Kitabı oku: «Hamburgische Dramaturgie», sayfa 27

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Achtundsiebzigstes Stueck Den 29. Januar 1768

2. Da die Gegner des Aristoteles nicht in acht nahmen, was fuer Leidenschaften er eigentlich, durch das Mitleid und die Furcht der Tragoedie, in uns gereiniget haben wollte: so war es natuerlich, dass sie sich auch mit der Reinigung selbst irren mussten. Aristoteles verspricht am Ende seiner "Politik", wo er von der Reinigung der Leidenschaften durch die Musik redet, von dieser Reinigung in seiner Dichtkunst weitlaeuftiger zu handeln. "Weil man aber", sagt Corneille, "ganz und gar nichts von dieser Materie darin findet, so ist der groesste Teil seiner Ausleger auf die Gedanken geraten, dass sie nicht ganz auf uns gekommen sei." Gar nichts? Ich meinesteils glaube, auch schon in dem, was uns von seiner Dichtkunst noch uebrig, es mag viel oder wenig sein, alles zu finden, was er einem, der mit seiner Philosophie sonst nicht ganz unbekannt ist, ueber diese Sache zu sagen fuer noetig halten konnte. Corneille selbst bemerkte eine Stelle, die uns, nach seiner Meinung, Licht genug geben koenne, die Art und Weise zu entdecken, auf welche die Reinigung der Leidenschaften in der Tragoedie geschehe: naemlich die, wo Aristoteles sagt, "das Mitleid verlange einen, der unverdient leide, und die Furcht einen unsersgleichen". Diese Stelle ist auch wirklich sehr wichtig, nur dass Corneille einen falschen Gebrauch davon machte, und nicht wohl anders als machen konnte, weil er einmal die Reinigung der Leidenschaften ueberhaupt im Kopfe hatte. "Das Mitleid mit dem Ungluecke", sagt er, "von welchem wir unsersgleichen befallen sehen, erweckt in uns die Furcht, dass uns ein aehnliches Unglueck treffen koenne; diese Furcht erweckt die Begierde, ihm auszuweichen; und diese Begierde ein Bestreben, die Leidenschaft, durch welche die Person, die wir bedauern, sich ihr Unglueck vor unsern Augen zuziehet, zu reinigen, zu maessigen, zu bessern, ja gar auszurotten; indem einem jeden die Vernunft sagt, dass man die Ursache abschneiden muesse, wenn man die Wirkung vermeiden wolle." Aber dieses Raisonnement, welches die Furcht bloss zum Werkzeuge macht, durch welches das Mitleid die Reinigung der Leidenschaften bewirkt, ist falsch und kann unmoeglich die Meinung des Aristoteles sein; weil sonach die Tragoedie gerade alle Leidenschaften reinigen koennte, nur nicht die zwei, die Aristoteles ausdruecklich durch sie gereiniget wissen will. Sie koennte unsern Zorn, unsere Neugierde, unsern Neid, unsern Ehrgeiz, unsern Hass und unsere Liebe reinigen, so wie es die eine oder die andere Leidenschaft ist, durch die sich die bemitleidete Person ihr Unglueck zugezogen. Nur unser Mitleid und unsere Furcht muesste sie ungereiniget lassen. Denn Mitleid und Furcht sind die Leidenschaften, die in der Tragoedie wir, nicht aber die handelnden Personen empfinden; sind die Leidenschaften, durch welche die handelnden Personen uns ruehren, nicht aber die, durch welche sie sich selbst ihre Unfaelle zuziehen. Es kann ein Stueck geben, in welchem sie beides sind: das weiss ich wohl. Aber noch kenne ich kein solches Stueck: ein Stueck naemlich, in welchem sich die bemitleidete Person durch ein uebelverstandenes Mitleid oder durch eine uebelverstandene Furcht ins Unglueck stuerze. Gleichwohl wuerde dieses Stueck das einzige sein, in welchem, so wie es Corneille versteht, das geschaehe, was Aristoteles will, dass es in allen Tragoedien geschehen soll: und auch in diesem einzigen wuerde es nicht auf die Art geschehen, auf die es dieser verlangt. Dieses einzige Stueck wuerde gleichsam der Punkt sein, in welchem zwei gegeneinander sich neigende gerade Linien zusammentreffen, um sich in alle Unendlichkeit nicht wieder zu begegnen.—So gar sehr konnte Dacier den Sinn des Aristoteles nicht verfehlen. Er war verbunden, auf die Worte seines Autors aufmerksamer zu sein, und diese besagen es zu positiv, dass unser Mitleid und unsere Furcht durch das Mitleid und die Furcht der Tragoedie gereiniget werden sollen. Weil er aber ohne Zweifel glaubte, dass der Nutzen der Tragoedie sehr gering sein wuerde, wenn er bloss hierauf eingeschraenkt waere: so liess er sich verleiten, nach der Erklaerung des Corneille, ihr die ebenmaessige Reinigung auch aller uebrigen Leidenschaften beizulegen. Wie nun Corneille diese fuer sein Teil leugnete und in Beispielen zeigte, dass sie mehr ein schoener Gedanke, als eine Sache sei, die gewoehnlicherweise zur Wirklichkeit gelange: so musste er sich mit ihm in diese Beispiele selbst einlassen, wo er sich denn so in der Enge fand, dass er die gewaltsamsten Drehungen und Wendungen machen musste, um seinen Aristoteles mit sich durchzubringen. Ich sage seinen Aristoteles: denn der rechte ist weit entfernt, solcher Drehungen und Wendungen zu beduerfen. Dieser, um es abermals und abermals zu sagen, hat an keine andere Leiden- schaften gedacht, welche das Mitleid und die Furcht der Tragoedie reinigen solle, als an unser Mitleid und unsere Furcht selbst; und es ist ihm sehr gleichgueltig, ob die Tragoedie zur Reinigung der uebrigen Leidenschaften viel oder wenig beitraegt. An jene Reinigung haette sich Dacier allein halten sollen: aber freilich haette er sodann auch einen vollstaendigem Begriff damit verbinden muessen. "Wie die Tragoedie", sagt er, "Mitleid und Furcht errege, um Mitleid und Furcht zu reinigen, das ist nicht schwer zu erklaeren. Sie erregt sie, indem sie uns das Unglueck vor Augen stellet, in das unsersgleichen durch nicht vorsaetzliche Fehler gefallen sind; und sie reiniget sie, indem sie uns mit diesem naemlichen Ungluecke bekannt macht und uns dadurch lehret, es weder allzusehr zu fuerchten, noch allzusehr davon geruehrt zu werden, wann es uns wirklich selbst treffen sollte.—Sie bereitet die Menschen, die allerwidrigsten Zufaelle mutig zu ertragen, und macht die Allerelendesten geneigt, sich fuer gluecklich zu halten, indem sie ihre Ungluecksfaelle mit weit groessern vergleichen, die ihnen die Tragoedie vorstellet. Denn in welchen Umstaenden kann sich wohl ein Mensch finden, der bei Erblickung eines Oedips, eines Philoktets, eines Orests nicht erkennen muesste, dass alle Uebel, die er zu erdulden, gegen die, welche diese Maenner erdulden muessen, gar nicht in Vergleichung gekommen?" Nun das ist wahr; diese Erklaerung kann dem Dacier nicht viel Kopfbrechens gemacht haben. Er fand sie fast mit den naemlichen Worten bei einem Stoiker, der immer ein Auge auf die Apathie hatte. Ohne ihm indes einzuwenden, dass das Gefuehl unsers eigenen Elendes nicht viel Mitleid neben sich duldet; dass folglich bei dem Elenden, dessen Mitleid nicht zu erregen ist, die Reinigung oder Linderung seiner Betruebnis durch das Mitleid nicht erfolgen kann: will ich ihm alles, so wie er es sagt, gelten lassen. Nur fragen muss ich: wieviel er nun damit gesagt? Ob er im geringsten mehr damit gesagt, als, dass das Mitleid unsere Furcht reinige? Gewiss nicht: und das waere doch nur kaum der vierte Teil der Foderung des Aristoteles. Denn wenn Aristoteles behauptet, dass die Tragoedie Mitleid und Furcht errege, um Mitleid und Furcht zu reinigen: wer sieht nicht, dass dieses weit mehr sagt, als Dacier zu erklaeren fuer gut befunden? Denn, nach den verschiedenen Kombinationen der hier vorkommenden Begriffe, muss der, welcher den Sinn des Aristoteles ganz erschoepfen will, stueckweise zeigen, 1. wie das tragische Mitleid unser Mitleid, 2. wie die tragische Furcht unsere Furcht, 3. wie das tragische Mitleid unsere Furcht, und 4. wie die tragische Furcht unser Mitleid reinigen koenne und wirklich reinige. Dacier aber hat sich nur an den dritten Punkt gehalten, und auch diesen nur sehr schlecht, und auch diesen nur zur Haelfte erlaeutert. Denn wer sich um einen richtigen und vollstaendigen Begriff von der Aristotelischen Reinigung der Leidenschaften bemueht hat, wird finden, dass jeder von jenen vier Punkten einen doppelten Fall in sich schliesset. Da naemlich, es kurz zu sagen, diese Reinigung in nichts anders beruhet, als in der Verwandlung der Leidenschaften in tugendhafte Fertigkeiten, bei jeder Tugend aber, nach unserm Philosophen, sich diesseits und jenseits ein Extremum findet, zwischen welchem sie innestehet: so muss die Tragoedie, wenn sie unser Mitleid in Tugend verwandeln soll, uns von beiden Extremis des Mitleids zu reinigen vermoegend sein; welches auch von der Furcht zu verstehen. Das tragische Mitleid muss nicht allein, in Ansehung des Mitleids, die Seele desjenigen reinigen, welcher zu viel Mitleid fuehlet, sondern auch desjenigen, welcher zu wenig empfindet. Die tragische Furcht muss nicht allein, in Ansehung der Furcht, die Seele desjenigen reinigen, welcher sich ganz und gar keines Ungluecks befuerchtet, sondern auch desjenigen, den ein jedes Unglueck, auch das entfernteste, auch das unwahrscheinlichste, in Angst setzet. Gleichfalls muss das tragische Mitleid, in Ansehung der Furcht, dem was zu viel, und dem was zu wenig, steuern: so wie hinwiederum die tragische Furcht, in Ansehung des Mitleids. Dacier aber, wie gesagt, hat nur gezeigt, wie das tragische Mitleid unsere allzugrosse Furcht maessige: und noch nicht einmal, wie es dem gaenzlichen Mangel derselben abhelfe oder sie in dem, welcher allzu wenig von ihm empfindet, zu einem heilsamem Grade erhoehe; geschweige, dass er auch das uebrige sollte gezeigt haben. Die nach ihm gekommen, haben, was er unterlassen, auch im geringsten nicht ergaenzet; aber wohl sonst, um nach ihrer Meinung den Nutzen der Tragoedie voellig ausser Streit zu setzen, Dinge dahin gezogen, die dem Gedichte ueberhaupt, aber keinesweges der Tragoedie, als Tragoedie, insbesondere zukommen; z.E. dass sie die Triebe der Menschlichkeit naehren und staerken; dass sie Liebe zur Tugend und Hass gegen das Laster wirken solle usw.123 Lieber! welches Gedicht sollte das nicht? Soll es aber ein jedes: so kann es nicht das unterscheidende Kennzeichen der Tragoedie sein; so kann es nicht das sein, was wir suchten.

Neunundsiebzigstes Stueck Den 2. Februar 1768

Und nun wieder auf unsern Richard zu kommen.—Richard also erweckt ebensowenig Schrecken, als Mitleid: weder Schrecken in dem gemissbrauchten Verstande, fuer die ploetzliche Ueberraschung des Mitleids; noch in dem eigentlichen Verstande des Aristoteles, fuer heilsame Furcht, dass uns ein aehnliches Unglueck treffen koenne. Denn wenn er diese erregte, wuerde er auch Mitleid erregen; so gewiss er hinwiederum Furcht erregen wuerde, wenn wir ihn unsers Mitleids nur im geringsten wuerdig faenden. Aber er ist so ein abscheulicher Kerl, so ein eingefleischter Teufel, in dem wir so voellig keinen einzigen aehnlichen Zug mit uns selbst finden, dass ich glaube, wir koennten ihn vor unsern Augen den Martern der Hoelle uebergeben sehen, ohne das geringste fuer ihn zu empfinden, ohne im geringsten zu fuerchten, dass, wenn solche Strafe nur auf solche Verbrechen folge, sie auch unsrer erwarte. Und was ist endlich das Unglueck, die Strafe, die ihn trifft? Nach so vielen Missetaten, die wir mit ansehen muessen, hoeren wir, dass er mit dem Degen in der Faust gestorben. Als der Koenigin dieses erzaehlt wird, laesst sie der Dichter sagen:

"Dies ist etwas!"—

Ich habe mich nie enthalten koennen, bei mir nachzusprechen: nein, das ist gar nichts! Wie mancher gute Koenig ist so geblieben, indem er seine Krone wider einen maechtigen Rebellen behaupten wollen? Richard stirbt doch, als ein Mann, auf dem Bette der Ehre. Und so ein Tod sollte mich fuer den Unwillen schadlos halten, den ich das ganze Stueck durch ueber den Triumph seiner Bosheiten empfunden? (Ich glaube, die griechische Sprache ist die einzige, welche ein eigenes Wort hat, diesen Unwillen ueber das Glueck eines Boesewichts auszudruecken: [Greek: nemesis, nemesan.]124) Sein Tod selbst, welcher wenigstens meine Gerechtigkeitsliebe befriedigen sollte, unterhaelt noch meine Nemesis. Du bist wohlfeil weggekommen! denke ich: aber gut, dass es noch eine andere Gerechtigkeit gibt, als die poetische!

Man wird vielleicht sagen: nun wohl! wir wollen den Richard aufgeben; das Stueck heisst zwar nach ihm; aber er ist darum nicht der Held desselben, nicht die Person, durch welche die Absicht der Tragoedie erreicht wird; er hat nur das Mittel sein sollen, unser Mitleid fuer andere zu erregen. Die Koenigin, Elisabeth, die Prinzen, erregen diese nicht Mitleid?—

Um allem Wortstreite auszuweichen: ja. Aber was ist es fuer eine fremde, herbe Empfindung, die sich in mein Mitleid fuer diese Personen mischt? die da macht, dass ich mir dieses Mitleid ersparen zu koennen wuenschte? Das wuensche ich mir bei dem tragischen Mitleid doch sonst nicht; ich verweile gern dabei; und danke dem Dichter fuer eine so suesse Qual.

Aristoteles hat es wohl gesagt, und das wird es ganz gewiss sein! Er spricht von einem [Greek: miaron], von einem Graesslichen, das sich bei dem Ungluecke ganz guter, ganz unschuldiger Personen finde. Und sind nicht die Koenigin, Elisabeth, die Prinzen vollkommen solche Personen? Was haben sie getan? wodurch haben sie es sich zugezogen, dass sie in den Klauen dieser Bestie sind? Ist es ihre Schuld, dass sie ein naeheres Recht auf den Thron haben als er? Besonders die kleinen wimmernden Schlachtopfer, die noch kaum rechts und links unterscheiden koennen! Wer wird leugnen, dass sie unsern ganzen Jammer verdienen? Aber ist dieser Jammer, der mich mit Schaudern an die Schicksale der Menschen denken laesst, dem Murren wider die Vorsehung sich zugesellet und Verzweiflung von weiten nachschleicht, ist dieser Jammer—ich will nicht fragen, Mitleid?—Er heisse, wie er wolle—Aber ist er das, was eine nachahmende Kunst erwecken sollte?

Man sage nicht: erweckt ihn doch die Geschichte; gruendet er sich doch auf etwas, das wirklich geschehen ist.—Das wirklich geschehen ist? es sei: so wird es seinen guten Grund in dem ewigen unendlichen Zusammenhange aller Dinge haben. In diesem ist Weisheit und Guete, was uns in den wenigen Gliedern, die der Dichter herausnimmt, blindes Geschick und Grausamkeit scheinet. Aus diesen wenigen Gliedern sollte er ein Ganzes machen, das voellig sich rundet, wo eines aus dem andern sich voellig erklaeret, wo keine Schwierigkeit aufstoesst, derenwegen wir die Befriedigung nicht in seinem Plane finden, sondern sie ausser ihm, in dem allgemeinen Plane der Dinge suchen muessen; das Ganze dieses sterblichen Schoepfers sollte ein Schattenriss von dem Ganzen des ewigen Schoepfers sein; sollte uns an den Gedanken gewoehnen, wie sich in ihm alles zum Besten aufloese, werde es auch in jenem geschehen: und er vergisst diese seine edelste Bestimmung so sehr, dass er die unbegreiflichen Wege der Vorsicht mit in seinen kleinen Zirkel flicht und geflissentlich unsern Schauder darueber erregt?—O verschonet uns damit, ihr, die ihr unser Herz in eurer Gewalt habt! Wozu diese traurige Empfindung? Uns Unterwerfung zu lehren? Diese kann uns nur die kalte Vernunft lehren; und wenn die Lehre der Vernunft in uns bekleiben soll, wenn wir, bei unserer Unterwerfung, noch Vertrauen und froehlichen Mut behalten sollen: so ist es hoechst noetig, dass wir an die verwirrenden Beispiele solcher unverdienten schrecklichen Verhaengnisse so wenig als moeglich erinnert werden. Weg mit ihnen von der Buehne! Weg, wenn es sein koennte, aus allen Buechern mit ihnen!—

Wenn nun aber der Personen des Richards keine einzige die erforderlichen Eigenschaften hat, die sie haben muessten, falls er wirklich das sein sollte, was er heisst: wodurch ist er gleichwohl ein so interessantes Stueck geworden, wofuer ihn unser Publikum haelt? Wenn er nicht Mitleid und Furcht erregt: was ist denn seine Wirkung? Wirkung muss er doch haben und hat sie. Und wenn er Wirkung hat: ist es nicht gleichviel, ob er diese oder ob er jene hat? Wenn er die Zuschauer beschaeftiget, wenn er sie vergnuegt: was will man denn mehr? Muessen sie denn notwendig nur nach den Regeln des Aristoteles beschaeftiget und vergnuegt werden?

Das klingt so unrecht nicht: aber es ist darauf zu antworten. Ueberhaupt: wenn Richard schon keine Tragoedie waere, so bleibt er doch ein dramatisches Gedicht; wenn ihm schon die Schoenheiten der Tragoedie mangelten, so koennte er doch sonst Schoenheiten haben. Poesie des Ausdrucks; Bilder; Tiraden; kuehne Gesinnungen; einen feurigen hinreissenden Dialog; glueckliche Veranlassungen fuer den Akteur, den ganzen Umfang seiner Stimme mit den mannigfaltigsten Abwechselungen zu durchlaufen, seine ganze Staerke in der Pantomime zu zeigen usw.

Von diesen Schoenheiten hat Richard viele, und hat auch noch andere, die den eigentlichen Schoenheiten der Tragoedie naeher kommen.

Richard ist ein abscheulicher Boesewicht: aber auch die Beschaeftigung unsers Abscheues ist nicht ganz ohne Vergnuegen; besonders in der Nachahmung.

Auch das Ungeheuere in den Verbrechen partizipieret von den Empfindungen, welche Groesse und Kuehnheit in uns erwecken.

Alles, was Richard tut, ist Greuel; aber alle diese Greuel geschehen in Absicht auf etwas; Richard hat einen Plan; und ueberall, wo wir einen Plan wahrnehmen, wird unsere Neugierde rege; wir warten gern mit ab, ob er ausgefuehrt wird werden, und wie er es wird werden; wir lieben das Zweckmaessige so sehr, dass es uns, auch unabhaengig von der Moralitaet des Zweckes, Vergnuegen gewaehret.

Wir wollten, dass Richard seinen Zweck erreichte: und wir wollten, dass er ihn auch nicht erreichte. Das Erreichen erspart uns das Missvergnuegen ueber ganz vergebens angewandte Mittel: wenn er ihn nicht erreicht, so ist so viel Blut voellig umsonst vergossen worden; da es einmal vergossen ist, moechten wir es nicht gern, auch noch bloss vor langer Weile, vergossen finden. Hinwiederum waere dieses Erreichen das Frohlocken der Bosheit; nichts hoeren wir ungerner; die Absicht interessierte uns, als zu erreichende Absicht; wenn sie aber nun erreicht waere, wuerden wir nichts als das Abscheuliche derselben erblicken, wuerden wir wuenschen, dass sie nicht erreicht waere; diesen Wunsch sehen wir voraus, und uns schaudert vor der Erreichung.

Die guten Personen des Stuecks lieben wir; eine so zaertliche feurige Mutter, Geschwister, die so ganz eines in dem andern leben; diese Gegenstaende gefallen immer, erregen immer die suessesten sympathetischen Empfindungen, wir moegen sie finden, wo wir wollen. Sie ganz ohne Schuld leiden zu sehen, ist zwar herbe, ist zwar fuer unsere Ruhe, zu unserer Besserung kein sehr erspriessliches Gefuehl: aber es ist doch immer Gefuehl.

Und sonach beschaeftiget uns das Stueck durchaus, und vergnuegt durch diese Beschaeftigung unserer Seelenkraefte. Das ist wahr; nur die Folge ist nicht wahr, die man daraus zu ziehen meinet: naemlich, dass wir also damit zufrieden sein koennen.

Ein Dichter kann viel getan, und doch noch nichts damit vertan haben. Nicht genug, dass sein Werk Wirkungen auf uns hat: es muss auch die haben, die ihm, vermoege der Gattung, zukommen; es muss diese vornehmlich haben, und alle andere koennen den Mangel derselben auf keine Weise ersetzen; besonders wenn die Gattung von der Wichtigkeit und Schwierigkeit und Kostbarkeit ist, dass alle Muehe und aller Aufwand vergebens waere, wenn sie weiter nichts als solche Wirkungen hervorbringen wollte, die durch eine leichtere und weniger Anstalten erfordernde Gattung ebensowohl zu erhalten waeren. Ein Bund Stroh aufzuheben, muss man keine Maschinen in Bewegung setzen; was ich mit dem Fusse umstossen kann, muss ich nicht mit einer Mine sprengen wollen; ich muss keinen Scheiterhaufen anzuenden, um eine Muecke zu verbrennen.

Achtzigstes Stueck Den 5. Februar 1768

Wozu die sauere Arbeit der dramatischen Form? wozu ein Theater erbauet, Maenner und Weiber verkleidet, Gedaechtnisse gemartert, die ganze Stadt auf einen Platz geladen? wenn ich mit meinem Werke, und mit der Auffuehrung desselben, weiter nichts hervorbringen will, als einige von den Regungen, die eine gute Erzaehlung, von jedem zu Hause in seinem Winkel gelesen, ungefaehr auch hervorbringen wuerde.

Die dramatische Form ist die einzige, in welcher sich Mitleid und Furcht erregen laesst; wenigstens koennen in keiner andern Form diese Leidenschaften auf einen so hohen Grad erreget werden: und gleichwohl will man lieber alle andere darin erregen, als diese; gleichwohl will man sie lieber zu allem andern brauchen, als zu dem, wozu sie so vorzueglich geschickt ist.

Das Publikum nimmt vorlieb.—Das ist gut, und auch nicht gut. Denn man sehnt sich nicht sehr nach der Tafel, an der man immer vorlieb nehmen muss.

Es ist bekannt, wie erpicht das griechische und roemische Volk auf die Schauspiele waren; besonders jenes, auf das tragische. Wie gleichgueltig, wie kalt dagegen unser Volk fuer das Theater! Woher diese Verschiedenheit, wenn sie nicht daher koemmt, dass die Griechen vor ihrer Buehne sich mit so starken, so ausserordentlichen Empfindungen begeistert fuehlten, dass sie den Augenblick nicht erwarten konnten, sie abermals und abermals zu haben: dahingegen wir uns vor unserer Buehne so schwacher Eindruecke bewusst sind, dass wir es selten der Zeit und des Geldes wert halten, sie uns zu verschaffen? Wir gehen, fast alle, fast immer, aus Neugierde, aus Mode, aus Langerweile, aus Gesellschaft, aus Begierde zu begaffen und begafft zu werden, ins Theater: und nur wenige, und diese wenige nur sparsam, aus anderer Absicht.

Ich sage, wir, unser Volk, unsere Buehne: ich meine aber nicht bloss, uns Deutsche. Wir Deutsche bekennen es treuherzig genug, dass wir noch kein Theater haben. Was viele von unsern Kunstrichtern, die in dieses Bekenntnis mit einstimmen und grosse Verehrer des franzoesischen Theaters sind, dabei denken: das kann ich so eigentlich nicht wissen. Aber ich weiss wohl, was ich dabei denke. Ich denke naemlich dabei: dass nicht allein wir Deutsche; sondern, dass auch die, welche sich seit hundert Jahren ein Theater zu haben ruehmen, ja das beste Theater von ganz Europa zu haben prahlen,—dass auch die Franzosen noch kein Theater haben.

Kein tragisches gewiss nicht! Denn auch die Eindruecke, welche die franzoesische Tragoedie macht, sind so flach, so kalt!—Man hoere einen Franzosen selbst davon sprechen.

"Bei den hervorstechenden Schoenheiten unsers Theaters", sagt der Herr von Voltaire, "fand sich ein verborgner Fehler, den man nicht bemerkt hatte, weil das Publikum von selbst keine hoehere Ideen haben konnte, als ihm die grossen Meister durch ihre Muster beibrachten. Der einzige Saint-Evremond hat diesen Fehler aufgemutzt; er sagt naemlich, dass unsere Stuecke nicht Eindruck genug machten, dass das, was Mitleid erwecken solle, aufs hoechste Zaertlichkeit errege, dass Ruehrung die Stelle der Erschuetterung, und Erstaunen die Stelle des Schreckens vertrete; kurz, dass unsere Empfindungen nicht tief genug gingen. Es ist nicht zu leugnen: Saint-Evremond hat mit dem Finger gerade auf die heimliche Wunde des franzoesischen Theaters getroffen. Man sage immerhin, dass Saint-Evremond der Verfasser der elenden Komoedie 'Sir Politik Wouldbe' und noch einer andern ebenso elenden, 'Die Opern' genannt, ist: dass seine kleinen gesellschaftlichen Gedichte das Kahlste und Gemeinste sind, was wir in dieser Gattung haben; dass er nichts als ein Phrasendrechsler war: man kann keinen Funken Genie haben und gleichwohl viel Witz und Geschmack besitzen. Sein Geschmack aber war unstreitig sehr fein, da er die Ursache, warum die meisten von unsern Stuecken so matt und kalt sind, so genau traf. Es hat uns immer an einem Grade von Waerme gefehlt: das andere hatten wir alles."

Das ist: wir hatten alles, nur nicht das, was wir haben sollten; unsere Tragoedien waren vortrefflich, nur dass es keine Tragoedien waren. Und woher kam es, dass sie das nicht waren?

"Diese Kaelte aber", faehrt er fort, "diese einfoermige Mattigkeit, entsprang zum Teil von dem kleinen Geiste der Galanterie, der damals unter unsern Hofleuten und Damen so herrschte und die Tragoedie in eine Folge von verliebten Gespraechen verwandelte, nach dem Geschmacke des 'Cyrus' und der 'Clelie'. Was fuer Stuecke sich hiervon noch etwa ausnahmen, die bestanden aus langen politischen Raisonnements, dergleichen den 'Sertorius' so verdorben, den 'Otho' so kalt, und den 'Surena' und 'Attila' so elend gemacht haben. Noch fand sich aber auch eine andere Ursache, die das hohe Pathetische von unserer Szene zurueckhielt und die Handlung wirklich tragisch zu machen verhinderte: und diese war das enge schlechte Theater mit seinen armseligen Verzierungen. —Was liess sich auf einem paar Dutzend Brettern, die noch dazu mit Zuschauern angefuellt waren, machen? Mit welchem Pomp, mit welchen Zuruestungen konnte man da die Augen der Zuschauer bestechen, fesseln, taeuschen? Welche grosse tragische Aktion liess sich da auffuehren? Welche Freiheit konnte die Einbildungskraft des Dichters da haben? Die Stuecke mussten aus langen Erzaehlungen bestehen, und so wurden sie mehr Gespraeche als Spiele. Jeder Akteur wollte in einer langen Monologe glaenzen, und ein Stueck, das dergleichen nicht hatte, ward verworfen.—Bei dieser Form fiel alle theatralische Handlung weg; fielen alle die grossen Ausdruecke der Leidenschaften, alle die kraeftigen Gemaelde der menschlichen Ungluecksfaelle, alle die schrecklichen bis in das Innerste der Seele dringende Zuege weg; man ruehrte das Herz nur kaum, anstatt es zu zerreissen."

Mit der ersten Ursache hat es seine gute Richtigkeit. Galanterie und Politik laesst immer kalt; und noch ist es keinem Dichter in der Welt gelungen, die Erregung des Mitleids und der Furcht damit zu verbinden. Jene lassen uns nichts als den Fat, oder den Schulmeister hoeren: und diese fodern, dass wir nichts als den Menschen hoeren sollen.

Aber die zweite Ursache?—Sollte es moeglich sein, dass der Mangel eines geraeumlichen Theaters und guter Verzierungen einen solchen Einfluss auf das Genie der Dichter gehabt haette? Ist es wahr, dass jede tragische Handlung Pomp und Zuruestungen erfodert? Oder sollte der Dichter nicht vielmehr sein Stueck so einrichten, dass es auch ohne diese Dinge seine voellige Wirkung hervorbraechte.

Nach dem Aristoteles sollte er es allerdings. "Furcht und Mitleid", sagt der Philosoph, "laesst sich zwar durchs Gesicht erregen; es kann aber auch aus der Verknuepfung der Begebenheiten selbst entspringen, welches letztere vorzueglicher, und die Weise des bessern Dichters ist. Denn die Fabel muss so eingerichtet sein, dass sie, auch ungesehen, den, der den Verlauf ihrer Begebenheiten bloss anhoert, zu Mitleid und Furcht ueber diese Begebenheiten bringet; so wie die Fabel des Oedips, die man nur anhoeren darf, um dazu gebracht zu werden. Diese Absicht aber durch das Gesicht erreichen wollen, erfodert weniger Kunst, und ist deren Sache, welche die Vorstellung des Stuecks uebernommen."

Wie entbehrlich ueberhaupt die theatralischen Verzierungen sind, davon will man mit den Stuecken des Shakespeares eine sonderbare Erfahrung gehabt haben. Welche Stuecke brauchten, wegen ihrer bestaendigen Unterbrechung und Veraenderung des Orts, des Beistandes der Szenen und der ganzen Kunst des Dekorateurs, wohl mehr, als eben diese? Gleichwohl war eine Zeit, wo die Buehnen, auf welchen sie gespielt wurden, aus nichts bestanden, als aus einem Vorhange von schlechtem groben Zeuge, der, wenn er aufgezogen war, die blossen blanken, hoechstens mit Matten oder Tapeten behangenen Waende zeigte; da war nichts als die Einbildung, was dem Verstaendnisse des Zuschauers und der Ausfuehrung des Spielers zu Hilfe kommen konnte: und demohngeachtet, sagt man, waren damals die Stuecke des Shakespeares ohne alle Szenen verstaendlicher, als sie es hernach mit denselben gewesen sind.125

Wenn sich also der Dichter um die Verzierung gar nicht zu bekuemmern hat; wenn die Verzierung, auch wo sie noetig scheinet, ohne besondere Nachteil seines Stuecks wegbleiben kann: warum sollte es an dem engen, schlechten Theater gelegen haben, dass uns die franzoesischen Dichter keine ruehrendere Stuecke geliefert? Nicht doch: es lag an ihnen selbst.

Und das beweiset die Erfahrung. Denn nun haben ja die Franzosen eine schoenere, geraeumlichere Buehne; keine Zuschauer werden mehr darauf geduldet; die Kulissen sind leer; der Dekorateur hat freies Feld; er malt und bauet dem Poeten alles, was dieser von ihm verlangt: aber wo sind sie denn, die waermern Stuecke, die sie seitdem erhalten haben? Schmeichelt sich der Herr von Voltaire, dass seine "Semiramis" ein solches Stueck ist? Da ist Pomp und Verzierung genug; ein Gespenst obendarein: und doch kenne ich nichts Kaelteres, als seine "Semiramis".

123.Hr. Curtius in seiner "Abhandlung von der Absicht des Trauerspiels", hinter der Aristotelischen Dichtkunst".
124.Arist. Rhet., lib. II. cap. 9.
125.("Cibber's Lives of the Poets of G. B. and Ir." Vol. II. p. 78. 79.)—Some have insinuated, that fine scenes proved the ruin of acting. —In the reign of Charles I. there was nothing more than a curtain of very coarse stuff, upon the drawing up of which, the stage appeared either with bare walls on the sides, coarsly matted, or covered with tapestry; so that for the place originally represented, and all the successive changes, in which the poets of those times freely indulged themselves, there was nothing to help the spectator's understanding, or to assist the actor's performance, but bare imagination.—The spirit and judgement of the actors supplied all deficiencies, and made as some would insinuate, plays more intelligible without scenes than they afterwards were with them.
Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 eylül 2018
Hacim:
620 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
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