Kitabı oku: «Adventure and Meeting», sayfa 2
ANMERKUNGEN ZUM FRAGEBOGEN
Viele der von mir geschilderten Beobachtungen beruhen auf eigenen Erfahrungen, die ich während einiger Jahre des aktiven Spiels sammeln konnte, und den Erzählungen anderer Spieler*innen. Um meine Ausführungen auf eine breitere Basis zu stellen und Informationen zu bisher nicht erfassten Aspekten zu sammeln, habe ich einen Fragebogen erstellt und in einschlägigen Internet-Foren um Teilnahme gebeten. Er war nur an Live-Rollenspieler*innen gerichtet. Er konnte nur über einen entsprechenden Link erreicht werden und war im Sommer 2012 zwei Monate online. Insgesamt haben 50 Personen zwischen 19 und 52 Jahren teilgenommen, darunter 20 Frauen und 30 Männer. Neben „männlich“ und „weiblich“ gab es die Möglichkeit, das eigene Geschlecht in einem freien Textfeld anders zu definieren, was allerdings von niemandem genutzt wurde. Die große und zeitnahe Resonanz auf mein Anliegen zeigte mir einmal mehr, wie gut die LARP-Community vernetzt ist und wie groß der Zusammenhalt und die Hilfsbereitschaft unter LARPern in der Regel sind. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal bei allen bedanken, die sich die Mühe gemacht haben, meinen Fragebogen zu bearbeiten, das war eine große Hilfe.
Im Folgenden soll keine vollständige Auswertung des Fragebogens vorgenommen werden, sondern er soll nur zur Konkretisierung einzelner Punkte dienen. Zur Erörterung verschiedener Aspekte werde ich die Ergebnisse einzelner Fragen an geeigneter Stelle anführen. Zitierte Antworten habe ich orthografisch angeglichen, ansonsten aber so belassen, wie sie eingetragen wurden.
ANMERKUNGEN ZU DEN PERSONENBEZEICHNUNGEN
Obwohl Live-Rollenspiel in seinen Anfängen eher als Männerdomäne galt und tatsächlich die überwältigende Mehrheit der Spieler männlich war, hat sich das Verhältnis der Geschlechter in den letzten Jahren spürbar gewandelt. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen und deutlich zu machen, dass ein Phänomen wie LARP von Menschen gleich welchen Geschlechts genutzt wird und werden kann, werde ich im Folgenden zwischen weiblichen, männlichen und neutralen Formen wechseln oder Doppelformen benutzen, sofern das die Lesbarkeit nicht einschränkt. Sollten dabei die männlichen Formen häufiger gebraucht werden, ist das der Tatsache geschuldet, dass sie im Deutschen meist flüssiger zu lesen sind. Sofern nicht ausdrücklich anders benannt bzw. aus dem Kontext eindeutig zu schließen, sind immer Angehörige aller Geschlechter gemeint.
1EINFÜHRUNG IN FANTASY-LARP
Eine Stadt aus weißen Zelten, mit Tavernen, Marktständen und allerlei Händlern, die Kochgeschirr oder Kleidung, Lederwaren, Rüstung oder verschiedene Waffen anbieten. Die Stadt wird von einer hohen Palisade umschlossen und ist nur durch wenige Tore zugänglich. Eins davon wird von einem wahren Riesen bewacht, gut 3 Meter hoch und schlaksig, gekleidet in die rot-weiße Uniform der Stadtwache. Das Tor führt auf eine Wiese, die sich gerade mit einer bunten Menge füllt. Die Stimmung ist angespannt, und auffällig viele der Anwesenden sind bewaffnet. Hier umklammern kleine, bärtige Männer in Helm und Kettenhemd ihre Streitäxte, dort nimmt ein ganzer Tross Ritter Aufstellung, von Kopf bis Fuß gepanzert, mit Schwert und Schild und wehenden Bannern. Am anderen Ende der Wiese versammelt sich eine Gruppe eleganter Geschöpfe mit langem, glänzendem Haar und spitzen Ohren. Auch sie führen Banner mit sich, auf die kunstvoll verschlungene Ornamente gestickt sind, und viele von ihnen haben Langbögen in der Hand. Immer mehr Gestalten strömen herbei, es müssen Hunderte, ja Tausende sein. Allüberall leuchten Wimpel und Fahnen, Schilde und Waffenröcke, sie zeigen die verschiedensten Wappen. Zwischen Menschen in mittelalterlichen Gewändern tummeln sich hässliche grüne Wesen, denen riesige Zähne wie Hauer aus dem Mund wachsen. Sie sind in Leder und Felle gehüllt, manche mit Knochen oder Schrumpfköpfen geschmückt. In der Ferne ragt ein Koloss aus der Menge hervor, doppelt so hoch und breit wie die neben ihm Stehenden, er sieht aus, als bestünde er aus rußgeschwärztem Stein und rotglühender Lava, und er bewegt sich langsam und schwerfällig durch die Massen, die ihm eiligst Platz machen. Rund um ein Banner, das einen roten Tropfen auf weißem Grund zeigt, versammeln sich Männer und Frauen, binden sich Schürzen um, legen Instrumente zurecht und errichten ein Lazarett. Die Spannung auf dem Anger steigt, vereinzelt wird der Klang von Trommeln und Sprechchören herübergeweht. Am gegenüberliegenden Waldrand ist plötzlich Bewegung auszumachen, und schon erscheinen die ersten Soldaten, in schwarz-blaue Wappenröcke gewandet. Angeführt von Standartenträgern marschieren nun Hunderte von ihnen auf die Stadt zu. Ihr Schlachtgesang – „Er ist das Auge. Wir sind der Sturm!“ – hallt unheilverkündend über das Feld, während sie an seinem Rande Aufstellung beziehen. Und dann beginnt die Schlacht …3
Abb. 1: Warten auf die Schlacht, Conquest of Mythodea 2010
Was ist das hier? Wo findet diese Szene statt, in einem Roman, einem Comic, einem Fantasyfilm? – Nein, wir sind auf einem Landgut in Niedersachsen, das sich jedes Jahr im Sommer für ein paar Tage in die Welt Mythodea verwandelt und von Menschen in phantastischen Kostümen bevölkert wird. Doch sie sind keine Schauspieler, es sind Schülerinnen, Studierende, Auszubildende, Lehrer, Juristinnen, Mediziner, Sozialarbeiterinnen, Erzieher, Ingenieurinnen, Elektroniker, Wissenschaftlerinnen, Bürokaufleute, Maskenbildnerinnen, Hausfrauen und Hausmänner, Arbeitslose, Angestellte, Selbstständige – kurz: Männer und Frauen mit ganz verschiedenen Berufen, Ausbildungen, Lebensläufen. Sie alle verbindet eine anspruchsvolle Freizeitbeschäftigung: Live-Rollenspiel.
Allein in Deutschland gehen Zehntausende diesem Hobby nach (aktuellen Schätzungen zufolge etwa 80.000 bis 100.000 Spieler*innen),4 und es finden pro Jahr mehrere hundert Veranstaltungen statt.5 Über diese gibt es immer wieder Berichte in Fernsehen und Zeitschriften, meist kurze Beiträge über Großveranstaltungen wie Drachenfest (DF), Conquest of Mythodea (CoM) oder Epic Empires (EE), die natürlich eine erheblich größere Aufmerksamkeit auf sich ziehen als ein gewöhnlicher Con. Dazu kommt eine steigende Zahl mehr oder weniger professionell gemachter Dokumentationen wie Die Herren der Spiele, Diciomentis oder die bereits erwähnten Wochenendkrieger. Mit The Wild Hunt wurde LARP bereits 2009 zum zentralen Thema eines Spielfilms, und in der seit längerem angekündigten Komödie Knights of Badassdom schlüpfen mit Summer Glau, Peter Dinklage und Ryan Kwanten sogar einige Superstars aus Fantasy- und Science-Fiction-Produktionen in die Rollen nerdiger LARPer*innen. Dennoch ist Live-Rollenspiel außerhalb der Rollenspielszene noch wenig bekannt. Angesichts des aktuell deutlich verstärkten Medieninteresses könnte sich das allerdings in naher Zukunft ändern. In letzter Zeit häufen sich die Anfragen verschiedener Medienvertreter in LARP-Gruppen und einschlägigen Internetforen, so dass LARP ein regelrechtes Modethema zu werden scheint, was in der LARP-Community durchaus für Diskussionen sorgt. Die Szene beobachtet diese Entwicklung nicht unbedingt mit Begeisterung, sondern schwankt zwischen der Hoffnung, dass LARP einmal seriös beschrieben und erklärt werden könne, und der Angst, Live-Rollenspiel als Weltfluchtveranstaltung für Träumer oder gewaltverherrlichende Spinnerinnen dargestellt zu sehen.
Aber was kann man sich nun tatsächlich darunter vorstellen?
1.1 ERSTE DEFINITION
Live-Rollenspiele
Steigerung eines Rollenspiels
Jugendliche und Erwachsene treffen sich an Wochenenden in alten Burgen oder auf einsamen Zeltplätzen, kleiden sich so, wie es sonst nur in Fantasy-Filmen zu sehen ist, rennen durch nächtliche Wälder, zelebrieren geheimnisvolle Feste und liefern sich große Schlachten mit gepolsterten Waffen. Das alles klingt nach spontanen Ereignissen – falsch! Bei Live-Rollenspielen gibt es festgelegte Regeln, zum Beispiel für die Charaktererschaffung oder Magie. Und so erleben Fans in aufwendigen und phantasiereichen Verkleidungen, die sie Gewandungen nennen (die Bezeichnung „Kostüm“ hört man sehr ungern), mit anderen, oft wildfremden Menschen in den Rollen von Magiern, Kriegern, Priestern, aber auch Detektiven, Geheimagenten und sogar Vampiren und Werwölfen phantastische Abenteuer in Welten, die man bisher nur aus Film oder Literatur kennt.
Die offizielle Abkürzung von Live-Rollenspiel ist „LARP“, was für „Live Action Role Playing“ steht.6
Mit dieser Beschreibung aus dem neuen Lexikon der Fantasy sind schon einige charakteristische Aspekte von Live-Rollenspiel angesprochen, die im Folgenden ausgeführt und ergänzt werden sollen.
In erster Linie geht es darum, gemeinsam Abenteuer zu erleben, in fremde Welten und andere Zeiten einzutauchen und dort das, was man sonst nur liest, träumt oder im Kino sieht, auch einmal selbst, am eigenen Leib zu erfahren und mittendrin zu sein: „[E]s ist einfach dieser Spieltrieb aus der Kindheit, der nie ganz verloren gegangen ist, oder den man als Kind nicht vollends befriedigen konnte“, so beschreibt eine Teilnehmerin meiner Umfrage ihre Beweggründe dafür, Live-Rollenspiel zu betreiben. Wie es die englische Bezeichnung Live Action Role Play schon andeutet, besteht das Spiel darin, die erfundenen Figuren wirklich zu verkörpern, also all ihre Handlungen innerhalb einer fiktiven Situation real auszuführen und sie nicht nur – wie im Tischrollenspiel – verbal zu schildern. Die Beschreibung „Steigerung eines Rollenspiels“ rührt daher, dass Tischrollenspiele im zitierten Fantasy-Lexikon wie auch in der Rollenspiel-Szene als „klassische“ Rollenspielform gelten und Live-Rollenspiel daher als real ausagierte, d. h. hinsichtlich des Involviertseins gesteigerte Variante gesehen wird.7 Ebenso kann man – wie die zitierte Umfrageteilnehmerin – eine direkte Verbindung ziehen zu Kinderspielen wie „Cowboy und Indianer“ oder „Räuber und Gendarm“ und Live-Rollenspiel als deren Erwachsenenversion ansehen.
Das Problem der Begrifflichkeiten und die Verortung im Kontext anderer Rollenspiele und ähnlicher Phänomene soll im zweiten Kapitel vorgenommen werden, hier sollen nun zunächst wesentliche Begriffe und Grundzüge des Spiels vorgestellt werden.
1.2 GRUNDBEGRIFFE
Neben dem Begriff Live-Rollenspiel hat sich auch im deutschsprachigen Raum die Bezeichnung LARP durchgesetzt, wovon sich der Begriff LARPer für Live-Rollenspieler sowie das Verb larpen ableiten. LARP ist das aussprachefreundliche Kürzel für Live Action Role Play(ing), so lautet zumindest die gängige Übersetzung, die hier übernommen wird. Daneben finden sich andere Herleitungen wie Live Adventure Role Play(ing) oder Live Adventure Action Role Play(ing).
Mit LARP wird zum einen der ganze Live-Rollenspiel-Bereich bezeichnet, zum anderen aber auch die einzelnen Veranstaltungen, auf denen LARP gespielt wird. Diese Unterscheidung werde ich in der Schreibung verdeutlichen: LARP sei im Folgenden der übergeordnete Begriff und synonym für Live-Rollenspiel, (ein) Larp sei die konkrete Veranstaltung, auch Convention (von engl. Versammlung) oder kurz Con genannt.8
1.2.1 IN-TIME VS. OUT-TIME
Die erste und wichtigste Unterscheidung im LARP ist die zwischen der Spielwelt und der realen Welt. Das ist umso wichtiger, als ja die Spielwelt mit den Mitteln der realen Welt in Szene gesetzt und bespielt wird. Hier haben sich klare Sprachregeln etabliert, um zu bezeichnen, welche Ebene gerade gemeint ist: Alles, was die Spielwelt betrifft, wird üblicherweise mit der englischen Bezeichnung in-time (kurz IT) – seltener auch in-game oder in-play – benannt; für alles außerhalb gilt analog der Begriff out-time (kurz OT) bzw. out-game, out-play oder auch off-play. Dieser grundlegenden Unterscheidung entspricht die zwischen Spieler und Charakter: Der Spieler ist die reale Person X, die in der Spielwelt die Figur Y verkörpert. Y ist dann der Charakter von X. Wenn beispielsweise die Bürokauffrau Petra eine Ritterin namens Brianna spielt, dann ist Petra die Spielerin und Brianna ihr Charakter (kurz Char oder Chara). Bezogen auf Handlungen und Äußerungen werden manchmal auch die Begriffe in-character bzw. out-of-character verwendet, um auszudrücken, ob z. B. eine Frage von einer Spielerin auf der OT-Ebene gestellt wird oder ob sie von einem Charakter an einen anderen Charakter gerichtet und Teil der Spielwelt ist.
1.2.2 ROLLE, CHARAKTER
Statt der – im Englischen durchaus gebräuchlichen – Bezeichnung Rolle (role) bevorzuge ich aus mehreren Gründen den Begriff Charakter.9 Zum einen, weil das die im deutschsprachigen Rollenspielbereich übliche Bezeichnung ist; in einschlägigen Regelwerken (z. B. DragonSys, Silbermond oder Phönix) wird die zu spielende Figur stets als Charakter bezeichnet, im Weiteren noch unterschieden in Spieler-Charakter (SC) und Nicht-Spieler-Charakter (NSC), wie später noch erläutert werden wird. Das Wort Charakter hat außerdem den Vorteil, nicht so vieldeutig zu sein wie Rolle. Zwar wird natürlich auch der Begriff Charakter umgangssprachlich und im übertragenen Sinne verwendet, Wendungen wie „einen Charakter spielen“ sind doch aber eher ungewöhnlich und spezifisch für diesen Kontext (anders als „eine Rolle spielen“). Der Begriff der Rolle bleibt dadurch frei, um weiterhin wie üblich gebraucht zu werden (sowohl umgangssprachlich als auch im Sinne rollentheoretischer Überlegungen). Es kann also ohne Begriffsverwirrung ausgedrückt werden, dass auch der Charakter innerhalb des Spiels verschiedene Rollen spielt – z. B. eine unterwürfige gegenüber seinem Herren oder die des Draufgängers bei seinen Saufkumpanen abends in der Taverne – ebenso wie natürlich der Spieler selbst, inner- und außerhalb der Spielwelt. Diese Unterscheidung treffen nicht alle Autoren; gerade in der englischsprachigen Literatur bezeichnet character oft den theoretischen Entwurf und die Hintergrundgeschichte der Figur, was ich im Folgenden Charakterkonzept nennen werde.
1.3 INHALTE UND GENRES
Der LARP-Bereich lässt sich in verschiedene Genres aufteilen, die den Hintergrund, die Motive und Inhalte eines Spiels vorgeben. Davon hängt beispielsweise ab, welche Arten von Charakteren gespielt werden können und welche spezifischen Elemente die Spielwelt beinhaltet (gibt es Magie, existieren übernatürliche Kreaturen usw.). Als wichtigste Hintergründe waren bislang 1. der Fantasy-Bereich, 2. das sogenannte Vampire-LARP (engl., von Vampire Live) und 3. der Science-Fiction-Bereich zu nennen, wobei Fantasy nach wie vor das mit Abstand verbreitetste Genre ist. Aktuell scheinen sich die Schwerpunkte aber zu verschieben; Endzeit-Szenarien werden immer beliebter, insbesondere mit Zombies. Angesichts des derzeitigen Zombie-Booms in Film und Fernsehen (und mit Computerspielen wie The Last of Us mittlerweile auch auf dem Spielemarkt) verwundert das wenig, sondern zeigt, wie sich allgemeine Trends auch im LARP niederschlagen. Andererseits scheint sich der Vampir-Hype, der ebenfalls seit einiger Zeit in Literatur, Film und Fernsehen ausgebrochen ist, nicht nennenswert auf die LARP-Szene ausgewirkt zu haben; die aktuellen Zahlen in Jörg Bolles Statistik zeigen im Gegenteil sogar einen erheblichen Rückgang von Veranstaltungen dieses Genres. Ich habe auch den Eindruck, dass sich Vampire Live-Spieler und -Veranstalter von den derzeit so beliebten Twilight-Vampiren und deren Fans eher distanzieren möchten.
Daneben gibt es diverse LARP-Gruppen, die sich mit einer bestimmten historischen Epoche, einer Region oder Kultur beschäftigen oder – wie die ersten drei – eher an literarischen Genres orientiert sind.10
1.3.1 ÜBERBLICK
Einen umfangreichen Überblick bietet z. B. die einschlägige Datenbank LarpWiki, die folgende Genres aufführt:11
Cthulhu: Live-Rollenspiel in der Welt von Lovecraft
Fantasy: Live-Rollenspiel von Tolkien bis Pratchett
Steampunk: Fantasy in der Viktorianischen Ära
Historische Epochen:
antike Charaktere
ReenLARPment: LARP ohne Fantasy (meist am Mittelalter/der Renaissance orientiert)
Mantel und Degen: Das 18. Jahrhundert
Romantik: Das frühe 19. Jahrhundert
Gaslight: Das späte 19. Jahrhundert
Western: Der Wilde Westen live – von Hollywood bis historisch
Zwanziger Jahre: 1920 und drumherum
Siebziger Jahre: 1970 und drumherum
Gegenwart: Live-Rollenspiele im Hier & Jetzt (teilweise mit phantastischen Elementen)
Killer
Geister
Harry Potter
Vampire Live
Zombies
Mystery
Science-Fiction:
Battlestar Galactica
Cyberpunk: LARP in einer düsteren Zukunft
Shadowrun: Eine spezielle Form des Cyberpunk
Endzeit: Spiele in einer post-apokalyptischen Welt
Star Trek
Star Wars
Warhammer 40k
Sonstiges/Eigenkreationen
Im Fokus dieser Arbeit soll Fantasy-LARP stehen, da es in Deutschland wie gesagt das meist gespielte Genre ist (laut Jörg Bolles Statistik waren 2013 etwa 81 % der Veranstaltungen im Fantasy-Bereich angesiedelt, und von den von mir befragten LARPern gaben zwei Drittel an, hauptsächlich Fantasy-LARP zu spielen). Viele Ausführungen gelten aber für Live-Rollenspiel allgemein, wohingegen anderes – wie die spielbaren „Rassen“ – genrespezifisch ist. Im Folgenden soll Fantasy kurz definiert und beschrieben werden, insbesondere in Abgrenzung zur Phantastik bzw. zum Phantastischen.
1.3.2 FANTASY
Die einschlägige Encyclopedia of Fantasy definiert die literarische Gattung Fantasy wie folgt:
A fantasy text is a self-coherent narrative. When set in this world, it tells a story which is impossible in the world as we perceive it […]; when set in an otherworld, that otherworld will be impossible, though stories set there may be possible in its terms.12
Übertragen auf Live-Rollenspiel würde Fantasy nach dieser Definition all jene Spiele bezeichnen, deren Hintergrundkonzept irgendwelche unmöglichen, d. h. phantastischen, Elemente beinhaltet, z. B. die Verwendung von Magie oder die Existenz nicht-menschlicher oder übernatürlicher Kreaturen. Damit entspräche das Gebiet in etwa der Phantastik als literarischer Gattung. Nach dieser weitgefassten Definition gehörten sowohl Vampire-Rollenspiele, die in der ansonsten realistisch dargestellten Gegenwart angesiedelt sind, Cthulhu-LARP, das in den 1920er und 30er Jahren spielt und sich auf das phantastische Inventar von H. P. Lovecraft bezieht, und Larps in einer klassischen high fantasy-Welt mit Elfen, Orks und Zauberern alle zum Fantasy-Bereich. Damit wäre dieser Bereich allerdings so umfassend, dass man ihn im Ausschlussverfahren einfacher definieren könnte: Nur Rollenspiele, die auf jegliche noch so kleine Übernatürlichkeit verzichten, gehörten nicht dazu.
Eine derart weitgefasste Definition eignet sich also nicht, um die charakteristischen Merkmale dessen herauszuarbeiten, was in der deutschen Rollenspiel-Szene gemeinhin als Fantasy gilt, weshalb ich sie im Folgenden weiter eingrenzen werde. Zunächst einmal sollen hier nur solche Konzepte dazugezählt werden, die in einer „otherworld“ und nicht der (modifizierten) Alltagswelt spielen, womit bereits ein Großteil anderer phantastischer Genres ausgeschlossen ist.13 Eine brauchbare Definition, die genau dieses Kriterium berücksichtigt und auch gleich einige andere typische Merkmale erwähnt, findet sich im Sachwörterbuch der Literatur (wohingegen andere literaturwissenschaftliche Handbücher das Genre Fantasy gar nicht erst aufführen):
Fantasy-Literatur (engl. f. = Phantasie), im Unterschied zur herkömml. phantastischen Literatur, die von der wirkl. Welt ausgeht, neue Form der Phantasiedichtung im 20. Jh. […], die die Phantasie mit gänzl. imaginären, unmögl., archaischen Alternativwelten und -zeiten mit mag.-myth. Wesen ohne Naturwissenschaft und Technik und mit Pseudomythologien u. ä. evozieren will und neben Science Fiction und Utopie eine eigene Gattungsform und Thematik (klischeehafter Kampf von Gut und Böse) entwickelt.14
Als Prototyp der „klassischen“ Fantasy in diesem Sinne gelten die Werke von John R. R. Tolkien und die von ihm erschaffene Welt Middle-earth (Mittelerde) mit ihren Sprachen, Völkern und eigener Mythologie.15 Bis heute haben sie die Vorstellung von Fantasy-Welten wesentlich geprägt. So schätzten in meiner Umfrage 86 % Tolkiens Einfluss auf Fantasy-LARP als groß oder sehr groß ein. 79 % der Befragten gaben an, Tolkiens Hauptwerk The Lord of the Rings (Der Herr der Ringe) ganz oder wenigstens in Teilen gelesen zu haben, und sogar 95 % gaben an, die Verfilmung von Peter Jackson gesehen zu haben. Als weitere einflussreiche Werke wurden u. a. die Romanreihe A Song of Ice and Fire (Das Lied von Eis und Feuer, auch bekannt als Game of Thrones) von George R. R. Martin, der Film Willow und Werke zu den Hintergrundwelten von Tischrollenspielen wie Dungeons&Dragons, Warhammer (Fantasy-Variante) oder Das Schwarze Auge genannt. Den genannten Beispielen ist gemein, dass sie 1. in einer Alternativwelt spielen, die 2. eher archaisch/mittelalterlich/vortechnisiert ist, und dass es darin 3. übernatürliche Wesen (Drachen, Trolle) und/oder nicht-menschliche Humanoide (Elfen, Zwerge) gibt und dass dort 4. Magie oder ähnliche übernatürliche Kräfte existieren und funktionieren. Die letzten beiden Merkmale können dabei unterschiedlich stark ausgeprägt sein: In low fantasy-Geschichten wird nur sehr sparsam Gebrauch von übernatürlichen Elementen gemacht (wie bei Martin), die high fantasy lebt dagegen ganz wesentlich von ihrem Einsatz (wie bei Tolkien).
Die genannten vier Merkmale sollen hier ganz pragmatisch als inhaltliche Kennzeichen dafür dienen, was ich im Rollenspielbereich als typische Fantasy ansehe. Eine darüber hinausgehende typologische Diskussion kann und will ich hier nicht führen, da das an anderer Stelle bereits ausführlichst geschehen ist.16 Mehr als eine trockene Erörterung oder scharfumrissene Definition vermag vielleicht folgende Beschreibung eine Vorstellung davon zu vermitteln, worum es sich dabei handelt:
Fantasy – das sind Geschichten von Zauberern und Helden, Drachen, Elfen und Zwergen, von magischen Ringen und verborgenen Schätzen, versunkenen Kulturen, erfundenen Welten und privaten Mythologien – Versponnenes, Triviales, Unzeitgemäßes. Das ist eine Märchenliteratur für erwachsene Leser von heute, aber nicht im Sinne des technologischen Märchens der modernen Science Fiction, sondern als ein geradezu atavistischer Rückgriff auf Formen und Denkweisen einer mythisch-schamanischen Weltsicht, die die Kultur des 20. Jahrhunderts längst überwunden zu haben glaubt.17
Dies soll in aller Kürze für unsere Zwecke genügen, um einen – eher beschreibenden als definitorischen – Eindruck davon zu gewinnen, womit sich Fantasy-LARP beschäftigt, ohne weiter in die Feinheiten literaturwissenschaftlicher Genreabgrenzung eintauchen zu müssen.18