Kitabı oku: «Unter Palmen und Buchen. Erster Band.», sayfa 8
»Madam,« sagte er, aber noch immer verlegen – »beruhigen Sie sich – es wird sich ja noch alles aufklären. – Ich selber – ich bin ja fest überzeugt, daß Sie der – unangenehmen Sache, um die es sich handelt, vollständig fern stehen. – Es ist auch noch nicht einmal ganz fest bestimmt, ob ihr Herr – Herr Gemahl auch wirklich jene Persönlichkeit ist, die wir suchen – die ganze Sache kann ja möglicher Weise ein Irrthum sein, und nur der dringende Verdacht, den mein Begleiter gegen mich ausgesprochen hat, veranlaßt mich –«
»Aber ich verstehe Sie gar nicht,« sagte die junge Dame, und sah dabei gar so lieb und doch so entsetzlich unglücklich aus, daß ihm ordentlich das eigene Herz weh that.
»Ich muß deutlicher reden,« fuhr Mr. Burton fort, der sie nicht länger in dieser Aufregung lassen durfte. »Also hören Sie. Mein Name ist James Burton. Ich bin seit diesem Jahre Theilhaber der Firma meines Vaters Burton & Burton in London. Seit sieben Jahren hatten wir einen jungen Mann in unserm Geschäft, einen Polen, Namens Kornik, der sich durch seine Geschicklichkeit und Umsicht so in meines Vaters Vertrauen einschlich, daß er ihn vor zwei Jahren zu unserm Hauptcassirer machte. Mein Vater wußte nicht, daß er eine Schlange in seinem Busen nährte. Vor etwa acht Tagen verschwand dieser Mensch plötzlich aus London und zwar an einem Sonnabend Abend, wodurch er etwa vierzig Stunden Vorsprung bekam, denn da nicht der geringste Verdacht auf ihm lastete, fiel auch sein Ausbleiben am Montag Morgen nicht so rasch auf, wie das sonst vielleicht der Fall gewesen wäre. Nur weil mein Vater fürchtete, daß er könne unwohl geworden sein, schickte er in seine Wohnung hinüber, die sich unmittelbar neben uns befand, und hörte hier zu seinen Erstaunen, daß Mr. Kornik sowohl Sonnabend als auch Sonntag Abend nicht nach Hause gekommen sei.«
»Aber was, um Gottes Willen, habe ich mit dem allen zu thun?« unterbrach ihn die junge Dame, erstaunt mit dem Kopf schüttelnd.
»Erlauben Sie mir,« fuhr Mr. Burton, in der Erinnerung an das Geschehene wärmer werdend fort: »Der erste Gedanke meines Vaters war, daß ihm ein Unglück begegnet sein könne; ein anderer Commis aber in unserem Haus mußte doch etwas bemerkt haben, was ihm verdächtig vorkam. Er bat uns dringend, keine Zeit zu versäumen und die Kasse zu revidiren, und da stellte sich denn bald das Entsetzliche heraus, daß eine sehr bedeutende Summe fehlte, die, nach den über Tag eingegangenen Erkundigungen, gegen 20,000 Pfd. Sterling betrug.«
»Mein Vater wandte sich augenblicklich an die Polizei, und ein sehr gewandter Detective, der uns besuchte, und der zur Verfolgung bestimmt wurde, gerieth noch an dem nämlichen Tag auf eine andere Spur, die, wie er meinte, sicherer zur Entdeckung des Verbrechers führen konnte. Derselbe war nämlich, wie der Polizeiagent sehr rasch herausbrachte, mit einer jungen sehr – ge – sehr gewandten Dame bekannt geworden und als an dem nämlichen Tag eine andere Klage gegen diese einlief, daß sie in dem Haus einer Lady, wo sie Stunden gab, einen werthvollen Schmuck entwandt haben sollte, ebenfalls aber nirgends aufzufinden war, und seit dem nämlichen Abend fehlte, wie jener Kornik – so blieb zuletzt kein Zweifel, daß beide mitsammen geflohen sein mußten.«
»Jetzt war kein Augenblick mehr zu verlieren um der Verbrecher habhaft zu werden. Lady Clive – so hieß jene Dame – setzte selber eine namhafte Summe für den Polizeibeamten aus; da dieser aber weder die Dame noch unsern frühern Kassirer persönlich kannte, entschloß ich mich ihn zu begleiten, und wir begannen gemeinschaftlich unsere etwas ungewisse Fahrt.«
»Und jetzt?« frug die Fremde, anscheinend in größter Spannung.
»Indessen,« fuhr Mr. Burton fort, »wurde kein mögliches Mittel versäumt um die beiden aufzufinden, falls sie sich noch in England aufhalten sollten. Zugleich telegraphirten wir an die nächsten Hafenplätze. Mein ganz vortrefflicher und gewandter Begleiter war aber schon auf eine Spur gekommen, die ihn nach Hamburg führte. Mit dem Hamburg Packet waren nämlich am Sonnabend Abend zwei Personen abgegangen, die der Beschreibung vollkommen entsprachen. Einer der Kassenleute in dem Office des Dampfboots behauptete sogar, Kornik an jenem Abend mit einer Reisetasche an dem Landungsplatz des Dampfboots gesehen zu haben. Wir folgten augenblicklich, verloren aber die Spur in Hamburg wieder, und glaubten sie erst in Hannover – freilich, wie sich später erwies, irrthümlich – wieder zu finden. Dort ließ mich Mr. Hamilton zurück, während er selber, von einer Art polizeilichen Instinkts getrieben, nach Frankfurt vorauseilte und hierher zu – zufälliger Weise – mit Ihnen und Ihrem Herrn Gemahl die Reise in einem Coupé machte.«
Ein leises Zittern flog über den Körper der Frau, aber ihre Züge verriethen keine Spur von Ueberraschung, und nur mit mehr erstaunter als bewegter Stimme sagte sie:
»Und jetzt?« –
»Und jetzt,« fuhr Mr. Burton verlegen fort, »glaubte er, durch mehrere sonderbar zusammentreffende Umstände jenen aus London mit unserem Geld entflohenen Kornik in dem – Sie dürfen mir nicht zürnen, denn Sie haben die volle Wahrheit verlangt – in dem – Grafen Kornikoff wieder zu finden, da sich dieser heute Nacht so heimlich –«
»Heiliger Gott der Welt!« rief die junge Frau, entsetzt emporspringend: »reden Sie nicht aus. Darf ich denn meinen Ohren trauen? In dem Grafen Kornikoff vermuthen Sie den entsprungenen Verbrecher? Und dann ist, Ihrer Meinung nach – seine Begleiterin jene Diebin des Diamantenschmucks?«
»But Madam!« rief Mr. Burton, ebenfalls erschreckt von seinem Sitz aufspringend, »ich sage Ihnen ja« –
»O mein Vater im Himmel, selbst das noch,« rief aber das schöne Weib, die Arme wie flehend emporstreckend, »auch das noch – auch das noch in meinem Jammer und Elend. – Aber kommen Sie,« fuhr sie leidenschaftlich fort, indem Sie plötzlich wieder Mr. Burtons Arm ergriff und ihn fast mit Gewalt zu ihrem Koffer zog – »ich bin nur ein armes schwaches Weib, hilflos und ohne Schutz im fremden Lande – aber Sie haben vielleicht ein Recht, der Spur eines verübten Verbrechens nachzuforschen. Ich habe nichts als meinen ehrlichen Namen, aber den kann ich, Gott sei Dank, mir erhalten und Ihnen bin ich noch dazu verpflichtet, mir die Gelegenheit zu geben mich zu rechtfertigen. Mir schwindelt der Kopf, wenn ich mir denke, daß Sie auch nur eine Stunde länger mich in einem so furchtbaren Verdacht haben sollten.«
»But, my dear Madam,« rief Burton, jetzt vergebens bemüht, zu Worte zu kommen. Die Frau ließ ihn nicht.
»Nein, nein,« fuhr sie immer erregter fort und schloß mit vor Eifer zitternden Händen ihren Koffer auf, warf den Deckel zurück und riß die dort sorgfältig und glatt eingepackten Stücke wild und leidenschaftlich heraus. »Da – hier – hier ist alles was ich auf der Welt mein nenne – da meine Wäsche – da meine Kleider,« fuhr sie fort die genannten Sachen, ohne daß es Burton verhindern konnte, über den Boden streuend, »hier mein Schmuck – eine dürftige Korallenkette mit einem goldenen Kreuzchen, das Erbtheil meiner seligen Mutter – und wie ich früher ihren Tod beklagte, jetzt danke ich Gott, daß sie diese Stunde nicht erlebte. – Hier meine –« sie konnte nicht weiter – ihr Gefühl überwältigte sie. Sie richtete sich auf und wollte zum nächsten Stuhl schwanken, aber sie vermochte es nicht und wäre zu Boden gesunken, wenn sie nicht James Burton in seinen Armen aufgefangen hätte.
Das war eine böse Situation für den jungen Mann – der warme Körper der jungen Frau ruhte an seinem Herzen, und vergebens suchte er sie durch tausend Trostesworte ins Leben zurückzurufen. – Und wie ihr Herz dabei schlug – er wußte sich keines Rathes, als sie aufs Sopha zu tragen – und als er sie in die Höhe hob, trafen seine Lippen unwillkührlich auf die ihrigen und ruhten einen Moment darauf. Endlich raffte er sich empor. Er wollte nach Hilfe rufen, aber er wagte es nicht – was mußten die Leute im Hotel davon denken, wenn er in einer solchen Situation mit der jungen Dame getroffen wurde? Auf dem Waschtisch stand ein Glas Eau de Cologne – damit benetzte er ihr Taschentuch, hielt es ihr unter die Nase und rieb ihr Schläfe und Puls, und als das alles nicht helfen wollte, tauchte er das Handtuch in kaltes Wasser und legte es ihr um die Stirn. Aber es dauerte wohl zehn Minuten, ehe er sie zum Bewußtsein zurückrief, und als sie endlich erwachte, befand sie sich in einem so furchtbar überreizten Zustande, daß sie den über ihr lehnenden Arm des jungen Mannes ergriff, ihre Stirn dagegen lehnte und bitterlich weinte.
Mr. Burton that das unter solchen Umständen Zweckmäßigste – er ließ sie sich ausweinen und es gewährte ihm sogar einige Beruhigung, daß er sie dabei mit seinem linken Arm stützen und halten konnte. Aber diese Schwäche dauerte nicht lange. Die junge Frau zeigte eine ungemeine Willenskraft, dieses augenblickliche Erliegen ihres Körpers zu bewältigen, und mit leiser Stimme sagte sie:
»Ich danke Ihnen – ich fühle mich stärker – es ist vorbei. Lassen sie mich jetzt Alles wissen – o verhehlen Sie mir nichts – ich muß es ja erfahren und dann habe auch ich Ihnen ein Geständniß abzulegen. – Ich fühle, daß Sie es gut mit mir meinen. Zürnen sie mir nicht, meiner Heftigkeit wegen.«
»Oh, daß ich Ihnen beweisen könnte, wie innigen Antheil ich an Ihrem Schicksal nehme,« rief Mr. Burton bewegt aus.
»Und wo ist ihr Begleiter jetzt?« frug die junge Frau, die noch immer halb von seinem Arm gehalten wurde.
»Ich weiß es nicht,« sagte Mr. Burton mit einer gewissen Genugthuung, ihr darauf keine bestimmte Antwort geben zu können. »Er folgt jenem Grafen Kornikoff, um sich sicher zu stellen, ob er es in diesem mit dem vermutheten Kornik zu thun hat. Nun aber sagen sie auch mir, dear Madam – wie kommen Sie in die Gesellschaft jenes Mannes? – wie lernten Sie ihn kennen, und hatten Sie keine Ahnung, daß er ein Betrüger sei?«
»Ich kann es mir jetzt noch nicht denken,« rief die Unglückliche – »es ist nicht möglich – er hätte ja, wenn es wahr wäre, ein tausendfaches Verbrechen an mir selber verübt. O lassen Sie mich noch an seine Unschuld glauben.«
»Wie gern wollte ich Sie in dieser Täuschung lassen,« sagte Mr. Burton, »aber ich muß gestehen, daß viele, viele Umstände dagegen sprechen.«
»Dann finden wir auch in seinem Koffer Aufschluß über das Vergehen,« rief da die Dame plötzlich, indem sie sich vom Sopha emporrichtete. »Er hat sein ganzes Gepäck zurückgelassen und nicht allein zu Ihrer, nein auch zu meiner Genugthuung muß ich jetzt darauf bestehen, daß Sie es auf das Genaueste untersuchen.«
Mr. Burton wollte sie davon zurückhalten, weil er nicht mit Unrecht fürchtete, daß sie sich dabei aufs neue zu sehr aufregen würde, aber sie bestand fest darauf und da ihm selber daran lag, das hinterlassene Eigenthum jenes Menschen nachzusehen, gab er endlich ihrem Wunsche nach. Vergebens aber durchsuchten sie jetzt den ganzen, ziemlich geräumigen Koffer; es fand sich nichts, was irgend einen Aufschluß hätte geben können. Ganz unten aber in der Ecke lag ein zusammengedrücktes Papier – ein altes Couvert, in das ein Paar alte Hemdknöpfchen und eine Westenschnalle eingewickelt waren, und auf dem Couvert stand die Adresse:
W. Kornik Esqre
Care of Messrs. Burton & Burton – London
Mr. Burton entfaltete das Couvert, las es, und reichte es dann schweigend, aber mit einem beredten Blick der Dame. Diese aber hatte kaum das Auge darauf geworfen, als sie mit leiser, entsetzter Stimme sagte:
»Vater im Himmel! also doch,« und ihr Antlitz in ihren Händen bergend, stand sie wohl eine Minute still und schweigend und wie ineinandergebrochen. Endlich richtete sie sich wieder empor, und dem jungen Mann noch einmal die Hand entgegenstreckend, sagte sie:
»Ich danke Ihnen, Mr. Burton – danke Ihnen recht von Herzen, daß Sie den Schleier gelüftet haben, der mich von einem Abgrund trennte. Wenn Sie aber jetzt Ihrer Güte gegen mich die Krone aufsetzen – wenn Sie mich für ewig verpflichten wollen, dann lassen Sie mich jetzt nur für eine kurze Stunde allein, um mich zu sammeln. Ich kann jetzt nicht danken – ich bin es nicht im Stande – meine Glieder versagen mir den Dienst. In einer Stunde kommen Sie wieder zu mir, dann sollen Sie alles erfahren, was mich betrifft, und wir können dann vielleicht gemeinschaftlich berathen, was zu thun, wie Ihnen – wie mir zu helfen ist. Wollen Sie mir das versprechen?«
»Madam,« sagte Mr. Burton mit tiefem Gefühl, und jetzt vollständig überzeugt, daß dies liebliche Wesen nie und nimmer eine Mitschuldige sein könne, – »Sie haben ganz über mich zu befehlen und was in meinen Kräften steht, mich Ihnen nützlich zu machen, soll gewiß geschehen. Fassen Sie Muth, und vor Allem, fassen Sie Vertrauen zu mir und ich hoffe, es soll noch alles gut werden. Ich lasse Sie jetzt allein – in einer Stunde bin ich wieder bei Ihnen – vielleicht ist auch bis dahin schon Nachricht über den Flüchtling eingetroffen. – Sorgen Sie nicht,« setzte er aber herzlich hinzu, als er dem wehmüthigen Blick begegnete, der auf ihm haftete. – »Sie haben einen Freund gefunden.« – Und die Hand, die er noch immer in der seinen hielt, an seine Lippen pressend, durchrieselte es ihn ordentlich wie mit süßen Schauern, als er einen leisen Druck derselben zu fühlen glaubte. Aber er ließ sie los, verbeugte sich vor der jungen Dame ehrfurchtsvoll und stieg dann rasch in sein Zimmer hinauf, um die Erlebnisse der letzten Stunde noch einmal an seiner Erinnerung vorüberziehen zu lassen.
V
Die Verfolgung
Hamilton warf sich an dem Morgen, nachdem er sechs verschiedene telegraphische Depeschen aufgegeben, in einer ganz verzweifelten Stimmung in sein Coupé, denn von dem zurückgekehrten Postillon hatte er erfahren, daß dieser den Passagier um 4 Uhr heute Morgen in Soden vor der Post abgesetzt, und er konnte jetzt den Zug benutzen, um diesen Platz so rasch als möglich zu erreichen. Aber wieder und wieder machte er sich selber dabei die bittersten Vorwürfe, daß er die Flucht des schon ganz sicher geglaubten Verbrechers nur seinem eigenen Leichtsinn, seiner eigenen bodenlosen Unachtsamkeit verdanke, denn wie dieser einmal Mr. Burton selber begegnet sei, mußte er wissen, daß er sich verrathen sah und deshalb keinen Augenblick versäumen dürfe, um sich der ihm drohenden Gefahr zu entziehen. Und das hatte er übersehen – er, der sich selber für so schlau und in seinem Fach geschickt gehalten – auf so plumpe Weise, nur durch die Geistesgegenwart des Diebes, der durch keine Bewegung verrathen, daß er seinen Verfolger erkannt habe, hatte er sich täuschen und überlisten lassen.
Und wie war es jetzt möglich, in diesem Gewühl von Fremden einen einzelnen Menschen wieder ausfindig zu machen, der weiter nichts zu thun brauchte, als sich einen anderen Rock zu kaufen, die blaue Brille abzulegen, den schwarzen Schnurrbart zu rasiren, um aufs neue völlig unkenntlich zu sein; und daß er derartige Vorsicht nicht versäumen würde, darüber durfte er kaum in Zweifel sein.
Das Einzige, was ihn noch einigermaßen beruhigte, war, daß sie wenigstens die Dame unter sicherer Aufsicht hatten; denn es schien nicht wahrscheinlich, daß sich der Flüchtling so leicht und für immer von dem schönen, verführerischen Wesen getrennt haben sollte, nur um sich selber in Sicherheit zu bringen. In irgend einer Verbindung mit ihr blieb er gewiß, oder suchte eine solche auf eine oder die andere Art wieder anzuknüpfen, und wenn dann Mr. Burton nur einigermaßen seine Schuldigkeit that, so lief er ihnen schon dadurch wieder ins Netz.
Allerdings hätte Kornik die Dame schon recht gut in dieser Nacht entführen können – es wäre das eben so leicht gewesen als allein zu entfliehen, aber er mußte auch wissen, daß er den Verfolger dann dicht auf den Hacken gehabt hätte und so leicht er jetzt hoffen konnte, ihn über die Richtung zu täuschen, die er genommen, so ganz unmöglich wäre das in der Begleitung seiner Frau gewesen, die seine Bewegung nicht allein hemmte, sondern auch eine viel breitere und leichter erkennbare Spur hinterließ. Schon mit all dem Gepäck wäre er nicht von der Stelle gekommen.
Das alles aber machte es, je mehr er darüber nachdachte, nur soviel wahrscheinlicher, daß er Deutschland nicht schon verlassen habe. Nur aus dem Weg mußte er sich für kurze Zeit halten, und wo konnte er das besser thun, gerade in der Saison, als in irgend einem der zahllosen Seitenthäler des Rheins oder der benachbarten Gebirge, wo eine Unmasse von Fremden herüber und hinüber strömte, und ein einzelner Mann völlig unbeachtet in der Menge verschwand.
Aber trotzalledem gab Hamilton die Hoffnung nicht auf. Das gehetzte Wild hatte allerdings einen Vorsprung gewonnen, aber die Fährte war doch noch warm – es lag keine Nacht darauf und er selber war gerade der Mann dazu, ihr mit allem nur erdenkbaren Eifer zu folgen. Es stand ja auch nicht allein ein reicher Lohn auf dem Erfolg, nein, seine Ehre als Detective auf dem Spiel, den schon gehaltenen Verbrecher nicht wieder entschlüpfen zu lassen, und er gab sich selber das Wort, nicht Mühe nicht Kosten zu scheuen, um ihn wieder zurück zu bringen.
In Soden angekommen erkundigte er sich aber vergebens auf dem Bahnhof nach einem Herrn, der nur irgend zu seiner Beschreibung paßte. Es war freilich auch nicht wahrscheinlich, daß er sich dort gezeigt habe, denn nach Frankfurt würde er nicht so rasch zurückkehren, aber Hamilton wollte sich von jetzt an keine Vorwürfe mehr machen, auch nur das Geringste versäumt zu haben. Einquartirt hatte sich der Herr aber dort nicht, so viel lag außer Zweifel; mit dem Mustern der Gasthäuser brauchte er deshalb keine Zeit zu verlieren und das Wichtigste blieb, die Straßen zu untersuchen, die von hier aus in die Berge und besonders nach dem Rhein zu führten.
Das aber zeigte sich bald als ein sehr schwierig Stück Arbeit, denn es hielten sich viele Fremde in Soden auf, und bei dem wundervollen Wetter besuchte ein großer Theil derselben in früher Morgenstunde die benachbarten Berge. Wer wollte da den Einzelnen controlliren, der sich zwischen ihnen befunden hatte? Außerdem gab es eine Legion von Führern in dem Badeort, die sich theilweis unterwegs, oder da und dort einquartirt befanden; es wäre rein unmöglich gewesen, sie alle aufzusuchen und einzeln auszufragen.
Hamilton ließ aber deshalb den Muth nicht sinken. Unermüdlich streifte er Straße auf, Straße ab und frug bald da, bald dort in den Häusern. Nur in einem, in dem letzten Häuschen, das auf dem Weg nach Königstein lag, hörte er, daß ein einzelner Herr dort sehr früh vorbeigegangen sei, ob er aber einen Schnurrbart gehabt oder eine blaue Brille und Gepäck getragen, wer sollte das jetzt noch wissen? Ein Führer hatte ihn nicht begleitet.
Das war keine Spur und Hamilton wollte sich schon kopfschüttelnd abwenden, um in Soden erst etwas zu Mittag zu essen und dann seine Versuche zu erneuern, als ein kleines Mädchen, das dabei gestanden hatte, sagte:
»Ja, en Schnorres hat er schon gehat, un en Täschche aa ungerm Arm getrage.«
»Einen Schnorres? was ist das?« frug Hamilton.
»Nu Hoor unner der Nas,« sagte die Frau.
»Ja un ganz schwarz war er« – sagte die Kleine.
»So mein Kind,« sagte Hamilton, der sie aufmerksam betrachtete, »also ein Täschchen hat er unter dem Arm getragen? groß?«
»Na – kleen – vun Ledder – en hibsch Täschche.«
»Und der ist dort hinaus zu gegangen?«
Die Frau bestätigte das – eine Brille schien er aber nicht aufgehabt zu haben; das Kind wollte wenigstens nichts derartiges bemerkt haben und eine blaue Brille wäre ihm gewiß aufgefallen.
Das war allerdings eine Spur, wenn auch nur eine außerordentlich schwache, Hamilton beschloß aber doch, ihr zu folgen und ohne weiter einen Moment Zeit zu verlieren, drückte er dem Kinde ein Geldstück in die Hand und eilte dann so rasch er konnte nach Soden wieder auf die Post, um dort Extrapost nach Königstein zu nehmen. Nur so viel Zeit gönnte er sich, um etwas zu essen und zu trinken, so lange die Pferde angespannt wurden – dann ging es vorwärts, was die Thiere laufen konnten.
In Königstein selber – denn unterwegs, so oft er sich auch nach dem Gesuchten erkundigte, erhielt er doch keine Auskunft – war die Nachforschung nicht so schwer. Es gab dort nur zwei halbwegs anständige Wirthshäuser und in dem einen erfuhr er denn auch, daß ein einzelner Herr mit einem sehr schwarzen Schnurrbart und etwas brauner Gesichtsfarbe da gefrühstückt habe, dann aber weiter gegangen sei, ohne daß sich natürlich irgend Jemand um ihn bekümmert hätte. Eine lederne kleine Reisetasche mit Stahlbügel führte er bei sich, eine Geldtasche hatte er umhängen, und auch noch einen Riemen umgeschnallt gehabt – das wollte der Wirth deutlich gesehen haben – weiter wußte er nichts.
»In was für Geld hat er seine Zeche bezahlt?«
»In Gulden und Kreuzern – der Landesmünze.«
Hamilton war nicht halb sicher, daß er wirklich auf der Spur des Gesuchten sei, aber was blieb ihm jetzt anderes übrig, als ihr, da er sie einmal aufgenommen, auch weiter zu folgen, er würde sich sonst immer wieder Vorwürfe gemacht haben, eine wahrscheinliche Bahn aufgegeben zu haben, um dafür wild und verloren in der Welt herumzusuchen.
Von hier aus schien der Flüchtling aber wirklich den Waldweg eingeschlagen zu haben, denn auf keiner Straße war er mehr gesehen worden, auch konnte er sich keinen Führer genommen haben, denn das hätte sich jedenfalls ausgesprochen. Wohin jetzt? Es war bald Abend, als Hamilton erschöpft in das Gasthaus zurückkehrte, wo er mit einer Flasche Wein und der Eisenbahnkarte vor sich, seinen weiteren Schlachtplan überlegte. Er fühlte dabei recht gut, daß er von jetzt an auf gut Glück weiter suchen müsse. Nur eine Andeutung seines zukünftigen Weges fand er in der Richtung, in welcher Königstein von Soden lag – direkt nach dem Lahnthal zu, und der beschloß er auch jetzt zu folgen. Allerdings mochte sich der Flüchtige rechts oder links abgewandt haben, um entweder Gießen oder den Rhein zu erreichen. Das letztere blieb aber immer das Wahrscheinlichste.
Zu Fuß gedachte er aber die Tour nicht zu verfolgen, und er beschloß deshalb, hier zu übernachten, und am nächsten Morgen mit einem Einspänner, womöglich noch vor Tag, aufzubrechen. Dazu war es aber nöthig, noch heute Abend einen Wagen zu bestellen. Ein Mann wurde ihm da bezeichnet, der einen Einspänner zu vermiethen hätte. Zu dem ging er ungesäumt und erkundigte sich.
»Ja, mein lieber Herr,« sagte dieser achselzuckend, »wenn Sie ein paar Stunden früher gekommen wären, so hätten Sie mit einem andern Herrn fahren können, der dieselbe Tour macht. Der hat aber meinen einzigen Einspänner mitgenommen. Das Pferd hätte Sie beide prächtig fortgebracht.«
»Ein einzelner Herr?« frug Hamilton rasch, »heute Mittag?«
»Jawohl – etwa um elf Uhr.«
»Und wie sah er aus?«
»Ja, lieber Gott, wie sah er aus – wie ein Berliner, mit einem schwarzen Schnurrbart und einer Reisetasche.«
»Und haben Sie nicht einen zweispännigen Wagen?«
»Thut mir leid – die Pferde sind jetzt alle draußen. Wenn Sie aber das dran wenden wollen, warum nehmen Sie nicht Postpferde?«
»Ist denn eine Poststation hier im Ort? Ich hatte keine Ahnung davon, denn ich bin im Gasthaus vorgefahren.«
»Ja gewiß, und die müssen Ihnen Pferde schaffen.«
Hamilton hörte nichts weiter und saß, kaum eine Viertelstunde später wieder in seiner Extrapost. Jetzt zweifelte er auch keinen Augenblick mehr, daß er auf der richtigen Spur sei und versprach dem Postillon ein tüchtiges Trinkgeld, wenn er ordentlich zufahren würde.
Auf der nächsten Station fand er aber seine Nachtfahrt schon unterbrochen. Die Wege kreuzten sich hier, und er durfte nicht weiter fahren, aus Furcht, die falsche Straße einzuschlagen. Er mußte dort übernachten, aber schon vor Tag war er wieder auf, und wie er nun die Gewißheit erlangte, daß der Flüchtige die Straße nach Norden eingeschlagen, folgte er derselben mit Extrapost und versprach dem Postillon ein fürstliches Trinkgeld, wenn er den Gesuchten einholte, ehe er die Eisenbahn erreichte.
Das wäre freilich nicht möglich gewesen, wenn Kornik sich verfolgt gewußt und dann keine Zeit versäumt hätte. Er schien sich aber vollkommen sicher zu fühlen, denn als sie nach Camburg kamen, hörten sie daß er dort geschlafen hätte und ziemlich spät Morgens wieder aufgebrochen sei.
Jetzt galt es, ihm den Vorsprung abzugewinnen und näher und näher rückten sie auch hinan, bis sie dicht vor Limburg einem rückreitenden Postillon begegneten, der ihnen sagte, daß sie die Extrapost voraus vielleicht noch vor der Stadt einholen könnten, wenn sie die Pferde nicht schonten.
Und wahrlich sie schonten die Pferde nicht, was sie laufen konnten, liefen sie. Aber nach der Bahn zu führte der Weg steil thalab, der unglückselige Wagen hatte keinen Hemmschuh und mußte mit der Kette eingelegt werden; zu rasch durfte er da nicht fahren, wenn er nicht riskiren wollte ein Rad zu brechen. Als sie endlich Limburg dicht vor sich sahen, war die verfolgte Extrapost nirgend zu erkennen, wohl aber pfiff gerade der von Gießen kommende Zug in den Bahnhof ein, und hielt dort gerade lang genug, daß ihn Hamilton, als er mit seinen, ordentlich mit Schaum bedeckten Thieren heranrasselte, konnte wieder davonkeuchen sehen. – Er war zu spät gekommen.
VI
Im Kursaal
Es war ein verzweifelter Moment, aber Hamilton nicht der Mann, sich dadurch beirren zu lassen. Daß Kornik diesen Zug benutzt hatte, daran zweifelte er keinen Augenblick, sowie er nur auf dem Bahnhof anfuhr und ihn nicht traf. Zum Ueberfluß fanden sie aber auch noch die Extrapost, die ihn hierher gebracht, und der Postillon derselben bestätigte, daß der Herr, den er gefahren, mit dem letzten Zug »nach dem Rhein« abgegangen sei.
Es war 5 Uhr 55 – der nächste Zug ging 6 Uhr 30 – also noch eine halbe Stunde Zeit. Hamilton fuhr mit seinem Wagen gleich vor dem Polizeigebäude vor, die Herrn hatten es sich aber schon bequem gemacht, und er fand nur noch einen Aktuar, der Schriftstücke in einer Privatsache durchsah.
Glücklicherweise schien dies ein ziemlich intelligenter Mann, der seinen Bericht aufmerksam anhörte. Als er ihn beendigt hatte, sagte er:
»Mein lieber Herr – dieser Zug, der eben Limburg verlassen hat, geht allerdings heute Abend noch nach Coblenz, aber ich weiß nicht, ob der Herr, dem Sie nachsetzen, gerade ein Interresse daran haben kann, Coblenz diese Nacht zu erreichen. Er kann natürlich nicht ahnen, daß Sie ihm so dicht auf den Fersen sitzen – vorausgesetzt nämlich, daß es wirklich der Richtige ist, und wenn Sie meinem Rath folgen wollen, so thun Sie, was ich Ihnen jetzt sage. Fahren Sie mit dem nächsten Zug nach Ems – nicht weiter – besuchen Sie dort heute Abend – mit jeder nöthigen Vorsicht natürlich, den Spielsaal, und finden Sie dann – was ich aber bezweifele – Ihren Mann nicht, dann nehmen Sie heute Abend noch in Ems einen Wagen, den Sie für Geld überall bekommen können, fahren direkt nach Coblenz, und passen morgen früh an den Bahnzügen auf. Ich wenigstens, wenn ich an Ihrer Stelle einen solchen Patron zu verfolgen hätte, würde genau so handeln, und wenn ich nicht sehr irre, gut dabei fahren.«
»Ems ist nassauisch, nicht wahr?« frug Hamilton.
»Allerdings,« sagte der Aktuar.
»Könnten Sie dann,« fuhr Hamilton fort, indem er seine Legitimationspapiere aus der Tasche holte, »mir auf Grundlage dieser Schriftstücke einen Verhaftsbefehl für das betreffende Individuum ausstellen?«
Der Aktuar sah die Papiere, bei denen sich eine in Hamburg beglaubigte Uebersetzung befand, aufmerksam durch und sagte dann lächelnd:
»Eigentlich, und nach unserem gewöhnlichen Gerichtsverfahren würde die Sache mehr Umstände machen, und nicht so rasch beseitigt werden können, unter den obwaltenden Verhältnissen aber denke ich, daß ich die Verantwortlichkeit auf mich nehmen kann. Sie müssen mit dem nächsten Zug fort, wenn Sie den Gesuchten nicht versäumen wollen. Setzen Sie sich einen Augenblick; ich denke, wir können das alles noch in Ordnung bringen.«
Der alte Aktuar war ein wahres Juwel. Hamilton hätte sich an keinen besseren Menschen wenden können. In kaum zehn Minuten hatte er einen Verhaftsbefehl für die Nassauischen Lande gegen jenen Mr. Kornik ausgestellt. Und nicht einmal einen Kreuzer mehr als die üblichen und nicht zu vermeidenden Sporteln wollte er dafür nehmen, und wie gern hätte ihm der junge Mann seine Arbeit zehn- und zwanzigfach bezahlt!
Jetzt war alles in Ordnung – Hamilton beschloß, den ihm gegebenen Rath gewissenhaft zu befolgen, und dem alten Herrn auf das herzlichste dankend, eilte er so rasch er konnte nach dem Bahnhof zurück.
Seine Zeit war ihm auch nur eben knapp genug zugemessen; kaum hatte er dort sein Billet gelöst, so wurde der Zug schon signalirt; zehn Minuten später braußte er heran, hielt, nahm seine wenigen Passagiere auf und keuchte in ruheloser Hast weiter, das freundliche Lahnthal hinab.
Aber Hamilton hatte kein Auge für die liebliche Scenerie, die ihn umgab – so war er in seine eigenen Gedanken vertieft, daß er ordentlich emporschrak als sie in den ersten Tunnel eintauchten. Nur das Bild des Flüchtigen schwebte vor seiner Seele, und selbst daß er Schlaf und Ruhe entbehrt hatte, um diesen zu erreichen und einzuholen, fühlte er nicht. Der Zug flog mit reißender Schnelle dahin, aber ihm kam es noch immer vor, als ob er in seinem Leben nicht so langsam gefahren wäre. Jetzt glitten sie an den grünen Hängen des freundlichen Thales dahin – jetzt wieder öffnete der Berg seinen Schlund, um sie in seine düstere Tiefe aufzunehmen, und aufs neue schossen sie hinaus in den dämmernden Abend. Aber Hamiltons Augen schienen für das alles keine Sehkraft zu haben, so theilnahmlos, so unbewußt selbst streifte sein Blick darüber hin, bis endlich der schrille Pfiff der Locomotive die Nähe der Station Ems anzeigte und eine Masse Spaziergänger, Herren zu Fuß und Damen und Kinder auf Eseln, in der unmittelbaren Nähe der Bahn sichtbar wurden. Es war spät geworden und die Leute eilten jetzt nach Haus, denn so heiß die Tage auch sein mochten, die Nächte blieben kühl und frisch genug.
Aber diese kümmerten den Polizeimann nicht, der recht gut wußte, daß der, den er suchte, sich nicht unter ihnen befand, selbst wenn es noch hell genug gewesen wäre, einzelne Physiognomien der da draußen Wandernden zu erkennen, an denen sich nur die lichten Kleider unterscheiden ließen.