Kitabı oku: «Unter Palmen und Buchen. Erster Band.», sayfa 7
Dieser aß das ihm vorgesetzte Beefsteak, trank seine Flasche Wein dazu und wartete es ruhig ab, bis ihm der Kellner das Fremdenbuch brachte. In dasselbe schrieb er sich ein als W. Hallinger, Particulier aus Breslau und blätterte dann die Seiten nach den dort eingetragenen Namen durch.
Ganz zuletzt – dicht über seinem eigenen Autograph – standen seine Reisegefährten eingetragen: »Comte Kornikoff und Frau, aus Petersburg – von Hannover nach Frankfurt.«
Der Kellner hatte dabei bemerkt Nr. 6 und 7.
»Wollen Sie morgen früh geweckt sein?« frug ihn der Portier, als er seine Flasche beendet und seine Cigarre ausgeraucht hatte, und eben im Begriff stand zu Bett zu gehen.
»Wann geht der erste Zug?«
»Wohin?«
»Nach Mainz oder Wiesbaden.«
»Sechs Uhr.«
»Gehen da noch mehrere Passagiere ab?«
»Jawohl,« erwiederte der Portier, auf die für den Hausknecht bestimmte Tafel zeigend – »Nr. 5, Nr. 17 und Nr. 37 lassen sich wecken. Soll ich Sie ebenfalls notiren?«
»Ach, ich weiß nicht; ich bin müde heut Abend. Ich werde wohl erst mit dem zweiten Zug fahren.«
»Sehr wohl, mein Herr – Kellner, Licht auf Nr. 8. Angenehme Ruhe.«
Der Fremde stieg auf sein Zimmer hinauf und sah vor Nr. 7 ein Paar Herrenstiefeln und ein Paar lederne Damenschuhe stehen. Im Hotel schlief aber schon alles; es war spät geworden, da sich der Zug überhaupt verspätet hatte und der »Particulier Hallinger« suchte ebenfalls sein Lager.
II
Der Bundesgenosse
Am nächsten Morgen war der Fremde, der sich in dem Fremdenbuch als Particulier Hallinger eingeschrieben hatte, trotzdem daß er nicht geweckt wurde, ziemlich früh wieder munter, aber es schlug 8 Uhr, und die Stiefel und die Damenschuhe standen noch immer vor Nr. 7, ohne hereingeholt zu sein. Erst gegen neun Uhr schienen die Insassen jenes Zimmers ordentlich munter zu werden, und um halb zehn Uhr wurde Kaffee bestellt. Aber erst gegen zwölf Uhr ging der Herr aus, und zwar allein – die Dame blieb auf ihrem Zimmer. Wie der Kellner aussagte, fühlte sich die Dame nicht ganz wohl, und wollte heute ausruhen – er hatte wenigstens nicht in das Zimmer gedurft, und das Stubenmädchen mußte den Kaffee hinein tragen. Wahrscheinlich lag sie noch im Bette.
Der Fremde blieb übrigens den ganzen Tag zu Haus, und schickte nur einen Brief an Messrs. Burton & Burton, London, 12 Fleetstreet durch den Hausknecht auf die Post. Thatsache war übrigens, daß er sich ungemein für seine Nachbarschaft zu interessiren schien, denn als der Herr wieder nach Hause kam, rückte er sich leise einen Stuhl an die verschlossene Verbindungsthür und horchte stundenlang mit einer merkwürdigen Ausdauer dem da drüben gehaltenen Gespräch, jedoch ohne besonderen Nutzen. Die laut gesprochenen Worte waren vollständig gleichgültiger Natur, und das andere konnte er eben nicht verstehen.
Zu Mittag aß er an der Table d'hôte, aber von Nr. 6 oder 7 ließ sich niemand dabei blicken. Die Dame schien sich noch angegriffen von der Reise zu fühlen und Beide speisten auf ihrem Zimmer.
Erst Nachmittags begegnete er dem »Grafen Kornikoff« auf der Treppe und dieser sah ihn etwas überrascht durch seine blaue Brille an. Der Fremde heuchelte aber vollständige Gleichgültigkeit, nahm nicht die geringste Notiz von ihm, und that wenigstens so, als ob er ihn gar nicht wieder erkenne.
So verging der Tag, ohne daß die beiden Reisenden Miene gemacht hätten, Frankfurt wieder zu verlassen. Der Oberkellner, mit dem sich Herr Hallinger über die »bildschöne junge Frau« unterhielt, wußte wenigstens nicht das Geringste davon. Abends aber, als der Schnellzug von Hannover erwartet wurde, ging Hallinger hinaus auf den Bahnhof, und brauchte, als der Zug endlich einlief, auch nicht lange nach dem Erwarteten zu suchen. Dieser hatte ihn schon von seinem Coupé aus bemerkt und kam rasch auf ihn zu.
»Hamilton! nun, was Neues?«
»Ich glaube, ich bin auf der richtigen Spur, Mr. Burton,« sagte dieser, indem er achtungsvoll seinen Hut berührte. »Aber wo ist Ihr Gepäck?«
»Nichts als die Reisetasche hier.«
»Desto besser, auf der Jagd darf man nicht unnöthigen Plunder mitschleppen. Kommen Sie, ich habe schon eine Droschke«.
»Gehen wir nicht lieber zu Fuß?«
»Es ist zu weit – und fahren ist sicherer.«
»Und was haben Sie nun entdeckt?« frug der junge Engländer, als Beide eingestiegen waren und davon rasselten – die Unterhaltung wurde auch in englischer Sprache geführt.
»Das will ich Ihnen mit kurzen Worten sagen,« berichtete der fälschlich als deutscher Particulier eingetragene Fremde. »Durch einen reinen Zufall war ich genöthigt, ein Paar Stationen in einem Packwagen zu fahren, und fand dort einen Koffer, dessen Messingschild den Namen »Comte Kornikoff« trug.«
»Und Sie glauben, daß jener Schuft Kornik dahinter stecke?«
»Durch den Namen allein wäre ich vielleicht nicht einmal darauf gefallen,« fuhr Hamilton fort, »aber das französische Wort Comte war jedenfalls später zu dem Namen gravirt, denn es nahm nicht den Raum ein, den ihm der Graveur gegeben hätte, wenn er es von Anfang an darauf gesetzt. Ebenso schien das off hinzugefügt.«
»Und die Beschreibung des Eigenthümers paßt?« rief Mr. Burton rasch.
»Ja und nein. Wohl in der Gestalt, aber sonst nicht ganz; der dunkelblonde Backenbart fehlt«.
»Der kann abrasirt sein.«
»Das ist möglich – aber er trägt einen vollkommen schwarzen Schnurrbart und eine blaue Brille«.
»Der Schnurrbart ist vielleicht gefärbt.«
»Das vermuthe ich selber. – Die Dame ist bei ihm.«
»Miss Fallow?«
»Unter dem Namen der Gräfin Kornikoff natürlich, – wenn das nämlich der von uns Gesuchte ist. Sie kennen ihn doch genau?«
»Als ob er mein leiblicher Bruder wäre. Er war ja sieben Jahre in meines Vaters Haus und die beiden letzten als Hauptcassirer, wo er sich – wer weiß durch was, verleiten ließ, diesen bedeutenden Kassendiebstahl zu begehen.«
»Wahrscheinlich durch eben diese junge Dame,« sagte Hamilton, »von der ich ganz allerliebste Sachen gehört habe. Ihr eigentlicher Name ist Lucy Fallow, Tochter eines Schneidermeisters in London, aber die Eltern sind beide todt. Es sollen ganz ordentliche Leute gewesen sein. Das junge Mädchen hatte, ihres anständigen Benehmens wegen und da sie wirklich nicht ungebildet ist, ein Paar Jahr mit einer vornehmen Familie reisen können, und dann später auch noch hie und da Unterricht in Musik gegeben. Dadurch kam sie auch in Lady Clives Haus, von wo aus sie jetzt beschuldigt wird, einen sehr werthvollen Schmuck entwendet zu haben.«
»Der sich dann vielleicht in ihrem Koffer findet.«
»Beinah hätte ich diese beiden Koffer erwischt,« lächelte Hamilton leise vor sich hin, »aber ich durfte kein Aufsehen erregen, bis ich nicht durch Sie hier Gewißheit über die Persönlichkeit erlangen konnte. Die Dame kennen Sie nicht selber?«
»Nein – ich habe sie nie gesehen.«
»Und von einem Grafen Kornikoff in Hannover auch nichts gehört?«
»Nicht das Geringste. Kein Mensch wußte dort etwas von ihm, und er stand nicht einmal in einem Fremdenblatt. Er kann nur durchgereist sein, und Sie werden gewiß die richtige Spur gefunden haben. Uebrigens müssen wir vorher die nöthigen Schritte auf der Polizei thun.«
»Ist schon alles geschehen,« sagte Hamilton. »Ich habe den Verhaftsbefehl für das Pärchen schon in der Tasche, und den Burschen mit seiner Donna fest, sowie Sie mir nur bestätigen, daß er der Rechte ist.«
»Ich hätte im Leben nicht geglaubt,« sagte Mr. Burton, »daß Sie dem Betrüger sobald auf die Spur kämen. Es geht alles nach Wunsch. Apropos, haben Sie denn die Dame auch zu sehen bekommen?«
»Ich bin ja mit ihnen in einem Coupé gefahren,« lachte Hamilton, »und sie ahnten dabei wahrscheinlich nicht, daß sie einen geheimen Polizisten bei sich im Wagen hatten. Nun ich denke, wir werden noch länger Reisegefährten bleiben. Aber da sind wir – jetzt haben wir nur darauf zu sehen, daß uns die Herrschaften nicht etwa morgen in aller Früh durchbrennen. Wollen wir gleich auf Ihr Zimmer gehen?«
»Ich muß erst etwas essen; ich bin ganz ausgehungert.«
»Schön – dann kommen Sie mit in den Speisesaal, wir finden ihn um diese Zeit fast leer.«
Sie bogen rechts ein, um den Saal zu betreten. Als aber Hamilton die Hand nach der Thür ausstreckte, öffnete sich diese, und Graf Kornikoff trat heraus, warf einen flüchtigen Blick auf die Beiden und schritt dann langsam über den Vorsaal, der Treppe zu.
»Das war er,« flüsterte Hamilton seinem Begleiter zu – »wenn er Sie nur nicht erkannt hat.«
Unwillkührlich drehte Burton den Kopf nach ihm um, konnte aber die schmächtige Gestalt des Herrn nur noch sehen, wie er eben um die Ecke bog, ohne jedoch dabei zurückzuschauen.
»Das glaub ich kaum,« sagte Burton, »denn der Moment war zu rasch, und dann hätte er doch auch jedenfalls irgend ein unwillkürliches Zeichen der Ueberraschung gegeben. In der Verkleidung und mit der blauen Brille und dem schwarzen Schnurrbart würde ich selber aber nie im Leben diesen Mr. Kornik vermuthet haben. Wenn Sie sich nur nicht geirrt, denn in dem Fall versäumen wir hier viel Zeit.«
»Ist es denn nicht wenigstens seine Gestalt?« frug Hamilton.
»Die nämliche Gestalt allerdings,« bestätigte Burton, »aber das Gesicht konnte ich – unvorbereitet wie ich außerdem war – unmöglich in der Geschwindigkeit erkennen. Wann geht der erste Zug morgen früh?«
»Erst um sechs Uhr.«
»Ah, dann ist ja voller Tag,« sagte Burton, »und im schlimmsten Fall halten wir ihn mit Gewalt zurück. Wäre es aber nicht besser, wir äßen auf unserem Zimmer?«
»Jetzt kommt er nicht mehr herunter,« meinte Hamilton. »Jedenfalls setzen Sie sich mit dem Rücken der Thür zu, und wenn er dann ja noch einmal den Saal betreten sollte, so werde ich bald sehen, was er für ein Gesicht dabei macht.«
Hamilton hatte übrigens Recht. Graf Kornikoff ließ sich nicht mehr blicken und als die Beiden ihr Abendbrod beendet hatten, gingen sie auf Mr. Burtons Zimmer hinauf, das einen Stock höher als Hamiltons lag, um dort noch Manches zu besprechen.
Burton hatte sich jedoch vorher, auf Hamiltons Rath unter einem französischen Namen in das Fremdenbuch eingetragen, um doch jede nöthige Vorsicht zu gebrauchen. Auch verabsäumte der schlaue Polizeibeamte nicht, vor Schlafengehen noch einmal die Tafel des Portiers zu revidiren, ob sich vielleicht Nr. 6 oder 7 darauf befand, um früh geweckt zu werden. Das war aber nicht der Fall, und Hamilton glaubte jetzt selber, daß jener Herr, wenn es wirklich der Gesuchte gewesen, Mr. Burton in dem Moment ihres augenblicklichen und unerwarteten Begegnens nicht erkannt haben konnte. Er brauchte also auch Nichts zu überstürzen.
III
Entwischt
Mitternacht war lange vorüber, als sich Hamilton endlich erschöpft und ziemlich ermüdet auf sein Lager warf, aber trotzdem befand er sich schon um fünf Uhr angekleidet wieder draußen auf dem Gang, denn heute sollte er ja den Lohn seiner Bemühungen ernten, und die Zeit durfte ihn nicht lässig finden.
Das Schuhwerk stand indeß noch immer friedlich dort draußen, des Hausknechts gewärtig, aber die Bewohner des Zimmers mußten auf sein – sollten sie doch am Ende heute morgen abfahren wollen? »Nein, mein lieber Mr. Kornik,« lachte der Engländer still vor sich hin, »da wir Sie so hübsch in der Falle haben, wollen wir auch Acht geben, daß Sie uns nicht wieder durch die Finger schlüpfen.«
In dem Augenblick wurde in Nr. 7 die Klingel gezogen und Hamilton trat in seine Stube zurück, ließ aber die Thür angelehnt. Er horchte – aber er konnte nicht hören, daß irgend jemand ein Wort sprach. Ein Paar Stühle wurden gerückt und Schiebladen ziemlich geräuschvoll auf- und zugemacht, aber keine Sylbe wurde laut. Hatte sich das junge Ehepaar vielleicht gezankt?
Draußen klopfte der Kellner an Nr. 7 an.
»Walk in.«
Die Thür öffnete sich.
»Do you speak english?« lautete die Frage der Dame.
Der Kellner antwortete leise einige Worte, die Hamilton nicht verstehen konnte, aber die Frage mußte verneinend beantwortet sein, denn die Dame erwiderte gleich darauf heftig:
»So send somebody with whom I can speak.«
Der Kellner – Hamilton sah durch die Thürspalte, es war ein ganz junger Bursch, der augenscheinlich gar nicht wußte, was die Dame von ihm wollte – eilte wieder die Treppe hinab. »Aber alle Wetter, wo stak denn Mr. Kornik, der doch ganz vortrefflich deutsch sprach?«
Hamilton erschrak. Hatte der Verbrecher wirklich gestern Abend Burton erkannt und sich selber in Sicherheit gebracht? Darüber mußte er Gewißheit haben – aber seine Stiefeln standen noch vor der Thür. War er vielleicht krank geworden?
Er stieg rasch die Treppe hinunter zum Portier, den er auch schon auf seinem Posten fand.
»Ah, Portier, wissen Sie vielleicht, wann der Herr auf Nr. 7 wieder abreisen wird?«
»Auf Nr. 7?«
»Graf Kornikoff, glaube ich –«
»Ah – ja der Herr Graf, kann ich wirklich nicht sagen. Er wollte heute Abend wieder kommen.«
»Wieder kommen?«
»Ja – er ist heute Morgen halb zwei Uhr mit Extrapost nach dem Taunusgebirg gefahren.«
»The devil he is,« murmelte Hamilton leise und verblüfft vor sich hin, »und hat er Gepäck mitgenommen?« frug er laut.
»Nur eine Reisetasche – die Dame ist ja noch hier.«
»Haben Sie ihn denn gesehen?«
»Natürlich – ich habe die Tasche ja an den Wagen getragen.«
»Aber wann, um Gottes Willen, schlafen Sie denn?«
»Ich? – nie,« lächelte der Mann in voller Ruhe. Aber Hamilton hatte andere Dinge im Kopf, als sich mit dem Portier zu unterhalten. Mit wenigen Sätzen war er oben an Mr. Burtons Zimmer, den er auch schon vollständig angekleidet und seiner wartend traf.
»Er ist fort,« rief er diesem ganz außer Athem entgegen, »richtig durchgebrannt. Er muß Sie gestern Abend erkannt haben. Der Lump ist mit allen Hunden gehetzt.«
»Und was jetzt?«
»Ich muß augenblicklich nach, denn der Postillon, der ihn gefahren hat, wird zurück sein und weiß jedenfalls die Station. Dort findet sich dann die weitere Spur.«
»Mit der Donna?«
»Nein, die ist zurückgeblieben, die überlasse ich jetzt Ihnen. Wahrscheinlich hat sie auch einen Theil von Ihres Vaters Geldern in Verwahrung – jedenfalls den Schmuck. – Hier ist der Verhaftsbefehl für Kornik und seine Begleiterin – mir kann er doch nichts helfen, denn er gilt, von den Frankfurter Behörden ausgestellt, nur für das hiesige Gebiet. Das ist eine verzweifelte Wirthschaft in Deutschland, wo ein Mann in einer einzigen Stunde in drei verschiedener Herren Länder sein kann.
»Aber wie bekomme ich heraus, ob das auch in der That jene berüchtigte Miss Fallow ist, bester Hamilton? Die Flucht des Grafen, wenn er wirklich geflohen, bleibt allerdings sehr verdächtig und ich zweifle kaum, daß Sie auf der richtigen Fährte sind, aber es – wäre doch eine ganz fatale Geschichte, wenn wir es nicht mit den rechten Leuten zu thun hätten, und jetzt einer wildfremden und ganz unschuldigen Dame Unannehmlichkeiten bereiteten.«
»Machen Sie sich deshalb keine Sorgen!« lachte Hamilton. »Daß ich Ihnen aus diesem Grafen Kornikoff den richtigen und unverfälschten Kornik herausschäle, darauf können Sie sich fest verlassen, und dies junge, wirklich wunderhübsche Geschöpf, was ihn begleitet, hätte sich dem Lump auch nicht an den Hals geworfen, wenn sie nicht schon vorher durch ein Verbrechen mit einander verbunden gewesen wären. Nein, die einzige Sorge, die ich habe, ist die, daß Ihnen die junge Dame einmal ebenso eines Morgens unter den Händen fortschlüpft, wie ich mir in fabelhaft alberner Weise habe den Hauptschuldigen entwischen lassen, und wenn ich ihn nicht wieder bekäme, wäre das ein Nagel zu meinem Sarg. Aber noch hab' ich Hoffnung – ich kenne den Herrn jetzt, denn ich habe ihn mir genau angesehen und wenn er sich wirklich auch den schwarzen Schnurrbart abrasirte und die blaue Brille in die Tasche steckte, so denke ich ihm doch auf den Hacken zu sitzen, ehe er es sich versieht.«
»Er wird direkt über die Grenze nach Frankreich fliehen.«
»Daran habe ich auch schon gedacht, denn Geld genug hat er bei sich, aber dagegen hilft der Telegraph. An die beiden Grenzstationen werde ich jetzt vor allen Dingen genau telegraphiren, und wenn ich da nur ein Wort mit einfließen lasse, daß der Herr mit dem Revolutionscomité in London in Verbindung stände, passen sie auf wie die Heftelmacher.«
»Und sie wollen dem Kornik nach?«
»Augenblicklich, so wie ich die Depeschen befördert habe. Ich nehme jetzt ohne weiteres Extrapost und treffe ich ihn, so telegraphire ich ungesäumt.«
»Und ich lasse unterdessen die Dame verhaften?«
»Das ist das Sicherste. Sie können ja Bürgschaft leisten, wenn es verlangt werden sollte. Auf dem Gerichte finden Sie auch Jemand, der englisch spricht.«
»Abscheuliche Geschichte,« murmelte der junge Burton zwischen den Zähnen, »daß uns der Lump auch gestern Abend gerade so zur unrechten Zeit in den Weg laufen mußte.«
»Das ist jetzt nicht zu ändern,« rief aber der weit entschiednere Hamilton – »wir haben immer noch Glück gehabt, das Volk Hühner so rasch anzutreffen und zu sprengen. Jetzt halten Sie nur Ihren Part fest, und ich glaube Ihnen garantiren zu können, daß ich meine Hälfte ebenfalls zur rechten Zeit einbringe.«
»Und wissen Sie gewiß, daß Kornik die Stadt verlassen hat?«
»Gar kein Zweifel – aber das erfahre ich ja auch gleich auf der Post. Jetzt wollen wir nur noch einmal hinunter und sehen, ob wir nichts mehr von der Donna zu hören bekommen.«
Es war in der That das Einzige, was sie thun konnten. Sie fanden die Thür aber wieder geschlossen und Hamilton wandte sich unten an den Oberkellner, um womöglich etwas Näheres zu erfahren.
»Ach, Oberkellner, meine Rechnung – ich reise ab.«
»Zu Befehl, mein Herr –«
»Apropos, was war denn das heute Morgen für ein Lärm auf Nr. 7? Meine schöne Nachbarin schien ja sehr in Eifer.«
Der Oberkellner lächelte.
»Der Herr Gemahl hat die Nacht eine kleine Extrafahrt gemacht und die Dame scheint eifersüchtig zu sein.«
»Es scheint als ob er heimlich auf und davon gegangen wäre,« sagte Mr. Burton leise zu Hamilton. Dieser zuckte die Achseln.
»Gott weiß es,« erwiderte er, »aber das werden Sie jetzt herausbekommen. Lassen Sie sich nur nicht etwa von Thränen rühren, denn wir haben es hier mit einer abgefeimten Kokette zu thun, der auch Thränen zu Gebote stehen, wenn sie dieselben braucht. Ich aber darf keinen Augenblick Zeit mehr verlieren. Auf die Koffer in Korniks Zimmer legen Sie augenblicklich Beschlag und lassen sie visitiren. Kornik hat wahrscheinlich alle Papiere entfernt und mitgenommen; aber in der Eile bleibt doch noch manchmal ein oder die andere Kleinigkeit zurück, die leicht zum Verräther wird.«
»Und wenn sie sich weigert? – wenn sie sich auf ihren Rang, vielleicht sogar auf einen, wer weiß wie erhaltenen Paß beruft? Die Behörden hier werden sie in Schutz nehmen.«
»Gott bewahre,« sagte Hamilton, »Sie haben ja das Duplicat unserer englischen Vollmachten mit der Personalbeschreibung der beiden Verbrecher in Händen. Korniks Flucht hat ihn dabei schon verdächtig gemacht und das wenigste, was man Ihnen zugestehen kann, ist eine Durchsuchung der Effecten im Beisein eines Polizeibeamten, und dann die Detenirung der Person selber in Frankfurt, bis ich mit ihrem Helfershelfer zurückkomme. In dem Fall können Sie dieselbe meinetwegen – natürlich unter polizeilicher Aufsicht – so lange hier im Hotel lassen.«
»Eine unangenehme Geschichte bleibt es immer,« sagte Mr. Burton, mit dem Kopf schüttelnd.
»Unangenehm, by George,« lachte Hamilton – »bedenken Sie, daß 20,000 Pfd. Sterling Ihres Geschäfts dabei auf dem Spiel stehen, von dem Schmuck, der ebenfalls auf 3000 taxirt ist, gar nicht zu reden. Und nun ade; hoffentlich bringe ich Ihnen bald den Patron selber. Verlassen Sie nur die Stadt nicht« – und mit den Worten rasch zu dem kleinen Stehpult tretend, hinter welchem sich der Oberkellner befand, berichtigte er seine Rechnung und sprang gleich darauf draußen in eine Droschke, um seine Verfolgung anzutreten.
IV
Die schöne Fremde
Mr. Burton blieb in einer nichts weniger als behaglichen Stimmung zurück, denn er hatte ganz plötzlich die Leitung einer Angelegenheit bekommen, in der er bis jetzt nur gedacht hatte als Zeuge, und vielleicht als Kläger aufzutreten.
James Burton war überhaupt der Mann nicht, in irgend einer Angelegenheit entschieden und selbständig zu handeln; er verhielt sich am liebsten passiv.
In einer der ersten bürgerlichen Familien seines Vaterlandes erzogen, in den besten Schulen herangebildet, in der besten Gesellschaft aufgewachsen, war er von edlem, offenem Charakter, dem sich ein gesunder Verstand und ein weiches Herz paarte. Das letztere lief ihm aber nur zu oft mit dem ersteren davon, und selber unfähig eine unrechtliche Handlung zu begehen, gab es für ihn auch nichts Schrecklicheres auf der Welt, als solche einem anderen zuzutrauen.
Nichtsdestoweniger bekam er es hier mit einer nicht wegzuläugnenden Thatsache zu thun, denn William Kornik, von seinem Vater mit Wohlthaten überhäuft und in eine ehrenvolle und einträgliche Stellung gebracht, hatte das Vertrauen seines Hauses auf eine so nichtswürdige Weise getäuscht und mißbraucht, daß ein Zweifel an seiner Unehrlichkeit nicht mehr stattfinden konnte. Gegen diesen würde er auch mit rücksichtsloser Strenge vorgegangen sein, aber jetzt bekam er plötzlich den Auftrag, gegen eine Frau einzuschreiten, deren Betheiligung an dem Raub allerdings wahrscheinlich, aber keineswegs völlig erwiesen war. Und doch sah er auch recht gut ein, daß Hamilton Recht hatte, wenn er verlangte, die jedenfalls sehr verdächtige Person wenigstens so lange fest und unter Aufsicht zu halten, bis er mit dem wirklichen Verbrecher zurückkehren könne. Nur daß ihm dazu der Auftrag geworden, war ihm fatal, und er hätte vielleicht eine große Summe Geldes gegeben, um sich davon loszukaufen, aber das ging eben nicht, und es blieb ihm nichts andres übrig, als sich der einmal übernommenen Pflicht nun auch nach besten Kräften zu unterziehen. Er hoffte dabei im Stillen, daß die Dame sehr stolz und frech gegen ihn auftreten würde, und war fest entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Um den verbrecherischen Erwerb des Geldes mußte sie ja wissen, sie wäre sonst nicht heimlich mit ihm geflohen, und wenn sich dann auch noch herausstellte, daß sie den Schmuck der Lady Clive entwendet hatte, dann brauchte er auch weiter kein Mitleiden mit ihr zu haben, und jede Rücksicht hörte von selbst auf.
Nichtsdestoweniger konnte er sich doch nicht entschließen, die Höflichkeit soweit außer Acht zu lassen, als sich vor zwölf Uhr bei ihr melden zu lassen. Aber er traute ihr deshalb doch nicht; denn Mr. Kornik war ihm auf viel zu rasche Art abhanden gekommen, um nicht etwas Aehnliches auch von seiner Frau oder Gefährtin zu fürchten. Er ging deshalb, sehr zum Erstaunen des Portiers, der gar nicht wußte, was er von dem unruhigen Gast denken sollte, und ihn frug, ob er vielleicht Zahnschmerzen habe, die langen Stunden theils auf dem Vorsaal, theils auf der Treppe auf und ab – denn das verzweifelte Haus hatte ja zwei Ausgänge – und horchte verschiedene Male oben an der Thür, um sich zu versichern, daß nicht der zweite Vogel ebenfalls heimlich ausgeflogen sei.
Aber diese Furcht schien grundlos zu sein. Das Stubenmädchen, dem er auf der Treppe begegnete, brachte das Frühstück hinauf, ein Glas Madeira und ein Beefsteak, die verlassene Frau nahm also noch substantielle Nahrung zu sich, und als es endlich auf sämmtlichen Frankfurter Uhren – was bekanntlich eine lange Zeit dauert – zwölf geschlagen hatte, faßte er so viel Muth, der Dame seine Karte hinaufzuschicken und anfragen zu lassen, ob er das Vergnügen haben könne, ihr seine Aufwartung zu machen.
Das klang allerdings nicht wie das Vorspiel einer criminellen Untersuchung, aber die gewöhnlichen Gesetze der Höflichkeit durften doch auch nicht außer Acht gelassen werden. Höflichkeit schadet nie, und man hat dadurch oft schon mehr erreicht, als durch sogenannte gerade Derbheit, was man im gewöhnlichen Leben auch wohl Grobheit nennt.
Die Antwort lautete umgehend zurück, daß die Dame sich glücklich schätzen würde, ihn zu begrüßen und nur noch um wenige Minuten bäte, um ihre Morgentoilette zu beenden.
Die wenigen Minuten dauerten allerdings noch eine reichliche halbe Stunde, aber Mr. Burton war gar nicht böse darüber, denn er bekam dadurch nur noch so viel mehr Zeit sich zu sammeln, und sich ernstlich vorzunehmen, diese Person allerdings mit jeder Artigkeit, aber auch mit jeder, hier unumgänglich nöthigen Strenge zu behandeln. Was half es auch, Rücksicht auf ein Wesen zu nehmen, das sich an einen Menschen wie diesen Kornik soweit weggeworfen hatte, sogar Theilnehmerin seiner Verbrechen zu werden. Dabei überlegte er sich auch, daß es weit besser sein würde, im Anfang keine einzige Frage derselben zu beantworten, sondern vor allen Dingen erst alles herauszubekommen, was sie wußte. Volle Aufrichtigkeit konnte allein ja auch jetzt ihre Strafe mildern und ihrem Vergehen das Gehässige der Verstocktheit nehmen, und durch ihr Geständniß bekamen sie außerdem gleich ein Hauptzeugniß gegen den jetzt noch flüchtigen Verbrecher.
Mitten in diesen Betrachtungen wurde er durch die Klingel auf Nr. 7 gestört, die den Kellner herbeirief. – Dieser erschien gleich darauf wieder und meldete Herrn Burton, die Dame erwarte ihn.
Also der Augenblick war gekommen, und mit festen Schritten stieg er die Treppe hinan. Wußte er doch auch schon vorher, wie er die Dame finden würde, die so ewig lang gebraucht hatte, ihre Toilette zu machen: im vollen Staat natürlich, um ihm zu imponiren und jede Frage nach einer begangenen Schuld gleich von vorn herein abzuschneiden. Aber er lächelte trotzig vor sich hin, denn er wußte, daß eine derartige plumpe List bei ihm nicht das Geringste helfen würde. Er ließ sich eben nicht verblüffen.
Mit festen Schritten stieg er die Stufen hinan und klopfte an – aber doch nicht zu laut. »Walk in,« hörte er von einer fast schüchternen Stimme rufen, und als er die Thür öffnete, blieb er ordentlich bestürzt auf der Schwelle stehen, denn vor sich sah er das lieblichste Wesen, das er in seinem ganzen Leben noch mit Augen geschaut.
Mitten in der Stube stand die junge Fremde – nicht etwa in voller Toilette, mit Schmuck und Flittertand behangen, wie er eigentlich gehofft hatte sie zu finden, sondern in einem einfachen, schneeweißen Morgenanzug, der ihre Schönheit nur um so reizender erscheinen ließ, und während ihr blaues Auge feucht von einer halbzerdrückten Thräne schien, streckte sie dem Eintretenden die Hand entgegen und sagte, mit vor Bewegung zitternder Stimme:
»Sie sendet mir der liebe Gott, mein Herr – Ihr Name ist mir zwar fremd, aber aus Ihrer Karte sehe ich, daß Sie ein Landsmann sind, also ein Freund, der mich in der größten Noth meines Lebens trifft, und mir gewiß, wenn er nicht helfen kann, doch rathen wird.«
»Madam,« sagte der junge Burton, durch diese keineswegs erwartete Anrede ganz außer Fassung gebracht, indem er die ihm gereichte Hand nahm und fast ehrfurchtsvoll an seine Lippen hob, »ich – ich begreife nicht recht – ich gestehe, daß ich – Sie entschuldigen vor allen Dingen meinen Besuch.«
»Ich würde Sie darum gebeten haben,« sagte die junge Frau herzlich, »wenn ich gewußt hätte, daß ein Landsmann mit mir unter einem Dache wohnt; aber das Fremdenbuch, das ich mir heute Morgen bringen ließ, zeigte keinen einzigen englischen Namen – doch ich darf nicht selbstsüchtig sein,« unterbrach sie sich rasch – »Sie sind da – ich sehe in dem edlen Ausdruck Ihrer Züge, daß ich auf Ihren Beistand rechnen kann, und nun erst vor allen Dingen, Ihre Angelegenheit. Lösen Sie mir das Räthsel, das Sie, einen vollkommen Fremden, gerade in dieser Stunde zu mir hergeführt – und bitte, nehmen Sie Platz – oh verzeihen Sie der Aufregung, in der Sie mich gefunden, daß ich Sie schon so lange hier im Zimmer habe stehen lassen.«
Damit führte sie ihn mit einfacher Unbefangenheit zu dem kleinen mit rothem Plüsch überzogenen Sopha und nahm dicht neben ihm Platz, so daß es dem jungen Manne ganz beklommen zu Muthe wurde. Auch die Frage diente nicht dazu, ihm seine ruhige Ueberlegung wieder zu geben, denn konnte er dem Wesen neben ihm jetzt mit kalten, dürren Worten sagen, daß er hierher gekommen sei, um sie des Diebstahls zu bezüchtigen und in Haft zu halten? Es war ordentlich als ob ihm die innere Bewegung die Kehle zusammenschnürte und er brauchte geraume Zeit, um nur ein Wort des Anfangs zu finden.
Die junge Frau an seiner Seite ließ ihm dabei vollkommen Zeit sich zu fassen, und nur wie schüchtern blickte sie ihn mit ihren großen seelenvollen Augen an. Und diese Augen sollten jemals die Helfershelfer eines Verbrechens gewesen sein? Es war nicht möglich; Hamilton hatte den größten nur denkbaren Mißgriff gemacht, und ihn selber jetzt in eine Lage gebracht, wo er mit Vergnügen tausend Pfund Sterling bezahlt hätte, um nur mit Ehren wieder heraus zu sein.
Endlich fühlte er aber doch, daß er nicht länger schweigen konnte, ohne sich lächerlich zu machen, und begann, wenn auch anfangs noch mit leiser, unsicherer Stimme.
»Madam – Sie – Sie müssen mich wirklich entschuldigen, wenn ich Sie von vornherein mit einer Frage belästige, die – die eigentlich Ihren – Ihren Herrn Gemahl betrifft – dem auch – dem auch vorzugsweise mein Besuch galt; denn ich würde nicht gewagt haben, Sie zu stören. Aber – seine so plötzliche Abreise – und mitten in der Nacht hat einen Verdacht erweckt, der –«
»Einen Verdacht?«
»Uebrigens,« lenkte Burton ein, da ihm plötzlich wieder beifiel, daß er ja vorher Alles hatte hören wollen, was die Dame ihm sagen würde, um danach sein eigenes Handeln zu regeln – »hängt alles vielleicht mit dem zusammen, wegen dessen Sie selber meinen Rath verlangen, und wenn Sie nur die Freundlichkeit haben wollten –«
»Aber einen Verdacht?« – sagte die junge Dame rasch und erschreckt, indem sie ihre zitternde Hand auf seinen Arm legte und in der gespanntesten Erwartung mit ihren schönen Augen an seinen Lippen hing. – »Welcher Verdacht könnte auf ihm ruhen? – In welcher Verbindung können Sie mit ihm stehen? Oh, spannen Sie mich nicht länger auf die Folter – machen Sie mich nicht unglücklicher, als ich es schon bin. Ach, ich hatte ja gehofft, daß Sie gerade mir Hülfe und Trost bringen sollten; tragen Sie nicht dazu bei, meine Unruhe durch längeres Schweigen noch zu vermehren.«
Mr. Burton fand sich so in die Enge getrieben, daß er schon gar keinen möglichen Ausweg mehr sah. Er war ja auch eigentlich verpflichtet zuerst zu sprechen. Er hatte eine Unterredung mit ihr erbeten, nicht sie mit ihm, und wenn ihn auch ein wahrhaft verzweifelter Gedanke einmal einen Moment erfaßte, sich aus der ganzen Geschichte durch irgend eine Ausrede hinaus zu lügen, fiel ihm doch ums Leben nicht das Geringste, auch nur einigermaßen Glaubwürdige bei. Es blieb ihm also nichts übrig, als der jungen Dame – natürlich so schonend wie das nur irgend geschehen konnte – die Wahrheit zu sagen, und dabei war er auch im Stande zu sehen, welchen Eindruck die Beschuldigung auf sie machen würde – danach wollte er dann handeln.