Kitabı oku: «Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Dritter Band», sayfa 10
10. Graf Rottack's weitere Beschäftigung
Durch die kleine Colonistenstadt wälzte sich ein Menschenschwarm, der von Minute zu Minute wuchs und gerade auf das Directionsgebäude zu hielt.
Herr von Reitschen spielte eben mit dem Baron eine Partie Schach, als das Geschrei und Jubeln an sein Ohr schlug, und er sprang erschreckt in die Höhe, denn er kannte recht gut die gegen ihn herrschende Stimmung der Colonisten, und hielt den Ausbruch einiger Tollköpfe gar nicht für unmöglich. Freilich wußte er aber auch, daß sie keinen Führer hatten, und was die Masse auch vielleicht gethan hätte, wenn richtig zusammengehalten, die Einzelnen wieder waren viel zu indolent, aus eigenem Antrieb etwas Derartiges zu beginnen.
Übrigens hatte er die bewaffnete Mannschaft größtentheils unten in seinem Wohngebäude liegen, die Übrigen waren seines Rufes gewärtig im Auswanderungshaus, und diese Macht hielt er für vollkommen genügend, ein paar unzufriedene deutsche Bauern im Zaum zu halten. Nichts desto weniger sprang er an's Fenster, um zu sehen was es gäbe, und mit dem Baron neben sich beobachtete er die Schaar, die wunderlich geführt war, aber allem Anschein nach doch nichts Feindseliges gegen ihn bezweckte.
»Was zum Teufel haben die Holzköpfe nur wieder, Jeorgy, daß sie da am hellen Tag durch die Straßen brüllen? So wie man ihnen die Zügel nicht immer straffer und straffer zieht, werden sie den Augenblick wieder übermüthig. Wen, um Gottes willen! bringen sie denn da auf einem Maulthier? Ist der Mann nicht gebunden?«
»Wahrhaftig!« sagte der Baron Jeorgy, der sein Opernglas aufgeschraubt hatte und damit hinaus auf den Zug sah – »das ist der Mensch, der sich hier eine Zeit lang herumgetrieben und dann mit seiner Familie die Colonie verlassen hat. Bux heißt er, glaub' ich, und wollte hier Vorstellungen im Bauchreden und dergleichen geben, was ihm aber nicht glückte.«
»Und wer ist der Reiter neben ihm?«
»Der junge Graf Rottack; wie aber die Beiden auf solche Art zusammenkommen, ist mir ein Räthsel.«
»Nun, wir werden ja gleich hören, denn augenscheinlich kommen sie hierher. – Daß Ihr mir Keinen von dem Volk in's Haus laßt!« rief er dann auf Portugiesisch den beiden Soldaten zu, die vor seinem Haus standen – »nur der Herr, der zu Pferd sitzt, kommt herauf.«
Vor dem Hause hielt der Schwarm, der noch ununterbrochen von Hinzuströmenden anwuchs. Und in der That war es auch ein wunderliches Schauspiel, denn auf dem Maulthier, das von zwei fremden Negern geführt wurde, festgeschnürt, die Ellbogen außerdem noch auf dem Rücken zusammengebunden, saß bleich und blutig der gefangene Mörder, während der junge Graf, in seinen zerfetzten Kleidern, Könnern's Gewehr über der Schulter, auf seinem Rappen daneben saß und zu den Umstehenden sprach.
Endlich stieg der Reiter ab, gab sein Pferd einem der Leute, der es augenblicklich in das Hotel hinüberführte, um nur recht bald wieder zurück zu sein, und schritt dann langsam in das Haus. Die beiden Soldaten ließen ihn, dem Befehl gehorsam, hinein und verstellten dann wieder die Thür – aber es wollte ihm außerdem Niemand folgen, denn er hatte sie gebeten, seine Rückkunft hier draußen abzuwarten.
Unten im Hause trieben sich noch einige Soldaten herum, die ihn neugierig betrachteten – sonst war Alles leer und öde. Der junge Mann stieg langsam die Holztreppe hinauf, die zu dem Zimmer des Directors führte, welchem er wenige Minuten später gegenüberstand.
»Guten Abend, meine Herren!«
»Ah, guten Abend lieber Graf,« sagte der Baron mit etwas verlegener Freundlichkeit, während der Director nur eine stumme Verbeugung machte – »Parbleu! Sie sind gut zugerichtet; wo, um Gottes willen! haben Sie nur gesteckt?«
»Draußen im Walde, Baron. – Herr Director, ich weiß nicht ob es nöthig ist, daß ich mich Ihnen noch einmal vorstelle?«
»Graf Rottack?« sagte der Director – »ich hatte das Vergnügen bei der Frau Gräfin.«
»Ja,« sagte der junge Mann, während ein spöttisches Lächeln um seine Lippen zuckte – »bei der Frau Gräfin – doch zur Sache. Ich bringe Ihnen den Mörder des Schneiders, jenen Bux, an dessen Statt Sie den armen Köhler so lange unschuldig eingesperrt gehalten haben.«
»Und sind Sie dessen gewiß?« fragte der Director, eben nicht angenehm überrascht.
»Hier,« sagte Rottack vollkommen ruhig, indem er eine Uhr und ein rothseidenes Tuch aus der Brusttasche nahm, »sind zwei Gegenstände, welche dem Ermordeten gehört, und die wir bei seinem Mörder gefunden haben. Die Uhr warf er auf der Flucht von sich und ich hob sie selber auf – das Tuch hatte er unter seinem Hemd um den Leib gebunden. Außerdem gestand er schon den Mord, welchen er nur auf allerlei ausweichende Art zu entschuldigen sucht.«
»Hm,« sagte der Director, ohne die auf den Tisch gelegten Sachen anzufassen – »und sind Sie fest überzeugt, daß Uhr wie Tuch dem Ermordeten – wie hieß er gleich, Baron?«
»Justus Kernbeutel.«
»Dem Justus Kernbeutel gehört haben?«
Rottack sah etwas überrascht Herrn von Reitschen an, dann antwortete er wieder ruhig:
»Ich habe Ihnen schon gesagt, Herr Director, daß der Mann den Mord gestanden hat. Außerdem haben wir beide Gegenstände der alten Haushälterin des Ermordeten gezeigt, und sie ist erbötig, jeden Augenblick zu beschwören, daß sie nicht allein sein Eigenthum waren, sondern daß er sie auch am Tage der That getragen hat.«
»Hm – das sind allerdings sehr starke Beweise, und demnach scheint es,« sagte der Director, »als ob der Köhler nicht den Mord begangen hat – keinesfalls wenigstens allein.«
»Außerdem,« fuhr Rottack fort, »ist, wie ich eben da unten höre, der Colonist jetzt mit vor der Thür und hat seinen Schwager und seine beiden Brüder mitgebracht, in dessen Hause sich Köhler gerade die Nacht, in welcher der Mord verübt wurde, aufgehalten. Der Mann war schon einmal da, um seine Aussage zu beschwören, wurde aber nicht vorgelassen, und mußte wieder nach Hause, weil seine Frau schwer krank lag.«
»Hm – gut – ich will wünschen daß er unschuldig ist,« sagte der Director, nach seiner Uhr sehend – »doch das werden wir ja Alles bei dem Verhör herausbekommen. Ich werde gleich Auftrag geben, den gefangenen Verbrecher in Gewahrsam zu nehmen – heute ist es doch zu spät noch daran zu gehen, und morgen früh um zehn Uhr ersuche ich Sie dann, sich wieder hierher zu verfügen, um das Weitere zu erwarten.«
»Herr Director,« sagte Rottack staunend, »der arme Mann, der Köhler, hat Wochen lang unschuldig gesessen, und ist in seinem Gefängniß sogar erkrankt; wir haben jetzt den bestimmten Beweis, daß er unschuldig war – wollen Sie ihn noch eine Nacht länger ohne Noth in dem Zustande lassen?«
»Sie haben den Beweis, mein lieber Herr Graf,« lächelte der Director, »aber ich habe ihn nicht eher, als bis das Verhör geschlossen ist. Sie nehmen sich überhaupt der Sache mit einem solchen Feuereifer an, daß Sie sogar ganz in Gedanken bewaffnet in mein Zimmer gekommen sind.«
»Herr Director,« sagte der junge Graf finster, »der Ort wimmelt hier so von Bewaffneten, daß man sich ordentlich in einem Belagerungszustand glaubt, und da kann Einem etwas Derartiges wohl passiren. Doch das sind Nebendinge, und im Auftrag der sämmtlichen Colonisten von Santa Clara ersuche ich Sie recht freundlich, das Verhör des Gefangenen jetzt gleich vorzunehmen und den Unschuldigen seiner Familie wieder zu geben.«
Der Baron bog sich zu dem Director über und flüsterte ihm ein paar Worte in's Ohr. Es lag Etwas in Rottack's Auge, das ihm nicht gefiel, und er war von je ein Mann des Friedens gewesen.
»Mein lieber Baron,« sagte aber der Director, »es thut wir wirklich leid, aber ich kann und werde von meinen bestimmten Geschäftsstunden nicht abgehen. Es ist vier Uhr vorüber« – er sah wieder nach der Uhr – »ja, sogar schon ein Viertel auf Fünf vorbei, und es bleibt uns heute keine Zeit mehr, die Sache vorzunehmen. Wie ich Ihnen also gesagt habe, Herr Graf, morgen früh um zehn Uhr.«
Graf Rottack stand Herrn von Reitschen gerade gegenüber – nur der Tisch war zwischen ihnen – und man sah es ihm an, wie er sich gewaltsam zwang, ruhig zu bleiben.
»Herr Director, im Namen der Menschlichkeit bitte ich Sie, von Ihrem Grundsatz heute einmal abzugehen. Köhler muß seiner Familie heute wiedergegeben werden.«
»Von einem Muß, Herr Graf, kann hier gar keine Rede sein,« erwiederte ihm Herr von Reitschen kalt und fast höhnisch – »ich bitte Sie, Ihre Worte ein Wenig auf die Wage zu legen; mein letztes Wort haben Sie.«
»Nun denn, beim ewigen Gott!« rief Rottack, der seinen ausbrechenden Zorn nicht mehr mäßigen konnte – »dann hören Sie auch meines! Glauben Sie denn, Sie erbärmlicher Miniatur-Tyrann, daß Sie hier wirthschaften können wie Sie wollen, und mit Sclaven, anstatt mit freien Colonisten zu thun haben? Ich gebe Ihnen zwanzig Minuten Zeit, und hat bis dahin das Verhör nicht begonnen, dann verderbe meine Seele, wenn ich nicht an der Spitze der Schaar da unten dieses Gaunernest stürme und Sie höchsteigenhändig aus dem Fenster werfe!«
»Herr Graf!« rief der Director erschreckt und trat an's Fenster.
»Lieber, bester Graf!« bat der Baron.
»Zum Teufel mit Ihrem Grafen!« rief der junge Mann außer sich. »Soll Einem die Galle nicht überlaufen, wenn man da eine solche bleiche Canaille alle Menschenrechte mit Füßen treten sieht! Ha, sehen Sie sich nach Ihren Soldaten um – glauben Sie, der Schwarm hohläugiger, in Mark und Saft verdorbener Brasilianer könnte einem einzigen Anprall unserer deutschen Bauern widerstehen? Ist das der ganze Schutz den Sie haben, und mit dem hatten Sie die Frechheit, hier aufzutreten wie Sie aufgetreten sind? Hier, meine Uhr zeigt auf fünf Minuten vor halb – hat um drei Viertel das Verhör nicht begonnen, dann sind Sie jetzt gewarnt. Das Blockhaus, in dem Köhler sitzt, wird mit dem Schlag drei Viertel über den Haufen geworfen, und fällt ein einziger Schuß von Ihrer Schaar, so stürmen wir das Nest hier, und daß Sie schneller hinausfliegen als Sie hereingekommen sind, dafür bürgt Ihnen mein Ehrenwort – also auf Wiedersehen!« und mit den Worten stürmte er hinaus, die Treppe hinunter und unbelästigt von den Wachtposten, die mit Staunen den Lärm da oben gehört hatten, unter die vor dem Hause versammelten Colonisten.
Die Erbitterung gegen den Director hatte aber in der ganzen Colonie schon einen solchen Grad erreicht, daß es wirklich nur noch des zündenden Funkens bedurfte, den jetzt der junge, wüthende Graf unter sie brachte, um zu explodiren. Kaum hatte er ihnen unten zugerufen, was der Director beabsichtige und was er ihm zugeschworen, als die jungen Burschen nach allen Richtungen auseinander stoben, und kaum zehn Minuten später mit Gewehren, Heugabeln, Sensen, Dreschflegeln und allen möglichen anderen, zu Waffen zu verwendenden Dingen angesprungen kamen.
Der Director war indessen fast sprachlos vor ohnmächtiger Wuth in seinem Zimmer auf und ab gelaufen, und sein eigenes Gewehr von der Wand reißend, schwor er, daß er die Bande wolle zusammenschießen lassen, und wenn er selber dabei zu Grunde ginge. Der Baron aber sah weiter: Brach hier im Ort eine Revolution aus, so warfen sich die »Demokraten« allerdings zuerst auf das Directionsgebäude – und er selber hatte nur geringes Vertrauen zu den brasilianischen Soldaten. Dann aber mußte sich die Wuth, ihr erstes Ziel erreicht, im natürlichen Lauf der Dinge gegen die übrige Aristokratie wenden, und daß er selber nicht übermäßig im Ort beliebt war, wußte er eben so gut. Aus innerstem Herzen heraus bat er deshalb den Director – nur um Blutvergießen zu vermeiden – der Gewalt nachzugeben, eine spätere Untersuchung sollte dann schon die Schuldigen bestrafen und besonders den Rädelsführer treffen. Er war Zeuge, und der Director konnte in allen Fällen auf ihn rechnen – wozu jetzt Alles auf Eine Karte setzen, während noch dazu die Chancen des Spieles gegen ihn waren.
Der Director sah aus dem Fenster – unten wogte und tobte es – mehr als dreihundert Männer in Hemdsärmeln, ihre Gewehre und andere Waffen im Arm, sammelten sich dort um den Grafen Rottack, der mit der Uhr in der Hand zwischen ihnen stand. Der Director sah nach seiner eigenen Uhr – es fehlten noch fünf Minuten an drei Viertel. – Die Soldaten im Hause hatten sich vor der drohenden Bewegung gesammelt, und der Unterofficier steckte jetzt ganz verblüfft den Kopf in die Thür und fragte, welche Befehle der Herr Director gäbe. Es war den Blaujacken da unten auch nicht wohl geworden, denn einem einzelnen hülflosen Colonisten gegenüber hatten sie Muth genug gezeigt, heute aber sah es beinahe aus, als ob sich das Spiel umdrehen solle, und die kleine Schaar hatte eigentlich schon unter sich einen Plan gemacht, wenn die Sache bös abliefe, in geschlossenem Trupp nach den Booten zu fliehen und den Fluß hinabzugehen.
Der Director lief noch immer im Zimmer auf und ab.
»Sie weichen ja nur der Übermacht – der rohen Gewalt,« sagte der Baron – »kein Mensch in der Welt kann Ihnen darüber einen Vorwurf machen, und die Regierung wird Ihre Mäßigung lobend anerkennen. – Nachher kommen wir wieder oben auf, und wenn Sie dann Ihren Vortheil benutzen, kann Sie ebenfalls kein Mensch deshalb tadeln.«
»Gut – so will ich Ihrem Rathe folgen,« sagte der Director endlich – es fehlten nur noch zwei Minuten an drei Viertel. – »Nehmt zwei Mann, Unterofficier, geht augenblicklich in's Gefängniß und holt den dort sitzenden Deutschen her.«
»Aber die Leute draußen,« sagte der Soldat mit eben nicht sehr großer Zuversicht – »sie schreien und toben und sind Alle gut bewaffnet.«
»Ihr habt Nichts zu fürchten,« sagte der Director mit finsterem Blick – »geht direct auf den Schwarm zu und bittet den Herrn, der eben oben bei mir war, augenblicklich seine Zeugen zusammenzurufen und mit ihnen heraufzukommen. Nun, was steht Ihr noch da und sperrt das Maul auf? – Rasch, die Zeit vergeht!«
»Zu Befehl, Herr Director,« sagte der Soldat, drehte sich auf dem Absatz herum und stieg hinunter, den Befehl auszuführen. Gerade als er mit den zwei Mann das Haus verließ, wies der Zeiger auf drei Viertel; aber Graf Rottack hatte die Boten schon bemerkt und erwartete sie. Es bedurfte jetzt aber auch seiner Autorität, die Colonisten abzuhalten, daß sie den Soldaten nicht ihren Auftrag abnahmen und den Gefangenen selber befreiten. Sie waren einmal warm geworden und hätten nun auch gern eine kleine Beschäftigung gehabt.
Rottack rief alle nöthigen Zeugen zusammen; Bux wurde vom Maulthier gehoben und der Obhut einiger Colonisten übergeben – man traute den Soldaten noch nicht, bis Köhler wirklich freigesprochen war. Justus' Wirthschafterin mußte dann ebenfalls herbei, und um das Directionshaus gruppirte sich jetzt die wilde, malerische Schaar, um den Erfolg, den sie Alle vorher wußten, abzuwarten.
Rottack hatte indessen strengen Befehl gegeben, daß Niemand die Soldaten belästige, die Köhler aus seinem Gefängniß brachten, Niemand sogar mit ihm sprechen solle, um jede Unregelmäßigkeit zu vermeiden. Das aber konnte er nicht verhindern, daß ein allgemeines Hurrah! ausbrach, als die Schaar zum ersten Mal wieder ihres Kameraden ansichtig wurde – und wie bleich und elend war er in der kurzen Zeit geworden, die man ihn hier festgehalten!
Wunderbar schnell ging aber Alles von Statten. Köhler behielt kaum Zeit, seinen Freunden zuzunicken und zu winken, so fand er sich schon im Directionsgebäude dem wirklichen Mörder gegenüber, und hier zeigte sich ein Verhör nicht einmal nöthig. Es war weiter Nichts als die Abnahme eines Geständnisses von Bux' Seite, der, durch den Aufruhr um sich her vollkommen eingeschüchtert, bei der ersten Frage an ihn auf die Kniee fiel, Alles bis zu den kleinsten Einzelheiten gestand und nur um Gnade und Barmherzigkeit – nur um sein Leben flehte.
Jeremias mußte auch noch her – er stand schon vor der Thür – und die einzelnen Data bestätigen, was er mit klaren, einfachen Worten that. Dabei fragte ihn der Director, woher er das viele Geld habe, worauf Jeremias aber trocken erwiederte:
»Das geht Niemanden 'was an. – Wenn ich einmal vor Gericht stehe, können Sie wieder danach fragen,« und damit schob er seine Hände in die Taschen und ging hinaus.
Bux wurde in das Gefängniß abgeführt, das Köhler bis dahin inne gehabt, und letzterer war frei. Nur als sich die Zeugen mit dem Freigesprochenen wandten, um das Haus zu verlassen, sagte der Director:
»Diese Sache ist jetzt beendet, Herr Graf, aber für Ihr Betragen, dem Gesetz gegenüber, werde ich Sie noch besonders verantwortlich machen.«
»Ich stehe Ihnen in jeder Hinsicht zu Diensten, Herr von Reitschen,« sagte der junge Mann, warf dem Herrn einen letzten Blick zu und verließ mit Köhler das Haus.
Und der Jubel, der jetzt da unten losbrach! Durch die Menge drängte sich eine Frau, ein Kind auf dem Arm.
»Hans! Hans!« schrie sie – »wo bist Du?«
»Hier! – Trine – Trine!« und die beiden Gatten lagen sich in den Armen und die Frau schluchzte, als ob ihr das Herz brechen müsse vor Freude und Seligkeit.
»Und der hat mich frei gemacht,« sagte da Hans, als sie sich nur ein klein Wenig gesammelt, und zeigte auf Rottack.
»Und dafür bekomme ich auch einen Kuß,« lachte dieser.
»Zehn – zehn!« rief die Frau unter Thränen jubelnd, flog an Rottack's Hals und küßte den jungen Mann herzhaft ab.
Der Baron von Reitschen stand oben am Fenster – Rottack sah ihn, nahm seinen Hut ab, grüßte hinauf und ging dann lachend die Straße hinunter.
11. Abschiednehmen
Das war ein Jubel in der Colonie, wie er seit langer Zeit nicht stattgefunden, und heute Abend dazu von keiner Polizeistunde die Rede, denn die Soldaten hüteten sich wohl, sich auf der Straße blicken zu lassen. Das Volk hatte die Waffen in der Hand und trug Rottack fast auf Händen, daß er ihnen endlich den Weg gezeigt, das lästig gewordene und unerträgliche Joch abzuwerfen. Aber keine Unordnung fiel vor, auch selber nicht die nächsten Tage. Jeder ging am andern Morgen seinen gewohnten Geschäften nach. Es war ordentlich, als ob sie sich das Wort gegeben hätten, dem Director zu beweisen, daß sie eben nicht durch Militär in Banden brauchten gehalten zu werden, um doch zu wissen, was Recht oder Unrecht sei.
Zwei Tage später traf Könnern mit Elisen ein, die er in der Familie des Bäckermeisters Spenker, den er früher kennen gelernt hatte, unterbrachte. Aber Elise sollte nicht mehr allein stehen auf der Welt. Das Hinderniß, welches zwischen ihrer Liebe stand – die Pflicht, für den Vater zu sorgen, war von ihr genommen, und die nächste Zeit dazu bestimmt, sie mit dem Geliebten zu verbinden. Selbst die Trauer durfte die Zeit nicht hinausschieben, denn sie stand allein und freundlos in der Welt und konnte ja nur als seine Gattin dem geliebten Manne folgen.
Etwas über eine Woche verging aber doch noch mit den Vorbereitungen, während sich in der Colonie nicht das Geringste veränderte. Der Director brütete Rache, und sein Grimm wuchs von Tag zu Tag, je deutlicher er sah, wie vollkommen machtlos er jetzt den Colonisten, trotz seiner Waffenmacht, entgegen stand. Die Colonisten selber aber kümmerten sich gar nicht um ihn, gingen ihren Geschäften nach und ließen ihn ruhig mit dem Baron über seinen finsteren Vergeltungsplänen grübeln und berathen.
Da wurde, an demselben Morgen, an welchem die Trauung der jungen Leute festgesetzt worden, zuerst ein Dampfer vom Norden und dann ein anderer vom Süden signalisirt, und Herr von Reitschen jubelte. Jetzt wurde ihm Hülfe, jetzt konnte er die erlittene Schmach fast auf frischer That rächen, und augenblicklich setzte er sich in ein Boot und ruderte mit vier Soldaten den Strom hinab.
Den Colonisten flößte er aber trotzdem keine Besorgniß ein, denn ein anderer Geist war in sie gefahren. Außerdem hatte die Mehrzahl der angesessenen Bürger eine Beschwerdeschrift nach Rio aufgesetzt, die jetzt an die Regierung abgehen sollte. Sie durften doch erwarten, daß sie gegen die Willkür eines einzelnen Mannes geschützt wurden, und sich ihr Recht nicht selber zu holen brauchten; erstaunten aber doch, als ihr Herr Director schon gegen drei Uhr, und zwar allein, zurückkehrte, rasch in das Directionsgebäude ging und sich dort einschloß. Was war da vorgefallen?
In der That hörten sie bald darauf, daß er unterwegs einem andern Boote des nördlichen Dampfer begegnet sei, der Depeschen für ihn überbrachte. Diese hatte er sogleich erbrochen und war dann auf der Stelle umgekehrt.
Freilich sagte er Niemandem, welche unerwartete Nachricht er da unten bekommen, aber wie ein Lauffeuer zuckte das Gerücht durch die ganze Colonie: Sarno kehrt zurück und der »neue Director« ist abberufen. Niemand wollte es trotzdem im Anfang glauben, denn die Nachricht klang zu gut, als daß sie wahr sein konnte. Immer wieder aber kam neue Bestätigung. Ein Colonist, der von unten mit seiner Jölle eintraf, behauptete sogar: Sarno sei dicht hinter ihm in des Dampfers Boot.
Dem Baron war das Nämliche zu Ohren gekommen, und er lief bestürzt zu Herrn von Reitschen hinüber. Der Director war aber für Niemanden zu sprechen, und die Soldaten, die ihm ebenfalls keine Rede standen, packten stumm und schweigend ihre Tornister. Dem Baron war genau so zu Muthe, als ob er ebenfalls packen müsse.
Die Trauung war vorüber – ein recht wehmüthiger Act, da sich für die arme Braut so viele schmerzende Erinnerungen daran knüpften, und doch auch wieder, wie dankbar war sie Gott, daß er ihr gerade in der Stunde ihrer größten Noth den lieben Beschützer, und ihrem sterbenden Vater den letzten Trost gegeben hatte!
Rohrlands, die Tochter des Meisters Spenker und Rottack waren Trauungszeugen gewesen; Jeremias stolzirte ebenfalls mit einem riesigen Blumenbouquet vorn im Knopfloche einher, und eigentlich hatte das junge Paar schon am nächsten Morgen die Colonie auf einem Segelschiff verlassen wollen. Da sich jetzt aber weit bequemere Gelegenheit mit einem der Dampfer nach Santa Catharina oder Rio bot, sollte diese benutzt werden, und Rottack, der sie begleiten wollte, hatte es übernommen, die Passage unten für sie auszumachen.
Da begegnete ihnen, gerade als sie aus der Kirche kamen, ein Colonist und erzählte ihnen mit freudestrahlendem Gesicht, daß Sarno eben gelandet sei und Herr von Reitschen seinen unmittelbaren Abschied erhalten hätte.
Es war in der That so. Als Könnern mit seiner jungen Frau zum Fluß hinab eilte, um den Freund zu begrüßen, kam ihnen schon ein fröhlich wogender Menschenschwarm entgegen, und wenige Minuten später lagen sich die Freunde in den Armen.
»Sarno, mein lieber, guter Sarno, Sie zurück?«
»Ja, lieber Freund,« lächelte der Mann etwas verlegen. »Ich wollte eigentlich nicht, denn ich hatte das Dirigiren recht von Herzen satt bekommen, aber wie mir so von allen Seiten zugeredet wurde, ich mir zuletzt sagen mußte, daß ich mit gutem Willen doch hier vielleicht noch Gutes wirken könne, und der Minister auch in der That nicht gleich eine andere passende Persönlichkeit hatte, so – entschloß ich mich zuletzt, bis auf Widerruf wenigstens. Eigentlich ist aber hauptsächlich der Herr da an meiner Sinnesänderung schuld.«
Er deutete dabei mit dem Arm nach rechts hinüber, und als Könnern der Richtung mit dem Blick folgte, rief er erstaunt, fast erschreckt aus: »Günther! Sie wieder in der Colonie?«
»Großer Gott!« seufzte Elise und deckte das Antlitz mit den Händen.
Günther stand schweigend vor ihnen; er sah bleich und ernst und angegriffen aus, und sein Blick ruhte mitleidig auf der jungen Frau. Endlich trat er zu ihr, und ihr Haupt zwischen seine Hände nehmend, küßte er sie leise auf die Stirn und sagte freundlich:
»Gott segne Sie, liebes Kind, und gebe Ihnen an Ihres braven Gatten Seite den Frieden, den Sie so lange entbehren mußten.«
»Wo ist er?« rief Rottack, der noch zurückgeblieben war, hinter der Gruppe – »Günther – Mensch, wo kommst Du her?« und im nächsten Augenblick lag er in seinen Armen – aber rasch richtete er sich wieder empor. Ein einziger Blick auf den Freund hatte ihm verrathen, daß nicht Alles so mit ihm sei wie es solle – »was ist geschehen, Günther?« rief er, ihn auf Armes Länge von sich drückend – »Du siehst blaß und elend aus – warst Du krank?«
»Ja,« sagte Günther leise – »recht krank – aber es geht wieder besser und ich – will mich hier in der Colonie noch ein Wenig erholen, ehe ich die Heimreise antrete.«
Rottack sah ihn forschend an, aber Günther drückte ihm die Hand, die er noch gefaßt hielt, und sagte lächelnd:
»Aber jetzt, glaub' ich, ist es Zeit, daß wir zu Tisch gehen; Jeremias hat mir wenigstens schon gemeldet, daß Alles bereit bei Bohlos sei, und selbst die vermehrten Gäste keinen wesentlichen Unterschied machen würden. Darf ich die junge Frau zur Tafel führen, Könnern?«
»Mein lieber – lieber Günther!«
»Schon gut, ich werde meinem Amte Ehre machen – und nun vorwärts!«
Mit dem Vorwärts ging es aber nicht so rasch, denn der Ruf, daß Sarno wieder zurück sei und wieder bei ihnen bleiben würde, hatte die Colonisten in Masse aus den Häusern gejagt. Manche waren wohl früher nicht mit Allem einverstanden gewesen, was er gethan, denn eine solche Schaar deutscher Colonisten gleichmäßig zufrieden zu stellen, wäre überhaupt ein Kunststück. Das neue Directorium hatte ihnen aber erst gezeigt, was sie eigentlich an Sarno verloren, der stets rechtlich und gerecht an ihnen gehandelt, und die Freude ihn wieder zu haben, war desto größer.
Man drängte um ihn her, Jeder wollte ihm die Hand schütteln und ihm sagen, wie sehr es ihn freue, daß er wieder da sei, und mit allen den Begrüßungen kam der Mann fast gar nicht zu Tisch. Endlich machte er sich aber doch los, und jetzt gingen die Colonisten daran, auch äußerlich ihre Freude auszudrücken.
Alle möglichen und unmöglichen Fahnen, besonders deutsche und brasilianische, wurden vorgesucht, und wo keine da waren, rasch ein Betttuch genommen und irgend ein rother, blauer oder grüner Streifen aufgesetzt. In kaum einer Stunde wehte die ganze kleine Colonistenstadt voller Flaggen, waren fast alle Fenster mit Blumen und Guirlanden geschmückt, alle Menschen in ihrem Sonntagsstaat – und Jeremias schien der Nerv dieser ganzen Bewegung.
Nach und nach kam denn auch die Ursache dieser Wirkung zu Tage, welche die Colonie fast ausschließlich Günther zu verdanken hatte. Von Santa Catharina aus hatte dieser schon an den Minister des Innern seinen Bericht über das Treiben der Frau Präsidentin gemacht, wie der Präsident fortwährend leidend sei und die Frau einen Schwarm von Gesindel anstelle, der nicht allein die Entrüstung jedes braven Mannes, Deutschen wie Brasilianers, errege, sondern auch den Bestand der Colonien zu gefährden drohe. Er hatte dabei nicht unterlassen, Sarno's Wirksamkeit in Santa Clara und die Art und Weise zu schildern, mit der jetzt auf das Willkürlichste über ihn verfügt werden sollte.
Das war vorausgegangen, und als er nun selber nach Rio kam und dem Minister eine Menge neuerer Daten geben konnte, während dieser indessen Zeit gehabt, seine eigenen Erkundigungen einzuziehen, war ein Beschluß zum Bessern bald gefaßt. Es stellte sich jetzt heraus, daß die Abberufung Sarno's in vollkommen ungerechtfertigter Weise geschehen sei. Außerdem hatte der Minister noch viel mehr über die Wirksamkeit der Frau Präsidentin erfahren, als Günther selber wußte. Der sehr leidende Zustand des sonst tüchtigen Präsidenten machte da eine Verbesserung des Geschehenen möglich. Der Präsident selber wurde pensionirt, Herr von Reitschen aber, der Director von Santa Clara, einfach seines Dienstes entlassen und die Maßregel noch durch eine Rüge, seines willkürlichen Verfahrens wegen, verschärft. Eben so rief diese Ordre auch die Soldaten wieder aus der Colonie, in der sie der Regierung nicht nöthig schienen, und der Dampfer, der diese Nachricht und zugleich Sarno und Günther wieder mit nach Santa Clara brachte, hatte Befehl, den Director von Reitschen mit dem Militär nach Santa Catharina zu führen, von wo es dem Ersteren frei stand, einen andern ihm passenden Weg zu nehmen. Der andere Dampfer brachte die Post von Rio Grande, und ging von hier nach Rio de Janeiro hinauf.
Herrn von Reitschen lag jetzt die höchst unangenehme Pflicht ob, dem Manne, den er vorher verdrängt hatte, seine Papiere wieder zu übergeben und überhaupt die ganze Macht in seine Hände zu legen. Er entzog sich dem aber. Er hatte vollkommen genug gehabt an den Ovationen, die man seinem Nachfolger unter seinen Augen brachte; er mußte sogar noch die ganze Nacht die Ständchen, Jubelrufe und Hurrahs hören, die nie versäumten in der Nähe des Directionsgebäudes mit frischer Kraft auszubrechen. Das war ihm doch ein wenig zu stark. Ohne selbst von seinem alten Freund, dem Baron, Abschied zu nehmen, der durch diese Vernachlässigung der Form nur noch mehr niedergedrückt wurde – übergab er das ganze Directionswesen seinem Schreiber, der ihm nach erfolgter Übergabe folgen konnte, und schiffte sich, etwa eine Stunde vor Tag, auf dem schon zu dem Zweck heraufbeorderten Boote des Dampfers ein. Die Soldaten mußten ihn ebenfalls begleiten, denn trotz der frühen Stunde fürchtete er immer noch eine feindliche Demonstration von Seiten der Colonisten. Man achtete aber gar nicht auf ihn; Herr von Reitschen verschwand spurlos aus der Colonie, und als die Sonne aufging, war der Platz geräumt.
Auf diesen Tag war auch die Abreise der von hier nach dem Norden gehenden Passagiere festgesetzt, denn der Dampfer wollte den Nachmittag die Mündung verlassen. Es waren Könnern mit seiner jungen Frau und Graf Rottack, der sich entschlossen hatte nach Rio, ja, vielleicht mit Könnerns nach Deutschland zurückzukehren.
Eigentlich hatten die Passagiere schon zu Mittag an Bord gehen wollen, es war aber noch Etwas an der Maschine zu repariren und der Dampfer der unterwegs schlechtes Wetter gehabt, gründlich zu reinigen. Die Abreise verzögerte sich deshalb um einige Stunden.
Die kleine Gesellschaft saß noch in Bohlos' Hotel, während das Gepäck schon unter Jeremias' Obhut an die Landung geschafft war.
Rottack stand in der Thür, hatte eben zugesehen wie Bux vorbeigeführt wurde, um nach Santa Catharina transportirt zu werden, und sprach mit dem Bruder von Köhler's Frau, der eben von der Chagra herunterkam und nicht genug erzählen konnte, wie glücklich die jungen Leute seien, als Günther an ihm vorbeikam, seinen Arm ergriff und ihn langsam mit sich die Straße hinunter führte.