Kitabı oku: «Zwischen Beraten und Dozieren», sayfa 3
Monique Honegger
Studierende beim Schreiben und Lernen begleiten
«Beraten bedeutet für mich, mit einem Gegenüber herauszufinden, wohin es auf welche Weise will, und es auf diesem Weg zu begleiten. Die sich im Unterwegssein stets ändernden Destinationen und Wege eröffnen ein kreatives Universum.»
Monique Honegger, Prof. Dr. phil., ist Dozentin, Deutschdidaktikerin, Schreibexpertin, Gründerin des Schreibzentrums der PHZH und im Team der Hochschuldidaktik der PHZH.
Schreiben begleiten heisst auch beraten
Dass einige Tätigkeiten im Alltag von Hochschuldozierenden eindeutig beratende Eigenschaften aufweisen, führt der vorliegende Band eingehend vor. Zu diesen Tätigkeiten gehört auch das Schreiben im Studium. Sobald Studierende Schreibaufgaben zu bewältigen haben, findet sich die Dozentin in einer beratenden Rolle wieder. Mit dieser Rolle und der Beratungsqualität der Dozierenden sind zahlreiche Unklarheiten und Irritationen verbunden: Sowohl Studierende als auch Dozierende vermelden, dass sie auf unergiebige Weise mit Schreiben und entstehenden Texten zu tun haben. Beides gehört jedoch zum Hochschulalltag – und seit der Bologna-Reform1 noch vermehrt. Dozierende sind angehalten, Studierende beim Verfassen von schriftlichen Leistungsnachweisen, wie etwa kurzen Papers, Zusammenfassungen, Gruppen- und Abschlussarbeiten, anzuleiten. Die Studierenden haben diese Texte zu verfassen, damit sie ihre Studienleistung erbringen.
Nachstehende Analyse konzentriert sich auf die Frage, was in der Hochschullehre unternommen werden kann, damit sowohl Studierende als auch Dozierende weniger unter den Schreibaufgaben zu leiden haben, sodass das Verfassen der Arbeiten dem eigentlichen Zweck dient: Denken lernen, Schreiben professionalisieren, Ausbildung zu Fachleuten vorantreiben.
Um die Schreibfähigkeiten von Studierenden zu optimieren, werden drei Aspekte analysiert. Daraus leiten wir konkrete Vorschläge zur Verbesserung für den Unterrichtsalltag ab:
Der Mythos «Schreibbegabung und Schreibkompetenz» darf relativiert werden,
Schreiben steht im Spannungsfeld von Anleitung und eigenständigem Denken,
Schreibprozesse sind hochindividuelle und steuerbare Prozesse beim Lernen.
Wie Lehrende und Lernende Schreibbegabung und -kompetenz, Schreibaufgabe und Schreibprozess verstehen, wirkt sich zentral auf ihr Erleben des Schreibens im Hochschulalltag aus. In den Köpfen von Dozierenden und Studierenden geistern Mythen, die wir auch subjektive Theorien nennen können, was Schreiben und Lernen betrifft. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass fachdidaktische Ausbildungen nur am Rand entwicklungspsychologische und lernstrategische Aspekte von Schlüsselkompetenzen in der Hochschullehre thematisieren, weil Schlüsselkompetenzen fachübergreifend sind. Schreiben gehört zu den fachübergreifenden Schlüsselkompetenzen, welche die Hochschullehre zu fördern hat. Dozierende müssen sich daher mit subjektiven Theorien und persönlichen Erfahrungen behelfen, wenn sie über die Schreibkompetenzen ihrer Studierenden nachdenken. Dass subjektive Theorien – anstelle von vorhandenem Fachwissen und Forschungsergebnissen – das Nachdenken und Reden über Schreiben an der Hochschule prägen, prädestiniert das Gespräch an Hochschulen über Schreibkompetenzen dazu, weiter mystifizierend zu wirken (vgl. Barthes 1964, S. 85). Diesem Mythos gilt es, Fachwissen über ein lernbares Handwerk entgegenzustellen.
Schreibbegabung und Schreibentwicklung
Über Schreibfähigkeiten sprechen Dozierende oftmals folgendermassen:
«Eigentlich sollten meine Studierenden schreiben können, immerhin haben sie ja eine Matura oder eine Berufsmatura.» Sie verweisen auf die unerreichten Lernziele der Schulstufen vorher oder stellen fest: «Es gibt Studierende, die schreiben können, aber das ist eine Frage der Begabung.»
Der Mythos der Schreibbegabung hält sich hartnäckig und wirkt sich implizit darauf aus, wie Dozierende das Schreiben beraten und wie Studierende auf Beratungssettings reagieren. Schreibkompetenz wird als eine in Stein gemeisselte Begabung wahrgenommen, die bei Erwachsenen vorhanden ist oder nicht. Dozierende auf der einen Seite verstehen sich zu Recht nicht als Expertinnen und Experten für Schreibbegleitung und mutmassen über den Begabungsgrad oder die schulische Vorbildung ihrer Studierenden. Studierende auf der anderen Seite nehmen ihr eigenes Schreiben und die damit verbundenen Prozesse ebenfalls unter dem Paradigma der Schreibbegabung oder den Versäumnissen der vorangegangenen Schulstufen wahr. Selbstwirksamkeit spielt eine zentrale Rolle auch beim Schreibenlernen. Die Lernenden haben seit der Sekundarstufe die Entwicklung ihrer eigenen Schreibkompetenz als Mysterium erlebt und tun dies weiterhin. Einerseits fühlen sie sich der Lehrkraft ausgeliefert, die scheinbar intransparent ihre Texte bewertet (vgl. Merz-Grötsch 2001, Bd. 2, S. 219). Andererseits halten sich Studierende selbst für schreibbegabt oder eben nicht. Wenn sie von ihrer bisherigen Schreibbiografie erzählen und darüber reflektieren, zeigt sich, dass sie ihre Schreibfähigkeiten nicht präzise einschätzen können. Sie haben die Bewertungs- und Förderprozesse im Schreiben offenbar als intransparent erlebt. Reflexive Verfahren wie etwa Portfolios oder Lernjournale zu Schreib- und damit verbundenen Lernprozessen werden in der Sekundarstufe II nur partiell oder eher auf der Ebene von Präsentationsreflexion verwendet (Honegger u. a. 2015; Bräuer 2006, S. 10 f.).
Was können Sie als Dozierende tun, um zu vermeiden, dass sich der Mythos der bereits vorhandenen Schreibkompetenz und der Schreibbegabung negativ auf die Schreibprozesse im Hochschulstudium auswirkt?
Erwarten Sie von Ihren Studierenden nichts – weder, dass sie schreiben können, noch, dass sie es nicht können.
Räumen Sie mit Vorstellungen von Schreibbegabung auf. Entgegnen Sie, wenn Studierende betonen, dass sie nicht schreibbegabt seien: Übung macht den Text und den Schreibprofi. Die zentrale Entwicklung von Schreibkompetenzen, und vor allem von lebensrelevanten Schreibkompetenzen, beginnt jetzt, alle schlechten Erinnerungen dürfen vergessen werden.
Begleiten Sie Studierende beim Schreiben fördernd. Beenden Sie ein abschliessendes Feedback mit Zukunftsperspektiven und sagen Sie der Studentin, worauf sie bei ihrer nächsten Arbeit achten soll.
Als Fachexpertin fördern Sie den Inhalt des Texts und dessen Praxisrelevanz gezielt.
Fühlen Sie sich als Fachexpertin für Ihr Fach, aber nicht als Expertin für Schreibkompetenzen im Allgemeinen. Begleiten Sie Ihre Schreibenden gezielt. Sobald Sie bei einem Ihrer Studierenden massive Defizite in der Schreibkompetenz feststellen, gilt es, Fachleute einzuschalten.
Weisen Sie Studierende darauf hin, dass es keine Schande ist, sondern vielmehr ein Zeichen von Professionalität, wenn sie sich beim Überarbeiten ihrer Texte Hilfe holen (zuerst in Bezug auf den Inhalt, dann hinsichtlich des Sprachstils und abschliessend erst bezüglich der Korrektheit). Das ist lediglich ein Zeichen des professionellen Umgangs mit Texten.
Die sinnvolle Schreibaufgabe
Wir alle kennen die Schreibaufgaben vom Berufsalltag her. In unserer Mailbox findet sich beispielsweise ein Formular, das wir ausfüllen sollen. Kaum haben wir das Formular geöffnet, stellen wir fest, dass leider nicht nur einzelne Stichwörter verlangt werden. Wir lesen, dass wir nun einen Text schreiben müssen, und fragen uns, was wir hier schreiben sollen und worum es eigentlich geht.
Die Verfasserin des Mails hat uns eine Schreibaufgabe erteilt. Für sie war der Kontext klar. Uns Schreibenden hingegen genügen die Informationen über den Sinn und Inhalt des verlangten Texts nicht. In derselben Situation befinden sich Studierende und Dozierende, wenn es im Hochschulalltag um Schreibaufgaben geht. Sobald wir als Dozierende die Schreibaufgabe erteilt haben, werden wir von den Studierenden mit Nachfragen bombardiert.
Manchmal auch nicht; dann schlagen sich die unausgesprochenen Unklarheiten in den abgegebenen Texten nieder. Zahlreiche Studierende stellen mit zunehmender Studienerfahrung fest, dass sie die Schreibaufgaben entweder selber konkreter definieren oder den Dozierenden gezielte Nachfragen stellen müssen.
Dozierende begegnen der unklaren, verwirrenden Wirkung von Schreibaufgaben meistens klärend, indem sie den Studierenden mit Beratung und Begleitung zur Seite stehen. Diese Beratungstätigkeit erzielt dennoch oftmals nicht den gewünschten Effekt. Übermässige und gut gemeinte Begleitungen und Hilfestellungen hindern Studierende daran, eine lernende Mündigkeit (die Ungewissheit, die es im selbstgesteuerten Lernen auszuhalten gilt) zu entwickeln. Zudem überfordern sie mit ihren Rückfragen Dozierende zeitlich und energiemässig. Und schliesslich verursachen sie – wenn die Arbeiten abschliessend beurteilt werden – einen Rollenkonflikt zwischen Beurteilungsund Begleittätigkeit.
Obschon mit jeder Aufgabenstellung eine Verwirrung einhergeht, erleichtern nachstehende Tipps den Umgang mit Schreibaufgaben:
Kleine und konkrete Schreibaufgaben sind ideale Übungsfelder.
Es empfiehlt sich, wie in technischen Hochschulen üblich, mit Textsorten zu arbeiten, die im Berufsalltag relevant sind:
Briefe, E-Mails, Anträge, Berichte, Projekt-Präsentationen, Powerpoints, Reden.
Bestehen diese Texte abschliessend im Rahmen von Praktika den Praxistest, sind sie auch erfolgreich. Die Studierenden sind durch diese Textsorten automatisch gezwungen, sich die zukünftigen Kommunikationssituationen vor Augen zu führen und den Text so zu verfassen, dass er die erstrebte Wirkung erzielt.
Sind wissenschaftliche Texte verlangt, macht es Sinn, von Studierenden nicht von Anfang an komplexe wissenschaftliche Darstellungen zu verlangen. Von Studienanfängern und Studienanfängerinnen werden am besten Teiltechniken als schriftliche Leistungsnachweise verlangt: Einleitungen, Planungen, Projektberichte, Analysen von empirischen Ergebnissen, Interviews, Interviewzusammenfassungen, bilanzierende Schlussberichte, argumentierende Diskussionen, referierende und diskursive Texte.
Ein Hauptproblem besteht oftmals darin, dass die Studierenden die Stimmlagen zwischen objektiver Darstellung (zusammenfassend, referierend) und argumentierender (diskursiver) Darstellung sowie persönlicher Stellungnahme entwickeln müssen. Hier gilt es, den Studierenden diese Stimmen bewusst zu machen.
Wissenschaftliche Methoden wie etwa Recherchieren, Zitieren, Paraphrasieren sind am Anfang des Studiums an winzigen Settings einzuüben oder anzuwenden und in der Folge regelmässig einzufordern. Praxisferne Fingerübungen in grossem Rahmen bringen wenig.
Infolge der Standardisierung der Lehrangebote ist es beinahe der Normalfall, dass Dozierende Schreibaufträge begleiten und bewerten müssen, die ihrem persönlichen fachdidaktischen Verständnis von sinnvollen Schreibaufgaben widersprechen. Hier gilt es, in den Fächern eine Ausgangssituation zu schaffen, damit die Dozierenden die Schreibaufgaben ihren persönlichen Unterrichtsschwerpunkten und didaktischen Zielsetzungen anpassen können. Konkrete Schreibaufgaben müssen verhandelbar sein. Andernfalls bleibt die aus den Gymnasien bekannte Wahrnehmung der Lernenden weiterhin auch im Studium eine Realität: Die Schreibaufgabe und ihre Formulierung erscheinen irrelevant. Zentraler ist, was der Dozent will. Dies steht aber leider nicht in der Aufgabenstellung, sondern ist in detektivischer Kleinstarbeit herauszufinden oder wird durch Zufall getroffen.
Es nützt, wenn man den Studierenden Hinweise gibt, was ein guter Text ist. Hierfür reichen wenige Tipps und Kategorien, die dann auch in die Beurteilung einfliessen.
Bei allen wissenschaftlichen Texten und Übungen helfen folgende Hinweise:
Ihr Text muss klar dreigegliedert gegliedert sein: Anfang (Eröffnung, Thema, These, Aufbau) – Mitte (Analyse, Kernteil) – Schluss (zusammenfassende Beantwortung der Fragestellung, Bilanz).
Vergessen Sie die Leseführung nicht. Ein Sachtext muss einer Leserin fortwährend erklären, weshalb was wo kommt und was der aktuelle Inhalt mit dem Thema zu tun hat.
Schreiben Sie einen Text und keine Liste. (Die Liste verknüpft die dargestellten Inhalte zu wenig.)
Schreiben Sie sprachlich möglichst einfach und verständlich, verwenden Sie dabei wenige zentrale, jedoch korrekt benutzte, Fachbegriffe. Imitieren Sie diejenige wissenschaftliche Sprache, die Ihnen gefällt.
Variieren Sie in Ihrer Wortwahl und Ihrem Satzbau. Zahlreiche Adjektive können Sie weglassen (etwa gut, spannend, interessant). Beschreiben Sie lieber mit sprechenden Verben, was geschieht, und begründen Sie Ihre Behauptungen explizit.
Lassen Sie Ihren Text auf den roten Faden hin gegenlesen. (Gibt es eine Fragestellung, wird diese beantwortet? Überzeugt die Dokumentation die Leserin? Versteht sie den Text? Liest sie den Text bis zum Schluss?)
Zitieren Sie einheitlich und immer gleich.
Den Schreibprozess selber steuern
Die klassische Situation, in der Studierende an einen Schreibauftrag im Studium herangeführt werden, sieht so aus: In der Mitte des Semesters verteilt die Dozierende den Studierenden ein Paper und erklärt ihnen, wie der Text, den sie im Rahmen der Veranstaltung zu verfassen haben, am Schluss aussehen muss. Meistens finden sich auf dem Paper exakte Hinweise zum Endprodukt, etwa zum Aufbau des Textes und zu seinen Inhalten. Einige Papiere enthalten auch Hinweise zum Lern- und Schreibprozess.
Viele Wege führen nach Rom
In der Schreibdidaktik für Schreiben an Hochschulen gilt es seit Jahrzehnten als unbestrittene Tatsache, dass sich die Schreibprozesse von Studierenden individuell gestalten und unterschiedliche Strategien zum Erfolg führen (vgl. Bräuer 1998, S. 43–50). Häufig hingegen gehen Hochschuldozierende – wegen ihrer subjektiven Theorien – davon aus, dass die Studierenden auf dieselbe Art schreiben müssen wie sie. Denkt also eine Dozentin oder ein Dozent lange nach, bevor sie oder er das fertige Konzept aufs Papier bringt, rät sie oder er dies auch den Studierenden. Arbeitet ein Dozent eher induktiv, empfiehlt er den Studierenden dieses Vorgehen. Die Ergebnisse der Schreibprozessforschung zeigen klar, dass viele Wege nach Rom führen und dass Schreibprofis unterschiedliche Wege nehmen, je nach Auftrag und Zielsetzung (vgl. auch Frank u. a. 2007, S. 8–11).
Studierenden und Dozierenden hilft es zu wissen, dass sich zentrale Bereiche der elaborierteren Schreibkompetenz (vgl. Bereiter 1980) generell erst im Erwachsenenalter entwickeln. Bereiter arbeitet mit fünf Phasen, um die Schreibentwicklung zu veranschaulichen (Bereiter 1980). Studierende an Hochschulen befinden sich grösstenteils in der Phase, die Bereiter «Unified Writing stage» nennt (vgl. Bereiter 1980, S. 87). Das Spezifische dieser Phase besteht unter anderem darin, dass sich Schreibende während des Schreibens auf die eigene innere Auseinandersetzung mit dem Text konzentrieren. «Once one is able to integrate one’s own evaluative reading skills with one’s writing skills, […] an important feedback loop is established» (Bereiter 1980, S. 87). Die Etablierung der eigenen «inneren Feedback-Instanz» führt dazu, dass über den eigenen Schreibprozess freiwillig wenig kommuniziert wird (die Lernenden wollen es nun selber schaffen) und dass der Text erst nach Beendigung einer bewertenden Instanz gezeigt wird. Eine Studierende schildert ihre Schreiberfahrungen im Gymnasium folgendermassen:
«Zu Gymnasiumszeiten habe ich Texte, Aufsätze und kleinere Arbeiten nie jemandem zum Durchlesen gegeben. Ich wollte das einfach für mich alleine machen und wartete auf das Feedback der Lehrperson.»
Studentin PH Zürich, 2004
Wenn Schreiblernende die Phase des «Unified Writing» durchlaufen, vermeiden sie, über die entstehenden Texte und den Schreibprozess zu kommunizieren. Die Schreibenden stellen eine Zeit lang den kommunikativen Kontext der Texte in den Hintergrund und rücken den inneren Dialog mit sich selbst ins Zentrum. Dies führt dazu, dass die Studierenden innerhalb eines langen Schreibprozesses weder Einschätzungen zum entstehenden Text noch Einschätzungen zu ihrer Schreibkompetenz erhalten. Es führt zu Phänomenen, die als Schreibblockade und Zeigeblockade bezeichnet werden (vgl. Honegger 2008, Honegger 2015 und Pyerin 2007).
Die Phase des «Unified Writing» begünstigt nicht nur, dass sich der bereits dargestellte Mythos über Schreibkompetenzen und Schreibbegabung weiterhin in der Lehrpraxis hält. Sie verstärkt auch die negativen Effekte eines unreflektierten Schreibprozesses und die teilweise verhängnisvolle Wirkung von vermeintlich ungünstigen Schreibaufgaben.
Wie weiter oben ausgeführt, erscheint den Studierenden, die ihr Schreiben und ihre damit verbundenen Denkprozesse nicht reflektieren, das Schreiben als Mysterium. Wie durch ein Wunder halten sie nach einem unklaren Prozess den «fertigen» Text in der Hand. Studierende glauben an den Kernsatz, dass ohne Einsamkeit kein guter Text entsteht. Selbstverständlich hat dieser Kernsatz lerntechnisch und mit Blick auf die Phase des «Unified Writing» seine Berechtigung.
Jeder entstehende Text braucht den Praxistest
Dennoch gilt: Jeder entstehende Text braucht, um seine kommunikative Funktionstauglichkeit zu testen, kooperative Settings, in denen andere Lesende Feedback zu den Textfassungen erteilen. Zudem werden Schreibkompetenzen durch gezieltes Feedback effektiv gefördert. Das Miteinander von Einsamkeit und Gruppenreflexion widerspricht der Tatsache nicht, dass die komplexen Gedankengebäude lieber allein in einen Text gebracht werden oder gar während des Schreibens erst gedacht werden. Die gemeinsame Reflexion mit «Peers» erleichtert den Umgang mit dem intransparenten Prozess und schafft Bewusstsein.
Konkret können Sie als Dozierende die Studierenden durch die nachstehenden didaktischen Massnahmen zur Eigensteuerung ihres Schreibprozesses anregen:
Bieten Sie Schreibanlagen an, die bereits die Textentwürfe, absolute Rohfassungen, in ihrem späteren kommunikativen Kontext wirken lassen. Dadurch wird erstens die kommunikative Wirkung der Textfragmente getestet, zweitens begeben sich Studierende so in eine reflektierende Interaktion über den entstehenden Text.
Zudem gilt es – mit Blick auf die spätere Arbeitspraxis – immer wieder ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass ein Text nie fertig ist. Zwar können wir als Schreibende irgendwann den Schreibprozess an einem Text abschliessen, dennoch ist ein Text nie von sich selber aus beendet. Er wird uns nicht sagen, wann er fertig ist. Äussere Faktoren (Zeit, andere Lebensprioritäten) und wir als Schreibende entscheiden darüber, dass der Text fertig ist.
Demnach empfiehlt es sich aus mehreren Gründen, Studierende in Peer-groups schreiben zu lassen, in denen sie sich gegenseitig regelmässig positives und negatives und nicht nur pauschal vage bestätigendes Feedback zu ihren Texten geben.
Bei der Begleitung entstehender Texte sind Dozierende stark gefordert. Denn Zwischenprodukte besitzen die Eigenschaft, ausnehmend unvollkommen zu sein. Es irritiert anfänglich, einen Text voller Tippfehler, sprachlicher Mängel und mit unfertigem Layout auf seine inhaltliche Tauglichkeit zu analysieren und zu begleiten. Wie alle Lesenden haben Dozierende eine eingebaute «Rechtschreibefahndungsinstanz», die inhaltliche Lektüre bei der Erstlektüre erschwert. Mit etwas Übung jedoch ist es möglich, die ersten Feedbacks auf inhaltliche Aspekte zu fokussieren. Sticht sprachliche Inkorrektheit stark ins Auge, reicht meistens: «Sie wissen ja, dass Sie den Text bezüglich Grammatik und Orthografie noch überarbeiten müssen.»
Bilanzierend heisst das also, dass Studierende nicht nur mit der Wirkung ihres «beendeten Texts» lernend umgehen müssen, sondern dass es zur Professionalisierung des Schreibens gehört, den Schreibprozess in Phasen des Lesens und Überarbeitens mit anderen zu durchlaufen.
Tipps für Dozierende
Hier finden sich die detaillierten Tipps der vorangehenden Kapitel in einer knappen Übersicht. Schreiben und Lernen gehören zusammen. Dozierende haben das Recht und die Pflicht, die Begleitung oder die Beratung von Schreibenden nicht ins Zentrum ihrer Tätigkeit zu stellen. Gleichwohl darf als unumstritten gelten, dass kommunikative Kompetenzen im späteren Berufsalltag und im Lernprozess eine zentrale Funktion einnehmen. Im Studium und im späteren Berufsalltag ist die Fähigkeit, adäquate und kommunikativ erfolgreiche Texte produzieren zu können, von zentraler Bedeutung.
Allgemein dürfen bei der Analyse des Schreibens die Mythen über Schreibbegabung und bereits vorhandene Schreibkompetenz vernachlässigt werden.
Studierende sollten Folgendes wissen:
Schreibprozesse unterscheiden sich von Mensch zu Mensch, von Text zu Text und von Schreibentwicklungsstufe zu Schreibentwicklungsstufe.
Alle Schreibenden steuern ihre Schreibprozesse selber.
Kooperatives Schreiben und das Gegenlesen von unfertigen Texten hilft beim Schreiben, beim Schreiben-Lernen und beim Lernen. Zudem spart es Zeit und entspricht der späteren Berufsrealität. Professionalität bedeutet, sich zum richtigen Zeitpunkt Hilfe zu holen.
Dozierende sollten in ihren Lehrveranstaltungen auf Folgendes fokussieren:
Regelmässiges Schreiben innerhalb der Präsenzveranstaltungen gewöhnt die Studierenden an die Praxis des Schreibens als reflektierende Tätigkeit.
Schreiben praktizieren hilft mehr als Schreiben dozieren.
Schreibaufgaben stehen in adressatenorientiertem und berufsbezogenem Kontext.
Schreibaufgaben dürfen knapp und kurz sein.
Die Studierenden werden beim Schreiben von den Dozierenden beraten. Auch hier ist gezieltes Weniger oftmals mehr. Weniger Beratungseinheiten und Beratungszeit (und dafür entsprechende Mitsteuerung der Studierenden) entlasten zeitlich und ermöglichen Gespräche, die aufs Wesentliche fokussiert sind.
Dozierende (und/oder entsprechende Fachstellen wie Schreibzentren) beraten den Schreib- und Denkprozess der Studierenden, aber sie geben ihn nicht vor.
Dozierende bieten sich punktuell und gezielt als Zwischenstation im Schreibprozess an.
Es findet häufig und reflektiert Feedback zu Zwischentexten resp. Textentwürfen statt. Feedback vor der Bewertung führt zu Lernerfolgen. Dieses können auch «Peers» erteilen.
Das Feedback der «Peers» muss wiederholt geübt werden. Es soll kurz und kritisch sein und zum richtigen Zeitpunkt geschehen, d. h. die akuten Fragen der Schreibenden aufnehmen. Zudem steuert die Schreibende das Feedback. Es hilft nämlich ihr.
Sowohl Dozierende wie auch Studierende klagen weniger über das Schreiben, wenn sie sich an folgende Devise halten: «Weniger, dafür regelmässig und reflektiert, ist mehr». Oder wie Kruse formuliert: «Writing shapes the writer» (Kruse 2004).
Bilanz für die Hochschule als Institution
Nach zentralen Ratschlägen für das Schreiben im Hochschulalltag werfen wir noch einen kurzen Blick darauf, welche Rahmenbedingungen organisationaler und institutioneller Art die gezielte Förderung der Schreibkompetenz braucht.
Sinnvolle Schreibaufgaben: Die kreditierenden Instanzen einer Hochschule (diejenigen, die ECTS vergeben) achten darauf, dass sinnvolle Schreibaufgaben verlangt werden.
Ressourcen für gezielte Schreibbegleitung und -beratung: Die Institution stellt Ressourcen für Schreibberatung und für adäquate Weiterbildung der Dozierenden zur Verfügung.
Unterstützte Praxis von (Peer-)Feedback: Es entspricht der Lernkultur der Hochschule, dass sich Dozierende und Studierende über ihre entstehenden Texte austauschen.
Grenze zwischen Schreibbegleitung und Textbeurteilung: Die Institution unterscheidet in den formellen Vorgaben zwischen neutraler Schreibbegleitung und Textbeurteilung. Diesem prozessimmanenten Rollenkonflikt der Dozierenden werden angemessene Entlöhnung und Beratungsangebote gerecht.
Vorgaben und Leitfäden: Das Thema der Schreibförderung wird systematisch und wiederkehrend in Diskussionen um Curriculum und nebenschulische Lernangebote eingebracht. Leitfäden zum Verfassen von schriftlichen Leistungsnachweisen werden regelmässig diskutiert und überarbeitet.
Unabhängige Schreibberatungsstellen: Schreibzentren, im angelsächsischen Raum seit Jahrzehnten an Hochschulen installiert, entlasten Studierende und Dozierende und führen zu besserer Schreibkompetenz. Die Vorstellung, dass Schreiben in praxisfremden Grundkursen oder anhand von Fingerübungen flächendeckend erfolgreich eingeübt werden kann, ist eine Illusion.
Literatur
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1Weshalb seit Bologna standardisierte Leistungsnachweise erbracht werden und warum diese oftmals aus Schreibaufgaben bestehen, ist eine zentrale Frage, die noch auf eine handlungsorientierte Praxisdiskussion wartet.
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