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Improvisiertes Handeln ist anschlussfähig
Beim Verweis auf die handlungstheoretischen Ansätze blieb bis jetzt unerwähnt, dass anfangs die emotionalen, sinnlichen Anteile des Handelns zugunsten der rational-planbaren Regulationsaspekte ausgeblendet wurden. Auch wenn dies in späteren Arbeiten (vgl. Volpert, 1992) nachgeholt wurde, bildete sich parallel dazu eine handlungstheoretische Perspektive, die das «erfahrungsgeleitete Handeln» (Wehner & Waibel, 1997; Waibel-Fischer et al., 2004) und das «subjektivierende Handeln» (Böhle, 1989) in den Fokus rückte und in der betrieblichen Lebenswelt intensiv erforschte. Beide empirisch breit und gut untersuchten Perspektiven (Fischer et al., 2004; Böhle, 2017) sind durchaus anschlussfähig an das Konzept des improvisierenden Handelns. Das Konzept des subjektivierenden Handelns soll deshalb hier noch skizziert werden. Subjektivierendes Handeln wird in Böhle (2017, S. 27 ff.) durch besondere Umschreibungen der Vorgehensweise, der sinnlichen Wahrnehmung, des Denkens sowie der Beziehung zur Umwelt charakterisiert und vom objektivierenden Handeln abgegrenzt. Zu den genannten Charakteristika im Einzelnen, und zwar im Wortlaut:
«Vorgehensweise: Planmässig-rationales Handeln verläuft nach dem Grundsatz ‹erst entscheiden, dann handeln›. Der praktische Vollzug des Handelns beruht demnach auf der Durch- und Ausführung von ex ante getroffenen Entscheidungen über Ziele und Mittel. Das subjektivierende Handeln beruht demgegenüber auf einem explorativ-dialogischem Vorgehen. Leitend sind Intentionen (Absichten), wobei die Ziele sowie insbesondere Mittel und Wege (erst) im praktischen Handeln und durch das praktische Handeln eruiert und festgelegt werden. Man tritt dementsprechend ‹in einen Dialog› mit den Dingen und wartet die ‹Antwort› des Gegenübers ab. Aktion und Reaktion, Entscheiden und praktisches Handeln sind unmittelbar verschränkt und in einem kontinuierlichen Fluss.»
«Sinnliche Wahrnehmung: Das explorativ-dialogische Vorgehen ist mit einer besonderen Art der Wahrnehmung verbunden. Sie richtet sich beim Erkennen und Beurteilen der jeweiligen Gegebenheiten nicht nur auf exakte und eindeutig definierbare Informationen, sondern vor allem auf diffuse und nicht präzise beschreibbare Eigenschaften und Ausdrucksformen».
«Denken: Mentale Prozesse sind unmittelbar ins praktische Handeln eingebunden. Sie sind solchermassen wahrnehmungs- und verhaltensnah. Sie erfolgen weniger in Begriffen und logisch schlussfolgernd, sondern in Bildern und Assoziationen. Konkrete Ereignisse und Abläufe werden ‹wie in einem Film› vergegenwärtigt. Dies bezieht sich auch auf akustische Vorgänge und Bewegungsabläufe. Assoziative Verknüpfungen entstehen dabei nicht beliebig, sondern ergeben sich aus ‹der Sache› und hiermit verbundenem subjektivem Erleben. […] Diese sinnliche Wahrnehmung ist verbunden mit einem subjektiven Empfinden, das sich in einem leiblichen Spüren äussert.»
«Beziehung zur Umwelt: Die Beziehung zur Umwelt beruht beim subjektivierenden Handeln nicht auf Distanz und Trennung, sondern auf Nähe und Einheit sowie Gemeinsamkeit und Ähnlichkeit. So werden auch materielle Gegebenheiten ‹als› beziehungsweise ‹wie› Subjekte wahrgenommen und behandelt. Ihr Verhalten wird als nicht vollständig berechenbar und determiniert, sondern als Ausdruck eines ‹Eigenlebens›, auf das man sich einstellen muss, betrachtet» (Böhle, 2017 S. 27 ff.).
Zum subjektiven Erleben gehörte immer schon, dass ein Handlungsvorhaben mit Risiken, mit Unsicherheit und Unwägbarkeiten verbunden ist. Davon wird in diesem Band noch oft die Rede sein, vor allem auch im Beitrag von Thomann (S. 46). Wir widmen diesem Aspekt ein kurzes Kapitel und schliessen damit Teil I des Textes ab.
Handeln in komplexen Situationen: Handeln unter Unsicherheit
Bildungsinstitutionelles Führungshandeln, aber auch unterrichtliches Planen und die Durchführung von Lehrveranstaltungen sind häufig Handeln in einem komplexen System und damit immer auch Handeln unter Unsicherheit (Grote, 2009 oder der Beitrag von Thomann, S. 46). Dieser Hinweis hätte zwar auch als erster Satz des Textes stehen können – er dient uns nun für den Ausklang von Teil I und zur Überleitung zu Teil II des Textes.
In komplexen Situationen bestehen dynamische Wechselwirkungen zwischen Innen- und Aussenwelt, es herrschen Un-Ordnung sowie Mehrdimensionalität und es fehlen strukturierte Verfahren, die Gewissheit bieten oder gar Richtigkeit versprechen. Was hier hilft, ist ein reflexiv-iteratives Handeln, dass die verschiedenen Sichtweisen – die sich durch das Handeln ergeben – zu stimulieren und zu koordinieren vermag. Komplexität erlaubt keine guten Prognosen und vorhersehbare Situationsbeschreibungen. Komplexität verlangt einerseits ein permanentes Beobachten der Umgebung, um Muster zu erkennen und zu prüfen, und andererseits ein zweckoffenes Experimentieren zur Erzeugung von Mustern, Routinen und Regeln. Beides dient nicht dazu, gesicherte Aussagen über die Zukunft zu machen, sondern es dient einem Stimulieren von Entwicklungspotenzial, um Anpassungsfähigkeit in der Gegenwart zu erzeugen. Die Pläne, Routinen oder Regeln – die auch in komplexen Kontexten sinnvoll sind – erhalten die Funktion, dass man sie diskutiert und sich als Handelnder positioniert – sie sind nicht dazu da, gehorsam umgesetzt zu werden. Um die innere Befindlichkeit in solchen Situationen zu beschreiben, sei auf die folgende Vierfeldertafel (Abb. 2) verwiesen.
Abbildung 2: Vorgehensweisen in einfachen versus komplexen Situationen (nach Wippermann, 2012)
In einfachen Situationen, in denen beispielsweise Dozierende klare Entscheidungen treffen und sie routinierte Handlungsmuster zur Zielerreichung verwenden können, herrscht «produktive Ruhe». Treten in diesen Situationen allerdings Überraschungen (unerwartete Ereignisse) auf, dann wird «un-produktive Unruhe» erlebt; unproduktiv deshalb, weil vorderhand Handlungskompetenzen und -routinen fehlen und man sich irgendwie durchwursteln oder gar als gescheitert aufgeben muss. In komplexen Situationen, in denen schlecht strukturierbare Entscheidungssituationen vorliegen und dennoch mit routinierten Handlungsmustern und nicht etwa mit improvisierendem Handlungsvermögen vorgegangen wird, kommt es zu «un-produktiver Ruhe». Unproduktiv deshalb, weil das Vorgehen eher zum Scheitern als zur Bewältigung der situativen Anforderungen führt. Werden komplexe Situationen auch als solche wahrgenommen und das Vorgehen als unbekannt eingestuft, herrscht «produktive Unruhe»: die günstigste Voraussetzung für den Umgang mit Komplexität in Organisationen und auch für improvisierendes Handeln. Um dies nachvollziehen zu können, muss im Folgenden auf Charakteristika organisationalen Handelns eingegangen werden, da wir in Teil I primär individuelles Handeln beschrieben haben. Um das Handeln in Organisationen zu verstehen, sei folgende Ausgangsfrage formuliert:
▸Wie lässt sich auf organisationaler Ebene eine Handlungsform beschreiben, die von Sensibilität für den Umgang mit Unerwartetem, einer produktiv-reflexiven Haltung zu nicht antizipierten Ereignissen und einem Hinterfragen von organisationalen Routinen gekennzeichnet ist?
Improvisation als managing the unexpected – oder die alltäglichen Anforderungen in Organisationen
Organisationen handeln (auch) mit eingeübter Inkompetenz
Ein erster Zugang zur Beantwortung der obigen Frage gelingt mit einem Konzept von Argyris. Er entwickelte die Vorstellung der «defensiven Routinen» und der «eingeübten Inkompetenz» (Argyris, 1997). Defensive Routinen sind Handlungen, die Menschen vor negativen Überraschungen, Gesichtsverlust oder Bedrohungen bewahren und gleichzeitig die Organisation daran hindern, die Ursachen für mögliche Pannen und Fehler zu reduzieren. Gleichzeitig bedeutet «Routine» aber, dass die Art und Weise, wie versucht wird, unerwünschte Handlungen zu unterbinden, einem gemeinsamen Muster folgen kann: Unterschiedliche Menschen greifen zum gleichen Mittel, um psychisch schwierige Situationen zu bearbeiten, etwa durch Schweigen, Rückzug, Gegenangriffe, Beschämungen, Themenwechsel, Racheaktionen oder Ausgrenzungen.
Gelernte und fixierte Grundmuster im Umgang mit schwierigen oder neuartigen Situationen funktionieren häufig linear als single-loop learning in einem steten Kreislauf von Aktion und Reaktion. Dies geschieht, ohne die etablierte Vorgehensweise (Routine) grundsätzlich und reflexiv auf einer Metaebene infrage zu stellen (double-loop learning). Dabei entwickeln sich organisationale defensive Musterschlaufen, die eigentliches Lernen – als aktive Anpassung an veränderte Verhältnisse – verhindern.
Organisationales Lernen findet laut Argyris und Schön (2002, S. 31 f. und S. 47) erst dann statt, wenn frühere Erfahrungen von Erfolg und Misserfolg analysiert und interpretiert werden, wenn auf Überraschungen – bei Nichtübereinstimmung von erwarteten und erfolgten Ergebnissen – mit Reflexion und veränderter Aktion geantwortet wird. Das Konzept der «defensiven Routinen» legt auch nahe, dass wir – insbesondere in institutionellen Zusammenhängen – eher dazu neigen, Stabilität und Beständigkeit anzunehmen und uns dadurch Organisationen irrtümlicherweise als stabile Gebilde erscheinen, obwohl wir wissen, dass sie sich fortlaufend verändern. Diese Annahme wird durch die psychologische Fehlerforschung, wie bereits oben angedeutet, unterstützt: Wehner und Mehl (2016) weisen nach, dass das kognitive System versucht, Mehrdeutigkeit zu disambiguieren, Instabilitäten aufzuheben und konsistente Interpretationen der Umwelt zu erzeugen. Der Fehler wäre demnach ein Indikator für den Zeitpunkt, zu welchem das kognitive System einen stabilen Zustand verlassen und eine neue Lage aufsuchen muss: «Ist jemals eine Organisation deshalb am Überleben gescheitert, weil sie etwas Wichtiges vergessen hat? Es ist wahrscheinlicher, dass Organisationen deshalb scheitern, weil sie zu vieles zu lange im Gedächtnis behalten und fortfahren so zu tun, wie sie es schon immer getan haben» (Weick, 1995, S. 320).
Gespeicherte Informationen sind heilig
Der Organisationswissenschaftler Karl Weick (1995, S. 321) führt aus, dass in den meisten Organisationen die gespeicherten Informationen als «heilig» betrachtet werden, sodass überliefertes Wissen nicht diskreditiert wird (über den Umgang mit «Heiligem» oder nicht Aussprechbarem, siehe auch den Beitrag von Honegger, S. 68). Eine solche Risikovermeidung führt nicht selten zu einem Absicherungsaufwand, welcher Sicherheit suggeriert.[8] Parallel dazu wissen aber alle Organisationsmitglieder insgeheim, dass sie gerade bei allgegenwärtigem Produktions- oder Leistungsdruck die sicherheitsgebietenden Regeln missachten, um gute Ergebnisse zu erzielen. Innovationen entstehen (auch in Bildungsorganisationen) in der Regel nicht über die tradierten Kaskaden von Linienentscheiden, sondern über das frische Wagnis der Erprobung. Die verbindliche Regelung von (Qualitäts-)Standards stellt in einer Welt sich beschleunigender Entwicklung plötzlich ein Innovationshemmnis dar, weil der Veränderungsbedarf den Standpunkt der Verbindlichkeit immer wieder überholt.
Die formale Rhetorik der «Sicherheit» widerspricht hier der informellen Realität, dass ab und an die Sicherheitsregeln missachtet werden müssen, um im Nachhinein erfolgreich zu sein. Hinter Ersterer steckt die fatale Überzeugung, Risiken liessen sich verhindern, wenn professionell geplant und nicht situativ improvisierend vorgegangen wird. Dabei könnte die sichtbar gemachte Ambivalenz kurzfristig die Anpassung und langfristig das Überleben garantieren; Paradoxien könnten als Promotoren für Systembewegung verstanden werden und das Abwehrsystem sowie die Resilienz der Organisationen stärken (Weick, 1995, S. 346; Thomann, 2016). Etablierte Routinen dagegen stärken Organisationen und Mitarbeitende in der Annahme, sie hätten alles unter Kontrolle und die dazu gehörenden Pläne verleiten dazu, das Unerwartete auszublenden. Für Weick und Sutcliffe (2016, S. 72 ff.) geht es jedoch gerade in schwierigen Situationen nicht darum, das Unerwartete mit Routinen und Plänen einzudämmen, sondern situativ-reflexiv damit umzugehen; Voraussetzung hierfür ist es, resilient zu sein.
Organisationale Resilienz
In Krisensituationen (wie etwa in der zur Zeit des entstehenden Buches virulenten Corona-Pandemie) lässt sich grundsätzlich schlecht planen und antizipieren, jeder Moment kann noch so optional gedachte Pläne (sogenannte Szenarien) umstossen – situativ-reflexives Handeln und das Aushalten von Nichtplanbarkeit sind gefragt. Werden Krisensituationen jedoch, spätestens nachdem sie bewältigt wurden, systematisch ausgewertet, entwickeln sich nicht nur bei den beteiligten Individuen Widerstandskräfte. Resilienz entsteht ebenso auf der Ebene von Teams und Organisationen. Handlungscharakteristika von hoher organisationaler Resilienz haben Weick und Sutcliffe (2016) vor allem bei sogenannten high reliability-Organisationen herausgearbeitet;
Kennzeichen von resilienten Handlungsmustern der Bewältigung sind dabei:
▸wiederkehrende und identitätsstiftende Handlungen beibehalten, Handlungsrepertoire ausdehnen, handlungsfähig bleiben und Improvisationsfähigkeit entwickeln (Strukturen aufrechterhalten, wo möglich, und modifizieren, wo nötig);
▸versuchen, neue Situationen einzuschätzen, gleichzeitig weiterhandeln und die Situationen (mit-)gestalten (nicht warten, bis die Krise vorbei ist);
▸den Berichten anderer vertrauen, ehrlich von eigenen Beobachtungen berichten, Präsenz zeigen und ansprechbar sein;
▸gemeinsam Konzepte mit (neuen) Wahrnehmungen verknüpfen und modifizieren;
▸Erwartungen (bezogen auf die aktuelle Situation) klarstellen, begrenzen, aktualisieren und dadurch die «disruptive Energie unerwarteter Ereignisse» reduzieren;
▸eher kuratieren als antizipieren, Sorge tragen in der Gegenwart (schnelle Feedbackprozesse einrichten) statt planen.
Organisationale Resilienz ist damit eine Mischung aus Erfahrungen, fortlaufendem Handeln und intuitiver Neukombination – immer jedoch auf der Basis einer minimalen Grundstruktur.[9]
Für die Führung in Organisationen bedeutet dies das Zur-Verfügung-Stellen von Strukturen und von (informellen und formalen) Gefässen der Reflexion, Zulassen von Zweifeln, Klären von Erwartungen sowie Pflegen einer sorgenden Haltung – dies alles in einer verantwortungsvollen und entscheidungsfreudigen Moderation.
Improvisation und Organisation
Spätestens seit dem 1995 in Vancouver von der Academy of Management ausgerichteten Kongress Jazz as a metaphor for organizing in the 21th century (Kamoche et al., 2002), wird Improvisation nicht mehr rein negativ – als Verlegenheitslösung und Planungsdefizit – konnotiert. Dell (2012, S. 129) spricht in der Folge dieser Diskussionen gar von einem improvisational turn in der Organisationstheorie. Auch für Weick[10] ist die Improvisation – als just in time strategy – eine «Geisteshaltung», die im manageriellen Handeln bedeutsam wird, als «gleichzeitiges Denken und Handeln, gleichzeitiges Aufstellen und Befolgen von Regeln […]. Handeln, das auf Codes basiert, permanenter Wechsel zwischen Erwartetem und Nicht-Erwartetem, und schliesslich eine grosse Abhängigkeit von intuitivem Erfassen» (Weick, 1998, zitiert in Rüsenberg, 2004, S. 206).
Demnach ist in einer improvisierenden Organisation ein konstruktiver Umgang möglich mit schlecht strukturierbaren situativen Anforderungen, wie sie in Abbildung 2 gekennzeichnet werden und bei den Akteuren «produktive Unruhe» auslösen: «Improvisation erkennt Unordnung an und versucht mit den Potenzialen, die in einer Situation vorhanden sind, zu arbeiten. Improvisation bedeutet dann, mit den Materialien der Wirklichkeit zu arbeiten und gleichzeitig diese Wirklichkeit mit zu gestalten» (Dell, 2012, S. 127).
Selbstverständlich wird nach wie vor in vielen Organisationen seriös geplant sowie überwiegend nach vorgegebenen «Partituren» gespielt und nur in Ausnahmesituationen improvisiert. Wenn eine hohe Betriebssicherheit entscheidend ist, sind wir alle froh, dass Mitarbeitende vor- und umsichtig mit Improvisationen umgehen. Nicht zuletzt treffen gerade in Expertenorganisationen Kulturen der Improvisation auf solche von notwendigerweise standardisierten Abläufen; beide sind notwendig und gerechtfertigt und beide benötigen ein Verständnis der anderen «Spielweise».
Improvisierendes Handeln ist jedoch sinnstiftend für Anforderungen, die ein flexibles und innovatives Vorgehen verlangen sowie für Situationen, in welchen man Routinen und Muster verändern und Bewegungen erzeugen möchte.
Eine «Improvisierende Organisation» (Dell, 2012) ermöglicht dann, fördernd mit komplexen Anforderungen umzugehen. Diese Akzentsetzung bedeutet jedoch auch hier nicht, dass in Organisationen bei jeder Gelegenheit improvisiert werden sollte. Auch im Jazz geht es letztlich nicht darum, ob und wie häufig improvisiert wird. Entscheidend ist eine improvisierende Haltung (vgl. hierzu auch den Beitrag von Kuhn, S. 154) und die Bereitschaft bei Unerwartetem das Handlungsrepertoire zu modifizieren.
Trotz offensichtlicher Parallelen hat die metaphorische Verwendung von Jazz in Organisationen auch Grenzen[11]: Neben der Grundhaltung, improvisieren zu wollen, setzt das Improvisieren unbedingtes Können voraus. Eine weitere Voraussetzung besteht darin, dass sämtliche «Mitspielende» kompetent sowie bereit und fähig sind, eigenverantwortlich zu handeln. In der Realität sind diese Voraussetzungen jedoch sowohl im Jazz als auch in Organisationen nicht immer erfüllt.
Abschliessend lässt sich somit festhalten, dass – entgegen der landläufigen Meinung – Improvisieren kein ungeplantes, sondern ein situatives und prozessorientiertes Handeln ist. Improvisierendes Handeln beinhaltet – sowohl für Individuen als auch für (Bildungs-)Organisationen – die gegebenen Handlungsräume permanent zu hinterfragen sowie für das Erweitern der Spielräume offen zu sein. Wenn wir uns als Individuen und als Organisationen als offen-prozesshaft und nicht als geschlossen-strukturell verstehen, reflektieren und handeln wir sowohl als Individuen als auch organisational in situativer Bewegung. Dies meint eben nicht, gescheiterte Pläne einfach nachzubessern. Improvisieren ist keine Verlegenheitslösung im Fall von Pannen oder Fehlern. Improvisieren ist ein konstruktiver Umgang mit dem, was unmittelbar gegeben und damit gefordert ist – auch wenn dies nicht so erwartet wurde.
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