Sadece LitRes`te okuyun

Kitap dosya olarak indirilemez ancak uygulamamız üzerinden veya online olarak web sitemizden okunabilir.

Kitabı oku: «Eine Mutter», sayfa 33

Yazı tipi:

Ihre Verbindlichkeiten hier waren jetzt bald abgemacht und geordnet. Das Wetter hatte sich auch gebessert; der Frühling zog siegreich in das Land, und Schnee und Eis schmolz vor seinem warmen Hauch und die Haselbüsche trugen schon ihre Schäfchen. Schneeglöckchen und Himmelsschlüssel fingen an auszukeimen und die Saaten deckte frisches Grün.

Jeremias fuhr selber nach der Stadt hinüber und besorgte einen guten und verschlossenen Wagen. Fest in Tücher und Decken eingepackt, wurde dann die Kranke dort hinein gehoben und hinüber geschafft, und mit dem Schnellzug erreichten sie Prag in kurzer Zeit.

Paula hatte nicht einmal gefragt, wohin man sie führe, denn wenn sich ihr Körper auch unter der guten und sorgsamen Pflege auffällig kräftigte und erholte, ihr Geist blieb noch immer gedrückt, und scheu und zitternd schmiegte sie sich an Helene an, wenn ihr Fremde nahten. Selbst vor Rottack hatte sie im Anfang Furcht, und nur auf Jeremias' Züge, so flüchtig sie ihn bei jenem ersten furchtbaren Begegnen gesehen, schien sie sich zu erinnern und bot ihm die Hand, als er zum ersten Mal zu ihr in's Zimmer trat.

Rottacks selber aber waren noch unschlüssig, wohin sie Paula führen sollten. Nach Haßburg? – jeder Versuch, mit der stolzen, hartherzigen Gräfin von Monford anzuknüpfen, war vergebens gewesen – und sie hier allein lassen?

Rottack selber wollte Haßburg wieder verlassen, sobald er dort seine Angelegenheiten nur einigermaßen ordnen konnte, aber das war nicht in zwei oder drei Tagen abgemacht und verlangte vielleicht eben so viele Wochen, und so lange konnte er die noch immer kranke Paula nicht mit seiner Frau allein lassen. Es war deshalb das Beste, er nahm sie, bis er seine Übersiedelung selber geordnet hatte, mit nach Haßburg in sein eigenes Haus. Niemand brauchte deshalb zu wissen, wen er beherberge. Die Hoffnung, sie mit ihren Eltern auszusöhnen, hatte er freilich längst aufgegeben; aber er war fest entschlossen, Paula nicht mehr von sich zu lassen, und da seiner armen Helene die Liebe der Mutter versagt worden, so hoffte er, daß sie in der Liebe der Schwester ihren Frieden wiederfinden würde.

Jeremias hatte sich übrigens jetzt dahin entschieden, voraus zu reisen, denn hier in Prag konnte er ja doch nichts mehr nützen, und es drängte ihn, seine eigenen Angelegenheiten daheim in Ordnung zu bringen.

Vorher mußte er aber noch eine Pflicht der Dankbarkeit abmachen, zu der ihn Rottack selbst drängte. Diesem hatte er nämlich gesagt, daß er einzig und allein durch den Souffleur, Mauser – der Graf mußte sich ja doch an den Türken erinnern, der so unbändig schrie – auf die Spur gekommen sei, und Rottack zwang ihm nun unter jeder Bedingung zehn Louisd'or auf, die er dem Manne für seine Kunde geben sollte.

Daß es Mauser sehr gut brauchen konnte, wußte Jeremias, das war in seinem ganzen Wesen unverkennbar, und verdient hatte er es auch, denn ohne ihn wäre die ganze Reise umsonst gewesen und die arme Paula wahrscheinlich in Noth und Elend »verdorben und gestorben«. Jeremias suchte ihn deshalb auf, und wenn er auch das bezeichnete Haus mit Leichtigkeit fand, hatte es doch seine Schwierigkeiten, bis er die fünf steilen Treppen emporkletterte, über denen der Souffleur – noch immer in dem nämlichen ungewaschenen Schlafrock und mit demselben Fez auf, thronte.

Mauser erhob übrigens, als er ihn erblickte, ein solches Freudengeschrei, daß die Leute aus der Etage unter ihm herausstürzten, weil sie glaubten, es wäre Jemandem ein Unglück begegnet.

Jeremias mußte jetzt erzählen, aber er that das nur in aller Kürze, denn er selber war mit seiner Zeit gedrängt; wie er aber zuletzt, im Namen des Grafen Rottack, die zehn Louisd'or aus der Tasche nahm und auf den Tisch legte, stand der Souffleur starr vor Schreck und Staunen. Er wollte es erst gar nicht glauben, daß sie sein Eigenthum sein sollten, blos dafür, daß er einen Abend mit »Stelzhammer gekneipt«. Als es ihm dieser aber wieder und wieder versicherte und er sie in die Hand genommen und gewogen, und wieder auf den Tisch gelegt und sich noch einmal hatte bestätigen lassen, daß das fortan sein Eigenthum sei, da kannte seine Ausgelassenheit keine Grenzen.

Wie ein Rasender sprang er in der Stube herum, den Fez schleuderte er in die Ecke, ein Pantoffel flog da, einer dorthin, und das Haus dröhnte von seinen Jubelrufen, die dem Kriegsgeheul der Indianer nicht unähnlich waren.

Jeremias beruhigte ihn nur mit der größten Mühe, und als er sich endlich zufrieden gab, wollte er absolut in seine Kleider fahren, um mit seinem kleinen Wohlthäter, heute natürlich auf eigene Kosten, auszuprobiren, wo der beste Wein sei. Jeremias wußte aber recht gut, daß er ihn dann den ganzen Tag nicht wieder los würde, versprach ihm deshalb, wenn er es irgend möglich machen könne, in einer Stunde etwa wieder herauf zu kommen und ihn abzuholen, und eilte dann in das Hotel zurück, um von Rottacks Abschied zu nehmen.

In derselben Zeit, in der Mauser oben in seinem Zimmer fertig angezogen und mit einem schmählichen Durst saß und auf ihn wartete, fuhr Jeremias auf den Bahnhof hinaus und eine halbe Stunde später gen Haßburg.

33.
Die Werbung

Jeremias hatte schon von dem böhmischen Dorf aus, wie er nur etwa die ungefähre Zeit seiner Rückkehr bestimmen konnte, nach Hause geschrieben, und lauter Jubel empfing ihn hier, denn Rebe war in der Zeit nicht müßig gewesen.

Director Krüger hatte seinen Contract contrasignirt, und wie er selber der Liebling des Publikums geworden, besserten sich auch seine pecuniären Verhältnisse.

In den vergangenen Monaten, wo er fast noch sparsamer gelebt als je, kaufte er von der jetzt ziemlich hohen Gage nach und nach, was er in der Wirthschaft brauchte. Jettchen's Aussteuer war ja schon von dem Vater reichlich bedacht worden, und Alles jetzt bereit, um die Trauung in der nächsten Zeit zu vollziehen. An demselben Sonntag, an dem Jeremias von seiner Reise zurückkehrte, wurden sie zum ersten Mal aufgeboten, und Jettchen fühlte sich selig in dem Gedanken, nun bald nicht mehr allein zu stehen und dem Geliebten ganz anzugehören.

So eifrig das Jeremias früher auch selber betrieben hatte, so niedergeschlagen zeigte er sich aber jetzt. Sein ganzer Humor schien ihn verlassen zu haben, und wenn er sich auch fast noch herzlicher und theilnehmender gegen Alle benahm, als bisher, so lag doch jedenfalls etwas auf seiner Seele, das er Niemandem anvertrauen mochte.

Anfangs drang Pfeffer in ihn, ihm zu sagen, was ihn drücke. Geldsorgen konnten das nicht sein, denn er schleppte Geschenke nach Geschenken für Jettchen in's Haus – aber was dann? Jeremias wich indeß allen Fragen aus, und man mußte ihn endlich seinen Weg gehen lassen.

So war die Zeit immer mehr herangerückt. Es war Freitag geworden, am Sonntag wurden die Brautleute zum letzten Mal aufgeboten und Montag sollte die Hochzeit sein.

Jeremias hatte bei Pfeffers zu Mittag gegessen, aber fast kein Wort dabei gesprochen. Nach dem Essen saß er auf dem Stuhl am Fenster, und Jettchen war gerade hinausgegangen, um den Kaffee herein zu holen.

»Was siehst Du mich so sonderbar an, Jeremias?« sagte Auguste. »Ich weiß gar nicht, wie Du heute bist.«

»Ich freue mich,« erwiderte der kleine Mann, aber mit ganz wehmüthiger Stimme, »daß es Dir wieder so gut geht, Auguste. Du hast Dich in der Zeit, wo wir in Böhmen steckten, merkwürdig erholt.«

»Wenn wir nur erst einmal herausbekommen könnten, was Sie in Böhmen gemacht haben,« rief Fräulein Bassini.

»Wahrscheinlich,« meinte Pfeffer, »wird's nicht die ganze Stadt wissen sollen, und deshalb erfährst Du's nicht.«

»Als ob ich nicht schweigen könnte!«

»So lange Du nichts weißt, gewiß. Aber 's ist wahr, die Guste hat sich merkwürdig in der Zeit erholt; das dank' ihr aber der Teufel, keine Sorgen mehr, gute Pflege – das schlägt an!«

Jeremias nickte freundlich. »Ja,« sagte er, »und ich kann Euch jetzt mit gutem Gewissen verlassen, denn für das Jettchen ist ja auch gesorgt.«

»Verlassen?« rief die Frau rasch. »Und willst Du wirklich wieder fort?«

»Ich muß, Auguste,« sagte der kleine Mann traurig. »Sieh, ich habe noch so viel da drüben zu besorgen, eine Menge Land, Colonien, die jetzt in fremden Händen sind und verwahrlost werden, wenn man nicht den Leuten dann und wann auf die Finger sieht. Auch Geld hab' ich noch drüben ausstehen, was ich nicht gern einbüßen möchte, und von dem Verkauf des Hotels weiß ich auch nicht einmal, ob die Raten alle richtig eingezahlt sind.«

»Hm,« brummte Pfeffer und schritt, den blauen Qualm ausblasend, in der Stube nachdenkend auf und ab. Aber Auguste sagte kein Wort; sie sah still und traurig vor sich nieder und seufzte tief auf.

»Und wann willst Du wieder fort, Jeremias?« fragte sie endlich so leise, daß er die Worte kaum verstehen konnte.

»Gleich nach der Hochzeit,« lautete die Antwort; »der Dampfer geht, glaub' ich, am Dreizehnten oder Fünfzehnten, und ich möchte noch ein paar Tage in Bordeaux bleiben, um dort Manches einzukaufen.«

»Der Vater will fort?« rief Jettchen erschreckt, die eben den Kaffee gebracht und die letzten Worte gehört hatte. »Um Gottes willen, nein, Vater, Du darfst uns jetzt nicht wieder verlassen!«

»Es muß sein, liebes Herz,« sagte der kleine Mann gerührt, während sie ihre Arme um ihn schlang, »es muß sein; gern thu' ich's ja auch nicht, das darfst Du mir wohl glauben, und ich – ich komme auch wohl bald wieder zurück, sobald ich mich losmachen kann drüben. Wo ist denn der Rebe eigentlich hin?«

»Er hatte etwas wegen seines Anzuges für morgen zu bestellen,« sagte Fräulein Bassini; »er muß gleich wiederkommen.«

»Und wie traurig wird Horatius sein,« sagte Jettchen, »wenn Du uns so bald wieder verläßt und Dich gar nicht mehr an unserem Glücke freust! Jetzt ist mir der ganze frohe Tag verdorben, denn ich werde ja doch nur immer an den Abschied denken.«

»Ich wollte Euch eigentlich gar nichts davon sagen,« bemerkte Jeremias kleinlaut, »bis dicht vor dem Abschied, aber es ging doch nicht an; es ist doch noch so Manches zu besprechen, und da – da bleibt's immer besser, man weiß es eine Weile vorher, daß man sich danach richten kann.«

»Und kannst Du die Geschichte da drüben denn gar nicht durch jemand Anders besorgen lassen?« fragte Pfeffer noch einmal, indem er vor ihm stehen blieb. »Du sagtest doch früher, Du hättest einen zuverlässigen Mann drüben.«

»Es geht nicht, Kinder, es muß sein,« schüttelte Jeremias mit dem Kopf; »'s thut mir selber leid genug, aber läßt sich eben nicht ändern, und, Du lieber Gott, das junge Volk braucht mich ja auch nicht mehr, die haben jetzt genug mit einander zu thun.«

»Und wir Alten?« sagte Pfeffer.

»Na, ich – ich hab' Euch ja doch jetzt einmal wieder gesehen und weiß, daß es Euch gut geht, und alles Andere – aber da kommt Rebe,« unterbrach er sich rasch, indem er seinen Hut nahm; »sagt's ihm nachher, wenn ich weg bin, ich möchte die Geschichte nicht noch einmal durcharbeiten. »Nun, wo haben Sie gesteckt, Rebe?« fragte er diesen, als er vor der Thür an ihm vorbei wollte. »Jettchen hat sich schon gesorgt, daß der Kaffee kalt würde.«

»Sie wollen fort?«

»Ich komme nachher wieder.«

»Dann gehen Sie doch einmal bei Rottacks vorbei, Herr Stelzhammer. Er begegnete mir vorhin auf der Straße und bat mich, Ihnen das auszurichten.«

»Sie sind zurück?«

»Seit heute früh. Eben ist auch die Nachricht eingetroffen, daß in dieser Nacht der alte Graf Monford gestorben sei; da draußen ist's jetzt recht öde geworden.«

»Du lieber Gott,« seufzte Jeremias, »also doch noch! Ja, da will ich gleich zu Rottacks gehen.«

Und Rebe freundlich zunickend, schritt er an ihm vorüber aus der Thür und die Treppe hinab.

Es war ihm recht weh und weich zu Sinn, aber die Anderen durften ja doch nichts davon merken, und sich tüchtig zusammennehmend, schritt er den kurzen Weg hinüber nach Rottack's Haus, wo er auf das Herzlichste begrüßt wurde. Er fand dort auch zu seiner Freude, daß sich Paula wieder so weit erholt hatte, um die Reise ungefährdet fortsetzen zu können. Nicht einmal die Dienerschaft im Hause wußte aber, wer die junge Fremde sei, die krank und verschleiert angekommen, und jede Möglichkeit eines Ausplauderns war dadurch abgeschnitten.

Jeremias wunderte sich freilich manchmal im Stillen, weshalb gerade Rottacks ein so aufopferndes Interesse an der jungen unglücklichen Comtesse nahmen, aber seine eigenen Pläne beschäftigten ihn doch auch zu sehr, um lange darüber nachzudenken, und danach gefragt hätte er überdies nie; was kümmerte das auch ihn, und er hatte Rottacks viel zu lieb, als ihnen einen andern Beweggrund zuzuschreiben, wie aufopfernde Freundschaft.

Dem jungen Grafen Rottack – Helene war bei der Kranken in ihrem eigenen Zimmer – entging aber dagegen nicht die auffallend gedrückte Stimmung seines kleinen Freundes, denn eine solche augenscheinliche Schwermuth war er nicht an ihm gewohnt. Er fragte ihn deshalb direct um die Ursache, und Jeremias gestand ihm denn nach einigem Zögern endlich mit einem gewaltsam heraufgezwungenen Humor, daß er wieder nach »Brumsilien« zurück wolle, um dort nach seinem Eigenthum zu sehen, und daß es ihm schwer werde, jetzt von hier fortzugehen.

»Aber haben Sie mir denn nicht selber gesagt,« fragte der junge Graf, »daß Ihnen Rohrland in Santa Clara Alles besorgt und daß Sie dem das Ganze übergeben hätten? Auf Rohrland können Sie sich doch fest verlassen.«

»Felsenfest,« bestätigte Jeremias, »besser als auf mich selber.«

»Und weshalb da die Reise, wenn Sie nicht gern gehen?«

»Herr Graf,« sagte Jeremias entschlossen und sah sich vorher wie scheu im Zimmer um, ob sie auch ganz allein wären, »ich – ich will Ihnen reinen Wein einschenken; ich muß Jemanden haben, mit dem ich einmal offen sprechen kann, es drückt mir sonst wahrhaftig das Herz ab.«

»Und daß Sie Keinen haben, Jeremias, der wärmeren Antheil an Ihnen nimmt, wissen Sie doch,« sagte der junge Graf herzlich. »Kann ich Ihnen mit etwas helfen, so reden Sie frei. Haben Sie vielleicht zu viel Ausgaben gehabt und brauchen Sie Geld? Heraus mit der Sprache, offen und ehrlich! Ich bin reich, und wo ich Ihnen helfen kann…«

Jeremias schüttelte den Kopf. »Das wär's nicht,« sagte er mit einer komischen Verlegenheit, »Geld wär' da, und wie ich zurückkam, fand ich sogar wieder einen Wechsel von Rohrland vor; ich habe mehr als ich brauche, oder doch vollkommen genug.«

»Aber was, um Gottes willen, kann Sie sonst so niederdrücken? Ihr Lieblingswunsch, die Verheirathung Ihrer Tochter mit dem jungen Rebe, ist seiner Verwirklichung nahe, Ihre Frau hat sich, wie Sie mir selber sagen, vollkommen wieder erholt und ist gesund, an Geld fehlt es Ihnen auch nicht – also an was sonst? Heraus mit der Sprache, Jeremias; Sie haben uns mit wahrer Aufopferung beigestanden, machen Sie mir jetzt auch die Freude, daß ich Ihnen helfen kann.«

Er hatte ihm dabei eine Cigarrenkiste und einen Stuhl hingeschoben, und Jeremias, sich immer noch verlegen beider bedienend, sagte: »Ja, sehen Sie, Herr Graf, das ist allerdings eine wunderliche Geschichte; es fehlt mir eigentlich an gar nichts, als – an der Hauptsache.«

»An der Hauptsache?«

»Sobald Jettchen geheirathet hat,« fuhr Jeremias fort, »so zieht selbstverständlich die Mutter zu den Kindern, und auch Pfeffer hat sich oben in dem Hause Stübchen und Kammer mit einer reizenden Aussicht gemiethet. Soll ich mich dann mutterseelenallein hier irgendwo als Junggeselle einquartieren und auf meine alten Tage da verloren sitzen?«

»Ja, aber weshalb ziehen Sie denn nicht zu Ihren Kindern?«

»Ich?« rief Jeremias ordentlich erschrocken. »Ja, aber das geht ja doch gerade nicht. Von meiner Frau bin ich geschieden, und so lange sie krank, elend und in Noth war, konnte kein Mensch etwas Übles darin sehen, wenn ich in dem Hause aus und ein ging. Jetzt aber, wo sie wieder rüstig und gesund ist und mir mein früheres nichtsnutziges Betragen vollständig vergeben hat, darf ich nicht in ein und dasselbe Haus mit ihr ziehen. Denken Sie nur, was die Leute darüber reden würden, und wo sie über Schauspieler oder was mit ihnen zusammenhängt losziehen können, thun sie's ja doch nur gar zu gern. So aber als Fremder hier zu wohnen, wo man eine Familie im Orte hat, das – hielt ich auf die Länge der Zeit nicht aus, und da ist's besser, ich gehe bei Zeiten.«

Die Unterhaltung zwischen Rottack und Jeremias stockte eine Weile, weil Letzterer schwieg; dann aber fragte Graf Rottack: »Also in Brasilien haben Sie wirklich nichts Wichtiges zu thun, nichts wenigstens, was Ihnen nicht Rohrland eben so gut besorgen könnte?«

»Gar nichts,« schüttelte Jeremias mit dem Kopf; »das war nur eine Ausrede, denn sagen kann ich's ihnen ja doch nicht.«

»Und Ihre Frau ist Ihnen wieder gut?«

»Es ist ein wahrer Engel von einer Frau, und ich fühle erst jetzt, was ich für ein Esel gewesen bin.«

»Dann erklären Sie mir aber auch Eins: weshalb lassen Sie sich nicht wieder mit Ihrer Frau trauen?«

»Hurrjeh,« rief Jeremias, von seinem Sitz emporfahrend, »das geht ja aber doch nicht; wir sind ja geschieden!«

»Aber lieber, bester Freund,« lachte Rottack, »warum geht denn das nicht? Ich kenne verschiedene Beispiele, daß sich früher geschiedene Gatten wieder haben trauen lassen. Sie sind ja Beide frei und unabhängig, und wer in aller Welt will Sie daran hindern oder könnte es Ihnen, wenn Sie Ihre Frau noch lieben, verdenken?«

»Und Sie glauben wirklich?« rief Jeremias, ganz verstört von all' den Gedanken, die ihm jetzt durch den Kopf schossen.

»Glauben – was soll ich glauben?« sagte der junge Graf. »Die Sache ist außer aller Frage. Sie erwerben sich dadurch ein Recht, für die Frau, der Sie einst ewige Treue versprochen und dann ein bischen gewissenlos durchgingen, auch in ihrem Alter zu sorgen und das, was sie gelitten, wieder an ihr gut zu machen; und seien Sie überzeugt, daß man es Ihnen überall sogar hoch anrechnen und Sie deshalb schätzen und lieben wird.«

»Ach, mein bester Herr Graf,« sagte Jeremias, indem er wieder in seinen Stuhl zurücksank, »das ist ja schon seit langen Monden mein Lieblingswunsch gewesen, schon wie Auguste noch krank war, um sie aller Sorge für das Kind zu entheben; aber – ich habe nie geglaubt, daß es möglich wäre, und dann – wenn ich es mir manchmal so dachte, fehlte es mir immer an der Courage, es ihr zu sagen.«

»Fehlt es Ihnen noch daran?« lächelte Rottack.

»Ja,« sagte Jeremias kleinlaut; »ich brächt's nicht über die Lippen.«

»Soll ich dann Ihren Freiwerber machen?«

»Sie – Sie wollten?«

»Und warum nicht? Trüg' ich doch nur dazu bei, einer braven Frau ihren braven Mann wiederzugeben, und wie glücklich werden die Ihrigen sein, wenn Sie sich nicht wieder von ihnen trennen wollen.«

»Ach Gott, ja, und ich auch,« seufzte Jeremias; »es war immer mein Lieblingswunsch gewesen, aber nur ganz im Stillen, mich an dem nämlichen Tag mit meiner seligen Frau – ach, Unsinn, das Wort kommt mir immer auf die Zunge – mit meiner geschiedenen Frau wieder trauen zu lassen, an welchem Jettchen Hochzeit machte.«

»Das wäre allerdings ein wenig rasch,« lachte Rottack, »und möchte Schwierigkeiten machen. Ihre Papiere haben Sie?«

»Alles in musterhafter Ordnung.«

»Brasilianischer Bürger dazu, hm, wir wollen einmal sehen. Aber erst müssen wir doch wohl mit Ihrer Frau sprechen.«

»Und Sie wollten das wirklich thun?«

»Hören Sie einmal, Jeremias,« sagte Graf Rottack, indem er aufstand und seinen Hut nahm. »Bleiben Sie einmal da sitzen. Das Sprüchwort sagt freilich: Gut Werk will Weile haben. Aber ich denke, ein gutes Werk kann man nicht zu bald thun. Da stehen die Cigarren, in den Caraffen dort auf dem Buffet steht Portwein und Sherry, wenn Sie in der Zeit einer Stärkung bedürfen sollten. In einer halben Stunde bringe ich Ihnen Antwort.«

»Ich trinke Ihnen indessen den ganzen Portwein aus,« sagte Jeremias.

Rottack lachte, nickte ihm zu und verließ das Haus. –

Bei Pfeffers saß die Familie indessen noch in einer recht wehmüthigen Stimmung beisammen, denn Jeremias' eben angekündigter und so nahe bevorstehender Abschied lag Allen auf der Seele. Pfeffer selber ging mit immer größeren Schritten auf und ab und dampfte immer stärker; Fräulein Bassini strickte, als ob der Strumpf noch heute fertig werden müßte, und Rebe stand niedergeschlagen am Fenster, während Jettchen der Mutter Hand in der ihrigen hielt und ihr mit leisen Worten Trost zuflüsterte.

Da klopfte es an die Thür, und auf das etwas erstaunte »Herein!« Pfeffer's trat Graf Rottack in's Zimmer.

»Störe ich?«

»Herr Graf!« rief Pfeffer in einiger Verlegenheit, daß er schon wieder in seinem alten Schlafrock ertappt wurde. »Sie entschuldigen einen Augenblick!«

»Bitte, lassen Sie sich nicht stören!« rief Rottack. »Es ist eine Familienangelegenheit, in der ich komme. Verehrte Frau, ich freue mich herzlich, Sie dieses Mal so wohl und munter anzutreffen; Sie haben sich wirklich in der kurzen Zeit merkwürdig erholt. Mein liebes Fräulein, wenn auch verspätet, doch nicht minder herzlich ist mein Glückwunsch – oder eigentlich sollte man besonders Ihnen Glück wünschen, Herr Rebe, denn ich glaube, Sie sind am meisten zu beneiden. Ah, auch eine alte Bekannte, Fräulein Bassini, wenn ich nicht irre – aber bitte, wollen denn die Damen nicht Platz behalten? Und was für betrübte Gesichter sehe ich hier? Thränen in den Augen, mein Fräulein? Das schickt sich aber nicht für eine Braut!«

Fräulein Bassini, die, als der Graf eintrat, rasch ihren etwas sehr mitgenommenen Strickstrumpf bei Seite geschoben hatte und dann auf und nieder geknixt war, bis er sie anredete, rief jetzt: »Ach, Herr Graf, wenn Sie dem Jeremias nur zureden wollten, daß er nicht wieder nach Brasilien ginge!«

»Und sind Sie darüber so traurig?«

Die Frauen seufzten tief auf, als sich die Thür wieder öffnete und Pfeffer, der rasch hinausgefahren war, ohne Pfeife und in seinem unvermeidlichen langen braunen Rock erschien.

»Nun, Herr Graf, womit können wir Ihnen dienen?«

»Wir sprachen gerade über Jeremias' Abreise nach Brasilien,« sagte Graf Rottack lächelnd, »und da die Damen hier nicht damit einverstanden scheinen, kann ich Ihnen vielleicht einen Vorschlag zur Güte machen.«

»Sie?« rief Auguste rasch. »Oh, wenn Sie das über ihn vermöchten, Herr Graf, daß er hier bei uns bliebe! Ich weiß, er hält außerordentlich viel auf Sie.«

»Aber doch wohl nicht so viel, verehrte Frau,« lächelte der junge Graf, indem er den ihm von Rebe gebotenen Stuhl dankend nahm, »daß ich mehr über ihn vermöchte, als Sie, wenn Sie ihn schon darum gebeten haben.«

»Aber er sagt, er müsse zurück,« klagte Henriette, »seine Geschäfte und Ländereien zwängen ihn dazu.«

»Das ließe sich doch vielleicht arrangiren,« meinte Rottack. – »Ich danke, ich schnupfe nicht.« Und Pfeffer schob seine Dose ordentlich erschreckt wieder in die Tasche. – »Darüber hab' ich mit ihm gesprochen. Er kann mit leichter Mühe Alles brieflich abmachen; aber« – und sein Blick haftete dabei fest auf der Frau – »eine andere Sorge liegt ihm am Herzen, die er nicht den Muth hat auszusprechen.«

»Nicht den Muth?« rief Pfeffer. »Was in aller Welt kann das aber denn nur sein?«

»Er hat kein Logis in Haßburg,« sagte Rottack, wieder den Blick der Frau suchend.

»Kein Logis?« schrie Pfeffer. »Na, so schlage doch Gott den Deu – Bitte um Entschuldigung! Das geht über die Möglichkeit! Kein Logis?«

»Aber ich begreife den Vater nicht,« sagte auch Henriette; »das kann ihm doch unmöglich Sorge machen.«

»Er muß rein verrückt geworden sein!« rief Fräulein Bassini. »Ich wollte ihm genug Wohnungen in der Stadt verschaffen, um ein ganzes Regiment einzuquartieren.«

Rottack sah still und lächelnd vor sich nieder. »Und glauben Sie auch, verehrte Frau,« sagte er endlich, indem er zu Augusten aufsah, »daß ich ihm das zusagen darf?«

Ein paar Thränen glänzten in den Augen der Frau, ihre Wangen glühten, aber sie sagte leise: »Wenn er will – ich glaube es gewiß.«

»Ich danke Ihnen in seinem Namen!« rief Rottack, indem er aufsprang und ihr die Hand reichte. »Also werden wir von Ihrer Güte Gebrauch machen, mein gnädiges Fräulein.«

»Von meiner Güte?« rief Fräulein Bassini. »Ja, ich verstehe aber kein Wort davon!«

Henriette hatte ihre Mutter rasch und erstaunt angesehen; hohes Roth färbte auch ihre Wangen, aber jubelnd warf sie sich an der Mutter Brust, während Rebe auf Rottack zuging, seine Hand ergriff und sie herzlich schüttelte.

»Ja, aber Fürchtegott,« rief Fräulein Bassini, »begreifst Du etwas?«

»Und darf ich den Ausreißer herschicken?« fragte der junge Graf.

»Schicken Sie ihn,« sagte die Frau leise, »es kann ja Alles – Alles wieder gut werden!«

Rottack ging. Als aber kaum eine Viertelstunde später Jeremias zu ihnen in's Zimmer trat, als ihm Henriette schon an der Thür um den Hals fiel, und der kleine Mann, der vor Rührung kein Wort über die Lippen bringen konnte, auf seine verlassene Frau zuging und ihr die Hand entgegenstreckte, da lehnte sie die thränenbenetzte Wange an seine Brust und flüsterte bewegt: »Ich danke Dir für Deine treue Liebe, Jeremias!«

Und glücklichere Menschen waren wohl kaum an dem Tage in Haßburg versammelt, als in dem kleinen Raum, der diese hier umschloß.

Indessen aber war Rottack thätig. Er hatte in Haßburg in dem Ober-Bürgermeister der Stadt einen Jugendfreund und Studiengenossen seines Vaters gefunden und war mit ihm bekannt geworden. Diesem legte er die Sache vor und befürwortete eine rasche oder vielmehr augenblickliche Erledigung derselben, um es Jeremias zu ermöglichen, seinen Lieblingswunsch zu erfüllen und die Erneuerung seiner Trauung mit den Kindern zusammen zu feiern.

Es ging leichter, als er geglaubt hatte. Jeremias, als brasilianischer Bürger, brauchte keinen Heimathschein. Zufällig, traf es sich, daß heut Abend noch Rathssitzung war, wo das Gesuch vorgelegt werden konnte. Mit dem Geistlichen, einem liebenswürdigen und aufgeklärten Manne, ließ sich ebenfalls reden, von dem dreimaligen Aufgebot konnte dispensirt und dasselbe gleich morgen erlassen werden. Rottack erbot sich dabei, jede nur verlangte Bürgschaft zu leisten. Das Einzige, was Jeremias zu thun hatte, war, seine Papiere noch heut Abend vor sechs Uhr in des Bürgermeisters Haus zu bringen. Alles Andere ließ sich arrangiren.

Der alte Herr hatte auch in der That nicht zu viel versprochen. Wo der gute Wille ist, geht Alles; nur der nöthigen und nicht zu vermeidenden Form muß genügt werden, und am nächsten Montag machte Graf Rottack selber in der menschengedrängten Kirche, da Alle einer so merkwürdigen Trauung beiwohnen wollten, Jeremias' Brautführer.

Als der Zug fröhlicher Menschen aus der Kirche kam, begegneten sie dem großen, schwarz verhangenen und mit silbernen Stickereien bedeckten Leichenwagen der Stadt, der den alten Grafen Monford zu seiner letzten Ruhestätte führte. Nur ein einziger Wagen folgte, in dem die Gräfin, das Haupt mit einem dichten schwarzen Schleier bedeckt, saß.

Der alte Graf hatte es so, noch kurz vor seinem Tode, wo er wieder zur Besinnung kam, verlangt. Niemand weiter sollte ihm folgen, auch keine Leichenrede gehalten und bei dem Einsenken in die Gruft nur von vier Männerstimmen Mendelssohn's herrliches »Auf Wiedersehen« gesungen werden.

Rottack überlief ein ganz eigenes, eisiges Gefühl. Wie wunderbar zeigte sich hier die schwankende Laune des Glücks, denn das, was seinen Freunden hier Heil und Segen brachte, warf dort ein altes, edles Haus in Trümmer.

Und wie einsam, wie verlassen die arme Frau in ihrer Staatscarrosse saß – aber hatte sie es anders gewollt? Starr und eisern war sie ihre Bahn gewandelt, und jetzt bedeckte der Schleier freilich ihr Antlitz, aber Rottack war fest überzeugt, daß diese Züge unter dem Schleier auch ihre kalte Unerbittlichkeit gewahrt hatten und keine Thräne ihre Wange netzte.

Oh, hätte er die arme Gräfin weinen sehen!

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
28 eylül 2017
Hacim:
620 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu