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Kitabı oku: «Eine Mutter», sayfa 32

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Jeremias fand, daß dem kleinen Mann der starke Wein etwas zu Kopf gestiegen war, und da jetzt auch schon mit anbrechendem Abend einzelne Gäste eintrafen, schlug er ihm vor, noch einen kurzen Spaziergang zu machen und dann im »Schwarzen Roß« zu soupiren.

Das war nicht abzuschlagen, und Jeremias brachte später den kleinen fidelen Souffleur – der glücklicher Weise heut Abend nicht zu souffliren hatte, oder es wäre um das Stück geschehen gewesen – auf seine eigene Stube, wo sie bei einem delicaten Abendbrod und noch delicateren Weinen so lange zusammen saßen, bis Mauser selber erklärte, heute fände er den Heimweg nicht mehr, so viel sei sicher, und morgen früh würde ihn der Nachtwächter wohl halb oder dreiviertel erfroren an irgend einer Straßenecke treffen.

Dem wollte ihn Jeremias doch nicht aussetzen, ließ ihm also ein Zimmer im Hotel geben, brachte ihn selber zu Bett, und traf dann seine Vorbereitungen, um am nächsten Morgen mit dem Frühzug nach Podiebrad und von da ohne Säumen nach jenem bezeichneten Dorf mit dem entsetzlichen Namen hinüber zu fahren.

Am liebsten hätte er freilich gleich noch heut Abend nach Haßburg hinüber telegraphirt, daß er eine Spur gefunden habe und ihr jetzt folgen wolle, um Rottacks wenigstens einige Hoffnung zu machen. War aber das junge, unglückliche Wesen nicht mehr in jenem kleinen Nest und verlor er dort wieder ihre Spur – was dann? Es blieb immer besser, erst dort an Ort und Stelle seine Nachforschungen zu beginnen, was er auch mit der größten Sicherheit thun durfte, denn wenn er die Comtesse auch schon in Haßburg gesehen hatte, ihn kannte sie auf keinen Fall, selbst wenn er auch seinen Namen nannte.

Beim Portier ließ er jetzt nur noch auf die Tafel schreiben, daß er zur rechten Zeit geweckt sein wolle, und legte sich dann mit dem beruhigenden Bewußtsein schlafen, doch jetzt ein bestimmtes Ziel zu haben, dem er nachfahren könne, und nicht mehr länger in der Irre umhersuchen zu müssen.

Jeremias hatte am vorigen Abend wie Mauser ganz tüchtig gebechert, aber der kleine Mann konnte auch eine ordentliche Portion vertragen, und um halb sechs Uhr am nächsten Morgen saß er schon fertig angezogen und reisebereit vor seinem Kaffee, und unten klingelten auch gleich darauf die mit tönenden Schellen behangenen Pferde, als der Kutscher aus dem Thorweg heraus und vor das Haus fuhr, um dort seinen Passagier zu erwarten und nach dem Bahnhof zu bringen.

Und der Wind pfiff nicht schlecht am Fluß herauf, der Himmel hatte sich dabei umzogen, und es fing an gefrorenen Regen herunter zu werfen, der, wo er in's Gesicht traf, wie Nadeln stach. Aber was half's; der Weg mußte zurückgelegt werden, und mit einer Anzahl wollener Decken versehen, die er sich vom Wirthe geborgt hatte, um nachher von Podiebrad Fuhrgelegenheit zu nehmen und ordentlich eingepackt zu sein, warf er sich in sein Coupé und sah mit Ungeduld der Zeit entgegen, die ihm Gewißheit über die Gesuchte bringen sollte.

In Podiebrad hatte es auch keine Schwierigkeit, ein Fuhrwerk nach jenem Dorfe, dessen Namen er deutlich geschrieben auf einem Zettel bei sich trug, zu finden, und gegen Mittag etwa erreichte er den kleinen Ort und hielt bald darauf vor der Schenke – einem traurigen, wüsten Aufenthalt.

Und hier sollte er die junge, an jede Bequemlichkeit von Jugend auf gewöhnte Comtesse finden? Er schauderte ordentlich, als er sich die Möglichkeit dachte, daß sie hier Monate lang allein und freundlos gehaust habe. Das war auch gar nicht möglich, und er fürchtete jetzt fast ebenso, ihr hier zu begegnen, wie er sich früher danach gesehnt hatte, sie anzutreffen.

»Und was mache ich mit den Pferden, Herr?« fragte der Kutscher, als Jeremias vor der Schenke aus dem Schlitten stieg.

»Stellt sie ein, Freund,« lautete die Antwort, »ein Stall wird doch hier zu finden sein. Ich bleibe wahrscheinlich ein paar Stunden hier und fahre dann wieder zurück.«

Damit trat er in das Haus und in die niedere, furchtbar geheizte Gaststube, aus der ihm aber ein widerlicher Dunst entgegen schlug, daß er ordentlich erschreckt einen Moment in der Thür stehen blieb, um seine Lunge erst an diese Atmosphäre zu gewöhnen.

Gäste waren nicht im Zimmer, einen Fuhrknecht ausgenommen, der am Tisch saß, ein großes Glas Branntwein vor sich hatte und aus einer kurzen, schmutzigen Pfeife Wolken stinkenden Tabaksqualms ausstieß. Jeremias war in Brasilien gerade nicht mit sehr vorzüglichem Tabak verwöhnt worden, der hier roch ihm aber doch außer dem Spaß. Aber was half es; es mußte ertragen werden, und mit einem freundlichen Gruß gegen den Mann, der ihm nur kurz zunickte, wandte er sich an ein weibliches Individuum, möglicher Weise die Wirthin oder auch vielleicht eine Dienstmagd, die aber von Schmutz starrte, und fragte sie, ob hier im Hause eine Dame seit einiger Zeit logire.

Die Antwort, welche er bekam, war böhmisch; das Frauenzimmer verstand kein Wort Deutsch und zeigte nur dabei auf den Fuhrknecht, der ihr wahrscheinlich als Dolmetscher dienen sollte.

Er wandte sich jetzt an diesen und wiederholte seine Frage, bekam aber auch keine Antwort, denn der Mann unterhielt sich jetzt erst eine ganze Weile mit der Frau in einem Kauderwälsch, von dem Jeremias natürlich keine Sterbenssilbe verstand. Endlich drehte er wieder den Kopf nach ihm herum.

»Wen suchen Sie?« sagte er allerdings auf Deutsch, aber so gebrochen, daß Jeremias genau aufpassen mußte, wenn er die Worte verstehen wollte.

»Eine Dame,« sagte Jeremias, »die vor etwa zwei oder drei Monaten in dieses Dorf gekommen und allein hier geblieben ist.«

»Eine Dame?« wiederholte der Mann erstaunt und mit dem Kopf schüttelnd. »Was sollte die hier machen?«

»Ein junges Frauenzimmer,« lenkte Jeremias ein, der daran dachte, daß der Bursche unter Dame vielleicht etwas ganz Anderes verstand.

»Ja so!« rief der Fuhrknecht, und jetzt begann wieder ein langes Gespräch mit dem Weib hinter dem Ofen, das beschäftigt war, ein paar Suppennäpfe auszuwischen. Jeremias wartete auch geduldig seine Zeit ab, um die Beiden nicht zu stören.

»Sie kam mit einem Manne?« fragte endlich der Fuhrknecht wieder, und Jeremias nickte nur.

»Und der Mann ging nachher fort und kam nicht wieder?«

»Dieselbe. Ist sie noch hier im Hause?«

Der Fuhrknecht schüttelte mit dem Kopf. »Nein, die ist lange fort.«

»Fort? Aber wohin?« rief der kleine Mann in Verzweiflung. »Kann mir denn Niemand sagen, wo sie sich jetzt aufhält?«

»Bei Blshrad.«

»Herr Gott, wieder so ein Name!« stöhnte Jeremias. »Aber wo liegt das?«

»Wo das liegt?« sagte der Mann erstaunt.

»Ich meine, ob es weit von hier ist?«

»Ne,« sagte der Bursche.

»Aber wie komm' ich hin?«

»Wie Sie hinkommen? Na, ganz leicht; grad' über die Straße hinüber, das vierte oder fünfte Haus links.«

»Hier im Ort?« rief Jeremias und fuhr mit Blitzesschnelle von seinem Sitz empor.

»Nu ja, versteht sich,« nickte der Mann; »das Weibsen hatte kein Geld mehr, und der Wirth hier, mit nur einer ordentlichen Stube im Hause, wo sich Fremde unterbringen ließen, konnte die doch nicht Jemandem lassen, der nicht einmal mehr dafür bezahlte. Es war aber auch zu kalt, um sie auf die Straße zu setzen; sie wäre draußen erfroren, und da ist sie derweil bei Blshrads untergebracht.«

Die Frau fuhr aber wieder dazwischen und redete auf den Fuhrknecht ein, während dieser ihr beifällig zunickte.

»Was sagt sie?« fragte Jeremias.

»Wenn Ihr zu dem kranken Weibsen gehörtet,« meint sie, »so solltet Ihr auch das zahlen, was sie hier noch schuldig ist, denn die paar Lumpen, welche sie zurückbehalten hätte, wären nicht die Hälfte werth.«

»Oh Du mein großer Gott,« seufzte Jeremias vor sich hin, »zu welch' erschrecklichem Elend bin ich da gekommen!«

»Und wollen Sie's zahlen?« fragte der Mann.

»Ja, Alles – gewiß!« rief Jeremias in furchtbarer Aufregung; »führen Sie mich nur hinüber. – Hier, guter Mann, hier haben Sie Geld, kommen Sie mit hinüber und zeigen Sie mir das Haus; ich möchte keinen Augenblick mehr versäumen. Oh das arme, unglückliche Geschöpf!«

32.
Paula

Der Fuhrknecht betrachtete erstaunt das Silbergeld, das ihm Jeremias in die Hand drückte, war aber auch rasch erbötig, den reichen Lohn mit so leichter Mühe zu verdienen, und trank nur eben noch vorsichtig sein Glas aus, daß ihm indessen niemand Fremdes darüber kam. Dann führte er den kleinen Mann ohne Weiteres über die Straße hinüber in das kaum hundert Schritt entfernte Haus, wo die Kranke, der Aussage der Wirthin nach, jetzt untergebracht sein sollte.

»Aber hier wohnt sie doch nicht?« rief Jeremias ordentlich erschreckt aus, als ihn der Fuhrknecht auf eine Hütte zuführte, die eher einem Stall, als einer menschlichen Wohnung glich, »das ist ja doch gar nicht möglich!«

»Wenn es die ist, die Sie suchen und die Ihr Mann hier hat sitzen lassen,« brummte der Bursche, der schon Angst hatte, daß er das Geld wieder herausgeben müsse – »gewiß. Gehen Sie doch nur erst einmal hinein.«

Jeremias, doch wahrlich mit manchem Außergewöhnlichen auf seinen langen Reisen und Irrfahrten vertraut, schauderte, als er den kalten, schmutzigen, niedern Raum betrat; sein Führer schien aber hier bekannt, und an ihm vorbeigleitend, öffnete er die Zimmerthür und rief einer dort sitzenden, widerlich häßlichen Frau etwas auf Böhmisch zu.

Diese nickte nur und deutete auf eine andere Thür, und als Jeremias, wirklich zitternd vor Furcht, die Gesuchte in diesem entsetzlichen Aufenthalt zu finden, vorwärts trat, stieß sein Führer eine andere niedere Thür auf, die zu einer kaum zehn Fuß im Quadrat haltenden Kammer führte.

Dort stand ein Bett – wenn ein erbärmliches Holzgestell mit Stroh darauf so genannt werden kann, und auf demselben, mit einer einzigen dünnen, noch überdies zerrissenen wollenen Decke überworfen, lag eine schmächtige weibliche Gestalt. Nur ein ungewisses Licht fiel durch ein fensterartiges Loch im Dach in den öden Raum, der nicht einmal geheizt werden konnte, und neben dem Lager stand ein zerbrochener irdener Krug mit Wasser, wahrscheinlich als einzige Labung.

»Großer, allmächtiger Gott,« rief Jeremias, »das hier, die Jammergestalt, ist doch nicht die Comtesse Monford?«

Wie er den Namen nannte, hob die Kranke den Kopf, und ein wachsbleiches Gesicht, mit unnatürlich großen, dunkeln Augen, starrte ihn an. Er kannte es nicht – aber die Hand, welche die Decke zurückschob, war zart und fein, und die Finger daran so dünn, daß es fast aussah, als ob sie bei der geringsten Anstrengung abbrechen müßten.

Jeremias stand sprachlos vor Entsetzen, aber der kleine praktische Mann hielt sich auch nicht lange bei unnützen Gefühlsäußerungen auf. Ordentlich krampfhaft faßte er den Mann, der ihn hierher geführt, am Arm, und zog ihn wieder hinaus vor die Thür und dem Wirthshause zu.

»Nun, ist sie's nicht?« rief dieser.

»Ja, ja – kommt – kommt nur mit« – er mußte Jemanden haben, der für ihn sprach, und athemlos betrat er wieder die dumpfe, dunstige Wirthsstube.

Hier aber war indeß der Wirth selber zurückgekehrt, der ein ziemlich gutes Deutsch sprach, und Jeremias hatte das kaum ausgefunden, als er auf ihn einstürmte.

»Habt Ihr ein gutes Zimmer hier im Hause?«

»Ja, Herr!«

»Was geheizt werden kann?«

»Ja, Herr!«

»Habt Ihr ein gutes, warmes Bett?«

»Ist auch zu beschaffen; es stehen zwei drin!«

»Wollt Ihr mir das Zimmer für einen guten Preis vermiethen?«

»Warum nicht – wenn Ihr baar Geld zahlt?«

»Hier ist Geld – ist es geheizt?«

»Nein, Herr, was sollen wir ein Zimmer heizen, in dem Niemand wohnt.«

»Könnt Ihr es gleich heizen, aber rasch?«

»Gewiß,« rief der Wirth, der staunend die Anzahl Silberstücke betrachtete, die ihm Jeremias in Todesangst in die Hand gedrückt, und dann rief er in böhmischer Sprache seiner Frau ein paar Worte zu, die rasch zum Ofen humpelte, dort einen. Arm voll trockenes Holz nahm und das Zimmer damit verließ.

»Und kann Eure Frau eine gute, kräftige Suppe kochen, mit einem Huhn darin und Eiern?«

»Eier haben wir jetzt nicht, Herr,« sagte der Mann, »aber ein Huhn ist da, und die Suppe soll bald fertig sein.«

»Rasch nur, rasch,« rief Jeremias, »ich bezahle Alles!« Und wie ein Pfeil schoß er aus der Thür hinaus, griff draußen im Schlitten alles von wollenen Decken auf, was er fassen konnte, und rannte damit in das gegenüber liegende Haus.

Der Fuhrknecht, der wohl gemerkt hatte, daß hier Geld zu verdienen war, denn der kleine Fremde warf mit den Silberstücken nur so um sich, hatte ihm dabei geholfen, und dort breitete er Alles, was er mitgebracht, über die Kranke aus, um sie nur erst einmal zu erwärmen.

Das besorgt, ordnete er mit Hülfe seines Dolmetschers die aufgelaufene Rechnung der Kranken – nur wenige Gulden für den Aufenthalt, und schickte diesen dann fort, um Leute herbeizuholen, welche die Kranke mit ihrem Bett in das für sie bereite Zimmer tragen konnten, sobald es nur durchwärmt war.

Was läßt sich mit dem Geld nicht Alles machen! Die Wirthin feuerte ein, daß der Ofen knisterte; die Betten wurden durchwärmt, eine gute, nahrhafte Suppe bereitet, und die Träger, denen Jeremias indessen an Branntwein geben ließ, was sie trinken wollten, warteten geduldig, bis der kleine wunderliche Fremde ihnen befehlen würde, das Bett mit der Kranken aufzugreifen und in das Wirthshaus herüberzutragen.

Jeremias dachte dabei an Alles. Auch ein paar Mädchen hatte er indes besorgt, welche die Kranke von ihrem Strohlager in das warme und weiche Bett legen sollten, und als er Alles nun bereit hatte, ging er mit ihnen hinüber, um sie abzuholen.

Die arme Kranke, die unter den vielen wollenen Decken zum ersten Mal wieder nach langer Zeit mochte warm geworden sein, hatte diese über ihren Kopf gezogen, und erst als sie die fremden Stimmen um sich hörte und fühlte, daß ihr Bett selber angefaßt wurde, warf sie erschrocken die Decke von ihrem Gesicht zurück.

»Um Gottes willen, was wollt Ihr mit mir? – oh, laßt mich ruhig sterben.«

»Freunde sind da, gnädige Frau,« antwortete aber Jeremias, dem die Rührung fast die Stimme erstickte – »Ihre Sorge und Noth hat aufgehört, wir bringen Sie in ein anderes Haus, wo Sie ordentliche Pflege finden sollen.«

Paula starrte ihn noch immer ängstlich an, auf ein Zeichen von Jeremias hoben aber die vier Männer das Bett rasch empor, und ehe sie noch Einspruch thun konnte, war es gedreht und im andern Zimmer und durch dieses hin auf die Straße gebracht. Dort liefen Neugierige zusammen. Die arme junge Frau hüllte sich erschreckt wieder in ihre Decken ein, und wenige Minuten später befand sie sich im andern Hause.

Hier freilich mußte sie den Frauen überlassen werden, denn das unbeholfene Gestell ließ sich nicht die schmale Treppe hinaufschaffen. Aber diese wußten auch vortrefflich damit umzugehen, und mit Hülfe der Decken und eines Stuhles trugen sie die Arme rasch und leicht hinauf und legten sie in das für sie schon hergerichtete durchwärmte Bett. Das in Ordnung und der Wirthin noch einmal die Suppe auf die Seele bindend, beorderte Jeremias die Pferde wieder, um so rasch als möglich zur Stadt zu fahren. Er versprach aber noch an dem Abend mit einem Arzte zurückzukehren, und eine Viertelstunde später glitt der Schlitten unter fröhlichem Schellengeklingel nach Podiebrad hinüber.

Jeremias that aber nichts halb. Von dort nahm er nicht allein den besten Arzt mit, der aufzutreiben war, sondern auch eine gute und tüchtige Krankenpflegerin, und schickte zugleich ein Telegramm nach Haßburg, das nur die Worte enthielt: »Graf Rottack, Haßburg. Kommen Sie – gefunden – krank – elend. Prag, Schwarzes Roß. Jeremias.«

Mit dem Doctor und der Wärterin kehrte er noch an demselben Abend nach dem Dorf zurück, und erst als er Alles gethan, was in seinen Kräften stand und was überhaupt vor der Hand nur möglicher Weise zu thun war, fuhr er wieder nach Prag zurück, um dort Rottack's Ankunft, der jedenfalls den nächsten Zug benutzte, zu erwarten. Der mochte dann bestimmen, was weiter geschehen solle.

Wie Jeremias aber nach Prag zurückkehrte, fand er schon ein antwortendes Telegramm vor.

»Ich komme mit dem nächsten Zug; wenn wir weiter fahren müssen, seien Sie am Bahnhof.«

Dadurch wurde allerdings die wenigste Zeit versäumt, und Jeremias behielt auch in der That kaum Raum genug, um etwas zu genießen und gleich darauf wieder nach dem Bahnhof hinaus zu fahren; denn wenn Graf Rottack den ersten Abendzug benutzt hatte, konnte er zu Mittag recht gut in Prag eintreffen.

Und er kam in der That, aber nicht allein, denn Helene hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn zu begleiten, und Jeremias, als er sie am Coupéfenster entdeckte, rief ordentlich erschreckt aus: »Oh Du mein Gott, die Frau Gräfin!«

Rottack ließ ihm aber keine lange Zeit, sich zu besinnen. »Mein lieber Jeremias,« rief er, herausspringend und ihm herzlich die Hand schüttelnd, »wie dankbar sind wir Ihnen! Aber wo ist die Unglückliche – hier?«

»Noch zwei Stunden zu fahren, Herr Graf.«

»Lösen Sie rasch Billets, daß wir den Zug nicht versäumen.«

Das war bald geschehen und das Gepäck umgeschrieben. Jeremias stieg mit ein und hatte nun Zeit genug, ihnen unterwegs all' die Einzelheiten zu erzählen und was bis jetzt geschehen war. Helene zerfloß dabei fast in Thränen; aber sie eilten ja doch auch nun zur Rettung herbei, und in peinlicher Ungeduld zählte sie die Minuten, die sie noch von ihrem Ziele trennten.

Schon von der nächsten Station unterwegs telegraphirten sie wegen eines großen, bequemen Schlittens oder zwei kleinerer, die am Bahnhof bereit stehen sollten, und Helene nahm sich hier wirklich kaum Zeit, etwas zu genießen, als sie selber schon weiter drängte.

Etwa um zwei Uhr erreichten sie Podiebrad, und es war noch heller Tag, als sie endlich das kleine, erbärmliche Dorf vor sich liegen sahen. – Und dort lag Paula?

Helene saß bleich und die Hände gefaltet in ihrem Schlitten und sah zitternd auf die kleinen erbärmlichen Hütten, die ihre Armuth und ihr Elend nur zu deutlich verriethen. Und vor einer von diesen – es war wenigstens eine der größten – hielt jetzt das Fuhrwerk. Ein anderer Schlitten stand schon vor der Thür; es war der des wieder herüber gekommenen Arztes, der ihnen unten in der Wirthsstube entgegentrat.

Er stattete den Fremden einen kurzen Bericht über den Zustand der Kranken ab, der leider Helenens gehegte Furcht bestätigte. Ihr Zustand war in der That bedenklich. Nach einem falschen Wochenbett der Kälte und dem Mangel preisgegeben, wahrscheinlich noch von geistiger Aufregung gequält, hatte die Arme ein bösartiges Fieber ergriffen, und möglich, daß treue Pflege die Gefahr, in der sie schwebe, noch abwenden könne; aber man möge sich auf das Schlimmste wenigstens gefaßt machen.

Helenen liefen, während er sprach, die hellen Thränen an den Wangen nieder; aber sie unterbrach ihn mit keinem Wort, und erst als er geendet hatte, sagte sie leise und bittend: »Darf ich zu ihr?«

»Sie hat gestern Abend wieder viel phantasirt,« meinte der Arzt, »ist aber heute ruhiger, und wenn Sie nicht selber fürchten sie zu stark aufzuregen…«

»Aber eine Wärterin muß sie ja doch haben!«

»Der Herr dort hat schon gestern eine recht brave Person dazu besorgt,« sagte der Arzt, »und es ist wirklich Alles geschehen, was jetzt noch, nachdem der richtige Zeitpunkt längst versäumt worden, nur irgend geschehen konnte. Möglich aber auch, daß es die Kranke wesentlich beruhigt, wenn sie ein befreundetes Gesicht an ihrem Lager sieht, dem Herrn würde ich aber entschieden abrathen…«

»Ich gehe allein,« rief Helene; »haben Sie auch keine Furcht, Herr Doctor, daß ich sie aufregen werde. Ich bin ruhig – gewiß, ich bin ruhig,« setzte sie rasch hinzu, als der Arzt wie zweifelnd mit dem Kopf schüttelte; »ich werde sicher kein Wort sagen, was sie nur im Geringsten erregen könnte. Aber das arme, verlassene Kind muß doch erfahren, daß Freunde in der Nähe sind, die über sie wachen, und dieses Gefühl wird ja dann auch gewiß zu ihrer Beruhigung mit beitragen.«

»So gehen Sie, gnädige Frau,« sagte der Arzt freundlich, »ich verlasse mich ganz auf Sie, und bringen Sie der armen Dame, was ihr bisher so ganz gefehlt hat: Trost.«

Helene legte Hut und Mantel ab; ihre Glieder zitterten so, daß sie sich kaum aufrecht halten konnte. Sie mußte sich erst sammeln, erst wieder Fassung erlangen. Aber ihr starker Geist überwand das bald.

»Ich bin schon ruhig, Felix,« sagte sie, unter Thränen lächelnd, als ihr Gatte zu ihr trat und ihr freundlich zureden wollte. »Fürchte auch nicht, daß mich oben eine solche Schwäche übermannen wird. Du kennst mich ja, vertraue mir nur, und jetzt,« rief sie, indem sie mit ihrem Tuch die letzten Thränenspuren entfernte, »laß mich gehen.«

Damit wandte sie sich entschlossen ab, schritt der Thür zu und die kleine, enge Treppe hinauf. Nur der Arzt begleitete sie, und Rottack und Jeremias blieben unten in der dumpfigen, wüsten Wirthsstube allein mit ihren peinlichen Gedanken zurück.

Helene hatte sich auch nicht zu viel zugetraut. Sie fühlte recht gut, wie viel gerade jetzt von ihrer Haltung, der Kranken gegenüber, abhing, und leise und geräuschlos wohl, aber mit festen Schritten stieg sie hinauf und öffnete selber die Thür, welche zu der armen Verlassenen führte.

Ein Glück, daß ihr der Anblick erspart worden, wie Jeremias sie gefunden, denn so ärmlich das Zimmer auch aussehen mochte, so war es doch reinlich gehalten und durchwärmt, und das Bett dabei so gut, als es nur in einer so geringen Schenke sein konnte.

Die Wärterin saß am Bett, als Helene eintrat, und stand schüchtern auf, die Kranke aber lag, die Augen geschlossen, das bleiche, abgehagerte Antlitz der Thür zugedreht, als ob sie schliefe.

Helenen zog sich das Herz zusammen. Allmächtiger Gott, wie sah die Arme aus? – Wohin war das fröhliche Lächeln der sonst so lieben Lippen verschwunden, wohin das Roth der Wangen, das schelmische Grübchen im Kinn? Und als sie die großen, dunkeln Augen aufschlug und erstaunt, fast erschreckt die Eintretende anstarrte, da hätte Helene ihr um den Hals fliegen und an ihrem Herzen den Gram ausweinen mögen, der ihr die Seele zusammenschnürte. Aber sie bezwang sich.

»Meine liebe Paula,« sagte sie, indem sie mit lautlosem Schritt dem Bett zuglitt und die herabhangende, fast durchsichtige Hand erfaßte, »mein liebes, süßes Herz, wie geht es Dir?«

Paula antwortete ihr nicht. Mit immer wachsendem Staunen betrachtete sie die bekannten Züge, lauschte sie den zärtlichen, liebevollen Lauten.

»Kennst Du mich nicht mehr, Paula?«

»Doch, doch,« flüsterte die Kranke, »Du bist der Engel, den ich herbeigesehnt und der mich dorthin führen soll, wo kein Schmerz und Kummer, kein Haß, keine Falschheit mehr ist – oh, ich danke Dir, Gott, danke Dir recht aus voller Seele, daß meine Leiden jetzt ein Ende nehmen! Oh, wie leicht wird mir, wie wohl, wie froh, oh nimm mich zu Dir! Dein armes, armes Kind – oh laß mich scheiden!«

Sie fiel zurück, Todtenblässe deckte ihre Züge, sie war ohnmächtig geworden.

Helene sprach kein Wort, nur ihr Tuch tauchte sie in kaltes Wasser und legte es der Kranken um die Schläfe, hielt ihr ein mitgebrachtes Flacon unter die Nase und that Alles still und geräuschlos, um sie in's Leben zurückzurufen.

Der Arzt hatte sie dabei unterstützt.

»Es wird vorübergehen,« flüsterte er leise, »bleiben Sie stark, gnädige Frau – vielleicht geht doch noch Alles gut.«

Nach einer langen Weile schlug Paula die Augen wieder auf. Helene war über sie gebeugt und ihre Blicke begegneten sich.

»So hab ich nicht geträumt,« sagte Paula leise, »der Engel ist bei mir geblieben.«

»Meine Paula, mein süßes, liebes Herz, kennst Du mich denn nicht mehr? Kennst Du Deine Helene nicht?«

»Helene? Helene Rottack?« flüsterte die Kranke. »Aber – wie kommen Sie denn hierher, Frau Gräfin? Wie ist mir denn? Bin ich denn nicht…«

»Ich habe Dich gesucht und gefunden, Herz!« rief Helene, die nur mit Gewalt die vorquellenden Thränen zurückdrängen mußte. »Jetzt bleib' ich bei Dir, ich gehe nicht wieder von Dir fort, bis Du auf's Neue wohl und gesund und kräftig bist. Darf ich bei Dir bleiben?«

»Bei mir?« flüsterte Paula, während ihr Blick scheu im Zimmer umherflog. »Bei mir, der Ausgestoßenen, die ihren Bruder und Vater gemordet hat? Bei mir?« Und dabei suchte sie Helenens Hand von sich fortzudrücken. »Geh, geh fort, daß Dich nicht auch der Fluch trifft, der auf mir ruht!«

»Aber was sprichst Du, Paula?«

»Ich weiß Alles,« flüsterte die Arme, »in den Zeitungen stand es, die ich draußen gelesen – Alles – Alles! Oh, daß ich gestorben wäre, um nicht das – das zu ertragen!«

»Hüten Sie die Kranke vor Aufregung!« flüsterte der Arzt.

»Nicht Alles ist wahr, was in den Zeitungen steht, mein Herz,« suchte Helene sie zu beruhigen; »Dein Vater ist wohl krank, aber er lebt.«

»Er lebt – ja,« sagte Paula düster – »aber wie? Oh, Helene, und Du hast Dich nicht von mir gewandt, wo mich Alles, Alles verlassen?«

»Nie, nie, mein armes Kind,« rief die junge Gräfin, »ich bleibe bei Dir; Du darfst mich nicht von Dir weisen; es wird noch Alles gut werden – hoffe nur, Paula!«

»Alles gut werden? Ja,« sagte die Arme leise, »wenn ich im Grabe liege – oh, daß ich ausruhen könnte von all' dem Herzeleid!«

Sie lag wieder still und ruhig. Helene suchte sie zu trösten, aber sie antwortete nicht mehr, bis ihr Geist auf's Neue an zu wandern begann und wilde, erschreckende Bilder vor die Seele heraufbeschwor. Sie jammerte dabei nach ihrem Kinde, das man ihr weggenommen hätte, und wollte von ihrem Lager aufspringen, so daß sie nur mit Mühe gehalten werden konnte; dann lag sie wieder halbe Stunden lang still und wie todt.

Der Arzt schüttelte den Kopf, die Erregung war zuviel für die Kranke gewesen; aber mit eines Engels Geduld saß Helene an ihrem Lager die ganze Nacht hindurch, und kein Schlaf kam in ihre Augen.

Rottack und Jeremias, da der Arzt gegen Abend wieder nach der Stadt zurück mußte, wo er auch ein paar gefährlich kranke Patienten hatte, verbrachten die Nacht ebenfalls in trauriger Weise in der Wirthsstube selber, und noch dazu in einem furchtbaren Tabaksdunst, da sich heute eine Menge von Neugierigen eingefunden hatte, um die Fremden zu sehen, die gekommen wären, die kranke Frau abzuholen.

Für heute ließ sich aber nichts mehr daran ändern, morgen konnte vielleicht eher Rath geschafft werden. Beide waren ja auch überdies an Beschwerden gewöhnt, und auf Stühlen und Bänken richteten sie sich ein, so gut es eben gehen wollte.

Gegen Morgen endlich war die Kranke eingeschlafen, und Helene warf sich ebenfalls in ihren Kleidern auf das noch im Zimmer befindliche Bett, um ein klein wenig zu ruhen, während jetzt die Wärterin an dem Lager der Kranken wachte.

Paula schlief lange und sanft, und als sie endlich erwachte und die treue Freundin zu ihr trat, schlang sie ihren Arm um deren Nacken, zog sie zu sich nieder und weinte still.

»Meine liebe, liebe Paula, Du darfst Dich nicht wieder aufregen, der Arzt hat es streng verboten.«

»Und womit habe ich das verdient, Frau Gräfin,« flüsterte Paula, »daß Sie mir in mein Elend gefolgt sind?«

»Oh, nicht den kalten Titel, Paula, nicht das fremde Sie,« rief Helene bewegt, »nenne mich Helene, nenne mich Schwester, denn Gott ist mein Zeuge, ich will Dir von jetzt an eine Schwester sein!«

»Meine liebe, gute Helene – und Du bist mir nicht böse?«

»Ich Dir böse, Herz, wo ich mein eigen Leben für Dich hingeben könnte?«

Paula schüttelte leise mit dem Kopf und schloß die Augen wieder, und Helene rührte sich nicht weiter, um ihr volle und ungestörte Ruhe zu lassen.

So lag sie zwei volle Stunden in einer Art von Halbschlaf, aus dem sie erst durch den zurückkehrenden Arzt wieder geweckt wurde.

Trotz der furchtbaren Aufregung des vergangenen Abends fand er die Kranke aber heute bedeutend besser. Der Puls ging ruhiger und das Auge war klarer.

Sie hatte jetzt Helenens Hand gefaßt, die sie, ohne ein Wort zu sprechen, festhielt, als ob sie Furcht hätte, daß sie ihr wieder entzogen werden könnte. Helene hielt mit einer rührenden Geduld bei ihr aus, streichelte ihre Wange, küßte ihre Stirn und behandelte sie wie ein krankes Kind, das nur durch Liebkosungen beschwichtigt sein will.

Rottack fragte den Arzt, ob er einen Transport der Kranken nach der nächsten Stadt wenigstens für möglich halte; davon wollte dieser aber nichts wissen, auf keinen Fall für die Folgen stehen, und er unterblieb deshalb. Der Arzt sorgte aber doch dafür, daß die beiden Herren wenigstens ein Quartier und ein paar Betten bei dem Geistlichen bekommen konnten, der sie in liebenswürdiger Weise aufnahm und nicht einmal darin nachließ, als er erfuhr, daß sie »Ketzer« wären. Er selber hatte schon die arme kranke Frau besucht und ihr auch in der That wenigstens das nothdürftige Unterkommen bei den armen Leuten besorgt, und freute sich jetzt aufrichtig, daß ihr die nöthige Hülfe geworden war.

So vergingen vierzehn volle Tage, in denen das Befinden der Kranken herüber und hinüber schwankte. Mit heftigen Anfällen ausbrechender Phantasien wechselten Tage der Ruhe – aber die Anfälle wurden seltener und schwächer, und der junge, kräftige Körper Paula's überwand endlich die furchtbare Mißhandlung, die er erlitten hatte und der er fast unterlegen wäre.

Wie sich aber ihre Nerven kräftigten, schloß sie sich so viel inniger an Helene an, die wieder ihrerseits keine Mühe und Aufopferung scheute, wo es der Pflege des geliebten Schützlings galt.

Nach vier Wochen etwa gestand endlich der Arzt die Möglichkeit zu, die Kranke nicht allein in die nächste Stadt, sondern auch gleich nach Prag transportiren zu können, wo sie doch bessere Pflege und Bequemlichkeit fand, und wenn auch noch jede nur mögliche Vorsicht gebraucht werden mußte hoffte er doch, daß die Reise ohne Gefahr für sie ablaufen würde.

Jeremias wäre schon längst gern fort, denn es drängte ihn nach Hause, aber er wußte auch nicht, in wie weit er doch noch hier sich nützlich machen könne, und seine natürliche Gutmüthigkeit ließ ihn eben nicht. In der ganzen Zeit aber erwähnte Keines von Allen ein Wort über die Vergangenheit. Jedes schien die Berührung derselben zu fürchten, und jede Andeutung selber wurde vermieden. Was hätte es auch geholfen, Paula selber hatte leider schon aus den geschwätzigen Zeitungen das Unglück ihres Hauses erfahren, denn was wird, besonders bei einem stillen politischen Zustand, lieber verbreitet, als Verbrechen und Unfälle. Was ihr aber selbst geschehen, Du guter Gott, es lag zu klar und deutlich vor Aller Augen, und wo es noch einer Ergänzung bedurft hätte, konnte Niemand die besser als Jeremias nach dem geben, was er in Prag über Handor und seine Begleiterin gehört.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
28 eylül 2017
Hacim:
620 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain

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