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Kitabı oku: «Der Kunstreiter, 1. Band», sayfa 6

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Und Graf Geyerstein? – er kam sich selber hier fast wie ein Fremder vor. – War es Melanies verändertes Betragen, über das er sich nicht täuschen konnte? – war es des Bruders Schicksal, das in der letzten Zeit seine Seele so erfüllt, ihn fast die ganze übrige Welt darüber vergessen zu lassen? – war es der fremde junge Russe, der, kaum hier eingeführt, sich mit einer Zuversicht und Sicherheit in diesen Räumen bewegte, als ob er selber schon seit Jahren des Hauses intimster Freund gewesen? – Er wußte es nicht – nur wie ein dunkler, unheimlicher Schatten lag es auf seinem Herzen, und die hell erleuchteten, menschenbelebten Gemächer kamen ihm tot, öde und einsam vor, als ob er hier allein gestanden hätte. Da tönte plötzlich ein helles, reines Lachen an sein Ohr. – Das war Melanies Stimme; unter Tausenden hätte er sie ja herausgekannt. Er wandte rasch den Kopf dorthin – der fremde Graf mußte ihr gerade etwas unendlich Komisches erzählt haben, denn ihr Antlitz strahlte vor Laune und Uebermut.

»Herr Graf,« flüsterte in diesem Augenblick eine leise Stimme an seiner Seite, und Luise von Mechern suchte ihn durch die Anrede auf den Lakaien aufmerksam zu machen, der mit dem Teeservice auf dem silbernen Teller bis jetzt vergebens bemüht gewesen war, dem Rittmeister die Erfrischung zu präsentieren. Der Graf sah aber nichts weiter als Melanies halb von ihm abgedrehtes glückliches Gesicht. Nur einen flüchtigen Blick warf er herum, der Anrede zu, und wandte sich, ohne das junge Mädchen, das schüchtern neben ihm stand, auch nur zu bemerken, mit einem einfachen »Ich danke« wieder ab.

Der Lakai balanzierte seinen Präsentierteller nicht ohne Geschicklichkeit weiter, zwischen den verschiedenen beweglichen Gruppen durch, und Luise selber schrak schüchtern zurück. Rosalie aber kam jetzt mit ihrer Mappe herbeigehüpft, und den Grafen am Arm nehmend, der sich ihr nicht entziehen durfte, führte sie ihn in ein kleines, etwas abgesondertes Seitenkabinett, dort ungestört seinen Beifall über die wirklich mit vielem Talent und fast nur unter der Leitung Luisens ausgeführten Skizzen einzuernten. Hier sollten sie aber nicht lange ungestört bleiben, denn Fräulein von Zahbern hatte den Grafen schon vorher nicht aus den Augen verloren und folgte ihnen bald, sich anscheinend den ausgebreiteten Zeichnungen Rosaliens mit größtem Interesse widmend. In der Tat aber suchte sie nur die Durchsicht derselben zu beschleunigen, und als die Komtesse, von der Anwesenheit der jungen Dame eben nicht erfreut, ihre Arbeiten wieder zusammenlegte und forttrug, ergriff Fräulein von Zahbern des Grafen Arm und flüsterte: »Aber sagen Sie mir nur um Gottes willen, Herr Graf, wollen Sie denn den Kampf ganz ohne Schwertstreich aufgeben?«

»Den Kampf, mein gnädiges Fräulein?«

»Ah, stellen Sie sich nicht, als ob Sie nicht verständen, was ich meine,« rief die Dame rasch, »wir haben hier auch keine Zeit durch Aufklärungen zu versäumen. Sie müssen doch sehen, daß jener Russe Sturm auf Melanies Herz läuft.«

»Und glauben Sie nicht, daß die Festung stark genug sein wird, sich zu halten?« sagte der Rittmeister lächelnd, während aber doch ein ganz eigenes Weh sein Herz durchzuckte.

»Nein!« rief das Fräulein rasch und entschieden, wenn auch noch immer mit unterdrückter Stimme. »Sie sind entweder erschrecklich leichtsinnig oder erschrecklich – zuversichtlich, wenn Sie die Gefahr nicht sehen wollen, die Ihnen droht.«

»Aber woher auf einmal diese Teilnahme für mich, mein gnädiges Fräulein?« sagte der junge Mann mit viel größerer Ruhe, als Fräulein von Zahbern wohl erwartet haben mochte.

»Aus Patriotismus. Ich hasse die Russen, und diesen Russen…«

»Vor allen anderen?«

»Nein – ärgern Sie mich nicht – diesen Russen gönne ich eben Melanie nicht. Die ganze Stadt weiß ja doch, daß Sie für sie schwärmen.«

»Die ganze Stadt weiß oft mehr von uns, als wir selber wissen,« sagte der Graf trocken.

»Mehr wenigstens, als uns oft lieb ist,« ergänzte das gnädige Fräulein mit einem bezeichnenden Blick auf den Rittmeister selber, der jedoch an diesem machtlos abglitt. »Sie aber, Herr Graf,« setzte sie dann, als sie es bemerkte, hinzu, »sind mir ein vollkommenes Rätsel und entweder der – durchtriebenste oder der unschuldigste Mann, dem ich in meinem ganzen Leben begegnet bin.«

»Lassen Sie uns das letztere hoffen, mein gnädiges Fräulein,« sagte der Rittmeister, dem das Gespräch unangenehm zu werden anfing. »Wir sollen von unseren Mitmenschen immer nur das Beste denken.«

»Also muß ich denken, daß Sie jede Bewerbung um Melanie aufgegeben haben?« sagte Fräulein von Zahbern mit kaum verheimlichtem Aerger.

»Mein gnädiges Fräulein,« erwiderte der Rittmeister, durch die unzarte Frage verletzt, »meine Ansichten und Wünsche können hier nicht gut in solcher Weise von uns beiden verhandelt werden. Komtesse Melanie ist jedenfalls ihre eigene Gebieterin, und vollständig fähig und berechtigt, solche Bewerbungen, die ihr nicht anstehen, zurückzuweisen. Bewirbt sich Graf Selikoff wirklich um sie, so wird sie auch entscheiden, ob sie das günstig oder ungünstig aufzunehmen hat. Ein drittes dabei wäre, meiner Meinung nach – überflüssig.«

»Und wenn der Graf ältere Verpflichtungen hätte?« sagte die Dame gereizt.

»Graf Selikoff ist, soweit ich bis jetzt über ihn urteilen kann,« erwiderte kalt der Rittmeister, »ein Ehrenmann und deshalb einer unedlen Tat unfähig. Wie dem aber auch sei, meine Gnädige, die älteren Ansprüche würden in dem Falle nichts weiter zu tun haben, als – sich geltend zu machen.« Fast unwillkürlich hatte er sich bei diesen Worten dem Eingange des Kabinetts zugewandt, an dem gerade zwei alte Geheimräte eine fast leidenschaftliche Debatte über Schnupftabak führten. Andere Gruppen auf und ab wandelnder Gäste waren ebenfalls in die Nähe gekommen, und Graf Geyerstein glaubte zu hören, daß sein eigener Name genannt würde. Er drehte sich danach um und sah unfern von sich den alten General von Schoden mit seiner Tochter Euphrosyne und Melanie, die mit dem Grafen Selikoff in ein eifriges Gespräch verwickelt schienen.

»Ich kann Ihnen nicht helfen, Komtesse,« lachte der alte General, »aber die Sache ist so, wie ich sage: Monsieur Bertrand gibt seine Truppe auf oder verkauft wenigstens seine Pferde, denn ich weiß aus ganz sicherer Quelle, daß er den Falben mit dem weißen Hinterfuß und den Fuchs mit der schwarzen Mähne, die beiden Prachtpferde, dem General Beuter zum Verkauf angeboten hat.«

»Und ich berufe mich nochmals auf Graf Geyerstein,« erwiderte Melanie, jetzt kaum zwei Schritt von dem Rittmeister entfernt. »Der Graf ist sehr genau mit der Truppe bekannt und hätte uns doch, wenn sich die Sache wirklich so verhielte, gewiß schon ein Wort davon gesagt, da er weiß, wie großen Anteil wir daran nehmen.«

»Es tut mir leid, Komtesse, in diesem Streite nicht auf Ihrer Seite kämpfen zu können,« fiel hier Graf Selikoff mit etwas gebrochenem Deutsch ein, »aber der General hat recht, den Falben wie den einen weißen arabischen Hengst habe ich sogar selber gekauft, um beide nach Petersburg zu schicken.«

Melanie schien im Anfang die Worte gar nicht zu hören, denn ihr Blick hing fest und forschend an den Zügen des Rittmeisters; aber diesen Moment des Selbstvergessens bezwang sie rasch und zu dem Russen gewandt, sagte sie: »In der Tat? – das hätte ich nicht geglaubt. – Was mag den Mann dazu bewogen haben? Herr Rittmeister, wissen Sie vielleicht etwas Näheres über diesen überraschenden Verkauf? Will sich vielleicht Monsieur Bertrand ganz dem Seiltanz widmen?«

»Ich bedauere unendlich, Komtesse,« erwiderte ruhig Graf Geyerstein, »Ihnen nichts Näheres darüber mitteilen zu können. Es ist sogar dies das erste Wort, das ich von dem Verkauf höre, ich muß also doch nicht so genau davon unterrichtet sein.«

Komtesse Melanie schwieg und eine fliegende Röte färbte ihr für einen Augenblick Wangen und Nacken, um gleich darauf wieder, so rasch wie sie gekommen, zu verschwinden. Fräulein von Zahbern aber, mit dem Interesse, das sie an jeder Stadtneuigkeit nahm, rief erstaunt: »Ist es denn möglich, Monsieur Bertrand will sein Geschäft aufgeben? Aber das kann ja gar nicht sein, oder er hat sich genug verdient, um den Kunstreiter an den Nagel zu hängen und den Rentier zu spielen. Da freue ich mich nur, daß wir ihn noch zu guter Letzt gehabt und gesehen haben. Und seine Frau reitet nun also auch nicht mehr?«

»Nur Vermutungen von unserer Seite, meine Gnädige,« sagte der alte General von Schoden. »Wir wissen selber darüber nicht mehr als Sie.«

»Ich finde es auch so erstaunlich unweiblich, zu reiten,« bemerkte Fräulein Euphrosyne von Schoden, »ich muß gestehen, ich hätte die Vorstellungen um keinen Preis wieder besucht.«

»Larifari!« lachte der alte General, »wegen der kurzen Röcke? – mit langen Reifröcken können sie auf keinem Pferd herumtanzen.«

»Aber, Papa, ich bitte dich um Gottes willen…«

»Ich fragte Monsieur Bertrand,« fiel hier Graf Selikoff ein, »ob er die Absicht habe, seine Reitkunst aufzugeben, erhielt von ihm aber nur ausweichende Antworten. Die Sache kann übrigens kein Geheimnis bleiben, denn seine Truppe wird uns bald darüber aufklären, wenn er es selber nicht für nötig finden sollte.«

»In der Stadt erzählt man,« nahm hier der hinzutretende Intendant das Wort, »daß sich Monsieur Bertrand schon wegen des unterlassenen Seiltanzes zwischen den beiden Türmen sehr heftig mit seiner Frau gezankt habe, und die beiden sich wollten scheiden lassen.«

»In der Tat?« rief Melanie schnell, und ihr Blick streifte fast unwillkürlich den Rittmeister.

»Ja, meine Gnädigste,« versicherte Herr von Zühbig mit wichtiger Miene, indem sich seine Stirn in dichte Falten zog, »Madame Bertrand scheint etwas heftiger, selbständiger Natur zu sein, wie alle diese Art Damen, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn sie das Geschäft ohne Herrn Bertrand allein fortsetzen würde.«

»Ohne Pferde?« fragte der General.

»Ohne Pferde? – Pardon! nein.«

»Aber ihr Mann verkauft sie alle.«

»Ha, dann dressiert sie vielleicht andere! Es ist ein pompöses Weib, diese Madame Bertrand, ein kleiner Teufel – wie ich mir habe sagen lassen.«

»Es kann ja auch sein,« nahm hier Melanie das Wort, »daß sie sich selber nach Ruhe sehnt, und vielleicht in stiller Zurückgezogenheit ihr Leben nach so vielen Gefahren und – Aufregungen zu genießen gedenkt.«

»Sehr leicht möglich, meine Gnädigste, sehr leicht möglich!« rief Herr von Zühbig mit einem lüsternen Lächeln um die Lippen. »Man munkelt sogar in der Stadt von einer Liaison, die verlockend genug sein sollte, selbst den schönen Monsieur Bertrand aufzugeben.«

»Sie sind boshaft, Baron,« sagte Melanie, indem sie fühlte, daß ihr das Herzblut selbst zu Eis gerann. Aber sie wagte nicht in diesem Augenblicke, zu dem Rittmeister aufzuschauen.

»Die Stadt wird nie müde,« sagte da Graf Geyersteins ruhige, klangvolle Stimme, »dergleichen Erzählungen zu erfinden, und es gibt auch stets gefällige und geschäftige Menschen, die sie weiter tragen.«

»Ich sage nur nach, was mir erzählt worden ist!« rief von Zühbig rasch.

»Natürlich, Herr Intendant,« lachte Fräulein von Zahbern, »mehr tun wir alle nicht. Wenn wir alle so finster und schweigsam wären, wie der Herr Rittmeister, so hörte jede Unterhaltung auf, und man säße in stiller Selbstbeschauung nebeneinander, eine Tasse Tee mit Würde zu trinken. Hahahaha – eine solche Damengesellschaft möchte ich einmal sehen!«

»Haben Sie keine Furcht, mein gnädiges Fräulein,« lachte der alte General, »hier in *** passiert Ihnen das nicht, ihr Weiber müßt einmal klatschen, das ist euer Erbfehler…«

»Aber, bester Papa…«

»Und du, Euphrosyne, bist nicht um ein Haar besser als die andern!« rief der alte Haudegen.

»Aber du gebrauchst solche incroyable Ausdrücke, Papa!«

»Larifari! Ich nenne das Kind beim rechten Namen.«

»Komtesse, ich habe den ganzen Abend bis zu diesem Augenblicke vergebens eine Gelegenheit gesucht, Sie begrüßen zu können,« wandte sich Graf Geyerstein an Melanie – diesen Augenblick benutzend, wo die Aufmerksamkeit der übrigen auf den General und seine Tochter gerichtet war.

»Ich bin sehr erfreut, Sie nach so langer Zeit wieder einmal bei uns zu sehen,« erwiderte die junge Gräfin mit einer artigen, aber kalten Bewegung des Hauptes.

»Wenn Sie wüßten…«

»Wie beschäftigt Sie die letzte Zeit gewesen?« unterbrach ihn Melanie, und fast unwillkürlich suchte ihr scharfer, forschender Blick sein Auge. Ruhig jedoch, nur mit einem leisen, fast schmerzlichen Ausdruck begegnete es dem ihrigen. Sie wandte sich rasch ab und fuhr fort: »Ich kann es mir denken, und Sie sind vollkommen entschuldigt. – Aber kommen Sie, Herr Graf,« redete sie in demselben Augenblicke den jungen Russen an, »ich versprach Ihnen vorhin die russische Volkshymne – Luise soll sie uns spielen – es ist ein Genuß, sie zu hören.«

»Es ist auch eine der schönsten Melodien, die es gibt,« sagte der Graf, die letzten Worte falsch verstehend, »und Sie machen mich unendlich glücklich, Komtesse, daß Sie ein solches Interesse an unserer Nationalhymne nehmen.«

Melanie verneigte sich leicht gegen den Grafen Geyerstein, legte dann ihre Hand in den ihr gebotenen Arm des jungen Russen und schritt an seiner Seite dem anderen Salon zu, in dem der Flügel aufgeschlagen stand.

»Und hatte ich unrecht?« flüsterte Fräulein von Zahbern in des Rittmeisters Ohr, indem ihr Blick mit einer ihr sonst nicht unschönes Gesicht fast entstellenden Mischung von Zorn und Eifersucht das Paar verfolgte.

»Lassen Sie uns die Nationalhymne mit anhören, mein gnädiges Fräulein,« sagte Graf Geyerstein statt aller Antwort, indem er ihr den Arm bot und die erbitterte Schöne, ohne ihr Zeit zu einer weiteren Bemerkung zu geben, den Vorangegangenen nachführte.

8

An demselben Abend, an welchem beim Kriegsminister von Ralphen die Soiree gehalten wurde, und während dort in den hell erleuchteten und wohlig durchwärmten, von Blumen duftenden, von sanften Melodien durchströmten Räumen fröhliche Menschen gesellig beieinander saßen, bereitete sich eine andere, von dieser sehr weit verschiedene Szene in der zweiten Etage der Rosengasse vor.

Die Vorstellung im Zirkus war beendet, und mit ihr die letzte, der Gesellschaft für diese Messe gestattete. Draußen auf dem Platze, als die letzten Menschen das hohe, runde Bretterhaus kaum verlassen hatten, arbeiteten, hämmerten und pochten schon wetterbraune Gestalten in Hemdsärmeln und Schurzfellen, um die Bude wieder abzuschlagen und sie so rasch als möglich von dem Platze, den sie mit ihrer bretternen Masse entstellte, zu entfernen.

Auch oben in dem Zimmer Georg Bertrands sah es aus, als ob der Eigentümer des Gemaches im Begriff sei, abzureisen, denn wild und unordentlich lagen alle möglichen Kostümstücke bunt zerstreut über Stuhl- und Sofalehnen, ja selbst über den Boden hin. Handschuhe, Hüte, Reitpeitschen, ja selbst andere Teile einer Damengarderobe bedeckten zum Teil den großen, runden Tisch, der in der Mitte der Stube stand, und waren nur zur Hälfte zurück- und zusammengeschoben, um dem durch die Hausmagd heraufgebrachten Abendbrot für drei Personen notdürftigen Raum zu geben. Die Luft in dem ziemlich geräumigen, aber sehr niederen Gemache war dabei schwül und dumpfig, und kaltgewordener Tabaksqualm, wie der warme Fettgeruch verschiedener Fleischspeisen diente nicht dazu, sie zu verbessern. Auf dem Sofa lag Demoiselle Josefine, Georginens siebenjährige Tochter. Das Kind war von der für seine Jahre übermäßigen Anstrengung erschöpft eingeschlafen, und der Schein der Lampe fiel, ohne die Schläferin zu stören, grell auf das bleiche, aber stark geschminkte, abgespannte Gesicht des Kindes.

Georg Bertrand war noch nicht nach Hause gekommen. Er mußte darauf sehen, daß vor allen Dingen seine Pferde gut gewartet, abgerieben und gefüttert wurden, ehe er selber an seine eigene Verpflegung denken konnte. Fremden Menschen, und noch dazu solch leichtsinnigem Volke, wie seinen Künstlern, durfte er das, wie er recht gut wußte, nicht überlassen. Georgine dagegen hatte eben das Zimmer betreten, aber ihr leichtes, luftiges Kostüm, mit dem sie in der letzten Piece als Elfe die Zuschauer entzückt, noch nicht abgelegt. Nur ein langer, leichter, grauer Mantel, den sie beim Nachhausegehen darüber geworfen, schützte sie gegen die kalte Nachtluft, und selbst hier, in dem fast schwülen Zimmer, hatte sie ihn noch nicht abgelegt, denn ihre Seele beschäftigte anderes, als die Veränderung ihrer Toilette. Unruhig und rasch schritt sie in dem breiten, niederen Gemache auf und ab. Die nackten Arme fest auf der unruhig wogenden Brust verschränkt, das Haupt gesenkt, auf dem die noch nicht abgelegten Blumen und Federn herüber und hinüber wehten, maß sie den engen Raum wieder und wieder und unterbrach ihre Schritte nicht einmal, als ihr Vater endlich, ebenfalls noch in seinem Hanswurstkostüm, ins Zimmer trat.

»Ist Georg noch nicht zu Hause?« fragte der Alte, indem er seine Kappe auf dem Kopfe rückte und sich mit der Hand durch die langen, schon dünnen und ergrauenden Haare fuhr.

»Nein,« lautete die kurze Antwort, und die Frau schritt, ohne nur zu ihm aufzusehen, an ihm vorüber.

Der Alte betrachtete sie eine Weile kopfschüttelnd, dann ging er zu dem Sofa, auf dem Josefine lag, und blieb davor stehen. »Hm,« sagte er hier, indem er einen alten, auf der Sofalehne hangenden Rock über die halbentblößten Glieder der Kleinen zerrte, »das Kind wird sich erkälten. Hat sie denn schon zu Nacht gegessen?«

»Ja, sie war früher fertig als wir.«

»Wo hockt denn die Christel, daß sie gewaschen und zu Bett gebracht wird?«

»Rufe sie – die faule Dirne ist nie da, wenn sie gebraucht werden soll.«

Der Alte ging kopfschüttelnd wieder hinaus und kam bald mit einer Art von Dienstmädchen zurück, das den Tag über auch noch dazu verwandt wurde, die verschiedenen Kostüme in Ordnung zu halten. Das Mädchen schien selber irgendwo eingeschlafen und eben geweckt zu sein, denn sie konnte noch nicht in das Licht sehen. Ohne viele Umstände ergriff sie das schlafende Kind mit dem darüber gedeckten Rock, warf es sich halb über die Schulter, ohne daß es dadurch erwacht wäre, und trug es in sein Schlafzimmer nebenan.

»Das Fleisch wird ganz kalt,« sagte indes der Alte, der sich nicht weiter um das übrige bekümmerte. »Wo nur Georg wieder bleibt – setz' dich mit her, man muß jetzt das bischen Fressen so nur immer in aller Hast hineinhetzen.«

»Iß nur,« erwiderte die Frau, »ich habe keinen Hunger.«

»Keinen Hunger? Und nach der Anstrengung?« brummte der Alte. »Dabei kann man doch wahrhaftig nicht von der Luft leben! – Meinetwegen aber, wenn du nicht willst – ich habe Hunger!« Und damit warf er seine alte Filzkappe in die Ecke, holte sich einen großen Krug Bier und vom Fenster eine Flasche Branntwein, langte dann aus den vor ihm stehenden, mit guten, nahrhaften Speisen gefüllten Schüsseln wacker zu, und schien sich bald nach Umständen vollständig behaglich zu fühlen. Nur das unruhige Wesen der Frau störte ihn; er sah ihr ein paarmal auf ihrem Gange kopfschüttelnd nach, und dann wieder nach der alten Schwarzwälder Uhr, die im Zimmer hing, hinüber, rückte ungeduldig eine Weile auf seinem Stuhle hin und her und sagte endlich: »Was hast du denn nur heut' abend, Gine, daß du wie toll im Zimmer auf und ab rennst? Weshalb hast du dich noch nicht ausgezogen? Zum Donnerwetter, setz' dich einmal, man wird ganz wirr im Kopf.«

Die Frau antwortete weder, noch unterbrach sie ihren Gang, und nur manchmal blieb sie einen Moment plötzlich stehen, um nach der Tür hinüber zu horchen. Der Alte sah ihr kopfschüttelnd zu, dann aß er ruhig weiter, bis er satt war, schob jetzt den Teller zurück, schenkte sich ein Bierglas halb voll Branntwein, das er auf einen Zug und ohne eine Miene zu verziehen, leerte, und nahm dann das Gespräch noch einmal auf: »Dir geht Georgs neuer Plan im Kopfe herum – er paßt dir nicht, ich weiß es – er paßt auch mir eigentlich nicht recht, aber – bei Lichte besehen, hat er doch am Ende nicht so ganz unrecht. Wir werden alt, und ich für meinen Teil hätte nichts dagegen, wenn ich mich einmal – wenigstens eine Zeitlang – ausruhen könnte, ohne gerade am Hungertuche zu nagen.«

Georgine schleuderte ihm einen finsteren Blick zu, erwiderte aber noch immer keine Silbe, und der Alte, noch einmal zu der Flasche greifend, aus der er sich langsam einschenkte, fuhr, eigentlich mehr zu sich selbst als zur Tochter redend, fort: »Und es ist doch eigentlich nur ein Hundeleben, das wir führen, Faxen und Narrenspossen machen, daß das Lumpenvolk sich für seine paar Groschen darüber ausschütten kann und besser danach verdaut – Kanaillen, verdammte, die uns nachher auf der Straße über die Achsel ansehen oder hinter uns drein feixen – und wegen solcher Bande riskiert man seine Gliedmaßen, bis man einmal zum Krüppel wird! Nachher kann man betteln gehen, mit Krücke oder Stelzfuß und ihretwegen auch verhungern – was kümmert das sie!«

Der alte Mann hatte den Ellbogen auf den Tisch gestützt und schaute mit den kleinen, tiefliegenden Augen finster und verdrossen in die dicht vor ihm flackernde Lampe hinein. Aber wo war jetzt der tolle Humor in diesen Zügen, der noch vor wenigen Viertelstunden das Volk da draußen hatte aufjauchzen und jubeln machen? Wo war die Laune geblieben, mit der er sich dem Stallmeister zwischen die Füße warf und seinen Körper verrenkte und durcheinanderwand, nur um dem süßen Pöbel zu gefallen? Nichts von alledem ließ sich mehr in dem finstern, verdrossenen und doch so entsetzlich bemalten Angesicht erkennen, auf das die Lampe jetzt ihr volles, grelles Licht warf. Scharf und verzerrt schnitten dabei die weißgemalten Streifen desselben ein, während das Zinnoberrot ordentlich leuchtete und die beiden Augen unter den tief herabgezogenen buschigen Brauen wie ein paar Stücke rotheißen Eisens funkelten. Fest hatte sich dabei die magere, sehnige Hand in das lange, dünne Haar gekrallt, das zwischen den Fingern in spärlichen Locken herausquoll, und ein eigener Ausdruck von Trotz, Grimm und Ekel lag in den tiefgefurchten, farbebestrichenen Zügen. Georgine war neben ihm stehen geblieben, und den weißen, vollen Arm auf den Tisch stützend, sagte sie mit leiser, wie höhnisch klingender Stimme: »Und willst du ein Bauer werden?«

»Warum nicht?« erwiderte der Mann, ohne seine Stellung auch nur um ein Haar breit zu verändern, »immer noch besser ein Bauer als ein – Hanswurst.«

»So zieht ihr beiden allein zwischen eure Schafe und Kühe!« rief das junge, schöne Weib, in wildem Zorn emporfahrend, »ich selber weiß, was ich mir und Josefinen schuldig bin, und den will ich sehen, der mich zwingen will, draußen zwischen Kraut- und Kartoffelfeldern mein Leben zu beschließen!«

»Niemand Georgine, niemand!« sagte in diesem Augenblicke die tiefe, klangvolle Stimme Georg Bertrands, der unbemerkt von den beiden in die Tür getreten und auf der Schwelle stehen geblieben war. »Wenn du es übers Herz bringen kannst, deinen Gatten allein ziehen zu lassen, allein deinen Weg dir in der Welt zu bahnen, in Gottes Namen dann, ich kann und werde dich nicht daran hindern.«

»Nicht?« rief die Frau erstaunt, ja überrascht nach ihm herumfahrend, »du würdest dich von mir und Josefinen trennen wollen?«

»Von Josefinen? – nein,« sagte der Mann ruhig, indem er seinen Hut auf den Stuhl neben der Türe legte und langsam jetzt ins Zimmer trat.

»Von Josefinen nicht?« rief in schnell wieder aufloderndem Zorne die Frau, »welche Macht der Erde wird das Kind von der Mutter trennen?«

»Das Gesetz,« erwiderte mit dem vorigen Gleichmut ihr Gatte, »das Gesetz spricht nach dem siebenten Jahre das Kind dem Vater zu.«

»Du darfst mir Josefinen nicht nehmen,« zischte da Georgine zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, »du weißt, daß ich ohne das Kind nicht leben kann, daß ich mit mehr als Mutterliebe an ihm hange, daß sie mein ein und mein alles ist auf dieser Welt – du kannst und darfst mich nicht töten – und mir das Kind nehmen, hieße mehr als mich morden.«

»Und will ich das?« erwiderte Georg, jetzt vor sie tretend und ihre Hand ergreifend, »habe ich nicht Bitten auf Bitten an dich verschwendet, mir und dem Kinde das Opfer zu bringen, diesem unseligen Leben zu entsagen? Hat nicht Josefine selber dich gebeten, mich nicht zu verlassen und draußen in der freundlichen Natur zu vergessen, was dich hier berauscht – den Beifall der Menge! – Georgine, kann dir denn nicht ein häusliches Familienglück, das du noch gar nicht kennst und das nur zu bald seinen Zauber um dich breiten wird, das Jauchzen und Beifallklatschen fremder, gleichgültiger Menschen ersetzen? Lebst du denn nur für diese Masse, die dir nichts, gar nichts entgegenbringt, als nur das Verlangen, auf angenehme Weise amüsiert zu werden, und die gleichgültig selbst an deinem Sarge vorübergehen würde, wenn ein unglücklicher Fall dich in der nächsten Stunde vielleicht abriefe?«

»Nach meinem Tode? Nicht so viel kümmere ich mich darum!« rief das schöne Weib verächtlich. »Ob sie mich lieben werden oder hassen, was liegt daran! Nur dieses Leben ist mein, nur dem Leben gehöre ich an. Was schert mich die Liebe oder der Haß des Volkes nach dem Tode!«

»Und ich? – und dein Kind?« sagte Georg mit weicher Stimme.

»Wenn ihr mich liebtet, quältet ihr mich nicht so,« rief die Frau zurück. »Du weißt, daß ich so wenig für das Land passe, wie dein Araber zum Karrenziehen und Ackern; die Hand möchte ich sehen, die uns beide dazu zwingen kann.«

»Du weißt,« sagte Georg ruhig, »daß ich den Araber zu allem zwang, wozu ich ihn haben wollte.«

»Aber mich nicht, Georg, mich bei Gott nicht!« rief die Frau, wieder zu voller Heftigkeit ausbrechend. »Versuch' es nicht, du möchtest es bereuen.«

»Es ist zu spät, darüber noch zu reden,« sagte fest entschlossen Georg, »Heut' abend nach der Vorstellung habe ich den Handel über mein letztes Pferd abgeschlossen, die wenigen ausgenommen, die ich mit mir zu nehmen gedenke, und morgen schon verlassen wir ***, um keine weitere Messe mehr zu besuchen. Die Gesellschaft ist aufgelöst, die Leute werden morgen ausgezahlt, und ich und Josefine ziehen hinauf nach Mecklenburg, ein neues Leben von heute an zu beginnen.«

»Und glaubst du, daß ich das Kind dir gutwillig lassen werde?« fragte Georgine, und ihre ganze Gestalt zitterte in der furchtbaren Bewegung, die sich ihrer bemächtigt hatte.

»Du mußt, Georgine,« lautete die feste Antwort, »die Gesetze schützen mich darin – wenn ich deren Schutz anrufen müßte. Ich habe mich genau danach erkundigt, Josefine ist über sieben Jahre alt, und das Gesetz spricht in diesem Falle dem Vater des Kindes, falls sich die Eltern trennen sollten, das Recht zu, über seine Zukunft zu wachen und zu bestimmen.«

»Und wer hat dich mit den Gesetzen so genau bekannt gemacht? – glaubst du nicht, daß ich deinen Helfershelfer errate?«

»Wenn du den Mann meinen Helfershelfer nennst, der mir wie einem Ertrinkenden die Hand bietet, mich aus einem Leben zu erretten, das mich die letzten Jahre nur zwischen Verzweiflung und Selbstmord schwanken ließ, so hast du recht,« sagte Georg düster.

»Zwischen Verzweiflung und Selbstmord, du?« rief erstaunt die Frau, »du, der nur Lust und Stolz in der Ausübung seiner Kunst fand, dem an Kühnheit und Geschicklichkeit keiner gleichkam?«

»Es ist gut,« erwiderte der Mann, ernst mit der Hand abwehrend, »die Zeiten sind, Gott sei Dank, vorbei, denn du kennst mein früheres Leben nicht, weißt nicht, kannst nicht wissen, was ich gelitten und geduldet habe, um es zu vergessen. Jetzt endlich ist mir Rettung geboten; jetzt streckt sich mir eine Hand entgegen, mich zurück zu Sicherheit und Ruhe zu führen, und, beim ewigen Gott! ich will sie nicht undankbar von mir stoßen. – Du kennst mich, du weißt, daß ich durchführe, wozu ich einmal fest entschlossen bin; glaube also nicht, mich durch zornige Worte oder machtlose Drohungen schwanken zu machen. Auch dir bietet sich die Hand, auch für dich ist die Hilfe gemeint. Folge deshalb meinem Rat, – folge deinem Gatten – deinem Kinde, und stürze dich nicht wieder einem Leben entgegen, an dem du jetzt vielleicht Freude findest, in dem du aber doch mit der Zeit rettungslos untergehen müßtest.«

»Er hat recht, Gine,« sagte auch der Alte, der, ohne bis jetzt seine Stellung zu verändern, aufmerksam den Worten Bertrands gelauscht und nur manchmal langsam dazu mit dem Kopfe genickt hatte. »Wir alle werden nicht jünger, und ein solcher Schlupfwinkel für's Alter bietet sich nicht einem jeden von uns. Der rote Kaspar war zu meiner Zeit, wie ich noch in Bundhosen herumlief, ein so toller Hanswurst, wie es je einen gegeben hat: die Banden zahlten ihm damals schon sechs- bis siebenhundert Taler jährlich mit Kußhand, und er brauchte sich noch nicht einmal bei ihnen zu bedanken. Auf der Messe jetzt habe ich ihn mit einem abgeschnittenen Beine und einer Drehorgel und Mordgeschichten getroffen, und ich mußte ihm ein paar Groschen geben, daß er nur endlich einmal wieder, wie er meinte, etwas Warmes in den Leib bekäme. Ich selber habe nicht die geringste Lust, in meinen alten Tagen mit einer Drehorgel oder mit Fleckseife im Lande herumzureisen, Winter und Sommer draußen auf den Straßen zu liegen und den Bauernlümmeln die alten, schmierigen Rockkragen abzuseifen oder schreckliche Blutgeschichten vorzuleiern, in denen zuletzt immer die Polizei gelobt wird. Ich und der Karl, wir gehen mit. Der Karl soll auch Oekonom werden, daß er mir nicht den Hals bricht, wie sein Vater, was ihm der lahme Jörgen schon vor vier Jahren prophezeit hat.«

»Geh mit uns, Georgine,« bat da auch Bertrand, mit weit mehr Herzlichkeit, als er bisher zu ihr gesprochen. – »Versuche es nur einmal ein Jahr mit uns, und du wirst sehen, daß du gar rasch und freudig dich in den neuen Zustand findest. – Du kennst das stille, bürgerliche Leben ja noch gar nicht; weißt nicht, ahnst noch nicht einmal, welche Reize und Genüsse es bietet. Bleibe bei uns, bleibe bei deinem Kinde, dem doch kein Fremder je die Mutter wird ersetzen können.«

»Soll ich Komödie in deinem Familienkreise spielen?« fragte das schöne Weib höhnisch, in dem sie mit untergeschlagenen Armen vor dem Gatten stehen blieb.

»Nenne es die erste Zeit, wie du willst,« sagte Bertrand ruhig, »nur zu bald wirst du doch einsehen lernen, daß du nie mehr dein eigener Herr gewesen, als gerade in jenem einfach natürlichen Leben auf dem Lande!«

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
27 eylül 2017
Hacim:
170 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
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