Kitabı oku: «Hamburgische Dramaturgie», sayfa 7

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Achtzehntes Stueck Den 30. Junius 1767

Den einundzwanzigsten Abend (mittewochs, den 20. Mai) wurde das Lustspiel des Marivaux "Die falschen Vertraulichkeiten" aufgefuehrt.

Marivaux hat fast ein ganzes halbes Jahrhundert fuer die Theater in Paris gearbeitet; sein erstes Stueck ist vom Jahre 1712, und sein Tod erfolgte 1763, in einem Alter von zweiundsiebzig. Die Zahl seiner Lustspiele belaeuft sich auf einige dreissig, wovon mehr als zwei Dritteile den Harlekin haben, weil er sie fuer die italienische Buehne verfertigte. Unter diese gehoeren auch "Die falschen Vertraulichkeiten", die 1736 zuerst, ohne besonderen Beifall, gespielet, zwei Jahre darauf aber wieder hervorgesucht wurden, und desto groessern erhielten.

Seine Stuecke, so reich sie auch an mannigfaltigen Charakteren und Verwicklungen sind, sehen sich einander dennoch sehr aehnlich. In allen der naemliche schimmernde und oefters allzu gesuchte Witz; in allen die naemliche metaphysische Zergliederung der Leidenschaften; in allen die naemliche blumenreiche, neologische Sprache. Seine Plane sind nur von einem sehr geringen Umfange; aber, als ein wahrer Kallipides seiner Kunst, weiss er den engen Bezirk derselben mit einer Menge so kleiner und doch so merklich abgesetzter Schritte zu durchlaufen, dass wir am Ende einen noch so weiten Weg mit ihm zurueckgelegt zu haben glauben.

Seitdem die Neuberin, sub auspiciis Sr. Magnifizenz des Herrn Prof. Gottscheds, den Harlekin oeffentlich von ihrem Theater verbannte, haben alle deutsche Buehnen, denen daran gelegen war, regelmaessig zu heissen, dieser Verbannung beizutreten geschienen. Ich sage, geschienen; denn im Grunde hatten sie nur das bunte Jaeckchen und den Namen abgeschafft, aber den Narren behalten. Die Neuberin selbst spielte eine Menge Stuecke, in welchen Harlekin die Hauptperson war. Aber Harlekin hiess bei ihr Haenschen, und war ganz weiss, anstatt scheckicht gekleidet. Wahrlich, ein grosser Triumph fuer den guten Geschmack!

Auch "Die falschen Vertraulichkeiten" haben einen Harlekin, der in der deutschen Uebersetzung zu einem Peter geworden. Die Neuberin ist tot, Gottsched ist auch tot: ich daechte, wir zoegen ihm das Jaeckchen wieder an.—Im Ernste; wenn er unter fremdem Namen zu dulden ist, warum nicht auch unter seinem? "Er ist ein auslaendisches Geschoepf", sagt man. Was tut das? Ich wollte, dass alle Narren unter uns Auslaender waeren! "Er traegt sich, wie sich kein Mensch unter uns traegt":—so braucht er nicht erst lange zu sagen, wer er ist. "Es ist widersinnig, das naemliche Individuum alle Tage in einem andern Stuecke erscheinen zu sehen." Man muss ihn als kein Individuum, sondern als eine ganze Gattung betrachten; es ist nicht Harlekin, der heute im "Timon", morgen im "Falken", uebermorgen in den "Falschen Vertraulichkeiten", wie ein wahrer Hans in allen Gassen, vorkoemmt; sondern es sind Harlekine; die Gattung leidet tausend Varietaeten; der im "Timon" ist nicht der im "Falken"; jener lebte in Griechenland, dieser in Frankreich; nur weil ihr Charakter einerlei Hauptzuege hat, hat man ihnen einerlei Namen gelassen. Warum wollen wir ekler, in unsere Vergnuegungen waehliger und gegen kahle Vernuenfteleien nachgebender sein, als—ich will nicht sagen, die Franzosen und Italiener sind—sondern, als selbst die Roemer und Griechen waren? War ihr Parasit etwas anders, als der Harlekin? Hatte er nicht auch seine eigene, besondere Tracht, in der er in einem Stuecke ueber dem andern vorkam? Hatten die Griechen nicht ein eigenes Drama, in das jederzeit Satyri eingeflochten werden mussten, sie mochten sich nun in die Geschichte des Stuecks schicken oder nicht?

Harlekin hat, vor einigen Jahren, seine Sache vor dem Richterstuhle der wahren Kritik, mit ebenso vieler Laune als Gruendlichkeit, verteidiget. Ich empfehle die Abhandlung des Herrn Moeser ueber das Groteske-Komische allen meinen Lesern, die sie noch nicht kennen; die sie kennen, deren Stimme habe ich schon. Es wird darin beilaeufig von einem gewissen Schriftsteller gesagt, dass er Einsicht genug besitze, dermaleins der Lobredner des Harlekins zu werden. Itzt ist er es geworden! wird man denken. Aber nein; er ist es immer gewesen. Den Einwurf, den ihm Herr Moeser wider den Harlekin in den Mund legt, kann er sich nie gemacht, ja nicht einmal gedacht zu haben erinnern.

Ausser dem Harlekin koemmt in den "Falschen Vertraulichkeiten" noch ein anderer Bedienter vor, der die ganze Intrige fuehret. Beide wurden sehr wohl gespielt; und unser Theater hat ueberhaupt an den Herren Hensel und Merschy ein paar Akteurs, die man zu den Bedientenrollen kaum besser verlangen kann.

Den zweiundzwanzigsten Abend (donnerstags, den 21. Mai) ward die "Zelmire" des Herrn Du Belloy aufgefuehret.

Der Name Du Belloy kann niemanden unbekannt sein, der in der neuern franzoesischen Literatur nicht ganz ein Fremdling ist. Des Verfassers der "Belagerung von Calais"! Wenn es dieses Stueck nicht verdiente, dass die Franzosen ein solches Laermen damit machten, so gereicht doch dieses Laermen selbst den Franzosen zur Ehre. Es zeigt sie als ein Volk, das auf seinen Ruhm eifersuechtig ist; auf das die grossen Taten seiner Vorfahren den Eindruck nicht verloren haben; das, von dem Werte eines Dichters und von dem Einflusse des Theaters auf Tugend und Sitten ueberzeugt, jenen nicht zu seinen unnuetzen Gliedern rechnet, dieses nicht zu den Gegenstaenden zaehlet, um die sich nur geschaeftige Muessiggaenger bekuemmern. Wie weit sind wir Deutsche in diesem Stuecke noch hinter den Franzosen! Es gerade herauszusagen: wir sind gegen sie noch die wahren Barbaren! Barbarischer, als unsere barbarischsten Voreltern, denen ein Liedersaenger ein sehr schaetzbarer Mann war, und die, bei aller ihrer Gleichgueltigkeit gegen Kuenste und Wissenschaften, die Frage, ob ein Barde, oder einer, der mit Baerfellen und Bernstein handelt, der nuetzlichere Buerger waere? sicherlich fuer die Frage eines Narren gehalten haetten!—Ich mag mich in Deutschland umsehen, wo ich will, die Stadt soll noch gebauet werden, von der sich erwarten liesse, dass sie nur den tausendsten Teil der Achtung und Erkenntlichkeit gegen einen deutschen Dichter haben wuerde, die Calais gegen den Du Belloy gehabt hat. Man erkenne es immer fuer franzoesische Eitelkeit: wie weit haben wir noch hin, ehe wir zu so einer Eitelkeit faehig sein werden! Was Wunder auch? Unsere Gelehrte selbst sind klein genug, die Nation in der Geringschaetzung alles dessen zu bestaerken, was nicht geradezu den Beutel fuellet. Man spreche von einem Werke des Genies, von welchem man will; man rede von der Aufmunterung der Kuenstler; man aeussere den Wunsch, dass eine reiche bluehende Stadt der anstaendigsten Erholung fuer Maenner, die in ihren Geschaeften des Tages Last und Hitze getragen, und der nuetzlichsten Zeitverkuerzung fuer andere, die gar keine Geschaefte haben wollen, (das wird doch wenigstens das Theater sein?) durch ihre blosse Teilnehmung aufhelfen moege:—und sehe und hoere um sich. "Dem Himmel sei Dank", ruft nicht bloss der Wucherer Albinus, "dass unsere Buerger wichtigere Dinge zu tun haben!"

––Eu!

Rem poteris servare tuam!—

Wichtigere? Eintraeglichere; das gebe ich zu! Eintraeglich ist freilich unter uns nichts, was im geringsten mit den freien Kuensten in Verbindung stehet. Aber,

–haec animos aerugo er cura peculi Cum semel imbuerit—

Doch ist vergesse mich. Wie gehoert das alles zur "Zelmire"?

Du Belloy war ein junger Mensch, der sich auf die Rechte legen wollte oder sollte. Sollte, wird es wohl mehr gewesen sein. Denn die Liebe zum Theater behielt die Oberhand; er legte den Bartolus beiseite und ward Komoediant. Er spielte einige Zeit unter der franzoesischen Truppe zu Braunschweig, machte verschiedene Stuecke, kam wieder in sein Vaterland und ward geschwind durch ein paar Trauerspiele so gluecklich und beruehmt, als ihn nur immer die Rechtsgelehrsamkeit haette machen koennen, wenn er auch ein Beaumont geworden waere. Wehe dem jungen deutschen Genie, das diesen Weg einschlagen wollte! Verachtung und Bettelei wuerden sein gewissestes Los sein!

Das erste Trauerspiel des Du Belloy heisst "Titus"; und "Zelmire" war sein zweites. "Titus" fand keinen Beifall, und ward nur ein einziges Mal gespielt. Aber "Zelmire" fand desto groessern; es ward vierzehnmal hintereinander aufgefuehrt, und die Pariser hatten sich noch nicht daran satt gesehen. Der Inhalt ist von des Dichters eigener Erfindung.

Ein franzoesischer Kunstrichter11 nahm hiervon Gelegenheit, sich gegen die Trauerspiele von dieser Gattung ueberhaupt zu erklaeren: "Uns waere", sagt er, "ein Stoff aus der Geschichte weit lieber gewesen. Die Jahrbuecher der Welt sind an beruechtigten Verbrechen ja so reich; und die Tragoedie ist ja ausdruecklich dazu, dass sie uns die grossen Handlungen wirklicher Helden zur Bewunderung und Nachahmung vorstellen soll. Indem sie so den Tribut bezahlt, den die Nachwelt ihrer Asche schuldig ist, befeuert sie zugleich die Herzen der Itztlebenden mit der edlen Begierde, ihnen gleich zu werden. Man wende nicht ein, dass 'Zaire', 'Alzire', 'Mahomet' doch auch nur Geburten der Erdichtung waeren. Die Namen der beiden ersten sind erdichtet, aber der Grund der Begebenheiten ist historisch. Es hat wirklich Kreuzzuege gegeben, in welchen sich Christen und Tuerken zur Ehre Gottes, ihres gemeinschaftlichen Vaters, hassten und wuergten. Bei der Eroberung von Mexiko haben sich notwendig die gluecklichen und erhabenen Kontraste zwischen den europaeischen und amerikanischen Sitten, zwischen der Schwaermerei und der wahren Religion aeussern muessen. Und was den 'Mahomet' anbelangt, so ist er der Auszug, die Quintessenz, so zu reden, aus dem ganzen Leben dieses Betruegers; der Fanatismus, in Handlung gezeigt; das schoenste philosophische Gemaelde, das jemals von diesem gefaehrlichen Ungeheuer gemacht worden."

Neunzehntes Stueck Den 3. Julius 1767

Es ist einem jeden vergoennt, seinen eigenen Geschmack zu haben; und es ist ruehmlich, sich von seinem eigenen Geschmacke Rechenschaft zu geben suchen. Aber den Gruenden, durch die man ihn rechtfertigen will, eine Allgemeinheit erteilen, die, wenn es seine Richtigkeit damit haette, ihn zu dem einzigen wahren Geschmacke machen muesste, heisst aus den Grenzen des forschenden Liebhabers herausgehen und sich zu einem eigensinnigen Gesetzgeber aufwerfen. Der angefuehrte franzoesische Schriftsteller faengt mit einem bescheidenen "Uns waere lieber gewesen" an und geht zu so allgemein verbindenden Ausspruechen fort, dass man glauben sollte, dieses Uns sei aus dem Munde der Kritik selbst gekommen. Der wahre Kunstrichter folgert keine Regeln aus seinem Geschmacke, sondern hat seinen Geschmack nach den Regeln gebildet, welche die Natur der Sache erfodert.

Nun hat es Aristoteles laengst entschieden, wie weit sich der tragische Dichter um die historische Wahrheit zu bekuemmern habe; nicht weiter, als sie einer wohleingerichteten Fabel aehnlich ist, mit der er seine Absichten verbinden kann. Er braucht eine Geschichte nicht darum, weil sie geschehen ist, sondern darum, weil sie so geschehen ist, dass er sie schwerlich zu seinem gegenwaertigen Zwecke besser erdichten koennte. Findet er diese Schicklichkeit von ohngefaehr an einem wahren Falle, so ist ihm der wahre Fall willkommen; aber die Geschichtbuecher erst lange darum nachzuschlagen, lohnt der Muehe nicht. Und wie viele wissen denn, was geschehen ist? Wenn wir die Moeglichkeit, dass etwas geschehen kann, nur daher abnehmen wollen, weil es geschehen ist: was hindert uns, eine gaenzlich erdichtete Fabel fuer eine wirklich geschehene Historie zu halten, von der wir nie etwas gehoert haben? Was ist das erste, was uns eine Historie glaubwuerdig macht? Ist es nicht ihre innere Wahrscheinlichkeit? Und ist es nicht einerlei, ob diese Wahrscheinlichkeit von gar keinen Zeugnissen und Ueberlieferungen bestaetiget wird, oder von solchen, die zu unserer Wissenschaft noch nie gelangt sind? Es wird ohne Grund angenommen, dass es eine Bestimmung des Theaters mit sei, das Andenken grosser Maenner zu erhalten; dafuer ist die Geschichte, aber nicht das Theater. Auf dem Theater sollen wir nicht lernen, was dieser oder jener einzelne Mensch getan hat, sondern was ein jeder Mensch von einem gewissen Charakter unter gewissen gegebenen Umstaenden tun werde. Die Absicht der Tragoedie ist weit philosophischer, als die Absicht der Geschichte; und es heisst sie von ihrer wahren Wuerde herabsetzen, wenn man sie zu einem blossen Panegyrikus beruehmter Maenner macht, oder sie gar den Nationa1stolz zu naehren missbraucht.

Die zweite Erinnerung des naemlichen franzoesischen Kunstrichters gegen die "Zelmire" des Du Belloy ist wichtiger. Er tadelt, dass sie fast nichts als ein Gewebe mannigfaltiger wunderbarer Zufaelle sei, die in den engen Raum von vierundzwanzig Stunden zusammengepresst, aller Illusion unfaehig wuerden. Eine seltsam ausgesparte Situation ueber die andere! ein Theaterstreich ueber den andern! Was geschieht nicht alles! was hat man nicht alles zu behalten! Wo sich die Begebenheiten so draengen, koennen schwerlich alle vorbereitet genug sein. Wo uns so vieles ueberrascht, wird uns leicht manches mehr befremden, als ueberraschen. "Warum muss sich z.E. der Tyrann dem Rhamnes entdecken? Was zwingt den Antenor, ihm seine Verbrechen zu offenbaren? Faellt Ilus nicht gleichsam vom Himmel? Ist die Gemuetsaenderung des Rhamnes nicht viel zu schleunig? Bis auf den Augenblick, da er den Antenor ersticht, nimmt er an den Verbrechen seines Herrn auf die entschlossenste Weise teil; und wenn er einmal Reue zu empfinden geschienen, so hatte er sie doch sogleich wieder unterdrueckt. Welch geringfuegige Ursachen gibt hiernaechst der Dichter nicht manchmal den wichtigsten Dingen! So muss Polydor, wenn er aus der Schlacht koemmt und sich wiederum in dem Grabmale verbergen will, der Zelmire den Ruecken zukehren, und der Dichter muss uns sorgfaeltig diesen kleinen Umstand einschaerfen. Denn wenn Polydor anders ginge, wenn er der Prinzessin das Gesicht, anstatt den Ruecken zuwendete: so wuerde sie ihn erkennen, und die folgende Szene, wo diese zaertliche Tochter unwissend ihren Vater seinen Henkern ueberliefert, diese so vorstechende, auf alle Zuschauer so grossen Eindruck machende Szene fiele weg. Waere es gleichwohl nicht weit natuerlicher gewesen, wenn Polydor, indem er wieder in das Grabmal fluechtet, die Zelmire bemerkt, ihr ein Wort zugerufen oder auch nur einen Wink gegeben haette? Freilich waere es so natuerlicher gewesen, als dass die ganzen letzten Akte sich nunmehr auf die Art, wie Polydor geht, ob er seinen Ruecken dahin oder dorthin kehret, gruenden muessen. Mit dem Billett des Azor hat es die naemliche Bewandtnis: brachte es der Soldat im zweiten Akte gleich mit, so wie er es haette mitbringen sollen, so war der Tyrann entlarvet, und das Stueck hatte ein Ende."

Die Uebersetzung der "Zelmire" ist nur in Prosa. Aber wer wird nicht lieber eine koernichte, wohlklingende Prosa hoeren wollen, als matte, geradebrechte Verse? Unter allen unsern gereimten Uebersetzungen werden kaum ein halbes Dutzend sein, die ertraeglich sind. Und dass man mich ja nicht bei dem Worte nehme, sie zu nennen! Ich wuerde eher wissen, wo ich aufhoeren, als wo ich anfangen sollte. Die beste ist an vielen Stellen dunkel und zweideutig; der Franzose war schon nicht der groesste Versifikateur, sondern stuemperte und flickte; der Deutsche war es noch weniger, und indem er sich bemuehte, die gluecklichen und ungluecklichen Zeilen seines Originals gleich treu zu uebersetzen, so ist es natuerlich, dass oefters, was dort nur Lueckenbuesserei oder Tautologie war, hier zu foermlichem Unsinne werden musste. Der Ausdruck ist dabei meistens so niedrig und die Konstruktion so verworfen, dass der Schauspieler allen seinen Adel noetig hat, jenem aufzuhelfen, und allen seinen Verstand brauchet, diese nur nicht verfehlen zu lassen. Ihm die Deklamation zu erleichtern, daran ist vollends gar nicht gedacht worden!

Aber verlohnt es denn auch der Muehe, auf franzoesische Verse so viel Fleiss zu wenden, bis in unserer Sprache ebenso waessrig korrekte, ebenso grammatikalisch kalte Verse daraus werden? Wenn wir hingegen den ganzen poetischen Schmuck der Franzosen in unsere Prosa uebertragen, so wird unsere Prosa dadurch eben noch nicht sehr poetisch werden. Es wird der Zwitterton noch lange nicht daraus entstehen, der aus den prosaischen Uebersetzungen englischer Dichter entstanden ist, in welchen der Gebrauch der kuehnsten Tropen und Figuren, ausser einer gebundenen kadensierten Wortfuegung, uns an Besoffene denken laesst, die ohne Musik tanzen. Der Ausdruck wird sich hoechstens ueber die alltaegliche Sprache nicht weiter erheben, als sich die theatralische Deklamation ueber den gewoehnlichen Ton der gesellschaftlichen Unterhaltungen erheben soll. Und sonach wuenschte ich unserm prosaischen Uebersetzer recht viele Nachfolger; ob ich gleich der Meinung des Houdar de la Motte gar nicht bin, dass das Silbenmass ueberhaupt ein kindischer Zwang sei, dem sich der dramatische Dichter am wenigsten Ursache habe zu unterwerfen. Denn hier koemmt es bloss darauf an, unter zwei Uebeln das kleinste zu waehlen; entweder Verstand und Nachdruck der Versifikation, oder diese jenen aufzuopfern. Dem Houdar de la Motte war seine Meinung zu vergeben; er hatte eine Sprache in Gedanken, in der das Metrische der Poesie nur Kitzelung der Ohren ist und zur Verstaerkung des Ausdrucks nichts beitragen kann; in der unsrigen hingegen ist es etwas mehr, und wir koennen der griechischen ungleich naeher kommen, die durch den blossen Rhythmus ihrer Versarten die Leidenschaften, die darin ausgedrueckt werden, anzudeuten vermag. Die franzoesischen Verse haben nichts als den Wert der ueberstandenen Schwierigkeit fuer sich; und freilich ist dieses nur ein sehr elender Wert.

Die Rolle des Antenors hat Herr Borchers ungemein wohl gespielt; mit aller der Besonnenheit und Heiterkeit, die einem Boesewichte von grossem Verstande so natuerlich zu sein scheinen. Kein misslungener Anschlag wird ihn in Verlegenheit setzen; er ist an immer neuen Raenken unerschoepflich; er besinnt sich kaum, und der unerwartetste Streich, der ihn in seiner Bloesse darzustellen drohte, empfaengt eine Wendung, die ihm die Larve nur noch fester aufdrueckt. Diesen Charakter nicht zu verderben, ist von seiten des Schauspielers das getreueste Gedaechtnis, die fertigste Stimme, die freieste, nachlaessigste Aktion unumgaenglich noetig. Hr. Borchers hat ueberhaupt sehr viele Talente, und schon das muss ein guenstiges Vorurteil fuer ihn erwecken, dass er sich in alten Rollen ebenso gern uebet, als in jungen. Dieses zeuget von seiner Liebe zur Kunst; und der Kenner unterscheidet ihn sogleich von so vielen andern jungen Schauspielern, die nur immer auf der Buehne glaenzen wollen, und deren kleine Eitelkeit, sich in lauter galanten liebenswuerdigen Rollen begaffen und bewundern zu lassen, ihr vornehmster, auch wohl oefters ihr einziger Beruf zum Theater ist.

Zwanzigstes Stueck Den 7. Julius 1767

Den dreiundzwanzigsten Abend (freitags, den 22. Mai) ward "Cenie" aufgefuehret.

Dieses vortreffliche Stueck der Graffigny musste der Gottschedin zum Uebersetzen in die Haende fallen. Nach dem Bekenntnisse, welches sie von sich selbst ablegt, "dass sie die Ehre, welche man durch Uebersetzung oder auch Verfertigung theatralischer Stuecke erwerben koenne, allezeit nur fuer sehr mittelmaessig gehalten habe", laesst sich leicht vermuten, dass sie, diese mittelmaessige Ehre zu erlangen, auch nur sehr mittelmaessige Muehe werde angewendet haben. Ich habe ihr die Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass sie einige lustige Stuecke des Destouches eben nicht verdorben hat. Aber wieviel leichter ist es, eine Schnurre zu uebersetzen, als eine Empfindung! Das Laecherliche kann der Witzige und Unwitzige nachsagen; aber die Sprache des Herzens kann nur das Herz treffen. Sie hat ihre eigene Regeln; und es ist ganz um sie geschehen, sobald man diese verkennt und sie dafuer den Regeln der Grammatik unterwerfen und ihr alle die kalte Vollstaendigkeit, alle die langweilige Deutlichkeit geben will, die wir an einem logischen Satze verlangen. z.E. Dorimond hat dem Mericourt eine ansehnliche Verbindung, nebst dem vierten Teile seines Vermoegens, zugedacht. Aber das ist das wenigste, worauf Mericourt geht; er verweigert sich dem grossmuetigen Anerbieten und will sich ihm aus Uneigennuetzigkeit verweigert zu haben scheinen. "Wozu das?" sagt er. "Warum wollen Sie sich Ihres Vermoegens berauben? Geniessen Sie Ihrer Gueter selbst; sie haben Ihnen Gefahr und Arbeit genug gekostet." J'en jouirai, je vous rendrai tous heureux: laesst die Graffigny den lieben gutherzigen Alten antworten. "Ich will ihrer geniessen, ich will euch alle gluecklich machen." Vortrefflich! Hier ist kein Wort zu viel! Die wahre nachlaessige Kuerze, mit der ein Mann, dem Guete zur Natur geworden ist, von seiner Guete spricht, wenn er davon sprechen muss! Seines Glueckes geniessen, andere gluecklich machen: beides ist ihm nur eines; das eine ist ihm nicht bloss eine Folge des andern, ein Teil des andern; das eine ist ihm ganz das andere: und so wie sein Herz keinen Unterschied darunter kennet, so weiss auch sein Mund keinen darunter zu machen; er spricht, als ob er das naemliche zweimal spraeche, als ob beide Saetze wahre tautologische Saetze, vollkommen identische Saetze waeren; ohne das geringste Verbindungswort. O des Elenden, der die Verbindung nicht fuehlt, dem sie eine Partikel erst fuehlbar machen soll! Und dennoch, wie glaubt man wohl, dass die Gottschedin jene acht Worte uebersetzt hat? "Alsdenn werde ich meiner Gueter erst recht geniessen, wenn ich euch beide dadurch werde gluecklich gemacht haben." Unertraeglich! Der Sinn ist vollkommen uebergetragen, aber der Geist ist verflogen; ein Schwall von Worten hat ihn erstickt. Dieses Alsdenn, mit seinem Schwanze von Wenn; dieses Erst; dieses Recht; dieses Dadurch: lauter Bestimmungen, die dem Ausbruche des Herzens alle Bedenklichkeiten der Ueberlegung geben und eine warme Empfindung in eine frostige Schlussrede verwandeln.

Denen, die mich verstehen, darf ich nur sagen, dass ungefaehr auf diesen Schlag das ganze Stueck uebersetzt ist. Jede feinere Gesinnung ist in ihren gesunden Menschenverstand paraphrasiert, jeder affektvolle Ausdruck in die toten Bestandteile seiner Bedeutung aufgeloeset worden. Hierzu koemmt in vielen Stellen der haessliche Ton des Zeremoniells; verabredete Ehrenbenennungen kontrastieren mit den Ausrufungen der geruehrten Natur auf die abscheulichste Weise. Indem Cenie ihre Mutter erkennet, ruft sie: "Frau Mutter! o welch ein suesser Name!" Der Name Mutter ist suess; aber Frau Mutter ist wahrer Honig mit Zitronensaft! Der herbe Titel zieht das ganze, der Empfindung sich oeffnende Herz wieder zusammen. Und in dem Augenblicke, da sie ihren Vater findet, wirft sie sich gar mit einem "Gnaediger Herr Vater! ich bin Ihrer Gnade wert!" ihm in die Arme. Mon pere! auf deutsch: Gnaediger Herr Vater. Was fuer ein respektuoeses Kind! Wenn ich Dorsainville waere, ich haette es ebenso gern gar nicht wieder gefunden, als mit dieser Anrede.

Madame Loewen spielt die Orphise; man kann sie nicht mit mehrerer Wuerde und Empfindung spielen. Jede Miene spricht das ruhige Bewusstsein ihres verkannten Wertes; und sanfte Melancholie auszudruecken, kann nur ihrem Blicke, kann nur ihrem Tone gelingen.

Cenie ist Madame Hensel. Kein Wort faellt aus ihrem Munde auf die Erde. Was sie sagt, hat sie nicht gelernt; es koemmt aus ihrem eignen Kopfe, aus ihrem eignen Herzen. Sie mag sprechen, oder sie mag nicht sprechen, ihr Spiel geht ununterbrochen fort. Ich wuesste nur einen einzigen Fehler; aber es ist ein sehr seltner Fehler; ein sehr beneidenswuerdiger Fehler. Die Aktrice ist fuer die Rolle zu gross. Mich duenkt einen Riesen zu sehen, der mit dem Gewehre eines Kadetts exerzieret. Ich moechte nicht alles machen, was ich vortrefflich machen koennte.

Herr Ekhof in der Rolle des Dorimond ist ganz Dorimond. Diese Mischung von Sanftmut und Ernst, von Weichherzigkeit und Strenge, wird gerade in so einem Manne wirklich sein, oder sie ist es in keinem. Wann er zum Schlusse des Stuecks vom Mericourt sagt: "Ich will ihm so viel geben, dass er in der grossen Welt leben kann, die sein Vaterland ist; aber sehen mag ich ihn nicht mehr!" wer hat den Mann gelehrt, mit ein paar erhobenen Fingern, hierhin und dahin bewegt, mit einem einzigen Kopfdrehen, uns auf einmal zu zeigen, was das fuer ein Land ist, dieses Vaterland des Mericourt? Ein gefaehrliches, ein boeses Land!

Tot linguae, quot membra viro!

Den vierundzwanzigsten Abend (montags, den 25. Mai) ward die "Amalia" des Herrn Weisse aufgefuehret.

"Amalia" wird von Kennern fuer das beste Lustspiel dieses Dichters gehalten. Es hat auch wirklich mehr Interesse, ausgefuehrtere Charaktere und einen lebhaftern gedankenreichern Dialog, als seine uebrige komische Stuecke. Die Rollen sind hier sehr wohl besetzt; besonders macht Madame Boek den Manley, oder die verkleidete Amalia, mit vieler Anmut und mit aller der ungezwungenen Leichtigkeit, ohne die wir es ein wenig sehr unwahrscheinlich finden wuerden, ein junges Frauenzimmer so lange verkannt zu sehen. Dergleichen Verkleidungen ueberhaupt geben einem dramatischen Stuecke zwar ein romanenhaftes Ansehen, dafuer kann es aber auch nicht fehlen, dass sie nicht sehr komische, auch wohl sehr interessante Szenen veranlassen sollten. Von dieser Art ist die fuenfte des letzten Akts, in welcher ich meinem Freunde einige allzu kuehn kroquierte Pinselstriche zu lindern und mit dem uebrigen in eine sanftere Haltung zu vertreiben wohl raten moechte. Ich weiss nicht, was in der Welt geschieht; ob man wirklich mit dem Frauenzimmer manchmal in diesem zudringlichen Tone spricht. Ich will nicht untersuchen, wie weit es mit der weiblichen Bescheidenheit bestehen koenne, gewisse Dinge, obschon unter der Verkleidung, so zu brueskieren. Ich will die Vermutung ungeaeussert lassen, dass es vielleicht gar nicht einmal die rechte Art sei, eine Madame Freemann ins Enge zu treiben; dass ein wahrer Manley die Sache wohl haette feiner anfangen koennen; dass man ueber einen schnellen Strom nicht in gerader Linie schwimmen zu wollen verlangen muesse; dass—Wie gesagt, ich will diese Vermutungen ungeaeussert lassen; denn es koennte leicht bei einem solchen Handel mehr als eine rechte Art geben. Nachdem naemlich die Gegenstaende sind; obschon alsdenn noch gar nicht ausgemacht ist, dass diejenige Frau, bei der die eine Art fehlgeschlagen, auch allen uebrigen Arten Obstand halten werde. Ich will bloss bekennen, dass ich fuer mein Teil nicht Herz genug gehabt haette, eine dergleichen Szene zu bearbeiten. Ich wuerde mich, vor der einen Klippe zu wenig Erfahrung zu zeigen, ebenso sehr gefuerchtet haben, als vor der andern, allzu viele zu verraten. Ja wenn ich mir auch einer mehr als Crebillonschen Faehigkeit bewusst gewesen waere, mich zwischen beide Klippen durchzustehlen: so weiss ich doch nicht, ob ich nicht viel lieber einen ganz andern Weg eingeschlagen waere. Besonders da sich dieser andere Weg hier von selbst oeffnet. Manley, oder Amalia, wusste ja, dass Freemann mit seiner vorgeblichen Frau nicht gesetzmaessig verbunden sei. Warum konnte er also nicht dieses zum Grunde nehmen, sie ihm gaenzlich abspenstig zu machen, und sich ihr nicht als einen Galan, dem es nur um fluechtige Gunstbezeigungen zu tun, sondern als einen ernsthaften Liebhaber anzutragen, der sein ganzes Schicksal mit ihr zu teilen bereit sei? Seine Bewerbungen wuerden dadurch, ich will nicht sagen unstraeflich, aber doch unstraeflicher geworden sein; er wuerde, ohne sie in ihren eigenen Augen zu beschimpfen, darauf haben bestehen koennen; die Probe waere ungleich verfuehrerischer und das Bestehen in derselben ungleich entscheidender fuer ihre Liebe gegen Freemann gewesen. Man wuerde zugleich einen ordentlichen Plan von seiten der Amalia dabei abgesehen haben; anstatt dass man itzt nicht wohl erraten kann, was sie nun weiter tun koennen, wenn sie ungluecklicherweise in ihrer Verfuehrung gluecklich gewesen waere.

Nach der "Amalia" folgte das kleine Lustspiel des Saintfoix, "Der Finanzpachter". Es besteht ungefaehr aus ein Dutzend Szenen von der aeussersten Lebhaftigkeit. Es duerfte schwer sein, in einen so engen Bezirk mehr gesunde Moral, mehr Charaktere, mehr Interesse zu bringen. Die Manier dieses liebenswuerdigen Schriftstellers ist bekannt. Nie hat ein Dichter ein kleineres niedlicheres Ganze zu machen gewusst, als er.

Den fuenfundzwanzigsten Abend (dienstags, den 26. Mai) ward die "Zelmire" des Du Belloy wiederholt.

11."Journal Encyclopedique", Juillet 1762.
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