Kitabı oku: «Unter Palmen und Buchen. Dritter Band.», sayfa 11
Drittes Kapitel.
Eine Staatsvisite
Der Vater hielt Wort, und das that er immer. Er schrieb noch an dem nämlichen Morgen an seinen Freund in Kreuzberg, schickte außerdem noch eine Abschrift von seines Sohnes Taufschein ein, den er sich von ihrem Pfarrer in Dreiberg und von dem Schulzen beglaubigen ließ, und theilte dem Gerichtshalter dort in aller Kürze mit, um was es sich hier handele. Dann bat er ihn, er möchte doch, wenn irgend möglich, den Heimathschein mit der nächsten Post einschicken und ihm auch dazuschreiben was er ausgelegt hätte, damit er's ihm gleich zurückzahlen könne. Der alte Barthold blieb nicht gern Jemandem etwas schuldig.
Der Brief war ihm ein wenig sauer geworden, denn das Schreiben gehörte gerade nicht zu den Dingen, die er sehr gern that, oder zu denen er sich drängte, aber es hatte eben sein müssen, und jetzt war's, Gott sei Dank, fertig und abgemacht. Wenn die Postkutsche heut' Abend durch Dreiberg kam, nahm der Conducteur den Brief schon mit hinein in die Stadt und gab ihn dort auf. Nachher ging er direct nach Kreuzberg ab.
Aber heute gab's noch mehr zu thun, denn wie die Sachen nun einmal standen, erforderte es auch die Artigkeit nicht allein, sondern der Gebrauch, daß die Eltern des Bräutigams den Eltern der Braut einen Besuch abstatteten, und wenn es auch der alte Barthold lieber auf den nächsten Sonntag verschoben hätte, erstlich der Arbeit und dann auch seines Reißens wegen, ließ sich das doch nicht gut einrichten. Sonntags hatte der Traubenwirth auch immer soviel zu thun und das Haus voller Gäste, daß man ihm und den Seinen erschrecklich unbequem gekommen wäre. Besprechen hätte man außerdem gar nichts können, und da mußte denn schon ein Wochentag dazu genommen werden.
Uebrigens wurde auch daheim indessen nichts versäumt, denn der Hans blieb ja zu Haus und bei den Knechten, und auf die übrige Wirthschaft paßte schon die Kathrine; auf die durften sie sich fest und sicher verlassen. Die Mutter war ebenfalls damit einverstanden, und gleich nach dem Mittagbrod, die Dorfuhr hatte noch nicht Eins geschlagen, ließ der alte Barthold sein kleines steierisches Wägelchen vorrücken und die Braunen einspannen, der Großknecht mußte in seinem Sonntagsrock auf den Bock, und fort ging die Reise den Feldweg nach Wetzlau hinüber.
Eine Vergnügungstour war die Fahrt eigentlich nicht gut zu nennen, denn kein Mensch in der Welt konnte sich ein Vergnügen daraus machen, eine gute Glockenstunde auf einem solchen Weg und einem kleinen Wagen ohne Federn durchgerüttelt und geschüttelt zu werden. Aber die Bauern trugen selber die Schuld daran, daß diese Straße in einen derartigen Verfall gerieth, denn obgleich sich beide Dörfer willig zeigten, daran zu bauen, lag es nur an einer erbärmlichen Kleinigkeit, daß die Arbeit unterblieb und von Jahr zu Jahr aufgeschoben wurde. Zwischen Wetzlau und Dreiberg schnitten nämlich die Fluren nicht in gleicher Hälfte ab. Die Dreiberger hatten vielleicht eine Strecke von zwei Morgen Land über die Hälfte, und obgleich sie sich erboten, die Straße, die von beiden Dörfern gleich stark benutzt ward, zu gleichen Hälften zu übernehmen, gingen die Wetzlauer doch nicht darauf ein, sondern verlangten, daß die Dreiberger soweit bauen müßten, wie ihre Grundstücke reichten. Nachgeben that selbstverständlich kein Theil, und so ruinirten sie lieber Jahr aus Jahr ein ihre Pferde und Geschirre, nur dieser unbedeutenden, kleinen Strecke wegen.
Der alte Barthold, obgleich es ihm sonst wahrlich nicht auf einige zwanzig Thaler mehr oder weniger ankam, war dabei gerade so schlimm, wie die Anderen, und mit dem Bewußtsein, daß er selber mit schuld an dem heillosen Wege sei, murrte er auch unterwegs mit keiner Sylbe und ertrug alle die Stöße und Puffe, die er bekam, mit wahrhaft christlicher Geduld. Sein Trost blieb ja auch dabei, daß die Wetzlauer genau dieselben Puffe bekämen, und denen, wie er sich innerlich sagte, geschah es vollkommen recht. Sie verdienten es gar nicht besser. Nur die arme Frau stöhnte und ächzte, und wenn manchmal ein ganz außergewöhnlich kräftiger Stoß kam, daß sie die Zähne aufeinander beißen mußte, klagte sie wohl mit einem kurzen Stoßgebet: »O du grundgütiger Vater! so gleich nach Tische!«
Es hat aber Alles sein Ende, auch der schlechteste Weg. Es schlug gerade Zwei in Wetzlau, als sie, zur Abwechselung der bisherigen Fahrt, auf das Dorfpflaster kamen, wo sie auch noch, da sie das Chausseehaus passiren mußten, Chausseegeld bezahlen durften.
»Ich muß doch einmal Federn an den Wagen machen lassen,« sagte Barthold, als sie hier endlich etwas bessere Straße erreichten, denn draußen hätte er gar nicht reden dürfen, aus Furcht, einmal die Zunge zwischen die Zähne zu bekommen, »der Weg ist gar nicht so schlecht, aber der Karren stößt so.«
»Mir thut ordentlich der Hals weh,« sagte die Frau, »jetzt freu' ich mich nur auf den Rückweg.«
Alle weiteren Bemerkungen wurden aber hier kurz abgebrochen, denn eben lenkten die Pferde wiehernd in den Thorweg der goldenen Traube ein, und in der inneren Thür stand auch schon der Wirth, Christoph Erlau, der ihnen sein Käppchen entgegenschwenkte, während Lieschen, die in der Küche beschäftigt gewesen war, wie der Blitz in ihr Kämmerchen hinaufhuschte, denn so konnte sie sich den neuen Schwiegereltern doch nicht zeigen, und so wäre sie gerade am allerhübschesten gewesen, denn Frau wie Mädchen sehen, sie mögen selber denken, was sie wollen, doch immer am hübschesten im Hauskleid aus. Aber der Geschmack ist eben verschieden, und man behauptet ja, daß sich nicht darüber streiten lasse.
Jetzt, nachdem Hansens Eltern ausgestiegen und hinein in die »beste Stube« geführt waren, begannen nun vor allen Dingen eine Menge von Förmlichkeiten, die in den höchsten Cirkeln nicht weitschweifiger und unbehülflicher sein konnten, als hier in der sonst so schlichten Familie. Aber es soll nur um Gotteswillen Niemand glauben, daß jenes Ungethüm, die sogenannte »Etiquette«, an irgend einem fürstlichen Hofe steifer und unnachsichtlicher gehandhabt würde, als in irgend einer Bauernfamilie, sobald sich eine passende und außergewöhnliche Gelegenheit dazu findet. Da bestehen ganz genau bestimmte und festgestellte Formen, was gesagt werden muß und wie es gesagt werden muß, wohin man sich setzt und wie man sich setzt, und was endlich vorgesetzt werden soll, und wie die Hausfrau zu dem Vorgesetzten zu nöthigen hat, daß es einen einfach schlichten Menschen zur Verzweiflung bringen könnte. Das einzige Gute hat es, daß es nicht so lange dauert, wie bei Hofe, denn da ist es den Leuten ein natürlicher Zustand, in dem sie sich bewegen, sie würden eine andere Existenz für unmöglich halten; hier dagegen ist es ein unnatürlicher, gewaltsam hervorgerufener, der wohl eine Zeit lang anhält, sich aber zuletzt selber verarbeitet – und plötzlich finden sich die Leute wieder in ihrem gewöhnlichen, natürlichen Fahrwasser, ohne daß sie eigentlich merken, wie sie dahin gekommen sind.
So ging es auch hier. Zuerst wurden die Gäste also in die »beste Stube« geführt, die natürlich, wie alle »besten Stuben«, kalt und ungemüthlich aussah, denn ein Ort, in dem man sich wohl und behaglich fühlen soll, muß bewohnt sein und nicht blos zum Staat gehalten werden. Dann fuhr die Wirthin, nachdem eine Menge steife, nichtssagende Redensarten gewechselt waren, aus und ein, um heranzuschleppen, was Küche und Keller boten. Daß die Gäste gerade eben vom Essen kamen, war gar keine Entschuldigung, und nun ging das Nöthigen los, in dem die Frau Erlau wirklich Außerordentliches leistete. Endlich kam auch Lieschen in ihrem Sonntagsstaat, aber viel schöner geschmückt durch das liebliche Erröthen den neuen Verwandten gegenüber, das ihren Augen einen ganz eigenen Glanz verliehen.
Nun kannten sich die beiden Familien schon seit längerer Zeit und waren sonst wohl manchmal zusammengekommen und hatten miteinander gelacht und geplaudert. Jetzt aber, wo sie sich durch die Verlobung der Kinder um soviel näher traten, schien es ordentlich, als ob sie das weit eher entfremdet hätte, so steif und unbehülflich standen sie sich gegenüber, und Lieschen besonders, sonst voller Leben, ja oft ausgelassen lustig, konnte fast kein Wort über die Lippen bringen. Aber ein Bann lag auf ihnen Allen: das Bewußtsein, daß dies ein »Staatsbesuch«, daß es eine Form sei, der Genüge geleistet werden müßte, und der ließ sich so schnell nicht wieder abschütteln, der mußte erst ordentlich verdampfen.
Der Wirth war aber nicht der Mann, der sich lange einem solchen Zwang beugte, und da sich auch Barthold nicht wohl dabei fühlte – die Frauen wären den ganzen Tag darin sitzen geblieben – so trat bald eine Aenderung zum Besseren ein. Die nöthigen Redensarten von Ehre und Freude und Hoffnung einer solchen Verbindung etc. etc. waren gewechselt, was von Speisen noch vertilgt werden konnte, war vertilgt, und der Wirth brachte jetzt, während Lieschen den Kaffee und Kuchen besorgte, Cigarren. Da war es ordentlich, als ob mit dem aufsteigenden Dampf derselben der böse Zauber bräche, der auf ihnen Allen gelegen.
Die beiden Männer kamen bald auf ein Gespräch über Vieh und Felder, was sie Beide interessirte; dadurch lenkten die Frauen auf ihre Wirthschaftsangelegenheiten ein, und im Handumdrehen war die noch vor Kurzem so steife hölzerne Gesellschaft in ihre natürlichen Bewegungen, ja selbst in den natürlichen Ton ihrer Stimmen zurückgefallen, und die Unterhaltung floß von da an leicht und ungezwungen.
Auch Lieschen thaute auf, und durch das wirklich Matronenhafte der sonst gar noch nicht so alten Mutter ihres Bräutigams angezogen, setzte sie sich zu ihr und plauderte bald mit ihr so frei und herzlich von der Leber weg, als ob sie von Kindheit auf miteinander bekannt und befreundet gewesen wären. Das aber schmeichelte der Frau Barthold auch; Lieschen sah dabei in ihrer städtischen Kleidung so vornehm und »ansehnlich« aus, daß jene ordentlich stolz auf ihre zukünftige Schwiegertochter wurde und nicht satt werden konnte, ihr zu wiederholen, wie sehr sie sich freue, sie zur Tochter zu bekommen und ihrem Sohne eine solche Frau geben zu können. Dabei unterließ sie freilich auch nicht, alle die Tugenden und Vorzüge ihres eigenen Hans aufzuzählen, und Lieschen fand da wohl eben soviel Freude daran, ihr zuzuhören.
Den beiden Männern wurde es aber bald zu eng in der Stube. Bauern halten nie lange in einem Zimmer aus, denn die freie Luft ist ihnen Bedürfniß, und während die Frauen noch beim Kaffee sitzen blieben, gingen die Männer miteinander hinunter auf den Hof und in die Ställe und, da die Pferde gerade nahebei ackerten, auch einmal ein Stück hinaus auf das Feld.
Ihr Weg führte sie dicht hinter dem Pfarrgarten vorbei, und weil es Barthold einfiel, daß er Hansens Taufschein eingesteckt hatte, konnten sie den hier eben so gut gleich abgeben. Hier stand dem alten Barthold auch eine Ueberraschung bevor, denn der Geistliche schien gar nicht gewußt zu haben, daß Hans katholisch sei; zu einer »gemischten Ehe« schüttelte er aber bedenklich den Kopf und bedeutete den alten Barthold, daß er unter keinen Umständen ein Aufgebot erlassen könne, bis er nicht vom General-Superintendenten einen sogenannten Dispens gelöst hätte.
Der Alte wollte schon über die neue Schwierigkeit wild werden, allein der Traubenwirth nahm ihn unter den Arm und sagte, als sie wieder draußen im Feld waren: »Macht Euch keine Sorge Barthold, ein Dispens vom Consistorium ist schon zu erlangen, und geben sie ihn nicht, nun dann fahren wir hinüber nach Gotha und lassen die jungen Leute da trauen. Dort sind sie vernünftiger. Das junge Paar kann dann gleich seine Hochzeitsreise nach der Wartburg machen,« fügte er lächelnd hinzu.
Mit diesem Trost schlug sich der alte Barthold denn auch bald die ärgerlichen Gedanken aus dem Kopf, noch dazu, da sie hier in offenes Land und zu ein Paar neugekauften Pferden des Wirthes kamen, für die er sich ganz besonders interessirte. So verging ihnen die Zeit rasch, bis der Dreiberger Bauer plötzlich merkte, daß die Sonne schon bald am Horizont stand, und erschreckt ausrief: »Aber Wetter noch einmal, wir haben uns bei dem Herrn Pfarrer zu lange aufgehalten, und ich muß machen, daß ich wieder zu meiner Alten komme, die wird sonst böse. Im Dunkeln möcht' ich auch nicht gerade den Weg nach Dreiberg zurückfahren.«
»Es sind ein paar böse Stellen drin,« sagte der Wirth.
»Na, es geht,« meinte Barthold störrisch, »aber mein Wägelchen ist nicht so recht drauf eingerichtet, und die Frau könnte brummen. Wann kommt Ihr denn eigentlich einmal nach Dreiberg hinüber?«
»Ich weiß nicht, ob ich die Woche noch kann,« sagte der Wirth, »denn morgen haben wir hier eine große Kindtaufe im Orte, wo bei mir getanzt wird, und am Sonnabend bringe ich meine Alte doch nicht aus dem Haus. Wenn's aber irgend möglich zu machen ist, so rutschen wir den Freitag doch noch hinüber.«
»Rutschen?« dachte Barthold, mit dem Weg in der Erinnerung, aber er sagte nichts, und die beiden Männer schritten jetzt wieder dem Wirthshaus zu.
Ueber die Aussteuer der Brautleute war heute noch kein Wort gesprochen worden, obgleich der Wirth darauf gewartet hatte. Anfangen davon mochte er aber auch nicht, und Barthold hielt es nicht für schicklich, das gleich bei der ersten Begegnung vorzunehmen. Wenn der Traubenwirth zu ihm nach Dreiberg kam, dann wollten sie das wohl bald in Ordnung bringen. Schneller jedenfalls, als die Geschichte mit dem Consistorium, die ihm doch im Kopf herumging.
Der Großknecht hatte jetzt Auftrag bekommen, einzuspannen, und der Wagen hielt bald darauf vor der Thüre, aber die beiden Frauen, die im Anfang den Mund kaum öffnen wollten, waren jetzt warm geworden und in ein Gespräch über ihre Kinder hineingerathen, aus dem sie sich nicht wieder herausfinden konnten. Barthold stand schon lange, mit Hut und Stock in der Hand, neben der Thür und hielt die Klinke.
»Na, Alte, kommst Du?«
»Gleich, Vater, gleich – das glaub' ich, Ihr Männer seid immer gleich fertig mit Anziehen. Ihr setzt den Hut auf und damit basta. Und nicht wahr, Frau Erlau, Sie machen uns recht bald das Vergnügen, damit Sie auch einmal sehen können, wie wir da draußen eingerichtet sind? O, es soll Ihrem Lieschen schon bei uns gefallen, daran zweifle ich keinen Augenblick.«
»Wenn so ein paar Frauen in's Schwatzen kommen,« lachte Barthold gutmüthig vor sich hin, »da reißt's nachher gar nicht wieder ab. Wir kommen heute nicht mehr weg. Habt Ihr Betten genug im Haus, Erlau?«
»Betten genug,« schmunzelte dieser.
»Die brauchen wir für heute nicht!« rief aber die Alte, sich gewaltsam losreißend. Sie hatte die letzten Worte gehört. Doch das Lieschen kam jetzt noch herbei, dem sie einen Kuß und noch einen und noch einen geben mußte, und endlich war sie mit Allem fertig. Unten knallte der Großknecht mit der Peitsche, daß die Fensterscheiben klirrten. Jetzt saßen sie im Wagen, und nun sollte es noch einmal an ein Abschiednehmen und Handdrücken gehen; dem aber machte der Großknecht ein Ende. Ein kleiner Peitschenschlag traf das Handpferd, und hinaus rasselte der Wagen aus dem Thorweg, ein kurzes Stück auf der Chaussee hin, eben genug, um das Chausseehaus wieder zu passiren, und bog dann in den Feldweg ein, ehe die Frau nur von ihrem Mann Alles erfahren hatte, was er mit dem Herrn Pfarrer vorhin gesprochen. So neugierig sie aber darauf war, eine Unterhaltung wurde zur Unmöglichkeit, sobald sie in den Feldweg einlenkten, und alle weiteren Erklärungen mußten für daheim aufgeschoben werden.
Viertes Kapitel.
Eine weltliche Schwierigkeit
Am Freitag kam der Traubenwirth mit seiner Frau zur Gegenvisite nach Dreiberg. Die beiden Väter saßen dann wohl eine Stunde lang oben zusammen allein in des Alten Stube – aber nicht etwa trocken, denn Barthold hielt darauf, einen ganz vorzüglichen Ungarwein in seinem Keller zu haben – und kamen nachher wieder, Beide seelenvergnügt, und wie es schien vollkommen einig, zu den Frauen hinunter, um dort Kaffee zu trinken und Kuchen zu essen.
Am nächsten Sonntag war Hans natürlich den ganzen Tag drüben in Wetzlau in der Traube, und dort holten sich die beiden jungen Leute eine Landkarte vor und zeichneten sich darauf die Reise nach Gotha zusammen ab. Was kümmerten sie sich um das Consistorium.
Merkwürdige Zeit nahm sich übrigens der Herr Generalsuperintendent, an den die Eingabe zuerst gemacht war; denn die ganze nächste Woche verging, ohne daß er auch nur das Mindeste hätte von sich hören lassen. Das war aber noch das Wenigste, es traf auch keine Antwort von Schlesien ein, und Hans wußte schon vor lauter Ungeduld gar nicht mehr, was er angeben sollte. Endlich, am Sonnabend Mittag, die Familie saß gerade bei Tische, kam ein Brief mit dem preußischen Gerichtssiegel.
»Nun endlich!« rief Hans jubelnd und sprang von seinem Stuhl auf, »das hat lange gedauert.«
»Hm,« meinte der Vater, der den Brief kopfschüttelnd befühlte und dabei nach seiner Brille suchte, denn das Schreiben kam ihm viel zu dünn vor, als daß irgend ein Document darin eingeschlossen sein konnte, »seit ich die Geschichte mit dem Consistorium gehört, habe ich ordentlich Angst bekommen, daß hier ebenfalls etwas der Quere gehen könnte; aber das ist doch nicht gut möglich, denn das Amt geht es doch nichts an, ob wir Katholiken oder Protestanten sind.«
Jetzt hatte er seine Brille gefunden, setzte sie auf, öffnete den Brief und sah hinein.
»Nun, ist der Schein nicht drin?« frug Hans rasch und mißtrauisch.
»Drin ist nichts,« sagte der Vater, »aber wir wollen erst einmal sehen, was der Gerichtshalter schreibt. Vielleicht ist es blos eine Anweisung an die hiesigen Gerichte, ihn hier auszustellen; das wäre auch das Kürzeste.«
»Was brauch' ich überhaupt einen Heimathschein?« sagte Hans, »wenn ich nur eine Heimath habe, denn so ein Wisch giebt mir doch keine. Nun, was schreibt der Gerichtshalter?«
»Da werde der Henker d'raus klug,« rief der alte Barthold, indem er den Brief – er enthielt kaum zehn Zeilen – auf den Tisch warf, seine Brille abwischte und wieder in die Tasche steckte.
»Nun?« rief Hans, das Schreiben aufgreifend.
»Du wärst in Preußen gar nicht heimathberechtigt, wenn auch da geboren, denn ich wäre mit Dir, als Du noch minderjährig gewesen, in das Ausland ausgewandert, und ich und meine Kinder hätten dadurch unser Heimathsrecht in Preußen aufgegeben.«
»Ja, aber Du lieber Gott, wo soll er denn da einen solchen Schein herbekommen?« rief die Mutter, »sie müssen ihm ja den geben, er ist ja doch dort geboren.«
»Es steht auch noch drunter, daß der Junge in Preußen nie seiner Militärpflicht nachgekommen wäre und schon deshalb nicht als preußischer Unterthan betrachtet werden könnte.«
»Und was liegt dran?« rief Hans, den Brief trotzig auf den Tisch zurückwerfend, »irgendwo muß ich zu Haus gehören, das sieht ein Kind ein, und wenn Preußen nichts von mir wissen will – ei, dann müssen sie mir hier einen solchen Wisch geben. Siehst Du wohl, Vater, hättest Du mich nur gleich in die Stadt hineinreiten lassen, so wäre jetzt Alles abgemacht, und nun geht die Geschichte noch einmal von vorn an. Hier haben wir unsern Grund und Boden, und hier gehören wir also auch her. Was kümmert uns Preußen?«
»Na, ich will's wünschen,« sagte der alte Barthold, der auf einmal merkwürdig mißtrauisch gegen alles das geworden war, was Behörden eigentlich thun müssen und was sie wirklich thun. »Da ist's aber doch besser, ich fahre selber in die Stadt; denn wenn Du auch jetzt gingst, so müßte ich später doch selber hinein, und da würde nur noch mehr Zeit damit verloren. Außerdem kann ich dann gleich einmal mit zum General-Superintendenten gehen und sehen, wie die Sache mit dem »Dispens,« glaub' ich, nannt' es der Pfarrer in Wetzlau, steht. Die nehmen sich auch eine bärenmäßige Zeit. Heute käm' ich freilich zu spät hinein, und morgen ist Sonntag, wo alle Gerichte geschlossen sind; aber den Montag Morgen mit Tagesanbruch fahre ich weg. Bis dahin mußt Du Dich schon noch geduldigen, Hans. Es kann eben nichts helfen.«
Der alte Barthold ging hinauf in seine Stube, um sein Mittagsschläfchen zu halten, und die Mutter hatte draußen noch zu thun. Hans war am Tische sitzen geblieben, stützte den Kopf in die Hand und sah finster brütend vor sich nieder. Katharine trat in's Zimmer und ging hindurch in die Kammer, um reine Milchtücher herauszunehmen. Als sie nach einer Weile zurückkam, saß der Hans noch immer in der nämlichen Stellung; er hatte sie gar nicht gehört.
Katharine trat leise auf ihn zu, legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte: »Hans!«
»Bist Du's, Kathrin,« sagte Hans und sah zu ihr auf. »Willst' was?«
»Weiter nichts, als daß Du nicht mehr so traurig bist. Habe nur ein klein wenig Geduld, es macht sich ja Alles, und das Lieschen wird bald Deine Frau werden. Ihr seid ja nachher auch für das ganze lange Leben beisammen, und bei so einer langen Zeit kann's ja doch auf die paar Tage nicht ankommen.«
»Ich bin nicht traurig, Kathrin,« sagte Hans, indem er sich die lockigen Haare aus der Stirn warf, »nur ärgerlich, ärgerlich über die Gerichte, über das Consistorium, über die Pfarrer, über die Gerichtshalter, über mich – ei, über die ganze Welt!«
»Ueber mich auch, Hans?« fragte Kathrine, und sah ihn mit ihren hellen Augen so treuherzig an.
»Ueber Dich? – nein, Kathrin',« sagte Hans, ihre Hand nehmend und drückend, »weshalb sollt' ich über Dich böse sein? Du bist immer so lieb und gut, und wenn's an Dir läg', so hätt' ich meine Papiere gewiß schon lange und könnt' morgen Hochzeit machen.«
»Du darfst mir's glauben, Hans, ja,« erwiderte Katharine, und sah ihn dabei recht ernst und wehmüthig an. »Wenn's an mir läg', solltst Du nicht einen Augenblick warten dürfen, um glücklich zu werden. Aber der Vater wird's auch schon allein fertig bringen,« fuhr sie nach einer kleinen Pause fort. »Es geht nun einmal so entsetzlich langsam mit den Gerichten, und Nachbars Margareth hat mir erzählt, daß eine Schwester von ihr, die in die Stadt hinein heirathete, über zwei Jahr hat warten müssen, weil ihr Bräutigam immer und immer die Papiere nicht bekommen konnte.«
»Da würde ich wahnsinnig, wenn das mir passirte,« rief Hans.
»Nun, so schlimm wird's schon nicht werden,« lächelte das junge Mädchen. »Hab' nur guten Muth und mach' wieder ein freundlich Gesicht. Siehst Du, wenn Du traurig bist, dann sieht's gleich im ganzen Hause schwarz aus, und – man ist's auch eigentlich gar nicht an Dir gewöhnt. Aber ich muß fort; Joseph und Marie! da draußen steht schon die Rese und wartet auf mich,« und mit den Worten huschte sie mit den Leintüchern, die sie noch immer unter dem Arm hielt, aus der Thür.
Hans stand auch auf. Es war ebenfalls Zeit geworden, daß er wieder hinaus an seine Arbeit ging, und nur das Böse dabei, daß er sich bei der Arbeit nicht einmal die Gedanken aus dem Kopf schlagen konnte, denn der Aerger wollte ihm gar nicht aus dem Sinn, und beim Pflügen hatte er erst recht Zeit, darüber nachzugrübeln.
Sonderbar; die Liebe zu Lieschen und der Schmerz, daß er ihr noch so lange nicht angehören solle, hatten eigentlich mit seinen Gefühlen weit weniger zu thun, als der Aerger über diese albernen Weitläufigkeiten. Es war aber auch wieder ganz natürlich, denn nichts kann einen Menschen mehr ärgern und verdrießen, als wenn er einem bestimmten Ziel entgegenstrebt, ja schon in Armesbereich nahe gekommen ist und dann durch eine Menge von Hindernissen davon zurückgehalten wird. Sind diese Hindernisse der Art, daß man sie selber mit eigener Kraft und Ausdauer bewältigen kann, ei, dann ist es etwas Anderes; dann wird unser Geist, unsere ganze Thätigkeit dadurch in Anspruch genommen, und wir haben sogar nachher noch einmal so viel Freude an dem Gewonnenen, denn nichts macht uns glücklicher, als was wir uns selbst verdient und errungen haben. Sind solche Hemmnisse dagegen der Art, daß wir nichts, gar nichts auf der Gotteswelt dawider thun können und nur immer warten und warten müssen, dann mögen sie wohl einen nur etwas lebhaften Menschen zur Verzweiflung treiben, und Hans war allerdings lebhafter Natur. Seine Geduld zu erproben, bekam er aber jetzt Gelegenheit, denn er schien dazu gerade auf das rechte Capitel gerathen zu sein: eine Eingabe an ein Consistorium und ein Heimathschein. Selbst für den urgeduldigen Deutschen ist es ein Meisterstück, die beiden Dinge ruhig abzuwarten.