Kitabı oku: «Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Erster Band.», sayfa 10
»Beruhigen Sie sich,« unterbrach ihn die Gräfin, »ich weiß, daß Sie nicht die geringste Schuld tragen. Das Ganze war ein mißverstandener Diensteifer von Seiten jenes Burschen, der über eine Localität unseres Hauses verfügte, ohne auf Sie, noch auf uns Rücksicht zu nehmen.«
»Aber man sollte doch kaum glauben, daß so Etwas möglich wäre!« rief von Pulteleben entsetzt, denn erst jetzt trat ihm die seltsame Situation vor Augen, in der er, als reiner Eindringling, den Damen gegenüber stand; »meine Seele konnte ja an etwas Derartiges nicht denken, oder Sie müßten überzeugt sein, daß ich…«
»Bitte, keine Entschuldigungen weiter,« lächelte die Gräfin; »Brasilien erzeugt gar sonderbare Zustände, die Sie ebenfalls noch mit der Zeit näher kennen lernen werden. Jedenfalls hat uns Jeremias, wie jener unglückliche Mensch heißt, Gelegenheit gegeben Ihre Bekanntschaft zu machen; alles Andere läßt sich nachher mit Leichtigkeit arrangiren, und nun bitte ich, daß Sie Platz nehmen, denn die Suppe wird sonst kalt.«
Herr von Pulteleben befand sich noch immer in einem gemäßigten Grade von Verzweiflung, denn der Gedanke, sich bei einer solchen Familie auf eine solche Art eingeführt zu haben, trieb ihm fast die Haare zu Berge. Außerdem blieben ihm noch eine Menge Dinge unklar – die Geschichte mit dem Bäckermeister zum Beispiel, und daß ihm der junge Mensch nicht gleich einen Wink gegeben, wo er sich eigentlich befände. Sehr rasch im Denken war er außerdem nicht, und es bedurfte einer neuen Aufforderung der Gräfin, Platz zu nehmen, bis er sich so weit sammeln konnte, ihr den Arm zu bieten und sie zur Tafel zu führen.
Da sich die Gräfin aber einmal vorgenommen hatte, ihm weitere Verlegenheiten zu ersparen, so wußte sie auch bald geschickt in ein Gespräch einzulenken, das ihm seine Unbefangenheit wiedergeben konnte – ein Gespräch über die eben zurückgelegte Seereise, an dem sie ebenfalls Interesse nahm, da sie noch mit Entsetzen ihrer eigenen Fahrt und der damit verbunden gewesenen Seekrankheit gedachte.
In das Capitel eingelenkt, fühlte sich auch von Pulteleben bald wieder behaglicher, und das Einzige, was ihn noch dann und wann genirte, war der etwas sarkastische Zug um der Comtesse Mund, wenn sie einem Blicke ihres Bruders begegnete und sein Auge gerade auf ihr ruhte – und sein Auge ruhte sehr oft auf ihr, denn von Pulteleben erinnerte sich nicht, je in seinem Leben schon ein schöneres Mädchen gesehen zu haben.
Mochte es sein daß es ihm nur so vorkam, weil er gerade durch die lange Seereise dem geselligen Umgange mit dem schönen Geschlechte hatte völlig entsagen müssen, oder fühlte er sich gerade von dieser Form der Züge besonders gefesselt, wie das ja oft im Leben der Fall ist, aber er konnte sich nicht satt an dem lieben Antlitz sehen, und eben so wenig entging Helenen selber, mit welcher Aufmerksamkeit er sie behandelte. Freilich war sie daran gewöhnt, ihren Zoll von Bewunderung überall einzuernten, aber trotzdem fühlte sie einen gewissen Grad von Genugthuung, und ihr Antlitz, das im Beginne der Tafel seine volle Strenge bewahrt hatte, wurde etwas freundlicher gegen den jungen Gast. Sie wich wenigstens Oskar's Blicken aus und schien nicht mehr gesonnen, sich über ihn lustig zu machen, ja, nahm sogar Theil an der Unterhaltung.
Dadurch gewann von Pulteleben endlich seine ganze Fassung wieder, und als das Diner, bei dem Dorothea ihr Möglichstes geleistet hatte, beendet war, wandte er sich an seine freundliche Wirthin und sagte:
»Frau Gräfin, wenn ich auch jenem unglücklichen Jeremias und meinem Schutzgeiste danke, diese mir so liebe Bekanntschaft gemacht zu haben, so fühle ich doch recht gut, daß ich hier, als Ihr Gast, eine sehr unerquickliche Rolle spiele, und je eher ich der ein Ende mache, desto besser. Gestatten Sie also daß ich mich entferne, um mich nach einem andern Quartier umzusehen, und erlauben Sie mir nur – Ihre Güte hat ja meiner Unverschämtheit schon verziehen – daß ich damit nicht gezwungen bin, diese für mich so ehrenvolle und liebe Bekanntschaft ganz abzubrechen. Ich werde mich jedenfalls längere Zeit in Santa Clara aufhalten und würde Ihnen unendlich dankbar sein, wenn Sie mir wenigstens gestatten wollten, Ihnen manchmal meine Aufwartung zu machen.«
»Da Sie nun einmal unser Hausgenosse geworden sind,« lächelte die Gräfin, »so übereilen Sie auch wenigstens Nichts. Es wird Ihnen überdies schwer werden, für den Augenblick eine passende Wohnung in Santa Clara zu finden; bis Sie die aber gefunden haben, bitte ich Sie unser Haus als das Ihrige zu betrachten.«
»Gnädige Frau Gräfin!« rief Pulteleben erstaunt aus.
»Bitte, machen Sie keine Umstände,« fuhr die Gräfin ruhig und freundlich fort, »wir sind hier in Brasilien, wo der Fremde nur zu häufig einzig und allein auf die Gastfreiheit der Bewohner angewiesen bleibt, und es existiren deshalb hier ganz andere Verhältnisse, wie in der alten Heimath. Außerdem sagten Sie uns vorher, daß Sie verschiedene Pläne für Ihre Zukunft hätten.«
»Allerdings,« versicherte der junge Mann, »aber es fehlt mir da freilich noch Kenntniß des Landes, um mein Capital gleich mit Vortheil anlegen zu können, und ich sammle lieber erst Erfahrung.«
»Das ist sehr vernünftig von Ihnen gedacht,« erwiederte die Gräfin; »wo ich Ihnen aber dabei mit Rath an die Hand gehen kann, bitte ich ganz über mich zu disponiren.«
»Sie sind zu gütig, gnädige Frau Gräfin!«
»Wir wohnen schon eine Reihe von Jahren in diesem Lande, und man ist gezwungen, die Verhältnisse genau kennen zu lernen, oft sogar gegen unsern Willen. Doch Sie wünschen jedenfalls eine Cigarre zu rauchen – Oskar, führe den Herrn in den Garten; wir kommen dann ebenfalls hinunter, um dort gemeinschaftlich Kaffee zu trinken.«
Damit standen die beiden Damen auf, grüßten freundlich und verließen das Zimmer, während Herr von Pulteleben in einem wahren Taumel von Seligkeit zurückblieb und jetzt gar nicht oft genug zu Oskar sagen konnte, wie glücklich er sich fühle diese Bekanntschaft gemacht zu haben, wenn er es auch der größten Dummheit verdanke, deren er sich in seinem ganzen Leben schuldig gemacht.
»Na nu werden Sie nicht langweilig,« meinte Oskar – »Apropos, haben Sie etwa eine vernünftige Cigarre bei sich? Das Zeug, was man hier bekommt, ist kaum zu rauchen.«
»Ich kann Ihnen mit einer Havannah dienen,« sagte Herr von Pulteleben, erfreut dem Bruder jenes Engels nur in Etwas angenehm sein zu können.
»Das ist gescheidt,« meinte Oskar – »sie sind doch nicht zu schwer?«
»Nein, sicher nicht – ich selber rauche nie schwere Cigarren.«
»Gut, dann kommen Sie jetzt in den Garten, hier ist eine Hitze, nicht zum Aushalten,« – und seines neuen Freundes Arm ergreifend, schlenderte er mit ihm hinab, um dort den Kaffee und die Damen zu erwarten.
Diese zögerten auch nicht lange, und hatte sich Herr von Pulteleben schon gegen das Ende der Mahlzeit in seiner Umgebung wohl gefühlt, so entzückte ihn jetzt, im wahren Sinne des Wortes, die Natürlichkeit und Liebenswürdigkeit Helenens, die allen Zwang abgeworfen zu haben schien und nach Herzenslust lachte und plauderte.
Helene war wirklich bildschön. Es gab Zeiten, wo ihre so regelmäßigen Züge von einem düstern Ernst beschattet wurden, der ihren Augen etwas Unheimliches, ja Abstoßendes geben konnte. Ihr Mund, wenn fest geschlossen, sah dann ebenfalls, der etwas schmalen Lippen wegen, unschön aus. Wenn aber das lebendige Auge in Scherz, ja Übermuth leuchtete, wenn ihre Zähne, die zwei Reihen aufgezogener Perlen glichen, sichtbar wurden, wenn sich das Grübchen tiefer in ihr Kinn einschnitt und das Lachen auf dem gar so lieben Antlitz spielte, wie das Sonnenlicht auf einem murmelnden Bache, dann konnte man sich wahrlich nicht satt sehen an dem Mädchen, und sie war sich auch ihres Sieges stets so sicher bewußt, daß sie mit ihrer Umgebung machte, was sie eben wollte.
Nur dann und wann verließ sie manchmal die Laube, und von Pulteleben würde noch mehr entzückt gewesen sein, wenn er gewußt hätte, daß sie gerade in dieser Zeit Anordnungen traf, sein Zimmer etwas wohnlicher einzurichten und ein Bett darin aufzustellen. Es hatte das seine Schwierigkeiten, denn die Gräfin war nur nothdürftig auf solchen Besuch eingerichtet, aber es ging doch, und ein paar rasch und geschickt improvisirte Gardinen machten das kleine Gemach noch so viel freundlicher.
Die Zeit, wo der junge Fremde mit der Frau Gräfin allein blieb, wurde dann von dieser benutzt, ihm einen kurzen Überblick über die hiesigen Verhältnisse zu geben, der Herrn von Pulteleben außerordentlich befriedigte. Er ersah nämlich daraus, daß in diesem Lande wirklich nur ein kleines, unbedeutendes Capital dazu gehöre, um, mit kluger Benutzung des Augenblickes, ganz erstaunliche Erfolge zu erzielen. Die Frau Gräfin wußte ihm eine Menge von Beispielen zu nennen, nach denen Leute durch kleine, aber richtige Spekulationen in Stand gesetzt waren, unbedeutend begonnene Geschäfte auf das Großartigste auszudehnen, und sich dann mit einem erworbenen Vermögen nach Deutschland zurückzuziehen, um es dort in Ruhe zu verzehren.
»Sehen Sie, Frau Gräfin,« rief Herr von Pulteleben, durch diese Mittheilungen zu einem vollen Grade von Aufrichtigkeit getrieben, »das ist gerade was ich will. Zu Hause haben sie mir immer vorgeworfen, daß ich unpraktisch wäre, daß ich nie im Stande sein würde, mir aus mir selber eine Carrière zu schaffen. Jetzt will ich doch einmal sehen, ob es nicht möglich ist sie Lügen zu strafen. Sie sollen erleben, mit welcher Energie ich Alles angreife, was ich unternehme. – Wenn ich nur erst wüßte was!«
»Übereilen Sie sich darin nicht, junger Freund,« sagte die Gräfin. »Es giebt zwar eine Menge von Wegen, die zum Ziele führen, aber der eine ist länger als der andere, und wenn man denn doch noch die Wahl hat, warum soll man da nicht suchen den kürzesten zu nehmen? Übrigens seien Sie versichert, daß ich selber schon ein Wenig herumhorchen will. Sie sind uns nun einmal auf so abenteuerliche Weise zugeführt, daß ich ein gewisses Interesse daran nehme.«
»Gnädige Frau Gräfin, Sie sind unendlich gütig.«
»Lassen Sie das; will ich aufrichtig sein, so ist es vielleicht sogar Egoismus von mir selber; denn Sie glauben gar nicht, wie langsam die Zeit verstreicht, wenn man so gar Nichts auf der Gotteswelt zu thun hat. Eine kleine Beschäftigung, eine bestimmte Thätigkeit wird zuletzt wirklich zum Bedürfniß, und ein wenig Sorgen und Umschauen gehört mit zu unserem Leben.«
»Aber durch was habe ich verdient, daß Sie sich meiner gerade so unendlich freundlich annehmen?«
»Lieber Gott, wir sind hier einmal in Brasilien, leben in Verhältnissen, die mit denen der alten Welt auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit haben, und da gestaltet sich Manches oft rasch und wunderbar. Doch Sie werden das Alles noch viel besser kennen lernen, wenn Sie erst einmal selber längere Zeit im Lande sind.«
Oskar hatte sich bei dem Gespräch gründlich gelangweilt, denn er haßte Nichts mehr auf der Welt, als wenn von einem bestimmten Lebenszwecke die Rede war – und seine Mutter hielt ihm dieses Capitel sehr häufig vor. Dafür gönnte er es jetzt aber auch von Herzen seinem neuen Hausgenossen, und amüsirte sich die Zeit über, mit seinem Blasrohr von einem erhöhten Stand der Hecke aus nach vorbeilaufenden Hunden zu schießen. Wenn er sie traf, nahmen sie gewöhnlich den Schwanz zwischen die Beine und rannten in wilder Flucht die Straße hinab, und Oskar wollte sich dann halb todt darüber lachen.
Um das Angenehme übrigens mit dem Nützlichen zu verbinden, nahm er Herrn von Pulteleben nachher mit zu seinem Pferde hinaus, von dem er ihm schon viel erzählt und ihm auch die Überzeugung beigebracht hatte, daß ein Mann ohne Pferd in Brasilien gar nicht existiren könne – nicht einmal eine Frau, und da Herr von Pulteleben erfuhr, daß es früher Helenens Lieblingspferd gewesen sei, die sich jetzt einen etwas ruhigeren Grauen – der Graue war das wildeste Pferd in der Ansiedelung – angeschafft habe, kaufte es der junge Fremde zu einem, wie er glaubte, außerordentlich mäßigen Preise (Oskar hatte auch in der That höchstens hundert Procent daran verdient) und schwelgte dabei in der Hoffnung auf morgen, denn Helene hatte ihm versprochen mit ihm spazieren zu reiten.
9.
Ein Abend in der Colonie
Das war ein Leben und Treiben heute in dem sonst so stillen Städtchen, daß man es kaum wieder erkannte, und das Wirthshaus »Zum Hoffnungsanker« hatte, so lange der Ort stand, noch keine so guten Geschäfte gemacht. War es doch auch bis unter das Dach hinauf von Gästen angefüllt, die auf Matratzen, Decken, Stroh, oder wie es eben ging, untergebracht werden mußten, während fast alle männlichen Bewohner von Santa Clara hier ebenfalls zusammenkamen, um die Neuangekommenen zu sehen und zu sprechen, und vielleicht auch frische Nachrichten von daheim – das heißt aus ihrem Dorfe zu hören, denn was wirklich deutsche Nachrichten und besonders deutsche Politik betraf, kümmerte die Wenigsten der Colonisten.
Viele waren allerdings schon seit Jahren ausgewandert, und den politischen Verhältnissen daheim, die sie selbst an Ort und Stelle nicht verstanden, so entfremdet worden, daß sie kaum noch die geographischen Namen der verschiedenen Staaten kannten. Aber selbst erst kürzlich Herübergekommene fragten nicht nach dem, was Preußen oder Österreich, oder sonst ein Theil Deutschlands treibe – das war deren Sache, und sie mochten es mit einander ausmachen – sondern nur aus welcher Gegend Der und Jener sei, und ob daheim Der und Jener noch lebe, und nicht Lust habe nach Brasilien zu kommen.
Außerdem wollten sich die Leute aber auch gern einmal einen sogenannten »fidelen Abend« machen, und da der Wirth Christian Bohlos einen ziemlich geräumigen Schuppen an sein Haus gebaut und mit Dielen hatte belegen lassen, ja auch in diesem Schuppen ein hölzernes Gerüst für ein Musikcorps angebracht war, so verstand es sich von selbst, daß heute Abend ebenfalls getanzt wurde.
Das beste Musikcorps der Stadt wurde dazu bestellt – denn es gab deren zwei – und daß sich das andere darüber zurückgesetzt fühlte und erklärte, das sogenannte beste Musikcorps könne gar nicht spielen und vollführe eine wahre Heidenmusik – blieb sich gleich.
Schon mit Dunkelwerden sammelten sich die Gäste – auf acht Uhr Abends waren nach stillschweigendem Übereinkommen die Frauen angesagt, denn die Kinder mußten erst zu Bette gebracht werden – und bis dahin gingen Flasche und Krug lustig im Kreise. – Aber nicht etwa das dünne brasilianische Bier wurde getrunken, das ein Deutscher sogar in Santa Clara braute, obgleich das besonders die Neuangekommenen mit Leidenschaft forderten, sondern vaterländischer Rheinwein bildete bei solchen Gelagen gewöhnlich das schwere Geschütz. Die langhalsigen, schlanken Originalflaschen ragten fast von allen Tischen empor, und Scharlachberger-, Brauneberger-, Markobrunner- und Hochheimer-Etiquetten gehörten zu den gewöhnlichsten Dingen.
An dem einen Tische präsidirte der »Pfarrer« des Ortes, eine breitschulterige, etwas massive Gestalt, mit hochgeröthetem Gesichte, kurzen, etwas struppigen blonden Haaren und einem wenigstens zweitägigen weißen Halskragen, aber nicht etwa in schwarzer Ordenstracht, sondern in einer grauleinenen Sommerjoppe mit Nankinghosen, und um ihn gruppirten sich einzelne Bewohner von Santa Clara – unter ihnen auch unser alter Bekannter Pilger und mehrere Colonisten aus der unmittelbaren Nähe des Städtchens, von denen dann wieder verschiedene »frische Einwanderer« zugezogen worden, um zuerst Bericht über ihre Reise abzustatten, und dann Enthüllung über das »erhoffte Brasilien« zu vernehmen.
An die Ecke desselben Tisches hatte sich ebenfalls der Bursche mit dem Silberband um die Mütze gedrängt, der heute schon mit dem Director Streit gehabt; ein Krug Bier und eine Portion Braten stand vor ihm. Seine Frau lag drüben im Auswanderungshause mit ihren Kindern in einer dunklen, feuchten Ecke, und theilte mit ihnen das kärgliche Mahl, das sie sich von geliefertem Mehle selber hatte bereiten müssen.
Die übrigen Tische waren eben so dicht gedrängt mit Gästen, und Bohlos' Frau und ein paar Mägde konnten sich kaum in dem überfüllten Raume Bahn machen, um die verlangten und oft stürmisch geforderten Speisen und Getränke auszutheilen.
»Na, hier lebt sich's aber doch besser als an Bord von dem Schiffe, das muß wahr sein, wenn ich auch gerade nicht über die Kost auf dem Schiffe klagen will,« sagte einer der Zwischendeckspassagiere.
»Saufressen,« kaute der Mann mit dem Tressenstreifen mit vollem Munde; »bei uns kriegen's die Schweine besser, wie sie's uns für unser schweres Geld auf dem Schiff gegeben haben.«
»Vielleicht sind Sie's zu Hause besser gewöhnt gewesen,« meinte einer der jungen Kaufleute, ein Kajütenpassagier, der sich aber hier schon in brasilianische Gleichheit hinein zu finden suchte, indem er seinen, ihm unangenehmen Nachbar von der Seite ansah.
»Bin ich auch,« knurrte der Mann – »ja, Sie, die Kajütenpassagiere, haben hineingestopft gekriegt, was nur eben hinein ging, aber uns haben sie behandelt wie die Hunde – und noch schlechter.«
»Na, ich weiß nicht,« sagte der Erste wieder, »ich bin doch auch im Zwischendeck gefahren, habe aber Nichts davon gemerkt. Daß man's auf dem Schiff nicht so gut bekommen kann wie daheim, na ja, das haben wir freilich schon zu Hause gewußt, und dafür ist's eben eine Seereise. Außerdem habt Ihr, so viel ich weiß, nicht einmal Passage bezahlt, sondern Eure Gemeinde daheim hat's zusammengeschossen.«
»Das geht Keinem 'was an,« sagte der Bursche mit einem finstern Blicke nach dem Sprecher – »bezahlt ist's doch, ohne daß Ihr dazu die Hand in den Sack gesteckt.«
Die Übrigen schwiegen, denn der Mann hatte nicht genug Einnehmendes in seinem Wesen, sich mit ihm in ein längeres Gespräch einzulassen. Freilich war hier offener Wirthstisch, und man konnte ihm auch nicht gut verwehren, sich der Unterhaltung anzuschließen, so lange er eben nicht selber fühlte, daß er da nicht hinein passe.
Oben am Tische wechselte das Gespräch jetzt wieder auf die Verhältnisse in der Colonie, und die Klagen über die Regierung waren allgemein, daß nie Land vorräthig vermessen sei, wenn einmal Colonisten eintrafen. Die Neuangekommenen wollten das dem Director zuschieben, und der »Pfarrer« gab ihnen Recht. Da stäk' es, denn das sei ein hochmüthiger Patron, der sich den Henker um den armen Mann scheere. Dagegen sprachen aber, und zwar mit Eifer, mehrere der Colonisten selber und vertheidigten den Director.
»Was kann er denn machen, wenn ihn der Präsident im Stiche läßt? Das ist die vorgesetzte Behörde, und an die muß er sich wenden, und für den gemeinen Mann thut gerade er mehr, denn irgend Einer vor ihm. Und wie hat er jetzt wieder gearbeitet, um die Leute alle unterzubringen!«
»Ein Lump ist's,« rief der mit der Tresse, seine Faust auf den Tisch schlagend, daß sich Alle erstaunt nach ihm umsahen – »ein nichtsnutziger, grober Lump, und das hab' ich ihm heute in's Gesicht gesagt, und will es ihm morgen auch noch einmal hinein sagen.«
»Was ist denn der Mann da schuldig, Bodenlos?« fragte Pilger laut, als der Wirth gerade an ihm vorüberging.
»Wer?« fragte Bohlos, sich am Tische umsehend.
»Der mit der hübschen blauen Mütze.«
»Na,« sagte der also Bezeichnete erstaunt aufstehend – »wem geht denn das wieder 'was an, was ich schuldig bin?«
»Der Tisch hier bezahlt's,« sagte Pilger, ohne von dem Einwurfe Notiz zu nehmen – »wie viel macht's?«
»Portion Braten und vier Glas Bier,« sagte Bohlos – »wollen's gerade einen Milreis rechnen, es macht eigentlich noch zwanzig Reis mehr.«
»Sehr schön,« sagte Pilger, »und jetzt, guter Freund, thut uns einmal den Gefallen und macht die Thür von außen zu. Verstanden?«
»Ob ich sie zumachen oder auflassen will, geht Keinem einen Quark an!« rief der Bursche, rückte sich die Mütze auf das eine Ohr, und sah den Redenden mit wüthenden Blicken an.
»Wollt Ihr Vernunft annehmen?« fragte Pilger ruhig, indem er langsam von seinem Stuhle aufstand – »oder soll ich Euch…«
»Ach, laßt den Lump zufrieden, Pilger!« riefen ein paar Andere – »fangt keinen Streit an.«
»Streit?« sagte Pilger vollkommen kaltblütig – »fällt mir gar nicht ein, aber sollen wir uns etwa von so einem Burschen, wie der da, den ganzen Abend verderben lassen? Entweder der Gesell geht, Bodenlos, oder ich gehe.«
»Ach, seid vernünftig,« sagte der Wirth beruhigend.
»Nein, er hat Recht!« riefen nun auch die früheren Mitpassagiere des Burschen; »auf der ganzen Reise hat er Nichts wie Skandal und Streit gehabt, und seine arme Frau dabei mißhandelt, daß es eine Schande war.«
»Ihr Lumpenhunde wollt auch wohl noch mit drein reden?« rief der mit der Mütze, und fuhr von seinem Sitze auf, aber Pilger hatte ihn schon am Kragen und hob ihn mit riesiger Kraft vom Boden; drei oder vier Andere faßten ihn zugleich an Armen und Beinen, und keine Minute später fand er sich ziemlich unsanft hinaus auf die Straße gesetzt. Kaum aber hatten die Männer ihre Sitze wieder eingenommen, als ein ziemlich faustgroßer Stein durch das eine Fenster klirrend hereinschmetterte und glücklicherweise gegen die nächste Stuhllehne traf, sonst hätte er Schaden anrichten können. Fünf oder sechs junge Burschen flogen jetzt hinaus, um den Frevler abzustrafen, aber der Passagier hatte es doch für gerathen gefunden, etwas Derartiges nicht abzuwarten, und war verschwunden.
Indessen rückte die Zeit vor – es war acht Uhr, und die »Damen« kamen zum Balle. Es waren meist Frauen und Töchter von Bauern und Handwerkern, aber viele der letzteren selbst in Brasilien geboren und großgezogen, wo sie dann, mit Kindern der eingeborenen Brasilianer aufwachsend, auch den Schnitt von deren Kleidung, wie eine freiere Haltung angenommen hatten – und reizende Gestalten gab es unter ihnen.
Hier und da kam freilich noch ein echt deutsches Bauernmädchen, die rothe Kattunschürze hoch in der Taille umgebunden, das riesige weiße Taschentuch in der sonnverbrannten, arbeitsharten Hand schlenkernd und mit der eigenthümlich schaufelnden Bewegung im Gange. Junge Mädchen mit weißen Kleidern und Rosabändern dazwischen, mit Füßen, die einem Grenadier zur festen Basis hätten dienen können, und eine Handvoll künstliche, arg zerdrückte Blumen geschmacklos auf den Kopf gebunden. Aber auch leichte und selbst zarte Figuren mischten sich dazwischen, junge Mädchen aus irgend einer kleinen Stadt, die jedenfalls verstanden sich geschmackvoll zu kleiden, und eine buntere Mischung des »schönen Geschlechts« konnte in keinem Lande der Welt aufgetrieben werden.
Und wer war der Ceremonienmeister, der Arrangirende und Ordnende dieses ganzen Balles? Wer stellte, als die Musik endlich begann, die Contretänze? Wer klatschte in die Hände, wenn die ersten Paare antanzen, wer klatschte wieder, wenn sie wechseln sollten? Wer drückte sich dann in einem ruhigen Moment in eine Ecke, um mit einem oder dem anderen Nachbar, nur im Vorbeigehen, ein Glas Wein oder Punsch zu trinken, und war im Nu wieder bei der Hand und mitten im Saale, sobald nur die geringste Unordnung zu drohen schien? Wer anders als Jeremias, der sich aber so entpuppt hatte, daß man ihn heute Abend wirklich nur an der rothen Perrücke wiedererkannte.
Wer den Jeremias heute in Hemdsärmeln gesehen hatte, wie er im Schweiße seines Angesichts, den Karren hinter sich, durch die Straßen keuchte, und wer ihn jetzt sah, wie er im Glanze von wenigstens achtzehn Talglichtern mit blechernen Reflectoren, à quatre épingles gekleidet, durch den Saal hüpfte, würde eine solche Veränderung, ohne den Mann genauer zu kennen, nicht für möglich gehalten haben, und doch war es eine und dieselbe Persönlichkeit.
Es läßt sich nicht läugnen, weder der hellblaue Frack mit den blanken Knöpfen, noch die weißen Hosen, noch die lichten, schon etwas schmutzigen Glacéhandschuhe waren je für ihn gemacht, und die beiden ersteren gerade um das zu weit, was die letzteren zu eng schienen. Aber er zeigte doch, wie der Pfarrer meinte, »den guten Willen«, und einen aufmerksameren und den Formen strenger genügenden Tanzmeister wie ihn gab es nicht auf der weiten Welt, viel weniger denn in Brasilien.
Jeremias war in der That überall, und hatte er heute über Tag bei seinem Karren geschwitzt, so überstieg seine Transpiration gegenwärtig alle Gränzen. Er troff förmlich, und das helle Wasser lief ihm unter der brennend rothen Perrücke in kleinen Bächen nieder.
Eigentlich hatte Jeremias ursprünglich gar kein rothes Haar gehabt, und das kleine Stückchen Backenbart, das ihm noch jetzt vor beiden Ohren stand, war sogar von pechschwarzer Farbe. Als ihm aber damals, nach einer Art Nervenfieber, und kurz vorher, ehe er Deutschland verließ, sämmtliche Haare ausgingen, forderte der Friseur für eine schwarze Perrücke eine seine Kräfte übersteigende Summe, und da er die rothe Perrücke – der Träger war darunter weggestorben – aus zweiter Hand billig erstehen konnte, entschloß er sich kurz und wechselte die Farbe. Jetzt war er nun so an die rothe Perrücke gewöhnt, daß er eine andere, schwarze nicht mehr umsonst genommen hätte.
Übrigens war Jeremias in der ganzen kleinen Stadt als ein fleißiger, nüchterner Arbeiter beliebt, und seiner oft drolligen Antworten wegen fast in jedem Hause gern gesehen. Weil er aber fleißig arbeitete, verdiente er auch ganz hübsches Geld, und nur, was er mit dem Verdienten machte, erfuhr kein Mensch. Verzehren konnte er es nicht, da er außerordentlich mäßig lebte, und nie auch nur einen halben Milreis vergeudete, aber trotzdem hatte er noch Keinem Geld zum Aufheben gegeben. Er kaufte auch kein Land oder Vieh, und von Staatspapieren wußte er außerdem Nichts. Allerdings hatte sich das Gerücht verbreitet, daß er sein Geld heimlich im Walde vergraben und schon einen ganzen Sack voll Milreis irgendwo eingescharrt habe. Gewißheit bekam aber Niemand darüber, und Jeremias war viel zu schlau, Andere das wissen zu lassen, was sie eben nicht zu wissen brauchten.
So gutmüthig Jeremias aber auch im Ganzen sein mochte, und so dienstwillig und gefällig er sich gegen Jedermann in seiner Arbeitszeit zeigte, so unumschränkt regierte er hier, und der geringste Verstoß gegen die Tanzordnung wurde auf das Unerbittlichste geahndet. Ein Schneider aus Santa Clara ärgerte ihn besonders, und man erzählte sich, die Feindschaft zwischen den Beiden schreibe sich daher, daß Jeremias eine Heirath des Schneiders, den er als einen liederlichen Schlingel kannte, hintertrieben habe. Das Mädchen war braver Bauersleute Kind, und Jeremias kannte den Bräutigam, der aus seinem Orte stammte, schon von Deutschland her. Daheim hatte dieser aber ein anderes Mädchen sitzen, dem er die Ehe versprochen, und das auf ihn wartete, und als die Bauernfamilie das hier erfuhr, wurde dem Werber das Haus verboten.
Ob Jeremias ihnen das wirklich mitgetheilt, war nicht ganz bestimmt, jedenfalls hieß es so, und der Schneider haßte ihn seitdem wie seinen Todfeind, ohne daß sich Jeremias deshalb die geringste Sorge gemacht hätte. Heute nun, wo Jener etwas mehr als gewöhnlich getrunken haben mochte, suchte er ein paar Mal Streit mit dem kleinen Ceremonienmeister, und als dieser ihn eben so oft derb abfertigte, wußte er sich auf andere Weise zu rächen. Jeremias hatte gerade wieder in der einen Ecke einen Schluck Punsch mit dem jungen Handlungsdiener getrunken, als er auf der andern Seite des Saales eine Unordnung entdeckte. Wie der Blitz sprang er auf und dorthin; unglücklicherweise mußte er aber an dem Schneider dicht vorbei, der rasch sein Bein vorhielt, und Jeremias, darin hangen bleibend, schoß, so lang er war, mitten in den Saal.
Dem böswilligen Schneider bekam das aber schlecht. Zu viele Leute waren Zeuge gewesen, und ehe sich Jeremias nur wieder vom Boden aufraffen konnte, hatten sie den Schneider gepackt, machten ein Fenster auf und warfen den sich aus Leibeskräften dagegen Sträubenden hinaus in die Büsche.
Übrigens war es eine so allgewöhnliche Begebenheit, daß bei einem deutschen Balle auch zwei oder drei Personen zu Thür oder Fenster hinausgeworfen wurden, daß Niemand weiter darauf achtete. Der Tanz ging ruhig fort, und Jeremias, der mit einer wahren Federkraft vom Boden emporschnellte, sah kaum den Schneider beseitigt, als er auch augenblicklich wieder in den Tact der Musik einfiel, und nur im Herüber- und Hinüberhüpfen noch den Staub von seinem Fracke zu entfernen suchte. Leider war kurz vorher gesprengt worden, und die weißen Hosen hatten dadurch etwas fleckige Vordertheile bekommen, aber Jeremias selber sah es nicht und Niemand achtete weiter darauf.
Pilger war auch aus dem Gastzimmer herübergekommen, um seine Frau zu suchen, die versprochen hatte bei dem Balle zu erscheinen, aber sie fehlte noch, und etwa eine halbe Stunde später ging er nach Hause, um sie abzuholen.
Er mochte vielleicht eine Viertelstunde fort gewesen sein, als er mit etwas verstörtem Gesichte wieder zurückkam und seine Blicke unruhig im Saal umherschweifen ließ – dann verschwand er wieder, ohne daß natürlich irgend Jemand auf ihn achtete, um bald darauf wieder zurückzukehren, wo er den bei einer Partie Skat sitzenden Pfarrer aufsuchte und zu sich hinausrief.
»Nun,« sagte dieser, der eben nicht gern von seiner Partie aufgestanden war, indem er ihm vor die Thür folgte, »was haben Sie denn, Sie schneiden ja ein Gesicht, als ob es bei Ihnen brennte?«
»Meine Frau ist fort,« flüsterte Pilger mit heiserer, von innerer Aufregung fast unhörbarer Stimme.
»Ihre Frau ist fort?« sagte der Geistliche erstaunt – »wohin?«
»Ich weiß es nicht,« stöhnte der Mann – »sie ist nicht hier beim Tanze, sie ist nicht zu Hause und doch vor etwa einer halben Stunde mit einem Bündel in der Hand fortgegangen.«
»Na ja, das wäre nicht übel,« schüttelte der Herr Pfarrer mit dem Kopfe – er hatte drin ein Eichelsolo auf dem Tische liegen, und die Sache kam ihm sehr unbequem – »aber wohin kann sie denn hier?«
»Da steckt der Schuft, der Bleifuß dahinter,« knirschte der Mann zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch; »aber wenn ich die Gewißheit kriegte, dann gnade ihm Gott!«
»Hm,« sagte der Pfarrer, welcher die deshalb umlaufenden Gerüchte schon lange gehört hatte und kannte – »und haben Sie keine Ahnung, wohin sie sich gewandt haben könnte?«