Kitabı oku: «Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Dritter Band», sayfa 11
»Aber sage mir nur, was hast Du, Günther?« fragte der junge Mann, indem er den Arm, den er in dem seinen hielt, herzlich drückte. »Eine traurige Veränderung ist mit Dir vorgegangen, seit wir uns nicht gesehen; Du siehst bleich und elend aus und – das Schlimmste – es hat sich ein Ausdruck von recht tiefem Schmerz in Dein sonst so freundliches Antlitz eingenistet. Weshalb bist Du nicht nach Deutschland – nach Thüringen zurück? Du warst so glücklich in dem Gedanken an die Heimath!«
Sie waren an Rohrland's Haus vorbeigegangen und betraten hier ein Terrain, auf dem Büsche und junge Palmen lustig aufgewuchert waren; nur die frei gehaltene Straße zog sich hindurch.
»Felix,« sagte Günther leise, ohne den Freund anzusehen, »erinnerst Du Dich jenes Morgens, als ich Dich am Strand bei jener Chagra traf?«
»Als ob es gestern gewesen wäre.«
»Erinnerst Du Dich, als wir nachher zusammen in die Berge ritten, daß ich Dir erzählte, wie ich im Nebel und zwischen den brandenden Wogen an demselben Morgen zwei Schwäne gesehen, die so geisterhaft vor mir hergestrichen und zuletzt weit – weit hinaus in das düstere Meer verschwunden seien, und wie mir dann so weh, so unsagbar weh geworden – wie mir ein Gefühl das Herz gedrückt, dem ich nicht Namen geben konnte – so einsam – so öde schien mir in dem Augenblick die Welt?«
»Ich erinnere mich,« sagte Felix leise.
»Felix,« fuhr Günther fort, indem er stehen blieb und dem Freund in's Auge sah – »in jener Nacht starb meine Anna – an jenem Morgen lag sie kalt und bleich auf ihrem Lager dort – dort, wohin die Schwäne in den Nebel zogen!« – Und was der starke Mann bis dahin standhaft ertragen, das brach jetzt aus in ungezügeltem Schmerz, als er das Haupt an die Brust des Freundes lehnte.
Rottack hielt ihn schweigend umfaßt; er sprach kein Wort – kein Wort des Trostes, denn er wußte selber recht gut, daß gerade in den fließenden Thränen der einzig mögliche Trost liegen konnte für solchen Schmerz.
»Armer Freund!« flüsterte er endlich leise, und Günther richtete sich in seinen Armen empor.
»So – jetzt ist mir wohl,« sagte er, indem ein schwerer Seufzer seine Brust hob – »jetzt ist mir leicht, denn fortwährend von Fremden umgeben, fortwährend gezwungen, den Schmerz in die eigene Brust zurückzubannen, das thut doppelt weh!«
»Armer, armer Freund! – Und wo erhieltest Du die Nachricht?«
»Vor wenigen Tagen in Rio – der Dampfer, der mich in die Heimath führen sollte, brachte den Brief von dort. Mein Entschluß war bald gefaßt – jetzt kann ich nicht zurück, und ich begleitete Sarno, um hier noch manche Arbeit zu beenden, die ich – gehofft hatte von Anderen beendet zu sehen. – Aber nun leb' wohl, Freund – wie ich höre, willst Du Könnern begleiten – ich bin nicht im Stande, zu den glücklichen Menschen zurückzukehren! Könnern und Elise dürfen auch nie erfahren, was ich Dir eben vertraut – es würde ihr Glück trüben. Bringe ihnen noch meinen Gruß und – leb' wohl!«
»Du willst fort?«
»Hier steht mein Pferd – Gott mit Dir, mein lieber Freund, und mögest auch Du die Ruhe finden, nach der Du Dich so oft gesehnt!«
Die beiden Männer hielten sich lange in schweigender Umarmung; dann riß sich Günther los, bestieg sein Pferd, winkte noch einmal mit der Hand zurück und war im nächsten Augenblick im Walde verschwunden.
Graf Rottack ging ernst und schweigend in die Stadt zurück. Es war ihm recht weich um's Herz geworden nach dem Abschied von dem Freunde, und allerlei alte, trübe Gedanken zuckten ihm durch's Hirn. – Als er wieder an Rohrland's Haus vorüberging, stand eine junge Dame an dem einen Fenster, die sich scheu zurückzog, als sie ihn bemerkte. – Es war Helene. – Fast unwillkürlich grüßte der junge Mann im Weitergehen und blieb dann stehn.
»Ich bin eigentlich recht unfreundlich gewesen, daß ich nicht einmal von ihr Abschied genommen habe,« murmelte er leise vor sich hin. – Er sah nach seiner Uhr – es blieb ihm noch eine halbe Stunde Zeit. – »Was kümmert's denn mich, wenn sie – ei, ich will aus Brasilien von keinem Menschen im Bösen scheiden – am Wenigsten von ihr!« und rasch entschlossen schritt er in das Haus hinein.
Ein kleiner Bursche dort zeigte ihm die Thür des Zimmers, in dem das »Fräulein« wohnte. Er klopfte an, und ein kaum hörbares Herein! antwortete ihm – Helene stand mitten im Zimmer, ihn zu erwarten. Sie war ganz einfach gekleidet, nur mit einem schwarzen Band im Haar als Schmuck und sah ungewöhnlich bleich aus.
»Comtesse,« sagte er, »ich bin im Begriff, dieses Land für immer zu verlassen, und – wollte das nicht thun, ohne Ihnen vorher Lebewohl zu sagen.«
»Das ist recht freundlich von Ihnen,« hauchte Helene, und Rottack konnte es nicht entgehen, daß sie sich befangen, ja ängstlich beklommen fühlte, so viel Mühe sie sich gab das zu verbergen. Das aber machte ihn selber verlegen, und wie er das fühlte, suchte er auch den kaum begonnenen Abschied noch zu kürzen.
»Vielleicht habe ich dann in Deutschland einmal wieder das Glück, Ihnen zu begegnen, Comtesse, denn ich glaube kaum, daß ich je nach Brasilien zurückkehren werde.«
»Herr Graf,« sagte Helene leise, und sie mußte sich Mühe geben deutlich zu sprechen, »da wir uns wahrscheinlich nie wiedersehen, möchte ich nicht, daß wir auf diese Weise von einander scheiden. – Ich habe einen Verdacht, Sie wissen, daß mir der Titel Comtesse nicht gebührt. – Wenn dem nicht so wäre, nehmen Sie hier meine Erklärung …«
»Mein gnädiges Fräulein,« sagte Rottack überrascht – »ich – wußte nicht, daß er Ihnen unangenehm war, da Sie – ihn so lange schon geführt …«
»Und glauben auch Sie, daß ich die Hand zu einer Täuschung geboten hätte, wenn ich selber darum gewußt?« sagte Helene bitter. »Ich hatte gehofft, Sie wenigstens würden besser von mir denken; aber – lassen Sie es gut sein,« unterbrach sie sich selbst – »ich habe so wenig Freunde auf der Welt, daß ich dem letzten vielleicht, der hier von mir geht, kein hartes Wort zum Abschied sagen möchte. Leben Sie wohl, Herr Graf, und – möge Ihnen die Erinnerung an Brasilien nicht nur lauter traurige Bilder bieten!«
Sie reichte ihm dabei mit einem leichten, wehmüthigen Lächeln unbefangen ihre Hand. Felix nahm dieselbe, aber er ließ sie nicht gleich wieder los und sagte, viel herzlicher, als er bisher zu ihr gesprochen:
»Gnädiges Fräulein, es ist Etwas in Ihrem Leben vorgegangen, das seinen Schatten über Ihre Seele wirft. Sie sind nicht glücklich, und der Blick, den Sie mich eben in Ihre Vergangenheit thun ließen, verräth mir mehr als Sie vielleicht glauben. – Sehen Sie mir in's Auge – halten Sie mich Ihres Vertrauens werth, so nehmen Sie die Versicherung, daß ich es wirklich treu und ehrlich mit Ihnen meine. Ich verlasse allerdings in einer halben Stunde schon dieses Land, aber ich kann Ihnen vielleicht selbst noch von Deutschland aus nützen. Sie entdecken mir auch kein Geheimniß,« fuhr er fort, als Helene zitternd und schweigend vor ihm stand – »ich kannte Ihre Mutter in meinem elterlichen Hause – ich wußte …«
»Es ist nicht meine Mutter!« stöhnte Helene, und ihre Hand aus der seinen ziehend, deckte sie ihr Antlitz damit.
Graf Rottack stand sprachlos vor Staunen vor ihr.
»Es ist nicht Ihre Mutter?« wiederholte er endlich, und die Worte rangen sich ihm nur mühsam aus der Brust.
»Nein,« hauchte Helene – »aber lassen Sie mich jetzt. Ich habe Ihnen schon mehr gesagt, als ich eigentlich sollte; aber es war – es war mir nur ein – peinlicher Gedanke, Sie von hier scheiden zu sehen und zu fühlen, daß Sie – mich verachteten. Leben Sie wohl, Herr Graf, und wenn Sie einen Funken von Mitleid für mich haben, so – verlassen Sie mich jetzt!«
»Nein, Helene, nicht so,« rief Felix, dem ein Sturm von Gedanken und Gefühlen das Hirn durchzuckte – »nicht so dürfen wir scheiden! Hier liegt mehr versteckt, als Sie mir sagen wollen – o, wenn Sie Vertrauen zu mir hätten – wenn Sie mein Herz sehen und dann wissen könnten, wie gern ich Ihnen wirklich dienen möchte.«
»Herr Graf,« bat Helene scheu.
»Sie klagen, daß Sie keinen Freund in dem weiten Lande haben,« fuhr Rottack leidenschaftlich fort – »daß es Ihnen peinlich sei, mich scheiden zu sehen mit einer falschen Meinung von Ihnen, und doch halten Sie Ihr Vertrauen zurück – geben mir nur Andeutungen, die mich noch verwirrter machen müssen, und stoßen die Freundeshand selber zurück, die sich Ihnen entgegenstreckt.«
»Herr Graf, ich weiß nicht,« wehrte Helene ab, denn ein eigenes beklemmendes Gefühl überkam sie, unter dem sie kaum athmen konnte.
Felix mochte ahnen, was in dem Herzen des Mädchens vorging. Er sah ihr treuherzig in's Auge, und dann ihr noch einmal die Hand reichend, sagte er herzlich:
»Glauben Sie in diesem Augenblick, ich sei Ihr Bruder, Helene. Schütteln Sie die Fesseln der Etiquette ab, die uns nur zu oft hindern, den Weg einzuschlagen, den wir sonst für den rechten und guten halten. – Machen Sie mich zu Ihrem Freund, und beim ewigen Gott, Sie haben Niemanden auf der weiten Welt, der es treuer und aufrichtiger mit Ihnen meint!«
Helene rang mit sich – zu plötzlich, zu überraschend war ihr das Alles gekommen, um ihre Gedanken ruhig sammeln, um überlegen zu können. Noch nie aber hatte sie so das Gefühl ihrer Einsamkeit übermannt, wie in diesem Augenblick – noch nie hatte ein Wesen auf der weiten Welt so herzlich, so einfach zu ihr gesprochen, und als ihr scheuer Blick sich zu dem jungen Manne hob und in dessen Auge Alles, Alles bestätigt fand, was er ihr geboten, da faßte sie sich gewaltsam zu einem Entschluß, und mit leiser, aber fester Stimme sagte sie:
»Ich glaube Ihnen, Graf Rottack – ich will Ihnen glauben – ich würde Ihnen auch in diesem Augenblick vertrauen – wie einem Bruder« – setzte sie kaum hörbar hinzu – »aber für mich selber ist meine ganze Vergangenheit in ein geheimnißvolles Dunkel gehüllt, und die allein Licht darüber geben könnte – bindet ein Schwur.«
»Ein Schwur?« sagte Rottack erstaunt – »aber woher dann – ich begreife nicht, wie Sie da überhaupt …«
Helene stand noch immer zögernd vor ihm – aber wußte er nicht schon ihr Geheimniß, und sah er sie nicht mit den großen, treuen Augen, die jeden Spott, jeden Hohn verbannt hatten, so ehrlich an?
»Ich will Ihnen Alles sagen, was ich weiß, Graf Rottack,« rang es sich ihr endlich aus der Brust – »hier, dieser Brief kam durch eine Verwechslung der Couverts in meine Hände« – halb abgewandt reichte sie ihm denselben.
»Darf ich ihn lesen?«
»Lesen Sie ihn,« flüsterte Helene und barg wieder ihr Antlitz in den Händen.
Rottack hatte den Brief hastig geöffnet und mit den Blicken verschlungen. »Und der Name Ihrer Mutter?« fragte er.
»Sie weigert sich, ihn zu nennen – ein Schwur bindet ihre Lippen.«
»Ein Schwur?« rief Rottack, den Kopf verächtlich zurückwerfend; »den Schwur kenne ich – er heißt Selbstinteresse – aber ich begreife noch immer nicht – Doch das ist hier nicht der Ort, zu erfragen,« unterbrach er sich rasch, als er den Brief zusammenfaltete und wieder auf den Tisch legte. »Und nun, mein liebes, liebes Fräulein,« setzte er hinzu, während er auf's Neue ihre Hand ergriff und es wie ein lichter Sonnenstrahl über sein Antlitz zuckte – »nehmen Sie tausend, tausend Dank für das Vertrauen, das Sie mir geschenkt – wenn ich es Ihnen auch nur durch Überraschung abgepreßt. – Aber jetzt fort – Du mein Himmel, mir schwindelt der Kopf ordentlich von all' den Gedanken, die mir jetzt das Hirn durchkreuzen – und doch war ich nie so glücklich, nie so lebensfroh, wie gerade in diesem Augenblick!«
»Sie wollen fort?« rief Helene erschreckt, denn sie konnte sich Rottack's Betragen nicht erklären.
»Gewiß,« lachte dieser – »unten warten sie ja mit dem Boot auf mich – aber sie müssen noch länger warten, denn ich habe vorher einen wichtigen Besuch zu machen – und dann komme ich wieder her – in einer halben Stunde bin ich wieder hier« – Und ohne Abschied sprang er in jubelndem Übermuth aus dem Zimmer und die Straße hinab.
12. Schluß
Könnern war mit Elise, von Sarno begleitet, schon nach den Booten gegangen, um dort den noch fehlenden Rottack zu erwarten, als dieser mit flüchtigen Sätzen angesprungen kam.
»Wir fahren nicht ohne Sie ab!« lachte Könnern, der Eile des Freundes eine andere Ursache gebend. »Der Capitän des Dampfers ist noch oben im Hotel, um einige Vorräthe an Bord schaffen zu lassen!«
»Ich kann auch noch nicht fort!« rief Felix – »Sie müssen noch einen Augenblick auf mich warten, denn ich habe etwas Nothwendiges vergessen!«
»Vergessen – was?«
»Meinen Abschiedsbesuch bei der Frau Gräfin!«
»Plagt Sie der Böse?« lachte Könnern. »Seit wann sind Sie denn so förmlich geworden?«
»Ich bin gleich wieder da!« rief der junge Mann in wilder Ausgelassenheit, und wie er gekommen, flog er die Straße zurück und direct dem Hause der Gräfin zu.
Unten scheuerte die Dorothea Holzgeschirr.
»Ist die Frau Gräfin oben?«
»Ja, in ihrem Zimmer.«
»Melden Sie mich – rasch, denn ich habe große Eile!«
»Ja, ich kann jetzt nicht hinaufgehen.«
»Dann meld' ich mich selber!« – und in wenigen Sätzen war er oben. An ein paar falsche Thüren pochte er dort zuerst an, dann rief eine bekannte Stimme: »Herein!« und Graf Rottack stand im nächsten Augenblicke der Madame Baulen gegenüber, die erschreckt von ihrem Sopha empor fuhr.
»Herr Graf!«
»Frau Gräfin,« sagte der junge Mann, sich mit Anstand verbeugend – »entschuldigen Sie einen Besuch, der nur in seiner Kürze seine Berechtigung findet. Ich komme mit einer einfachen Frage, um deren Beantwortung ich Sie ersuche.«
»Herr Graf, ich werde mich glücklich schätzen,« sagte die Frau verlegen, denn sie wußte nicht, was sie aus dem Benehmen desselben machen sollte.
»Gut – dann bitte, setzen Sie sich dahin,« sagte Felix eben so förmlich, »und schreiben Sie mir einen Namen auf.«
»Welchen Namen, Herr Graf?«
»Den Namen von Helenens Mutter.«
»Herr Graf!« rief die Frau und fühlte, wie ihr die Kniee zitterten.
»Ich weiß,« fuhr Rottack fort, ohne ihre Bewegung zu beachten, »daß Sie einen Schwur vorgeschützt haben, was einem armen, unerfahrenen Mädchen gegenüber ging – wir stehen anders zusammen. Entweder schreiben Sie mir die volle Adresse jetzt in diesem Augenblick auf, oder ich gehe direct hinüber zum Baron, wie zum Bäckermeister Spenker und – unterhalte mich mit ihnen über vergangene Zeiten. Sie wissen, daß ich nicht scherze. Noch ruht Ihr Geheimniß in sicheren Händen und wird da ruhen, falls Sie meinen Wunsch erfüllen – wo nicht – schreiben Sie sich selber die Folgen zu. Außerdem muß ich Ihnen nur noch bemerken, daß Ihnen eine Geheimhaltung auch nicht das Geringste nutzt. Eine einfache Aufforderung in den Zeitungen drüben, mit Angabe der Verhältnisse, ohne einen Namen zu nennen, würde Helenen die Adresse sichern. Doch das ist Nebensache. Wir haben es hier mit dem speciell zu thun, was Sie betrifft, und Ihren eigenen Vortheil werden Sie da auch am Besten kennen.«
»Aber, Herr Graf, ich bitte Sie um Gottes willen – wenn ich mir selber alle Hülfsmittel abschneide, wovon – o, wovon soll ich denn da leben? Alles verläßt mich – Alles verläßt mich – auch der undankbare Mensch, der Pulteleben, hat mich im Stich gelassen!«
Der junge Graf warf ihr einen verächtlichen Blick zu und sagte:
»Es war allerdings sehr rücksichtslos von Herrn von Pulteleben, da ihm die Frau abhanden gekommen, nicht doch wenigstens die vermuthete Schwiegermutter zu behalten – doch zur Sache. Wollen Sie meinen Wunsch erfüllen oder nicht? ich muß Antwort haben.«
»Lassen Sie mir Zeit zur Überlegung.«
»Nein – hier ist Papier und Dinte – in fünf Minuten bleibt Ihnen keine Wahl mehr.«
»Und Sie versprechen mir zu schweigen?«
»Sie haben mein Wort. Überdies verlasse ich in einer Viertelstunde die Colonie.«
Die Frau seufzte tief auf, ging zu dem Tisch, schrieb ein paar Worte und reichte den Zettel dem jungen Mann hinüber.
»Bitte,« sagte dieser abwehrend, »schließen Sie das Blatt in ein Couvert – das Geheimniß ist nicht für mich.«
Die Frau that auch dieses; sie war vollständig gebrochen, und zwar mehr durch die Angst, ihren angemaßten Titel in der Colonie zu verlieren und ihren künstlich aufgebauten Rang zusammenstürzen zu sehen – und der Baron mußte schon einen Verdacht gefaßt haben – als durch die Sorge um die Zukunft, die sie noch nie gekümmert hatte. Sie lebte nur in dem Augenblicke, dem sie abrang was sie konnte; was kümmerte sie der nächste Tag?
»Nun bitte ich Sie noch um Eins, Frau Gräfin,« sagte Felix, als er mit einer dankenden Verbeugung das Papier in die Tasche schob und sie scharf dabei ansah – »wie war es möglich, daß Helene bis vor wenig Tagen keine Ahnung davon haben konnte, Sie seien nicht ihre wirkliche Mutter? Ich begreife das nicht.«
»Helene,« sagte die Frau, »war als Kind zuerst zu einer Wärterin, dann in Pension gegeben, und zwar unter einem andern Namen, denn ihre Geburt mußte geheim gehalten werden. Erst als ich ihrer Mutter meinen Entschluß erklärte, nach Brasilien auszuwandern …«
»Vollkommen ohne Nebenabsichten?«
»Vollkommen,« sagte Madame Baulen mit Würde – »da entschloß sie sich zu dem Schritt – den wir vorher reiflich überlegt hatten: sie mir nämlich mitzugeben, und ich – holte sie damals, als ihre Mutter, aus der Pension ab.«
»Und ihre wirkliche Mutter hat sie nie gesehen? Ist es möglich, daß sich eine Mutter so ganz von ihrem Kinde lossagen kann?«
»Lieber Gott,« sagte Madame Baulen achselzuckend, »die Gesellschaft legt uns Pflichten auf, und – in diesem Fall – sie konnte doch nicht ihren Ruf, ihren Mann compromittiren; ihr ganzes häusliches Glück wäre ja vernichtet worden.«
»Als ob daran noch Etwas zu vernichten gewesen wäre!« sagte Rottack bitter – »doch wie dem auch sei, Frau Gräfin, Sie haben mir einen Dienst geleistet, erlauben Sie, daß ich mich dafür revanchire – wir tauschen nämlich Papier um Papier. Dieses ist Helenen's Geheimniß – das hier,« fuhr er fort, indem er eine Banknote von 500 Milreis vor der Frau auf den Tisch legte – »ist das Ihrige – wir sind quitt, nicht wahr?«
»Aber Herr Graf!« rief Madame Baulen überrascht aus.
»Bitte, kein Wort! Leben Sie wohl!« und ehe Sie ihm nur eine Silbe darauf erwiedern konnte, hatte er die Thür hinter sich in's Schloß gedrückt und das Haus verlassen.
Aber er lief nicht mehr in tollem Muthwillen wie vorher, sondern ernst und nachdenkend schritt er zu Rohrlands hinüber, betrat das Haus wieder und stand gleich darauf in Helenens Zimmer.
Helene war indessen, von sich drängenden Gedanken bestürmt, in ihrem Zimmer auf und ab gegangen. Hatte sie Recht gethan, sich dem Fremden zu entdecken, und gerade ihm, der sie die letzte Zeit so kalt, fast höhnisch behandelt? Hatte sie Recht gethan, nicht allein ihr, nein, auch das Geheimniß ihrer eigenen Mutter Preis zu geben? Und was konnte sie thun? Stand sie nicht allein, rathlos, hülflos in der Welt? Sehnte sie sich nicht nach einem Herzen, dem sie vertrauend nahen – zu dem sie um Trost – um Hülfe aufblicken konnte? Und was that er jetzt? Wohin hatte er sich gewandt? Würde sie ihn je wiedersehen, und spottete er nicht vielleicht jetzt des Vertrauens, das er von ihrer Seele losgerungen?
In der Thür stand Graf Rottack, ehe sie selber seinen Schritt gehört, und das Couvert, dessen Inhalt sie noch nicht begriff, hielt er ihr entgegen. Aber er selber sah verändert aus. Der kalte Stolz und Muthwille, der sie stets zurückgeschreckt, war aus seinen Zügen gewichen, und mit leiser Stimme sagte er:
»Hier, Helene, ist das Papier, welches den Namen Ihrer Mutter enthält – fürchten Sie nicht, daß ich Ihr Geheimniß belauscht hätte – ich kenne den Inhalt nicht.«
»Wie soll ich Ihnen danken?« flüsterte das Mädchen, beängstigt von dem ganzen Wesen des Mannes, indem sie mit zitternder Hand das Blatt nahm.
»Sie können es vielleicht,« sagte Rottack ruhig – »erinnern Sie sich noch des Tages, Helene, als ich Ihnen mit – jener Frau in der Stadt begegnete? Es war das erste Mal, daß ich Ihre – vermeintliche Mutter sah.«
»Ja,« flüsterte Helene, und die Erinnerung an jene Stunde traf sie eisig in's Herz – »es konnte mir nicht entgehen. Sie starrten überrascht auf – jene Frau.«
»Bis dahin, Helene,« fuhr Rottack leise fort, während sich aber seine Stimme mehr und mehr steigerte – »hatte ich nur Sie gesehen und hatte Sie geliebt mit einer Leidenschaft, die Sie selber erschreckt haben würde, wenn Sie sie hätten ahnen können.«
»Graf Rottack!«
»Lange schon hätte ich auch die leichten Schranken durchbrochen, die mich von Ihnen trennten, wenn mich nicht eben jener süße Zauber in Fesseln gehalten, der gerade in dem Geheimnisvollen dieser Liebe lag. Da – da sah ich Ihre Mutter – Ihre Mutter, wie ich damals glauben mußte – deren ganze Vergangenheit vor mir lag und – ich konnte nicht anders glauben, als daß Sie den Betrug theilten – daß Sie Mitwisserin, Mithandelnde der Täuschung wären.«
»Helene, was ich damals ausgestanden, nur Gott weiß es und der stille Wald, und heiße, heiße Thränen habe ich da geweint. – Rang und Stand – Sie trauen mir zu, daß mich das keinen Gedanken gekostet hätte; ich stehe frei und unabhängig in der Welt, und lache der Vorurtheile jener Gliederpuppen, die sich die Gesellschaft nennen – aber der Betrug fraß mir in's Herz hinein – der Betrug wandelte mir das Blut zu Gift und – machte mich unglücklich und elend. Alles kam dann dazu, um die Täuschung zu vollenden, selbst das Netz, das – jene Frau nach dem unglücklichen Pulteleben auswarf, und das – wie es meiner verblendeten Eifersucht schien, Sie selber mit in Händen hielten! Helene,« – rief er leidenschaftlicher, indem er vor ihr auf ein Knie sank – »ich habe Ihnen schweres, schweres Unrecht gethan! Können Sie mir verzeihen?«
»Herr Graf,« rief Helene erschreckt, »stehen Sie auf!«
»Nicht eher, bis ich geendet habe,« beharrte aber Rottack – »Helene, ich habe Sie geliebt, ich habe nie aufgehört Sie zu lieben, und wie ich Ihnen kalt und spöttisch gegenüber stand, hätte mir das Herz dabei zerspringen mögen in der Brust. Können Sie mir verzeihen? Können Sie vergessen, welches Leid ich Ihnen zugefügt – glüht auch in Ihrem Herzen noch ein Funken der alten Liebe für mich? Läugnen Sie es nicht, Helene – jene süßen Töne, die Abends meiner armen Geige antworteten, waren nicht bloßer Übermuth eines schönen, angebeteten Mädchens; jene Töne kamen eben so aus dem Herzen, wie sie zum Herzen drangen. – Oh, können Sie nur einen Schatten jener Gefühle zurückrufen, so werden Sie mein Weib, Helene!« rief er aus, indem er aufsprang und die Erschreckte umschlang – »fliehen Sie mit mir dieses Land, das Ihnen noch nie Freude oder Frieden geboten. Unten liegt das Boot, in dem Könnern und seine junge Frau uns erwarten – in deren Begleitung machen Sie die Reise nach Rio, und dort vereinigt uns des Priesters Hand.«
»Herr Graf!« rief Helene in Angst und freudigem Erschrecken.
»Sagen Sie nur, daß Sie mir verziehen haben – daß Sie mir glauben, wenn ich Ihnen betheure, ich bin von Herzen wirklich gut und brav – daß Sie hoffen, mich einst lieben, sich einst mit mir glücklich fühlen zu können. Helene!«
Und Helene antwortete nicht, aber leise lehnte sie ihr müdes Haupt an seine Brust, und aufjubelnd preßte sie Felix an sich und küßte wieder und wieder das goldene Haar, das an seinen Wangen ruhte. In dem Moment schien aber auch wieder der ganze alte Übermuth ihn zu erfassen. Er weinte und lachte, aber unter seinen Thränen riß er sich von Helenen los, zerrte einen großen Koffer vor, der in der Ecke des Zimmers stand, und fing an hinein zu werfen, was ihm unter die Hände kam.
»Um Gottes willen!« rief Helene, jetzt ebenfalls in ihren Thränen lachend aus – »was machen Sie, was soll das werden?«
»Abreise – Abreise, mein Schatz!« rief Felix, ohne sich in seiner Beschäftigung stören zu lassen – »wir sind ja in der größten Eile – unten an der Landung warten sie schon mit Schmerzen auf uns.«
»Abreisen?« rief Helene erschreckt – »aber doch nicht jetzt? – nicht heute?«
»In einer Viertelstunde.«
»Das ist ja unmöglich!«
»Unmöglich ist gar Nichts, Mädchen – Du bist mein, ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne, und das Andere ist alles Kleinigkeit und Nebensache.«
»Aber wie kann das sein – Rohrlands …«
»Brauchen gar nicht zu wissen, daß das nicht eine schon seit Monaten zwischen uns abgemachte Sache gewesen. Ist die Familie drüben? Ja? Ich bin gleich wieder da!«
Wie der Blitz fuhr er zur Thür hinaus und kam nicht zwei Minuten später mit den erstaunten Eheleuten in's Zimmer, wo Helene noch immer rathlos, keines Gedankens fähig, stand.
»Liebe Frau Rohrland – lieber Herr Rohrland – ich habe hier das Vergnügen, Ihnen die künftige Gräfin Rottack vorzustellen. – Liebe Helene, thu' mir den einzigen Gefallen und ziehe ein freundliches Gesicht, die Herrschaften glauben sonst, es wäre eine gezwungene Heirath.«
»Aber liebe, beste Helene!« rief die junge Frau und flog dem Mädchen in die Arme.
»Wissen Sie, das können Sie Alles nachher beim Packen abmachen,« sagte Felix – »das Boot wartet unten auf uns, aber die Ebbe nicht, und wir dürfen Könnerns nicht allein fahren lassen. Nicht wahr, Sie helfen Helenen packen und begleiten sie dann hinunter, liebe, liebe Frau Rohrland?«
»Ja, von Herzen gern, aber …«
»Gar kein Aber – ich schicke Jeremias im Sturmschritt mit dem Karren herauf, bis dahin sind Sie fertig. Nicht wahr, Sie kommen dann mit ihr an die Landung?«
»Ja, von Herzen gern – aber diese Hast …«
»Erspart eine Masse von Weitläufigkeiten – lieber Rohrland, auf ein Wort,« und er faßte den ganz verblüfften Mann unter den Arm und führte ihn vor die Thür hinaus.
»In wie weit ist meine Braut noch hier in Ihrer Schuld?«
»In meiner Schuld? In gar Nichts. Im Gegentheil, ich habe noch Geld von ihr in Händen, für den Verkauf ihrer Sachen.«
»Desto besser; das zahlen Sie dann jener armen Frau des Mörders aus, den wir eingebracht haben; die braucht es nothwendig.«
»Aber ich begreife gar nicht.«
»Ich erzähle Ihnen Alles an Bord.«
»Ja, ich gehe ja gar nicht mit.«
»Das schadet Nichts,« rief Felix, indem er Rohrland umarmte und dann bei Seite schob – »also in zehn Minuten ist Jeremias mit dem Karren oben!« rief er nochmals zur Thür hinein, sprang dann hinaus, sah dort ein angebundenes Pferd stehen, setzte sich auf und sprengte im Carriere an die Landung hinunter.
»Nun sagen Sie nur um Gottes willen, wo Sie bleiben, Rottack?« rief ihm Könnern entgegen – »wir warten und warten hier.«
»Lieber Freund,« sagte Rottack – »ach Jeremias, nehmt doch Euern Karren und lauft was Ihr laufen könnt damit nach Rohrlands hinauf – es geht noch ein Passagier mit. – Lieber Freund, ich habe in der kurzen Zeit Etwas besorgt, wozu ein Anderer manchmal ein ganzes Lebensalter gebraucht, und dann noch nicht fertig wird. So recht, Jeremias, das ist ein Prachtbursche, und nicht mit Gold zu bezahlen.«
»Nehmen Sie sich Zeit,« sagte der Capitän des Dampfers, der mit an der Landung stand – »wir haben noch eine volle Stunde übrig und Nichts versäumt. Ich habe nur ein Wenig geeilt, weil ich schon weiß, daß Damen doch nicht immer gleich fertig werden.«
»Will Rohrland mit nach Rio? Er hat doch vorher kein Wort davon gesagt – und wo ist Günther?« fragte Könnern, als sie eine Weile an der Landung auf und ab gegangen waren.
»Fort – in den Wald,« sagte Rottack ernst – »ich habe Euch noch seine besten Grüße und Segenswünsche zu bringen.«
»Braver Günther,« sagte Könnern – »er hat Elisen die letzten Stunden nicht durch die Erinnerung an das Vergangene verbittern wollen. Apropos, Rottack, haben Sie Ihren Abschiedsbesuch bei der Frau Gräfin gemacht?«
»Allerdings.«
»Wahrhaftig?«
»Nun, gewiß – und sogar das Bild ihrer Tochter mitgebracht.«
»Ihrer Tochter?«
»Rohrlands bringen es mit, und ich werde Ihre Frau bitten, daß sie es mit in ihre Koje nimmt.«
»Ich verstehe Sie nicht.«
»Lieber, guter Könnern,« bat aber Rottack, der bis jetzt ungeduldig in die Stadt hinaufgesehen hatte – »ich kann Ihnen, bei Gott! jetzt keine nähere Erklärung geben, aber in zehn Minuten sollen Sie Alles wissen. Jetzt muß ich nur noch einmal in die Stadt – daß mir um Gottes willen Rohrlands das Bild nicht vergessen« – und von Könnern fort, der ihm kopfschüttelnd nachsah, sprang er wieder auf das Pferd und jagte damit den Weg zurück, den er gekommen.
Könnern zerbrach sich den Kopf, was der wunderliche Mensch nur heute haben könne, denn so hatte er ihn noch nie gesehen, und außerdem drängte jetzt wirklich ihre Zeit; der Capitän sah auch schon in immer kürzeren Zwischenpausen nach seiner Uhr – endlich ließ sich ein kleiner Trupp von Damen und Herren erkennen, die mit Jeremias an der Spitze rasch zur Landung herunter kamen.
Könnern und Sarno schritten ihnen entgegen, etwas erstaunt, die junge Comtesse mit in der Begleitung und an Felix' Arm zu sehen, und grüßten die Damen.
»Nun, Sie haben sich noch entschlossen, mit nach Rio zu gehen, mein guter Herr Rohrland?« fragte Sarno.
»Ich? Denke gar nicht daran, aber – so viel ich weiß …«
»Gräfin Rottack,« stellte Felix in diesem Augenblick seine wie Purpur erglühende Braut vor – »die Zeit genügte freilich nicht mehr, uns noch trauen zu lassen, aber dazu bietet sich in Rio die Gelegenheit, und bis dahin, meine beste Frau Könnern, empfehle ich mein liebes Bräutchen Ihrem mütterlichen Schutz.«
»Jetzt seh' Einer den Duckmäuser an,« rief Könnern lachend aus, »und nicht ein Wort hat er uns die ganze Zeit gesagt.«
»Ich kann ein Geheimniß wunderbar bewahren,« lachte der junge Graf, indem er Helene der jungen Frau zuführte – »aber nun in's Boot. Sie haben lange genug auf uns gewartet – hieher, Jeremias – das zum Andenken.«
»Hurrjeh, das langt!« sagte der kleine Bursche mit vergnügtem Gesicht.
»Eine recht glückliche Reise!« riefen die am Ufer Stehenden dem Boote nach, das in den Strom hinaushielt, und Sarno und Rohrlands winkten mit Tüchern und Hüten.
»Ade! Ade!« tönte der Ruf zurück, und von den raschen Rudern getrieben, schoß das Boot die glatte Bahn entlang, seinem Ziele entgegen.