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Kitabı oku: «Der Kunstreiter, 1. Band», sayfa 7

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»Und glaubst du wirklich, daß du mich je zur Bäuerin machen könntest,« lachte Georgine, indem sie in Verachtung und Zorn die schön geschnittenen Lippen emporwarf, »ich hätte gedacht, daß du mich besser kennen solltest.«

»Und du willst mir wenigstens gestatten, den Versuch zu machen?«

»Nein – dreimal und tausendmal nein!« rief Georgine mit wieder aufloderndem Zorn, »bis ich nicht sicher weiß, daß die Gesetze dir wirklich erlauben, mir mein Kind zu stehlen. Ich zweifle nicht an der Möglichkeit, denn ihr Männer habt die Gesetze gemacht, und was gilt euch das Herz einer Mutter? Aber selber erfragen will ich erst die Schmach, und ist das sicher – gut – dann gehe ich mit euch. Von Josefinen kann, will ich mich nicht trennen, und über sie wachen werde ich dort, wie die Löwin über ihr Junges. Versucht es dann, sie mir abtrünnig zu machen.«

»Bah!« sagte der Alte, unwillig seinen Kopf schüttelnd, »schwatze keinen Unsinn; es will sie dir niemand stehlen, und Georg ist am kleinen Finger vernünftiger, als du am ganzen Leibe. Beschlafe die Geschichte; morgen wirst du vernünftiger darüber denken. Morgen halte ich dann auch Auktion mit dem Plunder hier oder werfe ihn am liebsten auf die Straße hinaus. Ich wäre doch wirklich neugierig, zu sehen, ob es noch solch einen Narren hier im Neste gäbe, der ihn aufhöbe. Jetzt macht, daß ihr zu Bett kommt. Es ist ein Uhr vorbei und mir sind alle Knochen im Leibe schon wie zerschlagen.«

Mit diesen Worten zündete er sich einen Stummel Talglicht an, der auf der Kommode stand, nahm seine Mütze wieder aus der Ecke hervor und verließ langsam, ohne eine »Gute Nacht« weiter für nötig zu halten, das Zimmer.

9

Am nächsten Morgen saß Komtesse Melanie allein in ihrem Boudoir. Rosalie war mit Luisen ausgefahren – sie selber hatte sie nicht begleiten können oder wollen – und Kopfschmerzen, Unwohlsein vorgeschützt. Sie war in der Tat nicht wohl, wenigstens ganz ungewöhnlich aufgeregt und unruhig, und nahm bald ein Buch zur Hand, ein paar Seiten desselben zu durchblättern, bald begann sie an einer angefangenen Zeichnung, bald an einer Stickerei und schob nach wenigen Minuten alles wieder beiseite, um sich auf das Sofa zu werfen und ihren eigenen Gedanken nachzuhangen. So war es zwölf Uhr geworden, als es leise an die Türe klopfte und auf ihr Herein ein Diener eintrat, welcher meldete: der Herr Rittmeister von Geyerstein lasse anfragen, ob er der gnädigen Komtesse seine Aufwartung machen dürfe.

»Graf Geyerstein?« rief Melanie, fast erschreckt von dem Sofa emporfahrend. Die Ueberraschung dauerte aber nur wenige Momente, denn schon im nächsten Augenblicke wieder vollständig gesammelt, sagte sie ruhig: »Es wird mir sehr angenehm sein, führen Sie den Grafen herein!«

Wenige Minuten später hörte sie draußen den festen, klirrenden Schritt des Offiziers, und der Graf stand in ihrem Zimmer, ehe sie selber sich genug gefaßt hatte, ihn ruhig begrüßen zu können.

»Komtesse,« sagte der Rittmeister, sich förmlicher vor ihr verneigend, als er sonst als alter, gern gesehener Freund des Hauses getan, »Ihr Herr Vater trägt die Schuld einer Störung, wenn ich Ihnen eine solche verursacht habe, denn mein Dienst rief mich zu ihm, und da er für den Augenblick noch beschäftigt ist, war er so gütig, mich indes zu Ihnen herüberzuweisen – ich wäre sonst nicht so früh bei Ihnen erschienen.«

Eine rasche, freundliche Entgegnung lag schon auf Melanies Lippen, aber sie zwang sie zurück und sagte artig, aber lange nicht mit der gewohnten Zärtlichkeit im Ton und Ausdruck: »Mein Vater weiß recht gut, daß Sie uns immer willkommen sind, auch ohne die Entschuldigung, Herr Graf.«

»Aber auch ohne die Veranlassung hätte ich Sie heute noch aufgesucht, Komtesse,« nahm der Graf nach einer leisen Verbeugung wieder das Wort, indem er sich, einer einladenden Handbewegung Melanies folgend, auf einen Stuhl ihr gegenüber niederließ, »denn ich wollte mich auf einige Zeit von Ihnen verabschieden.«

»Sie wollen fort von hier?« rief Melanie schneller und mit weit mehr Teilnahme, als sie vielleicht zu verraten willens war.

»Nur auf kurze Zeit; auf eine, vielleicht auf einige Wochen; und zwar in Angelegenheiten, die meine Anwesenheit auf einer meiner Besitzungen dringend nötig machen. Ich habe dazu den Urlaub vom Fürsten erbeten und erhalten.«

Melanie sah zu ihm auf und vermochte keine Silbe als Antwort zu finden. Allerlei wunderliche, wirre Gedanken kreuzten ihr Hirn. Jetzt gerade wollte er fort? – jetzt, wo – sie durfte dem nicht weiter folgen – und so kalt, so förmlich nahm er jetzt Abschied, er mußte bemerkt haben, wie sie Graf Selikoff bevorzugte. – Und weshalb nicht? War sie nicht frei, zu tun, zu lassen, was sie wollte, war sie nicht von ihm, der so kalt und eisern vor ihr saß, schändlich, schmählich betrogen und verraten worden? – und wenn nicht? – Auch der Graf schwieg; das Herz war ihm voll und schwer, und dem kalten, förmlichen Empfang des Wesens gegenüber, das er mehr als sein eigenes Leben liebte, hatte er sich bezwungen, hatte er ebenso kalt und ruhig von ihr scheiden wollen – scheiden vielleicht für ein ganzes Leben, indem sie sich von nun an nur als Fremde wieder begegnen sollten. Als er aber die Bewegung in Melanies Zügen sah, als ihm nicht verborgen bleiben konnte, daß die Jungfrau, so kalt und abgemessen sie sich auch gezeigt, doch vielleicht mehr, ja innigeren Anteil an ihm nehme, da raffte er sich selber auch empor, und mit bewegter Stimme sagte er: »Komtesse – Melanie – es ist in letzter Zeit etwas zwischen uns gewesen – was, weiß nur Gott – was aber nicht sein sollte.«

»Zwischen uns, Herr Graf?« unterbrach ihn, wie erstaunt, Melanie, die durch die Worte rasch zu sich selbst gerufen wurde.

»Stoßen Sie mich nicht so ungehört zurück,« fuhr der Rittmeister, der jetzt einmal das Eis gebrochen hatte, fort. »Womit ich Sie beleidigt oder gekränkt haben mag, ich weiß es nicht – wissentlich nicht, beim ewigen Gott, und nur ein Mißverständnis kann es deshalb sein, was Sie in diesen Tagen mir entfremdet hat. Sehen Sie mich nicht so stolz an, Melanie, Sie waren sonst so offen, so ehrlich gegen mich – o, lassen Sie die Zeit, die liebe, liebe Zeit, nicht so mit einem Schlage abgebrochen sein. Sagen Sie mir, was ich getan, was ich verbrochen habe, gestatten Sie mir dann, daß ich mich verteidige.«

»Was Sie getan, Herr Graf,« erwiderte Melanie, der bei der Erinnerung alles dessen, über das sie Ursache zu haben glaubte – gerechte Ursache – zu zürnen, das Blut mit voller Macht in Wange und Schläfe strömte, »ich glaube nicht, daß es mir zusteht, Sie über irgend etwas, was Sie getan haben könnten, zur Rede zu stellen. Hätten Sie es für gut gefunden, mich irgend eines Schrittes wegen, den Sie zu tun gedachten, um Rat zu fragen, wäre es vielleicht etwas anderes, doch so…«

»O, weichen Sie mir nicht aus,« bat Geyerstein in herzlichem Tone und von der Gewalt des Augenblicks hingerissen, »Melanie Sie müssen wissen, wie mein Herz…«

»Herr Graf – nicht weiter, wenn ich bitten darf,« unterbrach ihn plötzlich mit ernstem, strengem Tone die junge Gräfin, indem sie sich zu ihrer vollen Höhe stolz, ja fast zürnend emporrichtete. – »Ersparen Sie sich und mir ein Thema, das nur für beide Teile – schmerzlich enden kann.«

»Melanie!« rief Geyerstein entsetzt, »was, um aller Heiligen willen…«

»Sie vergaßen wohl in dem Augenblick,« fuhr die Komtesse fort, und ihre Züge glichen jetzt denen einer Marmorbüste, »das Verhältnis, in dem Sie zu der Seiltänzergruppe jenes Bertrand stehen? – Sie vergaßen…«

»Großer Gott!« stöhnte der Rittmeister, und bleich, wie das ihm gegenüberstehende schöne Weib, fuhr er von seinem Sitz empor.

»Wie das Geheimnis zu meinen Ohren kam,« fuhr Melanie kalt und ruhig fort, »bleibt sich gleich, Sie selber bestätigen alles durch Ihr Schweigen. – Jetzt aber werden Sie doch auch wohl fühlen, daß zwischen uns nicht mehr von den Empfindungen des Herzens die Rede sein kann. Die Tochter des Grafen von Ralphen dünkt sich zu gut…«

»Halten Sie ein, Komtesse!« rief der Graf mit ausgestreckter Hand und fast tonloser Stimme, »sagen Sie nichts weiter! Es ist genug – übergenug – und das wenige selbst – hätte sich vielleicht auf weniger harter Weise sagen lassen – aber es ist geschehen. Sie haben nicht zu fürchten, daß ich Ihnen je wieder mit Wort oder Blick nur nahen werde – dennoch bitte ich Sie, in den Augen der Welt…«

»Fürchten Sie nicht, daß ich Ihr Geheimnis mißbrauchen werde,« unterbrach ihn Melanie, »wie immer die Welt auch wohl dergleichen beurteilen möchte. Was ich gesprochen, sprach ich nur für mich, und wie ich glaube, war ich das mir und meiner Stellung in der Welt schuldig. Aber ich höre meinen Vater – er wird kommen, um Sie abzurufen.«

Der Graf neigte sich ehrerbietig, aber kalt vor ihr, er hatte seine ganze Fassung und Männlichkeit wiedergewonnen, und in demselben Augenblick auch fast öffnete sich die Tür, in welcher der Kriegsminister, schon in Uniform, um gleich nachher zum Fürsten zu fahren, erschien.

»So, mein lieber Geyerstein,« sagte er freundlich, als er dem jungen Manne die Hand entgegenstreckte, »jetzt bin ich mit allem fertig und stehe Ihnen noch auf eine halbe Stunde zu Diensten. Er will uns davonlaufen, Melanie, will hinauf nach Mecklenburg und Hirsche schießen, Güter einrichten, und Gott weiß was alles. Wir werden Sie hier vermissen, Geyerstein, und Rosalie besonders wird untröstlich darüber sein. Wo steckt denn das Mädchen überhaupt heute morgen – wohl wieder ausgefahren? Aber du siehst so blaß heute aus, Melanie; fehlt dir was, mein Kind?«

»Nichts, lieber Vater – nur ein wenig Kopfschmerz hatte ich heute, und habe deshalb Rosalie auch nicht begleitet. Es wird bald vorübergehen.«

»Exzellenz gestatten mir dann vielleicht, Ihnen oben in Ihrem Zimmer die Papiere vorzulegen,« sagte Graf Geyerstein.

»Schön; wenn Sie alles bei der Hand haben, desto besser. – Apropos, Sie sind auf heute mittag schon versagt? Ich möchte Sie gern noch so lange als möglich bei uns haben.«

»Ich muß unendlich bedauern…«

»Machen Sie um Gottes willen keine Umstände; Sie sollen nicht im mindesten geniert sein. Also kommen Sie. – Adieu, mein liebes Kind; lies nicht zu viel, das nimmt dir den Kopf nur noch mehr ein.«

Graf Geyerstein verabschiedete sich bei der Komtesse mit einer tiefen Verbeugung, und ebenso förmlich dankte ihm die Dame. Der alte Herr bemerkte das aber nicht; er übersah schon flüchtig die Papiere, die ihm der Rittmeister eben übergeben hatte, und mit freundlichem Kopfnicken nur von seiner Tochter Abschied nehmend, verließ er gleich darauf, von dem Grafen gefolgt, das Zimmer.

Melanie blieb, als die beiden Männer die Tür hinter sich geschlossen hatten, noch eine ganze Weile stumm und regungslos stehen. Hatte aber auch ihr stolzer Geist in dem entscheidenden Moment den Sieg über das nur zu schwache Herz davongetragen, jetzt – jetzt vermochte sie nicht mehr. Ein leises Frösteln flog über ihren Körper, sie schwankte zum Sofa, barg das bleiche Antlitz in den Händen und weinte – weinte, als ob ihr Herz vor unendlichem Weh zerbrechen müsse in der Brust.

10

Oben, inmitten des schönen Mecklenburger Landes, an einem der kleinen reizenden Seen, lag das nicht unbeträchtliche Rittergut Schildheim, seit undenklichen Zeiten schon einem alten Mecklenburger Geschlecht erb- und eigentümlich. Der letzte desselben heiratete eine Komtesse Geyerstein aus einer Nebenlinie im nordöstlichen Preußen, und um sie die Heimat nicht so sehr vermissen zu lassen, wurde damals das alte, durchaus neu restaurierte Gut ganz nach preußischer Art eingerichtet; ja sogar einen preußischen Verwalter und eine Wirtschafterin brachte die junge Frau mit dorthin, sowie Leute von ihren eigenen Gütern, und Schildheim hieß demnach und von der Zeit an in der Umgegend nur »das preußische Gut«. Der Besitzer starb, aber seine Witwe, eine Großtante Wolfs von Geyerstein, überlebte ihn noch viele Jahre, und als auch sie in der Familiengruft beigesetzt wurde, ging das Gut durch Erbschaft an Wolfs Mutter über.

Mit den Jahren hatte sich jetzt dort vieles verändert. Die Wirtschafterin war gestorben und eine andere aus dem Lande selber angenommen worden. Dann hatte ein Pächter das Ganze übernommen, und die preußischen, dazu gehörigen Familien verdingten sich teils auf anderen Gütern, teils hatten sie sich selber etwas erspart und einen eigenen kleinen Grundbesitz gekauft. Nur die Gebäude waren noch die alten und der Name »das preußische Gut« ebenfalls auf dem alten Herrensitze haften geblieben. Die Leute in der Nachbarschaft kannten es fast unter keiner andern Benennung, und doch verdiente sie das Gut schon lange nicht mehr. Von den eigentlichen, dort hinübergezogenen Preußen lebte in der Tat nur noch einer, der alte Verwalter, ein Mann hoch in die Sechzig aber mit noch rüstigen Kräften, der samt den Dienstleuten der seligen Besitzerin, und zwar als Ochsenjunge, herübergekommen war und sich durch Fleiß und ehrliches Betragen zu solchem Ehrenposten aufgeschwungen hatte. Das eigentliche Inventar aus ältester Zeit blieb aber eine andere, höchst eigentümliche Persönlichkeit, und das war der alte Forstwart, wie er dort überall hieß. Dieser, ein origineller Kauz, aber ein durchaus braver und rechtlicher Mann, hatte seine Karriere auf dem preußischen Gute von der Pike auf gemacht, das heißt vom Holzdieb bis zum Forstwart, wo er halten blieb, und jetzt, in seinem hohen Alter, eigentlich mehr das Gnadenbrot aß, als noch wirklichen Nutzen leistete. Dabei hing er an dem alten Platz, besonders an seinem Walde – denn um die Menschen bekümmerte er sich wenig oder gar nicht – mit einer Zuneigung, die man in dem sonst so abgeschlossenen und selbst scheuen Gesellen gar nicht gesucht haben würde.

Der Förster war allerdings sein Vorgesetzter, aber bekümmerte sich wenig um ihn und tat seine Pflicht, ohne ihn viel damit zu belästigen. Jener war auch gern damit zufrieden, wenn er nur den Holzfrevlern ein wenig auf die Finger sah und im Winter dem Raubzeug Fallen stellte, und zu beiden Beschäftigungen ließ sich niemand besser verwenden als der alte, für seine Jahre aber noch außerordentlich rüstige Forstwart Barthold. Die Frevler fürchteten nämlich den alten Mann weit mehr und gingen ihm weit sorgfältiger aus dem Wege, als wenn er der jüngste und kräftigste Forstgehilfe gewesen wäre, denn sie glaubten: er könne mehr als Brot essen, das heißt, er stände mit verschiedenen über- und unterirdischen Mächten im Bunde, was sich mit dem Seelenheil eines gewöhnlichen Christen nicht vertrug. Ging er doch auch in keine Kirche, und man erzählte sich von ihm im Dorfe die tollsten und abenteuerlichsten Geschichten – und doch gab es kaum ein harmloseres Wesen in der weiten Umgegend, als eben diesen braven alten Forstwart. Nur dem Raubzeug im Walde, den Füchsen, Mardern, Wieseln, Iltissen und wilden Katzen war er ein grimmer und schlauer Feind, weil sie Sicherheit und Leben seiner lieben Waldsänger, der Vögel, bedrohten.

Etwa zehn Minuten Weges – oder eine halbe Pfeife Tabak, wie die Bauern manchmal ihre Wege messen – von dem Rittergut Schildheim entfernt und dicht am Ufer des kleinen schilfbewachsenen Sees, lag ein sehr freundliches Dorf gleichen Namens mit einigen wohlhabenden Bauern, wie auch von den Arbeitern bewohnt, die auf dem Gute ihre Nahrung fanden. Dort war eben Kirchweih abgehalten worden, und die Bauern und Insassen feierten jetzt noch – gewissermaßen zur Erholung von den überstandenen Festlichkeiten – die Nachkirchweihe in einer Art von verlängertem blauen Montag. Die Köpfe wüst von vielem Tanzen und Trinken und den verschiedenen durchschwärmten Nächten, hatten sie noch keine rechte Lust, wieder zu ihrer regelmäßigen, steten Arbeit zurückzukehren und glaubten die Zeit denn natürlich nicht besser anwenden zu können, als wenn sie das früher begonnene Zechen ein klein wenig länger fortsetzten. Der arbeitsame Bauer ist schwer aus seiner altgewohnten, täglichen Beschäftigung herauszubringen; wenn aber einmal draußen, bekommt er sich selber auch nur äußerst schwer wieder hinein. – Er weiß das selber recht gut und läßt sich deshalb eben Zeit dazu.

Im Dorfe war ein ziemlich großes Wirtshaus: Zum Stern; denn die Chaussee führte um den See herum und wurde besonders stark von Fuhrleuten befahren, welche die Landesprodukte früher bis an die See nach Wismar, seit Einrichtung der Eisenbahn aber, mit noch viel lebendigerem Verkehr, nach der nächsten, etwa sechs Meilen entfernten Eisenbahnstation schafften. Der Stern bildete denn auch jetzt den Mittelpunkt, in welchem die Honoratioren des Ortes zusammenkamen, bei Wein oder Bier die Nachwehen der überstandenen frohen Tage zu vertreiben, und selbst der alte Verwalter vom Schloß, eigentlich kein Wirtshausgänger, war heute unter ihnen und saß mit einem Glase Wein vor sich am runden Tisch in der unteren Stube, denn kaltes, unfreundliches Wetter hatte die Gäste in das Innere des Hauses getrieben. Der alte Verwalter war aber eigentlich nicht bloß um zu trinken hergekommen, sondern er brauchte Leute aus dem Dorfe zur Arbeit, und wußte, wie schwer es hielt, sie selbst von der Nachkirchweihe fortzulocken. So willig sie sich auch sonst finden ließen, heute wichen sie ihm aus, und der alte Mann, der nicht hinter ihnen herlaufen konnte, hatte sich deshalb wie die Spinne hier mitten in das Netz gesetzt, wo sie ihm, wie er recht gut wußte, doch zuletzt anlaufen mußten. Neben ihm, ineinandergedrückt und schläfrig, saß ein anderer alter Gesell, der faule Tobias, wie sie ihn im Dorfe nannten. Er sah fast wie ein Müller aus, mit seinem hellblauen, weiß bestaubten Rock, war auch früher ein Müller, und noch dazu ein ganz tüchtiger, gewesen, und wohnte in der unteren Mühle, aber nur zum Auszug. Er hatte vor längeren Jahren Mühle wie Anwesen an seinen Schwiegersohn verkauft und sich nur, wie das häufig Sitte ist, seinen Auszug, das heißt Wohnung und Verpflegung bis zum Tode, vorbehalten, dann das Geld genommen und lustig damit gelebt, und jetzt hieß es allgemein, daß er wohl bald mit der erhaltenen Summe fertig sein müsse. Das aber kümmerte ihn gar wenig. Ohne die geringste Beschäftigung, war er den Vor- wie Nachmittag sicher im Stern zu treffen. Nur an warmen Tagen ging er manchmal mit der Angel an den Bach, aber er war selbst zu faul, Würmer zu suchen, besteckte seine Angel deshalb nur, legte sie ins Wasser und sich daneben in den Schatten irgend eines Baumes, und schlief so lange, bis er durstig wurde. Dann stand er auf, packte sein Angelzeug zusammen und ging wieder in den Stern, und die Leute im Dorfe nannten ihn so mit Recht den faulen Tobias.

Daß der Bursche nicht zum Arbeiten zu bringen war, selbst wenn er noch hätte arbeiten können, wußte der Verwalter recht gut, richtete deshalb auch kein Wort an ihn, und die beiden saßen eine Weile schweigend neben einander, wobei Tobias manchmal mit den rotgeränderten und feuchten Augen nach ihm hinüberblickte, und sich nur bewegte, wenn er sein Glas hob oder es von frischem füllen ließ.

»Na,« nahm da endlich Tobias das Gespräch auf, denn es verdroß ihn, daß ihn der Verwalter keines Wortes würdigte, »wird ja jetzt bald ein anderes Leben in dem alten Schlosse werden, he? – Kommt heute ein neuer Pachter hinein, der wahrscheinlich einmal ein bischen reine Bahn macht.«

»Möglich,« sagte Schönle, der Verwalter, trocken. »Euch wird er aber doch wohl nicht ändern können.«

»Mich? – ne – wäre auch schade,« lachte Tobias stillvergnügt vor sich hin, denn er wußte jetzt, daß er den Verwalter geärgert hatte, »bin so hübsch genug und muß nun auch so bis an mein Ende – das Gott der Herr mir und meinem Schwiegersohn zuliebe wohl noch ein paar Jährchen hinausschieben wird, – aufgebraucht werden; hehehe!«

Der Verwalter antwortete ihm nichts darauf, trank einen Schluck aus seinem Glas und sah ungeduldig nach der Tür. Die Gesellschaft gefiel ihm nicht, und er wäre gern aufgestanden, hätte er nur irgendwo anders einen passenden Platz gehabt. Der Alte merkte dies recht wohl, aber noch viel zudringlicher fuhr er fort: »Es hieß ja einmal eine Weile im Ort, der Herr Verwalter würden den Pacht selber übernehmen, he? Der gnädige Herr da draußen hat aber wohl nichts davon wissen wollen? Ja – ist eine alte Geschichte: der Prophet gilt nichts im eigenen Lande, hehehe!«

Damit hatte er übrigens, wie er recht gut wußte, des Verwalters wundesten Fleck getroffen; der alte Mann stand auch auf, trank sein Glas aus und sagte: »Ihr seid ein unverbesserlicher Schwätzer, Tobias, und ein so nutzloses Subjekt, wie je auf zwei Beinen herumgetaumelt ist. Wenn Ihr einmal nüchtern seid, will ich weiter mit Euch reden.« Und damit wollte er sich von dem höhnisch zu ihm aufschauenden Alten abdrehen, als die Türe aufgerissen wurde, und einer der Gutsknechte atemlos hereingestürzt kam.

»Sie sind da – sie sind da!« schrie der Bursche, ohne nur zu grüßen, den Verwalter an, »eben fahren sie die Allee hinauf – zwei Wagen hintereinander.«

»Alle Wetter!« rief der Verwalter erschreckt, »und ich sitze hier und verschwatze die Zeit mit dem – Lump da!« Und ohne weiter einen Blick zurückzuwerfen, fuhr er aus der Türe, sprang auf sein draußen angebundenes Pferd, das der Knecht rasch von dem eisernen Ringe löste, und sprengte, was dieses laufen konnte, den breiten Fahrweg hin, der nach dem Schlosse hinaufführte. Der alte Tobias sah ihm tückisch nach.

»Lump?« brummte er leise und grimmig vor sich hin, »na, warte, Alter, den Lump werde ich Dir gedenken, preußischer Dickkopf, der sich immer aus was besserem gemacht denkt! – Verwalterhacke, auf eine Ochsenjungenpeitsche gepfropft – wenn ich die Zeit nur noch erlebe, daß sie dich vom Hofe jagen. – Lump! – selber einer!« – und mit den giftig hervorgestoßenen Worten goß er den letzten Rest seines Kruges hinunter.

Oben im Schlosse ging es indessen lebhaft zu, denn mit Blitzesschnelle hatte sich die Nachricht von dem Eintreffen des Gutsherrn, wie des neuen Pachters, die eigentlich erst auf morgen angesagt waren, verbreitet. Die Leute sammelten sich rasch im Schloßhofe, und als die Wagen über die etwas morsche Brücke des sogenannten Teichgrabens rasselten, sprengte auch schon der Verwalter von der anderen Seite vor das Herrenhaus und behielt gerade noch Zeit, sein Pferd einem der Knechte zu übergeben und sich selber dem Pachter anzuschließen, um die Herrschaft zu empfangen. Die Wirtschafterin war allein nicht fertig geworden und in ihre Kammer hinaufgesprungen, wo sie in aller Hast und Eile den Schlüssel suchte, den sie schon von Anfang an in der Hand hielt, um eine reine Schürze vorzubinden und eine frische Haube aufzusetzen.

Die beiden Wagen hielten jetzt vor dem Herrenhause, der alte Verwalter sah aber kaum die beiden Herren und die elegant gekleidete Dame, die aus dem ersten stiegen und von dem Pachter auf das ehrfurchtsvollste begrüßt wurden. Sein Auge hing vielmehr an dem zweiten, in dem ein ältlicher Mann mit zwei Kindern saß. Hatte der neue Pachter sich seinen Verwalter gleich mitgebracht, und konnte er jetzt gehen, um sich auf seine alten Tage sein Brot wo anders in der Welt zu suchen? Den alten Mann überlief es siedendheiß; ein eigenes Zittern überkam ihn, und die fremden Gestalten flimmerten und zuckten ihm vor den Augen, daß er kaum imstande war, sie voneinander zu unterscheiden. Nur einen von ihnen allen kannte er schon, den Herrn Rittmeister von Geyerstein, der zuerst aus dem Wagen gesprungen war und der Dame jetzt die Hand bot, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Wie behend aber gerade die Dame von dem ziemlich hohen Wagentritt, nur leise die ihr gebotene Hand berührend, niedersprang! Der Pachter kam dadurch mit der Anrede ganz aus seinem Konzept, und der Rittmeister hatte seine Hand genommen und geschüttelt, ehe er imstande gewesen war, ihn zu begrüßen.

Auch die Insassen des zweiten Wagens stiegen jetzt aus, und das kleine Mädchen hatte zum Entsetzen der Mägde ebenfalls von oben herunterspringen wollen, aber der ältliche Mann, der bei ihnen saß, verhinderte sie daran, ließ erst den Wagenschlag öffnen und stieg dann langsam mit den Kindern aus.

»Da sind wir denn an Ort und Stelle,« sagte jetzt Graf Geyerstein, sich freundlich zu seinem Begleiter wendend, »und ich hoffe, daß es Ihnen hier recht gut gefallen wird. Die Gegend ist fruchtbar und nicht ohne landschaftliche Reize, der hier wohnende Menschenstamm einfach und bieder, und einzelne der Nachbarn sind vortreffliche Leute, so daß es sich hier im Notfalle schon leben läßt. Unser alter Pachter hat sich hier, so viel ich weiß, ganz wohl befunden.«

»Und würde den Platz im Leben nicht verlassen haben, Herr Graf,« sagte der Mann, »wenn nicht außergewöhnliche Umstände, wie Sie recht gut wissen, mich dazu genötigt hätten. Ich habe hier eine frohe und glückliche Zeit verlebt und viel Gutes genossen, und müßte ein schmählich undankbarer Mensch sein, wenn ich das leugnen oder auch nur verheimlichen wollte.«

»Der Platz sieht nicht übel und das Gut reinlich und freundlich aus,« bemerkte jetzt die Dame, die ein dunkles Reisekleid trug, »nur die Nachbarn scheinen mir ein etwas weitläufiger Begriff.«

»Wir haben es vorderhand auch nicht mit den Nachbarn, sondern mit uns selber zu tun,« bemerkte rasch der Fremde, »und werden Fleiß darauf zu wenden haben, uns tüchtig einzuarbeiten.«

»Und darin wird Sie hoffentlich mein alter Verwalter hier nach Kräften unterstützen. Wie geht's, Schönle?« mit diesen Worten wandte sich der Graf plötzlich an den alten Mann und reichte ihm die Hand. »Noch immer frisch und kräftig bei der Arbeit? Ich bringe Euch hier den neuen Pachter vom Gute, und bitte Euch, nachher einmal auf mein Zimmer zu kommen. Ich habe manches mit Euch über die neue Einrichtung zu besprechen.«

»Gnädigster Herr Graf, Erlaucht –« stammelte der alte Mann, und die freundliche Anrede hatte ihm eine Zentnerlast von der Brust gewälzt, »Sie können gar nicht glauben – schon lange darauf gefreut – heidenglücklich.«

»Schon gut, Alter, schon gut,« nickte ihm der Rittmeister freundlich zu, und fuhr dann, zu seinem Begleiter gewandt, fort: »Das ist ein altes Inventar des Gutes, das wir in Ehren halten müssen. Der Mann kennt jeden Stein und Baum umher, versteht seine Sache und ist brav und ehrlich. Ich hoffe, ihr sollt gute Freunde mitsammen werden. Gott grüß' euch, ihr Leute, ich denke, wir gehen hinauf. Die gnädige Frau wird sich umziehen wollen, um zum Diner bereit zu sein. Schönle, führen Sie die Herrschaften in die für sie bestimmten Zimmer. Es ist doch alles in Ordnung gebracht?«

»Alles, Herr Graf,« versicherte der Pachter, »obgleich wir Sie eigentlich auf morgen erwarteten. – Vogt, sorgt Ihr dafür, daß die Sachen augenblicklich hinaufgebracht werden.«

Die Leute hatten sich bei dem an sie gerichteten freundlichen Gruße des Herrn herzugedrängt und warfen sich jetzt in einem wahren Feuereifer auf die verschiedenen Koffer und Hutschachteln, da jedes von ihnen wenigstens einen Teil des Gepäckes tragen und sich dabei diensteifrig beweisen wollte. War doch ihr junger Herr von allen recht von Herzen geliebt, und der Tag immer ein Freudenfest, wo er einmal – was freilich selten genug geschah – unter ihnen erschien. Wie die Fremden aber im Schlosse verschwanden, und das Gepäck an Ort und Stelle abgeliefert war, blieben sie auch den Blicken der Dienstleute für diesen Tag entzogen, und die Knechte und Mägde hatten nun Raum, abends in der Gesindestube ihre Ansichten über den neuen Pachter und seine Begleitung auszutauschen. Das geschah denn auch ohne Rückhalt, und der gemeine Mann hat da oft, was das erste Urteil über eine neue Erscheinung betrifft, einen weit schärferen Blick und gesünderen Takt, als man ihm gewöhnlich zutraut.

Selbst der Vogt, eine Art Unterverwalter auf dem Gute, eigentlich aber nur der erste Knecht mit dem Titel Vogt, schien heute das Bedürfnis gefühlt zu haben, dem übrigen Gesinde, von dem er sich sonst gern etwas abgesondert hielt, seine Meinung über die neue Pachterfamilie mitzuteilen. Er stand an dem Ofen, neben dem die Milchmagd eben einige ausgewaschene Gefäße zum Trocknen aufgestellt hatte, indem er an seiner Pfeife arbeitete, um sie wieder in Gang zu bringen. Er wartete augenscheinlich, von den übrigen als Autorität zuerst angeredet zu werden, und hatte sich darin denn auch nicht getäuscht.

»Na, Vogt,« sagte der erste Schafknecht oder Schäfer, der oben am Tische saß und, während die Mägde die abgegessenen Schüsseln wieder hinaustrugen, sein Rauchzeug ebenfalls hervorholte, »da haben wir ja den neuen Pachter warm aus der Stadt heraus. Wie gefällt er Euch?«

»Gut,« sagte der Vogt, einen langen Spanfidibus an die kurze Pfeife haltend, »er hat etwas Respektierliches im Aussehen; beinahe so, wie unser gnädiger Herr selber, wenn er auch mit dem großen Bart ein bischen wild drein schaut.«

»Uns auch,« meinte der andere Knecht, »und Donnerwetter, wie die Madame, die neue Pachterin, springen konnte! Die möcht' ich einmal auf dem Tanzboden sehen; die muß nicht schlecht fliegen können.«

»Wer war nur der Alte, der in dem zweiten Wagen bei den Kindern saß?« meinte der Schäfer, »das ist ein wunderlicher Kauz. Ueber das Gesicht zuckt es ihm immer, wie tausend Falten, als ob's ihn an der Nase juckte und er sich nicht kratzen dürfte.«

»Hm,« meinte der Vogt, »ich denke mir, das wird wohl der Lehrer von den beiden Kindern sein, den sie sich mitgebracht haben. Erst hielt ich ihn für einen neuen Verwalter, aber wie ein Oekonom sieht er mir doch nicht aus, und der Alte bleibt ja auch, das hat ihm der gnädige Herr gleich versichert.«

»Aber der gnädige Herr sieht recht bleich und abgemagert aus,« sagte die Großmagd, »er muß gewiß krank gewesen sein. Er war auch so ernst und still; gar nicht so fröhlich, wie das letzte Mal, wo er hier war.«

»Das macht die Stadtluft,« meinte der Vogt, »in dem vielen Steinkohlenqualm und Dampf können die Menschen natürlich nicht so gesund sein, wie hier draußen bei uns in der frischen Luft. Wo soll's denn herkommen?«

»Ach was!« sagte die Magd, »das ist kein Steinkohlendampf, was dem gnädigen Herrn auf dem Gesichte liegt, das ist was anderes, viel schwereres, und ich will ihm zu Gott wünschen, daß er kein geheimes Herzeleid zu tragen hat.«

»Herzeleid,« lachte der Pferdejunge, der sich hinter den Ofen auf die Bank gedrückt hatte, und erst vor ein paar Monaten hier angezogen war, überhaupt ein etwas naseweiser Gesell, »wo soll derlei Herzeleid herkriegen! Das hat Geld genug, und mit dem Geld kauf' ich dem Teufel sein Ohr ab in der Welt.«

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
27 eylül 2017
Hacim:
170 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
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