Kitabı oku: «Hamburgische Dramaturgie», sayfa 6

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Funfzehntes Stueck Den 19. Junius 1767

Den sechzehnten Abend (mittewochs, den 13. Mai) ward die "Zaire" des Herrn von Voltaire aufgefuehrt.

"Den Liebhabern der gelehrten Geschichte", sagt der Hr. von Voltaire, "wird es nicht unangenehm sein, zu wissen, wie dieses Stueck entstanden. Verschiedene Damen hatten dem Verfasser vorgeworfen, dass in seinen Tragoedien nicht genug Liebe waere. Er antwortete ihnen, dass seiner Meinung nach die Tragoedie auch eben nicht der schicklichste Ort fuer die Liebe sei; wenn sie aber doch mit aller Gewalt verliebte Helden haben muessten, so wolle er ihnen welche machen, so gut als ein anderer. Das Stueck ward in achtzehn Tagen vollendet und fand grossen Beifall. Man nennt es zu Paris ein christliches Trauerspiel, und es ist oft, anstatt des Polyeukts, vorgestellet worden."

Den Damen haben wir also dieses Stueck zu verdanken, und es wird noch lange das Lieblingsstueck der Damen bleiben. Ein junger feuriger Monarch, nur der Liebe unterwuerfig; ein stolzer Sieger, nur von der Schoenheit besiegt; ein Sultan ohne Polygamie; ein Seraglio, in den freien zugaenglichen Sitz einer unumschraenkten Gebieterin verwandelt; ein verlassenes Maedchen, zur hoechsten Staffel des Gluecks, durch nichts als ihre schoenen Augen, erhoehet; ein Herz, um das Zaertlichkeit und Religion streiten, das sich zwischen seinen Gott und seinen Abgott teilet, das gern fromm sein moechte, wenn es nur nicht aufhoeren sollte zu lieben; ein Eifersuechtiger, der sein Unrecht erkennet und es an sich selbst raechet; wenn diese schmeichelnde Ideen das schoene Geschlecht nicht bestechen, durch was liesse es sich denn bestechen?

Die Liebe selbst hat Voltairen die Zaire diktiert: sagt ein Kunstrichter artig genug. Richtiger haette er gesagt: die Galanterie. Ich kenne nur eine Tragoedie, an der die Liebe selbst arbeiten helfen; und das ist "Romeo und Juliet", vom Shakespeare. Es ist wahr, Voltaire laesst seine verliebte Zaire ihre Empfindungen sehr fein, sehr anstaendig ausdruecken; aber was ist dieser Ausdruck gegen jenes lebendige Gemaelde aller der kleinsten geheimsten Raenke, durch die sich die Liebe in unsere Seele einschleicht, aller der unmerklichen Vorteile, die sie darin gewinnet, aller der Kunstgriffe, mit denen sie jede andere Leidenschaft unter sich bringt, bis sie der einzige Tyrann aller unserer Begierden und Verabscheuungen wird? Voltaire verstehet, wenn ich so sagen darf, den Kanzeleistil der Liebe vortrefflich; das ist, diejenige Sprache, denjenigen Ton der Sprache, den die Liebe braucht, wenn sie sich auf das behutsamste und gemessenste ausdruecken will, wenn sie nichts sagen will, als was sie bei der sproeden Sophistin und bei dem kalten Kunstrichter verantworten kann. Aber der beste Kanzeliste weiss von den Geheimnissen der Regierung nicht immer das meiste; oder hat gleichwohl Voltaire in das Wesen der Liebe eben die tiefe Einsicht, die Shakespeare gehabt, so hat er sie wenigstens hier nicht zeigen wollen, und das Gedicht ist weit unter dem Dichter geblieben.

Von der Eifersucht laesst sich ohngefaehr eben das sagen. Der eifersuechtige Orosman spielt gegen den eifersuechtigen Othello des Shakespeare eine sehr kahle Figur. Und doch ist Othello offenbar das Vorbild des Orosman gewesen. Cibber sagt,5 Voltaire habe sich des Brandes bemaechtiget, der den tragischen Scheiterhaufen des Shakespeare in Glut gesetzt. Ich haette gesagt: eines Brandes aus diesem flammenden Scheiterhaufen; und noch dazu eines, der mehr dampft, als leuchtet und waermet. Wir hoeren in dem Orosman einen Eifersuechtigen reden, wir sehen ihn die rasche Tat eines Eifersuechtigen begehen; aber von der Eifersucht selbst lernen wir nicht mehr und nicht weniger, als wir vorher wussten. Othello hingegen ist das vollstaendigste Lehrbuch ueber diese traurige Raserei; da koennen wir alles lernen, was sie angeht, sie erwecken und sie vermeiden.

Aber ist es denn immer Shakespeare, werden einige meiner Leser fragen, immer Shakespeare, der alles besser verstanden hat als die Franzosen? Das aergert uns; wir koennen ihn ja nicht lesen.—Ich ergreife diese Gelegenheit, das Publikum an etwas zu erinnern, das es vorsaetzlich vergessen zu wollen scheinet. Wir haben eine Uebersetzung von Shakespeare. Sie ist noch kaum fertig geworden, und niemand bekuemmert sich schon mehr darum. Die Kunstrichter haben viel Boeses davon gesagt. Ich haette grosse Lust, sehr viel Gutes davon zu sagen. Nicht, um diesen gelehrten Maennern zu widersprechen; nicht, um die Fehler zu verteidigen, die sie darin bemerkt haben: sondern weil ich glaube, dass man von diesen Fehlern kein solches Aufheben haette machen sollen. Das Unternehmen war schwer; ein jeder anderer, als Herr Wieland, wuerde in der Eil' noch oeftrer verstossen und aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit noch mehr ueberhuepft haben; aber was er gut gemacht hat, wird schwerlich jemand besser machen. So wie er uns den Shakespeare geliefert hat, ist es noch immer ein Buch, das man unter uns nicht genug empfehlen kann. Wir haben an den Schoenheiten, die es uns liefert, noch lange zu lernen, ehe uns die Flecken, mit welchen es sie liefert, so beleidigen, dass wir notwendig eine bessere Uebersetzung haben muessten.

Doch wieder zur "Zaire". Der Verfasser brachte sie im Jahre 1733 auf die Pariser Buehne; und drei Jahr darauf ward sie ins Englische uebersetzt, und auch in London auf dem Theater in Drury-Lane gespielt. Der Uebersetzer war Aaron Hill, selbst ein dramatischer Dichter, nicht von der schlechtesten Gattung. Voltaire fand sich sehr dadurch geschmeichelt, und was er, in dem ihm eigenen Tone der stolzen Bescheidenheit, in der Zuschrift seines Stuecks an den Englaender Falkener, davon sagt, verdient gelesen zu werden. Nur muss man nicht alles fuer vollkommen so wahr annehmen, als er es ausgibt. Wehe dem, der Voltairens Schriften ueberhaupt nicht mit dem skeptischen Geiste lieset, in welchem er einen Teil derselben geschrieben hat!

Er sagt z.E. zu seinem englischen Freunde: "Eure Dichter hatten eine Gewohnheit, der sich selbst Addison6 unterworfen; denn Gewohnheit ist so maechtig als Vernunft und Gesetz. Diese gar nicht vernuenftige Gewohnheit bestand darin, dass jeder Akt mit Versen beschlossen werden musste, die in einem ganz andern Geschmacke waren, als das Uebrige des Stuecks; und notwendig mussten diese Verse eine Vergleichung enthalten. Phaedra, indem sie abgeht, vergleicht sich sehr poetisch mit einem Rehe, Cato mit einem Felsen, und Kleopatra mit Kindern, die so lange weinen, bis sie einschlafen. Der Uebersetzer der "Zaire" ist der erste, der es gewagt hat, die Rechte der Natur gegen einen von ihr so entfernten Geschmack zu behaupten. Er hat diesen Gebrauch abgeschafft; er hat es empfunden, dass die Leidenschaft ihre wahre Sprache fuehren und der Poet sich ueberall verbergen muesse, um uns nur den Helden erkennen zu lassen."

Es sind nicht mehr als nur drei Unwahrheiten in dieser Stelle; und das ist fuer den Hrn. von Voltaire eben nicht viel. Wahr ist es, dass die Englaender, vom Shakespeare an, und vielleicht auch von noch laenger her, die Gewohnheit gehabt, ihre Aufzuege in ungereimten Versen mit ein paar gereimten Zeilen zu enden. Aber dass diese gereimten Zeilen nichts als Vergleichungen enthielten, dass sie notwendig Vergleichungen enthalten muessen, das ist grundfalsch; und ich begreife gar nicht, wie der Herr von Voltaire einem Englaender, von dem er doch glauben konnte, dass er die tragischen Dichter seines Volkes auch gelesen habe, so etwas unter die Nase sagen koennen. Zweitens ist es nicht an dem, dass Hill in seiner Uebersetzung der "Zaire" von dieser Gewohnheit abgegangen. Es ist zwar beinahe nicht glaublich, dass der Hr. von Voltaire die Uebersetzung seines Stuecks nicht genauer sollte angesehen haben, als ich oder ein anderer. Gleichwohl muss es so sein. Denn so gewiss sie in reimfreien Versen ist, so gewiss schliesst sich auch jeder Akt mit zwei oder vier gereimten Zellen. Vergleichungen enthalten sie freilich nicht; aber, wie gesagt, unter allen dergleichen gereimten Zeilen, mit welchen Shakespeare und Jonson und Dryden und Lee und Otway und Rowe, und wie sie alle heissen, ihre Aufzuege schliessen, sind sicherlich hundert gegen fuenfe, die gleichfalls keine enthalten. Was hatte denn Hill also Besonders? Haette er aber auch wirklich das Besondere gehabt, das ihm Voltaire leihet: so waere doch drittens das nicht wahr, dass sein Beispiel von dem Einflusse gewesen, von dem es Voltaire sein laesst. Noch bis diese Stunde erscheinen in England ebensoviel, wo nicht noch mehr Trauerspiele, deren Akte sich mit gereimten Zellen enden, als die es nicht tun. Hill selbst hat in keinem einzigen Stuecke, deren er doch verschiedene, noch nach der Uebersetzung der "Zaire", gemacht, sich der alten Mode gaenzlich entaeussert. Und was ist es denn nun, ob wir zuletzt Reime hoeren oder keine? Wenn sie da sind, koennen sie vielleicht dem Orchester noch nutzen; als Zeichen naemlich, nach den Instrumenten zu greifen, welches Zeichen auf diese Art weit schicklicher aus dem Stuecke selbst abgenommen wuerde, als dass es die Pfeife oder der Schluessel gibt.

Sechzehntes Stueck Den 23. Junius 1767

Die englischen Schauspieler waren zu Hills Zeiten ein wenig sehr unnatuerlich; besonders war ihr tragisches Spiel aeusserst wild und uebertrieben; wo sie heftige Leidenschaften auszudruecken hatten, schrien und gebaerdeten sie sich als Besessene; und das uebrige toenten sie in einer steifen, strotzenden Feierlichkeit daher, die in jeder Silbe den Komoedianten verriet. Als er daher seine Uebersetzung der "Zaire" auffuehren zu lassen bedacht war, vertraute er die Rolle der Zaire einem jungen Frauenzimmer, das noch nie in der Tragoedie gespielt hatte. Er urteilte so: dieses junge Frauenzimmer hat Gefuehl und Stimme und Figur und Anstand; sie hat den falschen Ton des Theaters noch nicht angenommen; sie braucht keine Fehler erst zu verlernen; wenn sie sich nur ein paar Stunden ueberreden kann, das wirklich zu sein, was sie vorstellet, so darf sie nur reden, wie ihr der Mund gewachsen, und alles wird gut gehen. Es ging auch; und die Theaterpedanten, welche gegen Hillen behaupteten, dass nur eine sehr geuebte, sehr erfahrene Person einer solchen Rolle Genuege leisten koenne, wurden beschaemt. Diese junge Aktrice war die Frau des Komoedianten Theophilus Cibber, und der erste Versuch in ihrem achtzehnten Jahre ward ein Meisterstueck. Es ist merkwuerdig, dass auch die franzoesische Schauspielerin, welche die Zaire zuerst spielte, eine Anfaengerin war. Die junge reizende Mademoiselle Gaussin ward auf einmal dadurch beruehmt, und selbst Voltaire ward so entzueckt ueber sie, dass er sein Alter recht klaeglich bedauerte.

Die Rolle des Orosman hatte ein Anverwandter des Hill uebernommen, der kein Komoediant von Profession, sondern ein Mann von Stande war. Er spielte aus Liebhaberei und machte sich nicht das geringste Bedenken, oeffentlich aufzutreten, um ein Talent zu zeigen, das so schaetzbar als irgendein anders ist. In England sind dergleichen Exempel von angesehenen Leuten, die zu ihrem blossen Vergnuegen einmal mitspielen, nicht selten. "Alles was uns dabei befremden sollte", sagt der Hr. von Voltaire "ist dieses, dass es uns befremdet. Wir sollten ueberlegen, dass alle Dinge in der Welt von der Gewohnheit und Meinung abhangen. Der franzoesische Hof hat ehedem auf dem Theater mit den Opernspielern getanzt; und man hat weiter nichts Besonders dabei gefunden, als dass diese Art von Lustbarkeit aus der Mode gekommen. Was ist zwischen den beiden Kuensten fuer ein Unterschied, als dass die eine ueber die andere ebensoweit erhaben ist, als es Talente, welche vorzuegliche Seelenkraefte erfodern, ueber bloss koerperliche Fertigkeiten sind?"

Ins Italienische hat der Graf Gozzi die "Zaire" uebersetzt; sehr genau und sehr zierlich; sie stehet in dem dritten Teile seiner Werke. In welcher Sprache koennen zaertliche Klagen ruehrender klingen, als in dieser? Mit der einzigen Freiheit, die sich Gozzi gegen das Ende des Stuecks genommen, wird man schwerlich zufrieden sein. Nachdem sich Orosman erstochen, laesst ihn Voltaire nur noch ein paar Worte sagen, uns ueber das Schicksal des Nerestan zu beruhigen. Aber was tut Gozzi? Der Italiener fand es ohne Zweifel zu kalt, einen Tuerken so gelassen wegsterben zu lassen. Er legt also dem Orosman noch eine Tirade in den Mund, voller Ausrufungen, voller Winseln und Verzweiflung. Ich will sie der Seltenheit halber unter den Text setzen.7

Es ist doch sonderbar, wie weit sich hier der deutsche Geschmack von dem welschen entfernet! Dem Welschen ist Voltaire zu kurz; uns Deutschen ist er zu lang. Kaum hat Orosman gesagt "verehret und gerochen"; kaum hat er sich den toedlichen Stoss beigebracht, so lassen wir den Vorhang niederfallen. Ist es denn aber auch wahr, dass der deutsche Geschmack dieses so haben will? Wir machen dergleichen Verkuerzung mit mehrern Stuecken: aber warum machen wir sie? Wollen wir denn im Ernst, dass sich ein Trauerspiel wie ein Epigramm schliessen soll? Immer mit der Spitze des Dolchs, oder mit dem letzten Seufzer des Helden? Woher koemmt uns gelassenen, ernsten Deutschen die flatternde Ungeduld, sobald die Exekution vorbei, durchaus nun weiter nichts hoeren zu wollen, wenn es auch noch so wenige, zur voelligen Rundung des Stuecks noch so unentbehrliche Worte waeren? Doch ich forsche vergebens nach der Ursache einer Sache, die nicht ist. Wir haetten kalt Blut genug, den Dichter bis ans Ende zu hoeren, wenn es uns der Schauspieler nur zutrauen wollte. Wir wuerden recht gern die letzten Befehle des grossmuetigen Sultans vernehmen; recht gern die Bewunderung und das Mitleid des Nerestan noch teilen: aber wir sollen nicht. Und warum sollen wir nicht? Auf dieses warum weiss ich kein darum. Sollten wohl die Orosmansspieler daran schuld sein? Es waere begreiflich genug, warum sie gern das letzte Wort haben wollten. Erstochen und geklatscht! Man muss Kuenstlern kleine Eitelkeiten verzeihen.

Bei keiner Nation hat die "Zaire" einen schaerfern Kunstrichter gefunden, als unter den Hollaendern. Friedrich Duim, vielleicht ein Anverwandter des beruehmten Akteurs dieses Namens auf dem Amsterdamer Theater, fand so viel daran auszusetzen, dass er es fuer etwas Kleines hielt, eine bessere zu machen. Er machte auch wirklich eine—andere8, in der die Bekehrung der Zaire das Hauptwerk ist, und die sich damit endet, dass der Sultan ueber seine Liebe sieget und die christliche Zaire mit aller der Pracht in ihr Vaterland schicket, die ihrer vorgehabten Erhoehung gemaess ist; der alte Lusignan stirbt vor Freuden. Wer ist begierig, mehr davon zu wissen? Der einzige unverzeihliche Fehler eines tragischen Dichters ist dieser, dass er uns kalt laesst; er interessiere uns und mache mit den kleinen mechanischen Regeln, was er will. Die Duime koennen wohl tadeln, aber den Bogen des Ulysses muessen sie nicht selber spannen wollen. Dieses sage ich darum, weil ich nicht gern zurueck, von der misslungenen Verbesserung auf den Ungrund der Kritik geschlossen wissen moechte. Duims Tadel ist in vielen Stuecken ganz gegruendet; besonders hat er die Unschicklichkeiten, deren sich Voltaire in Ansehung des Orts schuldig macht, und das Fehlerhafte in dem nicht genugsam motivierten Auftreten und Abgehen der Personen, sehr wohl angemerkt. Auch ist ihm die Ungereimtheit der sechsten Szene im dritten Akte nicht entgangen. "Orosman", sagt er, "koemmt, Zairen in die Moschee abzuholen; Zaire weigert sich, ohne die geringste Ursache von ihrer Weigerung anzufuehren; sie geht ab, und Orosman bleibt als ein Laffe (als eenen lafhartigen) stehen. Ist das wohl seiner Wuerde gemaess? Reimet sich das wohl mit seinem Charakter? Warum dringt er nicht in Zairen, sich deutlicher zu erklaeren? Warum folgt er ihr nicht in das Seraglio? Durfte er ihr nicht dahin folgen?"—Guter Duim! wenn sich Zaire deutlicher erklaeret haette: wo haetten denn die andern Akte sollen herkommen? Waere nicht die ganze Tragoedie darueber in die Pilze gegangen?—Ganz recht! auch die zweite Szene des dritten Akts ist ebenso abgeschmackt: Orosman koemmt wieder zu Zairen; Zaire geht abermals, ohne die geringste naehere Erklaerung, ab, und Orosman, der gute Schlucker (dien goeden hals), troestet sich desfalls in einer Monologe. Aber, wie gesagt, die Verwickelung oder Ungewissheit musste doch bis zum fuenften Aufzuge hinhalten; und wenn die ganze Katastrophe an einem Haare haengt, so haengen mehr wichtige Dinge in der Welt an keinem staerkern.

Die letzterwaehnte Szene ist sonst diejenige, in welcher der Schauspieler, der die Rolle des Orosman hat, seine feinste Kunst in alle dem bescheidenen Glanze zeigen kann, in dem sie nur ein ebenso feiner Kenner zu empfinden faehig ist. Er muss aus einer Gemuetsbewegung in die andere uebergehen, und diesen Uebergang durch das stumme Spiel so natuerlich zu machen wissen, dass der Zuschauer durchaus durch keinen Sprung, sondern durch eine zwar schnelle, aber doch dabei merkliche Gradation mit fortgerissen wird. Erst zeiget sich Orosman in aller seiner Grossmut, willig und geneigt, Zairen zu vergeben, wann ihr Herz bereits eingenommen sein sollte, falls sie nur aufrichtig genug ist, ihm laenger kein Geheimnis davon zu machen. Indem erwacht seine Leidenschaft aufs neue, und er fodert die Aufopferung seines Nebenbuhlers. Er wird zaertlich genug, sie unter dieser Bedingung aller seiner Huld zu versichern. Doch da Zaire auf ihrer Unschuld bestehet, wider die er so offenbar Beweise zu haben glaubet, bemeistert sich seiner nach und nach der aeusserste Unwille. Und so geht er von dem Stolze zur Zaertlichkeit, und von der Zaertlichkeit zur Erbitterung ueber. Alles was Remond de Sainte-Albine in seinem "Schauspieler"9 hierbei beobachtet wissen will, leistet Herr Ekhof auf eine so vollkommene Art, dass man glauben sollte, er allein koenne das Vorbild des Kunstrichters gewesen sein.

Siebzehntes Stueck Den 26. Junius 1767

Den siebzehnten Abend (donnerstags, den 14. Mai) ward der "Sidney", vom Gresset, aufgefuehret.

Dieses Stueck kam im Jahre 1745 zuerst aufs Theater. Ein Lustspiel wider den Selbstmord konnte in Paris kein grosses Glueck machen. Die Franzosen sagten: es waere ein Stueck fuer London. Ich weiss auch nicht; denn die Englaender duerften vielleicht den Sidney ein wenig unenglisch finden; er geht nicht rasch genug zu Werke; er philosophiert, ehe er die Tat begeht, zu viel, und nachdem er sie begangen zu haben glaubt, zu wenig; seine Reue koennte schimpflicher Kleinmut scheinen; ja, sich von einem franzoesischen Bedienten so angefuehrt zu sehen, moechte von manchen fuer eine Beschaemung gehalten werden, die des Haengens allein wuerdig waere.

Doch so wie das Stueck ist, scheinet es fuer uns Deutsche recht gut zu sein. Wir moegen eine Raserei gern mit ein wenig Philosophie bemaenteln und finden es unserer Ehre eben nicht nachteilig, wenn man uns von einem dummen Streiche zurueckhaelt und das Gestaendnis, falsch philosophiert zu haben, uns abgewinnet. Wir werden daher dem Dumont, ob er gleich ein franzoesischer Prahler ist, so herzlich gut, dass uns die Etikette, welche der Dichter mit ihm beobachtet, beleidiget. Denn indem es Sidney nun erfaehrt, dass er durch die Vorsicht desselben dem Tode nicht naeher ist, als der gesundesten einer, so laesst ihn Gresset ausrufen: "Kaum kann ich es glauben—Rosalla!—Hamilton!—und du, dessen gluecklicher Eifer usw." Warum diese Rangordnung? Ist es erlaubt, die Dankbarkeit der Politesse aufzuopfern? Der Bediente hat ihn gerettet; dem Bedienten gehoert das erste Wort, der erste Ausdruck der Freude, so Bedienter, so weit unter seinem Herrn und seines Herrn Freunden er auch immer ist. Wenn ich Schauspieler waere, hier wuerde ich es kuehnlich wagen, zu tun, was der Dichter haette tun sollen. Wenn ich schon, wider seine Vorschrift, nicht das erste Wort an meinen Erretter richten duerfte, so wuerde ich ihm wenigstens den ersten geruehrten Blick zuschicken, mit der ersten dankbaren Umarmung auf ihn zueilen; und dann wuerde ich mich gegen Rosalien und gegen Hamilton wenden, und wieder auf ihn zurueckkommen. Es sei uns immer angelegener, Menschlichkeit zu zeigen, als Lebensart!

Herr Ekhof spielt den Sidney so vortrefflich—Es ist ohnstreitig eine von seinen staerksten Rollen. Man kann die enthusiastische Melancholie, das Gefuehl der Fuehllosigkeit, wenn ich so sagen darf, worin die ganze Gemuetsverfassung des Sidney bestehet, schwerlich mit mehr Kunst, mit groesserer Wahrheit ausdruecken. Welcher Reichtum von malenden Gesten, durch die er allgemeinen Betrachtungen gleichsam Figur und Koerper gibt, und seine innersten Empfindungen in sichtbare Gegenstaende verwandelt. Welcher fortreissende Ton der Ueberzeugung!—

Den Beschluss machte diesen Abend ein Stueck in einem Aufzuge, nach dem Franzoesischen des l'Affichard, unter dem Titel: "Ist er von Familie?" Man erraet gleich, dass ein Narr oder eine Naerrin darin vorkommen muss, der es hauptsaechlich um den alten Adel zu tun ist. Ein junger wohlerzogener Mensch, aber von zweifelhaftem Herkommen, bewirbt sich um die Stieftochter eines Marquis. Die Einwilligung der Mutter haengt von der Aufklaerung dieses Punkts ab. Der junge Mensch hielt sich nur fuer den Pflegesohn eines gewissen buergerlichen Lisanders, aber es findet sich, dass Lisander sein wahrer Vater ist. Nun waere weiter an die Heirat nicht zu denken, wenn nicht Lisander selbst sich nur durch Unfaelle zu dem buergerlichen Stande herablassen muessen. In der Tat ist er von ebenso guter Geburt, als der Marquis; er ist des Marquis Sohn, den jugendliche Ausschweifungen aus dem vaeterlichen Hause vertrieben. Nun will er seinen Sohn brauchen, um sich mit seinem Vater auszusoehnen. Die Aussoehnung gelingt und macht das Stueck gegen das Ende sehr ruehrend. Da also der Hauptton desselben ruehrender, als komisch ist: sollte uns nicht auch der Titel mehr jenes als dieses erwarten lassen? Der Titel ist eine wahre Kleinigkeit; aber dasmal haette ich ihn von dem einzigen laecherlichen Charakter nicht hergenommen; er braucht den Inhalt weder anzuzeigen, noch zu erschoepfen; aber er sollte doch auch nicht irrefuehren. Und dieser tut es ein wenig. Was ist leichter zu aendern, als ein Titel? Die uebrigen Abweichungen des deutschen Verfassers von dem Originale gereichen mehr zum Vorteile des Stuecks und geben ihm das einheimische Ansehen, das fast allen von dem franzoesischen Theater entlehnten Stuecken mangelt.

Den achtzehnten Abend (freitags, den 15. Mai) ward "Das Gespenst mit der Trommel" gespielt.

Dieses Stueck schreibt sich eigentlich aus dem Englischen des Addison her. Addison hat nur eine Tragoedie und nur eine Komoedie gemacht. Die dramatische Poesie ueberhaupt war sein Fach nicht. Aber ein guter Kopf weiss sich ueberall aus dem Handel zu ziehen; und so haben seine beiden Stuecke, wenn schon nicht die hoechsten Schoenheiten ihrer Gattung, wenigstens andere, die sie noch immer zu sehr schaetzbaren Werken machen. Er suchte sich mit dem einen sowohl als mit dem andern der franzoesischen Regelmaessigkeit mehr zu naehern; aber noch zwanzig Addisons, und diese Regelmaessigkeit wird doch nie nach dem Geschmacke der Englaender werden. Begnuege sich damit, wer keine hoehere Schoenheiten kennet!

Destouches, der in England persoenlichen Umgang mit Addison gehabt hatte, zog das Lustspiel desselben ueber einen noch franzoesischern Leisten. Wir spielen es nach seiner Umarbeitung; in der wirklich vieles feiner und natuerlicher, aber auch manches kalter und kraftloser geworden. Wenn ich mich indes nicht irre, so hat Madame Gottsched, von der sich die deutsche Uebersetzung herschreibt, das englische Original mit zur Hand genommen und manchen guten Einfall wieder daraus hergestellet.

Den neunzehnten Abend (montags, den 18. Mai) ward "Der verheiratete Philosoph", vom Destouches, wiederholt.

Des Regnard "Demokrit" war dasjenige Stueck, welches den zwanzigsten Abend (dienstags, den 19. Mai) gespielet wurde.

Dieses Lustspiel wimmelt von Fehlern und Ungereimtheiten, und doch gefaellt es. Der Kenner lacht dabei so herzlich, als der Unwissendste aus dem Poebel. Was folgt hieraus? Dass die Schoenheiten, die es hat, wahre allgemeine Schoenheiten sein muessen, und die Fehler vielleicht nur willkuerliche Regeln betreffen, ueber die man sich leichter hinaussetzen kann, als es die Kunstrichter Wort haben wollen. Er hat keine Einheit des Orts beobachtet: mag er doch. Er hat alles Uebliche aus den Augen gesetzt: immerhin. Sein Demokrit sieht dem wahren Demokrit in keinem Stuecke aehnlich; sein Athen ist ein ganz anders Athen, als wir kennen: nun wohl, so streiche man Demokrit und Athen aus und setze bloss erdichtete Namen dafuer. Regnard hat es gewiss so gut als ein anderer gewusst, dass um Athen keine Wueste und keine Tiger und Baere waren; dass es, zu der Zeit des Demokrits, keinen Koenig hatte usw. Aber er hat das alles itzt nicht wissen wollen; seine Absicht war, die Sitten seines Landes unter fremden Namen zu schildern. Diese Schilderung ist das Hauptwerk des komischen Dichters, und nicht die historische Wahrheit.

Andere Fehler moechten schwerer zu entschuldigen sein; der Mangel des Interesse, die kahle Verwickelung, die Menge muessiger Personen, das abgeschmackte Geschwaetz des Demokrits, nicht deswegen nur abgeschmackt, weil es der Idee widerspricht, die wir von dem Demokrit haben, sondern weil es Unsinn in jedes andern Munde sein wuerde, der Dichter moechte ihn genannt haben, wie er wolle. Aber was uebersieht man nicht bei der guten Laune, in die uns Strabo und Thaler setzen? Der Charakter des Strabo ist gleichwohl schwer zu bestimmen; man weiss nicht, was man aus ihm machen soll; er aendert seinen Ton gegen jeden, mit dem er spricht; bald ist er ein feiner witziger Spoetter, bald ein plumper Spassmacher, bald ein zaertlicher Schulfuchs, bald ein unverschaemter Stutzer. Seine Erkennung mit der Kleanthis ist ungemein komisch, aber unnatuerlich. Die Art, mit der Mademoiselle Beauval und La Thorilliere diese Szenen zuerst spielten, hat sich von einem Akteur zum andern, von einer Aktrice zur andern fortgepflanzt. Es sind die unanstaendigsten Grimassen, aber da sie durch die Ueberlieferung bei Franzosen und Deutschen geheiliget sind, so koemmt es niemanden ein, etwas daran zu aendern, und ich will mich wohl hueten, zu sagen, dass man sie eigentlich kaum in dem niedrigsten Possenspiele dulden sollte. Der beste, drolligste und ausgefuehrteste Charakter ist der Charakter des Thalers; ein wahrer Bauer, schalkisch und geradezu; voller boshafter Schnurren; und der, von der poetischen Seite betrachtet, nichts weniger als episodisch, sondern zur Aufloesung des Knoten ebenso schicklich als unentbehrlich ist.10

5.From English Plays, Zara's French author fir'd,
  Confess'd his Muse, beyond herself, inspir'd,
  From rack'd Othello's rage, he rais'd his style
  And snatch'd the brand, that lights this tragic pile.
6.Le plus sage de vos ecrivains, setzt Voltaire hinzu. Wie waere das wohl recht zu uebersetzen? Sage heisst: weise; aber der weiseste unter den englischen Schriftstellern, wer wuerde den Addison dafuer erkennen? Ich besinne mich, dass die Franzosen auch ein Maedchen sage nennen, dem man keinen Fehltritt, so keinen von den groben Fehltritten, vorzuwerfen hat. Dieser Sinn duerfte vielleicht hier passen. Und nach diesem koennte man ja wohl geradezu uebersetzen: "Addison, derjenige von euern Schriftstellern, der uns harmlosen, nuechternen Franzosen am naechsten koemmt."
7.Questo mortale orror che per le vene
  Tutte mi scorre, omai non e dolore,
  Che basti ad appagarti, anima bella.
  Feroce cor, cor dispietato, e misero,
  Paga la pena del delitto orrendo.
  Mani crudeli—oh Dio—Mani, che siete
  Tinte del sangue di si cara donna.
  Voi—voi—dov'e quel ferro? Un' altra volta
  In mezzo al petto—Oime, dov'e quel ferro?
  L'acuta punta—
  Tenebre, e notte
  Si fanno intorno—
  Perche non posso—
  Non posso spargere
  Il sangue tutto?
  Si, si, lo spargo tutto, anima mia,
  Dove sei?—piu non posso—oh Dio! non posso—
  Vorrei—vederti—io manco, io manco, oh Dio!
8."Zaire, bekeerde Turkinne". Treurspel. Amsterdam 1745.
9."Le Comedien", Partie II, chap. X. p. 209.
10."Histoire du Theatre Francais", T. XIV. p. 164.
Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 eylül 2018
Hacim:
620 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
İndirme biçimi:
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