Kitabı oku: «Der Anfang vom Ende der Ewigkeit.», sayfa 5

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Das Publikum, vorher geschockt, ja nachgeradezu paralysiert und voller Anteilnahme ob seiner derart zusammengeklappten Volksmusikheldin, hielt es nicht mehr auf den Stühlen. Mit „Braahwooh“- und „Räächt-so“-Rufen und „Heert-heert“-Geschrei und Getrampel zollten sie der so dermaßen fulminant Wiederauferstandenen Beifall. Bachel schaute ernsthaft betroffen drein, das hatte er ja nun wirklich nicht gewollt. Er hatte nur ein würzig-würdiges Pendant zu seinem nicht nur körperlich großen und fast schrankwandbreiten Kollegen aus München, dem Xaver Schneidmetz geben wollen. Der referierte schließlich bei solchen Gelegenheiten an seinem Kurkumawasser nippend über die „wahnsinnigen Wirrrkungen“ der gelben Wurzel, „Farrrbgeeeberrr und Seeele dess Körrrie“. Etwaige Zweifler wies der Xaver mit einem charmant arrogant geknurrten „Prrrobierrrts-halt-selber-amoll-den Kurrkumma“ in die Schranken. „Oder holt an Inkwer und schleicht´s eich!“

Nur die mutigste Moderatoren wie eben Peter Letz einer der Letzten war – er wagte es sogar, nach Trumperika zu reisen und dort mit zugekniffenen Augen und vielfach sorgengefältelter Stirn über die Nöte der abgehängten Mittelschicht im Rustbelt zu berichten – also nur echte Kerle wie er kosteten mit verkniffenen Augen den gelben Saft, wenn der Schneidmetz zu Gast bei Ihnen war und die wie immer kulinarisch völlig unterbelichtete Nation über den mannigfaltigen Segen dieser scharfwürzig auf der Zunge brennenden Knolle belehrte.

Auf Herrn Letz´ Moderatorenkärtchen stand dann: „Frischer Kurkuma oder auch Gelbwurzel aus Thailand. Kurkuma ist dem Ingwer ähnlich und ein wichtiger Bestandteil von Currymischungen. Der stark gelbfärbende Kurkuma wird auch als Safranersatz verwendet. Kurkuma wirkt verdauungsfördernd, da er die Magensaftproduktion anregt. In der südostasiatischen Küche wird er meist frisch gerieben und verleiht einen harzigen, leicht brennenden Geschmack. Getrocknet schmeckt dieser mild-würzig und etwas bitter. Aber meistens wird er wegen seiner Färbekraft verwendet.“

Was dieser asiatische Import vollbringen soll, das schaffte der sozusagen mittlerweile heimische Knoblauch schon lange, davon war Bachel überzeugt. Deshalb habe er – wie er jetzt den Talkshowgästen stolz berichtete - oben auf der Alb karge Kalkstein-Äcker gekauft und mit eigenen Händen die Knöllchen in den Boden gesteckt, im richtigen Maße, nämlich sparsam gegossen und sich an ihrem Wachstum erfreut. Dort baue er nämlich keinen, Achtung Scherz! stink-normalen Knofel an, sondern die eine ganz besondere Sorte aus Spanien, die auch und eben gerade in der furztrockenen zentralspanischen Mancha aufs Trefflichste gedeihe. Als wahrer Power-Knoblauch mache er in aller Welt bei Feinschmeckern und Gesundheitsaposteln von sich reden, der wunderbare, sagenumwobene „Las Pedroneras“-Knobi. „Las Albaneras“ werde er ihn hierzuländle nennen, eine Referenz an seine geliebte Heimat und der Name sei im Übrigen als Marke auch bereits weltweit geschützt, falls jemand auf die absurde verwegene und völlig niederträchtige Idee käme, ihm diesen genialen Einfall, Resultat zweier Bouteillen feinen Burgunders, was er aber hier nicht erwähnte, wegzuschnappen. Die Zehen, er holte eine davon aus dem goldenen Schälchen, das neben seinem Glas stand, zeigte sie dem Publikum wie ein Priester die Hostie, die Zehen also seien ja, wie man sehen könne, nicht besonders groß, aber sehr äußerst attraktiv in eine knallige lila Haut gehüllt. Er liebte diese Farbe, so katholisch, so sexy, so geil. Auch das behielt er hier für sich. Ebenso natürlich das kurze, aber heftige Vergnügen mit dem echten Vikar auf dem Karneval in Köln, seine sündige Soutane aus violettem Satin, darunter die heilige, geweihte Kerze ... Wegen des extrem hohen Allicin-Gehalts war der Pedronas von beißender Schärfe und gewaltig geruchsintensiv. Der konfliktfreie Genuss sei nur im kompletten Familienverband, besser noch in der ganzen Straße, dem Dorf oder dem Landstrich anzuraten, feixte Bachel vergnügt und zufrieden damit, dies alles einmal zur besten Sendezeit gesagt haben zu können.

„In einer bäuerlichen Umgebung wie bei Ihnen auf der Alb mag das ja noch angehen,“ entgegnete der Moderator pikiert tuend jovial schlagfertig und spielerisch mahnend mit seinem wohl sein angewidert sein vermitteln sollenden zugekniffenen Blick. Schelmisch grinste er kurz in die Kamera, schnüffelte mit gekräuselter Schnute in Richtung Bachel. Die Darbietung steigerte sich zu einem darstellerisch miserabel übertriebenen „Puuhh“. Sich die Nase zuhaltend, wedelte er die kontaminierte Luft mit dem Fragenkärtchenfächer weg. „Aber“ wiederholte er etwas lauter und mit erhobenem Zeigefinger, „wenn man zum Beispiel im Büro oder am Band beim Daimler in Sindelfingen mit solchen Ausdünstungen seine Mitmenschen beglückt, dann ...“ Pause, Letz liebte dramaturgische Pausen. „Dann bekommt man Ärger mit der Arbeitsschutzverordnung. Oder schlimmer...“ Wieder Pause. „ ...mit den Kollegen und die können da - sagen wir - recht robust reagieren, wie ich aus meiner Zeit als Ferienjobber noch sehr gut weiß.“

Ja, er war halt ein Moderator aus dem Volke, das ließ er jeden jederzeit wissen. Und überhaupt sei doch auch der Knoblauch keine einheimische Pflanze, las er spitzbübisch und spitzen Mundes schlaumeiernd von einem seiner orangefarbenen Kärtchen ab, sondern stamme ursprünglich ja auch aus Asien und sei dann mit den Phöniziern ins Mittelmeergebiet zu den Ägyptern gekommen und dort nicht nur zur Stärkung der Pyramidenbauer, sondern, man möge es ja kaum glauben sogar als A-FRO-DI-SI-A-KUM, der eifrig stirnrunzelnde Kärtchenableser betonte deutlich nicht nur jede einzelne Silbe, sondern sogar jeden einzelnen Buchstaben, als ob er das Wort zum ersten Male sehe, vielleicht war es sogar so - eingesetzt worden sei, von da wäre es zu den Griechen und Römern gewandert, deren Gladiatoren ebenfalls auf die stimulierende Wirkung vertrauten. Letztere, die Römer also, hätten die Knolle ja erst in ihrem Proviantgepäck mit nach Germanien gebracht, diese sei aber überhaupt nicht auf Gegenliebe bei den Barbaren – also uns, wie der Moderator mit einem kindlichen Kichern und eifrigen Kopfnicken in die Runde anmerkte - gestoßen, die lieber mit dem Bärlauch vorliebnahmen, weil dieser nach dem Genuss nicht ganz so furchtbar stinkt und außerdem die Frühjahrskraftkur der stolzen starken Bären des deutschen Waldes war und so auch dem Deutschen besser anstand als jenes vermaledeite Balkankraut.

Eines noch, der Moderator hatte ein letztes Knobi-Kärtchen in petto, der Sage nach spross nämlich dort, wo der Teufel nach dem Verlassen des Paradieses seinen linken Fuß hingesetzt hatte, ausgerechnet Knoblauch aus dem Boden, weshalb dieser seit Jahrhunderten traditionell als Abschreckung – und hier hob der Kärtchenableser mahnend wieder seinen rechten fein manikürten Zeigefinger sowie die sorgfältig gezupften Augenbrauen – als Abschreckung wiederholte er sehr ernst, gegen Dämonen, Werwölfe – er schaute dabei wohl ohne Absicht die immer noch bleiche Staißbein an - und Vampire eingesetzt wurde, und weiter ablesend ohne sich zu erinnern, was Bachel gerade eben selbst erzählt hatte, aber er hatte ja auch nicht zugehört, sondern seine Kärtchen sortiert und nur vollautomatisch im Sich-selbst-Zustimm-Modus genickt, die beste Sorte sei übrigens der las Pedroneras-Knobi aus der spanischen La Mancha, mit wunderhübschen lila Zehen und höllisch scharf durch das hochkonzentrierte Allicin darin … undsoweiterundsofort ....

Ja, er war wie immer sehr gut vorbereitet auf seine Sendung, der umtriebige Star-Moderator weiterer Erfolgsshows wie „Letz Dance“, „Letz Cook“ sowie „Letz Go“, seiner merkwürdigen Reisereportagereihe und er war froh, mit seinen Kärtchen wieder Struktur in den ihm vorhin so peinlich entglittenen Ablauf bringen zu können. Da hatte er aber die Rechnung gründlich ohne den Bachel gemacht, der erstens die Geschichte des Knoblauchs im Allgemeinen sehr gut kannte, den von ihm soeben erwähnten spanischen Superknobi im Besonderen sowieso, weil er den ja gerade persönlich und auf eigenes Risiko auf der Alb anbauen wollte und nun ziemlich angefressen ausholte, wenn er das also richtig verstehe, dann dürfte man also als guter Deutscher nur Pflanzen und Tiere mit gewissermaßen arischer Abstammung essen – was zwar niemand so gesagt hatte, aber Bachel blickte nach der Flasche Bordeaux, die er sich in seiner Garderobe vor der Sendung schnell noch rein gepumpt hatte, auch nicht mehr so richtig durch und fand es jetzt einfach an der Zeit mal Flagge zu zeigen, was ja viele glauben tun zu müssen, wenn sie sowieso schon eine Fahne haben und polterte also weiter, alles, was demnach irgendwann den Weg über die Alpen oder die Meere zu uns gefunden habe, also fast alles außer Kohl und der stamme wahrscheinlich auch von woanders, weil Germanien ja früher fast nur aus Wald bestanden habe, bei Pfifferling und Blaubeeren müsse man mal schauen, woher die ursprünglich kommen, müsse dann ja aus deutschen Küchen und von deutschen Tischen verbannt werden.

Goodbye Kartoffeln, Tomaten, Kaffee, Tee, Orangen, Zitronen, Bananen, BAANAANEEN – Bachel schrie das Wort tatsächlich mit sich überschlagender Stimme – BAANAANEEN, DAS Symbol der Wiedervereinigung und nun wohl auch heimliches inoffizielles Staatssymbol eines immer mehr zur Bananenrepublik verkommenden Landes, das sich eine korrupte Politikerkaste leiste und den stolzen Bundesadler zu einem Pleitegeier verkommen lasse ...

„Ja,“ ereiferte er sich mit weit aufgerissenen maskarabekränzten Augen, atemlos und mit hochrotem Kopf weiter, „was soll man denn dann überhaupt noch essen und trinken dürfen? Trollinger vielleicht? TRROOLLIINGEERR?“ japste er. Den ja nun wirklich gerade nicht, denn der komme ja nachweislich aus Tirol, ein TIROLINGER nämlich, heiße dort Vernatsch und dahin kam er ursprünglich aus dem Mittleren Osten. Lemberger? „Ja, ja, därr LÄÄMMBÄÄRRGÄRR,“ höhnte Bachel, „dzschon mal wadzs vom ödzsterreichidzschen Blaufränkidzsch gehört oder dem ungaridzschen Kekfrankodzs, Käkfrankodzsch beddzzsser gesagt?“ Daher komme er nämlich, vom Balkan und sei deshalb ja wohl mehr als eindeutig undeutsch oder? Aber nur von saurem schwäbischem Riesling könne man seines Lebens ja nicht froh werden oder? Und selbst den hätten wohl die Römer mitgebracht oder?

Hier griff nun polternd der während des historischen Knoblauch-Referats kurz eingenickte und nun wieder aufgewachte Tunnelbauer Bonsel ein: Das lasse er sich hier aber nicht bieten, dass SOIN TRROLLINGÄÄ und SOIN LÄMMBÄRRGÄÄ und SOIN RIASSLINK hier madig gemacht würden von einem Fernsehkochfuzzi, der wohl noch nie in seinem Leben „koi Schaufel ned in seine dadefier wohl viele zu feinene Hend ghabt hätt“ und auch niemals nur eine Schubkarre Erde bewegt habe, während er, der Tunnelbauer schon seit SÄCHZIGG JAHREN SCHAFFT UND SCHAFFT UND SCHAFFT UND DAFÜR SORGT DASS DIE WIRTSCHAFT BROMMT UND BROMMT UND ES ARBEITSPLÄTZE UND NOMMOL ARBEITSPLÄTZE GIBT UND DAS SCHWABENLAND IN ALLER WELT GUT DASTEHT UND MIR BENEIDET WERDET VON ALL DEN GRIANE VOLLKORNMÜSLIFRESSERN UND WÄGANEN GSÄLZBÄRN DIE NICHTS KÖNNET UND ÄLLES BESTREITET AUSSER IHREM LÄBENSUNTERHALT UND … hier musste der dicke Tunnelbauer kurz und röchelnd Luft holen. Was der Moderator nutzte, um mit der schelmisch begrinsten Überleitung „herrlich, eine tolle Runde wieder heute Abend, hier ist Leben in der Bude, sehr schön: „grüne Vollkornmüslifresser“, aber womit wir hier natürlich nichts gegen unseren geschätzten Ministerpräsidenten und die verehrte Landesregierung gesagt haben wollen“ das Wort an Hochreiter gab.

Der hatte zunehmend fassungslos und schweigend, angewidert, aber irgendwie auch amüsiert die Turbulenzen der letzten halben Stunde mit angesehen. Nun musste er sich von diesem Schnösel fragen lassen, worin denn eigentlich sein persönlicher Begriff von Heimat ruhe, ja er gewissermaßen beheimatet sei? Dass dem geschmeidigen Moderator sein eigenes Wortspiel äußerst gut gefiel, merkte man an seinen von sich selbst fasziniert hochgezogenen Augenbrauen. Die spielten ihr dem 20er-Jahre-Stummfilm abgeschauten Ausdruckstheater unter den wohl eigens antrainierten oder eventuell gar chirurgisch nach- bzw. vormodellierten Denkwülsten. Vom Denken im eigentlichen Sinne und nicht nur als Stirnfaltengymnastik war bei ihm eher wenig zu spüren. Welche Heimat habe nun also Hochreiter, wenn er denn überhaupt eine habe oder haben wolle? Schließlich schreibe er doch darüber seine kulinarischen Bücher oder sei das nur Mittel zum schnöden Zweck? Letz lehnte sich nach vorne, umfasste das rechte über dem anderen Bein liegende Knie mit beiden Händen, die er wie zum Gebet faltete und schaute den in Sachen Heimat Befragten aus halbgeschlossenen Augen gespielt gespannt an, den Unterkiefer leicht vorgeschoben.

Hochreiter sagte zunächst erst einmal gar nichts. Er starrte genervt auf den Kärtchenableser, der seinem Blick sofort auswich und hektisch anfing, den Stapel eifrig zu sortierten. Wahrscheinlich hatte er gerade über den Knopf in seinem Ohr Anweisungen von der Regie erhalten. Hochreiter sagte wie beiläufig: „Die Erde ist unsere Heimat. Heimat ist etwas für Heimatlose.“ Dann schwieg er wieder. Der Moderator stutzte, blickte von seiner Fragensammlung hoch und fragte mit diesmal nicht gespieltem Erstaunen zurück, wie man denn das bitteschön zu verstehen habe, was er da eben gesagt habe. Wenn er es denn richtig verstanden habe, dass er gesagt habe, dass Heimat etwas für Heimatlose sei. Ja, das habe er durchaus richtig verstanden, bestätigte ihn Hochreiter in seiner ahnungslosen Vermutung. Und legte noch nach, dass Heimat schlicht und ergreifend eine Erfindung sei ähnlich wie die Religion, erfunden zum Zwecke der Manipulation der Massen. Das saß. Auch im Publikum sekundenlanges Atemanhalten. Das wurde dann abgelöst von einer aus dem Innersten der verwundeten Heimatseele herausbrechenden Welle der Empörung und sich in Pfui und Buh-Geschrei äußernden Abscheu vor dem Gesagten.

Die Heimatmoderatorin keifte ihn an, was er denn dann eigentlich hier suche, er solle doch auswandern, wenn es ihm hier nicht gefalle. Falls ihn jemand „nähme tät“. Der Tunnelbauer sprang von seinem Sitz auf und wollte sich auf Hochreiter stürzen, wurde gerade noch zurückgehalten vom Pharmavertreter. Der versuchte ihn zu besänftigen und forderte Hochreiter auf, das doch „BITTESCHÖN“ den Menschen dieses schönen Landes, die an Gott glaubten und ihre Heimat liebten, zu erklären. Wolle er diese denn etwa beleidigen?

Der Moderator saß nun mit schildkrötenartig im feinen Sakkokragen eingezogenem Kopf in diesem Tumult, schaute wie ein Kind, dem es nicht mehr zum Klo gereicht hatte. Er räusperte sich deutlich hörbar und fragte noch einmal mit unsicherer Stimme nach, was Hochreiter denn damit sagen wolle. Dann hörte er wieder in sich hinein, neue Anweisung aus dem Ohrstöpsel?, schüttelte den Kopf und räusperte sich. Ob er nicht lieber von seinem Buchprojekt berichten wolle. Wie sie das ja besprochen hätten vor der Sendung und dessentwegen er ja eigentlich eingeladen worden sei, seinen kulinarischen Heimatbüchern also. Hochreiter überlegte einen Moment, ob er seine These noch etwas erläutern solle oder, wie gewünscht, Heimat an Traditionen kulinarischer Art festmachen sollte. Das war ein Ansatz, der die anderen Gäste friedlich stimmen konnte und das war ja auch der Antrieb für ihn gewesen, diese Bücher zu schreiben. Aber nun war sein Satz von der „Heimatlosen-Heimat“ draußen und sollte vielleicht erklärt werden.

„Meine Bücher,“ begann er und wurde gleich eifrig keifend von Frau Staißbein unterbrochen mit den Worten: „… schreibe ich, damit ich sie an die Dummen verkaufen kann, die ihre Heimat lieben oder?“ Zischte sie ihn bösartig und mit triumphierendem Blick ins Publikum an. „Nun, Verehrteste, Sie haben recht, ich schreibe sie tatsächlich, damit ich sie verkaufen kann, wie Sie im Übrigen ihre Einmach- und Strickratgeber und Fasnachts-DVDs ja wohl auch oder? Aber ich halte die Menschen, die sie kaufen nicht für dumm, das habe ich auch nie gesagt oder gemeint“, entgegnete Hochreiter. „Doch, habet sie“, schrie der Tunnelbauer mit hochrotem Kopf. „Heimat isch für Doofe, däss moinet Se, gäwwe Sess doch zu, wo kommet Se denn überhaupt her, wo hett mer Se denn net mehr habbe wolle?“

Hochreiter wollte einfach aufstehen und gehen. Aber dann sagte er sich, die Gelegenheit, einmal öffentlich und live diesem verlogenen Geschwätz etwas entgegenzusetzen, käme ja wohl nie wieder. Und so beugte er sich mit seinem Oberkörper etwas weiter nach vorne, straffte die Schultern, atmete tief aus und sagte in ruhigem Ton: „Tatsächlich schreibe ich meine Bücher, um Geld zu verdienen. So wie Sie werter Herr Bonsel Ihre Tunnel bauen oder Sie, werter Herr, äh, wie auch immer, von der Pharmaindustrie ihre Pillen drehen. Oder Sie, verehrteste Frau Staißbein, ihre Volksmusiksendungen moderieren oder der Koch hier seine lukrativen Kooperationen mit Discountern bewirbt. Wir alle hier machen das, was wir tun, letztendlich wegen der Kohle, wie auch Sie Herr Moderator. Und jetzt hier den puren Idealismus zu predigen, das wäre doch wirklich lächerlich. Um es noch einmal zu sagen, Heimat ist etwas anderes, als das, was Sie alle hier benutzen, um Ihre persönlichen Interessen durchzusetzen. Und Heimat ist auch nicht von einem abgehalfterten Provinzpotentaten als Heimatminister zu verwalten.

Und jetzt ging wieder ohne Vorwarnung der Poet in Hochreiter durch ...

Heimat ist im Herzen und in einer Portion Kässpätzle oder auf der Wiese zu finden. Wer sehen kann, sieht sie in den Blumen der Alb: Silberdistel, Golddistel, Karthäusernelke, Orchideen, Herbstzeitlose, Enzianarten, Graslilie, Berg-Aster und Küchenschelle, vereinzelt ein Edelweiß. Prachtvoll schmücken sie die kargen Wiesen zwischen den blaugrünen Wacholderinseln. Schafe halten stoisch kauend Gras und Kräuter in Schach. Genügsam sind die wolligen Landschaftspfleger. Apollofalter und Schwalbenschwanz tänzeln grellbunt als traumverlorene Harlekine in der warmen Sommerluft, die Grillen zirpen wie in der Provence. Am Himmel kreisen Beute suchend oder auch nur im Aufwind spielend Bussarde, Falken mit gellenden Rufen ... In feuchtkühlen Schluchtwäldern versteckt warten geduldig Blau- und Goldstern, Märzenbecher, Türkenbund und Eisenhut auf unsere bildschirmmüden Augen. Das alles und noch viel mehr ist Heimat. Aber Heimat ist nicht geeignet und hat es nicht verdient, um sich überheblich abzugrenzen von den anderen „Heimaten“, der Heimat der anderen. Heimat ist gemeinsame Geschichte und gemeinsame Geschichten sind Heimat. Ganze Geschichten.

Es gab aber keine ganzen Geschichten mehr, die sie den Jungen erzählten. Erzählen konnten oder erzählen wollten nach dem Krieg, nur die von eigener Not und eigenem Leid. Eine Hälfte fehlte, die böse, die schrecklich schief gegangene, die nicht erzählbare, die interessantere, die, die vor nicht allzu langer Zeit dazu führte, dass dieses Land und viele andere in Trümmern lagen, darunter Berge von Leichen. Bauern fanden sie beim Pflügen, halb verwestes junges Fleisch und zerbrochene Knochen in verrottetem Uniformstoff. Der Pesthauchgruß des Todes aus dem Frühjahr 1945. Schnell verscharrte Opfer der fliegenden Richter.

Diese Geschichten erzählten die Alten den Jungen nicht und die Jungen erzählten sie nicht den Alten. Die Geschichte hat sie geschichtenlos und geschichtslos gemacht. Die gesund machende Tradition der Weitergabe der Erlebnisse in der Familie hatte ihr Ende gefunden in der unbeschreiblichen Monströsität ihres gemeinsamen Verbrechens. Sie waren alle schuldig geworden in den Dörfern und in den Städten, an den Fronten und in der Heimat, die viele verloren. Sie hatten zugeschaut, gejubelt und mitgemacht, als die jüdischen Händler ihre Textilgeschäfte, Bäckereien und Metzgerläden in der Hauptstraße aufgeben mussten. Hatten ihre Schule geschlossen, ihre Kirche, die alte Synagoge geplündert und in Brand gesetzt, den Friedhof geschändet. Hatten sie und ihre Familien zu den Bahnhöfen gebracht und in den Tod geschickt. Sie hatten sich in die verlassenen Häuser gesetzt und die Betriebe übernommen, ganz selbstverständlich.

Sie hatten zugeschaut und schnell weggeschaut, als 1940 auch die Emma und das Fritzle geholt wurden. Die ewigen fröhlichen Kinder, lebensunwertes Leben, ihre erste große und auch letzte Reise im großen grauen Bus. Hinauf auf die Alb, in das schöne Schloss, das Jagdschloss der Herzöge von Württemberg, Grafeneck. Fast 11.000 Menschen fanden hier in der Idylle bei Münsingen den sogenannten Gnadentod in der Hölle der Gaskammern und Öfen. Fein säuberlich immer eine dickere fetthaltigere Leiche als Brandbeschleuniger neben einer dünneren auf den Rost geschichtet, damit alles gleichmäßig und vollständig verbrennt. Immer schön ordentlich und gut vorbereitet.

Vorher natürlich mit deutscher Gründlichkeit die Goldzähne aus den Kiefern gebrochen. Ein Leichtes, die edelmetallhaltigen Kadaver zu finden: Hatten Kreuze auf den nackten Rücken gemalt bekommen, als es angeblich zum Duschen ging. Praktischerweise standen ihnen auch die Münder offen, vom hilflosen Schreien, vergeblichem nach Atem ringen in der von Kohlenmonoxid vergifteten Luft. Die Aschereste zuletzt verstreut im Wind auf den Feldern ringsum. Unwertes Leben reduziert auf seine Mineralstoffe wird verwandelt in nützlichen Dünger. Mir lasset nix verkomma. Keine Spur mehr von Dieter und Lilly, aber gut gedeihen Dinkel und Linsen. Nachhaltiges Morden. Die gute alte Tugend deutscher Gründlichkeit zahlt sich eben immer aus. Effizienz ist der verdiente Lohn gründlicher Planung. Nebenbei im Kleinversuch noch hilfreiches Basiswissen erworben für die Großvernichtungsbetriebe von Auschwitz und Treblinka. Wie organisiert man die Anreise, Unterbringung, Verpflegung, Verwertung, Beseitigung und Entsorgung? Wie viel Personal ist dafür nötig?

Am Abend nach getaner schwerer Arbeit reichlich Essen, Bier, Wein und Schnaps für die Mannschaft auf der Alb. Gut 100 Männer und Frauen, Ärzte und Pfleger, schufteten sich im Dienste der Volksgesundheit ab auf Schloss Grafeneck. Viele Wachsoldaten und Krankenschwestern darunter. Jung und lebenshungrig. Fickten sich kichernd im piksenden Heu, während nebenan die Öfen brannten und die kleine Emma und den Franz in Rauch verwandelten.

Ja, auch all das gehört ehrlicherweise zur Heimat. Die Heimat hat es gesehen, alles gesehen, gehört, gewusst und gerochen. Und es ist gerade mal 70 Jahre her, dass die Mordöfen kalt sind. Aber es ist ja viel einfacher, sich mit der Heimat vor 700 oder 7000 Jahren zu beschäftigen. Das ist so schön weit weg und romantisch und so verlogen. Es ist der Hass gegen Fremde und Fremdes, der besonders gut gedeiht, wenn die Angst regiert, die Angst vor der Zukunft, dem absehbaren Zusammenbruch des Immermehr-Systems, die Angst vor der Welt, weil sich alles so schnell dreht, weil nichts Bestand hat. Und wie leicht es doch ist und schon immer war, Sündenböcke zu finden.

Hochreiter wunderte sich, dass er nicht längst unterbrochen worden war ...

Wie damals bei den Hexenprozessen, 140 Menschen, meist Frauen, Kinder, ein paar Männer im Umkreis weniger Kilometer um sein Dorf in Unterfranken nicht weit von Aschaffenburg, aus dem er ursprünglich stammte, wurden innerhalb von fünf Jahren ab 1600 der Hexerei bezichtigt, in einen Turm gesperrt, dort mit furchtbar ersonnenen Eiseninstrumenten gefoltert, bis sie alles gestanden, was die Ankläger hören wollten, Unzucht mit dem Teufel, nächtliche Flüge über die Wälder, Verhexen von Wetter und Vieh, und die dann schon halb totgeschlagen bei lebendigem Leibe vor der johlenden Menge verbrannt wurden. Alles unter dem Segen und mit Hilfe der Kirche, die damit die Heimat und die Menschen darin zu schützen vorgab.

Nur wer sich belügt, sich selbst keine Heimat ist, heimatlos im Innersten, der baut seine Heimat als Popanz auf und verachtet die der anderen. Und genau das wird benutzt, um Menschen zu manipulieren und gegeneinander auszuspielen, so wie schon lange auch beim Glauben, beim sogenannten rechten Glauben. Welcher Gott ist denn eigentlich der echte, wenn es ihn denn überhaupt gibt? Welche Religion hat denn recht? Ist es die, die ihre Anhänger glauben macht, mit Morden an Ungläubigen komme man ins Paradies? Oder ist es die, deren Anhänger zu einem alten Laken in Trier pilgern, das angeblich Jesus bei der Kreuzigung getragen haben soll? Mitgebracht aus dem Morgenland vor 500 Jahren von einer sicher wohlhabenden adligen Pilgertouristin, die sich das Teil –„garrantiert ächt, isch schwör“- wohl auf einem Basar von einem talentierten Verkäufer hat andrehen lassen.

Seit damals und erst recht heute macht die Kirche mit diesem und anderen obskuren Teilen jede Menge Geld. Und auch das ist Manipulation und genau das muss man auch so nennen dürfen,“ beendete Hochreiter endlich seine Einlassung.

Die anderen Teilnehmer der Gesprächsrunde hatten erstaunlicherweise relativ ruhig zugehört. Vermutlich aufgrund von verarbeitungstechnischer Überforderung. „Des isch doch intellektueller Dinnschiass!“, kommentierte lautstark nun aber der dicke Tunnelbauer. Die „ich geh jeden Sonntag in die Kirch“-Staißbein fügte höchst empört hinzu, dass er doch wohl nicht allen Ernstes DIE HEILIGE Kirche mit dem Islam auf eine Ebene stellen wolle. „Warum denn nicht?“ fragte Hochreiter zurück, „Ein Beispiel: Beide Religionen versprechen ihren Anhängern das Paradies, aber unter nicht erfüllbaren Voraussetzungen.“ Dann klinkte er sich aus dem nun über ihn hereinbrechenden Wort-Tsunami geistig aus und hing seinen Gedanken nach ...

Wir springen zwei Wochen in die Zukunft, also in die Gegenwart: Asemwald am Morgen des Auftrags ...

Hochreiters Gedanken sprudelten unter der Dusche wie Wasserfälle aus seinen Synapsen, die trotz der alkoholisch reichhaltigen Nacht erstaunlich gut funktionierten. Noch … Heimat, ja, er konnte das Wort nicht mehr hören. Alle reden von Heimat, auch die Fremden, sie genießen die Segnungen der Wohlfahrt, wählen aber in ihrer Heimat Diktatoren zum Präsidenten. Warum bleiben diese Schmarotzer nicht alle da, wo sie hingehören? Was wollen alle diese Russen hier, die angeblich kein Deutsch können, aber sämtliche Fördergesetze für Übersiedler auswendig kennen? Was wollte das Gesindel vom Balkan, aus Afrika und Arabien und von noch viel weiter weg denn hier anderes als ein faules Leben? Was will die Türkei in Europa außer Subventionen? Warum sollte er Verständnis dafür haben, dass Kinder von Müttern und Vätern, deren eigene Mütter und Väter vor vielen Jahren nach Deutschland gekommen waren, immer noch schlechter Deutsch sprechen, lesen, verstehen können als der durchschnittlich doofe deutsche Schüler?

Wenn trotz aller Angebote kein Wille zur Integration bei Großeltern, Eltern und Kindern da ist, warum gibt man ihnen dann nicht das Geld für ein Jahr Sozialhilfe und schickt sie damit zurück in ihre „Heimat“, der sie per Satellitenschüssel eh näher sind als ihren deutschen Nachbarn? Es widerte ihn alles an, er wusste auch nicht weiter. Er wusste nur, dass er zwar eine Heimat hatte, aber die etwas anderes war, als alle anderen für sich reklamierten. Mein Gott, er hielt inne, das war ja reinstes AfD-Gemaule, furchtbar, er sollte nicht so viel trinken.

Manchmal hatte er Angst vor seinen Gedanken. Seinen Gedanken voller Neid und Hass und Wut. Besonders, wenn er sich in seinem Alkoholkaterselbstmitleid suhlte und sich wieder einmal benachteiligt fühlte, betrogen um sein Glück und alle anderen um ihn herum - mit welchem Recht denn eigentlich? - es sich gut gehen ließen mit teuren SUVs, jungen Frauen, tischtennisplattengroßen Flatscreens, Luxusurlaub mehrmals im Jahr ...

All das schoss Hochreiter durch den Kopf, als er sich erinnerte an die Talkshow mit Bachel, der ihn jetzt mit viel Geld auf die Alb locken wollte. Ausgerechnet dahin, wo er seine Zuversicht und seinen Glauben verloren hatte an eine gerechte Welt. Und dieser Glaube war durchaus religiös begründet, mit der Bergpredigt als Basis. Gerechtigkeit und Frieden für alle. Er war zwar lange schon eine Art katholischer „Schläfer“. Gläubig im Sinne vom Kirchgang zu Weihnachten, Oratorien und Chorälen und Orgelgedröhne zur Rührung des Gemüts, Kirchenbesichtigungen im Urlaub wegen der Architektur und der Atmosphäre, dem Duft nach Weihrauch und irgendwie war er auch unsicher im Hinblick auf den Tod. Schnell etwas Weihwasser auf die Stirn träufeln und ein Kreuz auf die Brust malen. Rein versicherungstechnisch sozusagen.

Wenn es vielleicht doch etwas gibt, danach? Aber da war doch nichts danach und da kann doch auch nichts sein und deshalb ist auch nichts danach und da wird auch nichts sein, danach! Das hatte er gelernt beim Tod und mit dem Tod und nach dem Tod seiner geliebten Frau. Mit ihr hatte er früher von der Alb geträumt, heute war er allein und hatte Albträume. Da war er wieder, der Zyniker in ihm, zu dem er immer mehr mutierte. Er war zurück in seiner Jugend, ahnungsloser pubertierender Existenzialist, bei Sartre, Camus, dem Nichts ... „Morgen werden die schwarzen Vögel kommen.“ Ach was, komm großer schwarzer Vogel, nimm mich mit. Angst vor der Hölle? Wieso, er lebte doch schon lange mittendrin. „Die Hölle, das sind die anderen.“

Und wenn es doch etwas wie den Himmel gäbe? Ist die kurz vor dem Sterben einsetzende Religiosität, der Wunsch der Sterbenden nach einem letzten gemeinsam gebeteten „Vater Unser“, wie er es mehrfach als hilfloser Hilfspfleger im Zivildienst miterlebte, der schnelle Abschluss einer letzten Risikolebensversicherung für das Leben nach dem Tode, vielleicht aber auch eine sentimentale Erinnerung an die Rituale der Kindheit, wenn man den Hinübergehenden religiös erzogen hatte? Mit dem allgegenwärtigen Bildnis des gefolterten Menschensohnes am Kreuz, den aufgespießten, gevierteilten, geräderten, zerrissenen, pfeildurchbohrten, bei lebendigem Leibe verbrannten Heiligen.

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