Kitabı oku: «Meine Jugend in Erfurt unter Hitler 1933–1945», sayfa 3

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II
MEINE JAHRE ALS PIMPF IM JUNGVOLK
1938-1943

Das sind die Jahre, mit denen ich mich in diesem Band beschäftigen werde. Es war die Zeit, in der ich Pimpf im Jungvolk gewesen bin.

1939 begann der 2. Weltkrieg, der im Mai 1945 mit dem totalen Zusammenbruch zu Ende gegangen ist.

Wir Jugendlichen haben damals noch mehr verloren. Es war unsere Kindheit.

Dieser Krieg! Diese Jahre des Hungers, des Leidens und der Entbehrungen! Diese Jahre die mich schon im Kindesalter so unendlich geprägt und gefordert haben!

Wir waren noch Kinder, als wir schon Männer sein mussten!

Ich musste Entscheidungen treffen, ich musste Verantwortung übernehmen, die normalerweise den Erwachsenen vorbehalten waren. Aber die waren weit weg. Sie mussten kämpfen an den vielen Fronten in Europa.

Welch ein Wahnsinn!

Ich befand mich mehr als einmal in akuter Lebensgefahr – wie so viele Andere auch.

Ich habe sehr früh den Ernst des Lebens kennengelernt. Deshalb war ich auch mit 16 um Vieles reifer, als die Gleichaltrigen von heute.

Darauf muss ich nicht unbedingt stolz sein. Es ist nur eine Feststellung.

Ich hätte herzlich gern darauf verzichtet, wenn ich dafür so hätte leben können, wie die Jugendlichen von heute. Ich wünsche es niemandem, eine solche Zeit erleben zu müssen!

Ich werde Pimpf im Jungvolk

Im April 1938 bin ich Pimpf im Deutschen Jungvolk geworden. Dieser Vorgang war für mich genauso selbstverständlich, wie es vier Jahre zuvor die Einschulung gewesen ist.

Meine eher regimekritischen Eltern haben mich gewähren lassen. Wenn alle dabei gewesen sind, dann musste es eben so sein. Das war ihnen dann doch noch lieber, als wenn ich ein Außenseiter geworden wäre. Ich dagegen habe mich darüber gefreut, nun endlich auch dabei sein zu dürfen. Meine Eltern haben das Ihre dazu getan. Sie haben mich zur Anständigkeit und zum selbstständigen Denken erzogen. Das Weitere musste eben die Zukunft zeigen. So etwa werden sie gedacht haben. Da haben sie noch nicht wissen können, dass sie nur wenige Jahre später die Bestätigung bekamen, alles richtig gemacht zu haben.

Ein Zehnjähriger ist ohnehin noch nicht so weit, politisch eine eigenständige Meinung zu haben. Wir standen ja damals förmlich unter Dauerberieselung. Ob es im Schulunterricht gewesen ist, ob wir die Zeitung gelesen oder ob wir das Radio gehört haben – überall wurde das Hohelied auf den verehrten Führer gesungen.

Wir Kinder sind in diesem Dunstkreis groß geworden. Wir haben gesehen, wie frenetisch die Massen ihrem Führer zugejubelt, wie sie ihn gefeiert haben. Gerade im Jahr 1938, als Deutschland immer größer wurde.

Soweit ich zurückdenken konnte, war Hitler unser Führer. Er war zur Selbstverständlichkeit geworden, über die ich gar nicht mehr nachgedacht habe. Auf den Gedanken, Hitler zu kritisieren oder ihn in Frage zu stellen, wäre ich mit meinen 10 Jahren überhaupt nicht gekommen.

Jetzt, wo ich Pimpf geworden war, durfte ich also auch die neue Uniform tragen. Das Braunhemd und die schwarze Hose, den ledernen Koppel mit dem Koppelschloss, das schwarze Halstuch mit dem geflochtenen Lederknoten, dem Schulterriemen und dem Fahrtenmesser. Dazu kam noch die Winteruniform aus dunkelblauem Wollstoff. Die halbe Verwandtschaft hatte sich an den nicht geringen Kosten beteiligt. Sie haben es gern getan, weil sie mir damit eine Freude bereiten wollten. Dabei hat es keine Rolle gespielt, wie sie selbst zu Hitler gestanden haben.

Wie alle aus unserem Viertel bin ich ins Fähnlein Nr. 3 gekommen. Das Fähnleinheim auf dem Johannesplatz habe ich schon gekannt. Ich habe ja fast täglich auf dem Johannesplatz Fußball gespielt.

Ein Fähnlein bestand aus ungefähr 150 Pimpfen. Sein Gebiet entsprach in etwa dem eines Schulbezirks.

Unser Fähnleinheim war ein kleines, ebenerdiges Gebäude. Es hatte vorher einem, nicht mehr existierenden, Sportverein als Aufenthalts- und Umkleideraum gedient.

Dieses Heim war unser ureigenes Reich. Es gab keinen Vermieter. Hier konnten wir schalten und walten, wie wir das wollten. Hier fanden die politischen Schulungen statt, und hier haben wir eine Unmenge an Liedern gelernt.

Wir mussten ja viel marschieren. Und beim Marschieren musste ohne Ende gesungen werden.

Im Winter musste jeder ein Brikett mitbringen, damit die beiden Räume beheizt werden konnten.

In diesem Heim habe ich auch das Schießen gelernt. Ein Luftgewehr mit Kugelfang gehörte ebenso zum Fähnlein-Inventar, wie der Fußball, der Medizinball und die Boxhandschuhe. Auf dem großen Johannesplatz hatten wir alle Möglichkeiten, die verschiedensten Sportarten zu betreiben.

Hier haben wir auch das Marschieren im Gleichschritt gelernt. Hier sind wir auch regelmäßig – inklusive der üblichen Schikanen – über den Platz gescheucht worden.

Wir sind singend durch die Straßen marschiert – was damals noch möglich gewesen ist. Weil wir immer laut singen mussten, hat es selten auch schön geklungen. Nur lautes Singen klingt zackig. Dieser Meinung waren unsere Vorgesetzten. Und zackig und schmerzlos hatten wir ja alle zu sein.

Während eines Liedes hörten wir mehrmals den Befehl: „Lauter!“

Das geschah meist dann, wenn uns vom lauten Singen die Puste ausgegangen war.

Für Passanten muss es ein lustiges Bild gewesen sein, wenn sie gesehen haben, wie wir Knirpse uns förmlich die Lunge aus dem Leib geschrien haben. Stand ein Geländespiel auf dem Dienstplan, da sind wir meist zum Stadtrand marschiert. Am geeignetsten war der Rote Berg.

Eine bierernste Angelegenheit ist das Grüßen gewesen. Waren wir in Uniform, dann hatten wir fast jeden Uniformträger zu grüßen. Meist waren es Offiziere oder SA-Leute.

Natürlich hatten wir auch jede Hakenkreuzfahne zu grüßen. Es war üblich, dass den Kolonnen immer eine Fahne vorangetragen wurde. Die Fahne nicht zu grüßen, wurde als große Beleidigung angesehen. Da konnte es schon einmal vorkommen, dass es an Ort und Stelle einige Ohrfeigen gesetzt hat.

In der Hitler-Jugend herrschte der gleiche absolute Gehorsam wie beim Militär. Jeder Befehl, so unsinnig er auch gewesen sein mag, musste ausgeführt werden. Widerspruch wurde nicht geduldet. Da konnten die Vorgesetzten in der Hitler-Jugend Mittel anwenden, die keinem Lehrer erlaubt waren. Ich denke dabei nur an Schikane wie Liegestütze oder Kniebeugen. Es ist wirklich so gewesen, dass wir vor unseren, nur wenige Jahre älteren Führern, einen größeren Respekt gehabt haben, als vor unseren Lehrern.

Wir mussten vor unseren Führern stramm stehen, wenn die mit uns gesprochen haben.

Auf die Uniform sind wir so stolz gewesen, dass wir sie anfangs auch außerhalb des Dienstes getragen haben.

Einmal habe ich damit meinen staunenden Großvater anlässlich eines Sonntagsspazierganges überrascht.

Die Pimpfenprobe

Auch im Jungvolk gab es ein festes Ritual. Allein mit meinem Eintritt war ich noch kein richtiger Pimpf. Der wurde ich erst, wenn ich die Pimpfenprobe bestanden hatte. Bis dahin durfte ich auch noch nicht die komplette Uniform tragen. Ohne das schwarze Halstuch mit dem hellen Lederknoten, ohne den Schulterriemen und das Fahrtenmesser, sah unsere Uniform mit Braunhemd und schwarzer Hose sehr nackt aus.

Es wurde ein dreitägiges Zeltlager in einem kleinen Wäldchen bei Tiefthal. Die wenigen Kilometer bis dahin sind wir marschiert. Mit dem nagelneuen Tornister auf dem Rücken.

Es war das erste Mal, dass ich – allein auf mich gestellt – von zu Hause weg war. Das war auch so gewollt. Wir sollten uns an das Leben in der neuen Gemeinschaft gewöhnen. Und wir sollten auch lernen, selbst unsere Sachen in Ordnung zu halten.

Beim täglichen Morgenappell wurden unser Schlafplatz und unser Tornister peinlich genau auf Ordnung und Sauberkeit kontrolliert.

Für die anfallenden Gemeinschaftsarbeiten erhielt jeder seine spezielle Aufgabe. Da musste der Lagerplatz sauber gehalten werden. Da musste Brennholz gesammelt, gekocht und gespült werden.

Die Prüfung war da eigentlich nur Formsache. Den Lebenslauf des Führers konnten wir ohnehin im Schlaf aufsagen. Genauso wie die „Schwertworte“, die Hitler seiner Jugend mit auf den Weg gegeben hat:

Hitler-Jungen sind hart, schweigsam und treu,

Hitler-Jungen sind Kameraden.

Sie sind zäh wie Leder, flink wie die Windhunde

und hart wie Kruppstahl.

Des Hitler-Jungen Höchstes ist die Ehre!

Gewaschen haben wir uns im kalten Wasser eines nahen Baches. Das war gewöhnungsbedürftig und kostete Überwindung. Aber mannhaft haben wir das ertragen. Ein Pimpf, so hatte man uns gesagt, musste Schmerzen und Unannehmlichkeiten klaglos hinnehmen können – er durfte keine Schwäche zeigen und musste seine Gefühle immer im Griff haben. Das war nicht wenig, was da plötzlich von uns verlangt wurde. Und jeder war darauf bedacht, nur nicht unangenehm aufzufallen.

Diese Fähigkeit, Selbstdisziplin zu üben, hat mir auch später in vielen Situationen, in denen ich mich durchbeißen musste, zum Vorteil gereicht.

Die Tage verbrachten wir bei Sport und Spiel. Abends saßen wir gemütlich am Lagerfeuer. Wir ließen uns die Erbsensuppe, die im großen Hordentopf gekocht worden war, gut schmecken. Wir erlebten zum ersten Mal so etwas wie Lagerromantik. Es wurde viel gesungen an solchen Abenden. Meist waren es Landsknechts- und Soldatenlieder. Es waren Lieder, die den Krieg und den Heldentod zum Thema hatten.

Gedankenlos, ohne sie wirklich zu begreifen, sangen wir die Texte. Aber – ein Krieg lag ja ohnehin in weiter Ferne. So jedenfalls dachten wir Kinder damals im Jahre 1938. Wir hatten ja einen Führer, dem wir vertrauten und dem wir glaubten. Der betonte in jeder seiner vielen, großen Reden, dass er alles dafür tun werde, um den Frieden in Europa für ewige Zeit zu erhalten. Gern ließ er sich als Friedenskanzler feiern. Das Volk in seiner Mehrheit glaubte ihm. Der Jubel der Massen war grenzenlos.

Wer von uns konnte damals, als wir die Lieder sangen, schon ahnen, dass nur 6 Jahre später, die meisten von uns als Soldaten in Russland kämpfen und auch sterben mussten!

Aber noch befinden wir uns im Jahre 1938. Unbekümmert tummelten wir uns im Wald bei Tiefthal, dem Dörfchen am Südrand der Fahnerschen Höhen.

Als Abschluss und gleichzeitiger Höhepunkt unserer Pimpfenprobe war ein, über mehrere Kilometer führender Geländelauf angesetzt worden. Über eine so lange Strecke war bisher noch keiner von uns gelaufen. Es fehlte dazu jede Erfahrung. Dass es auf die richtige Kräfteeinteilung ankam, das wusste niemand.

Chancen hatte ich mir sowieso nicht ausgerechnet. Die Siegerplätze waren vorher schon vergeben. Die gehörten den Großen und Starken, die ohnehin im Wissen um ihre Kräfte und ihre körperliche Überlegenheit immer das große Wort führten. In diesem Alter ist das so üblich. Diese Hackordnung hat auch jeder akzeptiert. Sie waren meist ein oder zwei Jahre älter als wir. Als Sitzenbleiber oder aus anderen Gründen Zurückgebliebene, waren sie zu uns gekommen. Sie waren keine Geistesleuchten – aber eben stärker!

Ich jedenfalls, der ich mit zu den Jüngsten und damit auch kleinsten gehörte, habe mir bei diesem Lauf überhaupt keine Chancen ausgerechnet. Gut anzukommen, das war mein bescheidenes Ziel. Und doch sollte das Rennen einen ganz anderen Verlauf nehmen – besonders für mich. Glück und Können standen mir bei. Glück hatte ich, weil ich zufällig ganz nahe bei den Favoriten stehend, gestartet bin.

Mangels Erfahrung raste also jeder von uns los, so schnell er konnte. Das hatte zur Folge, dass den Ersten schon nach kurzer Zeit die Puste ausging. Ich hatte mich an zwei der Favoriten angehängt und konnte auch deren hartes Anfangstempo mithalten. Nach kurzer Zeit hatten wir die ersten Verfolger ein ganzes Stück hinter uns gelassen.

Auch ich spürte irgendwann, dass ich dieses Mordstempo nicht mehr lange mithalten konnte. Aber in dem Moment, in dem ich dabei war abreißen zu lassen, geschah das Unerwartete. Die beiden vor mir liegenden scherten plötzlich aus und legten sich erschöpft ins Gras. Auch sie hatten sich wohl übernommen.

Plötzlich war ich allein auf weiter Flur. Schnell wurde mir bewusst, dass ich nunmehr das Rennen mit großem Vorsprung anführte. Ich konnte nun das Tempo vorgeben – so wie ich es wollte bzw. wie ich es konnte. Die nötige Ausdauer, die besaß ich ja. Die hatte ich mir beim stundenlangen Fußballspielen auf dem Johannesplatz geholt.

Ich mache es kurz. Diesen Lauf habe ich mit großem Vorsprung gewonnen. Das war eine Riesenüberraschung. Nicht nur für mich, sondern auch für alle die Anderen.

Sehr gut getan hat mir auch das anerkennende Schulterklopfen der eigentlichen Favoriten. Ich, einer von den Kleinen, war nun der gefeierte Sieger! Das war unglaublich!

Schnell wurde mir bewusst, dass ich durch diesen Sieg auf mich aufmerksam gemacht hatte.

Ich hatte eine Leistung vollbracht, die mir keiner zugetraut hatte. Und – ehrlich gesagt: „Ich mir auch nicht.“ Erstmal hatte das zur Folge, dass ich in der allgemeinen Hackordnung einen großen Sprung nach vorn gemacht hatte. Meine bisherige Zurückhaltung habe ich sehr schnell ablegen können. Ich habe jetzt ohne Hemmungen zu haben mitgeredet, wenn sich die großen Wichtigtuer unterhalten haben.

Ich hatte inzwischen gemerkt, dass man nicht unbedingt groß und stark sein muss, um auch bei den Älteren Beachtung zu finden.

Wenig später wurde ich zum Hordenführer befördert. Damit wurde ich der Boss von vier Gleichaltrigen. Das war keine große Sache. Aber ich war erst mal etwas aus der großen Masse herausgehoben. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, der auch später im Berufsleben von großer Wichtigkeit für mich wurde.

Chancen dieser Art bietet das Leben nicht allzu oft. Erkennt man sie rechtzeitig, dann werden daraus Glücksmomente, die den weiteren Verlauf des Lebens wesentlich beeinflussen können.

Es ist schon beachtlich, welche Auswirkungen ein so kleines Erfolgserlebnis aus der Kindheit haben kann.

Bevor wir unsere Zelte im Tiefthal abbrachen, wurden wir noch in feierlicher Form vereidigt. Wir mussten unserem Führer ewige und unverbrüchliche Treue schwören. Damit waren wir nun endlich voll anerkannte Pimpfe. Wir durften jetzt die komplette Uniform mit dem schwarzen Halstuch und dem Schulterriemen tragen.

Das erfüllte uns Zehnjährige mit Stolz!

Die Rassenlehre

Im Rahmen der „weltanschaulichen Schulung“ wurde auch über die verschiedenen Menschenrassen gesprochen.

So richtig haben das unsere Vorgesetzten auch nicht erklären können. Sie waren ja selbst noch Kinder. Sie haben uns ihr Wissen so weitergegeben, wie sie es selbst verstanden haben. Kindlich und einfach.

Danach gehörten wir zur nordischen Rasse. Und die sei als besondere Herrenrasse dazu ausersehen, einmal die ganze Welt zu beherrschen. Natürlich mit unserem Führer an der Spitze! Passend zu diesem Thema haben wir sehr oft das Lied gesungen, in dessen Refrain es heißt: „Denn heute gehört uns Deutschland – und morgen die ganze Welt.“

Nordisch und arisch, das waren die Schlagworte.

Es wurde uns erzählt, dass der nordische Mensch von besonderer Moral sei. In ihm war praktisch alles Gute vereint. Er war tapfer, treu und opferbereit. Er war groß und kräftig. Er war blond und hatte blaue Augen.

So, wie wir uns den Siegfried im Nibelungenlied vorstellten, so musste ein Germanen-Typ, ein nordischer Mensch, aussehen. Mir sträubt sich heute noch die Feder, wenn ich mich daran erinnere, dass wir diesen Unsinn mit größter Ernsthaftigkeit diskutiert haben.

Jeder wollte natürlich gern ein Germanen-Typ sein. Und wie traurig sind die Meisten gewesen, wenn sie in den Spiegel geschaut haben. Sie waren weder blond, noch hatten sie blaue Augen!

Dafür hatten die, die diesem Idealbild entsprochen haben, unverdient auch Vorteile. Mädchen, die blond waren und blaue Augen hatten, die hatten bei uns die besten Chancen. Aber so richtig ins Grübeln gekommen bin ich, wenn ich mir unsere Nazi-Größen vorgenommen habe. Bei denen habe ich überhaupt nichts Germanisches finden können. Und das waren doch gerade die, die diese Version von Rassenlehre erfunden hatten! Besonders ins Zweifeln kam ich, wenn ich mir Hitler, Himmler oder Goebbels angeschaut habe. Nein, ich habe das nicht verstanden.

Diese Zweifel haben mich als damals Zehnjährigen so beschäftigt, dass ich mich damit meinem Klassenlehrer anvertraut habe. Ich habe ihn gebeten, mir das zu erklären. Der hat mich fast väterlich zur Seite genommen und gemeint, dass ich die ganze Rassenlehre noch nicht so richtig verstanden habe. Er könne mir versichern, dass unser Führer ein ausnehmend reiner, nordischer Typ sei. Das war eine Antwort, die mich nicht überzeugen konnte. Ich war jetzt genauso klug wie zuvor.

Aber was hätte dieser arme Lehrer auch sonst sagen sollen?

Hitler und kein Germane! Das hätte sich kein Lehrer zu behaupten gewagt. Das wäre die schlimmste Form von „Majestätsbeleidigung“ gewesen.

Diese furchtbare Rassenlehre hat viel Unglück über die Menschheit gebracht. Der millionenfache Mord an Juden, an Sinti und Roma – das sind Verbrechen, für die es in der Geschichte kein Beispiel gibt. Sie werden wohl auf ewige Zeit unvergessen bleiben. Und wir Deutschen werden ebenso lange dafür verantwortlich gemacht werden!

Aber dieses Thema ist auch aus meinem persönlichen Erleben so umfangreich, dass es in meinen Erinnerungen an verschiedenen Stellen viel Raum einnehmen wird.

Noch heute ist mir unbegreiflich, dass diese Rassenlehre damals von anerkannten Wissenschaftlern der Zeit vertreten und verbreitet worden ist.

Familienprobleme

Mit meinem Eintritt ins Deutsche Jungvolk hat sich auch unser Familienalltag grundsätzlich verändert. Sehr zum Leidwesen meiner Eltern.

Jetzt hatte ich am Mittwoch- und am Samstagnachmittag meinen Dienst. Da war das Erscheinen Pflicht.

Alle privaten Verabredungen, auch die beliebten Geburtstagsfeiern innerhalb der Verwandtschaft, hatten sich dem Dienstplan im Jungvolk unterzuordnen. So hatten sich das meine Eltern nicht vorgestellt. Sie fühlten ihre elterliche Autorität untergraben. Da gab es jetzt noch Andere, die sich da eingemischt haben. Für sie war es ein unhaltbarer Zustand.

Sehr oft hat es deshalb Krach gegeben. Und ich, der ich am wenigsten etwas daran ändern konnte, habe immer alles abbekommen! Wenn ich nur daran denke, was los gewesen ist, wenn ich nicht rechtzeitig zum Abendessen zu Hause gewesen bin!

Abends um 6 Uhr wurde gegessen. Das war seit ewigen Zeiten so. Da ist mein Vater von der Arbeit nach Hause gekommen. Und da hatten alle zu Hause zu sein. Und damit hatte ich meine Probleme. Denn nicht ich, sondern mein Führer hat bestimmt, wann der Dienst zu Ende war.

Mein Vater hat das nicht verstanden. „Wenn der nicht rechtzeitig Schluss macht, dann musst du eben früher gehen!“ Auch das war ein Befehl. Aber es ist unmöglich gewesen, diesen zu befolgen. Ich wäre von Allen verlacht worden. Das wollte ich mir ersparen.

Was geblieben ist, das war der vorprogrammierte Krach und das Schimpfen meines Vaters auf diese „Rotznasen“ von Pimpfenführern.

Ohnehin hat er dem ganzen Regime sehr kritisch gegenübergestanden. Diese Gängeleien, diese vielen Verbote und diese harten Strafen waren ihm zuwider.

Und jetzt wollten ihm diese Pimpfenführer auch noch vorschreiben, wie es lang geht! Nein, das konnte er nicht zulassen.

Andererseits war ihm die Gefahr, als Regimegegner erkannt zu werden, zu groß. Auch wollte er nicht, dass ich seinetwegen Schwierigkeiten bekomme. Dass ich wegen des Verhaltens meiner Eltern verlacht und verhöhnt werde. Und er wollte auch nicht, dass ich durch ihn zum Außenseiter werde. Im Stillen hat er sicher lange eingesehen, dass er diesen Kampf nicht gewinnen konnte.

Aber der Grabenkampf ist trotzdem weitergegangen.

Denn da gab es noch dieses leidige Theater-Abonnement! Seit vielen Jahren hatten meine Eltern ihren festen Theatertag. Das war alle paar Wochen der Mittwoch.

Ja, ausgerechnet der Mittwoch musste es sein. Der Tag, an dem ich meinen Dienst hatte. Gerade an einem solchen Tag ist es wichtig gewesen, pünktlich zu Hause zu sein. Denn vorher sind meine Eltern nicht aus dem Haus gegangen.

Ich will es kurz machen. Es ist oft vorgekommen, dass meine Eltern auf den ersten Akt einer Oper verzichten mussten.

Dieses Abonnement habe ich richtig gehasst. Warum musste das ausgerechnet an einem Mittwoch sein! Mein Vater hatte es doch in der Hand, dafür einen anderen Tag zu nehmen. Aber daran hat er nicht mal im Traum gedacht. Da ist er herrlich stur geblieben. Es blieb also alles beim Alten. Es blieb beim Theater-Mittwoch. Und es blieb auch beim vorprogrammierten Krach.

Gelegentlich musste ich auch am Sonntagmorgen zum Dienst antreten. Meist sind wir da zu Geländespielen nach Außerhalb marschiert. Aber auch der Sonntag war bei uns nicht ohne feste Regeln. Dazu gehörte, dass um 12 Uhr zu Mittag gegessen wurde. Das war für unsere Geländespiele vor den Toren der Stadt viel zu früh.

An einem Sonntag hatten wir unser Geländespiel in der Nähe von Gispersleben. Da ist es besonders spät geworden.

Das Dorf ist bekannt für seinen guten Boden. Spargel und Gurken gedeihen hier besonders gut.

Wieder einmal hatte es länger gedauert. Und wieder stellte sich auf dem Rückmarsch das Herzklopfen ein, das ich immer bekam, wenn ich an das dachte, was mir wieder bevorstand, wenn ich nach Hause komme. Als wir an einem Gurkenfeld vorbeikamen, kam plötzlich von vorne der Befehl: „Alles an die Gurken, marsch, marsch! Aber jeder nur eine!“

Weil der Befehl so ungewohnt war und weil ich befürchtete, ihn falsch verstanden zu haben, habe ich erst einmal gezögert. Als ich aber sah, wie alle mit Gebrüll das Gurkenfeld gestürmt haben, da bin ich auch hinterhergelaufen. Auwei, habe ich nur gedacht, jetzt wird es ja noch später! In der Hoffnung, meine Eltern mit dieser großen Salatgurke milder stimmen zu können, bin ich zu Hause angekommen. Es kam aber ganz anders.

Sie unterzogen mich erst mal einem intensiven Verhör. Ich musste haarklein alles erzählen. Dass ich doch nur einen Befehl ausgeführt hätte und dass das doch alle getan haben, das haben meine Eltern nicht gelten lassen. Dass das Diebstahl gewesen ist und dass ich so etwas nicht tun darf, das habe ich auch bald eingesehen.

Ich musste genau beschreiben, wo dieses Gurkenfeld gelegen hat. Es hätte ja einem Kunden oder einem Schützenbruder gehören können.

Dann kam die besorgte Frage, ob mich jemand aus der Nachbarschaft gesehen hat. Denn, ein kleines Kerlchen mit so einer großen Gurke – noch dazu an einem Sonntag – das war doch sehr ungewöhnlich und verdächtig!

„Nein, mich hat niemand gesehen“, habe ich meine Eltern beruhigt.

Aber die Gurke war nun mal da. Was sollte jetzt geschehen? Mein Vater entschied sehr schnell. „Die Gurke muss sofort zurück auf das Feld, wo du sie geklaut hast.“

Das war zu viel für mich. Als die ersten Tränen kullerten, war mein Vater zufrieden mit sich und mit seinen Erziehungsmethoden. Er war sich sicher, dass ich so etwas nie wieder tun würde. Und wenn er in diesem Zusammenhang einmal mehr auf diese „R … …..“ von Pimpfenführern geschimpft hat, da konnte ich ihm – natürlich im Stillen – auch gar nicht widersprechen. Bleibt nur noch nachzutragen, dass an diesem Sonntag ein herrlicher Gurkensalat unser verspätetes Mittagsmahl bereichert hat. Aber, Strafe musste sein! Ich habe keinen Pudding bekommen. Schlimmer, als auf diesen geliebten Nachtisch verzichten zu müssen, hätte es für mich nicht kommen können. Für den Pudding hätte ich sogar eine noch längere Strafpredigt in Kauf genommen! Aber das Thema war immer noch nicht beendet. Als ich mit sichtbarem Schmerz zusah, wie sich der Rest der Familie genüsslich an dem Nachtisch labte, musste ich auch noch deren fröhlichen Spott ertragen.

Der Kleinkrieg, den mein Vater mit der Hitler-Jugend geführt hat, hat nur knapp zwei Jahre gedauert. Anfang 1940 ist er Soldat geworden. Da ist er schon 36 Jahre alt gewesen. Als er 1948 – nach 3 ½-jähriger Gefangenschaft zurückkam, war er 44!

Meine Mutter, die nun die alleinige Verantwortung für die Familie hatte, hat nicht mehr so genau auf die Einhaltung der festen Essenszeiten geachtet. Sie hatte ganz andere Probleme. Wenn ich bedenke, was mein Vater in diesen 8 ½ Jahren alles durchmachen musste – Lebensgefahr, Entbehrungen und Erniedrigungen – dann stand das in keinem Vergleich zu dem Ärger, den er mit dem Pimpfenführer gehabt hat. Gern hätte ich mir sein Schimpfen weiter angehört, wenn ihm das erspart geblieben wäre.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
308 s. 97 illüstrasyon
ISBN:
9783959662147
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Telif hakkı:
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