Kitabı oku: «Unter Palmen und Buchen. Dritter Band.», sayfa 3
Henriette ließ ihn nicht weiter erzählen; sie bat ihn, um Gotteswillen mit den Schreckensgeschichten aufzuhören – ihr würde ganz übel und weh dabei zu Muthe, und Becher, dem in diesem Augenblick gar nichts Anderes einfiel, war damit völlig auf's Trockene gesetzt. Aber die Frau hatte auch jetzt viel in der Küche zu thun, um das Essen herzurichten – die Kakadus könnten freilich für heute nicht mehr verwandt werden, denn sie bedurften ihre gehörige Zeit, um gahr zu werden. Becher setzte sich indessen in der Stube auf einen bequemen Rohrstuhl, wo er von der Hitze und dem langen ungewohnten Ritt heut' Morgen in der Sonne bald ermüdet einschlief.
Henriette fand ihn da, störte ihn aber nicht, sondern deckte nur so geräuschlos als möglich den Tisch, damit Eduard, wenn er wieder nach Hause kam, das Essen fertig und Alles bereit fände. Erst als sie ihn kommen sah, weckte sie Herrn Becher und konnte, trotz ihrer trüben Stimmung, kaum ein Lächeln unterdrücken, als sie das verdutzte Gesicht des kleinen, aus dem Schlaf auffahrenden Mannes sah, der mit weit geöffneten Augen ganz bestürzt um sich starrte und um's Leben nicht zu wissen schien, wo er sich eigentlich befand und was mit ihm vorgegangen. Erst nach und nach kam er wieder zu vollem Bewußtsein und versicherte jetzt die junge Frau ganz ernsthaft, er sei so müde gewesen, daß er »beinah' eingeschlafen wäre«.
Benner war still, aber freundlich. Er ging, als er in's Zimmer trat, auf Henrietten zu, nahm sie in den Arm und küßte sie herzlich auf Stirn und Augen; aber er sprach nicht weiter über den Brief oder den Todesfall; ja, als Henriette ihn direct deshalb fragte, sagte er: »Laß das heute, mein Kind; der Schmerz ist für mich noch zu neu, um ihn ruhig zu besprechen. Morgen reden wir darüber; ja, Du sollst selber den Brief lesen und mir Deine Meinung sagen.« Er wurde dann gesprächiger, ja selbst heiter und unterhielt sich lange mit Becher über die jetzigen australischen Zustände, über das Deportationswesen im Norden, über Mehl- und Wollpreise, selbst über die kleinlichen Religionsstreitigkeiten in Tanunda zwischen den Alt-Lutheranern und sogenannten »Weltkindern«, d. h. solchen, die der freien, oder auch wohl gar keiner Gemeinde angehörten.
Es war spät, als Becher endlich den Heimritt aber jetzt in der Kühle des Abends, antrat, und es schien fast, als ob Benner allen weiteren Erörterungen zu Hause noch selber so lange als möglich aus dem Weg gehen wollte, denn er sattelte sein eigenes Pferd und begleitete den kleinen Mann fast bis Tanunda hinein. Erst als sie die Lichter des Städtchens schon von weitem sehen konnten, wandte er sein Thier und kehrte langsam nach Hause zurück.
Viertes Capitel.
Ein schwerer Entschluß
Am nächsten Morgen wachte Henriette wie gewöhnlich um fünf Uhr auf; aber ihr Gatte hatte sein Lager schon verlassen und als sie angekleidet in die Stube trat, saß er dort – den Brief vor sich, den Kopf in die Hand gestützt, sinnend am Fenster und sah gedankenvoll in den sonnigen Morgen hinaus.
Sie ging leise zu ihm, legte ihren Arm um seine Schulter und sagte herzlich:
»Guten Morgen, Eduard! Grübelst Du noch immer über den bösen Brief? Ach, mir thut's ja auch weh, Schatz, daß Du Deinen Vater verloren hast, wenn ich ihn auch nimmer gekannt habe, und wenn er so weit fort wohnte.«
Benner zog sie nieder zu sich und küßte sie, dann sagte er leise:
»Setz' Dich da her zu mir und lies einmal den Brief.«
»Erst muß ich den Kaffee kochen,« wehrte aber die Frau ab, »denn wenn der kleine Schlingel nachher munter wird, läßt er mir keine Ruh', – komm', lies ihn mir derweil vor.«
Benner seufzte tief auf.
»Willst Du nicht?« fragte sie treuherzig.
»Geh', Kind – thu' Deine Arbeit erst,« sagte der Mann, »wir müssen dann Ruhe haben, um Manches zu bereden.«
Die junge Frau schüttelte mit dem Kopf – sie hatte nie geglaubt, daß ihr Mann so traurig über den Tod eines Vaters sein würde, dem er immer nur Lieblosigkeit und Härte vorgeworfen – aber doch freute sie's. »Er hat ein gutes, braves Herz,« sagte sie bei sich, »und nun der Alte gestorben ist, trauert er um ihn, als ob er den liebsten und besten Verwandten verloren hätte.«
Aber nicht gewohnt, lange über irgend Etwas nachzugrübeln, ging sie rüstig an ihre Arbeit, und während sie den Kaffee kochte, besorgte sie auch das indeß aufgewachte Kind und trat dann mit diesem auf dem Arm, in der rechten das Brett mit dem Frühstück haltend, in's Zimmer zurück.
Er nahm ihr das Kind ab und auf den Schooß, herzte und küßte es und setzte es dann auf den Boden nieder, um erst zu frühstücken. Während dessen wurde auch kein Wort gesprochen, denn die Frau wollte ihn absichtlich in seinen Gedanken nicht stören. Das war ein Schmerz, der eben austoben mußte, und wogegen keine Trostworte halfen. Hatte er seine bestimmte Zeit, so gab er sich von selber, und Sonnenschein kehrte wieder in das Herz des Menschen zurück, so oft auch noch dann und wann flüchtige Wolken vorbeigingen, und ihren Schatten darüber werfen mochten.
»Und nun, Eduard,« sagte sie, als das Frühstück beendet war und Eduard seine Tasse zurückschob, – »laß mich den Brief haben, den ich lesen sollte, denn ich muß nachher gleich wieder an die Arbeit. Heute giebt's viel zu thun – nach dem letzten Regen wächst uns das Unkraut fast über dem Kopf zusammen, und man findet sich nachher gar nicht mehr durch.«
Eduard reichte ihr das Schreiben, ohne ein Wort dabei zu sagen, stand dann auf und ging, während sie las, mit verschränkten Armen und raschen Schritten in dem kleinen Gemach auf und ab.
Henriette studirte ein wenig an dem Brief, denn es dauerte einige Zeit, bis sie sich in die fremde Handschrift hineingefunden hatte, aber es ging doch zuletzt, und nur leise nickte sie manchmal mit dem Kopf oder schüttelte auch wohl, wenn ihr der Inhalt sonderbar erschien.
Eduard unterbrach sie mit keiner Sylbe, aber dann und wann flog sein Blick wie scheu nach ihr herüber, als ob er fürchte, daß sie über irgend etwas erschrecken würde. Der Brief schien jedoch kein solches Gefühl in ihr hervorgerufen zu haben; sie blieb ruhig und unbefangen, und als sie geendet, faltete sie ihn wieder zusammen und sagte herzlich:
»Deine Schwester muß ein recht braves Frauenzimmer sein, Eduard, sie schreibt gar so lieb und gut und meint's auch sicher so. Ich wollt', ich könnt' sie einmal sehen und ihr die Hand drücken. – Das muß ein schwerer Schlag für sie gewesen sein. Ist sie denn verheirathet?«
»Ja.«
»So – und wen hat sie? – Was ist ihr Mann?«
»Ein Graf von Galaz.«
»Ein Graf? Sieh mal an, da ist sie gewiß eine recht vornehme Frau – wer weiß, ob sie da Etwas von mir armem Ding wissen möchte, und es ist vielleicht recht gut, daß wir so weit auseinander wohnen.«
»Und hast Du nicht weiter gelesen, Jettchen?«
»Ei gewiß, Alles bis zum Ende, wo sie schreibt: Deine Dir ewig treue Schwester Alexandrine.«
»Hast Du da nicht gelesen, daß sie mich bittet, der Erbschaft wegen nach Deutschland zu kommen?« sagte Eduard und sah erstaunt zu ihr auf.
»Ei sicher – zweimal schreibt sie's ja sogar, aber was versteht so eine Frau davon; die hat wohl nimmer einen Begriff von der Reise, daß sie da meint, Einer könnte, der paar Thaler wegen, von daheim weg und über's weite Meer hin und zurück. Da kostete ja allein die Reise mehr, wie die ganze Sache vielleicht werth wäre. Laß sie's schicken; der Vater hat ja auch im vorigen Monat eine Erbschaft von 500 baaren Thalern geschickt gekriegt – wenn der deshalb hinüber gegangen wäre, nicht einen Pfennig davon hätt' er wieder mit zurückgebracht.«
»Aber mein liebes Herz,« sagte Benner, »es handelt sich hierbei nicht um ein paar hundert Thaler, sondern um viele Tausende – um ein großes Vermögen, das mein Vater, der bei seinem jähen und unerwarteten Tod ohne Testament gestorben ist, nur seinen beiden Haupterben, mir und meiner Schwester, hinterlassen hat. Mehre Rittergüter sind dabei, viel baares Geld und Silber, liegende Gründe dazu, ein paar Häuser in der Residenz, und Gott weiß, was sonst noch für Dinge, die meine persönliche Gegenwart nicht allein meinet-, sondern auch meiner Schwester wegen dringend nöthig machen.«
»Aber Du denkst doch nicht etwa daran, nach Deutschland zurückzugehen?« sagte Henriette, als ihr plötzlich der erste Gedanke an eine solche Möglichkeit kam, und fast unbewußt und erschreckt setzte sie das Kaffeegeschirr wieder auf den Tisch zurück, das sie eben aufgenommen hatte, um es hinauszutragen.
»Es wird nicht anders zu ordnen sein, mein liebes Kind,« sagte Benner, während er an's Fenster trat und hinaussah. Er mochte in dem Moment seines Weibes Auge nicht begegnen.
»Nicht anders zu ordnen sein, Eduard?« rief aber Henriette, und sie fühlte ordentlich, wie ihr jeder Tropfen Blut zum Herzen zurückströmte, – »und das sagst Du so ruhig und gleichmüthig, als ob es nur eine Trennung von wenigen Tagen wäre?«
»Aber wie kann ich es ändern, Jettchen?« sagte Benner, indem er sich nach ihr umdrehte und selber über das Aussehen der Frau erschrak – »ängstige Dich doch nicht deshalb; all unsere Noth und Sorge und Arbeit hat ja auch jetzt dafür ein Ende, denn wir sind selber damit reich geworden – die Zeit geht ja auch vorüber.«
»Wir waren so glücklich bei der Arbeit, Eduard!«
»Ja, mein liebes Herz, aber wir werden jetzt noch glücklicher werden.«
Die Frau hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und faltete die Hände im Schooße – sie konnte nicht länger stehen, so zitterten ihr die Knie und selbst das Kind achtete sie nicht, das zu ihr hingekrochen war und an ihrem Kleid zupfte.
»Noch glücklicher, Eduard?« sagte sie leise. »Oh, Gott weiß wie ich zu ihm gebetet habe, daß er uns so erhalten möge – noch glücklicher! – wir wollen nicht freveln, daß uns der Himmel nicht dafür straft und uns nimmt, was wir haben.«
»Aber was für trüben Gedanken giebst Du Dich hin, mein Herz,« sagte Benner, – »anstatt daß Du Dich des neuen Glückes freuen solltest, klagst Du, als ob uns ein Unglück betroffen hätte. Ist das recht, oder selbst nur vernünftig?«
»Und droht uns nicht ein Unglück, Eduard?« sagte die Frau weich. »Oh Herr Schrader hat es mir wohl oft gesagt: ein Jahr wird er bei Dir bleiben, vielleicht zwei, dann geht er fort, und Du sitzest mit Deinem Kinde allein in Australien.«
»Schrader ist ein Esel,« sagte Benner ärgerlich, »der alberne Tropf sucht ordentlich was darin, den Leuten Unglück zu prophezeihen, und wenn Einer bei ihm ein Loth Brustthee holt, so zuckt er schon die Achseln und räth ihm, sich sehr in Acht zu nehmen, weil er sichtbare Anlagen zur Schwindsucht hätte.«
Die Frau erwiderte nichts weiter, sie saß still und in einander gebrochen auf ihrem Stuhl und starrte vor sich nieder, und erst als der Kleine zu schreien anfing, weil sich die Mutter gar nicht um ihn kümmern wollte, hob sie ihn zu sich empor und drückte ihn leidenschaftlich an die Brust.
»Sei vernünftig, Jettchen,« sagte da endlich Benner bittend, »überleg' Dir Alles genau – ja, besprich es mit Deinem Vater, und er wird mir selber zugestehen müssen, daß ich nicht anders kann. Ich muß nach Deutschland, denn was hier auf dem Spiele steht, ist zu bedeutend, um es aus Furcht vor einer kurzen Trennung zu gefährden. – Denke Dir auch,« fuhr er nach einer Pause fort, in der ihm Henriette noch immer nichts erwiderte, »wie allein und verlassen meine Schwester jetzt solchen verwickelten Geschäften gegenübersteht. Schon ihretwegen müßte ich hinüber.«
»Ich verstehe das Alles nicht,« sagte die arme Frau kopfschüttelnd, – »ich glaubte, Deine Schwester wäre an einen Grafen verheirathet, und dann steht sie doch nicht allein und verlassen.«
»Aber jener Graf hat doch nichts mit unserer Familienangelegenheit zu thun –«
»Und gehört er nicht mit zu Eurer Familie? – sei mir nicht böse, Eduard,« brach sie aber rasch ab, als sie die tiefe Falte bemerkte, die sich über seine Stirn zog, – »mir ist das Herz so voll und schwer, und der Kopf thut mir so weh, ich weiß kaum noch, was ich rede – Also Du willst wirklich nach Deutschland zurückgehen und Weib und Kind in Australien lassen?«
»Und glaubst Du, daß ich mit leichtem Herzen gehe?« fragte Benner zurück. »Wenn es nicht wäre, daß ich für Euch gerade eine sorgenfreie Zukunft bereiten könnte, ich bliebe wahrlich da. Mir wird der Abschied weh genug thun, sei versichert, Kind, und die ganze Nacht hat mich der Gedanke schon gequält.«
Die Frau schwieg und sah still und sinnend vor sich nieder, endlich flüsterte sie leise: »Wie Gott will!« nahm ihr Kind auf und ging hinaus.
Das war ein trüber und schmerzlicher Tag in der kleinen, sonst so glücklichen Familie, und wenn die Frau auch nicht klagte, oder selbst nur mit einem Wort weiter die beabsichtigte Trennung erwähnte, gab es ihr doch immer einen Stich durch's Herz, sobald der Kleine in wilder Kindeslust aufjubelte und die Mutter umklammerte.
Den Nachmittag ritt Benner in die Stadt. – Er wollte selber mit Henriettens Eltern sprechen, ihnen den Brief zeigen und ihren Rath hören – obgleich er über seinen Entschluß mit sich im Reinen war – aber es würde die Frau beruhigen, wenn die Eltern selber sagten, daß er nach Hause müsse, um Alles in Ordnung zu bringen – in zwölf bis vierzehn Monaten konnte er ja auch recht gut wieder zurück sein.
Zwölf bis vierzehn Monate, Du großer Gott, wie leicht spricht der Mund eine solche Zeit aus, wie rasch verfügt das Menschenherz über einen solchen Zukunftsraum, während ihm doch das Schicksal seiner nächsten Lebensstunde verborgen ist. Aber wir hoffen und harren, bauen Pläne und fassen Entschlüsse, und wenn die vorgesteckte Zeit naht – was ist aus unseren Plänen und Entschlüssen geworden – wo sind wir selber?
Es war eine eigene Berathschlagung in der kleinen Stadt zwischen dem Baron Benner, dem Erben einer halben Million, und den beiden alten Leuten, dem Schuster und seiner Frau. Der Alte saß bei seiner Arbeit, auf dem niederen Schemel, den alten Buschschuh irgend eines derben Bauern unter dem Knieriem, und Ahle und Draht herüber- und hinüberziehend, die Frau selber wirthschaftete dabei in der Stube herum, eine unausweichliche Tasse Kaffee für den lieben Gast und Schwiegersohn herzurichten – aber beide hielten mitten in ihrer Arbeit inne, als Benner ihnen mit kurzen Worten den Inhalt des gestern empfangenen Schreibens mittheilte und ihnen zugleich verkündete, daß er jetzt ein bedeutendes Erbe in Deutschland zu erwarten habe.
»Viele tausend Thaler?« – Die Frau schlug die Hände über dem Kopf zusammen, und der Schuster schüttelte den seinen still vor sich hin. Er glaubte nie an große Zahlen, und das Ganze kam ihm zu plötzlich und auch zu unwahrscheinlich vor, als daß er sich gleich hätte vollständig hineindenken können. Das Einzige, was ihm klar war, daß der Baron nach Deutschland zurück und seine Frau hier allein lassen wollte, gefiel ihm nicht. – Wenn er nun dort blieb? – Aber die Frau sah weiter – viele Tausend Thaler als Erbschaft, was hätte sich mit denen nicht hier in Australien anfangen lassen, und was für eine vornehme Frau konnte dann ihre Tochter werden. Benner hatte sie im Augenblick auf seiner Seite, und der Alte gab auch endlich nach. Was konnte er auch dagegen machen, wenn sein Schwiegersohn ihm sagte, daß er hinüber müsse, aber recht war's ihm noch immer nicht, und er vergaß ganz Ahle und Draht, schob sich sein schwarzes, fettiges Käppchen auf's eine Ohr und kratzte sich in tiefen Gedanken den Kopf.
Das Resultat der Berathung gestaltete sich denn auch so, wie es Benner vorhergesehen. Die Eltern erklärten sich einverstanden mit der Reise, und ihr Schwiegersohn mußte ihnen nur versprechen, keine Zeit daheim zu versäumen, sondern so rasch als irgend möglich wieder zurückzukehren, schon der Leute wegen, die sicher genug ihre boshaften Bemerkungen darüber nicht unterließen und die arme junge Frau zu sehr gekränkt hätten.
Noch etwas Anderes blieb für ihn in Tanunda zu ordnen, – er brauchte nämlich Reisegeld und wollte seinen Schwiegervater nicht darum bitten; aber Becher war augenblicklich bereit, ihm dasselbe vorzuschießen. Er betrachtete es gewissermaßen als Consulatssache, denn der Brief, der die Erbschaft anzeigte, war durch ihn gekommen, und er versicherte Benner, er würde es ihm übel genommen haben, wenn er sich in dieser Sache an irgend Jemand Anderen gewandt hätte. In einer halben Stunde war Alles geordnet, und zufällig lag auch gerade ein fast segelfertiges englisches Schiff in Port Adelaide, das nur noch Wasser einnehmen mußte, und spätestens übermorgen früh mit der einsetzenden Ebbe auslief. Wenn er mitgehen wollte, mußte er morgen Nacht schon jedenfalls an Bord sein.
Benner ritt in einer eigenthümlich aufgeregten Stimmung nach Hause zurück und sonderbarer Weise war es in diesem Augenblick weniger der Abschied von Frau und Kind, an den er dachte, sondern mehr noch, weit mehr die Aussicht, bald, in wenigen Monden schon, wieder die alte Stätte seiner Jugend zu betreten, die er nie geglaubt hatte wiederzusehen, – noch einmal den Kreis der Freunde aufzusuchen und in ihrer Mitte zu verkehren. Auch die Sehnsucht nach der Schwester beschäftigte ihn, und so ganz füllten diese Bilder seine Gedanken, daß er plötzlich und unerwartet vor seinem eigenen Hause hielt und gar nicht wußte, wie er diesmal so rasch dorthin gekommen.
Und morgen Abend schon wollte er fort? Die Frau wurde leichenblaß, als er es ihr sagte, aber sie erwiderte kein Wort; nur fester drückte sie das Kind an ihre Brust und ging dann schweigend an ihre Arbeit, um dem Gatten Alles herzurichten, was er zu seiner langen Reise brauchte.
Was aus ihr selber in der Zeit wurde? – sie dachte nicht einmal daran; nur bei ihm waren ihre Gedanken, nur bei ihrem Kinde und dem Schmerz der Trennung, und doch that sie sich Gewalt an, daß sie es Eduard nicht merken ließ – hätt' es ihm selber ja doch den Abschied schwerer gemacht, und er konnte es ja nicht mehr ändern – er mußte fort.
Den Abend verbrachten sie zusammen in ihrem Gärtchen und ihr Gatte theilte ihr jetzt mit, daß er sein kleines Grundstück für die Zeit seiner Abwesenheit und um den halben Ertrag an einen jungen Bauerssohn, den er bei Becher traf, verpachtet habe. Sie selber sollte indessen zu ihren Eltern ziehen, bis er zurückkäme. Mit der ersten Post schon versprach er ihr aber Geld zu senden, daß sie sich ein eigenes kleines Quartier miethen und ihre Wirthschaft führen könne. Mit der zweiten Post folgte er dann vielleicht schon selber nach.
Morgens kam der Vater noch heraus, um Manches zu bereden und der Tochter Sachen auf seinem Wagen mit nach Tanunda zu nehmen – gegen Abend sollte ihn die kleine Familie dorthin begleiten und Abends um neun Uhr fuhr die Post ab, mit der er nach Adelaide gehen konnte und dann zur rechten Zeit im Hafen eintraf.
Das war ein schwerer, recht schwerer Tag für die arme Frau, und sie ging wirklich wie in einem Traum herum. Sie that Alles was nöthig war, aber willenlos, maschinenartig, und wäre am liebsten mit ihrem Kind in einen Winkel gekrochen, um sich nur einmal – nur ein einziges Mal recht herzlich auszuweinen. Aber das ging nicht, sie mußte Stand halten; ihr Eduard wäre ihr ja sonst vielleicht noch am letzten Tag böse geworden. Auch konnte sie sich keine Minute mehr von den wenigen Stunden, die sie noch beisammen bleiben sollten, von ihm trennen.
So fuhren sie zusammen nach Tanunda, und so langsam ihr sonst die Stunden manchmal hingegangen, so rasch, so entsetzlich rasch flog der heutige Tag an ihr vorüber. Es war Abend geworden, sie wußte selbst nicht wie, und der Zeiger auf der alten, im Zimmer ihrer Mutter hängenden Schwarzwälder Uhr lief ordentlich von Zahl zu Zahl.
Um neun Uhr ging die Post. Das Gepäck war schon Alles aufgegeben. Vor acht Uhr schon hatte die Mutter noch einmal den Tisch gedeckt, zum letzten Abendbrod, und Henriette saß neben dem Gatten, das Kind auf dem Schooß, den Kopf an seine Schulter geschmiegt, und zuckte nur immer zusammen, wenn die Uhr wieder zum Schlagen aushob. – Und jetzt sollten sie essen? – Oh, wie hätte sie einen Bissen über die Lippen bringen können.
Die Mutter hatte Rouladen gebraten. Eduard aß sie gern – Du lieber Gott, er wollte sich nicht einmal mit zum Tisch setzen, so weh war ihm zu Muthe, und als er endlich dem dringenden Nöthigen der Frau nachgab, quoll ihm der Bissen im Munde.
Und es schlug halb – es schlug drei Viertel auf Neun – er rückte mit dem Stuhl.
»Du gehst in zwei Minuten zu der Post hinüber,« flüsterte ihm die Frau zu und schmiegte sich ängstlich an ihn an. »Sie fahren ja nicht ohne Dich fort.«
»Mein liebes, liebes Weib!«
»Und willst Du recht viel an uns denken, Eduard, – an mich und Dein Kind?«
»Tag und Nacht – Tag und Nacht, Lieb.«
»Und nicht gar so lange fortbleiben?«
»So rasch ich möglicherweise kann, kehr' ich zurück. – Sorge Dich nur nicht um mich – wie bald ist ja der Weg zurückgelegt.«
»Wie bald? Oh, mein Himmel, und fünf Monat hin und fünf Monat zurück nennst Du bald – mir werden es eben so viele Jahre werden.«
»Meine liebe, liebe Henriette!« – und sie hielten sich fest und lange umschlungen.
»Kinder, es wird Zeit – es ist in zwei Minuten neun Uhr,« sagte da der Alte. »Eduard, mit Gott! Machen Sie, daß Sie fortkommen, wir wollen indessen schon auf die Kinder Achtung geben.«
Fester klammerte sich die Frau an ihn an. Der Augenblick war gekommen, vor dem sie so lange gebebt, und erst jetzt erfaßte sie die Angst, das bittere Weh des Scheidens.
»Leb' wohl, mein Herz – sei stark; ich kehre ja bald zu Dir zurück.«
»Küsse noch einmal unser Kind,« flüsterte sie, – »der kleine Bursch ist eingeschlafen; er ahnt ja nicht, daß er den Vater verlieren soll.«
»Er verliert ihn nicht, Herz,« sagte Eduard, indem er sich über das Kind bog und es küßte, während ein paar heiße Thränen auf seine Locken fielen – »und nun leb' wohl!« rief er, sich rasch und entschlossen aufrichtend, – »bleibt hier – geht nicht mit zur Post – macht mir den Abschied nicht schwerer, als er schon ist – Gott schütze Dich, mein süßes, süßes Lieb – Dich und das Kind – leb' wohl – leb' wohl!«
Noch einmal preßten seine Lippen in glühendem Kuß die ihrigen – noch einmal drückte er Vater und Mutter die Hand – draußen in der anderen Straße blies der Postillon, ein Engländer, aber mit den so oft gehörten Melodien längst vertraut, das alte Volkslied: »Muß i denn, muß i denn, zum Städtle 'naus,« – Henriette warf ihre Arme um seinen Nacken und hielt ihn fest und innig umschlungen. – Die erbarmungslose Uhr schlug neun, es war die Abschiedsstunde, und ihr Antlitz in den Händen bergend, sank sie neben dem Sopha, auf dem ihr Kind schlief, in die Knie. – Sie hörte, wie die Thür geöffnet wurde und sich schloß – sie hörte rasche Schritte draußen – dann war Alles still, und das Einzige, was ihr blieb, das Gefühl ihres Jammers – ihres Verlassenseins.