nach einer von den Medien bis zur Schmerzgrenze zelebrierten Trauerzeit waren die Menschen, die hier ihr Leben gelassen hatten, schnell vergessen.

Paul stapfte langsam auf den Krater zu. Durch die geringere Gravitation spürte er die Schwere des Raumanzugs kaum. Der Boden war recht fest und von unzähligen Steinbrocken übersät. Die Sonne stand in seinem Rücken und Paul warf einen meterlangen, scharf umrissenen Schatten, der bis an die Einschlagstelle des Meteoriten heranreichte. Der Krater hatte einen Durchmesser von ungefähr zehn bis fünfzehn Metern. Er näherte sich dem spitz aufgeworfenen Randbereich. Schaute hinein.

Sein Blick fiel auf eine weiß schimmernde Membrane, die den unteren Bereich der Kratersenke verschloss. Paul schwankte zurück. Er hatte viele Science-Fiction-Filme gesehen und bisher geglaubt, durch nichts so schnell aus der Bahn geworfen werden zu können. Doch es war etwas anderes, selbst dem Unbekannten gegenüberzustehen, ohne auch nur die geringste Ahnung davon zu haben, was als Nächstes geschehen würde.

Seine wachsende Unsicherheit wegdrückend, tat Paul einen weiteren Schritt nach vorn. Im selben Augenblick glitt ihm der Boden unter den Füßen weg. Sand floss in schmalen Strömen in die Tiefe. Er verlor den Halt. Stürzte mit den Füßen voran nach unten. Mit den Händen versuchte er, seine Abwärtsbewegung zu stoppen. Doch er setzte nur noch mehr Sand in Bewegung. Sand, der ihn wie Wasser umfloss und mit ihm in die Tiefe rutschte. Alles in ihm begann sich zu verhärten, während sich seine Füße der Membrane näherten. Einen Augenblick lang fühlte er sich schwerelos. Seine Gedanken wirbelten.

Schließlich durchbrachen seine Füße die unruhig flackernde Fläche. Drangen nach und nach tiefer. Paul spürte nichts davon. Er hatte mit intensiven Empfindungen gerechnet. Einem Kribbeln oder einer Art Taubheitsgefühl. Doch er spürte nicht das Geringste. Die Membrane veränderte langsam die Farbe. Das flackernde Weiß begann aufzuwallen. Begann sich zu färben. Es wurde zu einem kräftigen Rot, welches langsam den Raumanzug hinaufkroch.

Plötzlich Schmerz. Glutrotes Brennen, das sich rasend schnell in seinem Körper ausbreitete. Schmerz, der ihn vollständig ausfüllte.

Paul schrie.

Dunkelheit.

Leises Rauschen.

Lichter schälten sich langsam aus der Schwärze.

Paul sah diese Lichter nicht wirklich. Er nahm sie wahr. Ohne das eingeschränkte Blickfeld seiner Augen. Er war nicht nur Mittelpunkt. Er war überall.

Die Lichter wuchsen. Die Lichtquellen waren in immer gleichen Abständen angeordnet. Ein riesiges dreidimensionales Raster.

Die Stille brach. Sein Name. Eine Stimme, die aus allen Richtungen zu kommen schien. Er versuchte, sie zu lokalisieren. Ergebnislos.

Eine der Lichtquellen veränderte sich. Sie pulsierte, wuchs an. In ihrem Inneren erkannte er unzählige Lichtfäden, in denen Ströme aus Energie flossen. Plötzlich begriff er so vieles.

Etwas zog ihn an.

Der Raum und die in endloser Wiederholung angeordneten Lichter … alles krümmte sich … verbog sich.

Er im Zentrum.

Licht, Energie, Geräusche, Palises, Korasus …

Alles strömte auf ihn zu.

Wissen. Begreifen. Evolution.

Stille. Absolut.

Zurückschrecken.

Gefühle. Unfühlbar.

Wissen. Unfassbar.

Er spürte, wie ihm alles genommen wird.

Verlöschen. Ablehnung. Zurückstoßen.

Dann … Dunkelheit.

Sterben.

Sterben …

… Paul stapfte langsam auf den Krater zu. Durch die geringere Gravitation spürte er die Schwere des Raumanzugs kaum. Der Boden war recht fest und von unzähligen Steinbrocken übersät. Die Sonne stand in seinem Rücken und Paul warf einen meterlangen, scharf umrissenen Schatten, der bis an die Einschlagstelle des Meteoriten heranreichte. Der Krater hatte einen Durchmesser von ungefähr zehn bis fünfzehn Metern. Er näherte sich dem spitz aufgeworfenen Randbereich. Schaute hinein. Der Mittelpunkt des Kraters lag im Dunkeln. Er schaltete den Helmscheinwerfer ein und ließ den Lichtkegel über den staubigen Boden wandern. Paul hatte mit etwas Metallischem gerechnet. Ein vergessenes Wrackteil vielleicht, das am Rand des Kraters das Sonnenlicht reflektiert hatte. Doch da war nichts. Hier gab es nur einen von vielen langweiligen Kratern, wie sie den Mars zu Tausenden bedeckten.

Paul schaltete den Helmscheinwerfer aus und machte sich auf den Rückweg zum Rover. Wie ein riesiger Urzeitkäfer, durch das Gegenlicht nur als Schattenriss erkennbar, stand das Gefährt in der Landschaft.

Paul drehte sich noch einmal um. Ihn beschlich das eigenartige Gefühl, etwas vergessen zu haben. Eine Ahnung, von etwas Wichtigem. Doch da war nichts.

Leise ein Lied summend, setzte er seinen Weg fort.

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