Kitabı oku: «Pfarre und Schule. Dritter Band.», sayfa 6
»Marie – Mädchen – Kind!« schrie er dabei mit zitternder, von Todesangst fast erstickter Stimme – »was ist Dir – wie siehst Du aus? – großer – großer allmächtiger Gott – und an der nämlichen Stelle, wo vor drei Jahren Deine Mutter starb –«
Marie raffte sich gewaltsam zusammen.
»Was – hier? – hier war es?« lispelte sie, und die großen glanzlosen Augen hafteten in einem unbeschreiblichen Gemisch von Schreck und Freude auf dem bleich und bebend vor ihr stehenden Vater – »hier in dem Haus? – in der Sylvesternacht?«
Der Alte nickte schweigend mit dem Kopf.
»Wie ist Dir denn jetzt eigentlich, Marie?« sagte er endlich etwas ruhiger – »Du hast mir einmal einen Schreck eingejagt – es ist wohl gar nicht so schlimm.«
»In demselben Zimmer, Vater?«
Der alte Musikant nickte noch einmal, und sah sich, fast wie scheu, in dem öden Raume um – »auf demselben Gestell, auf dem Du jetzt liegst,« flüsterte er mit kaum hörbarer Stimme.
Die Kranke sank wieder in ihre frühere Lage zurück, ein schwaches Lächeln stahl sich um ihre bleichen Lippen, und mit gefalteten Händen murmelte sie einige, dem Vater unverständliche Worte. Endlich streckte sie ihre linke Hand gegen ihn aus, und sagte:
»Vater – wolltest Du mir wohl eine Bitte erfüllen – eine Bitte, mit der Du mir eine recht große Liebe erzeigen könntest?«
Der alte Mann war indessen aufgestanden, und mit raschen Schritten im Zimmer hin und hergegangen; augenscheinlich arbeitete er daran, die weiche Stimmung, in der er sich befand, nieder zu kämpfen – er pfiff bald, bald summte er kurze, abgebrochene Sätze komischer Lieder vor sich hin. Bei der Bitte der Tochter wandte er sich rasch nach dieser um – sich plötzlich aber besinnend stampfte er mit dem Fuß, murmelte einen halb abgebrochenen Fluch in den Bart, und sagte:
»Ah was – laß die Possen – wir wollen lieber schlafen gehn.« Er schien die frühere, augenblickliche Rührung vollkommen abgeschüttelt, und sein rauhes unwirrsches Wesen wieder angenommen zu haben. Der Zustand der Tochter war ihm nämlich zu schnell und überraschend gekommen, und hatte dadurch all' die früheren, schon einmal an diesem Ort durchlebten Schreckbilder heraufbeschworen – sollte er das aber jetzt dem Kinde merken lassen? – Gott bewahre – wenn aber nun doch? – Er heftete den scheuen ungewissen Blick fest und forschend auf das Antlitz der Kranken – und wie mit einer eiskalten Hand griff's ihm an's innerste Herz. – In den Zügen stand der Tod – und dem hatte er schon zu oft in das grauenvolle Antlitz geschaut, um sich darin noch irren zu können – mit schneller, beruhigender Stimme setzte er hinzu – »was ist es denn, Marie, kann ich es Dir bringen?«
»Nur noch ein Lied – sing mir – sing mir heute Abend – dann wollen wir uns schlafen legen – morgen werd' ich schon wieder besser sein – willst Du, Vater?«
»Was für ein Lied, Marie?«
»Mein Lieblingslied – die Ballade von – von der todten Sängerin.«
»Es ist gar so ernst,« sagte der alte Mann, und kämpfte, jetzt die Blicke nicht mehr von dem immer blässer und leichenähnlicher werdenden Angesicht der Tochter wendend, gewaltsam gegen den unbezwingbar in ihm aufsteigenden Schmerz an –
»Die Ballade, Vater!«
Der Vater griff nach der Violine, die Tochter winkte aber bittend mit der Hand –
»Nicht das Instrument,« flüsterte sie – »die scharfen Töne thun mir weh – nur Deine Stimme, Vater – und – und Deine Hand dazu – das ist ja Alles, was – mir noch – geblieben.«
»Es ist so ein langweiliges Lied,« warf der Vater noch einmal ein, und suchte nur Zeit zu gewinnen, seine Thränen niederzuwürgen – »wie ist Dir denn, Marie?«
»Gut – gut, Vater – aber die Ballade!«
»Hm – ahem,« räusperte sich der Alte – setzte ein paar Mal an, und mußte immer wieder aufhören – »ahem«
Die Kranke ließ seine Hand nicht mehr los, lag aber still und geduldig des Anfangs harrend. Endlich hatte sich der arme alte Mann so weit gesammelt, daß er wenigstens seine Stimme gewinnen konnte, und mit leisen, klangvollen, aber doch vor niedergehaltenem Schmerz zitternden Tönen sang er:
Es steht am Meeresstrande
Eine stille bleiche Maid,
Barfuß im kalten Sande
Mit flatternd dünnem Kleid.
Und auf die schaumzersprühten
Und krausen Wogen aus
Streut sie zerpflückte Blüthen
Aus einem frischen Strauß. –
Mit solchem Ausdruck hatte der Mann noch nie gesungen! Die hellen Thränen rollten ihm über die faltigen hageren Wangen hinunter, als er Vers nach Vers beendete, und dem ängstlichen Blick nur immer mehr Grund zu wirklich ernster Besorgniß wurde. So wie er aber aufhören wollte, bat ihn ein leiser Druck der Hand fortzufahren, und er konnte der Bitte nicht widerstehen.
Zum drittletzten Vers war er so gekommen
Das – das war seine Stimme!
Hier ist – hier kommt die Braut!
Da schlug es draußen auf dem Thurm in langsam gemessenen Schlägen zwölf, und Marie zuckte, wie von Todesschauern ergriffen, zusammen.
»Mein Kind – mein Kind!« sagte der Greis, und wollte sich über sie hinüberbeugen.
»Den Schluß, Vater – den Schluß,« flüsterte die kaum noch hörbare Stimme – »o den Schluß!«
Am stillen öden Strande,
Vom Fluthenstrom umzischt.
sang der alte Mann, aber er war nicht mehr im Stande, den Tönen Worte zu geben – die Laute blieben ihm in der Kehle stecken – er machte ein- oder zweimal den Versuch, doch umsonst – es ging nicht, und während seine Thränen immer unaufhaltsamer quollen, pfiff er mit zitternden Lippen den Schluß der Ballade.
Mit dem letzten Ton dröhnte auch der letzte Schlag der schläfrigen Thurmuhr aus –
»Mutter!« lispelte das Mädchen, und der Greis sprang mit einem lauten Aufschrei von seinem Sitz empor –
»Marie!« rief er, und strich ihr mit vor Angst fieberhaft fliegenden Händen die kalte, feuchte Stirn – »Marie« –
Umsonst, alter kinderloser Mann – Deine Marie hört Dich nicht mehr – sie ist zur Mutter gegangen.
Laut schluchzend sank er neben dem Bett auf die Knie nieder, und barg sein Gesicht an dem kalten, harten Lager und stöhnte:
»War mir's doch den ganzen langen Tag, als ob eine Leiche im Zimmer läge.«
Achtes Kapitel
Pollers Rache
Unten im herrschaftlichen Hofe ging es recht still und geräuschlos her – der Oberpostdirector lag noch immer an den Folgen des Sturzes schwer darnieder, und wenn auch das eigentliche Wundfieber wohl überstanden war, so mußte sein Geist doch noch in furchtbarer Aufregung sein, denn er sprach viel und oft recht böse Sachen im Traum, und warf sich gewöhnlich so lange auf seinem Lager herum, bis ihn der Schmerz seiner kranken Glieder wieder aufweckte.
Der alte Poller war dabei gewöhnlich der Einzige, den er um sich duldete; seine Frau – sie mochte bitten oder weinen wie sie wollte – durfte nur sehr selten in's Zimmer, und dann auch nur wenige Minuten bleiben; der junge Poller ging ab und zu, und besorgte besonders alle die nöthigen Wege, sah nach dem Feuer u. s. w. Unten vor den Fenstern war dabei Stroh gelegt, damit das Rasseln der Wagen und das Klappern der Hufe auf dem Pflaster den Leidenden nicht stören solle, und die Knechte und Mägde hatten strengen Befehl, vor den Fenstern des Krankenzimmers besonders nicht zu lachen. Der Oberpostdirector konnte eher alles Andere hören, nur kein Lachen.
Heute schien er übrigens wieder einmal seinen ganz besonders bösen Tag gehabt zu haben, der junge Poller mußte springen und rennen und wurde fast ununterbrochen geschimpft und gescholten und wenn er sich ja einmal zum Ausruhn in einen Winkel drückte, trieb ihn sein Vater immer zuerst selbst wieder heraus. Der kleine giftige Bursche knirschte vor Zorn und Unmuth, entgegnete aber, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, kein einziges Wort des Widerspruchs und ertrug Alles – wenigstens schweigend.
Die Abenddämmerung rückte so langsam heran; immer die schlimmste Zeit mit dem Kranken, der dann stets eine Art Fieberanfall bekam, und oft bis Mitternacht die Aufmerksamkeit seiner Wärter im vollsten Grade in Anspruch nahm. Der junge Poller hatte dabei lange eine Gelegenheit gesucht, einmal auf eine kurze Zeit sich zu entfernen, gerade jetzt war aber nicht ein einziger Weg für ihn zu gehn, und er mußte bis lange nach sechs Uhr, und also schon in völlige Nacht hinein, fortwährend Handreichungen am Bette thun, und aus der Küche herauf und hinunterspringen.
Endlich sollte der Verband an der einen Quetschwunde, die den Kranken heftig zu schmerzen begann, erneuert werden, die Traubenpommade war aber nirgends zu finden – der junge Poller kroch unter allen Stühlen und Schränken herum, drehte das oberst zu unterst, und machte, jedoch immer ohne Erfolg, einen solchen Lärm, daß ihm sein Vater endlich ärgerlich zuflüsterte, mit dem verdammten Spektakel einzuhalten und rasch nach der Apotheke hinauf zu laufen, um andere zu holen. Karl Poller ließ sich das nicht zweimal sagen, griff nach seiner Mütze und sprang davon.
»Aber zum Dunnerwatter, wua stäckst de denn?« redete ihn da, als er einen schon früher mit Krautsch besprochenen Sammelplatz erreichte, dieser würdige Mann in der übelsten Laune von der Welt an – »ich stiehe und stiehe hiar un han mer die Hänge und Fiße beinah derfruren; un keen Mensche kimmt niche – wua bist de denn su lange gebliaben – he?«
»Das weiß der Henker,« stimmte Poller selbst mit ein, »heute war kein Loskommen; als ob die beiden alten Schufte – mein Vater und der Oberpostdirector, ordentlich gemerkt hätten, daß ich irgend 'was im Schilde führe.«
»Oho – jo niche,« sagte Krautsch erschreckt.
»Hab' keine Angst,« lachte der junge Verbrecher, »die glauben sich sicher genug bewahrt; ich soll jetzt Traubenpommade in der Apotheke holen.«
»Un nu mußt de in die Apothek ruff?« frug Krautsch bestürzt – »das giaht ja gar niche – mer missen uns doch –«
»Ich werde nicht so dumm sein,« lachte Poller – »ich hab' ja die Traubenpommade, ein ganz frisches Stück von heute Morgen – selbst erst in die Tasche gesteckt, um nur eine Ausrede zu kriegen und wegzukommen – die bring ich dem Alten jetzt wieder – der weiß viel, ob das neue oder alte ist.«
Krautsch lachte heimlich vor sich hin.
»Un dann kennen mer jetzt die Sache en bischen beriaden?«
»Nun das versteht sich,« lautete die Antwort, »aber etwas rasch, denn zu lange darf ich doch nicht wegbleiben.«
»Nu, wollen mer's denn noch hinte Obend machen?« flüsterte der Bauer – »ich bin g'rade uffen Zeug.«
»Ich denke,« erwiederte ihm Poller eben so leise – »im Schloß drin scheint auch Alles günstig, der Alte hat auch einmal wieder seinen bösen Abend, und da darf keiner weiter in die Zimmer kommen, wie wir Beide, mein Alter und ich – ich glaube, heute Abend gehts – aber welche Zeit?«
»Nu vor neine niche!« meinte Krautsch.
»Nein – aber auch nicht später, denn wenn das Thor erst einmal zu ist, kann der Teufel sein Spiel haben und uns in die Falle drin halten – ich dächte, so gegen neun.«
»Hm – guat – da han ich ooch nischt derwidder – un da machen mer's so, wie mer's beschprochen han?«
»Nun versteht sich, das Zeichen für mich ist der erste Feuerlärm – mißlingt es und wird kein Lärm, nun so unterbleibt für heute die ganze Geschichte, denn wenn das Thor draußen geschlossen ist, mag ich's, obgleich ich selbst den Schlüssel dazu habe, nicht riskiren – es hält zu lange auf.«
»Un mer treffen uns an der Blutbuche.«
»Nun das versteht sich, das ist ja Alles schon besprochen,« brummte der junge Bursche; »wo aber denkst Du am sichersten anzukommen, am Obertenne?«
»Do brännt ja de ganze Beschäring wek,« sagte Krautsch erschreckt – »wenn das urdentlich Feier fängt, nachens haben se Zeit mit Leschen – ne ich dachte an's Ungertenne – do thuts nich so viele, un Spektakel geihts doch gening.«
»Mir wäre die Obertenne lieber,« sagte Poller – »daß der böse Feind dem alten Schuft nur noch immer ärger in seine lahmen Gliedmaßen hineinfahre – dem gedenk' ich die Schläge, und wenn wir bis zum jüngsten Tag neben einander ausharrten – im Obertenne kannst Du auch besser ankommen, wie im Untertenne, und bist nachher gleich an der Gartenmauer, an der Du Dich bis zum Thor und zwischen den Reisigbündeln durch leicht hinschleichen kannst.«
»Hm – nu mer wullen sähn – irgendwu wärd' ich schonst ankommen, un nachens mach ich mich sachte rar. – Aber Du – wie wärsch denn eegentlich, wenn ich erscht geschwinde in's herrschaftliche Gebäude käme – kinnten mer denn da nich verleicht noch een oder das –«
»Unsinn –« sagte Poller – »na mach Du solche Geschichten, daß sie Dich beim Kragen kriegen und beistecken – weißt Du wohl, daß heute Morgen der Befehl eingegangen ist, Dich aufzufangen und an das Gericht hinein zu liefern?«
»Jemine!« rief der Bauer erschreckt – »un von wägen?«
Poller nickte nur einfach mit dem Kopfe.
»Läge der alte Baron jetzt nicht krumm, so hätten sie Dich am Ende schon abgefaßt,« sagte er, »so aber hat er die Geschichte, glaub' ich, noch gar nicht gelesen, morgen käm' es aber doch jedenfalls vor. Also bist Du gescheidt, so hältst Du Dich so viel wie möglich außer Rufs Nähe von Allen, die Dich kennen könnten, ich glaube, Du kannst dadurch nur profitiren.«
»Nu ja – 's kennte meglich sin,« meinte Krautsch, – »also denn bleibts derbei – um dreiviertel uf neine« – Und ohne weiter Gruß oder Abschiedsworte an den Verbündeten zu richten, glitt er aus seinem Versteck vor, sprang über die dicht daran stoßende niedere Gartenmauer, und war im nächsten Augenblicke in der dahinter lagernden Dunkelheit verschwunden.
Poller kehrte so schnell er konnte, um jetzt wo möglich jeden Zank und dadurch entstehende Unruhe zu vermeiden, nach Hause zurück, und suchte nur – was übrigens gar nicht so schwer war – den Vater an das Bett des launenhaften Kranken zu fesseln. Der Oberpostdirector schien aber auch wirklich heute einmal einen seiner allerbösesten Abende zu haben – er hatte nicht Ruhe noch Rast – wollte bald auf dieser, bald auf jener Seite unterstützt werden, warf sich – trotz aller Vorstellungen des hinzukommenden Arztes – fortwährend herum und zankte und schimpfte seine Umgebung – den Doctor keineswegs ausgenommen – auf das Unbarmherzigste. – Ja, er wollte endlich, was ihm aber dieser auf das Strengste verbot, unter jeder Bedingung von seinem Lager aufstehn, und schrie nun, als ihn der alte Poller gewaltsam zurückhielt – so laut um Hülfe, daß das Gesinde des ganzen Hauses zusammenkam, und schon glaubte, es wäre irgend etwas Entsetzliches geschehn.
Der Arzt sandte die Leute aber wieder zurück, und versicherte sie, sie brauchten um ihren Herrn sich nicht zu sorgen; es sei nur ein etwas stärkerer Fieberanfall als gewöhnlich. Er verordnete dann einige beruhigende Mittel, trug dem alten Poller noch verschiedenes auf und kehrte, da er dort noch einige Kranke besuchen mußte, mit dem schon wartenden Wagen in die Residenz zurück.
Dem jungen Poller schlug das Herz wie ein Hammer in der Brust – der Augenblick der Entscheidung rückte immer näher und sein Vater saß wie Blei – wenn er den nicht zur rechten Zeit aus dem Zimmer – denn hier in der Krankenstube selber lag das Geld – entfernen konnte, war die ganze Sache, die ganze Gefahr, der sich Krautsch aussetzte, umsonst gewesen – Krautsch? ei beim Teufel, der kümmerte ihn wenig – aber er selber – wer weiß denn, ob sich so günstige Gelegenheit ihm wieder bot – seine ganze Hoffnung ruhte jetzt noch allein auf dem Feuerlärm.
Der Kranke war, nach dem heftigen Toben, in eine Art Erschlaffung und Abspannung gefallen, die sich bald in einen Halbschlaf verwandelte. – Der alte Poller saß in der Ecke, im großen Sorgenstuhl des Herrn und fing, ebenfalls zum Tod erschöpft, gerade ein wenig an einzunicken – die Schlüssel zum Schrank lagen dicht neben dem Bette des Gutsherrn, und das einzige Gefährliche bei der Sache schienen dem jungen Bösewicht ein paar geladene Pistolen, die stets und zwar so niedrig über dem Bett und zu Köpfen des Herrn hingen, daß er sie jeden Augenblick mit ausgestrekter Hand erreichen konnte.
Entfernen durfte er die Waffen nicht – der Director selbst, oder sein Vater wenigstens, hätten das augenblicklich bemerkt und natürlich Verdacht geschöpft – wie aber wenn es ihm gelang die Zündhütchen herunter zu bringen? – Der Versuch mußte jedenfalls gewagt werden, denn Karl Poller hatte allen Respekt vor Schießgewehren, und der Oberpostdirector schoß ziemlich gut. Beim gewöhnlichen Stande des Bettes wär' ihm jedoch ein solches Vorhaben ganz unmöglich gewesen, denn sobald das Bett dicht an die Wand gerückt stand, würde er natürlich nur darüber hin an die Waffen gekonnt haben, jetzt aber und bei dem Leiden des Kranken, der fortwährend Schmerz empfand und anders gelegt sein wollte, war es nöthig geworden das Bett etwas, wenn auch nur wenig, von der Wand abzurücken, damit Jemand dahinter treten und von dort aus heben konnte.
Der alte Poller schlief wirklich, oder lag doch wenigstens mit geschlossenen Augen so fest und bequem an das Kissen angelehnt, daß nicht zu fürchten war, er würde durch das eigene schwerfällige Einnicken, wie das manchmal geschieht, plötzlich wieder aufwachen. Der Oberpostdirector athmete ebenfalls laut, und hielt noch dazu das Gesicht der Stube zu, also von der Wand abgekehrt. Karl schlich auf den Zehen zum Kopfende des Bettes, wo eine Menge Medicinflaschen standen, und blieb hier eine Weile stehn. Die Uhr im Zimmer schlug in dem Augenblick halb, und er wollte erst abwarten ob der laute Schlag nicht etwa die Schläfer störe – nein – sie veränderten ihre Lage nicht und der junge Bursche stand im nächsten Moment, geräuschlos zwischen der Wand und dem Bette hingleitend, vor den Pistolen. Mit diesen wußte er übrigens gut genug umzugehn, da er das Schießzeug seines Herrn stets rein und im Stande zu halten hatte – rasch und geschickt entfernte er deshalb auch die gefährlichen Kupferhütchen und nahm sie, damit selbst ihr Fall kein Geräusch verursache, bis er die Waffen wieder an ihrem Ort gehangen, in den Mund.
So schnell er konnte, verließ er dann den für ihn so gefährlichen Platz und gleich darauf auch das Gemach, denn wenn der Feuerlärm, was jetzt jeden Augenblick geschehen konnte, entstand, durfte er nicht im Krankenzimmer sein, weil sonst natürlich niemand anders als gerade er auch fortgeschickt wäre, zu sehn was es gäbe. Mußte also nun »sein Alter« gehn, wie er bei sich und in leisem Brüten erwog, so kam er rasch zurück – mit dem Kranken wurde er bald fertig, wo das Geld lag wußte er genau, und ehe man an seine Verfolgung denken konnte, war er in der dunklen Nacht draußen entkommen. Seine Vorbereitungen für das Weitere hatte er ebenfalls alle auf das Beste getroffen und harrte jetzt draußen im dunklen Gang mit fieberhaft klopfenden Herzen und immer wachsender Ungeduld auf das Zeichen – auf den Lärmen von den Scheunen her.
Als er die Thür hinter sich zuzog, fuhr sein Vater im Stuhl auf, rieb sich die Augen und schaute verwundert umher; es war etwas kalt im Zimmer geworden – es fröstelte ihn und er stand auf und ging, die Hände rasch aber geräuschlos zusammenreibend, zum Ofen, um dort nach zu legen und die Lampe, die ebenfalls düster brannte, etwas höher zu schrauben.
Der Oberpostdirector schlief noch immer, oder öffnete doch wenigstens die Augen nicht – die Uhr hob aus, um neun zu schlagen!
Der alte Poller drückte die Kohlenschaufel langsam und vorsichtig, um kein Geräusch zu machen, unter die Braunkohlen, und wollte sie eben wieder gefüllt herausheben, als er innehielt, und aufmerksam nach dem Hof hinüberschaute. – Ein dumpfes unbestimmtes Geräusch drang von dort zu ihm herüber und es war ihm beinahe, als ob er den Ruf »Feuer« verstanden hätte. Er ließ die Schaufel in den Kohlen stecken, richtete sich empor, und schlich auf den Zehen zum Fenster zurück. – Der Lärm draußen wurde immer lauter – auf dem Hof unten liefen die Leute hin und wieder und es mußte jedenfalls irgend etwas ganz außergewöhnliches vorgefallen sein.
Das Fenster durfte er nicht öffnen, denn der Kranke war besonders gegen kalte Luft empfindlich, er wollte also eben leise zur Thüre zurück, um seinen Sohn zu rufen, daß der einmal nachsehn könne, was vorgefallen wäre, als er jetzt ganz deutlich und bestimmt den Ruf von unten her ertönen hörte. –
»Feuer! – haben sie ihn?«
»Was ist? – was giebts?« sagte der Oberpostdirector, und drehte den Kopf nach dem Fenster zu – »was ist das für ein Lärmen, Poller?«
»Ich weiß wirklich nicht, Herr Oberpostdirector,« erwiederte der alte Mann etwas ängstlich, denn er fürchtete nicht mit Unrecht nach solcher Nachricht die zu große Aufregung des Kranken, und hoffte dabei noch immer, daß die Sache vielleicht gar nicht so schlimm sei, und bald wieder beseitigt werden könne. »Ich weiß wirklich nicht – irgend ein Betrunkener, wahrscheinlich – eine Schlägerei oder etwas derartiges – ich will doch gleich einmal nachsehn lassen.«
Er ging rasch nach der Thür, öffnete diese und rief hinaus:
»Karl – Karl! – Wo der Schlingel nun wieder steckt – Karl – Karl!«
»Das ist ein nichtsnütziger Bube!« stöhnte der Kranke – »und ich habe mich jetzt genug mit ihm geärgert – er soll mir morgen am Tag aus dem Hause – wo bleibt der verdammte Schuft – kommt er?«
»Nein, Euer Gnaden,« sagte der Alte, der eine kleine Weile auf den dunklen Gang hinausgehorcht hatte – »ich höre noch Nichts – Karl – Karl! – Christoph – Hans!«
Es hörte ihn Niemand; der gerufene Karl kauerte allerdings kaum zwanzig Schritte von ihm entfernt, hinter der dunklen Treppe, die in das obere Stock hinaufführte, wartete aber nur darauf, daß sein Vater das Zimmer verlassen sollte, und dachte gar nicht daran, dem Ruf Folge zu leisten.
»Das weiß der liebe Gott, das ganze Haus muß auf den Beinen sein, es ist, als ob es ausgestorben wäre,« brummte Poller vor sich hin, als er die Thüre wieder schloß.
»Feuer?« fragte der Gutsherr plötzlich, und suchte sich, erschreckt, und seine Leiden vergessend, aufzurichten, fiel aber gleich wieder mit einem leisen Schmerzgestöhn auf sein Lager zurück – »Feuer?« wiederholte er nach kleiner Pause – »mir war es, als ob ich draußen ›Feuer‹ rufen hörte – Poller!«
»Euer Gnaden –«
»Lauf einmal rasch hinaus, und bring mir – Jesus, wie das wieder sticht – und bring mir Nachricht, was es giebt – ob – ob Feuer ist, und – und wo es brennt – aber schnell – schnell!«
»Und ich soll Euer Gnaden so lange hier allein lassen?« frug der alte Diener.
Der Lärmen draußen wurde immer lauter, das Hin- und Herlaufen der Menschen immer ärger.
»Mach rasch – mach rasch!« rief ungeduldig werdend der Gutsherr, »soll ich denn Alles hundert Mal sagen, und mir um jeder Kleinigkeit willen die Galle an den Hals ärgern – fort mit Dir.«
Der alte Poller schüttelte mit dem Kopf, wußte aber auch nur zu gut, daß hier weiteres Einreden gar Nichts nützen würde, sondern griff nur nach seiner Pelzmütze, die neben der Thür auf dem Stuhl lag, und verließ das Zimmer.
Kaum konnte er Zeit genug gehabt haben, das Hausthor zu erreichen, und eben waren erst seine Schritte im Gang verhallt, als sich die Thür des Zimmers wieder öffnete, und Karl Poller schnell aber geräuschlos herein glitt.
»Nun?« frug der Gutsherr, der die Augen wieder geschlossen, – »was ist's, Poller – Feuer?«
Karl antwortete nicht, sondern schob rasch den Riegel vor, und trat zum Tisch, von dem er die Schlüssel aufgriff. Beim Klappern derselben sah der Kranke plötzlich auf – sein Blick begegnete dem des Diebes, und der Instinct fast sagte ihm, was das unstäte, wilde Auge, das scheue Wesen des Burschen, und seine Unruhe bedeuteten.
»Was willst Du mit den Schlüsseln, Schurke!« schrie er, und versuchte, aber vergebens, sich auf seinen Ellbogen empor zu richten – »laß die Schlüssel liegen, sag' ich – Canaille!« –
»Brauche sie jetzt einen Augenblick selber,« lachte aber der junge Bösewicht mit einer Art triumphirender Bosheit, »will mir nur einen kleinen Vorschuß erbitten, um die Auswanderung eines sehr guten Freundes – wie Herr Doctor Strohwisch immer sagte, damit bestreiten zu können – bloß ein paar hundert Thaler.«
»Schuft Du – diebische Bestie – willst Du die Schlüssel hinlegen!« schrie jetzt der Oberpostdirector, heiser vor Wuth, und griff nach seinen Pistolen an der Wand – »willst Du, Canaille?«
»Bitte, geniren Sie sich nicht,« grinste der Dieb – »bedienen Sie sich gefälligst,« – und mit rascher, gewandter Hand öffnete er blitzesschnell den Schrank, und griff rasch nach dem Geldsack, der hinten, an dem ihm wohlbekannten Platz in der Ecke stand.
»Räuber!« rief erschreckt der Kranke – spannte den Hahn des Pistols, zielte, und drückte auf seinen Bedienten ab. Der Hahn schlug aber machtlos nieder, – die Kraft fehlte, die allein den Schuß hätte entzünden können. Poller lachte nur; der Herr von Gaulitz hatte schon die andere Waffe erfaßt, spannte den Hahn, und drückte fast in demselben Moment auch diese ab – »Teufel« – knirschte er aber, als auch diese versagte, und in machtloser Wuth schleuderte er das untreue Rohr nach dem Verbrecher – es fiel machtlos vor ihm nieder.
»Hülfe!« tönte da die gellende Stimme des Verzweifelten, der sich in machtloser Wuth, und trotz des rasenden Schmerzes, mühte sich emporzurichten – »Hülfe – Hülfe – Hülfe!« umsonst, er brach halb ohnmächtig auf seinem Lager zusammen, und der Dieb sprang eben aus der einen Thür, die nach dem Thor zuführte, hinaus, als der alte Poller wieder zurückkam, seines Herrn Hülferuf (der aber von dem übrigen Gesinde, wenn es wirklich in der Nähe gewesen, doch nicht beachtet wäre, da der Kranke schon einen großen Theil des Abends so geschrien) vernommen, und nun zu seinem nicht geringen Entsetzen die Thür von innen verriegelt fand. Vergebens pochte und schlug er daran, sie wurde nicht geöffnet, dann lief er zurück, um durch die andere, durch die sein Sohn eben das Zimmer verlassen, zu seinem Herrn zu kommen, doch auch hier hatte der schlaue Räuber den Schlüssel umgedreht und mitgenommen, und ehe sich der alte ängstliche Mann entschließen konnte, förmlich einzubrechen, ja ehe es ihm nur mit seinen schwachen Kräften, allein und von allen verlassen, wirklich gelang, und er nun im Stande war, von dem, seiner Sinne kaum mächtigen Kranken die fürchterliche Wahrheit zu erfahren, hatte der Dieb schon einen solchen Vorsprung gewonnen, um bei Nacht, selbst in ruhiger Zeit jeder Verfolgung spotten zu können. Jetzt aber, in diesem Lärm und Aufruhr, und in der Verwirrung, die auf dem ganzen Gute herrschte, wäre eine solche nur um so erfolgloser gewesen.
Allerdings sandte der Alte gleich Leute nach allen Richtungen, um wenigstens seine Schuldigkeit gethan zu haben, ließ auch den Jäger hinüberschicken, und diesen gleich auf's Schloß bescheiden, der Bote aber brachte nach etwa einer halben Stunde die Nachricht, der alte Holke sei mit einem Zeichenschläger im Walde draußen, und werde auch vor tiefer Nacht nicht wieder zu Hause kommen, und die Verfolger kehrten ebenfalls unverrichteter Sache wieder. Was überhaupt noch geschehen konnte, mußte jedenfalls am nächsten Morgen geschehen.