Kitabı oku: «Mit allem rechnen (E-Book)», sayfa 2
D Improvisieren als das «mystifizierte Anders»
Improvisation entspreche «einer Lebensform – und einer geistigen Form» und sei nicht lediglich das «Gegenbild von Komposition». So der Musikwissenschaftler Christian Kaden. Kaden umschreibt Improvisation als eine «spezifische Daseinsweise»: Ein Dasein des «So-und-auch-anders» (Kaden, 1993, S. 47). Wer sich improvisatorisch verhält, trifft eine Wahl, «aber er behält vor Augen und Ohren, dass es eine Wahl ist und dass er beim nächsten Mal andere Möglichkeiten ergreifen kann» (ebd., S. 51). Demgegenüber besitzt für Dell «Improvisation einen flüssigen Plan, der in die Navigation der Spielenden selbst als Matrix und Reservoir für Handlungsoptionen eingelagert ist» (Dell, 2012, S. 133). Im vorliegenden Band finden sich hierzu Gedanken in den Beiträgen von Kuhn, Kramer, Kröger, Suter sowie Tuma.
E Improvisationskompetenz oder improvisierendes Lernen?
Was bedeutet es, im alltäglichen beruflichen Handeln mit Unvorhersehbarem umzugehen und damit entsprechend Unvorhersehbares zu kreieren? Sollen wir lediglich besser planen, um den Plan verlassen zu können? Oder braucht es Pläne mit der Option des Scheiterns (Risikoanalyse), damit wir in der jeweiligen Situation flexibel sind, um Abweichungen in den Griff zu bekommen oder zu legitimieren? Fordern komplexe Arbeitskontexte eine erhöhte Flexibilität im Handeln? Falls diese Fragen bejaht werden, eine letzte Frage: Wie lässt sich eine spezifische Kompetenz für den Umgang mit Unvorhersehbarkeit und Mehrdeutigkeit herauskristallisieren, eine «Improvisationskompetenz»? (Vgl. den Beitrag von Suter, S. 134).
Um Improvisationskompetenz zu generieren, wäre improvisierendes Lernen per se einerseits eine Bedingung, andererseits gibt es gewisse Lernformen, die sich als improvisierend bezeichnen lassen. Ausführungen hierzu in den Beiträgen von Honegger, Kröger und Kuhn.
Überblick der Beiträge
Vorliegender Band und seine Beiträge reflektieren, welche Funktionen improvisierendes Handeln im Kontext von Handeln, Lernen und Lehren an Hochschulen und in der Erwachsenenbildung einnimmt und einnehmen kann. Die Beiträge stammen von Expertinnen, Funktionstragenden sowie Dozierenden unterschiedlicher Disziplinen (unter anderem Arbeitspsychologie, Architektur, Cultural Studies, Diversity, Erwachsenenbildung, Lehrpersonenbildung, Linguistik, Organisationsentwicklung, Musik, Städtebau und Tanz).
Eingangs erörtern Theo Wehner und Geri Thomann den Geltungsbereich von Improvisation. Wehner fokussiert auf Individuen, Thomann auf Organisation.
Inwiefern Pädagogik per se als Sicherheitskonzept funktioniert, wird im Beitrag von Geri Thomann diskutiert.
Ums Lerngeschehen an Hochschulen gehen die Ausführungen von Monique Honegger. Sie stellt dar, wie Lücken und Vielfalten einerseits Chancen für improvisierendes Lernen sind. Andererseits wird gezeigt, dass gewisse «gesellschaftspolitisch brisante Themen» an Hochschulen improvisierende Lernformen brauchen fürs Querdenken.
Ursula Bertram fokussiert in ihrem Beitrag zu nonlinearem Denken das notwendige Zusammenspiel von Improvisationskraft, Erfindungsgabe und Probierbewegungen.
Eine hochschuldidaktische Denkbewegung, die weg von bestehenden Curricula hin zu Formen für ein anderes Bildungsframework führt, das improvisierendem Lernen Raum eröffnet und dessen Relevanz aufzeigt, macht Wanja Kröger in seinem Essay.
Die Studentin Natascha Kuhn beschreibt in ihrem Erfahrungsbericht aus Studierendenperspektive, wie Improvisieren Räume für hochschulisches Lernen eröffnen kann.
Erinnerungen an improvisierende Lernerfahrungen an Hochschulen und mögliche Formen von Improvisieren aus Dozierendensicht reflektiert Mathis Kramer.
Christopher Dell schliesslich stellt sich der Frage, welches emanzipatorische Potenzial Improvisation birgt.
Improvisationskompetenz müsste sich charakterisieren und feststellen lassen können, so die Arbeitshypothese von Bernhard Suter. Mit seinem Impro-Spyder bietet er eine Möglichkeit an, das Unfassbare in sechs Dimensionen zu erfassen.
Jazzagogik nennt Rolf Kuhn das von ihm unter anderem aus den Praxen des Jazz abgeleitete Verfahren, das Kreieren und eben auch Improvisieren in denkenden Gruppen ermöglicht.
Sandra Wilhelm schliesslich rundet den Band als Leserin aller Beiträge ab und zieht ihre Folgerungen für ihre weitere Tätigkeit als Erwachsenenbildnerin und Dozentin und stellt sich neuen Fragen.
Der Band fokussiert auf ergänzende Handlungsgrundlagen – auf den ersten Blick scheinbar konträr zum rational-logisch geplanten Vorgehen: situative Gefühle, das Antizipieren von Ereignissen, das Assoziieren vorangegangener Erfahrungen, das Spielen und Rütteln an vermeintlich Festgelegtem sowie die Fantasie als zentrale Komponenten der Handlungsregulation.
Gegenstimmen und Contra-Argumente sollen es Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, in Ihrem «Hin- und Herdenken» ermöglichen, eine Position zu finden. Diese finden sich als kurze prägnante und kernige Sätze zwischen den jeweiligen Beiträgen. Auf unsere Bitte hin formulierten die folgenden Kolleginnen und Kollegen kurze Gegenpositionen, die nicht unbedingt ihrer persönlichen Überzeugung entsprechen: Daniel Ammann, Nadine Bieker, Matthias Briner, Dagmar Engfer, Anja Friderich, Erik Haberzeth, Simone Heller-Andrist, Walter Mahler, Jürg Schwarz und Katrina Welge.
Die künstlerische Umsetzung des Themas «Improvisieren» in der Bildungsarbeit obliegt Sarah Burger. Ihre Grafiken (auch auf dem Titelbild) finden sich jeweils neben den Gegenstimmen («Weather, Words», 2020).
Herzlichen Dank unserer Reflexions- und Begleitgruppe während unserer Jubiläumsaktivitäten im Jahre 2019 für etliche Anregungen: Tamara De Vito, Dagmar Engfer, Wanja Kröger, Mira Sack und Beni Suter.
Literatur
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Bauman, Zygmunt (1995). Moderne und Ambivalenz. Frankfurt am Main: Hamburger Edition.
Beck, Ulrich (2003). Risikogesellschaft – auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt: Suhrkamp.
Bomann, Jennifer & Yeo, Michelle (2019). Exploring and learning from failure in facilitation. In: International Journal for academic development. Online: www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/1360144X.2019.1700120.
Bormann, Hans-Friedrich et al. (Hrsg., 2010). Improvisieren – Paradoxien des Unvorhersehbaren. Bielefeld: Transcript.
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Kaden, Christian (1993). Des Lebens wilder Kreis – Musik im Zivilisationsprozess. Kassel: Bärenreiter Verlag.
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Sieber, Peter (2018). Autorenschaft und Ästhetik – Abwesende in der Schreibdidaktik? Online: zeitschrift-schreiben.ch
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Zanetti, Sandro (Hrsg., 2014). Improvisation und Invention – Momente, Modelle, Medien. Zürich: diaphanes.
Improvisation legitimiert nachträglich selbst verschuldete Pannen.
Theo Wehner und Geri Thomann
Über den Geltungsbereich improvisierenden Handelns[1]
Gut ist der Vorsatz,
aber die Erfüllung schwer.[2]
Menschen planen, handeln und improvisieren (auch)
… am besten war ich, wenn ich improvisierte.
In einer Weiterbildung mit Dozierenden zum Fehler- und Konfliktmanagement ging es um die Voraussetzungen und um die Bewältigung von Fehlern. Die Dozierenden waren sich einig, dass unter anderem fehlende Ressourcen und Gründlichkeit bei der Vorbereitung eine der häufigsten subjektiv wahrgenommenen Fehlerquellen für einen nicht gelungenen Unterricht darstellen. Als wir den Umgang mit Fehlern, Pannen, Irrtümern oder nicht vorher bedachten Störungen im Unterricht reflektierten, gab es viele interessante, meist individuelle Erfahrungsberichte, aber letztlich keinen gemeinsamen Nenner. Eindrücklich war für den Erstautor des Textes die in einem späteren Gespräch selbstbewusste Aussage eines Dozenten: «Am besten war ich, wenn ich improvisierte …» Obwohl dieser Dozent meine kopfnickende Zustimmung erfuhr, schob er unmittelbar nach: «… natürlich ging das nur, wenn ich auch gut vorbereitet war.» Damit ist der Dreiklang benannt, um den es im Folgenden geht: (gründliche) Vorbereitung – (unerwartete) Störung – (selbstsichere) Improvisation.
Wer erfolgreich improvisiert, braucht – dort, wo der Plan nicht hinreicht, oder dort, wo Störungen auftreten, mit denen nicht zu rechnen ist – Handlungsfähigkeit in Form von Geistesgegenwart beziehungsweise eine gesteigerte Präsenz. Vor diesem Hintergrund soll hier – stark vereinfacht – nachgezeichnet werden, was in der Psychologie unter Handeln verstanden wird.
Wer improvisiert, der handelt
Wer vom menschlichen Handeln – im Alltag oder in organisationalen Kontexten – spricht, der spricht irgendwann immer auch und zwar ausführlich vom Planen und weiss sich damit in guter Gesellschaft mit der Praxis von Führungspersonen, Dozierenden, Lehrpersonen und mitunter auch von Lernenden: Sie alle legitimieren ihr Handeln meist durch Planung und finden dafür auch in den angewandten Wissenschaften veritable Referenzen (Walkowiak & Erber-Schropp, 2017 oder Heimberg, 2017).
Wer hingegen vom improvisierenden Handeln sprechen möchte, relativiert den vermeintlich allumfassenden Geltungsbereich des rational-planvollen Vorgehens und muss jenen der Improvisation – als erweitertes Handlungsvermögen – bestimmen.
Improvisierendes Handeln – ob in einer musikalischen Darbietung, in der manageriellen, handwerklichen oder pädagogischen Praxis – zeigt sich als aktives Tätigsein, welches zum Beispiel für die Musik nicht auf eine Komposition oder, in den anderen Fällen, nicht auf einen geplanten Ablauf zurückgreift. Um Handeln handelt es sich dabei aber allemal.
Ohne an dieser Stelle eine Handlungs- oder Tätigkeitstheorie zu referieren oder gar weiterzuentwickeln (Volpert, 1992; Leontjev, 1977), lässt sich, um Handeln zu kennzeichnen, auf enzyklopädisches Wissen zurückgreifen: «Handeln bezeichnet jede menschliche, von Motiven geleitete zielgerichtete Tätigkeit, sei es ein Tun, Dulden oder Unterlassen.»[3] Letztlich ist es die Ethik beziehungsweise die Moralphilosophie, die sich auf universaltheoretischer Ebene mit der Bewertung menschlichen Handelns und auch mit dessen Absichten und Voraussetzungen befasst (vgl. hierzu den Beitrag von Honegger, S. 68). Als zentral gilt dabei eine Hervorhebung von Höffe (1992, S. 92): «Handlungen sind nur verstehbar, wenn sie unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, ob sie ein Mittel darstellen, das gewünschte Ziel zu erreichen.» Der Zweck, die Mittel und die Zweck-Mittel-Relation sind es, die für zielorientiertes menschliches Handeln bestimmend sind – egal, ob es sich um improvisierendes, schöpferisches, kreatives, innovatives oder auch um rational-planvolles Handeln handelt.[4]
Das Tätigsein verbindet Mensch und Umwelt
Obschon – gerade in institutionellen Kontexten, wie Schule, Hochschule oder Betrieb – behavioristisches Denken und Handeln (Skinner, 1938) in Form von Belohnung und Bestrafung noch häufig anzutreffen ist, ist das Reiz-Reaktions-Schema, was der Verhaltensverstärkung und -löschung zugrundeliegt, in seinem Geltungsbereich stark eingeschränkt und weitgehend durch kognitive Modelle (Miller et al., 1960; Neisser, 1976) ersetzt worden. Letztere beziehen auch innerpsychische Verhaltensprozesse mit ein. Hervorgehoben wird damit, dass nicht die Unmittelbarkeit zwischen Umweltreizen und menschlichen Verhaltensreaktionen die «Mensch-Umwelt-Beziehung» (M–U) am treffendsten beschreibt, sondern eine durch Vorschau und Rückkopplungsprozesse sich ergebende Kreisstruktur. In dieser Struktur tritt die menschliche Tätigkeit (Leontjev, 1977) als verbindungsstiftendes Glied zwischen die «Subjekt-Objekt-Beziehung» (S–T–O). Dabei spielen selbstverständlich Bedürfnisse, Motive, Einstellungen, mentale Modelle und Erfahrungen eine zentrale Rolle. Für unsere Diskussion genügt es festzuhalten: Wir verhalten uns nicht reizgesteuert, womöglich gar reflexartig. Wir sind vielmehr selbstbestimmte beziehungsweise weitgehend autonome Handlungswesen und beziehen dabei – aufgrund kontextueller Gegebenheiten – auch nicht bewusst zugängliche Fähigkeiten mit ein. Zu nennen sind hier zumindest folgende Konzepte: tacit knowledge (Polanyi, 1985); «gefühltes Wissen» (Gigerenzer, 2007, 2008); embodied mind (Fuchs, 2018); «Presencing = gegenwärtiges Erspüren» (Scharmer, 2015, S. 172, vgl. auch den Beitrag von Kuhn, S. 154) oder eben improvisierendes Handlungsvermögen (Dell, 2002, 2012). Diese impliziten, nicht grundsätzlich bewusstseinspflichtigen Wissensformen bergen Schnittmengen zum improvisierten Handeln, wie es in diesem Band thematisiert wird. Wir verweisen weiter unten nur auf eines dieser Konzepte, das «subjektivierende Handeln» nach Böhle (2017).
Wer tätig ist und handelt, der antizipiert
«Wie wir handeln, was wir können» (Volpert, 1992) ist umfassend erforscht sowie beschrieben worden und beeinflusste über viele Jahrzehnte die angewandten Disziplinen, insbesondere die Arbeitspsychologie (Hacker, 1986; Ulich, 2005). Wie immer die verschiedenen handlungstheoretischen Konzepte dargestellt werden, lassen sich die Teilaspekte auf wenige Komponenten reduzieren (s. Abb. 1) und stimmen in Hinblick auf ein zentrales Merkmal menschlichen Handelns – das der Zielantizipation – überein. Die Vorwegnahme eines Ziels charakterisiert letztlich das, wovon jedes Handeln handelt (vgl. Stadler & Wehner, 1983, 1985): Wenn sich individuelle Wünsche entwickeln und psycho-physiologische Bedürfnisse zeigen und selbst dort, wo Ideen ins Bewusstsein gelangen, entsteht parallel dazu auch ein antizipiertes (Wunsch-)Ziel[5].
Abbildung 1: Allgemeines psychologisches Handlungsmodell
Der Antizipationsbegriff ist seit Cicero belegt und bezeichnet, dass Ereignisse, Entwicklungen oder Handlungen vorweggenommen werden. Der Begriff verweist aber auch auf die Fähigkeit aller lernfähigen Lebewesen, aus dem Gelernten – durch Reflexionsprozesse – Konsequenzen für zukünftiges Handeln zu ziehen. Die Frage nach der Antizipation ist damit auch die Frage nach der Quantität und Qualität vorher durchlaufener Handlungs- und Lernprozesse. In seiner früh formulierten und bis heute Evidenz beanspruchenden «Theorie der Persönlichen Konstrukte» formulierte G. A. Kelly (1955, S. 156) wie folgt: «Die psychischen Prozesse einer Person werden durch ihre Art, Ereignisse zu antizipieren, geregelt.»
Für unser Thema des Improvisierens ist in der Abbildung 1 zentral, dass auf eine mögliche Differenz zwischen dem antizipierten Wunschziel und dem real erreichten Ergebnis hingewiesen wird. Selbst in natürlichen, chemischen, evolutionären und erst recht in technisch konstruierten oder programmierten Abläufen realisieren sich nicht nur die angenommenen Anfangs- und Randbedingungen. Nicht selten wirken auch kontingente Bedingungen auf das Geschehen ein: «Zufall und Notwendigkeit» (Monod, 1971) kennzeichnen natürliche, lebendige und technische Prozesse.
Auf das Handeln bezogen zeigen sich in der Differenz zwischen dem antizipierten und dem tatsächlich erreichten Ziel die Auswirkungen von Störungen, Irrtümern, Fehlern, Missverständnissen und unter Umständen sogar von Scheitererfahrungen. Auch dies gilt – so unsere Hervorhebung – wiederum sowohl für rational-geplantes Handeln als auch für andere, adjektivisch gekennzeichnete Handlungsweisen. Mit anderen Worten: Auch das improvisierte Handeln kann scheitern. Es kann sich im Nachhinein als irrtümlich oder fehlerhaft, als gescheitert erweisen. Trifft man diese Annahme nicht, so bewegt man sich auf «überirdischen», zumindest «übersinnlichen» Pfaden.
Die unerwarteten, mitunter sogar unerwünschten Ereignisse führen uns in die psychologische Fehler- und Irrtumsforschung (Wehner et al., 1983; Wehner 1992; Dörner, 1989; Reason, 1990) und – im Hinblick auf den Umgang mit diesem Zustand – zu meist zweierlei Fragen:
I. Wie lässt sich das antizipierte Ziel eventuell dennoch erreichen?
II. Welches Lernpotenzial ergibt sich aus der Reflexion einer Zielverfehlung?
Die Hinwendung zur ersten Frage (I) verweist auf das improvisierende Handeln, während die zweite Frage (II) – gerade im Hinblick auf individuelles und organisationales Lernen – hinreichend beantwortet wurde und in der Praxis auf breite Anwendung gestossen ist (vgl. hierzu die Ausführungen zum single-, double-loop sowie zum deutero-learning; Argyris & Schön, 1996; Bateson, 1972).
Wer improvisiert, braucht dafür nicht nur Gründe, sondern auch einen Auslöser
Während technische Abläufe so gestaltet werden, dass eine Störung möglichst zum Stillstand des Geräts oder der Anlage führt (v. Neumann, 1967), bemühen sich lebendige Kommunikations- oder Handlungsprozesse darum, dass sich Störungen, Fehler, Irrtümer oder Missverständnisse harmlos auswirken, sodass der Handlungsprozess nicht völlig zusammenbricht, im Fluss bleibt und damit die ursprünglichen Absichten beziehungsweise initialen Wünsche oder Bedürfnisse weiter verfolgt werden können – wenn auch nicht wie geplant. Unabhängig davon, was die Ursachen dafür gewesen sein mögen, warum ein real erreichter Zustand nicht mit den Erwartungen übereinstimmt, lässt sich zufälliges oder chaotisches Weiterhandeln äusserst selten beobachten, ein Sichdurchwursteln schon eher und häufiger improvisiertes Handeln.
Wenn improvisiertes Handeln nicht Selbstzweck ist – was es im Jazz durchaus sein kann (s. den Beitrag von Kuhn, S. 154) – dann braucht es einen Auslöser. Nehmen wir an, eine Dozentin hat in einer bestimmten, gut geplanten Lehreinheit vorgesehen, dass sie von einer Studentin in wichtigen, ebenfalls geplanten und eingeübten Passagen, unterstützt wird. Nehmen wir nun weiter an, dass die Studentin am Unterrichtstag nicht kommt, weil sie krank ist, aber leider keine Ersatzperson eingeplant war: «Die Stunde verschieben, oder improvisieren?» ist dann die Frage. Wer diese Frage mit improvisierendem Handeln beantwortet, kann durchaus erleben: «Nicht gescheitert bin ich, weil ich improvisierte.» Improvisation ist also mehr als eine Verlegenheitslösung, sondern eine Form von Handlungsvermögen, die durch ein nicht antizipiertes kritisches Ereignis ausgelöst wird und zum Erfolg führen kann. Der Geltungsbereich improvisierenden Handelns beginnt demnach dort, wo ein noch so rational geplanter Vorgang zu seinem vorläufigen Ende gekommen ist und wo relatives Scheitern[6] seinen Ausgang nehmen könnte.
Hervorgehoben werden muss an dieser Stelle noch, dass wir – für alltägliches oder berufliches Handeln – davon ausgehen, dass nur, wer umfassend geplant beziehungsweise sich gut vorbereitet hat, auch auf sein improvisierendes Handlungsvermögen zurückgreifen kann – ohne Garantieanspruch, wie beim rational-planvollen Vorgehen auch.
Wenn nun sowohl auf den Auslöser beziehungsweise auf die Gründe für das improvisierende Handeln und damit auch auf den Geltungsbereich hingewiesen wurde, kann noch ein Gedanke bezüglich der Konsequenzen geglückter Improvisation angefügt werden. Der geglückten Improvisationserfahrung sollte nicht ein Planungspessimismus folgen; es gilt vielmehr, «unrealistischen Planungsoptimismus» zu überwinden. Nicht nur Märchenfiguren unterliegen dem «Rumpelstilzchen-Effekt»[7]: Auch menschliche Planerinnen und Planer entwerfen technische oder organisatorische Pläne, bei denen meist der jeweils günstigste Verlauf unterstellt wird und Unwägbarkeiten (Friktionen) nicht bedacht werden (Strohschneider & von der Weth, 2002). Dieser Gedanke ist nicht neu. So findet sich in Kants «Prolegomena» (Kant, 1795, S. 4–10) eine wahrlich planungspessimistische und in Vergessenheit geratene Sentenz:
Pläne machen ist mehrmalen eine üppige, prahlerische
Geistesbeschäftigung,
dadurch man sich nie ein Ansehen von schöpferischem Genie gibt,
in dem man fordert, was man selbst nicht leisten kann,
tadelt, was man doch nicht besser machen kann,
und vorschlägt, wovon man selbst nicht weiss, wo es zu finden ist.