Kitabı oku: «Eine Gemsjagd in Tyrol», sayfa 3
Wie krampfhaft faßt die Hand den Büchsenkolben, sucht der Zeigefinger der rechten Hand den Drücker, der Daumen den Hahn. Geräuschlos wird er gespannt, langsam durch keine rasche Bewegung den Blick des aufmerksamen Thieres hierherzulenken, hebt sich der Lauf und Korn und Visir zusammen.
»Pest!« murmelt der Jäger leise zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, und er hat Ursache, denn oben auf dem Lauf, gerade vorn auf dem Korn, von dem blitzenden Metallpunkt vielleicht angezogen, schaukelt sich ein kleiner zierlicher gelber Schmetterling, und will nicht wanken und weichen.
Noch steht der Bock da drüben und die Gemse unten interessirt ihn mehr als irgend ein Geräusch oder Luftzug der ihn von oben fortgescheucht. Mit unzerstörbarem Ernst schaut er nieder auf das spielende Kitz und die lauschende Geis.
Langsam und vorsichtig hat der Jäger indeß die Büchse zurückgezogen, bis er mit dem Korn den nächsten Laatschenbüschel erreichen kann. Der Schmetterling weicht den drohenden Stacheln des grünen Busches aus, und flattert thalauf, und wieder richtet sich das Rohr dem heißersehnten Ziele zu.
Da – hat sein Auge irgend einen verrätherischen rückschlagenden Sonnenstrahl von dem blanken Lauf gefaßt? – wirft der gefährdete Bock rasch den Kopf empor, und die klugen Augen haben im Nu den Ort der wirklichen Gefahr erkannt – aber zu spät. Korn und Visir schmelzen gerade auf dem Blatt der wenig mehr als hundert zwanzig Schritt entfernten Beute zusammen; der Finger berührt den Stecher und mit dem Schlag, noch während der Bock sich vorn niederläßt, von seinem spitzen Stand hinabzusetzen, schlägt ihm die Kugel, schon etwas hoch, das Rückgrat über dem Blatt entzwei. Vergebens sucht das Thier sich mit den scharfen Läufen in den abschüssigen Boden einzukrallen, die Steine rollen unter ihm fort; halb fällt er, halb rutscht er nieder. Während ihm das Geröll polternd folgt und über ihn wegspringend dem nächsten Abhang zu fliegt, erreicht er unten den ersten festen Halt – Steinblöcke, die Lawine oder Bergstrom da nieder geschmettert – und sucht noch einmal dort sich aufzurichten. Vergebens; seine Kraft ist gelähmt, sein Lauf in diesen Bergen beendet, und während der rothe Schweiß den Boden um ihn färbt, bricht er stöhnend zusammen.
Aber an ihm vorbei fliegt die Kitzgeis, den offenen Weg zur Flucht nach unten nicht benützend. Zwar ist sie sicher vor des Schützen Rohr, denn keine Kitzgeis wird in der ächt weidmännisch betriebenen Jagd geschossen, aber was scheucht sie denn auf einmal dort hinauf? – Hat sich der Schall des Schusses in den Bergen, was oft geschieht, so gebrochen, daß sie die Gefahr da unten wähnt, während sie hier oben in der Nähe des Feindes droht? Oh nein – das scheue Thier weiß recht gut vor wem es flieht, denn über die Steine unten, über Geröll und Felsenblock hinwegspringend, so rasch fast wie der Bock selber früher sprang, der dort verendend liegt, kommt ein Jäger herauf aus der steilen Schlucht.
Den Bergsack auf dem Rücken, die Büchse über der linken Schulter, den Bergstock zum Springen über Spalte und Stein gebrauchend, wie der Rabe seiner Berge der den Geruch des Blutes wittert und mit raschem Flügelschlag schon nach dem Schuß krächzend herbeistreicht, setzt der kleine gewandte Bursch heran. Im Nu hat er dabei die Stelle gefunden wo das, noch einmal wenn auch vergebens seine letzten Kräfte anwendende Thier liegt. Büchse, Hut und Bergstock drückt er gleich darauf neben sich auf die Steine, das Messer fliegt aus der Scheide, und die sich krampfhaft streckende Beute stöhnt unter dem Gnadenstoß. Aber zu gleicher Zeit fast greift die eine Hand auch nach dem Bart des verendenden Bocks, zieht die langen, mit weißer Spitze versehenen Rückenhaare2 rasch und geschickt heraus, soweit sie sich zum Hutschmuck eben brauchen lassen, nimmt dann ein altes, schon mit früherem Schweiß beflecktes Stück Papier aus der Tasche, wickelt sie da sorgfältig hinein und birgt das in seiner Brusttasche. Jetzt erst geht er an das Geschäft des Aufbrechens, die Gemse dann später in dem rasch abgeworfenen Bergsack mit hinaus aus dem Graben zu nehmen.
Der Bursch da unten ist aber eine der interessantesten Persönlichkeiten unter sämmtlichen Jägern. Klein und fast schmächtig von Gestalt, aber trotzdem von zähem, nervigem Körperbau, munkelt man daß er früher, wie er jetzt Einer der besten, wenn nicht der beste Jäger des Reviers ist, auch Einer der berüchtigtsten Wildschützen gewesen sei. Jedenfalls kommt ihm keiner der Uebrigen gleich im Fallenstellen für alles mögliche Raubzeug, vom Jochgeier nieder bis zum kleinen Wiesel. Niemand lockt wie er Hasel-, Stein-, Schneehuhn und Birkwild, und fängt die Schnepfen und andere Strichvögel so geschickt in Schlingen. Auch Alles was man lebendig verlangt liefert er – wohl nicht gleich, denn solch Ding erfordert Zeit – aber mit der Zeit gewiß und sicher.
Wenn man von oben die kleine unansehnliche Gestalt betrachtet, kommt's Einem auch wohl unwahrscheinlich vor, daß das der grimmste und gefährlichste Feind sein sollte, den die schlauen und scheuen Thiere der Wildniß hier in den Bergen, in ihrem eigenen Reviere hätten; so wie er aber den Kopf nur umdreht glaubt man's ihm. Der ganze Schnitt des Gesichts ist schon dem Adler gleich, das Auge nicht groß aber lebendig und rastlos, nicht einen Moment an ein und derselben Stelle haftend. Die Augenbrauen sind dabei hoch heraufgezogen, und wie durch das stete Horchen und Wachen so stehn geblieben. Der kleine Ragg, wie er zum Unterschied von seinem Vetter, dem großen heißt, sieht aus, als ob er nicht einmal im Schlaf die Augen schlösse.
5.
Das Treiben am Joch
Mit dem Riegeln – wie diese Art Treiben genannt wird – ist's jetzt vorbei. Dort drüben pfeift noch einmal eine Gems, die wahrscheinlich den Wind von einem der andern Treiber bekommen. Platz genug hat sie indessen zur Flucht, und bringt sich auch rasch in Sicherheit. Wieder hinauf klettern wir jetzt, von dem schmalen Steinkamm bis hinüber zum Waldeshang, denn hinunter zur erlegten Gemse könnte wohl kaum eins der scheuen Thiere selbst, so schroff und jäh läuft da der Fels hinab. Ragg wird sie schon hinauf zum Sammelplatz schaffen.
Aber auch selbst das Aufklettern geht nicht so rasch, denn bist Du ein einziges Mal durch die Laatschen aufwärts gestiegen, Freund, dann weißt Du auch was das Ding zu sagen hat. Die zähen elastischen Zweige liegen alle nach unten, eine Strecke erst am Boden oder einen Fuß darüber hinlaufend, und dann wieder in die Höhe biegend, daß sie die Büschel an den Spitzen der Zweige gerade und aufrecht tragen. Ein in einander greifen sie dabei, und wenn auch die schlanke Gemse, die nur ihre Krickeln auf den Rücken zu legen hat, leicht hindurch schlüpft, bleibt doch der Jäger mit seiner Büchse über der Schulter, mit dem Bergstock in der Hand, mit Hut und Rock und Riemen alle Augenblick darin hängen, und abzubrechen ist fast gar kein Zweig. – Nur mit dem Messer gehauen oder eingeschnitten, knickt er augenblicklich ab. Noch schlimmer ist es dabei, wo dürre Aeste mit dazwischen liegen; ein Durchkommen wird da fast zur Unmöglichkeit, oder muß Zoll für Zoll erzwungen werden.
Und dennoch ist es, wenn nicht leichter, doch jedenfalls sicherer in den Laatschen auf, als abwärts zu klettern. Die zähen Büsche hängen über alle Abgründe weit hinaus, und wollte man rasch zwischen ihnen niedergleiten, da sich die weichen Zweige dem nach unten Hindurchdrängenden aus dem Wege biegen, wäre man jedem Augenblick der Gefahr ausgesetzt ganz gemüthlich vielleicht in eine fünf- bis sechshundert Fuß tiefe Schlucht hineinzufahren.
Als ich den Sammelplatz endlich erreichte hatten sich, den kleinen Ragg ausgenommen, der noch mit seinem Gemsbock irgendwo unten im Graben stak, schon sämmtliche Treiber um den Herrn versammelt.
Wie wundervoll die Wildniß um uns liegt. Dort drüben hebt der große Falke sein riesiges Haupt empor, während die gewaltigen Tannen an dem gegenüberliegenden Hang so niedrig aussehn wie kleine zierliche Büsche, und unter uns gähnt eine wilde Schlucht tief in den Graben nieder, der hier scharf und abschüssig viel hundert Fuß wohl jäh hinunter sinkt.
Auf einem Felsenvorsprung aber, der weit über den dunklen Abgrund hinausragt, die Büchse über der Schulter, den Bergstock in der Hand, steht unser Jagdherr, und neben ihm demonstrirend und erzählend der große Ragg, während sich Rainer etwas kleinlaut hinter diesen gedrückt hat.
Die anderen drei Jäger, von denen der eine den vom Herrn erlegten starken Bock im Bergsack trägt, stehen etwas weiter zurück.
»Und Ihr seht jetzt daß ich recht hatte,« sagt dieser; »die drei starken Rudel die von unten kamen, haben alle mit einander gar nicht daran gedacht bis zu mir herauf zu klettern, sondern sind, wie sie das jedesmal thun, seitwärts ausgebrochen. Haben Sie etwas geschossen?«
»Einen Bock« –
»Nun ja, ich auch einen, und die andern Freunde sind gar nicht zum Schuß gekommen, während wenigstens vierzig Gemsen in dem Treiben waren.«
Rainer spricht kein Wort, Ragg hingegen, der ganz ungleich seinem Vetter nie eine Gelegenheit vorüber gehn läßt seine Meinung, lebhaft dabei gesticulirend, zu sagen, will sich auf eine nähere Beschreibung des Treibens einlassen – es ist die Elster unter den Jägern. Diesmal aber wird er unterbrochen, das zweite Treiben rasch besprochen, und fort geht's wieder, die steilen Höhen hinan, ein Treiben an der Nordseite des Jochs, im sogenannten Ochsenthal zu machen, wo nur ein paar gezwungene Wechsel den Gemsen bleiben sich zu retten und die schützenden Dickichte wieder zu erreichen.
Ein wilder rauher Marsch war das jetzt den steilen Hang hinauf, bald in überbiegende Laatschen hinein, bald an steilem Felsgeröll emporklimmend. Einer hinter dem Anderen her, oder seitwärts auch ausbiegend, einen bequemeren Aufweg zu finden. Der Stock nützt dabei gar wenig, und ist oft nur im Weg; die Laatschenzweige sind dagegen treffliche Hülfen und oft, wenn ein lockerer Stein losbröckelt, schützt die rasch ergriffene Laatsche den Steigenden vor einen bald mehr bald weniger gefährlichen Fall. Unverdrossen aber, nur das eine Ziel, die Höhe im Auge, wird jede Schwierigkeit besiegt, und nach drei Viertelstunden schweren Steigens etwa haben wir endlich das ersehnte Joch erreicht.
Bald ist hier Alles besprochen, die Schützen sind vertheilt, die Treiber, die sich auf den kahlen Felsen an bestimmten Punkten nur zu zeigen, und ein paar Steine hinab zu werfen haben, sind abgegangen und Jeder hat sich, so gut das eben auf dem offenen Terrain gehen will, hinter irgend einen Felsblock, einen einzelnen Laatschenbusch, oder eine sonstige Erderhöhung gedrückt.
Da rasselt's da drüben an der Wand, Steine rollen und kleine dunkle Punkte, nicht größer wie Ameisen, springen blitzschnell über die lichten Wände hin.
Mit dem Fernrohr, nach Büchse und Bergstock das wichtigste Instrument für dem Gemsenjäger, suchen die Schützen indessen das Terrain, das sie übersehn können, ab. – Unerwartet kann ihnen überhaupt hier kein Wild kommen, denn der steinige, rauhe Boden verräth es schon aus größere Entfernung. Da drüben ist ein dunkler Punkt an der nämlichen Wand über der der erste Treiber sichtbar wurde – richtig es ist ein alter Bock, der sich hier unter einen Felsvorsprung gestellt hat, nach unten hin aufmerksam die springenden Gemsen betrachtet, nach oben ganz erstaunt hinauf horcht, woher auf einmal all die großen dicken Steine kommen, von denen er freilich, g'rad wo er steht, wenig zu fürchten hat.
Dort und da wird es jetzt lebendig. Ueber den tiefen Thalgrund des weiten Felsenkessels springt das stärkste Rudel grade dort hinauf, wo der fürstliche Jäger, die Büchse im Anschlag, fest hinter einen hohen Stein gedrückt steht. Näher und immer näher kommen sie hinan – der Wind schlägt auf und sie wittern nicht die Gefahr der sie sich nahen. Prachtvoll sieht es dabei aus, wie die dunklen schlanken Thiere an den lichtgrauen Steinwänden hin und aufwärts setzen. Jetzt bleibt die Leitgeis auf einer vorspringenden Zacke mit dicht zusammen geschobenen Schaalen stehn und sichert umher. – Aber nicht lange braucht sie nach der vermutheten Gefahr zu suchen – der Treiber dort oben auf dem nackten Joch schwenkt den Hut nach ihnen hinüber; seine ganze Gestalt zeichnet sich ihnen scharf und rein gegen den blauen Himmel ab, und fort stürmen sie wieder, geschützteren Platz zu erreichen und aus so gefährlicher Nähe zu kommen – die armen Dinger.
Jetzt setzen sie die Schlucht hinauf an dessen oberem Ende der Jagdherr steht – kaum fünfzig Schritt an ihm vorbei springt das Leitthier – hält einen Augenblick auf dem Kamm, sieht den neuen Feind, thut einen scharfen Pfiff und verschwindet an der andern Seite des Jochs. – Und kein Schuß? – noch eine Gems und noch eine folgen ihr und jetzt – eine kleine blaue Wolke steigt hinter dem Felsen auf – jetzt noch eine, und zwei Gemsen sind schon lange zusammengeknickt und von der steilen Höhe niedergerollt, als der dumpfe Knall der Büchse sich erst donnernd an den Wänden bricht, und in das Thal seine Schallwellen niederwälzt. – Wie die übrigen Thiere stutzen und schrecken – aber die Leitgeis ist voraus, der müssen sie folgen, und nach drängt deshalb, trotz dem Schuß, der ganze Trupp, nur einen scheuen Bogen um die gestürzten Kameraden beschreibend.
Wieder steigt in zwei kurzen Stößen der blaue drohende Dampf empor, und wieder taumelt eine Gemse. Wild vorbei stürmen die entsetzten Thiere. Aber noch ist der Donner nicht verhallt als auf's Neue die tödtliche Kugel ihr Opfer sucht.
Sechsmal hat es aus den drei Doppelbüchsen gesprochen und drei Gemsen liegen verendet auf dem Platz und schwer verwundet schleppten sich zwei andere noch über das Joch hinüber, davon eine der Hund nach kurzer Suche in einem Laatschenbusche antrifft und niederreißt. Die andere ward später verendet gefunden.
Die übrigen Rudel brachen zwischen den Treibern durch, und nur der eine alte Bock war halsstarrig in seinem wohlversteckten Platz stehn geblieben, bis die Jäger ihn längst passirt hatten. Dann drehte er sich um und verschwand plötzlich in einer der zahlreichen Spalten, wie in die Wand hinein.
Und nun der fröhliche Heimzug von der Jagd! Rasch sammeln sich die Jäger, guter Dinge daß der mühselige »Trieb« gelungen; brechen das erlegte Wild auf, und werfen es aus, thun sorgfältig das gesammelte Feist wieder hinein, packen die Gemsen in ihre Bergsäcke, und heimwärts geht es jetzt, am Rücken des Jochs auf einem ziemlich guten Pirschweg hin.
Ihr Tagewerk war aber auch kein leichtes, und wer ihnen zusieht wie sie an den steilen Wänden hinlaufen, oft über Abgründen hängen wo der geringste falsche Tritt sie rettungslos in die Tiefe schickte – denn ein Anklammern wäre da nicht mehr möglich – wie sie jetzt im Schweiß ihres Angesichts durch ein Laatschendickicht arbeiten, jetzt über das Geröll einer Reißen klettern und immer munter, immer vergnügt dabei, der muß die Leute wahrlich bewundern. Und trotz den oft furchtbaren, jedenfalls höchst mühseligen Wegen die sie zu steigen haben, achten sie nicht blos auf ihren schmalen Pfad, nicht blos auf das Wild, das sie dort losgehen sollen, nein ihr Auge späht zugleich, sorglos um die Gefahr die sie umgiebt, nach dem spärlich, und nur an den wildesten rauhsten Stellen wachsenden Edelweiß, nach einer einzelnen, vom Sommer übrig gebliebenen Scabiosa, nach einem tiefblauen Enzian oder einer in dieser Jahreszeit sehr seltenen Alpenrose, mit diesen Blüthen, neben Spielhahnfedern und Gemsbart ihren Hut zu schmücken.
Der Bruch von einer Laatsche an Mütze oder Hut ist heute das Siegeszeichen der gelungenen Jagd, und das Behagen erreicht den höchsten Grad, wenn Abends die erlegten Gemsen am Pirschhaus oder der Almhütte mit den Krickeln oben am Dach eingehakt zur Zierde, als ebensoviel wohlerworbene Trophäen hängen.
6.
Die Pirsche
So prachtvoll eine solche Treibjagd ist, besonders wenn man von irgend einer vorspringenden Stelle aus den größten Theil derselben mit dem darin aufgescheuchten Wilde übersehen kann, soviel interessanter ist die Pirsche. Bei dem Treiben ist der Jäger vom Wild abhängig, ob es ihn gerade annehmen will, und darf seinen Stand nicht verlassen, den ganzen »Bogen« nicht zu stören. Bei der Pirsche sucht er selber das Wild auf, und es hängt dann, allerdings neben vielem Glück, doch auch viel von seiner eigenen Geschicklichkeit und Umsicht ab, ob er zum Schuß kommen wird oder nicht. Hier in den Bergen ist die Pirsche freilich weit beschwerlicher, und in mancher Hinsicht auch gefährlicher, als im Walde unten, denn die alten Gemsböcke suchen sich am allerliebsten die rauhsten Wände in den Klammen aus, in die sie sich hineinstellen, und von wo aus sie eine weite Strecke überschauen können – und dort muß sie der Jäger finden und beschleichen.
Für den Wildstand selber ist aber, besonders wenn eine gewisse Anzahl Gemsen abgeschossen werden soll, das Treiben weit besser als das öftere Pirschen. Beim Treiben wird ein Revier einmal durchgegangen, und hat dann Ruhe – kehrt die aufgescheuchte Gemse nach einigen Tagen auf ihren Stand zurück, so findet sie denselben gewohnten Frieden und bleibt. Wird dagegen oft durch ein und denselben Platz gepirscht, so verjagt der Jäger, wenn er selber auch vielleicht gar Nichts oder nur wenige Stück zu sehn bekommt, und scheinbar ganz unbemerkt den Berg durchschlichen hat, doch viel Wild. Was den Wind von ihm bekommt flieht fast noch ängstlicher, als was ihn selber sieht, und einen schärferen Geruchssinn als die Gemse, hat wohl kein Säugethier weiter auf Erden, möge es, welcher Gattung es wolle angehören.
Beim Pirschen hängt das Meiste davon ab früh aufzubrechen. Die Gemse, ziemlich wie anderes Wild, äst sich Morgens von Tagesanbruch bis etwa um acht oder neun Uhr, und thut sich dann bis ziemlich genau um zwei Uhr nieder. Zu dieser Zeit steht sie wieder auf, beginnt aber erst gegen Abend recht lebendig zu werden.
In der Brunftzeit, die bei kalter Witterung schon gegen Ende Oktober, bei warmer erst mit dem Monat November beginnt, läuft der Bock allerdings den ganzen Tag herum, äst sich dann aber nur sehr wenig und paßt außerordentlich auf.
Beim Pirschen ist es nun allerdings stets und unter jeder Bedingung am besten, ganz allein zu sein. Ein Mann macht schon überdies beim Anschleichen Geräusch genug, und zwei verderben oft die Jagd. In den Alpen aber und auf vollkommen fremdem Revier, noch dazu für den Fall daß etwas erlegt oder angeschossen wird, bleibt ein Begleiter ein nothwendiges Uebel. – Und doch ist es auch wieder eine eigene Lust mit einem solchen Tyroler Gemsjäger im stillen Wald, in den wilden Bergen pirschen zu gehen.
Diese vor allen anderen sind auch die einzigen und ächten deutschen Indianer, – nur daß sie Schuh und Kleider tragen. Abgehärtet gegen Frost und Hitze, wie nur ein Wilder sein kann, mäßig in ihrer Lebensart bis zum Aeußersten, einfach in ihren Sitten, leidenschaftlich ihrer Jagd ergeben und darin Meister – was um Gottes Willen könnte man von einem wirklichen Indianer mehr verlangen. Auch ihre Farbe ist nicht viel, wenn überhaupt, lichter, als die einiger Stämme der Südsee, und was ihre Sinne betrifft, so haben sie jene Wilden schwerlich schärfer. Nur im Anschleichen könnten sie von ihnen lernen.
Wie der Pfeil vom Bogen, und dabei geräuschlos wie die Nachteule auf ihre Beute stößt, gleitet der Indianer, jeden nur irgend möglichen Vortheil des Terrains benutzend über den Boden hin. Der Bergbewohner ist plumper – er tritt fester auf und sein Schritt, auch wenn er sich noch so viele Mühe giebt leise zu gehen, ist dennoch schwer. Natürlich tragen da die schweren, eisenbeschlagenen Schuhe das Ihrige dazu bei. Aber eine Wonne ist es, zu sehn wie so ein Gemsjäger den Wind nimmt, wie sein Blick gleichzeitig über jede Blöße an den Hängen als auch über den Boden schweift die Fährten zu beachten; mit welcher Aufmerksamkeit er dabei jedem Geräusch horcht und wie er, mit einem Worte, so ganz Jäger ist. Jede Bewegung an ihm ist Natur, und wie der Adler oben in seinem Element auf ruhendem Fittig kreist, wie der Fisch im Wasser schwimmt, wie das Reh zierlich und leicht durch den Wald tritt, so leicht und unbehindert, so ganz in ihrem Element, steigen dieses Kinder der Berge Fels auf und ab, über schräg wegsinkende Lannen, über bröckelndes Gestein, immer mehr um sich nach Wild, als auf ihren gefährlichen Pfad schauend.
Aber jetzt fort, drüben die hohen Joche, wenn auch im Thal unten noch dunkle Nacht liegt, zeigen schon den dämmernden Morgen, und kalt und frostig zieht uns der erste Sonnengruß durch die Glieder. – Sonderbar ist es in der Natur, daß vor dem warmen Licht der Sonne die Luft erst noch einmal recht kalt, daß vor dem dämmernden Tag die Nacht erst noch einmal recht dunkel wird.
Unseren Pfad können wir jedoch schon erkennen – ein guter Pirschsteig läuft am Hange hin, und gerade mit Büchsenlicht kommen wir dann an die besten Stellen im Revier – zu früh kann man da fast gar nicht aufbrechen.
Mein Begleiter ist diesmal – den ich schon früher erwähnt habe – die Elster unter den Jägern: der große Ragg. – Er spricht allerdings viel – wenn man ihn läßt; aber was sein »Handwerk« angeht, wird er darin vielleicht nur von seinem Vetter übertroffen. Wo übrigens nicht gesprochen werden darf, weiß er auch recht gut zu schweigen und vielleicht nur in dem ernsten stillen Wesen der übrigen Bergjäger scheint das bei ihm Schwatzhaftigkeit, was man im flachen Lande gar nicht bemerken würde. Die Berge sind in der That nicht der Ort zum Sprechen. Die stille Ruhe um uns her fordert zu gleichem Schweigen auf, und jedes, selbst geflüsterte Wort, scheint den heiligen Frieden dieser Wildniß zu stören.
Und hier ist wirklich noch Wildniß, denn Urwald umgiebt uns in all seiner einsamen Pracht. Kein Holz wird hier geschlagen; der alte morsche Baum bricht über seiner Wurzel zusammen und fault wo er gewachsen und gestanden. Wo der Föhn oftmals ganze Strecken dieser vielarmigen Waldriesen niedergestreut, liegen sie toll und bunt über einander hin gesäet, und was eben wachsen will und kann, bricht sich zwischen ihnen hinaus die junge Bahn.
Aber der umgestürzte Baum hat für uns in diesem Augenblick nur insofern Interesse, als er mit seinem dichten Wipfel vielleicht eine sich dahinter äsende Gemse deckt. – Jeder Stein wird mistrauisch betrachtet, jedes raschelnde Laub bannt den Horchenden an die Stelle, und erst dann schleicht er weiter, wenn er sich überzeugt hat daß kein Wild Ursache des Geräusches war. Wie ein paar Verbrecher, mit dem erbärmlichsten Gewissen von der Welt, vor jedem fallenden Blatt erschreckend, vorsichtig und ängstlich nach dem geringsten fremden Ton hinüber horchend, schleichen wir so dahin – langsam mit dem umgedrehten Bergstock nieder fühlend, daß er keinen unzeitigen Lärm mache, sorgfältig den eisenbeschlagenen Schuh auf das Geröll im Pfad niedersetzend und jeden dürren Zweig, jedes gelbe Blatt dabei vermeidend – sind es doch lauter Verräther, und nur zu rasch geneigt ihren alten Bekannten und Freunden, dem scheuen Wild, Nachricht zu geben daß Jemand naht, der da nicht hingehört.
So ein dürrer Zweig ist auch wirklich oftmals schlimmer als ein Telegraphendraht. Er knickt unter dem ungeschickten Fuß – der Jäger bleibt erschrocken stehn und wagt sich nicht zu rühren – aber das Unglück ist schon geschehn. Ein Alt-Thier vielleicht, mit dem man gar nichts zu thun haben will, das aber hinter einem Dickicht irgendwo gestanden, hört das fatale Geräusch und wird aufmerksam. Sehn kann es dabei Nichts, aber der Verdacht ist einmal gefaßt – vielleicht trägt gerade jetzt auch ein sehr unnützer Windzug die Witterung dort hinüber, und schreckend, mit Tönen die man über eine halbe Stunde weit hört, setzt es den steilen Hang hinab, und macht den ganzen weiten Berg rege. An Pirschen ist in der Gegend dann weiter gar nicht zu denken.
Aber wir ziehen vorwärts. – Da drüben zeigen sich die nackten Felsen einer weitausgebrochenen Klamm, und dort stellen sich die Gemsen am liebsten ein. Zwischen dem Geröll wächst spärliches, aber sehr süßes Gras, und ziemlich offenen Raum haben sie zugleich, nach oben und unten auszuschauen. Besonders sind diese Klammen ein Lieblingsplatz der alten Böcke, und denen stellt man ja auch vor Allen nach.
Hier ist aber eine Hauptsache der Wind. Wenn dieser auf jeder Jagd eine sehr bedeutende Rolle spielt, und bei Treibjagen wie Pirsche stets darauf Rücksicht genommen werden muß, da man das Wild mit dem Wind nun einmal nicht beschleichen kann, so ist das noch viel mehr auf der Gemsjagd der Fall. Man hat es hier nämlich nicht allein mit einem Wild zu thun, dem an Geruchssinn kein anderes gleich kommt, sondern die Gebirge selber haben in ihren Luftströmungen so viele Eigenheiten, daß der mit ihnen nicht betraute Jäger nur wirklich zufällig einmal ein Stück zum Schuß bekommen würde.
Ziemlich regelmäßige Luftströmungen sind thalauf und thalab, Seitenwinde finden fast nie, oder nur höchst selten statt. Im Schatten zieht dabei der Wind stets nieder; in der Sonne aufwärts, und zwar aus sehr natürlichen Gründen: die von der Sonne erwärmte Luft strebt nach oben, die kältere drängt sich ins Thal hinab. Ehe die Sonne über die Berge steigt, und auf den Hängen, die sie nicht bestreicht, oder nicht erreicht hat, zieht deshalb die Luft stets bergab, und oben an einem Joch hingehend, würde man wenig oder gar Nichts zu Schuß bekommen. Man muß sich deshalb tiefer halten, nach aufwärts sehn zu können, und was oben steht, kann man dann auch leicht beschleichen – ist wenigstens sicher daß man den Wind von dort herunter bekommt. Steigt dann die Sonne, nimmt man den Rückweg oben hin, und hat denselben Vortheil wie vorher.
Beim Treiben läßt sich diese Eigenschaft besonders gut benutzen, da man im Stande ist sich den Wind auszusuchen, je nachdem man in eine kühle schattige Schlucht, oder auf den sonnenbeschienenen Rücken irgend eines Felsens tritt.
Da es noch früh am Morgen und kühl und frisch war, wo der Wind natürlich scharf nach unten zog, hielten wir uns ziemlich tief, verließen, sobald es nur ordentlich hell im Wald geworden, den Pirschpfad und kletterten vorsichtig den grasigen mit Kiefern und Krummföhren überwachsenen Hang hinab.
Wie das so still im Walde war – weit von drüben herüber, von der andern Seite des Rißthales klang der tiefe Schrei eines Brunfthirsches her – sonst fast kein Laut. – Doch halt ja – dort oben wo jene schmale Felsenwand so hoch emporstieg und mit ihren grauen Seiten durch die Bäume schimmert, balzte ein Birk- oder Spielhahn mit weichen, melodischen Kullern – aber die Jäger hören das zu dieser Jahreszeit nicht gern, denn es soll schlechtes Wetter deuten.
Jetzt haben wir beinah die Klamm erreicht, Ragg wird immer ängstlicher im Gehen, und jeder Schritt weiter zeigt auch schon mehr und mehr die helleren Felsen, die übereinander geschichtet und aus gewaltigen Blöcken bestehend, bis fast oben unter das Joch hinauf ragen. Längst schon haben wir den Pirschweg verlassen, und steigen lautlos nebeneinander hin, Jeder vollauf damit beschäftigt den Ort auszusuchen wohin er den Fuß geräuschlos setzen kann, und hat er den gefunden, einen raschen forschenden Blick umher zu werfen. Da plötzlich packt er meinen linken Arm und die vorsichtig und langsam ausgestreckte Hand deutet nach vorn. Der Richtung zu liegt dort ein dichter Laatschenbusch und der eine Zweig – wahrhaftig da drin steht irgend ein Stück Wild, was es auch sei – der eine Zweig bewegte sich, als ob irgend etwas Schweres dagegen drückte. Was für Wild, war natürlich noch nicht zu erkennen.
Leider lag der Busch etwas unter uns, und links abbiegend, von unten herauf dahin zu kommen, krochen wir jetzt mehr als wir gingen der Stelle zu. Die Gegend dort war wie gemacht zum Anpirschen, und lockere Felsblöcke, und umgestürzte, halb verdorrte Stämme bildeten ebensoviele Schutzwehren für den anschleichenden Jäger. Vorsichtig benutzte ich auch das Terrain nach besten Kräften, und leise, nachdem ich vielleicht zwanzig Schritt auf den Knieen gekrochen war einen schräg auflaufenden Fels zu erreichen, hob ich langsam den Kopf und sah hinüber.
»Mord!« war der mehr gedachte als gemurmelte Fluch, als ich mich plötzlich einem starken Spießhirsch auf kaum vierzig Schritte gegenüber sah, der sich hier so ruhig äste, als ob nicht ein scharfgeladenes Rohr hinter dem nächsten Steine lauerte, und sein leckeres Mahl hätte bös versalzen können. Aber Hirsche wurden natürlich in dieser Jahreszeit nicht geschossen und der übrigens ziemlich stark und feist aussehende Bursche hätte uns die ganze Jagd verderben können.
Vorsichtig vor allen Dingen wieder hinter meinen Stein zurückkriechend, telegraphirte ich dem mir aufmerksam zuschauenden Ragg die unangenehme Botschaft hinunter, und dieser kam jetzt langsam heraufgeschlichen. – Was nun thun? Zeigten wir uns, so brach der derbe Bursche hier ganz in der Nähe der Klamm durch das Dickicht, und wenn er nicht einmal schreckte, warnte er doch jedenfalls alle dort herum stehenden Gemsen, und verdarb uns die Jagd. Es blieb uns nichts anders übrig als ihm aus dem Weg zu gehn, und mit einer Aufmerksamkeit und zarten Rücksicht für seine Ruhe und ungestörte Mahlzeit die ihn hätte innig rühren müssen, wenn es ihm nur verstattet gewesen wäre uns zu beobachten, krochen wir jetzt zurück wie wir hinaufgeschlichen, tiefer hinab ihm aus den Weg zu kommen.
Das gelang auch vollkommen und etwa vier- oder fünfhundert Schritt tiefer unten näherten wir uns endlich dem wirklichen Rand der Klamm, der gerade an dieser Stelle von einem mit Laatschen bewachsenen Felsenvorsprung überhangen wurde.
Zum Abäugen gab es keinen bessern Platz, und vorsichtig krochen wir, die Hüte und Stöcke abgelegt, ich nur mit der Büchse im Anschlag hinaus, die untere Schlucht von hier zu übersehen.
Dort stand ein Bock – da drüben an der Wand, gleich unter ein paar kleinen mit gelbem Laub noch spärlich bedeckten Espen. Das wenige Gras abäsend, das in der Spitze von zwei dort von verschiedenen Seiten niederspringenden Bächen wuchs, ging er langsam umher, vorsichtig dabei oben hinauf windend, und den Blick zugleich, mit dem halb schräg gedrehten Kopf, nach der Tiefe drehend. Aber er schien das mehr aus alter Gewohnheit zu thun, als daß er wirklich eine Gefahr gefürchtet hätte. Der Morgen war so still, die Schlucht lag so ruhig, und so lange hatte Nichts den Frieden hier gestört – armer Bock – es geht uns Menschen eben so. Die Gefahr naht gerade da am liebsten, wo wir sie am allerwenigsten erwarten, und gut für uns dann, wenn sie uns gerüstet findet.