Kitabı oku: «Hamburgische Dramaturgie», sayfa 10
Siebenundzwanzigstes Stueck Den 31. Julius 1767
Ich will es versuchen, einen Begriff von der Musik des Herrn Agricola zu machen. Nicht zwar nach ihren Wirkungen;—denn je lebhafter und feiner ein sinnliches Vergnuegen ist, desto weniger laesst es sich mit Worten beschreiben; man kann nicht wohl anders, als in allgemeine Lobsprueche, in unbestimmte Ausrufungen, in kreischende Bewunderung damit verfallen, und diese sind ebenso ununterrichtend fuer den Liebhaber, als ekelhaft fuer den Virtuosen, den man zu ehren vermeinet;—sondern bloss nach den Absichten, die ihr Meister damit gehabt, und nach den Mitteln ueberhaupt, deren er sich, zur Erreichung derselben, bedienen wollen.
Die Anfangssymphonie bestehet aus drei Saetzen. Der erste Satz ist ein Largo, nebst den Violinen, mit Hoboen und Floeten; der Grundbass ist durch Fagotte verstaerkt. Sein Ausdruck ist ernsthaft; manchmal gar wild und stuermisch; der Zuhoerer soll vermuten, dass er ein Schauspiel ungefaehr dieses Inhalts zu erwarten habe. Doch nicht dieses Inhalts allein; Zaertlichkeit, Reue, Gewissensangst, Unterwerfung nehmen ihr Teil daran; und der zweite Satz, ein Andante mit gedaempften Violinen und konzertierenden Fagotten, beschaeftigst sich also mit dunkeln und mitleidigen Klagen. In dem dritten Satze vermischen sich die beweglichen Tonwendungen mit stolzen; denn die Buehne eroeffnet sich mit mehr als gewoehnlicher Pracht; Semiramis nahet sich dem Ende ihrer Herrlichkeit; wie diese Herrlichkeit das Auge spueren muss, soll sie auch das Ohr vernehmen. Der Charakter ist Allegretto, und die Instrumente sind wie in dem ersten, ausser dass die Hoboen, Floeten und Fagotte miteinander einige besondere kleinere Saetze haben.
Die Musik zwischen den Akten hat durchgaengig nur einen einzigen Satz; dessen Ausdruck sich auf das Vorhergehende beziehet. Einen zweiten, der sich auf das Folgende bezoege, scheinet Herr Agricola also nicht zu billigen. Ich wuerde hierin sehr seines Geschmacks sein. Denn die Musik soll dem Dichter nichts verderben; der tragische Dichter liebt das Unerwartete, das Ueberraschende mehr als ein anderer; er laesst seinen Gang nicht gern voraus verraten; und die Musik wuerde ihn verraten, wenn sie die folgende Leidenschaft angeben wollte. Mit der Anfangssymphonie ist es ein anders; sie kann auf nichts Vorhergehendes gehen; und doch muss auch sie nur den allgemeinen Ton des Stuecks angeben, und nicht staerker, nicht bestimmter, als ihn ungefaehr der Titel angibt. Man darf dem Zuhoerer wohl das Ziel zeigen, wohin man ihn fuehren will, aber die verschiedenen Wege, auf welchen er dahin gelangen soll, muessen ihm gaenzlich verborgen bleiben. Dieser Grund wider einen zweiten Satz zwischen den Akten ist aus dem Vorteile des Dichters hergenommen; und er wird durch einen andern, der sich aus den Schranken der Musik ergibt, bestaerkt. Denn gesetzt, dass die Leidenschaften, welche in zwei aufeinanderfolgenden Akten herrschen, einander ganz entgegen waeren, so wuerden notwendig auch die beiden Saetze von ebenso widriger Beschaffenheit sein muessen. Nun begreife ich sehr wohl, wie uns der Dichter aus einer jeden Leidenschaft zu der ihr entgegenstehenden, zu ihrem voelligen Widerspiele, ohne unangenehme Gewaltsamkeit bringen kann; er tut das nach und nach, gemach und gemach; er steiget die ganze Leiter von Sprosse zu Sprosse, entweder hinauf oder hinab, ohne irgendwo den geringsten Sprung zu tun. Aber kann dieses auch der Musikus? Es sei, dass er es in einem Stuecke, von der erforderlichen Laenge, ebensowohl tun koenne; aber in zwei besondern, voneinander gaenzlich abgesetzten Stuecken muss der Sprung, z.E. aus dem Ruhigen in das Stuermische, aus dem Zaertlichen in das Grausame, notwendig sehr merklich sein, und alle das Beleidigende haben, was in der Natur jeder ploetzliche Uebergang aus einem Aeussersten in das andere, aus der Finsternis in das Licht, aus der Kaelte in die Hitze zu haben pflegt. Itzt zerschmelzen wir in Wehmut, und auf einmal sollen wir rasen. Wie? warum? wider wen? wider eben den, fuer den unsere Seele ganz mitleidiges Gefuehl war? oder wider einen andern? Alles das kann die Musik nicht bestimmen; sie laesst uns in Ungewissheit und Verwirrung; wir empfinden, ohne eine richtige Folge unserer Empfindungen wahrzunehmen; wir empfinden wie im Traume; und alle diese unordentliche Empfindungen sind mehr abmattend als ergoetzend. Die Poesie hingegen laesst uns den Faden unserer Empfindungen nie verlieren; hier wissen wir nicht allein, was wir empfinden sollen, sondern auch, warum wir es empfinden sollen; und nur dieses Warum macht die ploetzlichsten Uebergaenge nicht allein ertraeglich, sondern auch angenehm. In der Tat ist diese Motivierung der ploetzlichen Uebergaenge einer der groessten Vorteile, den die Musik aus der Vereinigung mit der Poesie ziehet; ja vielleicht der allergroesste. Denn es ist bei weitem nicht so notwendig, die allgemeinen unbestimmten Empfindungen der Musik, z.E. der Freude, durch Worte auf einen gewissen einzeln Gegenstand der Freude einzuschraenken, weil auch jene dunkeln schwanken Empfindungen noch immer sehr angenehm sind; als notwendig es ist, abstechende, widersprechende Empfindungen durch deutliche Begriffe, die nur Worte gewaehren koennen, zu verbinden, um sie durch diese Verbindung in ein Ganzes zu verweben, welchem man nicht allein Mannigfaltiges, sondern auch Uebereinstimmung des Mannigfaltigen bemerke. Nun aber wuerde, bei dem doppelten Satze zwischen den Akten eines Schauspiels, diese Verbindung erst hintennach kommen; wir wuerden es erst hintennach erfahren, warum wir aus einer Leidenschaft in eine ganz entgegengesetzte ueberspringen muessen: und das ist fuer die Musik so gut, als erfuehren wir es gar nicht. Der Sprung hat einmal seine ueble Wirkung getan, und er hat uns darum nicht weniger beleidiget, weil wir nun einsehen, dass er uns nicht haette beleidigen sollen. Man glaube aber nicht, dass sonach alle Symphonien verwerflich sein muessten, weil alle aus mehrern Saetzen bestehen, die voneinander unterschieden sind, und deren jeder etwas anders ausdrueckt als der andere. Sie druecken etwas anders aus, aber nicht etwas Verschiednes; oder vielmehr, sie druecken das naemliche, und nur auf eine andere Art aus. Eine Symphonie, die in ihren verschiednen Saetzen verschiedne, sich widersprechende Leidenschaften ausdrueckt, ist ein musikalisches Ungeheuer; in einer Symphonie muss nur eine Leidenschaft herrschen, und jeder besondere Satz muss ebendieselbe Leidenschaft, bloss mit verschiednen Abaenderungen, es sei nun nach den Graden ihrer Staerke und Lebhaftigkeit oder nach den mancherlei Vermischungen mit andern verwandten Leidenschaften, ertoenen lassen und in uns zu erwecken suchen. Die Anfangssymphonie war vollkommen von dieser Beschaffenheit; das Ungestueme des ersten Satzes zerfliesst in das Klagende des zweiten, welches sich in dem dritten zu einer Art von feierlichen Wuerde erhebet. Ein Tonkuenstler, der sich in seinen Symphonien mehr erlaubt, der mit jedem Satze den Affekt abbricht, um mit dem folgenden einen neuen ganz verschiednen Affekt anzuheben, und auch diesen fahren laesst, um sich in einen dritten ebenso verschiednen zu werfen; kann viel Kunst, ohne Nutzen, verschwendet haben, kann ueberraschen, kann betaeuben, kann kitzeln, nur ruehren kann er nicht. Wer mit unserm Herzen sprechen und sympathetische Regungen in ihm erwecken will, muss ebensowohl Zusammenhang beobachten, als wer unsern Verstand zu unterhalten und zu belehren denkt. Ohne Zusammenhang, ohne die innigste Verbindung aller und jeder Teile ist die beste Musik ein eitler Sandhaufen, der keines dauerhaften Eindruckes faehig ist; nur der Zusammenhang macht sie zu einem festen Marmor, an dem sich die Hand des Kuenstlers verewigen kann.
Der Satz nach dem ersten Akte sucht also lediglich die Besorgnisse der "Semiramis" zu unterhalten, denen der Dichter diesen Akt gewidmet hat;
Besorgnisse, die noch mit einiger Hoffnung vermischt sind; ein Andante mesto, bloss mit gedaempften Violinen und Bratsche.
In dem zweiten Akt spielt Assur eine zu wichtige Rolle, als dass er nicht den Ausdruck der darauffolgenden Musik bestimmen sollte. Ein Allegro assai aus dem G-dur mit Waldhoernern, durch Floeten und Hoboen, auch den Grundbass mitspielende Fagotte verstaerkt, drueckt den durch Zweifel und Furcht unterbrochenen, aber immer noch sich wieder erholenden Stolz dieses treulosen und herrschsuechtigen Ministers aus.
In dem dritten Akte erscheint das Gespenst. Ich habe, bei Gelegenheit der ersten Vorstellung, bereits angemerkt, wie wenig Eindruck Voltaire diese Erscheinung auf die Anwesenden machen laesst. Aber der Tonkuenstler hat sich, wie billig, daran nicht gekehrt; er holt es nach, was der Dichter unterlassen hat, und ein Allegro aus dem E-moll, mit der naemlichen Instrumentenbesetzung des Vorhergehenden, nur dass E-Hoerner mit G-Hoernern verschiedentlich abwechseln, schildert kein stummes und traeges Erstaunen, sondern die wahre wilde Bestuerzung, welche eine dergleichen Erscheinung unter dem Volke verursachen muss.
Die Beaengstigung der Semiramis im vierten Aufzuge erweckt unser Mitleid; wir bedauern die Reuende, so schuldig wir auch die Verbrecherin wissen. Bedauern und Mitleid laesst also auch die Musik ertoenen; in einem Larghetto aus dem A-moll, mit gedaempften Violinen und Bratsche und einer konzertierenden Hoboe.
Endlich folget auch auf den fuenften Akt nur ein einziger Satz, ein Adagio, aus dem E-dur, naechst den Violinen und der Bratsche, mit Hoernern, mit verstaerkenden Hoboen und Floeten und mit Fagotten, die mit dem Grundbasse gehen. Der Ausdruck ist den Personen des Trauerspiels angemessene und ins Erhabene gezogene Betruebnis, mit einiger Ruecksicht, wie mich deucht, auf die vier letzten Zeilen, in welchen die Wahrheit ihre warnende Stimme gegen die Grossen der Erde ebenso wuerdig als maechtig erhebt.
Die Absichten eines Tonkuenstlers merken, heisst ihm zugestehen, dass er sie erreicht hat. Sein Werk soll kein Raetsel sein, dessen Deutung ebenso muehsam als schwankend ist. Was ein gesundes Ohr am geschwindesten in ihm vernimmt, das und nichts anders hat er sagen wollen; sein Lob waechst mit seiner Verstaendlichkeit; je leichter, je allgemeiner diese, desto verdienter jenes.—Es ist kein Ruhm fuer mich, dass ich recht gehoert habe; aber fuer den Hrn. Agricola ist es ein so viel groesserer, dass in dieser seiner Komposition niemand etwas anders gehoert hat als ich.
Achtundzwanzigstes Stueck Den 4. August 1767
Den dreiunddreissigsten Abend (freitags, den 12. Junius) ward die "Nanine" wiederholt, und den Beschluss machte "Der Bauer mit der Erbschaft", aus dem Franzoesischen des Marivaux.
Dieses kleine Stueck ist hier Ware fuer den Platz und macht daher allezeit viel Vergnuegen. Juerge koemmt aus der Stadt zurueck, wo er einen reichen Bruder begraben lassen, von dem er hunderttausend Mark geerbt. Glueck aendert Stand und Sitten; nun will er leben, wie vornehme Leute leben, erhebt seine Liese zur Madame, findet geschwind fuer seinen Hans und fuer seine Grete eine ansehnliche Partie, alles ist richtig, aber der hinkende Bote koemmt nach. Der Makler, bei dem die hunderttausend Mark gestanden, hat Bankerott gemacht, Juerge ist wieder nichts wie Juerge, Hans bekommt den Korb, Grete bleibt sitzen, und der Schluss wuerde traurig genug sein, wenn das Glueck mehr nehmen koennte, als es gegeben hat; gesund und vergnuegt waren sie, gesund und vergnuegt bleiben sie.
Diese Fabel haette jeder erfinden koennen; aber wenige wuerden sie so unterhaltend zu machen gewusst haben, als Marivaux. Die drolligste Laune, der schnurrigste Witz, die schalkischste Satire lassen uns vor Lachen kaum zu uns selbst kommen; und die naive Bauernsprache gibt allem eine ganz eigene Wuerze. Die Uebersetzung ist von Kruegern, der das franzoesische Patois in den hiesigen platten Dialekt meisterhaft zu uebertragen gewusst hat. Es ist nur schade, dass verschiedene Stellen hoechst fehlerhaft und verstuemmelt abgedruckt werden. Einige muessten notwendig in der Vorstellung berichtiget und ergaenzt werden. Z. E. folgende, gleich in der ersten Szene.
"Juerge. He, he, he! Giv mie doch fief Schillink kleen Geld, ik hev niks, as Gullen un Dahlers.
Lise. He, he, he! Segge doch, hest du Schrullen med dienen fief Schillink kleen Geld? wat wist du damed maaken?
Juerge. He, he, he, he! Giv mie fief Schillink kleen Geld, seg ik die.
Lise. Woto denn, Hans Narr?
Juerge. Foer duessen Jungen, de mie mienen Buendel op dee Reise bed in unse Doerp dragen hed, un ik buen ganss licht und sacht hergahn.
Lise. Buest du to Foote hergahn?
Juerge. Ja. Wielt't veel kummoder is.
Lise. Da hest du een Maark.
Juerge. Dat is doch noch resnabel. Wo veel maakt't? So veel is dat.
Een Maark hed se mie dahn: da, da is't. Nehmt't hen; so is't richdig.
Lise. Un du verdeihst fief Schillink an een Jungen, de die dat Pak dragen hed?
Juerge. Ja! ik met ehm doch een Drankgeld geven.
Valentin. Sollen die fuenf Schilling fuer mich, Herr Juerge?
Juerge. Ja, mien Fruend!
Valentin. Fuenf Schilling? ein reicher Erbe! fuenf Schillinge? ein Mann von Ihrem Stande! Und wo bleibt die Hoheit der Seele?
Juerge. O! et kumt mie even darop nich an, jy doerft't man seggen.
Maake Fro, smiet ehm noch een Schillink hen; by uns regnet man so."
Wie ist das? Juerge ist zu Fusse gegangen, weil es kommoder ist? Er fodert fuenf Schillinge, und seine Frau gibt ihm ein Mark, die ihm fuenf Schillinge nicht geben wollte? Die Frau soll dem Jungen noch einen Schilling hinschmeissen? warum tut er es nicht selbst? Von dem Marke blieb ihm ja noch uebrig. Ohne das Franzoesische wird man sich schwerlich aus dem Hanfe finden. Juerge war nicht zu Fusse gekommen, sondern mit der Kutsche: und darauf geht sein "Wielt't veel kummoder is". Aber die Kutsche ging vielleicht bei seinem Dorfe nur vorbei, und von da, wo er abstieg, liess er sich bis zu seinem Hause das Buendel nachtragen. Dafuer gibt er dem Jungen die fuenf Schillinge; das Mark gibt ihm nicht die Frau, sondern das hat er fuer die Kutsche bezahlen muessen, und er erzaehlt ihr nur, wie geschwind er mit dem Kutscher darueber fertig geworden.15
Den vierunddreissigsten Abend (montags, den 29. Junius) ward "Der Zerstreute" des Regnard aufgefuehrt.
Ich glaube schwerlich, dass unsere Grossvaeter den deutschen Titel dieses Stuecks verstanden haetten. Noch Schlegel uebersetzte Distrait durch "Traeumer". Zerstreut sein, ein Zerstreuter, ist lediglich nach der Analogie des Franzoesischen gemacht. Wir wollen nicht untersuchen, wer das Recht hatte, diese Worte zu machen; sondern wir wollen sie brauchen, nachdem sie einmal gemacht sind. Man versteht sie nunmehr, und das ist genug.
Regnard brachte seinen "Zerstreuten" im Jahre 1679 aufs Theater; und er fand nicht den geringsten Beifall. Aber vierunddreissig Jahr darauf, als ihn die Komoedianten wieder versuchten, fand er einen so viel groessern. Welches Publikum hatte nun recht? Vielleicht hatten sie beide nicht unrecht. Jenes strenge Publikum verwarf das Stueck als eine gute foermliche Komoedie, wofuer es der Dichter ohne Zweifel ausgab. Dieses geneigtere nahm es fuer nichts mehr auf, als es ist; fuer eine Farce, fuer ein Possenspiel, das zu lachen machen soll; man lachte und war dankbar. Jenes Publikum dachte:
—non satis est risu diducere rictum Auditoris—
und dieses:
–et est quaedam tamen hic quoque virtus.
Ausser der Versifikation, die noch dazu sehr fehlerhaft und nachlaessig ist, kann dem Regnard dieses Lustspiel nicht viel Muehe gemacht haben. Den Charakter seiner Hauptperson fand er bei dem La Bruyere voellig entworfen. Er hatte nichts zu tun, als die vornehmsten Zuege teils in Handlung zu bringen, teils erzaehlen zu lassen. Was er von dem Seinigen hinzufuegte, will nicht viel sagen.
Wider dieses Urteil ist nichts einzuwenden; aber wider eine andere Kritik, die den Dichter auf der Seite der Moralitaet fassen will, desto mehr. Ein Zerstreuter soll kein Vorwurf fuer die Komoedie sein. Warum nicht? Zerstreut sein, sagt man, sei eine Krankheit, ein Unglueck; und kein Laster. Ein Zerstreuter verdiene ebensowenig ausgelacht zu werden, als einer, der Kopfschmerzen hat. Die Komoedie muesse sich nur mit Fehlern abgeben, die sich verbessern lassen. Wer aber von Natur zerstreut sei, der lasse sich durch Spoettereien ebensowenig bessern als ein Hinkender.
Aber ist es denn wahr, dass die Zerstreuung ein Gebrechen der Seele ist, dem unsere besten Bemuehungen nicht abhelfen koennen? Sollte sie wirklich mehr natuerliche Verwahrlosung als ueble Angewohnheit sein? Ich kann es nicht glauben. Sind wir nicht Meister unserer Aufmerksamkeit? Haben wir es nicht in unserer Gewalt, sie anzustrengen, sie abzuziehen, wie wir wollen? Und was ist die Zerstreuung anders, als ein unrechter Gebrauch unserer Aufmerksamkeit? Der Zerstreute denkt, und denkt nur das nicht, was er, seinen itzigen sinnlichen Eindruecken zufolge, denken sollte. Seine Seele ist nicht entschlummert, nicht betaeubt, nicht ausser Taetigkeit gesetzt; sie ist nur abwesend, sie ist nur anderwaerts taetig. Aber so gut sie dort sein kann, so gut kann sie auch hier sein; es ist ihr natuerlicher Beruf, bei den sinnlichen Veraenderungen ihres Koerpers gegenwaertig zu sein; es kostet Muehe, sie dieses Berufs zu entwoehnen, und es sollte unmoeglich sein, ihr ihn wieder gelaeufig zu machen?
Doch es sei; die Zerstreuung sei unheilbar: wo steht es denn geschrieben, dass wir in der Komoedie nur ueber moralische Fehler, nur ueber verbesserliche Untugenden lachen sollen? Jede Ungereimtheit, jeder Kontrast von Mangel und Realitaet ist laecherlich. Aber lachen und verlachen ist sehr weit auseinander. Wir koennen ueber einen Menschen lachen, bei Gelegenheit seiner lachen, ohne ihn im geringsten zu verlachen. So unstreitig, so bekannt dieser Unterschied ist, so sind doch alle Schikanen, welche noch neuerlich Rousseau gegen den Nutzen der Komoedie gemacht hat, nur daher entstanden, weil er ihn nicht gehoerig in Erwaegung gezogen. "Moliere", sagt er z.E., "macht uns ueber den Misanthropen zu lachen, und doch ist der Misanthrop der ehrliche Mann des Stuecks; Moliere beweiset sich also als einen Feind der Tugend, indem er den Tugendhaften veraechtlich macht."
Nicht doch; der Misanthrop wird nicht veraechtlich, er bleibt, wer er ist, und das Lachen, welches aus den Situationen entspringt, in die ihn der Dichter setzt, benimmt ihm von unserer Hochachtung nicht das geringste. Der Zerstreute gleichfalls; wir lachen ueber ihn, aber verachten wir ihn darum? Wir schaetzen seine uebrige guten Eigenschaften, wie wir sie schaetzen sollen; ja ohne sie wuerden wir nicht einmal ueber seine Zerstreuung lachen koennen. Man gebe diese Zerstreuung einem boshaften, nichtswuerdigen Manne, und sehe, ob sie noch laecherlich sein wird? Widrig, ekel, haesslich wird sie sein; nicht laecherlich.
Neunundzwanzigstes Stueck Den 7. August 1767
Die Komoedie will durch Lachen bessern; aber nicht eben durch Verlachen; nicht gerade diejenigen Unarten, ueber die sie zu lachen macht, noch weniger bloss und allein die, an welchen sich diese laecherlichen Unarten finden. Ihr wahrer allgemeiner Nutzen liegt in dem Lachen selbst; in der Uebung unserer Faehigkeit, das Laecherliche zu bemerken; es unter allen Bemaentelungen der Leidenschaft und der Mode, es in allen Vermischungen mit noch schlimmern oder mit guten Eigenschaften, sogar in den Runzeln des feierlichen Ernstes, leicht und geschwind zu bemerken. Zugegeben, dass der "Geizige" des Moliere nie einen Geizigen, der "Spieler" des Regnard nie einen Spieler gebessert habe; eingeraeumt, dass das Lachen diese Toren gar nicht bessern koenne: desto schlimmer fuer sie, aber nicht fuer die Komoedie. Ihr ist genug, wenn sie keine verzweifelte Krankheiten heilen kann, die Gesunden in ihrer Gesundheit zu befestigen. Auch dem Freigebigen ist der Geizige lehrreich; auch dem, der gar nicht spielt, ist der Spieler unterrichtend; die Torheiten, die sie nicht haben, haben andere, mit welchen sie leben muessen; es ist erspriesslich, diejenigen zu kennen, mit welchen man in Kollision kommen kann; erspriesslich, sich wider alle Eindruecke des Beispiels zu verwahren. Ein Praeservativ ist auch eine schaetzbare Arzenei; und die ganze Moral hat kein kraeftigers, wirksamers, als das Laecherliche.—
"Das Raetsel oder Was den Damen am meisten gefaellt", ein Lustspiel in einem Aufzuge von Herr Loewen, machte diesen Abend den Beschluss.
Wenn Marmontel und Voltaire nicht Erzaehlungen und Maerchen geschrieben haetten, so wuerde das franzoesische Theater eine Menge Neuigkeiten haben entbehren muessen. Am meisten hat sich die komische Oper aus diesen Quellen bereichert. Des letztern "Ce qui plait aux dames" gab den Stoff zu einem mit Arien untermengten Lustspiele von vier Aufzuegen, welches unter dem Titel "La fee Urgele", von den italienischen Komoedianten zu Paris, im Dezember 1765 aufgefuehret ward. Herr Loewen scheinet nicht sowohl dieses Stueck, als die Erzaehlung des Voltaire selbst vor Augen gehabt zu haben. Wenn man bei Beurteilung einer Bildsaeule mit auf den Marmorblock zu sehen hat, aus welchem sie gemacht worden; wenn die primitive Form dieses Blockes es zu entschuldigen vermag, dass dieses oder jenes Glied zu kurz, diese oder jene Stellung zu gezwungen geraten: so ist die Kritik auf einmal abgewiesen, die den Herrn Loewen wegen der Einrichtung seines Stuecks in Anspruch nehmen wollte. Mache aus einem Hexenmaerchen etwas Wahrscheinlichers, wer da kann! Herr Loewen selbst gibt sein Raetsel fuer nichts anders, als fuer eine kleine Plaisanterie, die auf dem Theater gefallen kann, wenn sie gut gespielt wird. Verwandlung und Tanz und Gesang konkurrieren zu dieser Absicht; und es waere blosser Eigensinn, an keinem Belieben zu finden. Die Laune des Pedrillo ist zwar nicht original, aber doch gut getroffen. Nur duenkt mich, dass ein Waffentraeger oder Stallmeister, der das Abgeschmackte und Wahnsinnige der irrenden Ritterschaft einsieht, sich nicht so recht in eine Fabel passen will, die sich auf die Wirklichkeit der Zauberei gruendet und ritterliche Abenteuer als ruehmliche Handlungen eines vernuenftigen und tapfern Mannes annimmt. Doch, wie gesagt, es ist eine Plaisanterie; und Plaisanterien muss man nicht zergliedern wollen.
Den fuenfunddreissigsten Abend (mittewochs, den 1. Julius) ward, in Gegenwart Sr. Koenigl. Majestaet von Daenemark, die "Rodogune" des Peter Corneille aufgefuehrt.
Corneille bekannte, dass er sich auf dieses Trauerspiel das meiste einbilde, dass er es weit ueber seinen "Cinna" und "Cid" setze, dass seine uebrige Stuecke wenig Vorzuege haetten, die in diesem nicht vereint anzutreffen waeren; ein gluecklicher Stoff, ganz neue Erdichtungen, starke Verse, ein gruendliches Raisonnement, heftige Leidenschaften, ein von Akt zu Akt immer wachsendes Interesse.—
Es ist billig, dass wir uns bei dem Meisterstuecke dieses grossen Mannes verweilen.
Die Geschichte, auf die es gebauet ist, erzaehlt Appianus Alexandrinus gegen das Ende seines Buchs von den syrischen Kriegen. "Demetrius, mit dem Zunamen Nikanor, unternahm einen Feldzug gegen die Parther und lebte als Kriegsgefangner einige Zeit an dem Hofe ihres Koeniges Phraates, mit dessen Schwester Rodogune er sich vermaehlte. Inzwischen bemaechtigte sich Diodotus, der den vorigen Koenigen gedienet hatte, des syrischen Thrones und erhob ein Kind, den Sohn des Alexander Nothus, darauf, unter dessen Namen er als Vormund anfangs die Regierung fuehrte. Bald aber schaffte er den jungen Koenig aus dem Wege, setzte sich selbst die Krone auf und gab sich den Namen Tryphon. Als Antiochus, der Bruder des gefangenen Koenigs, das Schicksal desselben und die darauf erfolgten Unruhen des Reichs zu Rhodus, wo er sich aufhielt, hoerte, kam er nach Syrien zurueck, ueberwand mit vieler Muehe den Tryphon und liess ihn hinrichten. Hierauf wandte er seine Waffen gegen den Phraates und foderte die Befreiung seines Bruders. Phraates, der sich des Schlimmsten besorgte, gab den Demetrius auch wirklich los; aber nichtsdestoweniger kam es zwischen ihm und Antiochus zum Treffen, in welchem dieser den kuerzern zog und sich aus Verzweiflung selbst entleibte. Demetrius, nachdem er wieder in sein Reich gekehret war, ward von seiner Gemahlin Kleopatra aus Hass gegen die Rodogune umgebracht; obschon Kleopatra selbst, aus Verdruss ueber diese Heirat, sich mit dem naemlichen Antiochus, seinem Bruder, vermaehlet hatte. Sie hatte von dem Demetrius zwei Soehne, wovon sie den aeltesten, mit Namen Seleukus, der nach dem Tode seines Vaters den Thron bestieg, eigenhaendig mit einem Pfeile erschoss; es sei nun, weil sie besorgte, er moechte den Tod seines Vaters an ihr raechen, oder weil sie sonst ihre grausame Gemuetsart dazu veranlasste. Der juengste Sohn hiess Antiochus; er folgte seinem Bruder in der Regierung und zwang seine abscheuliche Mutter, dass sie den Giftbecher, den sie ihm zugedacht hatte, selbst trinken musste."
In dieser Erzaehlung lag Stoff zu mehr als einem Trauerspiele. Es wuerde Corneillen eben nicht viel mehr Erfindung gekostet haben, einen "Tryphon", einen "Antiochus", einen "Demetrius", einen "Seleukus" daraus zu machen, als es ihm, eine "Rodogune" daraus zu erschaffen, kostete. Was ihn aber vorzueglich darin reizte, war die beleidigte Ehefrau, welche die usurpierten Rechte ihres Ranges und Bettes nicht grausam genug raechen zu koennen glaubet. Diese also nahm er heraus; und es ist unstreitig, dass sonach sein Stueck nicht "Rodogune", sondern "Kleopatra" heissen sollte. Er gestand es selbst, und nur weil er besorgte, dass die Zuhoerer diese Koenigin von Syrien mit jener beruehmten letzten Koenigin von Aegypten gleichen Namens verwechseln duerften, wollte er lieber von der zweiten, als von der ersten Person den Titel hernehmen. "Ich glaubte mich", sagt er, "dieser Freiheit um so eher bedienen zu koennen, da ich angemerkt hatte, dass die Alten selbst es nicht fuer notwendig gehalten, ein Stueck eben nach seinem Helden zu benennen, sondern es ohne Bedenken auch wohl nach dem Chore benannt haben, der an der Handlung doch weit weniger teil hat, und weit episodischer ist, als Rodogune; so hat z.E. Sophokles eines seiner Trauerspiele 'Die Trachinerinnen' genannt, welches man itziger Zeit schwerlich anders, als den 'sterbenden Herkules' nennen wuerde." Diese Bemerkung ist an und fuer sich sehr richtig; die Alten hielten den Titel fuer ganz unerheblich; sie glaubten im geringsten nicht, dass er den Inhalt angeben muesse; genug, wenn dadurch ein Stueck von dem andern unterschieden ward, und hiezu ist der kleinste Umstand hinlaenglich. Allein, gleichwohl glaube ich schwerlich, dass Sophokles das Stueck, welches er "Die Trachinerinnen" ueberschrieb, wuerde haben "Dejanira" nennen wollen. Er stand nicht an, ihm einen nichtsbedeutenden Titel zu geben, aber ihm einen verfuehrerischen Titel zu geben, einen Titel, der unsere Aufmerksamkeit auf einen falschen Punkt richtet, dessen moechte er sich ohne Zweifel mehr bedacht haben. Die Besorgnis des Corneille ging hiernaechst zu weit; wer die aegyptische Kleopatra kennet, weiss auch, dass Syrien nicht Aegypten ist, weiss, dass mehr Koenige und Koeniginnen einerlei Namen gefuehrt haben: wer aber jene nicht kennt, kann sie auch mit dieser nicht verwechseln. Wenigstens haette Corneille in dem Stueck selbst den Namen Kleopatra nicht so sorgfaeltig vermeiden sollen; die Deutlichkeit hat in dem ersten Akte darunter gelitten; und der deutsche Uebersetzer tat daher sehr wohl, dass er sich ueber diese kleine Bedenklichkeit wegsetzte. Kein Skribent, am wenigsten ein Dichter, muss seine Leser oder Zuhoerer so gar unwissend annehmen; er darf auch gar wohl manchmal denken: was sie nicht wissen, das moegen sie fragen!
Claudine (le contrefaisant). Eh! eh! eh! di donc, Nicaise, avec tes cinq sols de monnoye, qu'est-ce que t'en veux faire?
Blaise. Eh! eh! eh! baille-moi cinq sols de monnoye, te dis-je.
Claudine. Pourquoi donc, Nicodeme?
Blaise. Pour ce garcon qui apporte mon paquet depis la voiture jusqu'a cheux nous, pendant que je marchois tout bellement et a mon aise.
Claudine. T'es venu dans la voiture?
Blaise. Oui, parce que cela est plus commode.
Claudine. T'a baille un ecu?
Blaise. Oh bian noblement. Combien faut-il? ai-je fait. Un ecu, ce m'a-t-on fait. Tenez, le vela, prennez. Tout comme ca.
Claudine. Et tu depenses cinq sols en porteurs de paquets?
Blaise. Oui, par maniere de recreation.
Arlequin. Est-ce pour moi les cinq sols, Monsieur Blaise?
Blaise. Oui, mon ami. etc.