Kitabı oku: «Pfarre und Schule. Dritter Band.», sayfa 4
»Aber der Herr Pastor Scheidler.«
»Meint es sonst gut mit mir, und wird mir da, wo er einsehn muß, ich handele aus Ueberzeugung, nicht feindlich entgegentreten. Uebrigens habe ich Nichts zu scheuen, und die heimlichen Conduitenlisten – das Vehmgericht des Schulvorstandes – werden hoffentlich auch bald ihr Ende erreichen.«
»Ich sehe, wir überzeugen einander doch nicht,« sagte Brauer lächelnd – »Sie sind einmal unverbesserlich – doch, Sie haben wohl auch gar hier Stunde zu geben, da will ich nicht stören.«
»Es hat erst eben zehn Uhr geschlagen,« sagte Sophie, die bis dahin, dem Gespräch still aber aufmerksam lauschend, an ihrem Nähtisch gesessen hatte.
»Kann ich den alten Kleinholz jetzt sehn?« frug Pastor Brauer den Schulmeister.
»Er wird sich herzlich freuen« – erwiederte dieser – »wir haben ihn heute, wo die Schulstube doch nicht gebraucht wird, herunter in diese geschafft, damit oben nur einmal gelüftet werden kann. Er ist übrigens um vieles besser, und ich denke, wir werden ihn wohl durchbringen.«
Pastor Brauer nahm seinen Hut, verbeugte sich gegen Fräulein Scheidler, nickte Hennig freundlich zu und verließ das Zimmer. –
Fünftes Kapitel
Die Zeichnenstunde
Als Pastor Brauer die Thür hinter sich zugezogen hatte, räumte das Mädchen die noch vom Frühstück dastehenden Teller und Gläser hinaus, und Sophie trug das Papier und die Zeichnenapparate herbei, um die Stunde zu beginnen.
Hennigs Wangen glühten von der gehabten Unterredung in fieberhafter Aufregung und seine Augen leuchteten von einem ganz ungewöhnlichen Feuer. Er sprach aber kein Wort, und bereitete sich ruhig vor, die gewöhnlichen Stunden auf gewöhnliche Art zu beginnen. Nur im Herzen war's ihm leicht und hell geworden – das klare Bewußtsein, der feste Wille, sein schönes Ziel im Auge, sich durch kein Hinderniß, keine Drohung abschrecken zu lassen, verlieh seinem ganzen Wesen eine größere Elasticität, eine edlere Festigkeit, als er sie noch je in sich gefühlt und empfunden.
Sophie legte die Vorzeichnung vor sich hin, spitzte die Kreide, schob sich Gummi und Wischer zurecht und schaute erst, wie zerstreut, ein paar Secunden vor sich nieder. Hennig sah von der Seite zu ihr auf – der ganze schöne Traum seines Lebens flog in lieblichen lockenden Bildern zauberschnell an seiner Seele vorüber und wie von Seraphsklängen durchschauert, hörte er den süßen zitternden Laut, der in heiligen, ahnungbelebten Accorden durch seine Seele schwoll.
»Herr Hennig!« sagte da die leise Stimme der Jungfrau, und Hennig fuhr, wie von einem elektrischen Schlag getroffen, zusammen. Selbst Sophien entging, obgleich sie, während sie sprach, die Augen auf das Papier geheftet gehalten, dieser schnelle Schreck nicht, und sie blickte erstaunt den Lehrer an. Hennig sammelte sich aber rasch wieder.
»Fräulein Scheidler –«
»Ist Ihnen nicht wohl?« frug Sophie, der die plötzliche Blässe des jungen Mannes auffiel – »Sie sehen so bleich aus.«
»Nein – ich danke tausendmal – es ist wahrlich Nichts – nur die Aufregung vorher, vielleicht – ich war in der Vertheidigung meiner Lieblingsidee warm geworden, ich fühle mich jetzt schon wieder ruhiger.«
»Herr Hennig,« wiederholte da, die Blicke aufs Neue gesenkt, Sophie – »sein Sie mir nicht böse, wenn ich vielleicht eine kindische Frage an Sie thue.«
»Mein Fräulein. –«
»Nun gut – sehn Sie – Sie – Sie meinen es mit der Schule und Ihrem Stande gewiß recht gut, und – sollte ich so recht frei vom Herzen weg reden – und wäre ich nicht gerade eines Pastors Tochter, ich glaube, ich könnte Ihnen vollkommen beistimmen, aber weshalb opponiren Sie gerade dem Vater immer so? Ich weiß, Sie haben ihn gern, oft schon, wenn Sie beide zusammen über das leidige Kapitel stritten, habe ich Thränen in Ihren Augen gesehn, und sie nahmen nie ein herzlicheres ›Gute Nacht‹ von ihm – als wenn Sie einander recht die Meinung gesagt. Mein Vater wird aber alt und ein wenig krittlich, und da müssen Sie schon etwas nachsehn – überhaupt – und nicht wahr, Herr Hennig, mir werden Sie über die Frage nicht so böse, wie dem Pastor Brauer –«
»Fräulein Scheidler –«
»Also will ich's wagen – ist es denn gar so etwas Erschreckliches,« und Sophie lächelte dem armen Hennig recht freundlich bittend dabei von der Seite an – »wenn der Geistliche, von dem man doch vernünftiger Weise erwarten muß, daß er ein guter Mensch sei, die Oberaufsicht über die Schule führe? – und wär es denn gar nicht möglich, daß Sie – nur ein ganz klein wenig von Ihren Ansichten – abweichen – wenigstens die häßliche Zeitung aufgeben könnten, über die sich der Vater, wie ich Ihnen im Vertrauen gestehen will, gestern Abend wirklich recht geärgert hat. Ich kann Sie wahrhaftig versichern, daß es für Sie besonders recht gut sein wird, wenn Sie sich den Vater zum Freund behalten, er hat wirklich – aber das nur unter uns, denn ich soll eigentlich kein Wort davon sagen – die besten Absichten mit Ihnen. – Es steht Ihnen eine ganz gute Stelle von zweihundert und zwanzig Thalern bevor – nur ein klein wenig nachgeben müssen Sie. Es ist ja doch nur um Ihrer selbst willen,« fuhr das holde Kind, als Hennig Nichts darauf erwiederte, sondern nur still und wehmüthig vor sich niedersah, fort – »es ist wahrlich zu Ihrem künftigen Glücke, wenn es so bleibt, und wir haben Sie Alle so gern, und möchten Ihnen gern wohl.«
»Auch Sie, Fräulein Scheidler?« sagte Hennig leise und ohne die Augen vom Boden zu heben, aber mit einem so eigenthümlichen Ausdruck im Ton, daß Sophie im Anfang nicht gleich recht wußte, ob diese Frage auf ihre letzte Aeußerung sich bezog, oder ob es wieder ein leiser Vorwurf sein sollte.
»Auch ich,« erwiederte sie deshalb nach kurzer Pause, leicht erröthend – »warum ich weniger?«
»Und zu meinem künftigen Glücke, sagen Sie, wäre es?« frug Hennig, jetzt voll und fest zu ihr aufschauend, und den zum Theil verlegenen Ausdruck im Antlitz des Mädchens bemerkend, fort – »mein Glück soll damit gesichert sein, wenn ich, abhängig wie bisher, kaum so gestellt, um allein in der Welt dastehn und leben zu können – viel weniger denn daran denken zu dürfen, auch an meinen Heerd ein trautes Weib einst heimzuführen, wenn ich nicht des alten Kleinholz schaudererregendes Bild Tag und Nacht vor Augen haben will – mein Glück soll gesichert sein, wenn ich willig das neue, um wenige Pfunde leichtere Joch auf den Nacken nehme und dafür Alles – Alles – doch nein,« brach er plötzlich ab, »Sie können nicht wissen, nicht ahnen, wie es in einem solchen vater-, mutter- und freundelosem Herzen aussieht – wie sich dessen ganzes Streben dann, einmal erwärmt, auch nur auf einen Brennpunkt seiner Seele hindrängt und dem Ziel mit allen – allen – mit den letzten Kräften entgegenwirkt. Darin getäuscht, und es müßte rettungslos untergehn, denn für ein zweites blieb ihm kein Blutstropfen, nicht die Kraft einer einzigen Sehne mehr.«
»Aber ich verstehe Sie nicht,« sagte Sophie, von den dunklen Worten, sie wußte selbst nicht warum, beängstigt.
»Halten Sie es nicht für möglich, Fräulein Scheidler,« sagte da Hennig, durch Zeit und Aufregung, ja selbst durch des Mädchens wunderbar befangenes, sich aber doch so freundlich zu ihm neigendes Wesen, unwiderstehlich zum letzten entscheidenden Schritt – entscheidend, denn er sollte den Urtheilsspruch über sein ganzes künftiges Leben sprechen – hingezogen, »halten Sie es nicht für möglich, daß ein armer, bis jetzt schon durch seine Verhältnisse unterdrückter Schullehrer auch in seinem Inneren sich ein höheres – das höchste Ziel gesteckt haben könnte? Würden Sie dem armen Mann da zürnen, wenn er Stolz und Selbstgefühl genug in sich trüge, sich selbst des Höchsten für werth zu halten?«
»Ich verstehe Sie wahrlich nicht,« flüsterte Sophie, aber eine unbestimmte Ahnung drang mit schmerzlicher Wehmuth an ihr Herz und gab der Lippe kaum Raum, die wenigen Worte zu flüstern.
»Ich habe neulich,« sagte da Hennig plötzlich, den Kopf dabei in die Hand stützend und stier vor sich nieder auf den Tisch schauend – »ein kleines Märchen gelesen – darf ich es Ihnen erzählen?«
»Ja,« flüsterte Sophie – »aber – aber unsere Zeichnen–« Stirn und Wangen glühten ihr, während Hennigs Gesicht von Todtenblässe überzogen war. Dieser begann – die letzten Worte überhörend – mit ruhiger Stimme:
»Weit entfernt von hier, in einem schönen herrlichen Lande, wo der ewig blaue Himmel reizende palmbeschattete Thäler überspannt, da wohnte ein fleißiges, arbeitsames, aber sonst unterdrücktes und geknechtetes Volk. Ein ungeheurer mächtiger Riese hauste auf dem Gebirgsrücken, durch dessen Schluchten der einzige Weg in das freie niedere Land führte, und brandschatzte die Bewohner des Thales und duldete nicht, daß sie gediehen und glücklich wurden. Selbst der König war nicht im Stande, das zu hindern, wenn er es auch gewollt, und sein Volk schmerzte ihn – er schämte sich aber auch seines Volkes, daß kein einziger Held genug darunter sei, den Kampf wenigstens mit dem Ungeheuer zu wagen, und das Land – die kommenden Generationen – von dieser Geißel zu befrein.«
»Der König, Fräulein Scheidler,« fuhr Hennig mit etwas leiserer, bewegterer Stimme fort – »hatte ein einziges holdes Töchterlein, und hoch erhaben stand sie über den armen niedergedrückten Unterthanen des Reichs – Einer aber von denen, Einer, dem hatte es lange am Herzen genagt, daß sich ein ganzes Volk von einem einzigen solchen Wesen – und wenn es selbst ein Riese gewesen wäre – sollte knechten lassen, und er gürtete oft sein Schwert um und ging aus, den Kampf zu wagen – immer aber fehlte ihm das Höchste dazu, um glücklichen Erfolg und Sieg sich zu versprechen. – Nicht der Muth etwa – er war voll hohen Muthes und kannte keine Furcht – nicht die Ausdauer – sein in der Schule des Leidens und Entsagens gestähltes Herz verließ ihn nicht in Sturm und Noth – aber noch fehlte ihm die Begeisterung – die Begeisterung für das Herrlichste, die uns auch noch im Tode einen Sieg erblicken läßt.«
»Da sah er des Königs Töchterlein – es war nur ein Blick in das treue seelenvolle Auge, aber er zündete wie ein Strahl aus himmlischen Höhen. Und sie des Königs Kind? Schreckte ihn nicht der Glanz und Schimmer, der ihren Thron umgab, und durfte er, aus niederem Stamme geboren, es wagen, die Augen zu ihr zu erheben? – Und weshalb nicht? – was adelte in alten Zeiten den kühnen Mann, als eben die kühne Mannesthat? – was schnallte dem armen Knappen den goldnen Sporn an die Ferse, und hing das Wappenschild an seinen Arm, als der Muth – der treue unerschütterte Muth in Kampf und Gefahr? – Mit Gott – war sein Wahlspruch – mit Gott dem Feinde die frei Stirn geboten – mit Gott den ungleichen Kampf gegen Uebermacht und Gewalt begonnen, und blüht Dir dann der Sieg Du armer treuer Knappe – prangt dann in Deinem Haar der lohnende Lorbeerkranz und legt sich um Deine Brust die Ehrenkette, dann – dann – ach wer darf es dem armen Manne verdenken, daß er, berauscht von solchem Traum, keine Möglichkeit des Mißlingens dachte.«
»Wenn das ein Gleichniß sein soll, das den Kampf der Schule mit der Kirche darstellt,« sagte Sophie, der das Herz in seinem wilden Pochen vor Angst und Unruhe die Brust zu sprengen drohte, und die in all ihrer Noth gar nicht wußte, wie sie die nur zu wohl verstandene Meinung abwenden – eine weitere Erklärung wenigstens verzögern solle – mit erzwungenem Lächeln, »so ist das wahrlich nicht schmeichelhaft für meinen Vater – der wäre ja denn auch wohl mit unter dem ›Riesen‹, dem ›Ungeheuer‹ verstanden – aber Sie – Sie haben das wohl nicht so bös gemeint.«
»Sophie,« sagte da Hennig, nicht mehr im Stande, seiner gewaltigen Bewegung Meister zu bleiben – »Sophie,« flüsterte er, mit kaum hörbarer Stimme und ergriff die zitternde Hand der Jungfrau, die ihm nicht entzogen wurde – »bleibt dem Armen die Begeisterung? – lacht ihm in jenes königlichen Kindes Augen der herrliche Lohn für Tapferkeit und Muth, und darf er hoffen, wenn er, nicht mehr als unterdrückter Bewohner des Thals, nein als freier, selbstständiger – als befreiter Mann sein Knie vor der Jungfrau beugt – wird ihm der Lorbeer- und der Myrtenkranz?«
Sophie entzog ihm ihre Hand – barg einen Augenblick ihr Antlitz darin und sagte dann, vom Tische aufstehend, mit leiser, aber fester Stimme:
»Ich würde unrecht handeln, wollte ich mich stellen, als verstände ich den Sinn Ihrer Rede nicht, lieber Hennig, und ich kann wohl sagen, daß mich ihr Inhalt tief ergriffen hat – ich hatte keine Ahnung von solchen Gefühlen – konnte sie nicht haben – und es bleibt mir nur eine Erwiederung. – Wenn nun – wenn nun der kühne Kämpfer auf des Königs Schloß käme – und fände – und fände, daß indessen ein Fremder – ein Gast ihres Vaters – die Liebe – die Hand des Mädchens erhalten?«
Hennig erhob sich still von seinem Platze – er schaute lange und fest auf die Jungfrau, die mit gesenkten Blicken vor ihm stand, hinüber, dann ergriff er langsam ihre Hand – zog sie an seine Lippen – drückte einen leisen, leisen Kuß darauf – und verließ das Zimmer.
Sechstes Kapitel
Der heilige Abend
Hui, wie der eisige Nord über die düstere eherne Erde pfiff und brauste; wie er die Gräser und Blüthen knickte, die der milde Herbst noch geschont und gehegt, wie er die letzten gelben Blätter von den Bäumen riß, und sie im tollen Spiel über die Haide trieb, und die spröden staubigen Schneeflocken dann in dünnen durchsichtigen Nebelschleiern an Hängen und Halden vorüberjagte. Hui, wie das tobte und sauste, und die alte knarrende Wetterfahne auf dem grauen Hornecker Kirchthurm fast zur Verzweiflung brachte, hui, wie das durch die Bergschluchten strich, und die Bäche und Quellen faßte, und in stählerne Banden schlug.
Winter; die Oefen glühten, und dicht verschlossene Thüren hielten den kalten, unwillkommenen Gast vor der Schwelle draußen – Winter – in Mäntel und Pelze gehüllt, schritt der Wanderer die öden hartgefrorenen Pfade entlang – Winter – die dünnen Lumpen fest um sich hergezogen, lag der Arme fröstelnd und zusammengekrümmt auf seinem harten, kalten Lager, und träumte von geheizten Stuben und warmen Kleidern – träumte – bis ihn der Frost wieder weckte, und zu neuem qualvollen Dasein in Leben und Bewußtsein rief.
Der Winter war in aller Kraft und Stärke, und zwar ganz auf einmal und urplötzlich hereingebrochen; und nicht etwa wie ein silberhaariger Greis kam er, mit dem entlaubten Stab in der Hand, und dem gelben Eichenkranz im Haar – sondern toll, wild, wie ein roher, wüster Kriegsgesell, der mit Morgenstern und starrer Pickelhaube, in die friedliche Wohnung der Menschen einbricht, und was er nicht plündern kann, zerstört und in Stücke schlägt, – nicht deckte Felder, Wald und Dorf die stille, reinliche, warme Schneedecke, unter der die Saaten friedlich schlummern, und des kommenden Frühjahrs harren, die dem Wald jene großartige stille Ruhe verleiht, und den Dörfern ein so sauberes, ja selbst hübsches Aussehen giebt; wo die weichflockigen Massen die Fenster von außen halb umschließen, daß der Wind die Ritzen nicht findet, durch die er sonst muthwillig in die Stube dringt – wo die festen Decken auf den Strohdächern liegen, und in Massen, oft wie drapirt davon herunterhängen, und hohe schloßenweiße Haufen, welche die vor den Thüren gekehrte »Bahn« umdämmen – wo die rothbackigen Kinder auf kleinen schmalen Schlitten mit ängstlich fröhlichen Gesichtern den steilen Kirchberg herunter schießen, und mit Freuden zehn und zwanzigmal wieder bergan keuchen, um nur wieder mit Blitzesschnelle auf's Neue niederfahren zu können – wo die Hecken und Obstbäume darein schauen, als ob sie, in schützende wollene Decken gehüllt, mit ruhigem Vertrauen jetzt einer etwa schärfer hereinbrechenden Kälte entgegensehen würden.
Nein, starr und eisern brach er an; die tiefen Wagengleise der Straße bannte er in ihre Form, die Sturzäcker blieben unerbittlich hart und schroff – dem grünen Raps auf den Feldern draußen, wo der Hase Nachts sein Mahl hielt, und das Rebhuhn Schutz gegen den schneidenden Nord fand, brach er das Herz, daß er gelb und abgestorben dahin welkte – den Pflug, den noch der nachlässige Knecht im Acker gelassen, hielt er mit unerschütterlicher Gewalt und felsenfest an seine Stelle gebannt – die Gräser starben, die Bäche standen, und knarrende, ächzende Wagen führten in geschäftiger Eile die so nöthige Feuerung aus dem starr und trübselig dem gestrengen Winter in's Antlitz schauenden Wald herein.
Es war Weihnachten – und dieser auf der Pfarre als Sonntag ein dreifacher Feiertag – Sophie, des Pastors Töchterlein wurde heute, am 24. December, zum dritten und letzten Male von der Kanzel herunter, der freundlich zusammenflüsternden Gemeinde als ehrsame Braut des Franz Hermann Wahlert, Dr. phil. und Sohn Sr. etc. etc. des Herrn Generalsuperintendenten Wahlert etc. etc. – verkündet, und das holde Kind selber saß, tief das Köpfchen gesenkt, daß Niemand das rosig übergossene, frommen Dank athmende Angesicht mit neugierigen Blicken entweihen und zu noch höherer Röthe treiben könne, auf ihrem stillen versteckten Plätzchen, schräg der Kanzel gegenüber.
An dem Tag ging es hoch her in der Pfarre, und Pastor Scheidler hatte, um das schöne Fest so recht mit allem Pomp zu feiern, auch den Schullehrer und das Gemeindeoberhaupt dazu einladen wollen. Sophie bat aber so lange, an dem Tag gar keine Gäste sehen und ihn ganz allein und still in der Familie verbringen zu dürfen, bis der Pastor endlich nachgab, und nur kopfschüttelnd meinte, das sei wieder einmal eine der wunderlichen Launen seines lieben Töchterleins, der sich Vater und Mutter, sie möchten nun wollen oder nicht, fügen müßten. Es geschah aber doch so, und nur das ließ sich der Pastor nicht nehmen, daß den beiden Schulmeistern, jedem eine Flasche Wein und eine tüchtige Portion Kuchen hinübergesandt würde, und Sophie mußte das selber besorgen.
Der Tag verfloß so in der Pfarre in stiller häuslicher Glückseligkeit, und der Plan für den Tag war folgendermaßen bestimmt. Nach der Predigt wollte der Pastor bei den Seinen bleiben, die Betstunde konnte der Schulmeister heute in der Kirche halten, Abends aber, vor der Bescheerung, und mit hereingebrochener Dunkelheit, wenn die Lichter angezündet standen, und die Herzen der Kinder in ängstlicher freudiger Ungeduld an zu pochen und zu schlagen fingen, dann legte Pastor Scheidler am Altar drüben seines ältesten Töchterleins Hand in die des Mannes, der ihr für ihr ganzes künftiges Leben Schutz und Hort sein sollte, und zum Christbaum hinüber führte der glückliche Bräutigam die erwählte liebe, traute Gattin.
So glücklich und froh es aber in der Pfarre aussah, so trübe und traurig stand es in der Schule drüben, Kleinholz war heute einmal recht schwach und elend geworden, klagte fortwährend über Kälte, trotzdem daß sie ihn unten in der Schulstube neben dem derb geheizten Ofen sein Bett gemacht, und wollte Luft – Luft – Luft haben. Das aber war nicht gut möglich, denn hätten sie Fenster oder Thüren geöffnet, so wäre der kaum erwärmte Raum augenblicklich wieder durchkältet worden, und jener eigenthümliche feine, durchdringende Dunst, der niedrigen, feuchtgelegenen Schulstuben stets eigen ist, legte sich dem armen Kranken nur immer drückender auf die Brust, und verstattete ihm nicht einmal ordentlich und frei aufathmen zu können.
Lieschen wich nicht von seinem Bett, und reichte ihm mit treuer Sorgfalt und wirklich ängstlicher Genauigkeit die verordnete, und von Hennig selbst gestern aus der Residenz besorgte Medicin. Dabei mußte sie in demselben Raum und an der anderen Seite des Ofens die Kinder reinigen und anziehen, in der Röhre das spärliche Mahl kochen, und das Geschirr am Morgen, wozu ihr bis jetzt noch keine Zeit geworden war, aufwaschen. Dennoch war dem armen Kinde das Herz dabei froh und leicht – heute Morgen am Geburtstage des Herrn, hatte sie Nachricht – die erste Nachricht von dem Geliebten erhalten, um den sie sich die ganze Zeit abgesorgt und gequält – heute kam der Freudenbote, der ihr einen Brief, eine ausführliche und genaue Beschreibung seiner Flucht brachte. Und selbst auf dem Schiff, das ihn hinüber in das Land der Freiheit führen sollte, war er geschrieben, schon in der See draußen erst vollendet und zugesiegelt worden, und der »Lootse« (Lieschen wußte freilich nicht, was das für ein Mann war, und was er bedeute, hatte ihn aber doch dafür von ganzer Seele lieb) nahm ihn mit zurück an's Land, wo er versprochen, ihn richtig zu besorgen. Und wie mußte der sein Wort gehalten haben – aus einem ganz fremden Land her, wo sie eine andere, fremde Sprache redeten, wo die See bis dicht an die Stadt kam, wie ihr Fritz schrieb, und die Leute ganz anders gekleidet gingen, und gar wunderlich aussähen, kam der Brief, und brachte ihr Trost und Frieden für das arme so übervolle Herz. Und was versprach er nicht alles für die Zukunft, wie wollte Fritz in Amerika arbeiten und fleißig sein, und viel, viel Geld verdienen, bis er so viel habe, daß er sich ankaufen, und die Lieben dann alle, alle hinüberholen könne – und wie herrlich wollten sie dann in Frieden und Seligkeit zusammen leben, und Leid und Freud' so gern, o so unendlich gern gemeinschaftlich ertragen.
Lieschen las den Brief wohl fünf sechsmal durch, und trug ihn dann auch noch in der Tasche herum, daß sie dann und wann darnach fühlen, und sich immer überzeugen könne, es sei wirklich wahr, ihr Fritz habe ihr den Brief geschickt, und er segle jetzt, frei und glücklich, jeder Gefahr entronnen – nur dem bösen Wasser nicht, an das sie manchmal mit Angst und Grausen dachte – dem schönen, herrlichen Amerika – jetzt dem gelobten Lande ihres Sehnens, ihrer Träume, entgegen.
Die Kirche war aus, und Hennig kam zum Mittagsessen in die Schule. Er hatte heute, als am heiligen Abend, oben in der Schenke, wo sie ein fettes Schwein geschlachtet, einen Braten bestellt, und ein so leckeres Mahl hatte die Tafel der armen Leute lange nicht geziert – ei, wie die Kinder mit der braunen Kruste schon vorher, ehe sie zufahren durften, liebäugelten, und wie Karl, der dritte, ein siebenjähriger blondhaariger, aber etwas bleich aussehender Bursche zweimal in dem jeden Tag gehaltenen Tischgebet so stecken blieb, daß ihn der Vater, vom Bett aus, mit schwacher, aber unwilliger Stimme unterstützen mußte.
Schweinebraten – Du lieber Gott – wann war auf Schulmeister Kleinholzes Tisch Schweinebraten zum letzten Mal gewesen – und zwei Flaschen Wein – nein, da hörte alles auf. – Eine Flasche wurde übrigens gleich in den verschlossenen Eckschrank gelegt, denn so hatte es Hennig angeordnet – und aus der anderen schenkte er jetzt in die wenigen Gläser, und als die nicht ausreichten, in Tassenschälchen, das hellblinkende flüssige Gold ein.
»Und Sie selbst wollen nicht mittrinken?« frug Lieschen erstaunt und bittend – »o guter Herr Hennig, das dürfen Sie uns nicht zu leide thun.«
Hennig hatte Kopfschmerzen – der Wein bekam ihm überhaupt nicht, und heute, wo er am Nachmittag noch obendrein Betstunde zu halten hatte, wollte er es jedenfalls unterlassen – vielleicht morgen. Weiteres Zureden half nichts, und das Mahl – und wie fettig sahen die Kinder danach aus – ging still und ruhig vorüber.
Die Betstunde war gehalten – die rothglühende Sonne, die den ganzen Tag hell, aber nicht erwärmend geschienen, sank hinter die dunkelgrünen Fichtenwände, und der Abend brach mehr und mehr herein.
Weihnachten dämmerte, o Du lieber, lieber heiliger Abend Du, mit Deinen frohen Kindergesichtern, und den eifrig sorgenden und emsig geschäftigen Eltern, mit den flammenden Kerzen, und dem grünen zackigen Baum, mit den goldfunkelnden Aepfeln und Nüssen, dem köstlichen Zuckerwerk, und all' Deiner darunter ausgebreiteten Herrlichkeit. – Mit Deinem geheimnißvollen verschwiegenen Zauber, mit dem Du der Kinder Herzen in heiliger Scheu und Ehrfurcht erfüllst. – Und jetzt – jetzt – endlich tönt das, o wie lang, wie heiß ersehnte Klingeln – die Thür wird aufgerissen – der Glanz der Lichter blendet die erst so ungeduldige, und jetzt doch so scheu und schüchtern zögernde Schaar der Kleinen. Endlich aber ist die erste Ueberraschung besiegt – überwunden – das Jüngste wird auf dem Arm seinem Plätzchen mit dem kleinen winzigen Baum für sich allein, entgegengetragen, und ihm nach drängen, dadurch Muth gewinnend, die älteren Knaben und Mädchen, und jetzt –
O Leser, wie unglücklich müßtest Du sein, wenn Du nicht, auch ohne das Heraufbeschwören des theuren Bildes, die Lust und Wonne selbst empfändest, an der Eltern Hand zu Deinem Christbaum geführt zu sein – hast Du das aber – glühte Dir nun einmal der helle funkelnde Kerzenglanz in's Thränen gefüllte Auge, dann giebt es keine Macht auf dieser Erde – den Wahnsinn vielleicht ausgenommen – die Dir so lange Du lebst und athmest, die Erinnerung – die selige Erinnerung an jene Zeit, rauben könnte. Ja, je ärger Noth und Sorge auf Dich einstürmt, je weiter Du von Deinen Lieben entfernt, in fremden Ländern einsam, freundlos irrst, mit desto lebendigeren, desto glühenderen Farben tritt das Andenken an jene selige glückliche Zeit in den trüben Rahmen Deiner Gegenwart, und nur dann zerfließen die Gebilde in ihr ödes trauriges Nichts, wenn Du sehnend, verlangend die Arme ausstreckst, sie zu erreichen.
Weihnachten brach an, Pastors Kinder saßen, in die Hinterstube gebannt, ungeduldig um den runden Tisch und versuchten mit allerlei altem, aus Ecken und Winkeln vorgekramten Spielwerk die schleppende Zeit zu kürzen – doch vergebens. Immer und immer wieder sprang eins oder das andere auf und stürmte der Thüre zu, dort das Auge an das Schlüsselloch zu pressen, und zu sehn, ob denn die Mutter nun endlich mit dem längst erwarteten Rufe käme.
In der Kirche stand indessen der Altar festlich geschmückt und erleuchtet und trotzdem, daß auch bei ihnen daheim die Kinder alle warten und ausdauern mußten, saß fast die ganze Gemeinde im Gotteshaus versammelt – Pastors Sophiechen war aber auch mit ihrer Engels Güte und Sanftmuth der Liebling des ganzen Dorfes und deren Ehrentag hätten sie um's Leben nicht versäumen dürfen.
Oben auf der Orgel befand sich die ältere Schuljugend, der Theil der ersten Classe, den der Lehrer zu den geistlichen Liedern tüchtig eingeübt, daß er die vor und nach der Predigt gesungenen Lieder, wie die manchmal abirrenden Gemeindemitglieder ordentlich in Takt halten könne, und der Schulmeister selbst saß vor seiner Orgel, und schaute in einen, über den Tasten gewöhnlich schräg angebrachten kleinen Spiegel nach dem von hellem Lichterglanz umflossenen Altar hinüber, vor dem, den Rücken dem hoch über ihn hinragenden Krucifix zugekehrt, der Pastor stand und dem jungen Brautpaar mit von eigener Rührung oft unterbrochener Stimme, gar nicht wie er es sonst gewohnt war, in schwülstigen Phrasen und Redensarten, sondern schlicht und einfach vom Herzen weg, und deshalb auch wieder mit solch unwiderstehlicher Gewalt zum Herzen sprechend die Trauungsrede hielt.
Sophie deckte ihre Augen mit dem Tuch und konnte der Thränen nicht wehren, und selbst Wahlert – der sonst über den christlichen Cultus seine ganz besonderen Ansichten mit sich herum trug – stand gerührt und schämte sich fast über die unmännliche Thräne, die ihm, er mochte an sich halten so viel er konnte, die Wimpern füllen wollte.
Nicht weit von dem Paar, aber mehr zur Seite, und von ein paar hölzernen Pfeilern vollkommen gedeckt, lehnte, in ein weites dunkles Tuch geschlagen, eine schlanke, weibliche Gestalt, und lauschte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit den Worten des Predigers. Ihr Antlitz ließ sich aber nicht erkennen, die schwarze Nebelkappe, die sie trug, deckte die Züge, hätte sie den Kopf auch nicht so tief gesenkt und vom Lichte abgewendet, vollkommen.
Die Rede war beendet, die gewöhnliche Trauungsformel wurde gesprochen, und das Ja der beiden jungen Eheleute, so leise und schüchtern es Sophie mit ängstlich pochendem Herzen aussprechen mochte, klang klar und deutlich, während die Versammlung in Todtenstille selbst nicht zu athmen wagte, bis in die entferntesten Theile des gewölbten Raumes. Die Frau hinter dem Pfeiler zuckte zusammen und stützte die Schultern fest und sicher gegen das breite Holz, kaum aber waren die Worte gesprochen, als oben auf der Orgel der Schulmeister Hennig mit den klangvoll schwellenden Tönen das einfache herrliche Lied, in das die Gemeinde jauchzend mit einfiel, anstimmte:
»Nun danket alle Gott,
Mit Herzen, Mund und Händen,
Der große Dinge thut
An uns und allen Enden.«
Das junge Ehepaar verließ mit dem Vater die Kirche, ihnen folgte, noch immer singend, die Gemeinde, und von der Orgel herab tönte in immer weicheren schmelzenderen Accorden, bis er endlich in leisen, leisen Klängen verschwamm, der Schlußchor:
»Lob dem dreiein'gen Gott,
Der ewig ewig war
Und ist und bleiben wird,
Lob jetzt und immerdar.«
Die Kirche war aus – die feierliche Handlung beendet; die Knaben stürmten hastigen Laufs vom Chor herunter der Heimath zu, wo die Bescheerung – die, sie mochte nun so dürftig ausfallen, wie sie wollte, doch immer eine Bescheerung blieb – ihrer harrte.
Auch die fremde Frau verließ, und zwar die Nähe der Uebrigen, so viel das gehn wollte, vermeidend, rasch die Kirche – langsam bewegte sich die Menschenmenge hinaus, und hinter ihr drein – aber eine lange lange Zeit nachdem Alles wieder an seinem gehörigen Platz gestellt, und die Lichter ausgelöscht worden – kam der Schulmeister und schloß die Thüre zu.
Was hatte der Mann so lange in der kalten dunklen Kirche allein gethan? –
Er schritt jetzt – und selbst jetzt noch zögernd – der Schule zu, wo er den Kindern eine kleine Freude aus der Stadt mitgebracht, und Lieschen aufgetragen hatte, die Sachen indessen zu ordnen. Lieschen war aber ebenfalls in der Kirche gewesen und die Kinderschaar deshalb eben erst durch sie in Vaters dunkles Kämmerchen eingesperrt worden, damit ihnen indessen der heilige Christ doch das Wenige ungestört bescheeren könne.
Der alte Vater Kleinholz mußte gerade ein Wenig eingeschlafen sein, und Lieschen, die ihn nicht wecken mochte, rückte so geräuschlos als möglich den Tisch zurecht, breitete ein schneeiges Tuch darauf und legte die Handschuh, die warmen Mützen und Filzschuh wie einige andere Kleinigkeiten zurecht, die anzuschaffen der gute Hennig sich das Geld hatte mühsam am Munde absparen müssen, und selbst da wäre es noch nicht gegangen, hätte er nicht für sich einem warmen Rock, so nothwendig er ihn auch sonst sicherlich brauchte, entsagt. Sollten aber die Kinder des alten Schullehrers, die einzigen vielleicht im ganzen Dorfe sein, die Nichts bekamen und dann traurig aus und betrübt nach den hellerleuchteten Fenstern der Uebrigen hinüberschauen mußten? Nein – nicht, so lange es in seinen Kräften stand, das zu ändern.