Kitabı oku: «Der Fisch», sayfa 2
Kapitel 3.
»Hallo Beatrice«, wurde sie von ihrem Bruder Kris begrüßt, der ihr die Wagentür aufhielt. »Willkommen zuhause im schönen Wulfen! Wie war der Ausflug?«
Kris war neun Jahre älter als sie und stammte von der ersten Frau ihres Vaters. Von ihr hatte er die asiatischen Gesichtszüge geerbt. Vater hatte Phuong in Shanghai im Manhattan kennengelernt. Er hatte sie immer in diesem exklusiven Nachtclub besucht, wenn er in der Stadt war. Sie hatte ihn zu Banketts und Empfängen begleitet und war sogar zuweilen mit ihm im Land umhergereist, wenn es darum ging, neue Bekanntschaften aufzutun. Sie erklärte ihm die Benimm- und Tafelsitten, weil es ihm wichtig schien, bei einem Zusammentreffen um die Gepflogenheiten vorher zu wissen und sie nicht erst durch die Einheimischen kennenzulernen. Außerdem hatte sie ihn über die Leute informiert und in die chinesischen Sitten und Gebräuche eingeführt. So erklärte er seinen Erfolg in diesem Land. »Man muss diese Leute und ihre Lebensweise kennen und mitmachen. So erreicht man ihren inneren Zirkel. Dann folgen die Geschäfte mit Handschlag«, hatte er ihr immer eingetrichtert. Seit sie zwanzig war, musste sie mit. Anfangs war es ihr zuwider. Die Hygiene im Landesinnern und das Essen waren sehr gewöhnungsbedürftig. Er hatte nie darüber gesprochen, aber wie ein Geschäftsfreund, mit dem sie einige Nächte dort hatte verbringen dürfen, ihr unbeabsichtigt verraten hatte, musste er eine ordentliche Summe als Ausgleich zahlen, um sie auszulösen und mit nach Deutschland nehmen zu können. Das wäre unter normalen Umständen nicht möglich gewesen, aber Li war sein Freund gewesen. Hier in Deutschland hatten sie geheiratet. Ein Jahr später wurde Kris geboren.
Der Chauffeur nahm den Koffer und die edlen Tragetaschen aus dem Wagen und stellte alles vor die Haustür.
»Ausflug? Es war anstrengend. Die Hitze war nicht das Problem, diese unheimliche Schwüle machte mir zu schaffen. Mit dem Erreichten bin ich zufrieden. Ja, ich möchte fast sagen, es war ein Erfolg.«
»Komm zuerst einmal herein.« Kris schnappte sich den Koffer. Beatrice nahm die Tragetaschen.
»Was hast du erreicht?« Er besorgte ihr einen Gin Tonic. Das regte immer ihren Kreislauf an.
»Raphael hat mir seine neuen Pläne unterbreitet. Ich habe ihm Vollmachten für das Geschäft in Benin übertragen und ihn zum Geschäftsführer befördert. Er hat neue Märkte aufgetan. Vor allem hat er unsere Lagerkapazitäten drastisch erweitern können. Wir können ab sofort so viele Autos liefern, wie wir auftreiben können. Er hat Platz für hunderttausend Autos, sagt er. Wir sind kurz umhergefahren. Es ist ein riesiger Platz. Das ganze Areal scheint mir größer als ein Quadratkilometer. Halb voll, schätze ich. Danke für den Drink.« Sie zog mächtig an beiden Strohhalmen. Mit dem Glas in der Hand lehnte sie sich in das Sofa zurück. Sie streifte die Schuhe ab, stützte sich mit dem freien Ellenbogen auf der Lehne ab und ließ die Füße gekreuzt auf der Tischplatte ruhen.
»Erzähle! Um welche neuen Absatzmärkte handelt es sich?«
»Er hat Kontakte mit Gebrauchtwagenzentralen in den Nachbarstaaten aufgenommen. Nur wenige bleiben in Benin. Viel geht inzwischen nach Burkina Faso, Togo und Ghana. Die meisten finden den Weg in den Niger. Das Land ist gut entwickelt, die Einwohnerzahl am höchsten und dementsprechend gibt es dort das meiste Kapital. Die Leute dort suchen nicht nur gebrauchte Fahrzeuge. Für Neuwagen hat Raphael ein eigenes Areal geschaffen.«
»Wir können Neuwagen liefern?«
»Wir können so viele Wagen liefern, wie wir auftreiben können. In Kenia und Tansania stehen die Leute auf chinesische Autos von FAW aus Changchun. Wir sollten uns dem Trend anschließen und diese Autos auch nach Cotonou liefern lassen. Von dort aus können wir den Markt aufrollen.«
»Ginge das nicht besser von Nigeria aus? Von Calabar zum Beispiel?«
»Dort gibt es auch mehrere große Häfen, die ebenfalls Schiffe mit reichlich Tiefgang vertragen können, aber dort gibt es nicht das Hinterland mit den riesigen Parkplätzen.«
»Dann sollten wir versuchen, ihren Hunger zu stillen und unsere Beziehungen zu FAW ausbauen.«
»Alles schon in trockenen Tüchern. Ich habe mit der Firma telefoniert. Sie erwarten mich in einigen Wochen. Ein genauer Termin hängt von den Bedingungen ab, die wir per Video aushandeln. Wenn alles steht, fahre ich hin.«
»Unsere Nissan und Toyota vertreten wir weiter?«
»Natürlich!«
»Wo ist der neue Sitz der afrikanischen Niederlassung?«
»In Cotonou an der alten Stelle am Rande der Stadt. Das neue Gelände grenzt direkt an das alte. Wir können es zu einer Einheit zusammenlegen. Es gab dort bisher eine Brennerei für Lehmziegel, die im vorigen Jahr abgerissen worden ist. Nach einem Gespräch mit dem Bürgermeister hat dieser sich dafür eingesetzt, dass Raphael für uns das Gelände günstig erwerben konnte.«
»Er scheint dort gute Beziehungen aufgebaut zu haben.«
»Davon kannst du ausgehen. Er hat bei meiner Ankunft einen Empfang arrangiert, bei dem Leute von Rang und Namen anwesend waren. Offiziell als Eröffnungsfeier für die Erweiterung des Geschäfts.«
»Der Gebrauchtwagenhandel bleibt an Ort und Stelle wie er ist?«
»Genau wie immer. Der Lieferkette startet weiterhin in Rotterdam oder Zeebrugge. Dann geht es per Schiff nach Cotonou. Die Wechselstube im Libanon ist geblieben. Wir wickeln die Deals über den bewährten Agenten ab. Er überweiset die Beträge an die BCB, Beirut Commercial Bank. Diese Schiene arbeitet reibungslos, wie mir Raphael bestätigt hat. Auch die Übermittlung des Codes bleibt, wie sie war. Von diesem Zeitpunkt an bestimmen wir, wohin das Geld geht, zum Beispiel nach China oder Kolumbien. Der Rest landet auf unserem Konto in Luxemburg.«
»Damit ist es sauber.« Kris strahlte und zeigte seinen erhobenen Daumen. Dann kann unser Fond wieder zuschlagen.
Sie nickte zufrieden, während sie an den Strohhalmen zog. »Die Kosten der Transaktion bleiben gleich, auch wenn die Beträge durch die Geschäftserweiterung deutlich höher werden. Es gibt auch keinen Grund für eine Erhöhung, denn die Arbeit bleibt die gleiche. Im Moment ist Beirut ein gutes Pflaster für unsere Geschäfte. Seit die Lagerhalle im Hafen explodiert ist, sind die Behörden nicht so gefragt. Man hat im Moment gute Möglichkeiten, die Bekanntschaft von einflussreichen Leuten zu machen und Firmen zu unterstützen, die in diesen unruhigen Zeiten Geld brauchen. Wir haben schon eine Anfrage einer Versicherung, die beinahe alles in der Stadt versichert hat. Sie braucht jetzt Geld.«
»Wollen Sie ein Darlehn oder …?«
»Ich denke, mit ein wenig Verhandeln könnte man wenigstens dreißig Prozent übernehmen. Aber, lieber Bruder, noch ist nicht die Zeit, sich zu freuen. Gottes Mühlen mahlen langsam.«
»Ich müsste auch mal runterfahren nach Cotonou. Ich war nie dort und kenne den Mann nicht, habe ihn noch nie gesehen. Ich weiß nur, dass er Raphael heißt und Nanas Bruder ist.«
»Vertrauenswürdiger Gentleman. Pechschwarze Haare, knapp zwei Meter, groß, recht gutaussehend, sehr höflich, trug sogar einen Anzug trotz der Schwüle. Er hat sich vor drei Wochen einen Range Rover zugelegt. Schönes Auto. Er hat mich um den Platz fahren lassen.« Sie lachte. »Mehr hat er mir wohl nicht zugetraut. Sie haben es dort unten nicht so mit dem Können der Frauen, jedenfalls nicht beim Autofahren.«
»Dann sollten wir sehen, dass wir die Autos heranschaffen!«
Beatrice schob den Koffer in ihr Zimmer. Kris verzog sich ins Arbeitszimmer. Sie blieb in der Tür stehen.
»Ich habe gestern versucht, dich anzurufen. Du hast dich nicht gemeldet!«, rief sie ihrem Bruder zu. »Zurückgerufen hast du auch nicht.«
»Ich war bei Mike in der Sauna. Handy hatte ich sicherheitshalber im Auto gelassen. Ich bin kurz auf der Liege eingeschlafen. Erst als ich zuhause war, habe ich deinen Anruf bemerkt.«
Sie besuchte ihn im Arbeitszimmer.
»Gestern Abend ist alles gut gelaufen?«, fragte sie.
»Wie ich gehört habe, ist alles glattgegangen. Wieso haben wir von dem Polizeieinsatz nichts gewusst? Hätte vielleicht Ärger geben können.«
»Ich habe es mit Edwin abgesprochen. Er hat seit einigen Monaten einige Leute der Reihe nach gezielt mit der Falschinformation geimpft, dass sich in einem Container Ware befindet, auf die die Bullen scharf sind. Jetzt bin ich gespannt, wer das den Bullen gesteckt hat.«
»Meinst du, wir haben eine Ratte bei uns im System?«
»Nach diesem gezielten Polizeieinsatz ist es doch wahrscheinlich.«
»Wer ist es?«
»Ich weiß es noch nicht, aber ich denke, Mike kann uns dabei weiterhelfen. Wo steckt er eigentlich?«
Keine Antwort. Achselzucken. Kris starrte auf seinen Bildschirm, sah aber nicht hin. Er dachte an die Folgen, die eine Ratte haben würde. Sie mussten sofort reagieren.
Zurück in ihrem Zimmer packte Beatrice den Koffer aus und verstaute die Garderobe im Kleiderschrank. Dann begab sie sich in die Küche.
»Gibt’s nichts zu essen?«
»Ich habe nichts vorbereitet. Ich dachte, du kämst erst später. Sollen wir etwas bestellen oder sollen wir in ein Restaurant?«
»Restaurants habe ich in der letzten Woche genug gesehen. Haben wir noch Quiche Lorraine in der Truhe oder etwas anderes, das schnell fertig ist?«
»Gute Idee. Bin schon unterwegs.«
Während sie den Tisch deckte, war er auch schon mit vier Torteletts zurück. Er schob sie in den Backofen.
»Wie war es in Düsseldorf. Bist du erfolgreich gewesen?«
»Kann man so sagen. Ich habe eine Patek Philippe Nautilus. Was sagst du? Wäre das nichts für dich?« Sie kannte ihren Bruder. Er konnte an keinem Uhrenladen vorübergehen, ohne einen Blick in die teure Ecke zu werfen. Sie hielt sie ihm unter die Nase. »Außerdem habe ich eine für Ladies und eine Rolex Day Date. Außerdem drei Jaeger-LeCoultre.«
Er bewunderte die Uhren. Die Patek interessierte ihn am meisten. »Du konntest sie sofort mitnehmen?«
»Ich hatte sie vor Monaten dort bestellt. Ich war insgesamt in neun Uhrenläden. Sie kennen mich bereits als gute Kundin und deshalb machen sie manche Dinge möglich, die ein besonderes Engagement erfordern. Außerdem habe ich eine Patek mit ewigem Kalender bestellt und angezahlt. Sie wird in einem Jahr geliefert.« Sie heftete die Quittung zu den anderen in einen Ordner im Tresor.
»Wohin gehen sie?«
»Sie gehen allesamt nach China. Mit den Uhren, die wir schon haben, dem hochkarätigen neuen Schmuck und den beiden Bildern der Auktion haben die Waren einen Gesamtwert von fünfundzwanzig Millionen Euro. Damit haben wir nicht nur den Ausgleich geschafft, sondern sind etwas im Vorteil. Aber die Geschäfte ziehen jetzt hoffentlich an. Dann sind wir bald wieder pari.«
Kapitel 4.
Berendtsen fuhr gleichzeitig mit Hallstein um zehn Uhr auf dem Parkplatz des Präsidiums in Recklinghausen vor. Sie hatten sich zwei Morgenstunden gegönnt als Ausgleich für den nächtlichen Einsatz im Schrebergarten.
»Guten Morgen, Albert.«
»Hallo Oliver, hast du noch etwas Schlaf gefunden? Ich habe den Rest der Nacht wachgelegen. Gegen halb sechs bin ich dann eingeschlafen uns erst wach geworden, als Irmgard schon zur Schule war.«
»Dann sollten wir bei Uschi einen Kaffee trinken.« Es war bekannt, dass Uschi Bremer, Berendtsens Sekretärin, einen hervorragenden Kaffee kochte. Er galt als der beste im Präsidium.
»Einen Moment!« Berendtsen ging zurück zum Wagen und holte seine belegten Brötchen vom Rücksitz.
»Moin Uschi, ist der Kaffee fertig?«, fragte Berendtsen schmunzelnd.
»Steht bereits alles auf dem Tisch. Bedienen Sie sich, Chef. Ich habe schon gehört. Heute Nacht gab es einen Einsatz in einem Schrebergarten?«
»Zwei Uhr. Ich habe Albert aus dem Tiefschlaf gerissen. Nicht wahr, Albert?«
»Schlimm! Es hat einen jungen Mann erwischt. Eine ganze Gartenlaube ist abgebrannt. Gasexplosion. Offensichtlich herbeigeführt durch Fernzündung. Das ist die Einschätzung der Feuerwehr. Willi hat die Vermutung bestätigt. Ich werde für den Brandstifter wegen der unwirtlichen Zeit auf zwei Jahre Haft zusätzlich plädieren.«
Die Kommissare nahmen Platz.
Berendtsen spürte seinen Rücken. Er hatte sich offensichtlich in der Nacht verkühlt, sich erkältet und heute Morgen einen solchen Hustenanfall erlebt, dass er sich einen Hexenschuss zugezogen hatte. Mit leichten Dehnübungen hatte er das Schlimmste verhindern können. Das Außenthermometer seines Autos hatte sich auf dem Rückweg mit einem Ping gemeldet: ein Grad. Er hätte seinen Trenchcoat mitnehmen sollen. Irmgard hatte ihn hingehängt und ihn ermahnt. Dennoch hatte er den Mantel vergessen. Er ärgerte sich über seine Gedankenlosigkeit.
Hallstein hatte schon gefrühstückt, aber er aß noch ein Brötchen, um seinen Kollegen nicht zu enttäuschen. »Ich habe dir meine Jacke angeboten. Du hast sie ausgeschlagen, Albert. Nachts ist es oft noch sehr frisch, auch wenn es tagsüber an die achtzehn Grad geht.«
»Du hast recht, Oliver. Ich hätte sie überziehen sollen. Aber die Glut und die Flammen verbreiteten eine solche Hitze, da habe ich an meinen Rücken gar nicht gedacht.« Er trank einen Schluck. »Was hätte mir die Jacke letztendlich gebracht? Dann wärst jetzt du krank und ich hätte die Arbeit allein am Hals.« Er schaute seinen Kollegen vorsichtig an, aber der hatte die Ironie verstanden.
»Haben die Kollegen etwas über das Opfer herausgefunden, diesen Michael?«, fragte Berendtsen, während er mehrmals über den sehr heißen Kaffee blies und einen Schluck riskierte.
»Die Nachtschicht hat nichts herausgefunden«, erklärte Uschi. »Ich habe heute in der Früh bei den Einwohnermeldeämtern von Dorsten und Bottrop nach Hartmann gefragt – nichts, was auf unseren Mann passt. Seine Handynummer haben wir noch nicht. Herr Schubert ist dabei, die SIM-Karte zu identifizieren. Sie sei in Anbetracht der Umstände gut erhalten, meint er. Dann gibt es noch ein Ladekabel mit einem Mini-USB, das nicht zu seinem Handy oder seinen anderen Geräten passt. Ein Laptop, älteres Modell, konnte auch geborgen werden. Der ist allerdings kaum mehr zu verwerten. Er hofft, dass vielleicht die Festplatte noch etwas hergibt. Frau Günther ist zum Schrebergarten und befragt nochmals die Leute, deren Personalien Frank und Feil gestern genommen haben. Die Pathologie ist gerade erst mit dem Opfer angefangen. Vor elf Uhr brauchen Sie nicht fragen, meine Herren.«
»Wo sind Frank und Feil?« Berendtsen drückte seine Nasenflügel zusammen, um ein Niesen zu vermeiden. Er fühlte mit der Hand über die Stirn. Fieber hatte er nicht, fühlte sich aber schlapp.
»Zuhause, Chef. Sie haben Nachtschicht, wie sie wissen sollten. Sie haben sie heute Nacht selbst getroffen. Die beiden haben die ganze Woche Spätschicht.«
Berendtsen tippte sich an die Stirn. »Natürlich. Entschuldigung.«
Sie goss Kaffee nach und servierte Gebäck.
Berendtsen versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken. Es misslang. »Bist du nicht müde, Oliver?«
»Es geht. Mit zwei Kindern hat man Übung darin, sich die Nacht um die Ohren zu schlagen.«
Heiterkeit und Verständnis.
Berendtsen reckte sich mühsam. »Haben Sie ein Ibu für mich, Uschi?«
Sie hatte.
Berendtsen sah auf die Uhr. Uschi legte ihm die Tageszeitung hin. Der Anschlag war nicht aufgeführt. Das würde gegen Mittag erst auf der Homepage und morgen in den Nachrichten vom Kreis stehen.
Berendtsens Handy meldete sich mit der Melodie ›Up To Date‹ vom aktuellen Sportstudio. Frau Dr. Rother, die Pathologin suchte ihn.
»Guten Morgen, Frau Dr. Rother.«
»Wenn Sie Lust auf Ergebnisse haben, Herr Berendtsen, kommen Sie vorbei. Versprechen Sie sich nicht zu viel«, beugte sie gleich einer Enttäuschung vor.
»Wir sind unterwegs. Komm mit, Oliver. Die Rother hat Ergebnisse.«
Einen Moment brauchten die beiden doch noch, um den Rest Kaffee zu trinken und die beiden letzten Plätzchen zu verteilen.
Auf dem Flur zog Berendtsen geschwind ein Päckchen Taschentücher hervor und schnäuzte intensiv seine Nase.
»Verkühlt heute Nacht?«, fragte Hallstein.
»Vermutlich. Hoffentlich kommt die Erkältung nicht durch.«
Ehe die Kommissare an die Tür der Pathologie klopften, griff jeder noch einmal in die Tüte mit den Gummibärchen.
»Sicherheitshalber?«, lachte Hallstein. Er mochte den Geruch in diesen Räumen nicht.
»Was gibt’s Gutes, Frau Dr. Rother?«, begrüßte sie Berendtsen.
Sie deckte das Leichentuch bis zur Schulter auf.
»Dieser junge Mann wurde von einem Metallstück am Kopf getroffen. Er hat noch kurz gelebt, wie wir auch von dem Zeugen wissen, aber lange kann es nicht gewesen sein. Vielleicht fünf bis sechs Minuten. Die Spusi hat ein rotes Stückchen der Propangasflasche in der Laube gefunden, die zu dem Einschlag passt. Er wurde mit solcher Wucht getroffen, dass es ein Loch in die Schädeldecke geschlagen hat. Durch die Gewalt der Explosion wurde er wohl aus der Laube herausgeschleudert. Vielleicht hat er es auch geschafft, aus eigener Kraft die Laube zu verlassen. Das müssen Schmidt und seine Mitarbeiter herausfinden.« Die Pathologin stocherte mit einer Pinzette, die sie aus der aufgenähten Brusttasche zwischen den Kugelschreibern und einem Spatel herausgefummelt hatte, mehrmals in das Loch der Schädeldecke hinein. »Mich wundert, dass er überhaupt noch etwas gesagt hat. Der Mann war in einer außerordentlich guten Verfassung. Muskulös, durchtrainiert, ein Meter Fünfundachtzig. Zähne leider ok. So konnten wir anhand des Gebisses keinen Hinweis bekommen. Er war noch nie beim Zahnarzt. Außer zum Nachsehen vielleicht. Es wird keine Unterlagen geben, geschweige denn ein Röntgenbild. So kann ich leider bei der Identität nicht weiterhelfen. Schuhgröße vierundvierzig. Nichts Auffälliges. Nur seine Leber hat er nicht geschont.«
»Er hat gesoffen?« Berendtsen war erstaunt.
»Nicht exzessiv, aber doch regelmäßig. Außerdem scheint er ab und an einem Trip nicht abgeneigt gewesen zu sein. Im Blut habe ich nichts gefunden, in den kurz geschnittenen Haaren auch nicht, aber die Nase zeigt innen Veränderungen auf, die auf das Schnupfen von Kokain und das Rauchen von Crack hindeuten, was auch an den Augenbrauen festzustellen ist.« Sie fuhr mit ihrer Pinzette über die spärlichen äußeren Haare der Brauen. »In jüngster Vergangenheit hat sich nicht viel abgespielt, aber bis vor einem, vielleicht anderthalb Jahren, scheint er Drogen konsumiert zu haben. Und zwar nicht zu wenig. Wahrscheinlich wollte er einen Neuanfang und hat sich deshalb die Haare kurz schneiden lassen und angefangen zu trainieren.«
»Damit es dort nichts mehr nachzuweisen gibt?«
»Genau. Ich vermute, er hat früher – wie viele dieser Hippies – wohl die Haare lang getragen. Dann wurde er abstinent und hat sich die Kokainreste abschneiden lassen. Machen viele Cleane.« Frau Dr. Rother bedeckte die Leiche. »Der Junge scheint ein Freund italienischer Küche gewesen zu sein. In seinem Mageninhalt fanden sich Reste von Tomaten, Mozzarella und Mascarpone. Das deutet auf Pizza hin. Als Dessert gab es Tiramisu. Dazu genoss er ein Glas Rotwein. Mehr war es nicht, denn der Alkoholgehalt in seinem Blut war 0,1 Promille. Dem Zersetzungsgrad nach war er bis mindestens halb zwölf in einem italienischen Restaurant zu Gast. Ich habe mit Herrn Schmidt gesprochen, der Essensreste weder im Jagdhaus noch im Schrebergarten gefunden hat.«
»Wir sollten herausfinden, wo er gegessen hat und mit wem.« Dessert und Rotwein, fand Berendtsen, könnte ein Anhaltspunkt sein, dass er nicht allein war.
Hallstein schlenderte, die Hände in den Hosentaschen vergraben, einmal um das Opfer herum. »Vierunddreißig Jahre alt? Kommt das hin?«
»Könnte er gewesen sein. Vom Erscheinungsbild her würde ich sagen, er war Mitte zwanzig, höchstens achtundzwanzig. Vielleicht auch dreißig.«
»Hast du dich um einige Jahre verrechnet, Albert?«
»Kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich werde noch einmal den Platzwart anrufen. Die Nummer habe ich irgendwo …« Er blätterte in seinem für diesen Fall neu angelegten elektronischen Notizbuch. Wie hieß er gleich …? Drache«, fiel ihm wieder ein.
Er meldete sich nicht.
»Es macht keinen großen Unterschied. Aber wenn du dich nicht verrechnet hast – wovon ich ausgehe -, dann wundert mich das schon. Sind die Daten in seinem Stammblatt absichtlich gefälscht? Was ist noch gefälscht?«
»Wir müssen den Platzwart Drache fragen, ob für die Anmeldung ein amtliches Dokument erforderlich ist.«
»Du meinst, Albert, er hat sein Alter absichtlich falsch angegeben?«
»Wenn kein Dokument erforderlich ist, könnte es durchaus sein, dass er sich älter dargestellt hat. Vielleicht darf man erst ab einem gewissen Alter einen Platz mieten.«
»Dann könnte alles getürkt sein. Name, Vorname, Adresse …«
Berendtsens Handy vibrierte.
»Berendtsen.«
Es war der Platzwart. »Sie haben versucht, mich zu erreichen. Ich habe diese Nummer im Display gesehen. Wusste allerdings nicht, dass es Ihre war, Herr Kommissar. Was liegt an?«
»Ich habe nur einige kurze Fragen: Muss bei der Anmeldung für den Platz ein amtliches Dokument vorgelegt werden? Personalausweis oder Führerschein?«
»Natürlich. Müssen wir haben. Ist Vorschrift. Es handelt sich nicht um ein Hotel. Wir benötigen eine Bankverbindung, denn die Miete wird per Lastschrift eingezogen. Wir brauchen auch eine Anschrift, zu der wir Nachrichten schicken können, wenn der Mieter längere Zeit abwesend ist. Außerdem muss eine Telefonnummer hinterlassen werden für den Fall eines unerwarteten Ereignisses. Ein Ansprechpartner muss immer erreichbar sein. Vor Jahren gab es hier ein Unwetter mit Regen und fürchterlichem Sturm. Kyrill, kennen sie den noch? Wir mussten den Leuten Dampf machen, damit sie auf ihre Dächer achtgeben. Manche Leute kommen nur ein bis zweimal im Jahr. Da kann sich viel tun.«
»Dann haben Sie auch eine Telefonnummer?«
»Natürlich. Ich werde sogleich nachschauen? Wollen Sie warten?«
»Wenn es nicht zu lange dauert, warte ich gern.«
Berendtsen hörte, wie er den Hörer auf der Tischplatte ablegte und eine Schranktür öffnete. Blättern. Schimpfen. Irgendetwas war ihm unverhofft entgegengefallen. Ein Schmunzeln überflog Berendtsens Gesicht.
Er gab die Handynummer durch. Die Kommissare notierten.
»Wie alt ist der Mann geworden?«
»Er las das Geburtsdatum vor. Demnach war er vierunddreißig Jahre alt. Er sah aber jünger aus. Ich kannte ihn gut.«
Hallstein stieß seinen Chef an und flüsterte: »Adresse überprüfen!«
»Können Sie mir die Adresse durchgeben?« Berendtsen stellte den Lautsprecher an.
»Bottrop, Am Sportplatz vier.«
Hallstein notierte.
»Habe ich notiert. Danke für die Auskunft.«
»Kein Thema!«
»Eins noch«, rief Berendtsen ins Handy, als er beinahe aufgelegt hatte. »Hatte er ein Auto?«
»Einen dunkelblauen BMW-Fünfer.«
»Wo steht der Wagen?«
»Er steht immer hier auf dem Parkplatz vor dem Eingang. Moment, ich sehe nach … Ich kann ihn nicht ausmachen. Bleiben Sie dran. Ich sehe mich dort kurz um. Einen Augenblick.«
Die Kommissare sahen sich an.
»Der Wagen steht hier nicht. Seltsam. Ich habe ihn gestern am Nachmittag noch hier stehen sehen. Am frühen Abend ist er noch einmal weg.«
»Die Sache scheint interessant zu werden, Albert.«
»Wir sollten uns seine Wohnung in Bottrop einmal ansehen, Oliver.« Er kontrollierte die Adresse in seinem Smartphone. »Ganz im Norden.«
»Einen Schlüssel wird die Spurensicherung sicher gefunden haben. Lass uns Willi einen Besuch abstatten. Tschüss, Frau Rother.«
»Viel Erfolg wünsche ich.«
»Danke.«
»Ach … Was ist mit den Fingerabdrücken. Haben wir sie vielleicht im System?«
»Es gibt keine Fingerabdrücke. Alles verbrannt. Wollen Sie es anschauen?«
»Nein Danke.«
Kurz und knapp.
Nach einem kurzen Abstecher bei Uschi, die allerdings keine Neuigkeiten zu vermelden hatte, erschienen die beiden bei Willi Schmidt.
»Wir haben einen Schlüsselbund in seiner Hosentasche gefunden«, berichtete Willi. »Ein Autoschlüssel gehört zu einem BMW, ein anderer passt zu der Laube und zwei weitere haben wir sichergestellt, die offensichtlich zu der Wohnung passen, also für Haus- und Wohnungstür. An einer angekokelten Schranktür fanden wir an der Innenseite drei Haken, die offensichtlich als Schlüsselanhänger dienten. An einem befand sich der Zweitschlüssel für die Laube.«
»Dann hat der Täter offensichtlich die drei anderen Schlüssel mitgenommen. Zwei für die Bottroper Wohnung, der andere war der Autoschlüssel, denn das Auto ist weg.« Berendtsen zog sein Taschentuch aus der Tasche und putzte sich die Nase.
Den Wohnungsschlüssel vom Schlüsselbund hatte Willi den beiden Leuten mitgegeben, die nach Bottrop unterwegs waren, um sich die Wohnung anzuschauen.
»Ich habe sie heute Morgen gleich nach der Besprechung rausgeschickt. Sie sind bereits eine Weile bei der Arbeit.«
»Gib uns Bescheid, sobald sie etwas haben.«
»Sie haben schon angerufen. Es war bereits jemand vor ihnen in der Wohnung und hat alles auf den Kopf gestellt. Die beiden suchen nach Spuren. Interessant ist, dass das Schloss aufgebohrt war, obwohl der Täter offensichtlich einen Schlüssel hatte. Das Schloss ist zerstört, so konnten sie nicht feststellen, ob der Schlüssel, den sie mithatten, gepasst hätte.«
Die Kommissare beschlossen, die zwei Abgesandten erst einmal in Ruhe die Wohnung durchsuchen zu lassen.
»Wann wollen sie wieder zurück sein?«, fragte Hallstein.
»Du weißt selbst, Oliver, dass ich dazu nichts sagen kann. In einem solchen Durcheinander muss man mit einer langen Dauer rechnen.«
In diesem Augenblick meldeten sich die beiden Leute aus Kirchhellen.
»Wir sind im falschen Film, Chef. Das ist nicht seine Wohnung. Hier wohnt eine Familie Nowiczek.«