Kitabı oku: «Nach Amerika! Ein Volksbuch. Dritter Band», sayfa 7
Capitel 5
Der Mississippi
Die Jane Wilmington einer jener mächtigen Mississippi-Dampfer, von denen hunderte die Wasser jenes riesigen Stromes befahren, lag zur Abfahrt fertig an der Levée von New-Orleans, mitten zwischen einigen dreißig anderen, ihr ganz ähnlichen Booten.
Keinen lebendigeren, geschäftigeren Platz giebt es auch wohl auf der Welt, so weit Handel und Schiffahrt Länder und Menschen mit einander verbinden, als die Dampfbootlandung von New-Orleans, besonders in dieser Jahreszeit. Die Stadt ist neuverjüngt; das gelbe Fieber das alljährlich im Spätsommer, bis Ende September, oft sogar bis in die ersten Tage des Oktober, New-Orleans fast entvölkert, die wohlhabenderen Bewohner nach dem gesünderen Norden hinaufscheucht, die Fremden decimirt, und der ganzen Stadt das Ansehn eines großen Leichenhauses giebt, von dessen tausenden von Leichen sich zuletzt selbst die Aasgeier in Ekel abwenden, hatte schon lange seine letzten Opfer gefordert, und der bis dahin gewaltsam zurückgehaltene Handel, der seine natürliche Strömung nach dieser mächtigsten Hafenstadt des Südens hat, brach sich jetzt wie gewaltsam wieder Bahn. Ganze Flotten von Dampfern, die scheu und ängstlich in der schweren Zeit den Platz gemieden, und sich mit geringer Fracht, und der ungeheueren Concurrenz wegen nur mit wenigen Passagieren begnügend, zwischen den oberen Staaten herumfuhren, und wenn sie ja Mannschaft nach der »Peststadt« bekommen konnten und es wagen wollten, nur eben hinunter fuhren, an Bord nahmen was Geld hatte seine Passage zu zahlen, und dann schnaubend und in Ballast wieder zurückeilten nach Norden auf, führten jetzt die tausende zurück in ihre verlassene Heimath, die der »Gelbe Jack« wie die Epidemie spottweise heißt, daraus vertrieben, und brachten zugleich die Schätze des Nordens den verödeten Waarenhäusern der Stadt.
Boot nach Boot kommt, die gelbe Fluth vor sich aufspritzend, den Strom nieder – noch ist es nicht elf Uhr Morgens, und das siebzehnte ist schon gelandet; gewaltige Fahrzeuge mit von vier bis acht Kesseln an Bord, viele mit einer Mannschaft von 50-60 Leuten, die breiten guards7 bis hoch hinauf selbst über das höchste Deck mit einer ordentlichen Wand von Baumwollenballen umthürmt, andere, ihre oberen Decks wenigstens frei, aber doch bis zu den guards im Wasser gehend, die gesalzenes Schweinefleisch in tausenden von Fässern von Cincinnati, Mehl von Ohio und Pensylvanien, Whiskey von eben daher, Blei von Missouri, Vieh von Kentucky, und feines Salz und Tabak aus Virginien herunter bringen.
Die Levée selbst liegt schon fest gepreßt unter einer riesigen Last all solcher Produkte, die der Norden hier hernieder schickt, baar Geld oder die Erzeugnisse der Tropen dafür einzutauschen – Baumwollenballen so weit das Auge reicht; Fleisch und Mehlfässer und whiskey barrels mit ihren rothen Böden und dem Cincinnati-Stempel; Kaffee- und Reissäcke zu tausenden als neue Fracht für die eingetroffenen Boote; Blei in schweren kurzen Barren; Syrop- und Zuckerfässer; Salzsäcke und dichtgeschnürte Ballen kostbarer Felle vom Norden; ein stehendes Waarenmagazin unter freiem Himmel von kaum berechenbarem Werth, Nachts unter dem Schutz von vielleicht ein oder zwei schläfrigen Wachen, seine Masse behauptend, während hunderte von Karren ununterbrochen daran arbeiten es abzutragen.
Und das Gewimmel von Menschen auf dem Platz, über den hie und da kleine Austerbuden wie gesprenkelt stehn, die Hungrigen zu erquicken, während die Häuser der ganzen Front ihre unteren Hallen verlockend öffnen den Durstigen jene Unzahl Mischungen geistiger Getränke zu bieten, wegen denen Amerika berühmt ist. Die Karrenführer selbst, meist Irländer und Neger mit wenigen Deutschen, eine wilde thätige, rauflustige Bande, die tausende von Bootsleuten der verschiedenen Dampfer, Feuermänner und Matrosen, die schwere Fässer vor sich her die Levée hinaufrollen, oder gewichtige Kaffee- und Reissäcke auf den Schultern niedertragen, oder mit stumpfen Handhaken, Stiefelziehern nicht unähnlich, riesige Baumwollenballen in Schwung bringen und herüber und hinüber werfen, als wären es Körbe mit Federn gefüllt – wie sie da schaffen und arbeiten, und lachen und fluchen. Und zwischen den kräftigen sonngebräunten Burschen mit aufgestreiften Ärmeln und offenen Hemdkragen, denen der Schweiß in hellen dicken Tropfen auf den rothen Stirnen perlt, und deren Sehnen wie Stricke an den markigen Armen herunter liegen, seht Ihr jene kleinen schmächtigen Gestalten in seidene Fracks oder lichte Oberröcke gekleidet, mit gewichsten Stiefeln und gegen die Sonne gespanntem Regenschirm, kleine Bücher in der Hand, und den gespitzten Bleistift mit den dünnen Lippen feuchtend? das sind die »clerks« oder Buchhalter der Kaufleute aus der Stadt, oder die der verschiedenen dortliegenden Dampfboote, Waaren überliefernd, oder übernehmend, und den Kopf voll Zeichen und Zahlen.
Passagiere drängen dabei herüber und hinüber, denen sich die Bewohner der Stadt, in Geschäften oder Müssiggang, zu gesellen; der lebendige Franzose dessen Stamm ziemlich den vierten Theil der ganzen Stadt bevölkert, und sich selbst dem, im Besitz befindlichen Amerikaner gegenüber das Recht seiner Muttersprache in den Gerichtshöfen neben dem Englischen gesichert hat; der ruhige Spanier mit seinem breiträndigen sombrero; der geschäftige Yankee, an der langen ungelenken Gestalt, dem knochigen Gesicht und den grauen lebendigen Augen kenntlich; zwischen ihnen der reiche Creole8 mit seiner sonngebräunten Haut und der thätige Deutsche, der schweigsame Engländer und der feurige Italiener, durch ein Gewühl von Negern und Mulatten drängend, die mit Fracht auf und ab die Levée steigen, oder hin und her geschäftig laufen, und dabei lachen und singen, schreien und zanken.
Und da hindurch pressen die Züge der ankommenden Einwanderer, meist Deutsche in ihren Nationaltrachten, wie sie daheim den Bauerhof verlassen, auch viele Irländer in ärmlichen Kleidern, aber mit entschlossenen, fröhlichen Gesichtern, die meist ihr Gepäck selber den Dampfschiffen zuschultern, auf denen sie im Begriff sind die Fahrt in's Innere anzutreten.
Die Deutschen besonders tragen schwere hölzerne Kisten, gewöhnlich zwei und zwei zusammen; alte Truhen mit buntgemalten Kränzen von unmöglichen Blumen, und frommen Sprüchen geziert, über die hin keck und rücksichtslos der Name des Eigenthümers und das Wort Amerika, mit schwarzer Farbe seinen Platz gesucht, während die Frauen, Kinder auf dem Arm und an der Hand, in weitbauschigen Ärmeln und kurzen Röcken, die braunen Stirnen der Sonne vertrauend preisgegeben, den Männern folgen. Jetzt stehn sie und suchen den Namen des Bootes für das sie sich bestimmt, von »Läufern« indeß überrannt, die sie dem oder jenem Dampfer werben wollen. Kleine Seelenverkäufer in ihrer Art, diese Burschen, und eigentlich wilde Schößlinge der Überseeischen Agenten, die auch ihre Procente haben pro Kopf, für alle die sie als Passagiere sicher auf ein Dampfboot liefern. Ob dann die Leute dorthin kommen wohin sie gerade wollen, und ob sie dort glücklich sind oder zu Grunde gehn, was kümmerts die; nur so und so viel Köpfe sicher an Bord, so und so viel escalins9 dafür eingestrichen, aus dem fremden Volk mag dann werden was da will.
Die Deutschen geben sich aber am wenigsten mit den Leuten ab; wieder und wieder schon im alten Vaterland vor ihnen gewarnt, lassen sie sich wenigstens nicht mehr soleicht auf der Straße von ihnen abfangen, fallen ihnen aber sonst doch noch in die Hände. Haben sie jedoch erst einmal den Namen eines bestimmten Bootes, dann halten sie sich auch hartnäckig an dem fest, mögen die Bequemlichkeiten darauf sein wie sie wollen, schaffen ihre Sachen selber an Bord, und richten sich dann wieder, das alte Zwischendecks-Leben frisch im Gedächtniß, gar bald für die Tage die sie auf dem Wasser noch zubringen müssen, häuslich ein.
Das Alles wogt und drängt über die Levée von New-Orleans, und auf dem Strome herrscht gleiches reges Leben. Hier kommt ein schnaubender Dampfer, die Thüren vor den Kesseln weit aufgerissen daß die Hitze da ausströmen kann, und das Boot aussieht als ob es einen glühenden Rachen geöffnet habe, pfeilschnell bergab, zieht einen weiten Bogen in der schäumenden Fluth, und gleitet, von kundiger Hand geführt, genau in die Lücke ein die jenes andere Boot gelassen, das eben noch in Sicht, langsam stromauf dampft. Dort stößt ein anderes ab – seine Planken sind eingezogen, die die Verbindung mit dem Lande unterhielten, aber sein Deck schwärmt noch von Fremden aller Farben, die Geschäfte oder Neugier an Bord getrieben. Die Leute legen sich indessen unter dem gellenden Ho-y-oh! der Matrosen in lange ausgeschobene Stangen, den Bug zurückzuschieben, die Maschine beginnt zu arbeiten, und wie das breitmächtige Boot langsam nachzugeben beginnt und, die guards der beiden Nachbar-Dampfer reibend, sich rückwärts hinausdrängt aus der langen Reihe, springen an beiden Seiten die Müßiggänger und nicht an Bord Gehörigen hinüber auf andere Boote, nicht mit hinaus in den Strom genommen zu werden, denn der Capitain hielte wahrlich keine Secunde an ihretwegen, und der erste Landungsplatz wäre wahrscheinlich erst dreißig oder vierzig Miles10 stromauf gewesen, wo er das erste Holz einnehmen mußte. Jetzt hat sich das schnaubende Boot frei gemacht und schießt mit vermehrter Kraft, über sein Steuer fort, eine Strecke in den Strom hinein – nun drängt sich der scharfe Bug hinauf, nach vorne ein, die Räder schlagen, die Wasser kräuseln, brechen sich unter der Gallion, und werden zu Schaum geschlagen von den peitschenden Radplanken, und fort schießt das gewaltige Fahrzeug von der ungeheueren Kraft getrieben, auf seiner Bahn. Die Schaar von Menschen aber, die eben dem einen Boot entsprang, eilt jetzt flüchtigen Laufs an Land das andere, eben gekommene Boot zu gewinnen; Kofferträger und Verkäufer, Boardinghaus-Wirthe und Taschendiebe – oft beide zu einer Klasse gehörend – Käufer und Zwischenhändler von jeder Farbe, jedem Stand, und das Drängen und Treiben beginnt von vorne an.
Die Jane Wilmington, eben so überladen von Menschen wie alle übrigen abgehenden Boote, hatte das Zwischendeck dabei von Deutschen und Irischen Auswanderern mit ihren Kisten so vollgedrängt, daß an ein Hindurchgehn schon gar nicht mehr zu denken war, und wer wirklich hindurch oder hinein mußte, konnte sehen wie er eben über die Kisten und Koffer hin eine Passage fand. Und nicht um eine Idee besser sah es oben in der Cajüte aus, wo sich, als Lobensteins die schmale Treppe zum Boilerdeck hinauf gestiegen waren, die Männer, ihre Cigarren im Mund, die Hüte auf dem Kopf, Schulter an Schulter herumdrängten, hier in kleinen Gruppen standen und plauderten, dort an der bar (dem Schenkstand) ein Abschiedsglas mit irgend einem Bekannten leerten, oder auch eben nur, die Hände in den Taschen, müßig, und sehr zum Ärger einer Zahl von Kofferträgern umherschlenderten, die ihre Lasten auf Schulter oder Kopf, mit einem ununterbrochenen »please Sir – beg your pardon gentlemen« aus einem Knäuel in den anderen preßten, durchzukommen.
Lobensteins konnten kaum die für sie bestimmten, sehr elegant eingerichteten Cajüten erreichen, und der Professor hätte ohne Henkels Hülfe durch das Gewühl von Menschen im Leben nicht sein Gepäck zusammengefunden. Endlich war aber Alles glücklich an Bord, Eduard mit den letzten Koffern angekommen, und Capitain Siebelt hatte schon lange Abschied genommen und seinen bisherigen Passagieren eine glückliche Weiterreise gewünscht, als sich auch Henkel dem Professor wie den Frauen empfahl, seinen »eigenen Geschäften« wie er sagte, nachzugehn.
»Und grüßen Sie uns nur noch recht herzlich Ihre liebe Frau« bat ihn die Frau Professorin, als er auf dem Gangweg, vor der Damencajüte die hinter dem Radkasten liegt, sich verabschiedete, »und sie soll sich ja recht schonen – ich lasse sie herzlich darum bitten.«
»Und tausend Grüße und Küsse noch von uns« rief Anna – »lieber Gott, es wäre doch recht traurig wenn sie ihren Eintritt in das fremde Land gleich mit einer Krankheit beginnen sollte.«
»Und Sie besuchen uns also mit Clara noch diesen Herbst!« frug Marie, ihm scharf dabei in's Auge sehend – »Sie haben es versprochen.«
»Gewiß« sagte Henkel, ihr lächelnd die Hand entgegenstreckend.
»Ein Wort ein Mann!« rief Marie, zögernd ihre Hand in die seine legend.
»Sie haben doch die Adresse die ich Ihnen gegeben Herr Professor?« frug Henkel jetzt noch einmal – »dort draußen läutet die dritte Glocke und ich werde am Ende noch mit fortgeschleppt.«
»Und Claras Angst dann!« rief Anna.
»Es wäre allerdings fatal, aber noch kann ich abkommen.«
»Die Adresse habe ich, und denke daß ich ein Geschäft mit dem Herrn mache, wenn mir das Land nur irgend convenirt,« sagte der Professor.
»Es ist ein Ehrenmann, Sie können sich auf sein Wort verlassen.«
»Desto besser – also auf Wiedersehn!«
»Auf Wiedersehn!« rief Henkel und hatte wirklich nur noch eben Zeit die guards des nächsten Bootes zu erreichen, ja mußte schon zu dem Zweck hinauf auf den Radkasten laufen und von dort hinüber springen, als die wackere Jane das Freie suchte, und wenige Minuten später lustig den vorangelaufenen Steamern nachdampfte.
Eine solche Menge von Menschen, alle nicht zum Boot gehörig, hatte sich dabei empfohlen, daß die wirklichen Passagiere mit Erstaunen, aber auch großer Befriedigung sahen, wie sie Raum genug behielten, und keineswegs gedrängt waren, und nur mit der ersten Stunde überstanden, die sie allerdings gebrauchten ihr verschiedenes Gepäck einiger Maßen in Ordnung zu bringen, konnten sie sich ganz dem Genuß der reizenden Gegend hingeben, an der das wackere Boot sie rasch hinaufführte.
Es giebt wohl kaum ein wunderlieblicheres Bild, so im Vorbeifliegen gesehn, als die Ufer des Mississippi überhalb New-Orleans. Mit Plantagen dicht besäet, deren reizende Pflanzerwohnungen aus einem Dickicht von Blüthenbüschen und fruchtschweren Orangenbäumen lauschig und still hervorschauen, schmiegen sich die kleinen, colonienähnlich gebauten Negerwohnungen dicht an diese an, und geben der ganzen Gegend einen so wohnlichen, geselligen Charakter, daß das Auge mit Entzücken auf ihnen weilt. Berge fehlen freilich im Hintergrund, den nur ein einziger dunkler Streifen Wald bildet – der Mississippi-Sumpf – aber die üppigen Felder, die sorgsam eingefenzt, so weit das Auge reicht dem Blick begegnen, die geschäftigen Schaaren weiß gekleideter Neger in den Feldern, theils beschäftigt Zuckerrohr zu schneiden, oder Baumwolle zu pflücken, die munteren Heerden auf den Weiden dazwischen, das rege Leben auf dem breiten bequemen Fahrweg, der zwischen der sich am ganzen Strom hinauferstreckenden Levée und den Fenzen der Plantagen hinläuft; die kleinen freundlichen Städtchen dabei am Ufer, die Kirchen mit ihren schlanken Thürmen, die gewaltigen Waarenhäuser, und dahinter die hohen dunklen Schornsteine der Zuckerfabriken, die aus dem dichten Laub der Fruchtbäume herüberschaun; das Alles fesselt das Auge des Fremden rasch genug, und hält ihn ordentlich an Deck gebannt, keinen Moment, keinen Punkt dieses freundlich sonnigen Bildes zu versäumen. Alles ist hier neu, alles eigenthümlich, und fehlen dem Fremden auch die Palmen, die seine Phantasie wohl meist dem Süden der vereinigten Staaten (oft selbst dem Norden) giebt, so bietet ihm doch auch die Vegetation schon des Neuen und Südlichen viel, ihn dafür wenigstens in etwas zu entschädigen. Stattliche Pecanbäume am Ufer, mit ihren schlanken Stämmen und schattigem Laub, und weiter drinnen im Land die riesigen hochwüchsigen Cypressen mit ihrer rothen Rinde und dem prachtvoll wehenden grauen Moos, die fruchtbedeckten Orangendickichte, die freundlichen Blumen geschmückten Gärten, mit ihren Tulpenbäumen, Rosenranken, und Granatbüschen, das Alles zeugt für die heiße Sonne dieser Breite, wäre nicht schon das wehende Zuckerrohr am Ufer und die eigenthümliche Baumwollenpflanze selbst Beweis genug auch ohne das.
So lichtbeschienen liegt das weite, wunderschöne Land dort ausgebreitet – ein Paradies, wenn man's so flüchtig sieht und auf bequemem raschem Boot daran vorübergleitet – aber es ist das nur die äußere Rinde des Ganzen, die blitzt und glänzt und in die Augen scheint, nicht alles ächt und Gold. Wie lieblich liegen jene acht oder neun Reihen gleichmäßig gebauter reinlicher Häuser mitten in diesem »Paradies« – dort wo wir gerade vorüber fahren sind große weitästige Feigenbäume vor die Thüren gepflanzt, kleine sauber gehaltene Gärtchen schließen sich daran, und vor den Thüren spielen Kinder – kleine schwarze, braune und gelbe lachende Gestalten mit frohem Jubel herüber und hinüber, von alten Leuten dabei beaufsichtigt die, zu alt zum Arbeiten, von ihren Herren jetzt das Gnadenbrod bekommen, und ihre übrige Lebenszeit, die ihnen Gott noch giebt, in Ruhe und Frieden verleben dürfen. —
Ruhe und Frieden! – dem alten Manne da, der das Kind auf dem Schooße hält und hätschelt und es küßt – Ihr könnt vom Boot aus die Thränen nicht sehn, die ihm die dunklen, tiefgefurchten Wangen hinunter rollen – ist vor drei Tagen seine Enkelin, ein bildhübsches Mädchen von achtzehn Jahren, nach Kentucky hinauf verkauft, und ein anderer Enkel von ihm, ein junger Bursch von zwölf Jahren, wurde blutig gepeitscht, weil er die Ruthen nicht selber, wie es der Aufseher befahl, von den Weiden schneiden wollte, mit denen die eigene Mutter geschlagen werden sollte. Der Knabe liegt jetzt da drinnen – in demselben freundlichen Haus vor dem der alte Feigenbaum steht – auf seinem harten Lager, mit blutigen, geschwollenen Gliedern und ächzt und stöhnt, und der Alte hat das kleine Kind auf dem Schooß, und küßt es und herzt es, und sieht im Geist schon die Peitsche gehalten, hört die scharfen entsetzlichen Streiche, die auf die zarte Haut des Lieblings niederfallen werden.
»Seht die reizenden Wohnungen an« haben viele Reisende geschrieben – »wie behaglich und warm sind eben diese Sclaven hier gebettet, und möchten sie mit den unglücklichen Armen unseres eigenen Vaterlandes tauschen, die mit fröstelnden Gliedern, in erbärmlichen zugichen Hütten ihre trockene Brodrinde oder faule Kartoffeln kauen, und sich das Haar raufen wenn ihnen die Kinder die Ärmchen entgegenstrecken und umsonst nach Nahrung schreien?« – Ich weiß es nicht; aber ein Elend wird nicht durch das andere gehoben, und tausende und tausende von ihnen würden lieber die letzte Brodrinde mit dem Kind theilen und mit ihm hungern, als daß sie es aus ihren Armen gerissen sähen, einem anderen, nicht geringeren Elend entgegengeschleudert zu werden. Die Weißen, die den lockeren sittlichen Verhältnissen jener Staaten nach, und in dem ungestörten unantastbaren Recht des Herrn schon alle Familienbande ihrer Sclaven außerdem mit Füßen treten, zerreißen diese auch nach Gutdünken durch Verkauf der einzelnen Glieder – der kleine Kreis der Sclaven, der nach schwerer Arbeit um das Feuer seiner Hütte sitzt, kann er selbst dieses Glück in Ruh genießen, wo er nicht sicher ist, ob nicht des Herren Wille schon morgen, schon heute Nacht, das liebste Kind aus ihrer Mitte nimmt – das vom Bord des Dampfers noch einmal die Hände nach ihnen hinüberstreckt, und todt – verloren ist für sie auf immer?
Die Sclaverei, das Brandmal der Civilisation, wird immer ihre Vertheidiger finden, die aus Eigennutz oder Unwissenheit diesem Fluch der Menschheit das Wort reden, und den faulen giftigen Kern mit der hie und da glatten Rinde entschuldigen wollen, wer aber in ihrem Kreis gelebt, die zitternden Geschöpfe unter dem Hammer des eisblütigen Tabakskauenden Auktionators gesehn, und die Thränen gezählt hat, wer dem Elend gefolgt ist, mit dem der Eigennutz hier unter dem frechen Schutz christlicher Gesetze Menschen foltert, der wird sich nur mit Abscheu von dem Elend wenden, dem er nicht steuern kann und darf – ob's ihm auch fast das Herz manchmal zerreißt.
Aber vorbei – vom Dampfboot aus sehen wir Nichts von alle dem; nur die freundlichen Dächer blitzen zu uns herüber aus dem Grün des Buschwerks, und die geschäftigen regen Gruppen, klein und zierlich mit scharfen Umrissen in der reinen Luft wie auf dem Spiegelbild einer camera obscura, geben der Scene ihren heiteren lebendigen Charakter.
Das Boot schießt und schäumt jetzt dicht am Ufer hin, und seine wildtanzenden Schlagwellen die hinter den Rädern drein tanzen, waschen und schleudern an dem so schon genug unterwühlten Ufer auf, und hetzen vergeblich hinter dem davonbrausenden Fahrzeug drein. Dort auf der Levée spielt ein munterer Trupp Creol-Poneys; die kleinen lebhaften Thiere halten, wie sie das riesige Fahrzeug herankommen sehn, wiehern und schnauben ihm mit offenen Nüstern entgegen, und stampfen den weichen Boden mit den unbeschlagenen Hufen, bis es ihnen fast gegenüber ist – Wetter noch einmal wie sie da die dicken langen Mähnen und die Schweife emporwerfen, und klappernd und tollend geht's die Levée entlang in wildem Lauf. – Hier treiben sich kleine Negerkinder am Ufer auf und ab; ein ganzer Schwarm ist's, und sie suchen Stücken schwimmenden Holzes aus der Fluth zu fischen, die der Strom zu ihnen niederführt. Eine alte Negerin sitzt dabei und paßt auf die unbändigsten, daß sie sich nicht zu keck hinauswagen an den tückischen Uferrand, der oft nur noch oben den dünnen Rasen über einen verrätherisch darunter kochenden Wirbel spannt. Selbst ihre alte Haut wäre vor Strafe nicht sicher, wenn sie eines der Kinder verunglücken ließe, denn sie sind fast so werthvoll wie die glatthaarigen feurigen Poneys dort.
Wie die kleine Bande schreit und singt und tanzt und jauchzt, als das Boot in Steinwurfs-Nähe an ihnen vorüber rauscht – glückliche Kinderzeit, in der die ganze Welt noch im rosigen Lichte liegt – selbst dem Sclaven.
Vorüber wühlt sich das Boot seine Bahn – ha was ist das? – was liegt da so gestreckt und glitternd in der Sonne mit seiner Schuppenhaut, blinzelt mit den kleinen tückischen Augen halb scheu halb trotzig herüber, und hebt den langen häßlichen Kopf empor? – ein Alligator ist's, ein tüchtiger Bursch, der seine fünfzehn Fuß wohl mißt, und sich hier sonnen wollte auf dem weichen feuchten, warmen Rasen, bis ihn die keuchende Maschine aufgestört. Das Boot will vorbei, aber er traut dem Frieden nicht; müßige Gesellen an Bord haben ihm schon ein paar Mal im Vorüberfahren die scharfen Kugeln auf den Pelz gebrannt und wenn es ihm auch gerade nicht schadete, war's ihm doch auch nicht eben angenehm. Jetzt regt er sich – es ist Zeit, denn der eine Cajütenpassagier ist richtig schon hineingesprungen in seine Coye seinen Reifel11 zu holen für das bequeme Ziel.
»Dort liegt er!« zwanzig Arme deuten hinüber und freuen sich auf den Schuß, aber wie ein Stein rollt die schwerfällige Gestalt hinein in's Wasser, und die ihm etwas zu spät nachgeschickte Kugel zischte in die Fluth die über ihm zusammenschlägt.
Weiter – weiter – der Dampfer hält mehr in die Mitte des Flusses hinaus, einer Sandbank zu entgehen die sich an dieser Stelle hin gebildet hat, und dem tiefgehenden Boot gefährlich werden konnte. Ha was schwimmt dort im Strom – ein großer Vogel, der die Reise zu Floß nach New-Orleans macht? – es ist ein Aasgeier, der auf einem ertränkten und häßlich angeschwollenen Rinde sitzt, an dem er sich über und über gesättigt hat, und nun zu faul oder zu vollgefressen ist hier aus der Mitte des Stromes das feste Land wieder zu erreichen; er wartet ruhig bis sein ekles Fahrzeug näher zum Ufer kommt, oder treibt auch wohl noch mit bis zum anderen Morgen, den guten Bissen nicht sogleich zu verlieren.
Und da drüben? – Pilot um Gottes Willen ist das nicht eine menschliche Leiche die da schwimmt? – Wo? – dort? wohl möglich, das kommt oft vor und treibt wohl von Vicksburg oder Natchez oder aus Arkansas und dem Redriver nieder – »Aber wollen Sie nicht das Boot hinüberschicken? – « »Boot hinüber schicken wegen dem Cadaver? – Bah, da hätten wir viel zu thun; der ist gut aufgehoben.«
Weiter – weiter – was das für wunderliche Boote oder Fahrzeuge sind, denn Boote kann man sie nicht nennen, die mit vier oder fünf schläfrigen Gesellen an Bord, ohne Räder, ohne Segel langsam den Strom niedertreiben. Unförmlichen Kasten gleich, viereckig, von sechzig bis achtzig Fuß lang, und zwanzig Fuß breit, fünf oder sechs Fuß hoch mit einem rohen Gestell von Bretern von denen queerübergebogene auch das Dach bilden, aufgerichtet. Ein langes Ruder (von denen eines vorn und eines hinten angebracht ist, denn es bleibt sich gleich wie sie treiben), dient dazu es wenigstens in etwas zu steuern, und ein paar, oft auch zwei paar eben solche lange Seitenruder sweeps genannt, die finnenähnlich an den Seiten sitzen und nur aus einem kurzen Bret an einer Stange schräg genagelt bestehn, dienen dazu manchmal das schwerfällige Fahrzeug einem drohenden snag,12 einer Sandbank, oder einer unbequemen Gegenströmung aus dem Weg zu schieben. Die Arbeit ist aber anstrengend, und wenn nicht ein muß da ist, rühren sich die faulen Burschen gewiß nicht.
Aber diese Archen – und sie werden in der That oft so genannt – so unscheinbar und roh sie aussehn, führen nicht selten kostbare Ladungen den Strom hinunter; Mehl und Fleisch, Whiskey, Äpfel, Mais, Butter, Hühner, Schmalz, wildes Heu, Tabak, getrocknetes Obst, Faßdauben und Reifen und lebendiges Vieh, Rinder, Schaafe, Schweine, Pferde, Maulthiere. In den Städten des Südens dann angekommen, landen sie ihr Boot, dessen vorderer Theil gleich zu einer Art Verkaufslokal, ziemlich frei von Waaren gelassen ist, und verkaufen nicht allein ihre Ladungen sondern auch das ganze Fahrzeug, dessen Planken auseinander geschlagen und wieder benutzt werden. Die Verkäufer aber, die Monate lang dazu gebraucht aus den verschiedenen Flüssen, Ohio und Missouri, Arkansas und Redriver, ja selbst aus den nördlichsten Strömen des großen Reiches, aus dem Illinois und Foxriver niederzuschwimmen, fahren an Bord der Dampfer in wenigen Tagen jetzt wieder zurück in ihre Heimath, vielleicht ein neues Boot bauen zu helfen und dieselbe Fahrt von vorne zu beginnen.
Wie sich so leise der blaue Rauch aus den flachen nieder geduckten Booten stiehlt, und langsam und gerade in die Höhe wirbelt – die Leute kochen ihr Abendbrod, und wenn es Nacht wird fahren sie an das nächste Land, werfen ein Tau um einen irgendwo eingestürzten oder selbst noch stehenden Baum, und liegen daran, bis ihnen Tageslicht wieder die freie Bahn zeigt, und sie nicht mehr der Gefahr ausgesetzt sind im Dunkel irgendwo auf den Strand zu treiben oder von einem, wenig darnach fragenden Dampfer überrannt zu werden.
Weiter – weiter der Abend naht – über den Strom streichen lange Züge von Wildenten und Gänsen – dort drüben an der kleinen Insel die mitten im Fluß liegt – der Mississippi zählt deren einige achtzig – hat sich ein großes Volk Pelikane auf der Sandbank zu Ruh gesetzt – sie schauen dem weit von ihnen ab vorbeibrausenden Dampfer ruhig nach, und nur manchmal ärgerlich nach einem unfern von ihnen auf einem alten Stamm sitzenden Loon oder Wassertruthahn hinüber, der ihnen mit seinem monoton melancholischen Schrei zu viel Lärmen an dem stillen Abend macht. Dort in den Wipfeln jener Cypressen geht ein Volk weißer und blauer Reiher zu Ruh; schlanke langhalsige Burschen, die sich die höchsten Spitzen der Bäume aussuchen, darauf zu schaukeln. – Und die Nacht, wie sie so still durch den Wald zieht, erst die Büsche und Dickichte füllt und die Schluchten, dann weiter und weiter preßt und sich zuletzt erst, wenn der Wald schon in tiefem Schweigen ruht, mit weißlichem Hauch auf den Strom legt, der jetzt noch einmal so rasch zu laufen, noch einmal so laut zu rauschen scheint.
Wie die Maschine da klappert, die Räder schlagen und schäumen, und der Dampf so scharf und zischend aus den schlanken Röhren fährt. Und die Fluth quirlt so dick und tückisch darunter hin, und hebt sich und springt hinten nach, wie ein bissiger Köter, der schnappend nach dem stolz vorbeitrabenden Roß hinüber fängt.
Die Arbeiter an den Plantagen ziehn zu Haus, muntere Lieder tönen von dort herüber wo die kleinen Feuer sichtbar werden, die Leute haben einen Arbeitstag hinter und eine freie Nacht vor sich, warum sollen sie nicht fröhlich sein? – bis die Negerglocke morgen früh um 4 Uhr tönt dürfen sie ruhen.
Und vorwärts wühlt und klappert und schnaubt das Boot; die Gluth der unter den Kesseln geschürten Feuer wirft einen rothen unheimlichen Schein links und rechts hinaus auf die Fluth, und vor den Kesseln, mit langen Schürstangen in der Hand, mit nacktem Oberleib, an dem der Schweiß in Strömen niederträuft, die Gesichter und Arme geschwärzt, und die Stirnen so heiß und glühend fast wie der Heerd an dem sie arbeiten, stehen die Feuerleute des Boots, rühren die flammenden Scheite durch- und ineinander, und werfen neue ein in die kleine Öffnung die zu dem Zweck über den Thüren gelassen. Es sind Neger und Weiße – meist freie Schwarze, oft aber auch Sclaven und zwischen ihnen die Söhne aller Stände, fast aller Welttheile, die mit der Schürstange und dem heißen Schweiß sich ihr Brod verdienen müssen im Lande der Freiheit. Manche Hand, die sich sonst nicht ohne glacirtes Leder der Luft preisgab hat hier den eisernen Schürer geführt, und mit dem Eimer die schmutzige Fluth heraufgezogen, einen frischen Labetrunk zu thun; manches Muttersöhnchen, das zu Hause gehätschelt und gepflegt und verzogen wurde, und den Zug meiden mußte und die kalte Nachtluft, hat hier eingeholt, was es daheim versäumt, und ist mit triefender Stirne und von der schweren Arbeit zitterndem Körper, hinausgesprungen auf den offenen Gangweg, von dem kalten einigen Luftstrom der sich dem Boot entgegenwarf die fieberheißen Glieder kühlen zu lassen und dann von Neuem in das Gluthenmeer der Kessel einzutauchen. Grafen und Barone, Referendare und Lieutenants haben neben und mit dem zäheren Neger hier schon oft geheitzt, mit ihm aus einer Schüssel gegessen, in einem Raum geschlafen, wie er behandelt und bezahlt und – sind nicht schlechter dadurch geworden; aber kräftiger und gesunder – wer von ihnen es eben aushielt und nicht vielleicht in New-Orleans im Pottersfield13 oder an irgend einer Holzladung im Mississippi-Sumpf abgeladen und eingescharrt wurde.