Kitabı oku: «Aus zwei Welttheilen, Erster Band.», sayfa 4
»Trag ihn in den Garten, Ben, wo der Fluß die Biegung macht – dort ist die Uferbank eingestürzt, und da hinabgeworfen, kann er nur an's gegenüberliegende Ufer schwimmen!«
»Bei Gott das Mädchen hat Recht!« rief der alte Sutton, und Ben schritt schon um's Haus herum dem bezeichneten Orte zu. Die Fenz, die ihn noch von dem Garten trennte, wurde augenblicklich eingerissen, und wenige Secunden später stand der Wolfsjäger an dem schroffen Ufer das unten der vorbeischäumende kleine Bergstrom bespülte – Betsy hatte seinen Arm ergriffen und ihn geführt, daß er nicht etwa einen Schritt zu weit vorgehe und selber mit hinabstürze.
»Jetzt Ben! rief sie ihm zu, als sie ihn plötzlich zurückhielt, jetzt laß los!«
»Gott sei Dank!« murmelte Ben und während er noch die Arme öffnete glitt der dunkle Körper am nachgebenden Sande hinab und schlug plätschernd in die unten über ihm zusammenbrechende Fluth.
Jetzt kamen auch mehre mit rasch herbeigeholten Lichtern herbei und bei dem matten ungewissen Schein derselben konnten sie erkennen wie der schwarze Körper des befreiten Wolfes rasch und mit heftigem Stöhnen durch die Fluth strich. Als er aber drüben an's Ufer stieg klingelte die wackere Glocke laut und hell – er hatte sich schütteln wollen, erschrak jedoch so über den fremden Laut daß er rasch die Uferbank hinansprang, und noch eine lange Strecke durch den Wald hörten sie das gleichmäßige Anschlagen der Schelle, wie der Wolf in dem, diesen Thieren eigenen langen Galopp mit flüchtigen Sätzen nicht mehr den Feinden, die hatte er kaum gefürchtet, nein, diesem unerträglichen scharfen Lärm unter seiner Kehle, zu entfliehen suchte.
»Hahahaha!« brach endlich Ben, der jetzt lachend seine halb erstarrten Arme schwenkte, das athemlose Schweigen mit dem die Männer den immer mehr verschwimmenden Tönen der Glocke gelauscht hatten – »er hat sie – beim ewigen Gott, er hat sie – so – das soll mir der Mr. Metcamp einmal nachmachen!«
Metcamp? ja wo war denn Metcamp die ganze Zeit eigentlich – das weiß der Himmel, am Washita hat ihn wenigstens kein sterbliches Auge mehr gesehen, sein Fenstersprung konnte nicht bezweifelt werden, denn Zeugen gab es dafür genug, und vom Fenster aus ließ sich die Spur noch weit hinaus in den Wald, aber immer dem Arkansas zu, verfolgen, sein ganzes Gepäck aber, ja selbst seinen Hut ließ er, ohne auch nur einmal darum zu schreiben, in der Ansiedlung zurück und Ben hatte gewiß recht als er meinte – »den habe nur sein böses Gewissen aus den Bergen getrieben.«
Und was wurde aus Betsy? –
Ich will dem Leser die weitläufige Auseinandersetzung ersparen und ihm nur mit kurzen Worten einzelne Thatsachen mittheilen aus denen seine Einbildungskraft dann leicht den weitern Verfolg der Sache, viel besser als ich ihm das selber klar machen könnte, herausfinden wird.
Mr. Metcamp war wirklich flüchtigen Fußes förmlich davon gelaufen, der Brief aber, den er zu der Zeit am Washita erhalten hatte, mußte jedenfalls gefälscht gewesen sein, denn noch in demselben Monat hörten sie von einem Reisenden daß Metcamps Onkel, etwa vier Wochen vorher ehe dieser zum Washita gegangen, total bankerott gemacht habe und der vermeintliche Erbe noch schlimmer als ein Bettler sei, da er sogar rasend in Schulden stecke. Die reiche Farmerstochter hatte er dabei leicht zu gewinnen geglaubt, und auch natürlich alles Mögliche gethan, seinem, ihm allerdings gefährlichen Nebenbuhler den Besitz des Mädchens unmöglich zu machen.
Daß er es gewesen der damals den gefangenen Wolf befreit, ließ sich ebenfalls immer weniger verkennen, wenigstens sprach man die Ansicht kurze Zeit darauf ganz offen in der Ansiedlung aus; und daß sich der alte Sutton nach alle dem Vorangegangenen schämte, den beabsichtigten Schwiegersohn aus der Stadt auch nur noch einmal zu erwähnen, versteht sich wohl von selbst.
Es sind jetzt seit der Zeit zehn volle Jahre verflossen, und Farmer Sutton schläft in seinem eigenen Garten still und ruhig unter dem grünen blumigen Rasen, Ben Holik aber hat das unstäte Jägerleben aufgegeben, ist ein ordentlicher Farmer worden und lebt mit seinem lieben Weib, seiner Betsy, und den drei Jungen und zwei Mädchen die sie ihm in ihrer neunjährigen Ehe geboren, so glücklich und zufrieden, wie nur ein Mensch in der weiten Gotteswelt leben kann. Seine Heerden haben sich dabei ungemein vermehrt, denn die Wölfe trieb der mit der Glocke Behangene richtig hinaus aus der ganzen Nachbarschaft, und seine Felder hat er ebenfalls um viele fruchtbare Aecker erweitert; dort aber, wo er den Wolf damals lebendig gefangen, baute er sich auf der luftigen Bergkuppe ein kleines Haus und nannte es, zum Gedächtniß jenes glücklichen Abends – die Wolfsglocke.
Die Ahnung.
Nach einer wahren Begebenheit
Draußen über die Haide tobte und wetterte der Sturm, heulte durch die blattlosen Baumwipfel der Eichen, und zischte und flüsterte in den dichten Nadeln des benachbarten Schwarzholzes. Der Mond war hinter schweren Wolken verschwunden, trüb und düster lag die Nacht auf der Erde und der Orkan, der sich von den Geistern der Luft die tollen Weisen aufspielen ließ, raste mit der Windsbraut über den weiten Plan, durch Bergesschlucht und einsames Thal, und über die starren, drohenden Felsenkämme der trotzig ihm die Stirn bietenden Gebirgsrücken hin.
So, draußen im Freien – aber fast noch tolleres Spiel trieb er um die Wohnungen der schüchtern zusammengedrängten Menschen. Hui! – wie das um die Giebel pfiff und splitterte, wie die Windfahne auf dem alten Pastorhause kreischte und knarrte, daß selbst der hoch und altergrau daneben aufstarrende Schornstein den Lärmen endlich satt bekam, und bald links in den dunkeln Hof, bald rechts in den feuchten Garten hinunter sah, als ob er nur noch nicht recht wisse, in welchen von beiden er zuerst kopfüber hinein springen solle. Wie's an den alten morschen Fensterrahmen riß und klapperte, und seine Kraft an den breitästigen Birn- und Aepfelbäumen versuchte, die schon so lange Jahre dem Sturme getrotzt und sich jetzt, bei den erneuten Angriffen, nur noch immer fester und hartnäckiger mit den weitgespreizten Wurzeln in die Erde hineinklammerten.
Viele viele Stunden lang trieb er's so, und vergebens hatten die wetterschwangeren Wolken schon oft versucht, sich in einzelnen Fluthengüssen zu erleichtern, wie es wohl ein bedrängtes Schiff thut, das seinen Ballast über Bord wirft, die leewärts drohende Küste zu verlassen; der wachsende Orkan schleuderte ihnen stets neue wasserschwere Nebelberge entgegen, und jagte die zürnenden wild und toll durch einander in entsetzlicher Fröhlichkeit.
Bei solchem Wetter, wo die Natur in ihrer ganzen großartigen Furchtbarkeit ersteht, drängen sich die armen schwachen Menschenkinder am liebsten in freundlicher Traulichkeit zusammen, und von sicheren Wänden geschützt, unter Dach und Fach, dem brausenden Nord wie dem kalten Regen entzogen, lauschen sie nur manchmal in ängstlicher Stille zum Fenster hinüber, wenn der Sturm einen neuen Akord in seine dröhnende Aeolsharfe greift, und das feste Gebäude vielleicht vor dem markdurchschauernden Ton bis in seine innerste Tiefe hinein erbeben macht.
So still und traulich war's auch im kleinen behaglichen Studirzimmerchen des wackern Pastor Barrenkamp, der mit seiner Frau, dem Schulmeister, einem Universitätsfreund des Pastors, und dem Rittergutsverwalter, einem alten wettergebräunten Oekonomen, um den schweren eichenen Tisch saß und bei einer guten Tasse Warmbier das Unwetter draußen so wenig als möglich zu beachten schien. Nur manchmal, wenn der Wind die Backen ein bischen gar zu voll genommen und irgend ein krachender Stamm des dicht an den Garten grenzenden Waldes seine gewaltige Kraft verrieth, stand Barrenkamp wohl auf, ging an's Fenster, schob den Vorhang zurück, nahm die Pfeife einen Augenblick aus dem Munde, und schaute, das schwarze Sammetkäppchen fest an die kalte behauchte Scheibe gedrückt, in die rabenfinstere Nacht hinaus.
Es war während einer solchen Pause, denn das Gespräch stockte in dem Fall gewöhnlich auf einige Minuten und die kleine Gesellschaft horchte ebenfalls nach dem Kampf der aufgeregten Elemente hinüber, als der Verwalter langsam seine ausgetrunkene Tasse niedersetzte und mit leiser, fast ängstlicher Stimme sagte:
»Sie haben ganz recht gethan, Frau Pastorin, daß Sie sich heute einmal ausnahmsweise in des Herrn Pastors warmgelegenes Studirstübchen geflüchtet; da drüben in der großen Eckstube muß bei solchem Sturme ein keineswegs freundlicher Aufenthalt sein – draußen freilich ist's noch schlimmer; der Wind pfeift sich ordentlich sein Stückchen und es kommt Einem wahrhaftig manchmal sogar vor, als ob man einzelne Worte und Redensarten verstände – möchte heute nicht über den Kirchhof gehen.«
»Nicht über den Kirchhof?« wiederholte, sich lächelnd nach ihm umwendend, der Pastor, »Sie fürchten sich doch nicht etwa, Verwalterchen? ei, ei, ein Mann in Ihren Jahren –«
»Mein bester Herr Pastor,« meinte der Verwalter und rückte auf seinem Stuhl hin und her, »von fürchten kann bei mir wohl keine Rede sein, ich bin kein böser Mensch und – glaube nicht an Gespenster, wovor sollte ich mich also fürchten, aber –«
»Aber« lachte die Hausfrau und schaute mit einem schelmischen Blicke zu ihm auf, – »aber? der Herr Verwalter lassen sich noch eine Hinterthür offen.«
»Ei, ich meinte nur was das Kirchhofgehen betraf,« erwiederte gutmüthig der alte Mann, – »ich weiß ebensowohl wie jeder Andere, daß die Todten sanft da unten, unter ihrer warmen Decke ruhen, und Nachts nicht wieder herauf kommen werden, um sich auf die kalten Hügel zu setzen und hinter den weißen Steinen Versteckens zu spielen, aber ich vermeide auch gern jede unnütze Aufregung, die mir nachher immer nur Kopfschmerz und Unwohlsein verursacht. – Es hat etwas Unbehagliches für mich, mir in dem schwachen Dämmerlicht aus wehenden Trauerweiden und Büschen, die bleiche Steine halb überdecken, Gestalten mit weißen Gewändern und ringenden Händen heraus zu finden, und ich mag mich nicht in einem fort umsehen, weil ich jeden Augenblick darauf schwören wollte, es käme Jemand hinter mir drein. Ebenso ungern, und aus eben dem Grunde, sitze ich Abends allein in einem Zimmer und mit dem Rücken einer Thüre zugedreht, die halb offen oder angelehnt ist. Ich weiß dabei recht gut, daß sich Niemand im andern Zimmer befindet, also auch Niemand von da zu mir herein kann, und dennoch läßt es mir, wunderlicher Weise, keine Ruhe; ich muß mich entweder herumsetzen, oder die Thüre schließen.«
»Sie haben eine lebhafte Einbildungskraft, und die gaukelt Ihnen da allerlei seltsame Dinge vor,« fiel hier die Pastorin ein, »Sie denken sich in dem Augenblick vielleicht etwas recht Entsetzliches oder Graußliches, und das stört, wenn es auch nicht wirklich eintreffen kann, doch für kurze Zeit Ihre sonstige Ruhe.«
»Ih nun, mit der Einbildungskraft dürfen wir am Ende so etwas nicht einmal alleine entschuldigen,« meinte kopfschüttelnd der Schulmeister, »Einbildungskraft schreiben wir doch sonst schon einem ausgebildeteren Geiste zu und dasselbe Gefühl, das Ihnen der Herr Verwalter vorhin geschildert, finden Sie nicht selten bei dem geringsten Drescher, der sein Hirn den ganzen Tag über mit nichts weniger martert, als mit Gedanken und Ideen. Ich habe mir nach meiner schlichten Weise die Sache immer so versucht auszulegen: etwas Uebernatürliches giebt's doch, das können und dürfen wir nicht leugnen, wo das nun – uns versteht sich unbewußt, weil unsere Sinne zu grob und rauh sind es zu verstehen und zu erkennen – in unsere Nähe kommt, da läuft uns, wir wissen selbst nicht weshalb, eine sogenannte Gänsehaut über den ganzen Leib. Daher kommt auch wahrscheinlich die Sage von den Ahnungen, denn was ich meine, ist eben nichts weiter als eine Ahnung überirdischer Kräfte.«
»Die wir auch um Gotteswillen nicht ableugnen wollen,« sagte die Pastorin und wurde auf einmal ganz still und ernst, »ich dächte wir hätten davon ein Beispiel in unsrer eignen Familie.«
»In Ihrer eignen Familie?« frug der Verwalter rasch.
»Meine Frau bildet sich's wenigstens ein,« meinte der Pastor kopfschüttelnd; »die Sache klingt freilich ganz abenteuerlich, hat aber sicher eine sehr natürliche Lösung.«
»Die aber bis jetzt noch kein Mensch gefunden hat,« flüsterte die Frau; »es ist meiner eignen Mutter widerfahren, und ich habe es nicht allein aus ihrem Munde, sondern auch die Bestätigung, wenn es deren überhaupt bedurft hätte, oft von meiner Tante gehört, die als Kind dabei gewesen war, und sich der einzelnen Umstände noch recht gut erinnerte.«
»Und wären Sie wohl so freundlich, uns die Geschichte mitzutheilen?« frug der Verwalter und rückte seinen Stuhl etwas näher zum Tisch; »es wäre möglich, daß ich durch etwas Aehnliches die Existenz solcher Ahnungen ebenfalls zu bekräftigen vermöchte.«
»Die Sache ist einfach genug,« erzählte die Pastorin; »wir waren unser drei Geschwister, ich, ein älterer Bruder und noch eine jüngere Schwester, und die Großmutter vor etwa acht Wochen gestorben, als meine Mutter, die sich allerdings damals noch in einem sehr aufgeregten Zustande befand, träumte, sie schaute am hellen Nachmittag aus dem Fenster. Da ging die Hofthür auf und herein kam, in demselben Kleide wie sie im Sarg gelegen, ihre Mutter, schritt langsam durch den ganzen Hof und stieg dann die Leiter hinauf, die zu dem Heuboden führte.
»Wie man nun so im Traume ist, so scheint auch meine Mutter gar nichts Außerordentliches in dem Wiederkommen der Todten gesehen zu haben, nur daß diese, was sie im Leben nie gethan, auf den Heuboden stieg, fiel ihr auf. Trotzdem sprach sie kein Wort und die Mutter kam denn auch bald wieder zurück und hatte ein Heubündel unter dem Arm. Damit stieg sie die halbe Leiter hinunter, blieb plötzlich stehen, drehte dann wieder um und holte sich noch ein zweites.
»Ei um Gott, Mutter,« rief die Träumende da, und streckte die Arme nach ihr aus, »ist denn das eine nicht genug?«
»Ja, sagte die Todte und stieg langsam nieder, ich bringe Dir das andere wieder zurück« – und aus der Hofthür verschwand sie, wie sie gekommen.
»Mein damals etwa vierzehnjähriger Bruder war ein ausgezeichneter Harfenspieler, und übte sich besonders in jener Zeit Tag und Nacht; um es zu noch immer größerer Fertigkeit zu bringen, hatte er sich aber wohl darin übernommen, oder lag der Keim der Krankheit schon in ihm, kurz, wenige Tage nach diesem Traume wurde er, sonst ein kräftiger, gesunder Knabe, krank, und sah sich bald durch das hitzigste Nervenfieber auf sein Lager geworfen. Fünf Tage später legte ich mich ebenfalls mit demselben Uebel, mein Bruder aber starb am neunten Tage, und in dem Augenblicke, wo er im Todeszucken lag, rissen plötzlich alle Saiten seiner Harfe. – Mich brachte die Großmutter wieder – ich genas nach kurzer Zeit.«
»Die Harfe hat hinter dem Ofen gestanden,« brach der Pastor rasch eine feierliche Pause; »das Gestell kann sich gezogen haben und da mußten wohl die Saiten mit einem Male springen.«
»Die Erklärung mag wohl ganz gut und natürlich klingen,« sagte der Schulmeister endlich, »ich sehe aber wirklich nicht ein, weshalb wir uns Alles natürlich erklären müssen – Du lieber Gott, unser Aller Leben ist so arm, so entsetzlich arm an jeder Poesie, daß ich denken sollte es hätte sogar etwas Wohlthuendes, einmal einen Gegenstand zu finden, den man nicht recht begreifen kann. Ich weiß mich noch recht gut daran zu erinnern, wie ich als Kind fest und heilig glaubte der Storch bringe die Kleinen, und das Christkindchen die schönen Sachen zu Weihnachten; wie ich mich vor dem Knecht Ruprecht fürchtete und die heiligen drei Könige ehrfurchtsvoll anstaunte – und einmal im Theater – der Abend wird mir unvergeßlich bleiben, da sah ich ein Stück, das hieß die Kreuzfahrer, und etwas derartiges war mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen. Ich weinte und lachte den ganzen Abend und träumte ein volles Jahr von weiter nichts, als tapfern edeln Rittern, braven Türken, unglücklichen Türkenmädchen und bösen Aebtissinnen. Das Stück übte auch merkwürdiger Weise einen ganz eigenthümlichen Einfluß auf mein künftiges Leben aus; ich schwärmte für die altadeligen Geschlechter der tapfern Ritter, und bekam einen ordentlichen Haß auf die katholische Religion, die den Mißbrauch der Klöster dulden konnte.«
»Jetzt ist das ganz, ganz anders geworden – ich halte die Störche für sehr gewöhnliche Zugvögel, die von Fröschen und anderem Zeug leben, und sich keineswegs mit Kindertransport beschäftigen – den sogenannten heiligen Christ habe ich diverse Male selbst machen müssen, und deshalb gegründete Ursache an seiner Heiligkeit zu zweifeln; ebenso den Knecht Ruprecht, wobei ich gleichzeitig und höchst trauriger Weise allen Respekt selbst vor den heiligen drei Königen verloren; und was das Theater anbetrifft, so gaben sie, als ich im vorigen Jahre zum letzten Male in Hamburg war, dort zufällig dasselbe Stück und die Erinnerung an meine Kindheit trieb mich hinein. – Ich wollte, ich wäre nicht gegangen, denn als ich wieder heraus kam, – und ich sollte mich eigentlich schämen es zu gestehen – habe ich großer erwachsener Kerl geweint, bittere, große Thränen geweint, und weshalb? weil ich durch meine Neugierde ein kleines Heiligthum muthwillig zerstört hatte, das mein Herz seit seiner Jugendzeit in seiner innersten Zelle still und heilig genährt – weil ich das muthwillig und mit roher Hand jetzt von mir gerissen sah, was mich so viele, viele Jahre mit froher geheimnißvoller Lust erfüllt. Die hohen schattigen Palmen, die mir bis dahin noch immer vorgeschwebt, schrumpften zu Pappdeckeln mit hölzernen Stützen zusammen, – jener Zweikampf, an den ich oft mit stillem Schauder zurückgedacht, wurde zu einem gewöhnlichen Hämmern auf Blechschilde, – der alte ehrwürdige Emir – in der einen Scene fiel ihm der Bart ab, und das ganze Publikum lachte, während mir die Thränen in die Augen traten – die fürchterliche Aebtissin – war die Frau meines freundlichen Wirths, eine treffliche brave Seele, die sich noch an demselben Nachmittag erst so theilnehmend erkundigt hatte, wie es all' den Meinigen zu Hause ging – die Frau konnte unmöglich ein Bösewicht sein; und nun erst die Knappen und Ritter, die früher einen solchen Eindruck auf mich gemacht, – wie hölzern sie dastanden und wie ungelenk – ach, mein schöner Jugendtraum, wie bös, wie häßlich war der zerstört worden, und wie viel besser wäre es gewesen, wenn ich keine natürliche Erklärung für all den süßen Zauber gefunden hätte!«
»Es läßt sich auch nicht Alles natürlich erklären,« sagte der Verwalter ernst und stopfte sich dabei langsam den hohen Maserkopf mit dem vor ihm liegenden Tabak – »und wenn man's noch so gern erklären möchte und wollte. Ich selbst habe zum Beispiel etwas erlebt, was so wunderbar und märchenhaft klingt, daß ich es selten erzähle – es glaubt mir's Niemand, und es thut mir nachher weh wenn etwas bespöttelt wird, das – heiliger Gott, wie das wieder rast und tobt, man sollte glauben, es schüttelte die alte Erde aus den Achsen – das mir selbst so allgewaltig in's Leben gegriffen hat.«
»Sie scheinen mich für einen total Ungläubigen zu halten, lieber Verwalter, sagte der Pastor freundlich, darin thun Sie mir aber Unrecht, – das vertrüge sich auch nicht einmal mit meiner Stellung, mit meiner Religion. Auch von Gott ward uns ja weiter nichts, als in sinnbildlichen Uebertragungen eine Ahnung seines Wesens, und was Anderes als Ahnung einer höhern Welt ist es, wenn uns bei frommen, erhebenden Choralgesang die Seele in süßer unbegriffener Lust zusammenschauert. Ich glaube an Ahnungen, möchte sie aber nur von den gewöhnlichen Vorbedeutungen geschieden sehen.«
»Vorbedeutungen – Ahnungen!« – sagte der Verwalter kopfschüttelnd, und hielt dabei den brennenden Fidibus auf die Pfeife, ohne jedoch den Blick zu erheben, der sich von da an fest und unbeweglich in die eine Zimmerecke heftete, »das sind am Ende nur immer verschiedene Worte für ein und dieselbe Bedeutung – doch zu meiner Erzählung, aus der sich Jeder seinen Schluß selber ziehen mag, denn ich selbst kann nichts weiter als die Thatsachen geben. Es war nach dem letzten Kriege; – mein Bruder Carl, ein tüchtiger, stattlicher Bursche, hatte sich auch anwerben und später nie wieder etwas von sich hören lassen. Bei Leipzig wollten sie ihn zuletzt gesehen haben; bis dahin dienten wenigstens Landleute aus demselben Ort, in dem nämlichen Regiment mit ihm, und er ließ mich auch einmal in einem von den Briefen grüßen. Nachher blieb er verschollen und zehn Jahre, die ebenfalls verflossen ohne daß ich die mindeste Nachricht erhielt, nahmen mir endlich den letzten Zweifel, daß er in jener blutigen Schlacht gefallen.«
»Nach dieser Zeit, und als der Friede schon lange wieder seine segensreichen Früchte getragen, verwaltete ich in der Nähe von Grimma, eine kurze Strecke von Leipzig entfernt, ein Gut, schaffte im Juni meine Wolle in die Stadt, zum dort gehaltenen Markte, verkaufte sie, und schickte, weil ich noch bei Thräna einen Freund besuchen wollte, den Wagen von dort aus allein voraus. Dort kam das Gespräch, ich weiß jetzt selbst eigentlich nicht mehr recht wie, auf die frühere Kriegszeit und auf unsere gefallenen Freunde und Brüder, wobei ich äußerte, wie schmerzlich es doch für die Hinterbliebenen sein müsse, nicht einmal zu wissen wo die geliebten Todten begraben lägen und ob sie überhaupt ein ehrliches Soldatengrab bekommen hätten.«
»Du lieber Gott,« meinte hierauf mein Freund, der dortige Förster, »da ist wohl Mancher Wochen lang im lieben Walde liegen geblieben, oder, was noch schlimmer ist, mit der ganzen Masse in eine große Grube geworfen, und wie Viele wurden noch vorher von den Kosaken und – anderem Volk – geplündert und gemißhandelt – ich sage Dir, Bernhard, ich habe da schauerliche Dinge mit angesehen. Ich erinnere mich noch an einen armen Teufel, dem hatten sie drei Kugeln in die Brust geschossen und er lebte immer noch. Von den Unsern waren dabei Leute hinausgeschickt die Gebliebenen aus dem Wege zu schaffen und in ein Loch zu werfen; die, aber natürlich bei denen sie noch Leben fanden, die legten sie bei Seite bis sie fertig waren, und dann konnten sie gewöhnlich bei denen wieder von vorn anfangen. Der Verwundete nun, der unter einer Eiche lag, streckte die Hand nach mir aus, und bat mich ihm zu helfen – lieber Gott, was konnte ich für ihn thun – die Zunge klebte ihm schon am Gaumen und er brachte kein Wort mehr über die Lippen; selbst einen Trunk Wasser den ich ihm reichte vermochte er nicht mehr hinunterzuschlucken. Während ich ihn noch im Arme hielt, holte er seinen letzten Athemzug, und als ich ihm die Uniform aufriß, nach seiner Wunde zu sehen, fiel er, eine Leiche, zurück. Auf der bloßen Brust fand ich aber einen Ring, den ich zum Andenken mitnahm und den armen Teufel dafür draußen am Waldesrand, etwa eine Stunde von hier, und nicht weit von dort, wo jetzt der Fußpfad in die große Straße einläuft, warm und weich in die Erde bettete.«
»So lautete seine Erzählung, und er wollte mir den Ring, noch ehe ich fortging, zeigen, bald nachher kamen wir aber auf ein anderes Gespräch und vergaßen ihn. Gegen Abend endlich – denn ich hatte nun noch volle drei Stunden zu marschiren und der Mond ging etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang auf – nahm ich Abschied von meinem Freunde und machte mich, nachdem er mir einen nähern Pfad durchs Holz gezeigt, auf den Heimweg.«
»Die Sonne sank eben hinter den Wipfeln nieder als ich ausmarschirte, und im Walde dämmerte es schon; meinen Pfad konnte ich aber nichtsdestoweniger deutlich genug erkennen, und schritt rüstig darauf vorwärts, bis ich von fern das hellere Licht des offenen Feldes durch die Bäume schimmern sah; – bald darauf erreichte ich die äußerste Grenze des Waldes und vor mir, vielleicht noch eine Viertelstunde entfernt, lief die Chaussee, die sich ganz genau an den Pappeln unterscheiden ließ. Ich überflog die ausgedehnte Fläche mit meinem Blick, um nach den nächsten Thürmen genau die Stelle bestimmen zu können, wo ich mich eigentlich befand, als ich in gar nicht großer Entfernung und mitten auf einer kleinen feuchten Wiese einen einzelnen Menschen, und als ich näher hinsah, einen Soldaten erkannte, der hier allem Anschein nach und mit dem Gewehr im Arme, Schildwache stand.«
»Was um des Himmels willen, dachte ich so bei mir selber, macht nur der einzelne Posten hier mitten auf dem Felde – die Früchte sind doch noch nicht reif, und der Klee – hm, das muß ein Forstschutz sein, – hat sich aber einen sonderbaren Platz dazu gewählt.«
»Der Mann stand still und regungslos und ich blieb ebenfalls einen Augenblick stehen und schaute nach ihm hinüber – er rührte sich nicht, und die Uniform fiel mir jetzt auf, die er trug. So viel ich in der immer zunehmenden Dämmerung erkennen konnte, gehörte sie keineswegs nach Sachsen, war auf jeden Fall von der sehr verschieden, die ich sonst zum Forstschutz verwendet gesehen, und der Tschacko – ein Schauer lief mir unwillkürlich über den Leib, als ich zu dem Gesicht des Posten aufschaute – der Tschacko saß in der richtigen Entfernung zu dem Kopf, aber der Kopf? – das matte Licht mußte mich jedenfalls täuschen, denn gerade wo ich stand, konnte ich deutlich durch die Stelle durch, wo doch sein Gesicht hätte sein müssen, das dahinter durchschimmernde Grün der Wiese erkennen.«
»Lächerlich, murmelte ich aber leise vor mich hin, – daher entstehen so viele Geister- und Gespenstergeschichten, daß uns irgend ein ungewisser Lichtschein oder eine Brechung der Strahlen, ja vielleicht der aufsteigende feuchte Dunst der Erde, wunderliche Geschichten vorspiegelt, die sich nachher, wenn man näher hinzugeht, auf die natürlichste Art von der Welt erklären. Wäre jetzt an meiner Stelle irgend ein furchtsamer Bauerjunge den Weg gekommen, und sein Blick dorthin gefallen, wer weiß, ob er nicht in voller Angst und vor lauter Entsetzen die Flucht ergriffen und daheim dann erzählt und beschworen hätte, er habe auf dem frühern Schlachtfelde einen fremden Soldaten ohne Kopf Schildwache stehen sehen – ich muß nur näher hingehen und mich selber davon überzeugen –«
»Gerade dort wo ich mich befand, lief ein nicht tiefer Graben am Rand der Holzung hin, den ich vorher überspringen mußte, er war übrigens schmal und auf der andern Seite desselben führte ein grüner Rain in ziemlich genauer Richtung der Stelle zu, wo die wunderliche Wache stand. Ohne weiteres Ueberlegen – denn ich ging nicht einmal viel um, da ich von dort aus die Chaussee eben so rasch erreichen konnte – schritt ich jetzt auf den Mann zu und hielt dabei, des Wegs nicht weiter achtend, den Blick fest und unverwandt auf seine, dunkel gegen das lichter dahinter liegende Grün abstechende Gestalt geheftet. Das Bandelier zog sich ihm, wie ich deutlich erkennen konnte, weiß und hell über die Brust und jetzt kam es mir auch vor, als ob die Umrisse seines Kopfes, ja seine Gesichtszüge klarer und deutlicher hervorträten.«
»Guten Abend, Kamerad! sagte ich endlich, als ich schon in mehr als Rufes Nähe von ihm war – ist ein kühler Posten hier, und abgelegen vom Wald; – weshalb so spät noch draußen? – wird der Holzdiebstahl hier so arg getrieben?«
»Der Soldat antwortete nicht, und ich hätte darauf schwören wollen, er sei noch vor wenigen Sekunden mitten in der kleinen Wiese gewesen, auf der ich mich jetzt befand, und nun stand er doch, wie sich gar nicht verkennen ließ, in dem benachbarten Sturze, und ein gutes Stück weiter von mir entfernt. Wieder überkam mich jenes eigenthümliche fröstelnde Gefühl, über das ich mir keine Rechenschaft zu geben wußte, doch war ich entschlossen, den wunderlichen Soldaten zum Antworten zu bringen, und ging jetzt mit noch schnelleren Schritten als vorher auf ihn zu.«
»Sie glauben mir vielleicht nicht wenn ich es Ihnen sage, aber dennoch kann ich Sie heilig versichern, daß ich nicht im Stande war den Schattenmann zu erreichen – deutlich genug sah ich ihn vor mir, und wenn er auch kein Glied regte, weder Fuß noch Arm, dennoch rückte er aus einem Feld in's andere und es blieb mir zuletzt gar kein Zweifel mehr, daß ich es mit einem keineswegs körperlichen Wesen zu thun hatte.«
»Und konnte das ein Gebild meiner erregten Phantasie sein? – war es möglich, daß ich die Conturen der jetzt, trotz der Dämmerung immer noch genau erkennbaren Gestalt nur träume oder denke? Ich blieb plötzlich stehen und hielt den Blick fest und unverwandt auf die Figur geheftet. Da verschwammen die Umrisse mehr und mehr mit dem, jetzt dunkel dahinter lagernden Feld – zuerst verschwand der Tschacko – die Uniform – ich sah nur noch das blitzende Gewehr, das Bandelier, die helleren Beinkleider – auch diese wurden immer undeutlicher – das Alles zog sich wie ein leichter, wehender Nebel in den feuchten Grund – der Körper, wenn es überhaupt ein Körper gewesen, lief flüssig, in luftigen Hauchen aus einander, und zuletzt war gar nichts mehr zu erkennen. – Doch nein, das weiße Bandelier stach noch immer scharf und klar gegen den düstern Hintergrund ab – ich konnte deutlich die Kappe sehen, in der das Seitengewehr hing. – War denn auch das Täuschung? – wenigstens davon wollte ich mich noch überzeugen, denn wenn ich auch unbeweglich wohl zehn Minuten auf meiner Stelle stehen blieb, der Schein des Bandeliers regte sich ebenso wenig, und hing, wie es fast aussah, von einer unsichtbaren Gewalt getragen, in der Luft.«
»Je näher ich kam, desto deutlicher ließ es sich unterscheiden, und schon stand ich, kaum noch fünf Schritt davon entfernt, als ich –«
»Herr Gott – was war das?« rief die Frau plötzlich und fuhr erschreckt auf – der Verwalter schwieg und selbst der Pastor warf einen flüchtig scheuen Blick im Zimmer umher.
»Was hast Du denn?« sagte er dann und versuchte zu lächeln, – »Du jagst Einem ja ordentlich Schreck ein.«
»Hörtest Du nichts? sagte die Frau und sah leichenblaß aus, – mir war es, als ob Jemand um Hülfe schrie –«
»Die erregte Einbildungskraft,« beruhigte sie der Schulmeister, »wir haben Alle ein gutes Gehör, Frau Pastorin, verlassen Sie sich darauf, hätte wirklich Jemand gerufen, es wäre uns nicht entgangen – die Erzählung hat Ihre Nerven aufgereizt, das unbedeutendste Geräusch erschreckt uns dann; – bitte, Herr Verwalter, fahren Sie fort.«