Kitabı oku: «Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Erster Band.», sayfa 11
»Keine,« ächzte Pilger; »aber was um Gottes Willen kann ich thun, um sie wieder zu bekommen?«
»Heute Abend gar Nichts,« sagte der Pfarrer; »es ist stockdunkel, und aus dem Tanzsaal bringen Sie Keinen fort – noch dazu, wenn Sie nicht einmal eine bestimmte Richtung angeben können.«
»O, Du großer, allmächtiger Gott!« stöhnte der Mann und preßte die fest zusammengeschlagenen Hände gegen seine Stirn.
»Machen Sie sich keine Sorgen,« sagte der Geistliche, »wenn die Frau Sie auf so leichtsinnige Weise verlassen konnte, so haben Sie auch Nichts an ihr verloren, und den Mosje, den Bleifuß, wollen wir schon kriegen, wenn der wirklich dahinter steckt. Der muß blechen, daß es ihm blau und braun vor den Augen wird.«
»Meine Grethe – meine Grethe!« hauchte der arme Teufel; »daß sie mir die Schande anthun konnte!«
»Es läßt sich heute Nichts mehr machen,« versicherte der Pfarrer – er konnte seinen Eichelsolo nicht länger im Stiche lassen – »gehen Sie ruhig nach Hause – morgen früh komme ich zu Ihnen und da besprechen wir das Weitere« – , und ohne eine Antwort abzuwarten, klopfte er dem Unglücklichen auf die Schulter und ging wieder in das Zimmer zurück an seinen Spieltisch.
Pilger stand noch eine Weile wie vernichtet in der offenen Thür, dann aber lief er noch einmal zurück zu seinem Haus, und als er die Verlorene auch jetzt noch nicht fand, wieder hinaus in die Nacht hinein – er wußte ja selber nicht, wohin.
Unten an der Landung, etwa zweihundert Schritte tiefer als die Boote gewöhnlich lagen, hatte ein kleines Fahrzeug im Schutze dichter Büsche angelegt, und gleich nach Sonnenuntergang waren schon verschiedene Blechkoffer und Kisten hineingeschafft. Vier portugiesische Ruderer, die zu einem der weiter unten ankernden Schooner gehörten, lagen auf ihren Riemen und warteten auf ein verabredetes Zeichen, um den Bug des Bootes, das jetzt ein Stück draußen im Strom ankerte, dicht zum Lande zu schieben. Jetzt pfiff es viermal rasch hintereinander, und während sich das schmale Fahrzeug noch tiefer in die Büsche hineinschob, eilten ein Mann und eine Frau den schräg ablaufenden Hang hinab, gerade auf die Stelle zu, wo dasselbe verborgen lag.
Der Mann hielt ein größeres Paket im Arme und konnte nicht so rasch von der Stelle, weil er, seiner Bequemlichkeit wegen, Pantoffeln trug. Die Frau führte ein kleines Bündel bei sich und war ihm immer um einige Schritte voraus, bis sie den Wasserrand erreichte. Hier hielt sie plötzlich und wie erschreckt an und flüsterte:
»O, Du mein lieber himmlischer Vater, was will ich thun, was will ich thun!«
»Hier sind wir an Ort und Stelle,« sagte der Mann, der sie hier einholte, in portugiesischer Sprache, aber mit unterdrückter Stimme, »nur rasch, meine Geliebte, daß uns die Tölpel nicht doch noch am Ende auf die Spur kommen.«
»O, mein armer Mann, und er ist immer so gut und rechtschaffen, und ich…«
Während sie klagte, hatte der Portugiese schon sein Bündel in das Boot gegeben und der Frau das ihrige ebenfalls abgenommen und einem Matrosen gereicht. Jetzt legte er leise seinen Arm um ihre Taille und schob sie sanft rückwärts.
»Kommen Sie, Margarita, kommen Sie, wir versäumen sonst die günstige Zeit über die Barre – dort hinten höre ich auch Leute. Denken Sie, wenn man Sie hier fände – mit mir!«
Die Frau schreckte empor. Etwa hundert Schritte weiter oben führte ein Weg vorbei, auf dem zwei Männer gingen, die sich laut miteinander unterhielten. Die Frau glaubte die Stimme des Einen zu erkennen und wich scheu mehr in die Büsche hinein. Dort lag die Planke – einer der Matrosen ergriff ihre Hand, und keine halbe Minute später glitt das Boot in die dunkle Strömung hinaus und mit dieser abwärts.
Am Ufer herauf kam eine einzelne Gestalt, die horchend stehen blieb, als sie das Knarren der Ruder in den Blöcken hörte, das nur so viel deutlicher durch die Stille der Nacht drang. Erkennen ließ sich freilich Nichts von dort, wie nur vielleicht der dunkle Schatten des Bootes selber.
»Grethe,« rief da eine leise, klagende Stimme in den Strom hinaus – »Grethe – bist Du dort?«
Keine Antwort erfolgte; blitzesschnell trieben die Ruder das Boot vorwärts, das wenige Minuten später um eine ablaufende Biegung des Flusses verschwand. —
Bei dem Director, in der kleinen Oberstube, saß Könnern, und Beide waren, Jeder mit einem Lichte vor sich, beschäftigt zu lesen. Der Director wühlte in einer Anzahl von Briefschaften, während Könnern ein Packet Zeitungen durchblätterte, die der Capitain des Schiffes mitgebracht hatte. Die Haushälterin brachte gerade den Thee herein, denn die Abende waren frisch genug, um eine warme Tasse Thee recht gut vertragen zu können.
»Na, da hört Alles auf!« sagte der Director plötzlich, und sah über einen eben geöffneten Brief nach Könnern hinüber.
»Nun,« fragte dieser, dem Blicke begegnend – »irgend eine unangenehme Nachricht?«
»Unangenehm gerade nicht,« lautete die Antwort, »aber gerade zu der unpassendsten Zeit in der Welt erhalten. Der Delegado, jener Portugiese, den wir an der Schule trafen, zeigt mir eben an, daß er von der Regierung auf unbestimmte Zeit Urlaub erhalten habe und mir hiermit in seiner Abwesenheit die laufenden Geschäfte übertrage. Die ganze lange Zeit hat der Herr Nichts auf der Gotteswelt zu thun gehabt, weil ich die kleinen Streitigkeiten zwischen den Colonisten immer selber schlichtete, ja, eher noch selber Ursache zu Zank und Unfrieden in verschiedenen Familien gegeben, und jetzt, wo wir eine ganze Schaar durch die Seereise halb verwilderter Menschen bekommen, die außerdem noch untergebracht werden sollen, will er sich von jeder Arbeit drücken. Das geht nun einmal unter keiner Bedingung an, und wenigstens muß er noch die nächste Woche dableiben. Ich habe überdies Scheererei genug – kommen Sie, trinken Sie eine Tasse Thee – da drüben steht der Rum – helfen Sie sich selber.«
Könnern schob die Zeitungen und Papiere bei Seite, um freien Raum zu bekommen. Eine kleine, zierliche Visitenkarte fiel heraus und auf den Tisch.
»Hallo,« lachte er, »die Dinger gehören doch hier wohl eigentlich zu den exotischen Gewächsen. Wie heißt denn der Herr? Arno von Pulteleben – den Namen kenn' ich nicht.«
»Irgend wieder ein junger Adeliger,« sagte der Director, sich Rum zu seinem Thee gießend, »der mit den Diamantgruben Brasiliens im Kopfe herüber kommt, sich hier eine Zeit lang herum treibt und über Alles schimpft, bis sein mitgebrachtes Geld verzehrt ist, und dann, empört über die traurigen Verhältnisse des Landes, nach Deutschland zurückkehrt, für das er Märchenstoff in Masse gesammelt hat. Er wollte mich heute besuchen, aber wie ich nur den schwarzen Frack, Seidenhut und die weißen Glacéhandschuhe durch's Fenster sah, hatte ich schon übrig genug und – ließ mir die Ehre auf ein anderes Mal ausbitten.«
»Wo mag er denn nur Quartier gefunden haben?« sagte Könnern, »die Häuser sind ja fast alle überfüllt.«
»Gott weiß es,« sagte der Director gleichgültig, »vielleicht doch noch im Hotel, denn Bohlos macht oft das Unglaubliche möglich. Überhaupt, lieber Könnern, glauben Sie gar nicht, was sich in einer solchen Colonie wie die unsere oft für wunderliche Subjecte und Charaktere ansammeln, und man könnte sie sich oft nicht besser assortirt für ein Naturalien-Cabinet zum Ausstopfen aussuchen. Aus allen Schichten der Gesellschaft bekommen wir die Proben, und der hohe Adel, wie Künstler und Gelehrte liefern jederzeit die werthvollsten Exemplare. Unseren Baron haben Sie schon gesehen, die Gräfin werden Sie jedenfalls noch kennen lernen; außerdem treibt sich hier auch ein ganz tüchtiger Künstler herum, ein Mann, der wahrscheinlich in Deutschland seiner Kunst Ehre machen könnte, und hier gerade so viel damit ausrichten wird, wie ein Holzhacker in den Pampas, oder ein Ackerbauer in den Schneebergen.«
»Ist es ein Maler?« fragte Könnern.
»Nein,« lachte Sarno, »Sie brauchen keinen Concurrenten zu fürchten – nur ein Clavierspieler. Aber auch ein anderer Musiker macht die Gegend unsicher, aus dem ich aber noch nicht recht klug geworden bin. Er nennt sich Randolph und scheint mir ein excentrischer Kopf, wie alle derartigen Künstler…«
In dem Augenblicke wurde draußen an die Thür geklopft und die alte Haushälterin meldete gleich darauf: Der Schuhmacher Pilger wünsche den Herrn einen Augenblick zu sprechen.
»Ach,« sagte der Director, unzufrieden mit dem Kopfe schüttelnd, »immer wieder die alte Geschichte, aber ich kann ihm jetzt gute Nachricht geben, denn er wird seinen Quälgeist wenigstens auf einige Zeit los. Lassen Sie ihn nur herein kommen.«
Pilger betrat gleich darauf das Zimmer. Er hielt den Hut in der Hand, sah aber todtenbleich aus und der Schweiß stand ihm in großen Tropfen auf der Stirn.
»Guten Abend, Herr Director!« stöhnte er, ohne auf den noch im Zimmer befindlichen Fremden weiter zu achten.
»Guten Abend, Pilger! Um Gottes Willen, wie seht Ihr denn aus, Mann? Was ist denn vorgefallen?«
»Meine Frau ist mir davon gelaufen, Herr Director,« sagte der arme Teufel, und man sah es ihm an, wie er sich nur mit äußerster Gewalt zwang, seine Fassung zu bewahren.
»Eure Frau? Wann?!« rief der Director erschreckt und ein eigener Verdacht schoß ihm durch den Kopf.
»Heute Abend – vor einer Stunde etwa, vielleicht noch nicht so lange. Sie wollte auf den Ball kommen und hat das Haus verlassen, ist aber jetzt nirgends mehr zu finden.«
»Aber, bester Freund, wenn Ihr sie erst so kurze Zeit vermißt, kann sie ja auch zu einer Freundin gegangen sein, um die abzuholen.«
»Nein,« sagte der Mann ruhig, »sie hat ein Bündel mitgenommen und ist nach dem Flusse gegangen. Ich sprach Jemanden, der ihr begegnet ist.«
»Und habt Ihr keinen Verdacht, wer dabei die Hand im Spiele haben könnte?« fragte der Director.
»Verdacht? Nein,« sagte Pilger mit fest zusammengebissenen Zähnen, »aber die Gewißheit, daß es jener gottverfluchte Bleifuß, der Delegado, gewesen ist. Es giebt jetzt nur noch eine Möglichkeit,« fuhr er fort, während der Director leise vor sich hin mit dem Kopfe nickte, »daß die Flucht nach dem Flusse zu vielleicht nur zum Schein war und meine Grethe jetzt ruhig drüben im Hause des Delegado versteckt ist. Allerdings fuhr vor etwa einer Viertelstunde ein Boot stromabwärts, aber ich kann mir nicht denken, daß der Portugiese die Frau allein fortschicken wird, und deshalb komme ich her, Herr Director, und wollte Sie bitten, das Haus des Portugiesen augenblicklich durchsuchen zu lassen. Finden wir dort nichts, dann muß sie den Strom hinunter sein, und ich glaube, ich weiß ein Haus, wo sie sich möglicher Weise verborgen halten könnte.«
»Wart Ihr schon am Hause des Delegado?«
»Ja – es ist Alles stockfinster drin, aber das bedeutet nichts.«
»Wißt Ihr, daß der Delegado Urlaub von der Regierung und mir heute Abend schriftlich angezeigt hat, ich solle sein Amt hier für ihn versehen?«
Der Mann schlug entsetzt die Hände zusammen.
»Dann ist's auch richtig,« stöhnte er – »dann ist er fort und sie waren in dem Boote, das ich gesehen habe. Wollen Sie mir helfen, Herr Director?«
»Von Herzen gern, Pilger, aber wie?«
»Erst gehen wir jetzt zu seinem Hause und sehen ob er fort ist, und finden wir das bestätigt, dann bitte ich Sie um weiter Nichts, als Ihr Boot – Leute schaff' ich schon herbei.«
»Aber keine Gewaltthätigkeit, Pilger!« warnte der Director; »Ihr macht die Sache dadurch nur noch schlimmer.«
»Überlassen Sie das mir, Herr Director. Ich habe den Eltern meiner Frau, braven, ordentlichen Leuten daheim, versprochen, über dieselbe zu wachen wie über meine Augen; ich darf die unglückliche Frau nicht den Händen dieses Buben überlassen, und darin werden mich doch hoffentlich die Gesetze schützen.«
»Das allerdings,« sagte Sarno, von seinem Stuhle aufspringend – »und dann wollen wir auch keine weitere Zeit mehr versäumen – kommt!«
Er griff seinen Hut auf, und von Könnern begleitet, gingen die Männer rasch nach dem Hause des Delegado hinüber. Es war aber hier, wie es Sarno gefürchtet hatte, sie fanden das Haus nicht allein fest verschlossen, sondern auch leer. Dicht daneben wohnte ein deutscher Cigarrenmacher, der einen kleinen Stand nach der Straße zu hatte. Dieser konnte ihnen wenigstens die Nachricht geben, daß gleich nach Dunkelwerden mehrere brasilianische Matrosen Kisten und Koffer aus dem Hause die Straße hinab getragen hätten. Weiter wußte er ebenfalls nichts, denn den Delegado hatte er mit keinem Auge gesehen.
»Dann bleibt mir Nichts weiter übrig, als das Boot,« stöhnte Pilger, als er mit seinen Begleitern wieder die Straße hinauf ging – »darf ich es nehmen, Herr Director?«
»Geht mit Gott!« sagte Sarno, indem er ihm den kleinen Bootschlüssel gab – »Ihr wißt, wo es liegt?«
»Ja wohl – und Segel und Ruder?«
»Hat der Fischer gegenüber – der kann Euch auch wahrscheinlich gleich Leute zum Rudern nachweisen.«
Pilger dankte und flog mehr als er ging die Straße hinab und der Landung zu. —
Im Hause der Gräfin Baulen war die kleine Familie mit ihrem Gaste ziemlich spät beim Thee zusammen gewesen, und hatte den Abend, so gut das eben gehen wollte, verplaudert. Herr von Pulteleben erzählte von seiner Familie daheim und dem kleinen Gute, auf dem er erzogen worden, von seinen Plänen und Hoffnungen und seinem Eifer, etwas Ernstliches zu beginnen, und die Frau Gräfin selber war ihm mit Interesse dabei gefolgt. Nur Oskar langweilte sich; aber er wußte, daß im Wirthshause Ball sei. Allerdings würde ihm seine Mutter nie die Erlaubniß gegeben haben, dem beizuwohnen, deshalb ersparte er ihr das Unangenehme einer Weigerung, verließ unbemerkt das Zimmer und ging eben ohne Erlaubniß.
Herr von Pulteleben erzählte jetzt von seiner Reise und den Abenteuern derselben, und da er wirklich gar Nichts dabei erlebt, wurde die Frau Gräfin endlich müde und schlief ein.
Helene setzte sich auf kurze Zeit an's Clavier, aber ihr Gast war nichts weniger als musikalisch, und da er auch keinen Geschmack an den kleinen, reizenden Liedern fand und sie immer nur – oft mitten in einem Stücke – bat, einen Walzer oder Galopp zu spielen, ermüdete Helene ebenfalls.
Es war Zeit zum Schlafengehen geworden, das Mädchen wurde gerufen, um dem Fremden in sein Zimmer zu leuchten, und Helene ging in das ihrige, stellte das Licht auf den Tisch, stützte den Arm auf das offene Fenster, zu dem der balsamische Duft der Orangenblüthen voll hereinströmte, und schaute träumend in die Nacht und auf die dunklen Conturen der Gebirge hinaus.
Da zuckte sie plötzlich erschreckt empor, denn fast dicht unter ihrem Fenster erklangen wieder die leise klagenden Töne der Violine, die sie schon an jenem Abend so wunderbar ergriffen hatten. Es lag ein solcher Schmelz in der einfachen Melodie, daß es ihr unwillkürlich das Herz ergriff, und sie stand auf, setzte sich auf das Sopha, um von unten aus nicht gesehen zu werden, und horchte mit angehaltenem Athem dem meisterhaften Spiele.
Herr von Pulteleben, der schräg über ihrem Zimmer wohnte, hatte schon sein Licht ausgelöscht und sich eben niedergelegt, als der Spielende unten begann. Er stand wieder auf, lehnte sich in das offen stehende Fenster und hörte eine Weile zu, bis die Töne unten leise verhallten. Jetzt rief er von oben herunter:
»Bravo! Sehr hübsch! Wirklich allerliebst!«
Helene barg die Stirn in ihre Hand; es war wie ein Mißton in diese Harmonie hinein. Der Spielende unten aber schwieg. Sie löschte ihr Licht aus und trat verdeckt ans Fenster, um vielleicht den Schatten seiner hinweggleitenden Gestalt zu sehen, aber Nichts regte sich – dunkel lag die Nacht auf dem Thale, und nur von weit herüber schallten dann und wann, von einem gelegentlichen Luftzuge getragen, die munteren Töne der Violinen und Trompeten, die dem jungen, lustigen Volke von Santa Clara zum Tanze aufspielten.
10.
Eine Familienscene
Vier Tage waren nach den oben beschriebenen Vorfällen verflossen und die Frau Gräfin hatte an diesem Morgen noch nicht vollständig ihre Toilette beendet, als draußen auf dem Vorsaale schwere Tritte laut wurden, und gleich darauf ein Mann mit Dorothea sprach. Jetzt klopfte diese an die Thür und rief:
»Frau Gräfin, der Meister Spenker ist draußen und wünscht die Frau Gräfin zu sprechen.«
»Soll später wieder kommen,« lautete die Antwort – »ich bin noch nicht fertig angezogen.«
»Ach, machen Sie keine Umstände, Frau Gräfin,« sagte der Bäckermeister, der die Antwort gehört hatte – »ich habe meine Frau auch schon oft im Negligé gesehen – bin ja ein verheiratheter Mann und kann nicht so lang von zu Hause fort bleiben. Es giebt jetzt schmählich viel zu thun, denn die vielen neuen Mäuler im Ort wollen doch alle satt werden und Brod haben.«
»Aber weshalb kommen Sie denn so früh – ich kann jetzt nicht.«
»Früh?« sagte der ehrliche Bäckermeister erstaunt, der seit vier Uhr an der Arbeit war – »es hat eben Elf geschlagen, und bei uns drüben sagen wir nicht einmal mehr »guten Morgen« – es wird gleich zu Mittag gegessen. Wenn Sie aber wollen, kann ich Ihnen hier gleich durch die Thür melden, was mich hergeführt – ich glaubte nur, es wäre Ihnen angenehmer wenn ich Sie allein spräche.«
Es entstand eine kleine Pause und der Bäckermeister lächelte leise vor sich hin – endlich sagte die Gräfin von innen heraus:
»Ich komme den Augenblick – gehen Sie in das andere Zimmer.«
»Sehr wohl, Frau Gräfin,« erwiederte der Meister kopfnickend, und wußte auch ganz genau, in welches, denn er hatte schon sehr viele derartige Conferenzen mit der Dame gehabt. Er brauchte indessen nicht sehr lange zu warten, denn kaum zehn Minuten später ging die Thür auf und Frau Gräfin Baulen, einen großen Shawl umgeschlagen, trat herein und sagte eigentlich viel freundlicher, als man nach der erzwungenen Audienz hätte vermuthen sollen:
»Guten Morgen, Meister! Was wünschen Sie?«
»Guten Morgen, Frau Gräfin – Nichts, als die alte Geschichte, die wir schon einige Mal verhandelt haben; Geld – meine Miethe.«
Die Gräfin warf ungeduldig den Kopf auf die Seite.
»Aber Sie wissen ja doch, daß meine Wechsel, die ich jedenfalls mit dem nächsten Dampfer erwarte, noch nicht angekommen sind – ich habe Ihnen das schon das letzte Mal gesagt, als ich das Vergnügen hatte Sie zu sehen.«
»Bitte,« sagte der Mann – »ja, und das vorletzte Mal auch, und das vorvorletzte, aber es ist ein merkwürdiges Ding um einen Wechsel, der nie ankommt, wenn er am Nothwendigsten gebraucht wird.«
»Und ist das etwa meine Schuld?« sagte die Gräfin piquirt.
»Glaube kaum,« lächelte der Bäckermeister – »nur die Schuld der Leute, die eben keinen schicken wollen.«
»Aber sie sind abgeschickt,« rief die Gräfin ungeduldig, »und können jetzt jede Stunde eintreffen. Sie denken doch nicht etwa, daß ich Ihnen eine Unwahrheit sagen werde?«
»Nein,« sagte der Bäckermeister kopfschüttelnd – »es wäre wenigstens nicht hübsch, aber damit kommen wir nicht weiter. Das Kurze und Lange von der Sache ist einfach das, daß ich nicht länger auf die Wechsel warten kann, und es thut mir leid Ihnen das sagen zu müssen, Frau Gräfin. Ich bin nur ein Handwerker, und was ich brauche, muß ich mir sauer genug verdienen; außerdem habe ich Kinder die versorgt sein wollen, und das kostet, wie Sie ebenfalls recht gut wissen, viel Geld. Deshalb muß ich das Meinige zusammenhalten – Sie sind eine zu vernünftige Frau, um das nicht einzusehen, und ich kann die Milreis nicht hundertweis ausstehen lassen.«
»Aber, lieber Freund, »ich kann Sie ja doch nicht eher zahlen, bis mein Wechsel kommt,« sagte die Gräfin ungeduldig – »was hilft also all das Reden? So nehmen Sie doch nur Vernunft an!«
»Eben weil ich lieber auf die Vernunft hören will, als viele Reden machen, bin ich heute Morgen hergekommen,« sagte der Meister ruhig, »und wollte Ihnen denn nur anzeigen, Frau Gräfin, daß ich mein Geld in dieser Woche haben muß und will, Wechsel oder keine Wechsel, die mich eigentlich gar Nichts angehen. Ich werde Sie nicht zu sehr drängen und gebe Ihnen noch bis zum Samstag Zeit, das ist aber auch, das schwöre ich Ihnen, der allerletzte Termin, den Sie von mir herausdrücken können; denn die Geschichte spielt jetzt fünfzehn Monate, und ich will mich nicht länger zum … na, ich meine, ich kann eben nicht länger warten.«
»Ich will sehen was in meinen Kräften steht,« sagte die Gräfin gleichgültig, und wie es schien, mit dem Wunsche, das Gespräch abzubrechen – »erzwingen läßt sich aber so etwas nicht.«
»Oh, doch wohl,« sagte Meister Spenker, den die vornehme Gleichgültigkeit zu ärgern anfing – »es läßt sich auch erzwingen, Frau Gräfin, wenn es mir auch sehr leid thun sollte, etwas Derartiges zu thun. Der ganze Ort ist jetzt voll Leute, die Logis suchen, und eine solche Wohnung, wie das Haus hier, mit Vergnügen noch höher als Sie und gleich baar bezahlen würden; überall fragen sie an, ob nichts Derartiges zu bekommen sei. Außerdem haben Sie selber schon einen Aftermiether in's Haus genommen, der Sie doch auch bezahlt, und ich sehe gar nicht ein, weshalb ich das nicht selber verdienen und sonst Nichts auf der Welt davon haben soll, wie leere Versprechungen.«
»Der Herr,« sagte die Gräfin doch etwas verlegen, »ist – ein Verwandter von mir, und zahlt mir also keine Miethe.«
»Na, das geht mich Nichts an,« sagte der Bäcker, »ob er Ihnen Etwas zahlt. Wenn er bei mir wohnte, würde er zahlen. Also Nichts für ungut, aber wenn ich bis Samstag mein Geld nicht bekomme, so muß ich Sie, so leid mir das thun sollte, auf die Straße setzen und mich an dem schadlos halten, was Sie mir für meine zweihundert Milreis an Pferden oder Möbeln zurücklassen können.«
»Herr Spenker,« rief die Gräfin auffahrend, »eine solche Sprache verbitte ich mir! Wenn Sie sich in Ihrem Rechte gekränkt glauben, so wenden Sie sich an die Gerichte, und wir wollen dann sehen, ob mir nicht jeder Kaufmann selbst bezeugen muß, daß in einem solchen Winkel der Erde, wie wir ihn hier bewohnen, die Ankunft eines Wechsels verzögert werden kann – aber so lange Sie in meiner Stube sind, vergessen Sie nicht die mir schuldige Achtung.«
»Ach was,« sagte der Mann mürrisch – »Sie vergessen auch immer die mir schuldigen zweihundert Milreis, und mit dem vornehm – aber wir wollen uns nicht zanken,« brach er kurz ab, »deshalb bin ich nicht hergekommen. Ich mag mit keinem Menschen Streit haben, am wenigsten mit meinen Miethsleuten – so weit's eben geht – also nochmals, Nichts für ungut, Frau Gräfin, und sorgen Sie dafür, daß wir die Sache am Samstag in's Klare kriegen, sonst läßt sich's eben nicht länger vermeiden und müßte Ihnen doch fatal sein. Wünsche Ihnen einen recht angenehmen Morgen« – und mit einer kurzen Verbeugung und einer Schwenkung des rechten Armes drehte er sich um und stieg langsam wieder die Treppe hinunter.
Die Gräfin hatte seinen Gruß sehr kalt erwiedert und blieb, als er schon lange das Zimmer verlassen, noch immer in finsterem Brüten auf derselben Stelle stehen. Sie hatte die Arme gekreuzt und starrte nieder vor sich auf den Boden, als die eine Seitenthür aufging und Helene eintrat.
Sie ging still an der Mutter vorüber zu dem nächsten Fenster, wo ein Buch lag, das sie nahm und aufschlug – aber sie las nicht darin. Ihre Blicke hafteten wohl auf dem Drucke, doch ihre Gedanken schweiften zu anderen Scenen, als den hier geschilderten. Endlich sagte sie leise:
»Und was soll nun werden?«
Die Mutter schrak ordentlich bei der Frage empor, die nur das in Worten aussprach, worüber sie selber eben erst nachgedacht.
»Du hast gehört, was der Mensch sagte?« fragte sie, ohne ihre Stellung zu verändern.
»Ja.«
»Alles?«
»Jedes Wort – aber Dein Wechsel muß jetzt kommen; der Dampfer ist schon seit vier Tagen fällig und bleibt nur in seltenen Fällen über diese Zeit.«
»Und wenn er kommt?« erwiederte die Gräfin mit einem bittern Lächeln, »was dann? Ja, ich bin mit den wenigen Hundert Thalern im Stande, unsere Hauptschulden zu decken, aber wovon weiter leben? Helene, Helene, Dein starrer Sinn wird uns noch theuer zu stehen kommen!«
»Mein starrer Sinn?« fuhr die Tochter auf; »etwa deshalb, weil ich nicht auf die Anträge jenes schurkischen Portugiesen hören wollte, der mir seine Hand anbot? Hast Du nicht jetzt selber den Beweis, was für eine gemeine Creatur es war, wo er die Frau des Schuhmachers entführte, als er die Grafentochter nicht bekommen konnte? Der Mensch war als ein Wüstling in der ganzen Stadt bekannt und verachtet, und Du, Mutter, Du konntest mir zu einer Verbindung mit ihm rathen, ja, wirfst mir jetzt noch meinen Starrsinn vor!«
Helene stand mit leuchtenden Augen ihrer Mutter gegenüber und die Frau schlug fast scheu den Blick vor ihr zu Boden.
»Du denkst nur an Dich,« sagte sie aber trotzdem, wenn auch nur mit halblauter Stimme – »was aus Deiner Mutter wird, kümmert Dich nicht.«
»Und hab' ich den Vorwurf wirklich von Dir verdient?« erwiederte Helene, und ein eigener wehmüthiger Zug zuckte um ihre Lippen – »hab' ich ihn auch da verdient, als ich des wackeren Vollrath Bewerbung ausschlug, der mich mit einem gebrochenen Herzen verließ und dessen ganze Liebe ich besaß? Dachte ich auch da nur an mich, wo ich im Stande war, mir eine bescheidene Heimath zu gründen, aber Dich auch hätte hülflos zurücklassen oder in Verhältnisse hineinziehen müssen, von denen ich vorher wußte, daß Du Dich darin unglücklich gefühlt und Vollrath unglücklich gemacht hättest?«
»Nein – nein – ich weiß, Du bist ein gutes, vernünftiges Kind,« sagte die alte Gräfin, von dem Vorwurfe getroffen – »ich war vielleicht zu hart gegen Dich, aber – sollte die Zeit kommen, wo Du Dich gut versorgen kannst, so bedenke auch, daß Du – nicht zu lange damit säumen darfst. Unsere Stellung hier wird mit jedem Monate unhaltbarer, wenn nicht bald Etwas geschieht, der Sache eine andere Wendung zu geben.«
»Und was könnte geschehen?« sagte Helene, und ein ganz eigenes wehes Gefühl beengte ihr die Brust.
»Ich habe doch jetzt Hoffnung,« sagte ihre Mutter, »daß sich mein Plan noch wird realisiren lassen.«
»Du meinst mit der Cigarren-Fabrik?«
»Ja.«
»Und glaubst Du wirklich, daß Etwas dabei gewonnen werden kann?«
»Wenn es richtig angefaßt wird, gewiß.«
»Aber wirst Du im Stande sein das zu thun? Gehören nicht zu einem solchen Geschäfte praktische Erfahrungen?«
»Liebes Kind, glaubst Du nicht, daß ich mir in meinem Leben Menschenkenntnisse genug gesammelt habe, auch mit Menschen umzugehen?«
»Aber das ist eine Sache, wo Du weniger Menschen- wie Waarenkenntnisse brauchst, und wie leicht kannst Du darin betrogen werden.«
»Waarenkenntnisse, Du lieber Gott!« sagte die Gräfin; »das Material ist so einfach, daß sich das gewiß in wenigen Monaten vollständig erlernen läßt. Aber weißt Du selber etwas Besseres?«
»Ich? Du mein Himmel!« seufzte Helene – »wie sollte ich Dir rathen können, der noch nie verstattet wurde, in das praktische Leben der Menschen einzugreifen, ja, sie nur bei demselben zu beobachten? Lange schon hätte ich Unterricht im Französischen und Englischen gegeben, um mich nur in Etwas nützlich zu machen, aber selbst das hast Du mir ja nicht einmal gestattet.«
»Weil es sich mit unserer Stellung nicht verträgt,« sagte die Gräfin finster – »mit welchem Gesicht hätte ich nur dem Baron entgegentreten können, wenn die »Comtesse« den Bäcker- oder Schusterskindern da drüben Unterricht gegeben hätte? – Das verstehst Du nicht, Kind.«
»Und Cigarren machen für Bäcker und Schuster?« sagte das junge Mädchen traurig.
»Das ist etwas ganz Anderes, wir lassen sie machen,« erwiederte die Gräfin rasch – »wir leiten nur die Fabrikation, und wenn wir selber »zum Spaße« dann und wann und auf unserer Stube ebenfalls arbeiten, so ist das etwas ganz Anderes. Auch Damen der höchsten Stände in Europa haben zu ihrer Unterhaltung Handarbeiten betrieben, Blumen, Pappsachen, Verzierungen auf Glas- und Holzwaaren und tausend andere Dinge gemacht. Wir hier brauchen solche Sachen nicht, und wenn wir dafür Cigarren machen, kann Niemand etwas Ungehöriges darin sehen. Selbst der Baron fand das in der Ordnung.«
»So hast Du schon mit ihm darüber gesprochen?«
»Ja,« sagte die Gräfin nach einigem Zögern – »vor mehreren Tagen kam einmal das Gespräch darauf.«
»Und wird er sich dabei betheiligen?« fragte Helene schnell.
»Nein,« erwiederte die Gräfin wieder zögernd; »der Mann war stets zu unpraktisch. Er hat nicht den geringsten Sinn für ein wirklich nutzbringendes Unternehmen, und da ist es auch viel besser, daß man gar nicht mit ihm beginnt; man hätte sonst ewig nur Klagen und Vorwürfe zu hören.«
»Und wer sonst – meinst Du – würde auf einen solchen Plan eingehen?« fragte die Tochter und sah ihre Mutter scharf dabei an.
Die Gräfin hatte sich halb abgewendet und beschäftigte sich an ihrem Nähtische damit, ein aufgerolltes Knäuel schwarzer Seide wieder in Ordnung zu bringen.
»Ich glaube,« sagte sie, und wandte dabei den Kopf lächelnd der Tochter zu – »der Himmel selber hat uns einen Bundesgenossen gesandt, der am Ende der rechte Mann dazu sein dürfte.«
»Unser Gast?«
»Derselbe. Er wünscht sehnlichst, wie er mir wieder und wieder gesagt hat, irgend Etwas in Brasilien zu beginnen, wodurch er nicht allein eine Beschäftigung findet, sondern auch Geld verdienen kann, und ich denke fast, daß mein Plan für alle Beide von Nutzen sein könnte. Meinst Du nicht?«
»Und glaubst Du wirklich, Mama, daß mit dieser Arbeit etwas Ordentliches verdient werden könnte? Ich kann es mir noch immer nicht denken.«
»Aber würde ich es denn sonst beginnen?«
»Ich weiß nicht,« sagte Helene, »es ist mir ein Gefühl, als ob wir der Sache keinen rechten Ernst entgegen bringen könnten – als ob eigentlich andere Kräfte dazu gehören müßten, etwas Ähnliches zu beginnen.«
»Aber ich begreife Dich gar nicht.«
»Und wie wird sich Oskar hinein finden?«
»Wie ihn die Nothwendigkeit zwingt,« sagte die Gräfin entschieden. »Ich habe seinem Leichtsinn jetzt lange genug nachgesehen, aber meine Kräfte sind erschöpft. Ich bin nicht mehr im Stande, sein müssiges Leben zu unterstützen, und er muß eben arbeiten, wenn er existiren will. Dafür sind wir nun einmal in Brasilien.«
»Er wird schwer an eine regelmäßige Beschäftigung zu gewöhnen sein,« seufzte Helene; »es ist ihm zu viel die ganzen langen Jahre hindurch nachgesehen worden.«
»Das muß eben anders werden,« sagte die Gräfin, »und ich habe die feste Hoffnung, daß er das selber fühlt, indem er schon sein Reitpferd verkauft hat. Das Geld dafür ist allerdings nur ein sehr kleines Capital, aber es ist immer ein Capital und kann auf weit nützlichere Weise verwandt werden.«