Kitabı oku: «Perlen ohne Glanz», sayfa 2

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EINE PERLE OHNE GLANZ

Seit Anfang des Jahres hatte Dana immer wieder Bauchschmerzen. Inzwischen war es schon Mitte Mai und Frau Furler, ihre Mutter, hatte gehofft, dass es nach dem Winter besser werden würde.

Dana stand am Fenster und weinte.

»Noch immer Bauchweh?«, fragte die Mutter.

Dana legte ihre Hände an den Bauch und nickte.

»Du musst noch ein bisschen warten, gleich geht’s dir besser.«

Das Kind zog die Schultern hoch, sagte aber nichts.

»Willst du dich lieber hinsetzten?«

Dana schüttelte den Kopf. »Dann sehe ich ja nichts«, flüsterte sie.

»Noch fünf Minuten, dann kommt das Schiff«, versuchte die Mutter die leidende Dana abzulenken. Ablenkung half manchmal. Immer diese Bauchschmerzen, dachte sie. Und das jetzt schon ein halbes Jahr lang. Kein Arzt kann uns sagen, was sie hat. Hoffentlich hilft die neue Idee!

»Gibt es irgendetwas, das Dana sich sehr wünscht?«, hatte der Kinderarzt gefragt. »Oder etwas, worüber sie sich sehr freuen würde? Gehen Sie doch mal in den Zoo oder auf einen Reithof«, hatte er vorgeschlagen. »Vielleicht ist das die beste Medizin!«

Danas Mutter hatte sofort mit ihrem Mann gesprochen. Schon am nächsten Tag hatte er angerufen und ihr von seiner »sehr guten Idee« erzählt. Sie erinnerte sich noch gut an das Gespräch am Telefon.

»Weißt du, ich glaube, ein Tier könnte ihr helfen. Man hört doch immer wieder, dass Tiere eine heilsame Wirkung auf Kinder haben.«

»Meinst du Delfine?« hatte sie gefragt. »Delfine haben wir nicht in unserem See.«

»Es müssen ja nicht gleich Delfine sein, was ist mit einer Katze, einem Hund, oder …«

»Einem Pferd?«

»Ja, genau, ein Pferd!«

»Es muss natürlich ein kleines Pferd sein, Dana ist ja erst fünfeinhalb.«

»Ja, natürlich … Und Platz haben wir ja in unserem Stall.«

»Aber wie kommen wir zu einem Pferd?«

»Lass das mal meine Sorge sein, ich schicke meine Leute los …«

»Mama, komm«, rief Dana laut, »ich sehe das Schiff.«

Danas Mutter eilte zum Fenster und stellte Dana auf den Fenstersims. Sie konnte jetzt auch das Ufer sehen, wo das Schiff anlegte. Genau im richtigen Augenblick, denn jetzt fuhr ganz langsam ein Auto mit einem Anhänger auf den Hof. Dana bemerkte nichts. Sie beobachtete, was unten am Ufer passierte. Ein paar Leute stiegen aus dem Schiff, andere gingen über den kurzen Steg ins Boot. Es waren immer nur wenige Menschen, die ein- oder ausstiegen. Nach zehn Minuten legte das Schiff wieder ab und fuhr auf die gegenüberliegende Seite des Sees. Oft stand Dana so lange am Fenster, bis sie das Boot nicht mehr sehen konnte. Aber nicht heute.

»Wie geht’s dem Bauch?«, fragte Danas Mutter.

»Besser«, antwortete Dana, ohne sich umzudrehen.

»Komm, ich will dir was zeigen«, sagte die Mutter mit halblauter Stimme.

»Nein, lass mich noch ein bisschen schauen, ich seh das Boot noch.«

Danas Mutter ging auch ans Fenster und legte ihren Arm um Danas Schulter. Sie tat so, als wäre das andere, was sie ihr zeigen wollte, nichts Besonderes. Darum redete sie langsam. »Aah-Ohahaaa«, gähnte sie, »dann schaue ich halt allein ….« Sie ging ein paar Schritte, drehte sich dann aber wieder zurück zu Dana. »Aber vielleicht ist das, was ich dir zeigen will, dann traurig, wenn ich ohne dich komme.«

Dana spürte, dass ihre Mutter nur mit ihr spielte. In ihrer Stimme lag etwas Geheimnisvolles. Sie drehte sich zu ihr und streckte ihre Arme aus. »Maamaaa, was willst du mir zeigen?«, fragte Dana nun voller Erwartung. Ihre Augen glänzten.

Die Mutter öffnete ihre Arme: »Spring!« Sie stellte Dana auf den Boden und machte eine wegwischende Handbewegung: »Ich verrate nichts, du musst schon mitkommen.«

»Dann los«, lachte Dana, »ich will’s jetzt sehen.« Sie fasste die Hand der Mutter und riss sie mit zur Tür.

Der Wagen mit dem Anhänger war inzwischen wieder vom Hof gefahren. Dana sah nichts Auffälliges, als sie aus der Tür trat. Als ahnte sie etwas, zog sie ihre Mutter zum Stall. Im Vorderteil waren allerlei Geräte abgestellt: Rasenmäher, Leitern, Baumscheren und ein alter Pflug vom früheren Besitzer. Der hintere Teil war leer. Bis heute.

Dana zog ihre Mutter zur hinteren Tür und öffnete sie vorsichtig einen Spaltbreit. Ein besonderer Geruch schlug ihr entgegen. Links bewegte sich etwas. Dana hielt den Atem an und öffnete die Tür etwas weiter. Langsam drehte sie ihren Kopf nach links und guckte um die Ecke: »Ein Pferd!«, prustete sie laut. »Mama, ein Pferd!« Sie war so aus dem Häuschen, dass sie die Tür wieder zuschlug, ihre Mutter ansprang, sie drückte, wieder losließ und sich erneut auf die Tür stürzte, so als wollte sie nachprüfen, ob sie wirklich richtig gesehen hatte. »Mama, ist das mein Pferd?«

»Ja, mein Schatz, das ist dein Pferd.«

Die Mutter hatte Tränen in den Augen, weil Dana sich so freute. Die schien erst jetzt zu begreifen, dass da ein Pferd im Stall stand, das ihr gehörte. Sie drückte die Tür wieder zu, hüpfte um ihre Mutter herum, klatschte in ihre Hände, jauchzte und lachte. Die Freude war zu groß, sie konnte einfach nicht ruhig sein und still stehen.

Danas Mutter wurde von dieser Freude angesteckt und konnte jetzt auch nicht mehr ruhig dastehen. Sie hatte ihr Kind schon lange nicht mehr so fröhlich erlebt. Sie schnappte ihre tanzende Tochter, drückte sie fest an ihr Herz und drehte sich im Kreis mit ihr. Bis ihr schwindlig wurde. Hurtig lehnte sie sich an die Tür und atmete zweimal tief durch. Auch Dana wurde jetzt wieder ruhiger.

»Komm, wir gehen jetzt zusammen in den Stall«, sagte die Mutter. Sie fasste die Hand ihrer Tochter, die leicht zitterte, und öffnete langsam die Tür. Schritt um Schritt näherten sie sich dem Pferd.

»Es ist schwarz«, stellte Dana fest. »Wie heißt es?«

»Lia«, sagte die Mutter leise, »dein Pferd ist ein Mädchen und es heißt Lia.«

»Lia«, hauchte Dana verliebt und streckte ihre Hand nach ihr aus, um sie am Kopf zu streicheln. Lia wich etwas zurück.

»Weißt du, Dana«, erklärte die Mutter, »Lia ist noch ein bisschen aufgeregt von der Reise zu uns. Du wirst sehen, bald wird sie sich von dir streicheln lassen. Schau doch, sie fühlt sich bei uns schon ein bisschen zu Hause, sie frisst ja schon«.

Dana und ihre Mutter blieben noch eine Zeit lang vor dem Trog stehen und schauten, wie Lia ihr Maul in den Trog steckte, etwas Korn mit ihren Lippen aufnahm und geräuschvoll zerkaute.

Dana ging an diesem Tag später ins Bett als sonst. Sie war einfach zu aufgeregt, um schlafen zu können. Sie hatte auch schon mit ihrem Vater telefoniert und ihm von Lia erzählt. Aber dann kam doch die Müdigkeit und Dana wollte ins Bett. Wie jeden Abend betete ihre Mutter mit ihr, bevor sie einschlief. Auch Dana sprach oft ein kurzes Gebet. Meist hatte sie darum gebeten, dass die Bauchschmerzen aufhörten. Diesmal dankte sie Gott für Lia und schlief mit einem Lächeln ein. Mit Tränen der Dankbarkeit ging Frau Furler leise aus dem Zimmer und dachte: Dana ist wieder froh.

EINE STRAHLENDE FRAU

Erwin lebte in einer gemütlichen Wohnung und es ging ihm gut. So lange er denken konnte, war dies sein erster Sommer ohne viel Arbeit.

Er aß gesund.

Er schlief viel.

Er arbeitete nicht.

Er hatte keine Sorgen.

Er hustete nicht mehr und fühlte sich wieder fit.

Wer gut isst, wer genug schläft, wer nicht schwer arbeitet, wer keine Sorgen hat und nicht krank ist, der ist ein glücklicher Mensch, dachte er. Wenn Leute ihn fragten: »Wie geht’s?«, antwortete er: »Gut, mir geht es ausgezeichnet.«

Aber bald hörte er auf, so zu denken, und sagte sich, es stimmt einfach nicht, ich bin nicht wirklich zufrieden. Und so entschied er, nie mehr zu sagen, dass es ihm wirklich gut ginge. Es fehlte etwas: eine Aufgabe, eine sinnvolle Tätigkeit. Ja, und sicher auch eine Partnerin, mit der er sein Leben teilen konnte. Einfach nur allein rumzuhängen, macht keinen Sinn, stellte er fest.

Wenn Leute ihn jetzt fragten, wie es ihm gehe, dann antworte er lediglich: »Gut«, und dachte gleichzeitig: Aber ich bin innerlich nicht wirklich erfüllt! Das war die Wahrheit, und es reichte, wenn die Leute nur die eine Hälfte der Wahrheit kannten.

In dieser Zeit stellte Erwin sich vor den Spiegel und schaute sich an: »Mann, bist du fett geworden«, sagte er zu seinem Spiegelbild. Das stimmte gar nicht, aber so dachte Erwin. Klar, er hatte zwei Kilo zugenommen, aber dick war er noch lange nicht. Aber Erwin sagte zu sich selbst: »Alter Mann, so geht das nicht weiter. Immer nur essen und schlafen, das ist nicht gut für dich. Du musst was tun, ab und zu mal Treppen zu steigen, ist nicht genug.«

Er zog seine Schuhe an und ging zum Lift. Er wollte gerade auf den Knopf mit der grünen Schrift ›Lift kommt‹ drücken, da fiel ihm ein, dass er sich ja mehr bewegen wollte: »Nix da, mein Junge, du nimmst die Treppen«, befahl er sich selbst.

Fünfzehn Minuten später betrat Erwin das einzige Schuhgeschäft im Dorf. Es roch nach neuen Schuhen. »Wanderschuhe, haben Sie auch Wanderschuhe?«

»Guten Tag, ja, natürlich. Bitte kommen Sie mit nach oben«, antwortete ihm eine schlanke Frau und huschte die Treppe hoch. Die ist fit, dachte Erwin und schleppte sich langsam die acht Stufen hoch. Als er oben ankam, prustete er wie Boo, als er den Traktor aus dem Dreck gezogen hatte.

Die Frau, die er fünf Jahre jünger schätzte als sich selbst, brachte ihm ein Paar Schuhe. Erwin ließ sich auf einen Stuhl fallen und zog den Bauch ein.

»Na, dann probieren wir mal«, sagte die Schlanke und kniete sich vor Erwin nieder, zog ihm seine Schuhe aus, steckte seine Füße in die Wanderschuhe, band die Schuhriemen zu und wischte mit der rechten Hand über die linke Schuhspitze. »So, stehen Sie mal auf.«

Erwin hatte die ganze Zeit nur an die Frau vor ihm auf dem Boden gedacht und gar nicht richtig zugehört. Sie ist vielleicht doch jünger, als ich dachte, ging es ihm durch den Kopf.

Schöne Hände hat sie.

Ein schönes Gesicht.

Eine sympathische Stimme.

Eine liebe Art!

»Stehen Sie doch mal auf«, wiederholte die nette Frau.

»Oh, natürlich, ja, wissen Sie, ich, äh, mir … ja, natürlich«, stotterte Erwin herum und stand flott wie ein junger Bursche auf.

»Und, wie fühlen Sie sich?«

»Wie ich mich fühle? Wie dreißig!«

»Nein, ich meine, passen die Schuhe? Fühlen Sie sich wohl in den Schuhen?«

»Ja, ja, die nehme ich, die sind genau richtig.« Er schaute die Verkäuferin an und dachte: Mit dieser Frau könnte ich glücklich werden.

»Vielen Dank, Sie sind genau die Richtige, äh, ich meine, ich bin genau ins richtige Schuhgeschäft gekommen.«

»Das ist nicht schwer«, sagte die freundliche Frau, »es gibt ja nur dieses in unserem Dorf.« Sie lächelte Erwin dabei so nett an, dass es ihm warm ums Herz wurde.

Erwin zahlte und wandte sich zur Tür.

»Brauchen Sie sonst noch was?«

Erwin schaute zurück. Wieder lächelte sie und Erwin dachte: Ja, ich brauche noch ganz viel. Ich werde jeden Tag hierherkommen und etwas kaufen. Aber er sagte etwas anderes: »Ja, vielleicht noch ein paar gute Socken.«

Erwin zahlte und ging. Sie kam ihm hinterher, öffnete ihm die Tür und gab ihm die Hand zum Abschied. Sind die Leute aber freundlich hier!, dachte er. Oder war sie nur zu mir … Hör auf zu spinnen, Alter, würgte er den Gedanken ab und ging in die nächste Kneipe.

Zwei Stunden später kam er wieder raus. Nein, betrunken war er nicht, aber vielleicht ein bisschen angeheitert. Es gibt zwei Wege nach Hause: einen kürzeren, der aber nicht am Schuhgeschäft vorbeiführte, und einen längeren, vorbei am Schuhgeschäft. Ich will ja abnehmen, überlegte er, also nehme ich den längeren!

Direkt am Schuhladen vorbeigehen wollte er nicht. Was würde die Verkäuferin von ihm denken? Also wechselte er die Straßenseite und tat so, als habe er es eilig. Dann fiel ihm ein, dass er ja gar nicht wusste, wann das Schuhgeschäft offen hatte. Nach ein paar Metern ging er wieder zurück auf die andere Straßenseite und schlenderte gemütlich von Geschäft zu Geschäft. Vor der Tür des Schuhgeschäfts hielt er an. Mit dem Finger zeigt er auf den Anschlag mit den Öffnungszeiten, fuhr langsam von oben bis unten daran entlang und bewegte seine Lippen. Seine Augen allerdings suchten das Innere des Ladens ab. Ja, da stand sie und tippte gerade Zahlen ein. Als sie ihn sah, hob sie ihre Hand zum Gruß. Er grüßte zurück, indem er die Tasche mit den Schuhen hochhielt und schwenkte. Dann zeigte er auf den Zettel, so als wollte er sagen: »Hab schnell mal geschaut, wann Sie offen haben«, und marschierte los.

Er hatte den längeren Weg nach Hause gewählt, weil er fit werden wollte. Bald würde er feststellen, dass der längere Weg noch aus einem anderen Grund der richtige gewesen war.

Erwin ging bis zur Mitte des Dorfes, dann schwenkte er nach rechts in eine schmale Gasse ein und befand sich nach 500 Metern auf einem schmalen Landweg. Der bog bald nach rechts ab. Erwin ging wieder in Richtung Wohnheim. Rechts von ihm lag das Dorf, in dem »eine wunderbare Frau« arbeitete, links erhoben sich einige Kilometer entfernt die Berge. Auf beiden Seiten breiteten sich weite Kornfelder aus. Vor ihm lag ein kleiner Wald. So, wie es aussah, führte der Weg in den Wald hinein. Eine wunderschöne Gegend, dachte er. Er breitete beide Arme aus, sog das Duftgemisch aus Blumen und Korn tief ein und sagte laut: »Ich liebe das Land, den Wald und die Berge. Es ist so schön hier!« Ungewollt hatte er sich dabei in Richtung Dorf gedreht.

Der Weg führte tatsächlich durch das kleine Wäldchen und Erwin gelangte schnell wieder auf ein freies Feld. Er hatte einen weiten Blick nach vorn. Ja, da ging es etwas bergab zum See. Vorn rechts von ihm lag das Wohnheim. Und links tauchte jetzt das Haus mit dem roten Dach auf, das er von seinem Fenster aus gesehen hatte. Er nahm sich vor, das Anwesen mal aus der Nähe anzuschauen.

An der Kreuzung blieb er stehen. Der Landweg, der weiter zum See führte, wurde hier von einer asphaltierten Straße gekreuzt, die vom Dorf hinauf zum Haus verlief. Rechts, nur wenige Meter von der Kreuzung entfernt, stand ein buschiger Haselnussbaum einsam in der Landschaft. Zwei Tauben saßen halb verdeckt auf einem Ast dicht nebeneinander.

Erwins Aufmerksamkeit richtete sich auf das große Haus links von ihm. Ein umgebauter Bauernhof, ging es ihm durch den Kopf. Links der Stall, rechts das Wohnhaus. Alles sauber und gepflegt. Das ganze Gelände mit einem hohen grünen Drahtzaun umgeben. Wer wohnt hier wohl?, fragte er sich und gab sich gleich selbst die Antwort: »Wahrscheinlich eine wichtige Persönlichkeit!« Seine Vermutung bestätigte sich, als er nach links auf den asphaltierten Weg abbog und die Einfahrt sah. Ein schwarzes Auto stand vor der Tür. Eine Wache. Das Haus wird sicher bewacht! Es hätte ihn gereizt, noch näher heranzugehen, um herauszufinden, ob wirklich ein Mann mit einem Gewehr im Auto saß. Aber vielleicht ein andermal, entschied er.

Er ging zurück, vorbei an der Kreuzung, wo die Tauben schliefen, und beschleunigte seinen Schritt. Zum Abendessen wollte er zu Hause sein. Hinter ihm wieherte ein Pferd und er vernahm eine fröhliche Kinderstimme. Aber das kümmerte ihn jetzt nicht, er war müde und hatte Hunger. Er hatte nur noch den gedeckten Abendbrottisch im Sinn.

Nach zehn Metern blieb er ruckartig stehen, als wäre er an eine unsichtbare Wand gelaufen. Er schaute zurück. Ein Pferd?! Nein, das war nicht irgendein Pferd, das war Lia! Es gab keinen Zweifel, er hatte seine Lia gehört.

Erwin drehte sich viel zu hastig um. Es wurde ihm schwindlig. Er blieb einen Augenblick ruhig stehen und atmete tief durch. Dann marschierte er entschlossen auf den Eingang zu, vor dem der schwarze Wagen stand. Er würde dem Mann mit dem Gewehr erklären, wer er war und was er wollte.

An der Stelle, wo die Wege sich kreuzten, blieb er stehen und dachte: An der »Taubenkreuzung« habe ich Lia wiedergefunden. Und er stellte fest, dass es ihn außerordentlich berührte. Es war mehr als Wiedersehensfreude. Lia hatte nur gewiehert, aber es hatte sich angefühlt, als hätte sie ihm zugerufen: »Erwin, du stehst nicht zufällig an dieser Kreuzung.« Er ahnte, dass etwas Bewegendes auf ihn zukam. Sein Blick wanderte wieder Richtung Dorf.

Schon die Begegnung mit der Verkäuferin war ihm so tief unter die Haut gegangen. Ja, er hatte sie als Frau nett und anziehend gefunden. Aber da war mehr! Erwin überlegte, was es gewesen sein könnte, fand aber keine Antwort. Was passiert hier eigentlich mit mir?, fragte er sich. Es waren gute, mächtige Gefühle, die sich in ihm breitmachten, aber sie verunsicherten ihn auch. Es fühlte sich an, als wäre da noch jemand anderes im Spiel. Dies war ihm fremd, er hatte so was noch nie erlebt.

EIN GUTER MANN

Mustafa kam aus dem Irak. Zwei Jahre hatte es gedauert, bis er seine vorläufige Aufnahme erhalten hatte. Er hatte erwartet, eine Asylanerkennung zu bekommen. Leider hatten die Behörden ein paar Unstimmigkeiten bei seiner Befragung festgestellt. Bevor die nicht geklärt waren, hatte er keine Chance, als Asylbewerber anerkannt zu werden. Aber das war ja immer noch möglich. Auch mit dem »Ausweis F«, den er jetzt hatte, bekam er eine eigene Wohnung und durfte arbeiten. Nun wollte er ein neues Leben beginnen.

Aber so einfach war das nicht! Er musste immer wieder daran denken, wie schrecklich es im Krieg gewesen war. Ein Jahr hatte er im Gefängnis gesessen und war nicht gut behandelt worden.

Mustafa nahm jede Beschäftigung an, die man ihm anbot. Er ging jeden Tag zum Deutschkurs – vormittags und abends. Und am Nachmittag arbeitete er als Hauswart. Wenn er beschäftigt war, ging es ihm besser.

Als er die Stelle als »Mädchen für alles« beim Präsidenten bekam, konnte er sein Glück kaum fassen. Es gab viel zu tun und das gefiel Mustafa. So war er abgelenkt und musste nicht ständig an seine Familie im Irak denken. Er mähte den Rasen, beschnitt die Bäume, räumte hier auf, putzte dort.

An dem Tag, als das Pferd kam, hatte er frei genommen. Als er am nächsten Tag in den Stall ging, sah er das Pony zum ersten Mal und erschrak so sehr, dass er die Tür sofort wieder zuknallte. Ein Pferd, das war das Allerschlimmste, was er sich vorstellen konnte. Als kleiner Junge war er von einem Pferd getreten worden. Er erinnerte sich noch gut, wie das passiert war.

Mit seinem Vater war er zum Nachbarn gegangen, der ein Pferd auf dem Hof hielt. Als sich die beiden Väter unterhielten, wurde es ihm langweilig. Er sah das Pferd und fand es lustig, wie es mit seinem Schwanz die Fliegen vertrieb. Er hatte plötzlich Lust, mit dem Pferd zu spielen und das hin und her schweifende Haarbüschel festzuhalten. Unbeobachtet von den Erwachsenen stolzierte er los, direkt auf das Hinterteil des Pferdes zu. Als er nah genug dran war, schnappte er den wedelnden Pferdeschwanz und zog kräftig daran. Erschrocken schlug das Pferd nach hinten aus und traf ihn an der Hüfte. Sofort holte man einen Arzt und er wurde ins Krankenhaus gebracht. Zwei Jahre dauerte es, bis er wieder normal gehen konnte. Noch heute hatte er ab und zu Schmerzen in der rechten Hüfte – und fürchterliche Angst vor Pferden!

»Mustafa«, sagte Danas Mama, »ab heute hast du eine weitere Arbeit: den Stall ausmisten und dafür sorgen, dass immer genug Futter vorhanden ist. Dafür ist Dana noch zu klein.«

Wie immer sagte Mustafa zu dem, was die Chefin ihm auftrug, freundlich ja. Und wie sonst auch, bekräftigte er sein Ja mit einem breiten Lächeln. Mustafa liebte Frau Furler und ihre Tochter und war froh, bei ihnen arbeiten zu dürfen.

»Danke, Mustafa«, sagte Frau Furler und dachte: Mustafa ist wirklich ein guter Mann. So freundlich und so willig. Er war ein anständiger Kerl und hatte ein gutes Zeugnis von seinem Sozialarbeiter vorgelegt. Er wäre sonst auch nicht angestellt worden. Über seine Fluchtgründe hatte sie keine Information. Sie wusste auch nichts über seine Gedanken und seine Wünsche. Im Grunde hatte sie keine Ahnung von seinem Leben.

Da war sie nicht die Einzige: Die Geschichte, die Mustafa den Schweizer Behörden erzählt hatte, war an manchen Punkten zweifelhaft. Mit seinem jetzigen Ausweis konnte Mustafa wieder ausgewiesen werden. Das wusste er und darum bemühte er sich, möglichst unauffällig zu leben und nirgends Anstoß zu erregen.

Als Mustafa an diesem Tag von der Arbeit nach Hause kam, ging er sofort ans Telefon und rief einen Bekannten an. Er hieß Carlo. Eigentlich war das kein deutscher Name. Carlo war ein Schweizer, den er bei einer Arbeitsvermittlungsstelle kennengelernt hatte. Er war froh, jemanden zu kennen, mit dem er Deutsch reden konnte. Aber gut kannte er ihn nicht. Er wusste, dass er immer noch keine Arbeit gefunden hatte. Manchmal wunderte er sich, warum sein Bekannter so wenig Zeit hatte.

Mustafa erzählte von seinem Problem mit dem Pferd. »Wie soll ich machen, ich Angst vor Pferd?« Mustafa hatte noch etwas Mühe mit der deutschen Sprache, manchmal ließ er Wörter aus oder verdrehte sie. Aber man wusste immer, was er meinte.

Carlo überlegte kurz und sagte: »Mustafa, mach dir keine Sorgen, mir fällt schon was ein. Ich muss jetzt weg und melde mich dann später wieder.«

Er legte auf und rief sofort seinen Kollegen an: »Ja, der arbeitet beim Präsidenten! – Klar kann man da was machen. – Aber vor dem Eingang steht ein Wachmann. – Nein, das geht nicht, aber hinter dem Stall, da … – Mustafa muss uns natürlich ein bisschen helfen, dann klappt das schon.«

Carlo legte auf und rieb sich die Hände. So ein Hammerding, dachte er. Dann überlegte er: Mustafa darf sich seine Angst vor dem Pferd auf keinen Fall anmerken lassen. Zum Schluss kündigt man ihm noch. Das wäre wirklich schade.

Wenig später rief er bei Mustafa an: »Hör mal, Mustafa, du kannst ja den Stall ausmisten, wenn das Pferd nicht drin steht. Es darf keiner merken, dass du Angst hast, das könnte man falsch verstehen. Und dir gefällt die Arbeit doch, oder?

Mustafa hatte verstanden. Er würde alles tun, um seinen Job zu behalten.

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
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9783957444370
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