Kitabı oku: «UNTERNEHMEN(S)GESUNDHEIT», sayfa 4

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Auswirkungen und Folgen für Angehörige

Wenn das Thema Psychische Störungen bei der Arbeit betrachtet wird, müssen aus systemischem Blickwinkel Aspekte anderer Teilsysteme, denen Menschen in Arbeit außerhalb ihrer beruflichen Zusammenhänge angehören, einbezogen werden. Hier erworbene oder wirksame Verhaltensmuster zeigen sich auch in anderen Kontexten und beeinflussen das Verhalten und die Art und Weise der Interaktion.

Psychische Störungen bedingen einerseits starke Belastungen und vielfältige Veränderungen im Leben der Betroffenen, andererseits greifen sie auch tief in das persönliche Leben und Erleben der Angehörigen ein und verändern die Dynamik der familiären Interaktionen. Es kommt in vielen Fällen zu Rollenverschiebungen. Das alltägliche Miteinander muss neu gelernt werden und Konflikte bleiben dabei nicht aus. Dabei unterscheidet sich die Situation von Angehörigen psychisch Kranker in Teilbereichen nur unwesentlich von der Lage der Betroffenen selbst. Mit gesellschaftlichen Vorurteilen sind nicht nur die Erkrankten selbst, sondern auch deren Angehörige konfrontiert. Die mit den Veränderungen verbundenen Verunsicherungen führen zu einer psychischen Destabilisierung der Angehörigen, deren Schwanken zwischen Hilfeleistung und eigener Hilfsbedürftigkeit nicht selten zu einem schmerzhaften Prozess führt. Auch die emotionalen Stimmungsschwankungen reichen von Angst, Verzweiflung bis hin zu Wut und Aggression und beeinträchtigen das Zusammenleben erheblich. Nach einer schwedischen Studie hatten 18 Prozent der Verwandten psychisch Kranker schon einmal den Gedanken, dass es besser wäre, der Kranke würde sterben, 10 Prozent dachten sogar wegen der gesellschaftlichen Vorurteile selbst an Suizid (vgl. Östman / Kjellin 2002, 494 ff.). Vorurteile, Schuldgefühle und Uninformiertheit führen zu Schuldzuweisungen entweder gegenüber dem Erkrankten oder sich selbst und erschweren den Angehörigen oft das Aufsuchen von Hilfsmöglichkeiten. Der Schritt nach außen in die soziale Gemeinschaft ist für viele Angehörige mit vielen inneren Barrieren verbunden. Obwohl Sozialkontakte erwiesenermaßen als »Schutzfaktoren« (Kolip / Lademann 2006, 626) für die Erhaltung der Gesundheit und psychischen Stabilität besonders wichtig sind, werden sie zunehmend gemieden, um möglichen Fragen von anderen oder der Ablehnung der eigenen Person auszuweichen.

Auswirkungen und Folgen im Arbeitsumfeld

Im beruflichen Kontext bekommen, ähnlich wie im familiären Bereich, Arbeitskollegen die Auswirkungen psychischer Störungen betroffener Mitarbeiter zu spüren.

Überwiegend prägen Irrationalität und Emotionalität die Einstellung weiter Bevölkerungskreise gegenüber psychisch Kranken. Die daraus resultierenden Verhaltensweisen machen nicht vor den Toren der Arbeitswelt halt. Es lässt sich beobachten, dass die Reaktionen der Kollegen in einigen Aspekten wie Unsicherheit, Anspannung und Angst denen der direkten Angehörigen ähneln. Stärker und viel schneller als im familiären Kontext kommt es allerdings zu Ausgrenzungen. Der Kollege mit psychischen Auffälligkeiten wird rasch zum Störfaktor, hält er doch in einem Klima, in dem Erfolg und Anerkennung an erster Stelle stehen und in dem man sich durchsetzen muss, um seine Ziele zu erreichen, dem allgemeinen Leistungsdruck nicht mehr stand. Es gibt in einem solchen System keinen Platz für Menschen, die weniger belastbar sind. Sie müssen zur Sicherung der eigenen Normalität ausgegrenzt werden. Struß beschreibt in ihrer Veröffentlichung über einen Supervisionsprozess in einem Psychiatrie-Team, dass es selbst unter aufgeklärten und störungsbilderfahrenen Mitarbeitern zu Konflikten, Vorurteilen und Tabuisierungen kommt, wenn einer aus dem eigenen Team an einer psychischen Störung erkrankt. Unsicherheit und Scham müssen nach ihrer Ansicht aktiv bekämpft werden (Struß 2010). Bei erhöhten und längeren Ausfallzeiten muss die Arbeit des Betroffenen in der Regel durch andere mit erledigt werden. Das Umfeld fühlt und erlebt die Zunahme an Arbeitsaufgaben, da bei vielen psychischen Störungen im Gegensatz zu somatischen Erkrankungen nicht sichtbar ist, was der Betroffene wirklich hat. Vielfach entsteht der Eindruck des sich Ausruhens auf Kosten der anderen. Dies führt zu entsprechenden Reaktionen. So ergab eine Umfrage der TU München unter 300 niedergelassenen Psychiatern, dass 31 Prozent ihrer Patienten davon berichten, bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz von ihren Kollegen stigmatisiert zu werden (Mendel et al. 2010).

Auch wenn die Kollegen diejenigen sind, die z. B. bei Alkoholabhängigkeit am ehesten Veränderungen und Auffälligkeiten bei den Betroffenen bemerken, sagen sie erst dann etwas, wenn die Situation schon weit fortgeschritten und es zur konflikthaften Eskalation gekommen ist (DHS,2008, 20 f.). Zunehmende Konflikte im sozialen Umfeld sind eine typische Folge von psychischen Störungen, darauf wurde bereits hingewiesen. Inwiefern dabei allerdings ein wesentlicher Impuls vom sozialen Umfeld ausgeht, wurde bislang wenig untersucht. Typische Konfliktsymptome und Mechanismen beim Auftreten psychischer Störungen am Arbeitsplatz sind eine Verschlechterung der Kommunikationsbeziehung, verstärkte Feindseligkeiten, Sticheleien und Streit über scheinbar Belangloses. Bei Problemen wird meist der Schuldige und nicht die Lösung gesucht. Die Gespräche drehen sich im Kreis und finden kein Ende. Es kommt zu Projektionen des ganzen Negativen auf den Konfliktpartner und nicht selten werden Drohungen ausgesprochen. Wolf konnte nachweisen, dass gerade jene Menschen zur Stigmatisierung von psychisch Kranken neigen, die ein sehr lückenhaftes Wissen über psychische Störungen haben. So konnten er und seine Kollegen andererseits belegen, dass sich durch Aufklärung über psychische Krankheiten Vorurteile abbauen lassen (Wolff et al. 1996).

Ähnlich wie bei den direkten Angehörigen befinden sich Kollegen von Mitarbeitern mit psychischen Störungen auch selbst in einer Situation, in der sie auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Dies wird besonders dann sichtbar, wenn es beispielsweise zu Suizidfällen aufgrund einer psychischen Störung im Unternehmen gekommen ist. Hierfür gibt es jedoch in Deutschland noch kein aussagekräftiges Datenmaterial und kein etabliertes Hilfesystem, sodass die Kollegen oft mit möglichen Fragestellungen auf sich allein gestellt sind.

Auswirkungen und langfristige Folgen von psychischen Störungen für Unternehmen

Die Folgen von psychischen Störungen werden im unternehmerischen Kontext immer mehr sichtbar und erfordern entsprechendes Handeln. Neben harten betriebswirtschaftlichen Fakten werden die Auswirkungen auch an anderen Stellen manifester und nehmen zunehmend dramatischere Formen an. In Frankreich gerieten in den Jahren 2009 und 2010 die Konzerne France Télécom und Renault in die Schlagzeilen, weil sich die Zahl der Selbstmorde in ihren Unternehmen deutlich erhöhte. Die Angehörigen und Gewerkschaften warfen den Unternehmen vor, nicht rechtzeitig auf betriebsbedingte psychische Störungen der Betroffenen reagiert und so die Selbstmorde nicht verhindert zu haben. Von Seiten der Staatsanwaltschaft wurden Ermittlungsverfahren wegen »fahrlässiger Tötung« gegen den Konzern France Télécom und einzelne Regionalmanager des Unternehmens eingeleitet (Spiegel Online 2010). Dies führte schließlich nicht nur zur Entlassung des Verwaltungsratschefs (Manager Magazin Online 2010), sondern auch zu erheblichen Umstrukturierungen in der Führungsebene. Der Gesetzgeber in Frankreich verpflichtete in Folge der Vorfälle alle größeren Unternehmen zu Schulungsmaßnahmen für Führungskräfte zum Thema »Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz« (Mendel et al. 2010). In Deutschland wird der Arbeitgeber im Rahmen des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) seit 1996 verpflichtet, für eine »menschengerechte Gestaltung der Arbeit« (§ 2 ArbSchG) und eine Beurteilung der Arbeitsbedingungen (§ 5 ArbSchG) zu sorgen. Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Unfallkassen nahm der Gesetzgeber im Oktober 2013 gleichzeitig eine Konkretisierung des Arbeitsschutzgesetzes vor (Artikel 8 BUKNOG, Deutscher Bundestag 2013, DS 17/12297, 18). In seiner konkretisierten Fassung fordert der § 5 ArbSchG seitdem explizit die Berücksichtigung psychischer Belastungen bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen durch den Arbeitgeber, obwohl bereits 1996 seit Inkrafttreten des Gesetzes vom ganzheitlichen Gesundheitsbegriff der WHO auszugehen war (vgl. S. 11). Der schwierige Umgang mit dem Phänomen der psychischen Fehlbelastungen in der betrieblichen Praxis und der gesellschaftliche Druck aufgrund der steigenden Erkrankungen haben letztlich die Konkretisierung des Arbeitsschutzgesetzes forciert.

Neben Frankreich ist auch in anderen Ländern der arbeitsbedingte Suizid schon länger als soziales Phänomen bekannt. So wurde schon in den späten 1980er Jahren in Japan der eigenständige Terminus »Karojisatsu« als Begriff für einen Suizid infolge von Überarbeitung und Stress am Arbeitsplatz geprägt. Dort ist dieses Phänomen heute allgemein im Blick der Öffentlichkeit und des unternehmerischen Handelns. Als Untersuchungsgegenstand wird es zunehmend beachtet (vgl. Amagasa et al. 2005). In Deutschland stellt sich der Umgang mit der Problematik für Unternehmen und Aufsichtsbehörden noch als schwierig dar. Das mag aus versicherungsrechtlichen Fragen an der Definition für den Begriff Unfall als Folge eines von außen einwirkenden Ereignisses liegen. Eine Depression beispielsweise ist meist kein eindeutig von außen einwirkendes Ereignis und hat multifaktorielle Ursachen. Das von Fall zu Fall unterschiedliche Zusammenwirken von Persönlichkeitseigenschaften und äußeren Einflüssen führt zu kontroversen Sichtweisen. Die Schlussfolgerung, dass die Erkrankung bei anderen Persönlichkeitsdispositionen und gleichen Arbeitsbedingungen unter Umständen gar nicht auftreten würde, ist in der Praxis oft anzutreffen. Mitunter werden bei der Untersuchung, Analyse und Beurteilung von Suiziden im Arbeitsgeschehen die jeweiligen Bewältigungsstrategien der inner- und außerbetrieblichen Akteure für den Umgang mit dem konkreten Ereignis sichtbar.

Zur Vermeidung und Reduzierung der o. g. Phänomene kommt der seelischen Gesundheit von Mitarbeitern eine immer größere Bedeutung zu, besonders wenn man die Verknappung von qualifizierten Arbeitskräften sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene berücksichtigt. Für das Jahr 2004 wurden die jährlichen Gesamtkosten im Zusammenhang mit psychischen Störungen in Europa auf 240 Mrd. Euro geschätzt. Dabei beziehen sich 55 Prozent der Summe, nämlich 132 Mrd. Euro, auf indirekte Kosten, die sich in erster Linie aus Produktionsverlusten zusammensetzen (Andlin-Sobocki et al. 2005). Bezogen auf Deutschland kommen Bödeker und Friedrichs für das Jahr 2008 zu dem Ergebnis, dass die direkten Kosten 28,6 Mrd. Euro betragen, ein Produktionsausfall in Höhe von 26 Mrd. Euro existiert und somit ein Ausfall an Bruttowertschöpfung in Höhe von 45 Mrd. Euro (1,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes) besteht (Bödeker / Friedrich, 2011). Die Europäische Kommission wies bereits 2005 darauf hin, dass in den Industrienationen im Jahre 2012 Depressionen die zweithäufigste Erkrankung werden und die Kosten für psychische Erkrankungen drei bis vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) betragen werden (Europäische Kommission 2005, 4 f.). Im Jahr 2011 betrug das BIP in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (2012) 2.570,80 Mrd. Euro. Die Gesamtkosten für psychische Erkrankungen lagen demzufolge in diesem Jahr zwischen 77 Mrd. und 102 Mrd. Euro.

Auch die Kosten für auftretende Minderleistungen in Folge von psychischen Störungen haben eine erhebliche wirtschaftliche Dimension und verringern die Produktivität eines Unternehmens. Jeder dritte AU-Tag mit Krankengeldbezug ist nach Angaben der TK durch psychische Erkrankungen verursacht. Da der Gesetzgeber eine sechswöchige Lohnfortzahlung vorgesehen hat, ist dies auch ein Hinweis auf den Kostenfaktor für Unternehmen.

Darüber hinaus sind Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von psychischen Störungen letztendlich »Spätindikatoren, die eine nachträgliche ›Reparatur‹ gesundheitsrelevanter Probleme erfordern, statt sie vorausschauend zu verhüten« (Walter / Münch 2009, 140).

Für den Bereich der Unternehmen lässt sich zusammenfassend festhalten, dass psychische Störungen bei Mitarbeitern erhebliche Auswirkungen haben, die sich in deutlichen Produktivitätsverlusten widerspiegeln.

Führungskräfte als Akteure und Betroffene

Führungskräfte haben im Zusammenhang mit psychischen Störungen in Unternehmen eine besondere Situation: zum einen kommt ihnen eine entscheidende Rolle zu, dauerhafte arbeitsbedingte psychische Belastungen von Mitarbeitern zu vermeiden. Zum anderen sollte es zu ihrem Rollenverständnis gehören, möglichst frühzeitig zu erkennen, ob sich ein Mitarbeiter in einer anhaltenden Belastungssituation befindet, um entsprechend gegensteuern zu können. Des Weiteren gehört es zu ihren unumstrittenen Führungsaufgaben, bei Anzeichen für eine mögliche psychische Störung eines Mitarbeiters mit diesem in Kontakt zu treten und darauf hinzuwirken, dass er sich, falls noch nicht geschehen, eine professionelle Einschätzung holt. Unabhängig von ihrer Rolle und ihrer Verantwortung für die Mitarbeiter gehören Führungskräfte der unteren und mittleren Ebene im Zusammenhang mit psychischen Belastungen und Störungen zu einer besonderen Risikogruppe. Sie sind sehr oft selbst betroffen. Die damit in Verbindung stehenden Notwendigkeiten und Konsequenzen sollen im Folgenden genauer beleuchtet werden.

Führungskräfte im Netz von Anforderungen

Führungskräfte werden heute in besonderem Maße von vielfältigen, oft widersprüchlichen Rollenerwartungen und Ansprüchen beeinflusst. Ständige wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen und Anforderungen sowie technologische Neuerungen lassen sich kaum noch von der einzelnen Führungskraft nachvollziehen, geschweige denn miteinander vereinbaren. Arbeitsverdichtung, beinahe uneingeschränkte Erreichbarkeit und eine kaum zu bewältigende Informationsflut lassen wenig Zeit für eine zielgerichtete Personalarbeit. Die Arbeitssituation von Führungskräften ist heute vielfach von einem hohen Arbeitsvolumen und -tempo, knappen Ressourcen, einer heterogenen Mitarbeiterschaft, einer umfassenden Zunahme an Aufgaben und hohen Erwartungen an ein perfektes Funktionieren geprägt. Alles hat in Zeiten von zunehmendem Konkurrenzdruck an Bedeutung und Stellenwert gewonnen, alles ist wichtig, alles verlangt eine zeitnahe Erledigung: der Kontakt und Umgang mit Geschäftspartnern und Kunden, Öffentlichkeitsarbeit, Verschwiegenheit, Sitzungen, Transparenz, Bewältigung von komplexen Sachproblemen, Koordinationsaufgaben und Mitarbeiterführung. Die zwangsläufige Folge: Es bleibt Führungskräften in klassischen »Sandwichpositionen« selbst wenig bis keine Zeit zur Regeneration.

Damit erleben sich nach Gunkel Vorgesetzte oft zwischen den Anforderungen des Unternehmens, den Wünschen und Erwartungen der Mitarbeiter, den Sach- und Fachaufgaben sowie den allgemeinen Koordinations- und Organisationsaufgaben eingeengt (vgl. Gunkel 2004, 111). Eigene Ansprüche, Werte und Normen der Führungskräfte wie auch die Erwartungen ihrer Familien und ihres sozialen Umfeldes (vgl. Abb. 5) bestimmen wesentlich ihr Verhalten gegenüber den Mitarbeitern und sich selbst. Sie versuchen »sich selbst und die Familie finanziell zu versorgen, abzusichern und einen angemessenen Lebensstandard zu sichern« (Harding 2012, 203) und übernehmen die Rolle des Versorgers.


Abb. 5: Anforderungen und Erwartungen als Spannungsfeld für Führungskräfte (nach Gunkel 2004, erweiterte eigene Darstellung)

Bei Führungskräften kommt es häufig zu einer »symbiotische[n] Verschmelzung mit der institutionellen Rolle« (Freimuth 1999, 109), d. h. es besteht eine hohe Identifikation der eigenen Persönlichkeit mit der Rolle als Führungskraft. Sie stehen daher auch unter einem enormen Erfolgsdruck, da ein möglicher Verlust der beruflichen Identität, zum Beispiel durch eine längere Erkrankung, einem Persönlichkeitsverlust gleich käme.

Umgeben von diesen vielfältigen Anforderungen und Zwängen, für deren Bewältigung sie oft nicht entsprechend qualifiziert wurden, empfinden sich Vorgesetzte vielfach als »eingezwängt in einen Schraubstock« (Gunkel 2004, 112). Gunkel kommt daher zu dem Schluss: »Erwiesenermaßen nehmen Vorgesetzte nachhaltig Einfluss auf Fehlzeiten, Gesundheit und Motivation ihrer Mitarbeiter, aber dies geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern unter den Bedingungen, die sie im Unternehmen vorfinden« (ebd.). Sich unter diesen Bedingungen als Führungskraft behaupten zu wollen, verlangt sowohl ein profundes Wissen und fachliches Können als auch mitarbeiterorientierte Führungskompetenzen und die Fähigkeit zu einer gesunden Selbststeuerung. Gerade im Zusammenhang mit psychisch fehlbeanspruchten Mitarbeitern bescheinigt die Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. in ihrem Praxispapier 2/2011 Führungskräften »Unsicherheit im Erkennen und im Umgang« (DGFP 2011, 19) mit psychischen Auffälligkeiten. Sie stellt weiterhin fest, dass die Vorbereitung der Führungskräfte auf das Erkennen und Umgehen-Können mit psychischen Fehlbelastungen der Mitarbeiter mangelhaft ist (vgl. ebd., 18 f.). Es fehlen Grundlagenkenntnisse und Gesprächsleitfäden für den Umgang mit Betroffenen im Arbeitsbereich. In welcher Überforderungssituation sich Führungskräfte heute befinden und erleben, wurde in diesem Kapitel deutlich.

Führungskräfte als selbst Betroffene

»Keine Berufsgruppe

steht so sehr unter Stress wie Führungskräfte,

kaum eine läuft so sehr Gefahr,

an Burn-out zu erkranken.

Doch statt Hilfe zu suchen,

beißen viele Chefs lieber die Zähne zusammen.«

(Enghausen, 2014, 42)

Die direkten emotionalen und kognitiven Auswirkungen von psychischen Störungen bei Führungskräften unterscheiden sich im Wesentlichen nicht von denen anderer Betroffener, dennoch lassen sich einige Besonderheiten feststellen.

Frau G., 37 Jahre, seit vier Jahren als Abteilungsleiterin in einem Dienstleistungsunternehmen in Berlin tätig, suchte professionelle Beratung auf, da sie in letzter Zeit unter zunehmender Nervosität und häufigen Schlafstörungen litt. Sie berichtete weiterhin, es falle ihr sehr schwer »abzuschalten«. Auf private Kontakte habe sie im Vergleich zu früher deutlich weniger Lust. Sie sei immer eine starke, lebensfrohe Frau gewesen, was ihr sowohl im beruflichen wie im privaten Bereich oft bestätigt worden sei. Inzwischen fühle sie sich aber kraftlos, »abgestumpft«, angestrengt und sie versuche mit aller ihr noch zur Verfügung stehenden Energie das alte Bild von sich nach außen aufrechtzuerhalten. Sie möchte nämlich auf keinen Fall mit denen in einen Topf geworfen werden, die in ihrem Unternehmen wegen angeblicher Überlastung ausgefallen seien. Auf solche Kommentare habe sie wirklich absolut keine Lust. Nachdem Frau G. schließlich doch acht Wochen wegen ihrer Symptomatik arbeitsunfähig war und wieder an den Arbeitsplatz zurückkehrte, erfolgte am ersten Arbeitstag ein Gespräch mit ihrem Vorgesetzten. Entgegen ihrer Erwartung wurde in diesem Gespräch nur über liegen gebliebene konzeptionelle Dinge gesprochen, die dringend entschieden und erledigt werden mussten. Ein Gespräch über ihre gesundheitliche Situation, ihre Wiedereingliederung und ihren weiteren Einsatz im Unternehmen sollte eine Woche später erfolgen. In der Zwischenzeit kam Frau G. in die Beratung und äußerte u. a.: »Ich bekam in dem Gespräch das deutliche Gefühl vermittelt, dass man als Führungskraft eben nicht wegen Überlastung krank werden darf.«

Führungskräfte der unteren und mittleren Ebene stehen oft unter einer noch höheren psychischen Belastung als andere Beschäftigte. In einer solchen oft dauerhaften beruflichen Realität können sie Gefühle kaum noch bewusst wahrnehmen. Sie richten ihren Fokus vorwiegend auf die Erfüllung ihrer beruflichen Rolle aus. Dies vermindert zwangsläufig ihre Selbstreflexionsfähigkeit (vgl. Huber 2014, 42) und allgemeine Wahrnehmungsfähigkeit. Komplexe Zusammenhänge können daher nur noch schwer erfasst werden. Es erfolgt eine Fokussierung auf Einzelheiten. Entscheidungen zu treffen wird immer mühsamer. Ein solcher Zustand beeinflusst die Kommunikation mit den Mitarbeitern. Die Führungskraft zieht sich vermehrt zurück, die innere Beteiligung bei Gesprächen nimmt ab. Die Führungskraft steht ihren Mitarbeitern als Orientierung gebender Ansprechpartner so immer weniger zur Verfügung. Dies hat ebenfalls Einfluss auf die Kommunikation und das Verhalten der Mitarbeiter untereinander, die sich über ihre Führungskraft austauschen und deren schattenhafte Aussagen jeweils unterschiedlich interpretieren. Die Auswirkungen von psychischen Störungen bei Führungskräften haben daher eine noch viel größere Wirkung auf das berufliche Umfeld und den Unternehmenserfolg als bei »Normalbeschäftigten«.

Mehr noch als andere messen Führungskräfte ihren persönlichen Wert am beruflichen Erfolg und an ihrer Leistungsfähigkeit. Krankheit und insbesondere psychische Krankheit löst gerade bei ihnen in den allermeisten Fällen eine starke Angst vor Image- und Statusverlust aus. Diese Angst ist meist höher als die vor finanziellen Verlusten (vgl. Harding 2012, 208). Sie fürchten sich vor einer Stigmatisierung durch das soziale und berufliche Umfeld und entwickeln ausgeprägte Formen von Selbststigmatisierung (vgl. S. 35). Aufgrund der oft selbst geschaffenen finanziellen und privaten Verpflichtungen erleben sie sich darüber hinaus in der Zwangssituation, ihr Einkommen nicht verlieren zu dürfen, da ansonsten ihr Gesamtsystem und ihr sozialer Status zusammenbrechen würden.

Herr S., 57 Jahre, promovierter Ingenieur und Prokurist eines großen metallverarbeitenden Unternehmens, berichtet zunächst, dass er sehr lange überlegt habe, überhaupt professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Er schildert seit Monaten vorhandene Selbstzweifel, zunehmende Angstzustände und Lustlosigkeit. Oft befinde er sich über Tage in einem richtigen Stimmungstief, sodass er auch keine Energie mehr habe, seinen Job ordentlich zu erledigen. Auf die Frage, was denn enge Vertraute wie seine Ehefrau oder seine besten Freunde zu seinem Befinden sagen, äußert Herr S.: »Ich habe noch mit keinem Menschen darüber geredet, ich kann doch meinen Leuten nicht sagen, wie schwach ich mich zur Zeit fühle. Das würde das Bild von mir komplett auf den Kopf stellen und meine Familie verunsichern. Solche Sachen mache ich mit mir selbst aus.«

Droht die beruflich geliehene Identität durch eine psychische Erkrankung in Gefahr zu geraten, erleben sich Führungskräfte in einem tragischen Konflikt: Mit der Befürchtung, sie könnten aufgrund ihres Zustandes ihre Funktion und ihre Macht verlieren, vergrößert sich die Angst vor ihrer Bedeutungslosigkeit. Dem darf daher auf keinen Fall weiter Nahrung gegeben werden. Deshalb versuchen sie viel länger als andere Beschäftigte, ihren Zustand zu ignorieren und mit sich selbst auszutragen. Der Schritt, sich Unterstützung und professionelle Hilfe zu suchen, gelingt ihnen oft erst in der Endphase der Entwicklung, stecken sie doch lange Zeit in einem scheinbar unlösbaren Konflikt: Geht es ihnen schlecht, erwarten sie einen Identitäts- und Statusverlust. Würden sie sich mit diesem Zustand aktiv auseinandersetzen, befürchten sie, dass es ihnen noch schlechter geht.

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